Professor Zamorra 1212 - Simon Borner - E-Book

Professor Zamorra 1212 E-Book

Simon Borner

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Beschreibung

Wir waren fünf, damals in der Wüste. Das ist schon Jahre her, und ich denke nur noch selten daran. Nur noch in der Nacht, in meinen Albträumen. Ein Hinterhalt hatte uns erwischt. Die Mine hatte uns den Wagen gekostet und unserem Vorgesetzten den halben Unterleib. Wir begruben ihn notdürftig im Sand. Dann luden wir uns so viel Aufrüstung auf, wie wir nur konnten, und zogen los. Fünf Überlebende, allein in einem Nichts aus Sand. Im Herzen des Feindeslands.
Wir wussten damals nicht, welche Geheimnisse diese Wüste barg.
Und nachts, wenn ich schreiend aus meinen immer gleichen Träumen erwache, wenn mir das Herz aus der schweißnassen Brust springen will und mir die Tränen der Panik in die Augen steigen ...
Nachts wünschte ich, wir hätten es nie erfahren.

Auftakt des packenden Roman-Zweiteilers!


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Seitenzahl: 129

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Das Blut von Romulus

Leserseite

Vorschau

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Denis Simonov/Viacheslav Lopatin / shutterstock

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7517-0605-6

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Das Blut von Romulus

von Simon Borner

Wir waren fünf, damals in der Wüste. Das ist schon Jahre her, und ich denke nur noch selten daran. Nur noch in der Nacht, in meinen Albträumen. Ein Hinterhalt hatte uns erwischt. Die Mine hatte uns den Wagen gekostet und unserem Vorgesetzten den halben Unterleib. Wir begruben ihn notdürftig im Sand. Dann luden wir uns so viel Aufrüstung auf, wie wir nur konnten, und zogen los. Fünf Überlebende, allein in einem Nichts aus Sand. Im Herzen des Feindeslands.

Wir wussten damals nicht, welche Geheimnisse diese Wüste barg.

Und nachts, wenn ich schreiend aus meinen immer gleichen Träumen erwache, wenn mir das Herz aus der schweißnassen Brust springen will und mir die Tränen der Panik in die Augen steigen …

Nachts wünschte ich, wir hätten es nie erfahren.

Die Römer betrachteten die Sage von Romulus und Remus nicht als Märchen. Sie wollten mit ihr ausdrücken, dass sie animalische Kräfte besaßen und diese bereits mit der Muttermilch aufsaugten.

- Terry Jones

 

Kapitel 1

Die letzte Klappe

Rom, Italien

Der Werwolf knurrte. Dampfend heißer Speichel troff ihm aus dem Maul, die spitzen Reißzähne reflektierten den Kerzenschein, und das Fell war so schwarz wie die Nacht. Er war ein Tier gewordener Satan, ein Albtraum mit Krallen und unbändiger Gier … und er war direkt hinter Pamela!

Die Mittdreißigerin schrie. Schon spürte sie den warmen Atem der Kreatur im Nacken. Panisch drehte sie sich um, raffte ihr langes Kleid mit dem Blümchenmuster und begann zu rennen – blindlings drauflos. Nur weg. Hauptsache weg.

Das Forum Romanum war zu dieser späten Stunde wie ausgestorben. Verdammt, warum war hier denn niemand? Sie brauchte Hilfe! Dringend!

Doch die Nacht ließ sie im Stich. Nirgends rührte sich etwas, abgesehen vom Wind. Und der Werwolf knurrte wieder.

Er war ganz nah. Er ließ nicht locker. So schnell sie auch lief, hielt er mühelos mit ihr Schritt. