Professor Zamorra 1196 - Simon Borner - E-Book

Professor Zamorra 1196 E-Book

Simon Borner

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Beschreibung

Das Gesicht des Mannes war eine Fratze des Zorns! Und er holte zum Angriff aus.
Gleichzeitig kamen weitere Gegner an seine Seite! Überall standen die Menschen von den Tischen auf, kamen sogar aus der Lobby des Hotels. Männer und Frauen, die eben noch friedlich ihrem Tag nachgegangen waren, bauten sich nun hinter dem zur Furie mutierten Mann auf wie willige Soldaten. In ihren Mienen lag kaum noch etwas Menschliches. Mienen voller Hass.
"Nici", sagte der Meister des Übersinnlichen leise. Er rappelte sich keuchend vom Boden auf, und seine Hand fuhr zum Amulett an seiner Brust.
Nicole Duval nickte. Sie verstand ihn auch ohne Worte.
Und sie ballte kampfbereit die Faust.

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Seitenzahl: 140

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Der Satan von Lübeck

Leserseite

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Microstocker1/shutterstock

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-9409-2

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Der Satan von Lübeck

von Simon Borner

Das Gesicht des Mannes war eine Fratze des Zorns! Und er holte zum Angriff aus.

Gleichzeitig kamen weitere Gegner an seine Seite! Überall standen die Menschen von den Tischen auf, strömten sogar aus der Lobby des Hotels. Männer und Frauen, die eben noch friedlich ihrem Tag nachgegangen waren, bauten sich nun hinter dem zur Furie mutierten Mann auf wie willige Soldaten. In ihren Mienen lag kaum noch etwas Menschliches. Mienen voller Hass.

»Nici«, sagte der Meister des Übersinnlichen leise. Er rappelte sich keuchend vom Boden auf, und seine Hand fuhr zum Amulett an seiner Brust.

Nicole Duval nickte. Sie verstand ihn auch ohne Worte.

Und sie ballte kampfbereit die Faust.

»Der Maler aber hielt sein Versprechen und malte den Satan fortan nur noch in der Gestalt des Papstes. Jedoch malte er ihn stets mit Hörnern und mit einem Klauenfuß, wie er auf eine Seele wartet.«

- aus einer alten Lübecker Sage

Kapitel 1

Am Ende

Lübeck, 1351

Das Schlimmste waren die Nächte. Am Tag konnte Oswaldt Stimmer mit seinem Schicksal umgehen. Am Tag hatte er seinen Glauben, der ihm Hoffnung spendete, und seine Zuversicht, die ihm half, nicht dem Wahnsinn zu verfallen. Doch nachts, wenn selbst in dieser winzigen, staubigen Gefängniszelle die Schatten unfassbar lang wurden und der nächste Morgen eine Ewigkeit entfernt zu sein schien …

Nachts hielt der Kirchenmaler sein Schicksal kaum noch aus.

»Hör gefälligst auf zu wimmern, du Wurm!«, rief Johann Clüver. Der Wärter des Zellentraktes riss die schwere Eisentür auf und trat in Stimmers kleines Reich aus Dreck und sterbenden Träumen. »Du mit deinem ewigen Gewinsel! Du machst mir den gesamten Flur nervös. Halt gefälligst dein Maul und schlafe!«

Stimmer hob den Blick. Er lag auf seiner Pritsche, einer schmalen Holzbank ohne Kissen und ohne Decke, und hatte gar nicht bemerkt, dass er laut geworden war.

Clüver hatte es bemerkt. Der Wärter war ein breitschultriger Geselle mit kurzem schwarzen Haar und einer Miene, die nicht gerade von Intelligenz kündete. Dafür aber von Muskelkraft. Und von kurzen Geduldsfäden.

»Es …« Stimmer schluckte. Seine Stimme war ganz brüchig und schwach, und er fürchtete Schlimmes. »Es tut mir leid.«

»Und ob es das tut«, knurrte Clüver. Er trug einen Schlagstock am Gürtel, den er nun löste und in der rechten Hand wiegte. »Gleich sogar noch mehr.«

Dann kamen die Hiebe.

Stimmer wehrte sich nicht. Wieder und wieder schlug der Wärter auf ihn ein, auf das wunde Fleisch und die müden Knochen. Und er ertrug es so stoisch und unbeteiligt, wie er nur konnte. Kaum einen Laut machte der Maler, während Clüver ihm, wie er sagte, »die Scheiße aus dem Leib« und »den Heiland in den Verstand« prügeln wollte, und dabei schnaufte und schwitzte. Unbeschreibliche Schmerzen zuckten und brannten durch Stimmers Körper, doch der Maler biss die Zähne zusammen und schloss die Augen. Ertrug es einfach.

Erst nach mehreren Minuten ließ Clüver von ihm ab. Der Wärter war schweißgebadet von der Anstrengung, doch auf seinen Zügen lag ein Ausdruck tiefster Genugtuung … und tiefsten Hasses. »So«, schnaufte er. »Das soll dich lehren, meine Gefangenen unruhig zu machen. Jetzt hast du Grund zu wimmern, du elender Dieb.«

Mit den Worten verschwand Clüver, und die schwere Zellentür fiel erneut ins Schloss. Stimmer war wieder allein.

Leise stöhnend streckte der Maler die Glieder aus. Dann spuckte er Blut. Jede Faser seines Körpers tat weh. Die Oberschenkel brannten wie Feuer, die Unterarme waren rot, und mindestens eine Rippe schien angeknackst zu sein, denn das Atmen fiel ihm schwer.

»Näher, mein Gott, zu dir«, wisperte er und schluckte den Schmerz ebenso runter wie den Zorn. »Näher zu dir.«

Doch konnte Gott ihn überhaupt hören, hier in der Schwärze seines nächtlichen Verlieses? Gab es in diesem elenden Loch noch einen Gott?

Ja, antwortete Stimmer sich selbst in Gedanken. Gott ist überall. Und erst recht bei denen, die seiner Hilfe am meisten bedürfen.

Dann aber begann er zu weinen.

Seit knapp zwei Wochen saß der Kirchenmaler nun schon in Haft. Sein ganzes Leben hatte Stimmer in Lübeck verbracht, doch wann immer er am dunklen Kerker der Hansestadt vorbeigekommen war, hatte er nie und nimmer gedacht, selbst einmal hinter den dicken Mauern zu enden. Und nun? Nun war er hier, verloren in einem winzigen Kabuff ohne Fenster, und hatte nichts mehr außer der Kleidung am Leib und dem Glauben im Geiste. Alles andere hatten sie ihm genommen, und selbst der Glaube fiel allmählich von ihm ab.

Dabei war er unschuldig!

Clüver schimpfte ihn einen elenden Dieb, und auch der Rest der Stadt hielt ihn für den schändlichen Täter. Verflucht, sie hatten ihn ja sogar bei der Tat sehen können! Doch nicht er war es gewesen, der sie beging. Sondern ein Wesen, das seine Erscheinung angenommen hatte, um ihn ins Unglück zu stürzen.

Aber wie erklärt man dem Richter, dachte Stimmer unter Tränen, dass der Teufel gegen einen intrigiert? Wie beweist man die Taten des Leibhaftigen?

In diesem Augenblick bewegte sich etwas in den Schatten der Zelle. Mit einem Mal wurde die Finsternis dichter, und ein dunkler Wirbel entstand in ihrer Mitte. Stimmer spürte den Wind, den die Erscheinung in Bewegung setzte, und eine Welle aus höllischer Wärme schlug ihm entgegen.

Dann trat die Gestalt aus der Schwärze. Luzifer kam so überraschend passend, als hätte er nur auf sein Stichwort gewartet. Stimmer hegte kaum einen Zweifel, dass er genau das getan hatte.

»Guten Abend, Oswaldt«, grüßte der Satan.

Einmal mehr hatte er Stimmers Aussehen angenommen: schlanker Körper, rotes Haar, sehnige Arme. Er trug die Arbeitskleidung des Kirchenmalers – ein weißes Leinenhemd voller Farbkleckse und eine dunkle Hose. Doch sein Atem roch nach Schwefel, und in den Augenhöhlen brannten lodernde Feuer. Fast schien es, als wiche die Nacht selbst vor ihm zurück, weil sie ihn fürchtete.

»Wie geht es dir in dieser Nacht?«, fuhr der Leibhaftige fort. »Es ist die zwölfte, nicht wahr? Die zwölfte Nacht in völliger Einsamkeit.« Dann schmunzelte er. »Obwohl … ist ein Mann wirklich einsam, wenn er so netten Besuch erhält?« Dabei deutete er vielsagend auf die Tür, durch die der Wärter verschwunden war.

