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Die alte Sage vom grauenvollen Wassergeist Roggenbuk wird wieder lebendig! Und der Seeteufel von einst ist hungrig nach neuen Menschenopfern.
Aber was genau ist in Travemünde geschehen? Obwohl Zamorra und Nicole soeben erst einen kräftezehrenden Kampf erfolgreich überstanden haben, eilen sie sofort dorthin.
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Seitenzahl: 137
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Roggenbuk
Leserseite
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Daniel Eskridge/shutterstock
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9715-4
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Roggenbuk
von Simon Borner
Als der Abend Travemünde übernimmt, leeren sich die Promenaden allmählich. Auch die letzten Strandkörbe sind verwaist. Doch in den Gasthäusern und Hotels auf der Vorderreihe sitzen sie noch immer. Sie genießen den Abend zechend, begrüßen ihn wie einen alten Freund.
Broktaal sieht es … und er beginnt zu lachen. Denn er ist ein mächtiger Dämon. Ein hungriger Dämon. Und keiner dieser lächerlichen Menschlein kann ihn stoppen.
Hier und heute wird er sie lehren, dass die nahende Nacht alles andere als ihr Freund ist …
Auf Travemünde drückt Unheillast,
die schwarzen Wimpel flattern vom Mast.
Der Schrecken schlug jung und alt in Bann.
Am Strande lauert der Wassermann.
Da lauert der Roggenbuk Jahr um Jahr,
der prustende Meertroll mit dem grasgrünen Haar.
Er singt seine Lieder im Mondenschein,
er spielt auf der Harfe von Menschengebein.
– aus: Die Ballade von Roggenbuk
Kapitel 1
Gefahr aus der Tiefe
Das Meer war wunderschön – und die nackte Frau war es auch. Mondlicht glitzerte in ihrem Blick, und als sie sich vorbeugte, spürte er ihren warmen Atem auf der Haut.
»Ich will es, Erik«, wisperte sie, und die Schatten der Nacht verbargen ihre Rundungen auf durch und durch erregende Weise. »Jetzt. Hier. Und … und mit dir.«
Erik Lauffer keuchte. Dann verschloss er ihren Mund mit der Mutter aller Küsse. Und mit einem Mal hatte die Nacht noch viel mehr, was sie verbergen musste.
Die frühlingsgrüne Wiese, auf der Erik und seine Freundin, die Medizinstudentin Jana Polak, in dieser Nacht ihr kleines Zwei-Personen-Zelt aufgestellt hatten, lag direkt am Wasser. Vor sich hatten sie die endlos scheinende Ostsee, funkelnd und weit im Mondschein. Hinter sich wussten sie die letzten Ausläufer Travemündes – nachtschlafend stille Ferienwohnungen, ein verlassener Golfplatz, ein Wanderweg zum nahen Steilufer. Das junge Paar aus Berlin hatte das Küstenstädtchen an der Lübecker Bucht erst vor einigen Stunden erreicht, mit einem der letzten Regionalzüge des vergehenden Tages. Und wie es sich für echte Backpacker gehörte, hatten Erik und Jana sich gar nicht erst um ein Hotelzimmer bemüht. Zum Strand waren sie geschlendert und hatten zugesehen, wie die Fischbuden nach und nach schlossen, wie die Strandkorbverleiher in den Feierabend gingen und die Passanten von den breiten Promenaden wichen und in die urlaubswarme Sicherheit ihrer kurzzeitig gemieteten Wohnungen zurückkehrten.
Als sie die Grünfläche am Ende der Promenade fanden, hatten die beiden jungen Leute gewusst, wo sie heute Nacht schlafen wollten. Und nun, da das Zelt stand und die Aussicht kaum schöner werden konnte, hatten sie … Lust bekommen. Lust auf mehr als nur Meer.
Abermals keuchte Erik. Der Mittzwanziger mit dem roten Haar ging noch nicht lange mit Jana, dem attraktiven Neuzugang aus seiner Studenten-WG. Doch schon jetzt konnte er sich eine Zeit ohne sie kaum noch vorstellen. Sie war so herrlich lebendig, so unternehmungsfroh und verspielt. Auch der gemeinsame Urlaub war ihre Idee gewesen. Und jetzt lag diese atemberaubende Frau direkt neben ihm, und Wind und Mond spielten mit ihren Formen.
»Du …« Erik schluckte. Sein Blick wanderte über ihren Körper, als wäre der ein Magnet, von dem er sich nie wieder lösen würde. »Du bist wunderschön.«
Jana lachte. »Willst du nur Süßholz raspeln oder auch etwas tun?« Ihre Hände strichen über seine Brust, seine Rippen, seine Unterarme. »Ich dachte, wir zeigen diesem verschlafenen Nest mal, wie echtes Berliner Nachtleben geht.«
Erik brauchte keine zweite Einladung – obwohl dies gewissermaßen bereits die zweite war. Grunzend vor Erregung kapitulierte er vor ihren Berührungen und gab sich hin.
Dann hörte er das Geräusch.
»Ist das Gesang?«, staunte er. Er hob den Blick und spähte ins menschenleer wirkende Dunkel jenseits ihres Zeltes. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, den er sich nicht erklären konnte. »Singt da jemand?«
»Du bist vielleicht ein Spinner.« Jana lächelte. Ihre Grübchen machten ihn fast wahnsinnig. »Nicht ablenken, Soldat. Verstanden? Ich höre absolut nichts. Und überhaupt: Wer in aller Welt soll hier schon singen – jetzt um diese Zeit. Travemünde ist ein schnarchiges Nest, Erik. Hier urlauben nur Rentner. Und die liegen längst in ihren Betten.«
Sie hatte recht, das wusste er. Dennoch …
Abermals lauschte er in das Dunkel. Das Geräusch war verflogen, als hätte es nie existiert.
»Erde an Erik«, neckte Jana ihn. Sie deutete auf sich und ihre Reize. »Hier spielt die Musik, Kollege. Nur hier.«
»Halleluja«, erwiderte er grinsend und widmete sich wieder seiner atemberaubenden Begleiterin.
Bis der Gesang erneut an sein Ohr drang. Ganz leise, kaum mehr als ein Hauchen im Wind – aber doch unverkennbar.
Erik wurde kalt. Er konnte es nicht erklären, aber irgendetwas an diesen leisen Tönen berührte ihn tief in seinem Inneren und erschreckte ihn, wie es nur Urinstinkte vermochten. Die klare, helle Frauenstimme und die eigenartigen Klänge, die zugleich vertraut und durch und durch fremdartig wirkten, schlugen eine Saite an, die er so noch gar nicht kannte:
Nackte Angst!
»Was …?« Ruckartig schoss er in die Höhe. Abermals sah er sich nach allen Seiten um. Er fror – nicht nur körperlich, sondern vor allem an seiner Seele! »Jana, was ist das?«
Jana stemmte sich vom Wiesenboden auf. »Wenn du nicht willst, brauchst du das nur zu sagen«, schimpfte sie. »Du musst hier nicht so tun, als wäre …« Dann verstummte sie, und ihre Augen wurden groß. Als sie weitersprach, war ihre Stimme nur noch ein heiseres Wispern. »Erik? Wer ist das? Da vorn am Meer, großer Gott! Wer ist das?«
Er wirbelte herum. Panik stieg in ihm auf wie eine Sturmflut, und sein Herz pochte wie wild.
Eine Gestalt stand am Meer, keine zehn Schritte vom Zelt der Liebenden entfernt. Erik sah nur ihren Umriss, dunkel und eigenartig verwachsen vor der Kulisse der nachtschwarz funkelnden See! Er hatte breite Schultern und einen bucklig-krumm wirkenden Wuchs. Starke Arme, dick wie Elefantenbeine. Ein langer Vollbart zierte das kantige Gesicht, und die Stirn schien aus fleischigen Wülsten zu bestehen. Der Mann – war es überhaupt einer? – trug einen Hut mit breiter Krempe, von der das Wasser des Ozeans tropfte, und an seiner Hüfte baumelte ein langer Säbel, auf dessen Scheide silbrige Aufsätze prangten.
Die Musik wurde lauter. Der Gesang kam nun von überall gleichzeitig, schrill und schräg, aber zugleich unfassbar klar und … und absolut entsetzlich. Geistergesang! Sirenenklänge!
»Erik?« Polak schrie auf. Auch sie vernahm die Töne inzwischen. Ihr hübsches Gesicht war bleicher als der Mond. Zitternd wich sie zurück. »Was passiert hier?«
Ich weiß es nicht, keuchte er innerlich. Und er wollte es auch nicht wissen.
Dennoch musste er ein Mann sein.
»He«, rief er der unheimlichen Gestalt entgegen. Zögerlich stand er auf, die Fäuste geballt, und er hoffte, seine Stimme klänge mutiger als er sich fühlte. »Was wird das, Sportsfreund? Verpiss dich gefälligst, okay? Die Show hier ist nicht für dich!«
Der dunkle Schemen blieb, wo er war. Wasser troff von seiner Hutkrempe und aus dem dicht scheinenden Bart. Langsam griff er nach dem Säbel.
Lauffer schluckte trocken. »Ich … ich sag’s nicht noch mal«, drohte er zitternd. »Verschwinde, bevor ich die Polizei rufe. Klar?«
Der Säbel glitt aus der Scheide. Die Gestalt reckte ihn in die Höhe, dass die Klinge im Sternenschein funkelte wie ein stummes, tödliches Versprechen.
Jana schrie abermals. Panisch sprang sie auf, vergaß jegliche Beherrschung, und rannte los – weg vom Meer und dem Unheimlichen. Ohne Orientierung, ohne Ziel. Einfach nur weg.
»Jana, nicht!«, erschrak Erik.
Doch es war bereits zu spät. Jana kam keine fünf Schritte weit.
Denn am anderen Ende der Uferwiese wartete der Tod.
Die Männer waren zu fünft. Sie trugen dunkle Kutten, die sie wie Mönche wirken ließen, und hatten Kapuzen auf. Sie kamen aus Richtung des Wanderwegs und schnitten Jana so mühelos den Weg ab, als hätten sie nur auf sie gewartet. Grob packten sie nach ihren Armen, rissen an ihrem braunen Haar.
Die Studentin schrie nicht länger, sie kreischte. Nackte Angst stand auf ihren Zügen. Obwohl sie sich wehrte wie eine Wahnsinnige, konnte sie dem Zugriff der Fremden nicht mehr entgehen.
»He!«, brüllte Erik. Ihm war eisig kalt. Seine Knie waren butterweich geworden. Sein ganzer Körper kribbelte vor Nervosität. Ihm war, als wäre er in einen bizarren Horrorfilm gefallen, aus dem es kein Entkommen mehr gab. »Was soll das, verflucht! Lasst sie sofort los, ihr Wichser! Scheiße, ihr könnt nicht …«
Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Denn die Gestalt aus dem Meer trat vor, schnell wie der Wind und absolut zielsicher! In Nullkommanichts war sie an der Gruppe Kuttenträger angelangt. Die Männer hielten Jana fest wie eine Opfergabe. Sie präsentierten ihren nackten, wehrlosen Leib dem Unheimlichen. Das Mädchen schrie wie am Spieß, doch einer der Vermummten hielt ihr den Mund zu, und so sehr sie auch zerrte und zitterte, konnte sie sich nicht befreien. Niemand konnte das.
»Nein!« Eriks Stimme gellte durch die Nacht. Er ahnte, was geschehen würde. Die Angst verlieh seinen schockstarren Gliedern Flügel. Keuchend rannte er los, auf die gespenstische Versammlung zu. »Nicht! Ihr dürft nicht …«
Er schaffte zwei Schritte.
Dann verfing sich sein nackter Fuß in einem der aufgespannten Zeltschnüre.
Er kam zu spät.
Jana schrie, als die scharfe Klinge ihren Bauch zerschlitzte. Blut quoll aus der langen, schmalen Wunde – sofort und mit unfassbarer Geschwindigkeit. Es floss ihre Beine hinab, troff auf den Boden und versickerte im Erdreich.
Der Unheimliche hatte bereits wieder ausgeholt. Sein zweiter Hieb kam blitzschnell und legte erste Gedärme frei. Knochen. Organe.
Erik wollte nicht begreifen, was er sah. Obwohl sein ganzer Leib schmerzte wie wild und der harte Aufprall ihm die Luft aus der Lunge und den halben Verstand aus dem Hirn getrieben hatte, stemmte er sich hektisch vom Boden hoch. Er musste zu Jana, musste ihr helfen, verdammt, musste doch …
Nun wichen die Kuttenträger zurück. Sie ließen die Studentin einfach los und machten ein paar respektvolle Schritte rückwärts, bis sie wieder eins mit den Schatten waren, aus denen sie stammten.
Jana brach sofort zusammen. Ihre Beine trugen sie nicht länger. Sie schrie nicht mehr. Gurgelnde, jämmerliche Klänge, denen nichts Menschliches mehr anhaftete, drangen aus ihrer Kehle, bis …
»Nein«, wimmerte Erik.
Seine Knie gaben nach. Er brach neben dem Unheimlichen zusammen. Tränen rannen über sein Gesicht. Seine Schultern zuckten vor Trauer und Angst und Sorge und Panik. Er wusste, was passieren würde. Er spürte es. Und es traf ihn bis ins Mark.
»Nein, bitte! Jana!«
Der Hüne, der noch immer vor ihr stand, ignorierte ihn. Er fuhr mit dem Säbel einmal quer über ihre Kehle. Blitzschnell. Gnadenlos. Tödlich.
Jana Polak starb, während das warme, dampfende Blut aus ihrem Hals schoss wie Wasser aus einem berstenden Damm. Sie kippte einfach zur Seite und blieb liegen, reglos und leblos. Es war vorbei.
Dann drehte sich die grauenhafte Gestalt um. Zum allerersten Mal sah Eric das Gesicht, auf das die Strahlen des fahlen Mondes fielen. Sah den Hass auf den Zügen und das Feuer in den Augenhöhlen.
Sein Herz setzte einen Schlag aus.
Er begriff, jetzt endlich begriff er! Doch jetzt war es zu spät.
Der Hüne mit dem Säbel holte ein letztes Mal zu einem Hieb aus.
Erik Lauffer schloss die Augen, hielt den Atem an und wartete auf den Schmerz.
☆
Die Bundesstraße 75 lag da wie ein dunkles Band. Mondlicht erhellte ihre geteerte Bahn, und rechts und links der Standstreifen wucherte in Nachtdunkel getauchtes Grün – dichte Wälder, satte Wiesen und brach liegende Felder. Nur hin und wieder passierte die Straße kleine Ortschaften, deren Namen laut dem im Armaturenbrett des Mietwagens integrierten Navigationssystems erstaunlich oft auf –dorf endeten.
Letzteres amüsierte Nicole Duval. »Dummersdorf, Poppendorf, Iversdorf …«, las die Dämonenjägerin die Anzeigen ab. »Wart’s ab, chéri. Gleich kommen wir auch noch an einem Kaff vorbei, das ›Dorfdorf‹ heißt. Allzu kreativ war man hier oben nämlich ganz offensichtlich nicht, wenn’s um die Namensgebung der kleineren Gemeinden ging. Alles Dörfer außer Lübeck.«
Professor Zamorra lächelte knapp, doch eine witzige Erwiderung wollte ihm einfach nicht einfallen. Die Ereignisse der vergangenen Stunden saßen ihm in den Knochen, und die Aussicht auf weitere Probleme tat wenig, seine Stimmung aufzuhellen.
»He«, sagte Nicole sanft. »Bist du noch da? Seit wir aus der Stadt raus sind, hast du kaum ein Wort gesagt. Dabei gebe ich mir echt Mühe, dich aufzuheitern.«
Das tat sie wirklich, und er wusste es. Nicole Duval war Zamorras langjährige Partnerin, beruflich wie privat. Sie verstand sich kaum weniger gut auf ihr gemeinsames Metier und war eine ebenso patente wie mächtige Kämpferin im ewigen Krieg gegen die Finsternis und ihre höllischen Kreaturen der Nacht. Sie wusste so gut wie er, wie es um ihren Einsatz in Lübeck stand. Und sie kannte ihn: Ihre kleinen Kommentare waren ganz klar als Aufmunterung gemeint – als witzige Pausen, in denen er durchatmen und Kraft schöpfen sollte. Als Mutmacher, im buchstäblichen Sinne des Wortes.
Doch Zamorra stand nicht der Sinn danach, so leid es ihm auch tat. Hinter seiner Stirn überschlugen sich die Gedanken … und die Selbstvorwürfe.