Stimmer schluckte. Ihm war, als sähe er in einen dunklen Spiegel. Dass Luzifer ihm ausgerechnet in seiner Gestalt gegenübertrat, war der Gipfel des Hohns und an Spott nicht zu überbieten. »Was willst du, Satan?«, zischte der Maler.

Luzifer hob tadelnd die Brauen. »Aber, aber. Wie redest du denn mit alten Freunden, hm? Kein Gruß? Kein Handschlag? Nach allem, was wir gemeinsam durchlebt haben, hätte ich mehr von dir erwartet.«

»Wir haben absolut nichts gemeinsam, du und ich«, erwiderte Stimmer. »Ich bin ein Mann des Herrn. Du bist nicht einmal ein Mann!«

»Ts, ts, ts.« Tadelnd schüttelte Luzifer den Kopf. »So viel Wut. Stimmer, Stimmer … Manchmal wundert mich nicht, dass du hier gelandet bist.«

»Ich bin allein deinetwegen hier«, fuhr Stimmer auf. »Weil du …« Dann bremste er sich, als er das Lächeln auf den Zügen seines Gegenübers sah. »Du willst mich provozieren«, erkannte er. »Mich in Versuchung führen, einmal mehr. Doch ich versichere dir, Satan: Ich spiele dein krankes Spiel nicht mit – heute nicht und auch in Zukunft nicht. Ich stehe in der Liebe unseres Allmächtigen und habe mir nichts zu Schulden kommen lassen. Du kannst mir nichts. Meine Seele ist für dich unerreichbar und wird es auf ewig sein. Sie ist heil.«

Stimmer war aufgesprungen. Nun nutzte Luzifer die Gelegenheit und setzte sich auf die Pritsche. Sichtlich entspannt schlug er die Beine übereinander und sah sich um. »So so. Ich kann dir also nichts, ja?« Sein Blick wanderte vielsagend über die nackten Mauern und den zerbeulten Eimer in der Ecke, der Stimmers Ausscheidungen enthielt. »Und doch bist du hier, Oswaldt. Meinetwegen. Sag mir noch mal, was ich nicht kann …« Herausfordernd sah er den Kirchenmaler an. »Na los. Ich warte.«

Stimmer schluckte den Zorn hinunter. Er durfte den Sticheleien des Satans nicht nachgeben. Genau das wollte Luzifer doch!

»Was willst du?«, zischte er seinen Besucher an. »Ich habe dich nicht hergebeten, und ich wüsste nicht, was du und ich noch zu besprechen hätten. Willst du dich in meinem Elend suhlen, ist es das? Willst du zusehen, wie sie mir einen Strick um den Hals legen? Willst du applaudierend danebenstehen, wenn der Henker naht, und dir ins Fäustchen lachen?«

Abermals schüttelte Luzifer das falsche Haupt. »Du verkennst mich völlig, Oswaldt Stimmer. Ich komme als Freund, nicht als Feind. Ich bin auf deiner Seite. Das war ich stets.«

Stimmer lachte spöttisch.

»Nein, wirklich.« Nun stand Luzifer auf. »Ich bin hier, um dir zu helfen.«

Der Maler horchte auf. »Wie solltest du mir helfen können? Ausgerechnet du?«

Der Satan schritt langsam durch die Zelle. Er brauchte nicht lange dafür. Dann lehnte er sich rücklings an eine der kalten Mauern und verschränkte die Arme vor der falschen Brust. »Du gehörst hier nicht her, Stimmer. Das weißt du so gut wie ich. Was sie dir angetan haben, war unrecht, auch wenn sie nach bestem Wissen handelten.« Er machte eine kurze Pause. »Aber noch baumelst du nicht am Strick. Noch kannst du zurück zu deinen Lieben. Dafür bedarf es nur einer Person, die diese Tür für dich öffnet.« Hier deutete er zu der schweren Tür der Zelle.

»Und du willst die Person sein? Dass ich nicht lache.«

»Meine Macht ist groß, Stimmer. Vergiss das nicht. Und ich kümmere mich um jene, die an meiner Seite stehen.«

Mit einem Mal begriff der Maler. »Daher weht der Wind also! Du bietest mir keine Hilfe an, sondern einen Handel.«

Die Mundwinkel seines nächtlichen Gastes zuckten amüsiert. »Lübeck ist eine Hansestadt. Muss ich dir wirklich erklären, dass nichts auf der Welt umsonst ist?«

»Versuch es erst gar nicht«, knurrte Stimmer. »Ich will nicht wissen, welchen Preis du von mir verlangst. Denn die Antwort, die ich dir geben würde, ist dieselbe wie eh und je, Satan. Sie lautet: Nein! Du kannst mir nichts. Absolut gar nichts.«

Der Leibhaftige senkte den Blick. Sekunden verstrichen in einem Schweigen, das halb nachdenklich und halb enttäuscht sein mochte. Als er den Kopf wieder hob, war das Feuer in seinen Augenhöhlen erloschen – und pechschwarze Finsternis hatte seinen Platz eingenommen! Die Augen dieser unheiligen Kreatur waren dunkler als die einsamste Nacht der Welt!

»Du enttäuschst mich, Oswaldt Stimmer«, sagte Luzifer leise. Er wandte sich zum Gehen, hielt aber erneut inne. »Doch du wirst deinen Ton noch ändern, das garantiere ich dir. Je näher der Tag deiner Hinrichtung kommt, desto dankbarer wirst du mir für mein Angebot sein.«

»Niemals«, zischte Stimmer. »Ich bete zum Herrn, Satan. Er wird mich halten, wenn alles andere vergeht.«

Luzifer nickte. »Das ist schon recht so, Stimmer. Bete ruhig. Bete sogar viel! Denn ich versichere dir: Der Tag wird kommen, an dem du zu mir betest! Anflehen wirst du mich dann. Und du kannst nur hoffen, dass ich dann ebenso gnädig zu dir bin, wie ich es heute Nacht sein wollte.«

Mit diesen bedeutungsschwangeren Prophezeiungen verließ Luzifer die Zelle. Er verschwand einfach wieder in den Schatten, und Stimmer war erneut allein – mit der Nacht, der Stille und der Angst.

»Herr«, flüsterte der Kirchenmaler aus Lübeck. »Herr, bleibe bei mir. Ich flehe dich an.«

Doch der Allmächtige war wie die Nacht. Er gab ihm keine Antwort.

New York City, Gegenwart

Der Vollmond hing über der Metropole. Er schien auf die Wiesen im Central Park und die Brücken am Hudson River. Er leuchtete den letzten verbliebenen Booten unten in der Bay ebenso wie den Cops drüben am Madison Square Garden. Er war ewiglich. Schon vor Jahrhunderten hatte er seinen fahlen Schein auf diesen Teil der Welt fallen lassen, und er würde es auch in Jahrhunderten noch tun.

Doch New York war in dieser Nacht heller als jedes Himmelsgestirn. Heller … und lauter. Die Stadt funkelte wie ein Diamant. Licht erfüllte die weltberühmten Straßenschluchten, und auf den Bürgersteigen pulsierte selbst um diese späte Stunde noch immer ein unbändiges, unvergleichliches Leben. Die Luft roch nach Abgasen und Restaurants, nach Schweiß und Unrat, nach Unendlichkeit. Man hatte New York einmal als Stadt bezeichnet, die niemals schlief. Diese Formulierung traf nicht nur ins Schwarze, sie war sogar noch untertrieben.

Professor Zamorra liebte New York City. Seit über einer Stunde zog der Meister des Übersinnlichen nun schon durch die Straßen von Central Manhattan, und noch immer langweilte ihn kein bisschen das Bild, das ihn in allen Richtungen umgab. Ganz im Gegenteil! Jede Ecke, jeder Store und jede U-Bahn-Station boten neue Wunder, neue Attraktionen. Dabei machte sich Zamorra absolut nichts vor. Er wusste genau, dass längst nicht alles an und in New York ein Quell der Freuden war. Ehrlich gesagt, wusste er es sogar besser als die meisten anderen Menschen. Aber dennoch: Das pulsierende Herz der großen Stadt faszinierte ihn bei jedem Besuch aufs Neue. Er war froh, nach langer Zeit einmal mehr einen Abstecher in den Big Apple eingelegt zu haben.