»Ich bin hier«, sagte er nun. Es klang entschuldigend. »Immer, Nici. Immer an deiner Seite.«
Sie lehnte sich seufzend im Beifahrersitz zurück und sah nach draußen. Die Nacht hatte Schleswig-Holstein fest im Griff. Es würde noch Stunden dauern, bis sie es wieder freigab. »Glaubst du, wir kommen noch rechtzeitig?«
Er wusste es nicht, und schon wieder stiegen Vorwürfe in ihm auf. Niemand ging härter mit ihm ins Gericht als er selbst. Und niemand war gnadenloser.
Seit dem Notruf, den die beiden Dämonenjäger in Lübeck aufgeschnappt hatten, war keine Stunde vergangen. Und der PS-starke Jaguar, wegen dem sie einen Mietwagen-Verleiher aus dem Bett geklingelt und fürstlich entlohnt hatten, fuhr so schnell und sicher über die verlassene B 75, als wäre er eigens für diese eine Strecke vom Montageband gelaufen. Doch Zamorra ahnte, dass die Zeit für schnelle Hilfen längst verstrichen war. Falls es sie je gegeben hatte.
»Rechtzeitig sicher nicht«, antwortete er niedergeschlagen. »Aber wir werden ankommen. Und dann sehen wir weiter.«
Die vergangenen Tage waren ebenso anstrengend wie mysteriös gewesen. Vor wenigen Stunden noch hatte der Meister des Übersinnlichen geglaubt, die Lage in den Griff bekommen zu haben. Nun fürchtete er, einem Irrglauben aufgesessen zu sein – einer Täuschung, für die nun andere Menschen den ultimativen Preis zahlten!
Immer wieder musste er an die Informationen des Lübecker Polizisten denken. An die Farbe, die komplett aus dem Gesicht des Beamten gewichen war. An die Angst auf seinen Zügen.
»Die Zentrale sagt, so eine Sauerei hat sie noch nicht gesehen«, hörte er die Stimme des Mannes in seiner Erinnerung. »Bislang kann sich das niemand erklären.«
Und er hörte die Richtung, die der Polizist ihnen gewiesen hatte: »Nach Travemünde.«
Deswegen waren er und Nicole nun hier. Einzig und allein deswegen rasten sie mit einer Geschwindigkeit, die sämtliche Verkehrsvorschriften missachtete, über die nachtschlafende B 75 nach Osten.
Weil es noch nicht vorbei war.
Und weil er, Professor Zamorra, die Schuld daran trug.
Er allein.
☆
»Du kannst nichts dafür, ja?«, sagte Pascal Lafitte. »Das ist erst einmal das Wichtigste. Dass du das begreifst und akzeptierst. Zamorra, ich kenne dich doch. Ich weiß, wie schnell du dir Vorwürfe machst und wie hart du mit dir ins Gericht gehst. Also hör mir genau zu, mein Freund: Du. Kannst. Nichts. Dafür.«
Der Professor nickte, auch wenn Lafitte, dessen Stimme aus der Freisprechanlage des Jaguars drang, es nicht sah. »Verstanden, Pascal. Danke.«
»Ich meine es ernst«, betonte der Franzose. Lafitte saß daheim im Computerzimmer des Château Montagne, von wo aus er den Einsatz als Rechercheur und externer Informant begleitete. »Nicole, sag’s ihm.«
»Pascal hat recht, chéri«, bestätigte sie. Ihre Züge waren freundlich und sorgenvoll zugleich. »Du hast getan, was du konntest. Wir alle haben das. Es … es kam nur einfach anders als erhofft. Das kann vorkommen.«
»So ist es.« Lafitte klang, als nicke er kräftig. »Und weil es so ist, machen wir jetzt einfach weiter, bis die Kuh endgültig vom Eis ist. Einverstanden? Wir geben uns keine Schuld, und wir werfen uns auch nichts vor. Wir machen weiter.«
»Es sind Menschen gestorben, Pascal«, warf Zamorra ein. »Weil ich Broktaal in Lübeck nicht stoppen konnte, hat er sich in Travemünde neue Opfer gesucht.«
»Halt, halt, halt!«, wehrte sich Nicole.
Auch Lafitte protestierte. »Das weißt du doch gar nicht! Die Polizei sprach nur von einer ›Sauerei‹ und einem dringenden Einsatz, dessen Hintergründe im Dunkeln liegen. Der Rest ist pure Spekulation deinerseits.«
»In