Es tut gut, die alten Straßen wiederzusehen, dachte er und roch den Duft eines kleinen, rund um die Uhr geöffneten Pizza-Restaurants auf der West 41 Street. Der Bryant Park und die New York Public Library lagen nur einen Katzensprung entfernt, und wenn er sich umdrehte, konnte er noch immer die Lichter des Times Square erkennen. Es ist viel zu lange her.

In jungen Jahren hatte der Dämonenjäger in New York gelebt und gearbeitet. Bevor ihn der Ruf aus Frankreich ereilte und sein Leben eine ebenso dramatische wie wegweisende Wendung genommen hatte. Doch das war lange her – inzwischen sogar einen kompletten Jahrhundertwechsel. Und viele der Gefährten aus jenen Tagen waren schon längst nicht mehr an seiner Seite.

»Auf dich, Bill Fleming«, murmelte Zamorra, als er am Rand des Bryant Parks stehenblieb und zu den dunklen Mauern der Public Library blickte. »Heute Nacht vermisse ich dich mehr denn je, alter Freund.«

Fleming war ein Kollege von der hiesigen Universität gewesen, an der sie beide doziert hatten. Der Historiker hatte viel Zeit in Bibliotheken verbracht, auch in der hier. Und auch sein Leben hatte sich grundlegend gewandelt, als Leonardo deMontagnes Erbe in Zamorras Welt getreten war. Ehrlich gesagt, hatte es deswegen sogar ein ebenso dramatisches wie tragisches Ende gefunden. Jedenfalls über kurz oder lang.

Zamorra ging weiter. Es half nichts, dem Vergangenen nachzutrauern. Was geschehen war, war geschehen und ließ sich nicht ändern. Und wenn der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ihn eines gelehrt hatte, dann dies: Die Hölle bekam nie genug. Dämonen, Teufel und böse Mächte gierten stets nach neuen Opfern.

Auch deshalb stellte er sich ihnen stets aufs Neue in den Weg. Als Meister des Übersinnlichen.

Nach wenigen Minuten erreichte Zamorra sein Hotel. Das Hilton lag an der Ecke 6th Avenue und West 40th Street, dem so genannten Nikola-Tesla-Corner. Die Gegend trug den Namen, weil Tesla dort in den späten Jahren seines Lebens oft gesehen wurde, wie er die Tauben fütterte. Der aus dem heutigen Kroatien stammende Erfinder und Ingenieur, so hieß es, sei damals arm und mittellos gewesen.

Arm wirkte die Gegend heute allerdings kein bisschen, und das vielgeschossige Nobelhotel ragte aus ihr empor wie ein wahrer Elfenbeinturm. Zamorra sah gläserne Fassaden, verchromte Oberflächen, funkelnden Stahl und makellosen Prunk. Ein livrierter Türsteher öffnete den Eingang für ihn, als er näher trat, und Zamorra fand sich in der üppigen Lobby seines Hotels wieder.

Es war schon spät, kurz vor Mitternacht, und er erwog, auf sein Zimmer zu fahren und sich auszuruhen. Wie die Schautafeln neben dem Empfangsschalter mehr als deutlich machten, ging die Konferenz, wegen der er New York bereist hatte, gleich morgen früh weiter, und Zamorras eigener Vortrag – ein halbstündiges Referat zum Thema Paralleldimensionen, gefolgt von einer Frage- und Antwortstunde mit dem Auditorium aus internationalen Fachleuten und der Presse – war für 9 Uhr 30 angesetzt. Es wurde höchste Zeit für eine Mütze Schlaf.

Doch Zamorra hatte keine Lust. Der kleine Spaziergang durch die Straßen der Erinnerung hatte ihn innerlich beflügelt. Und irgendwie war ihm, als schulde er der Vergangenheit einen Toast – all denen, die nicht länger an seiner Seite standen.

»Red Label«, sagte er dem Mann hinter dem langen Tresen der Hotelbar, kaum dass er an ihr Platz genommen hatte. »Pur. Zwei Finger breit.«

Der Barkeeper nickte. Er trug eine schwarze Weste zu schneeweißem Hemd, und sein graumelierter Bart passte zu seinem dunklen Teint und zu der gepflegten Glatze. Im Nu hatte er das gewünschte Glas vor Zamorra abgestellt.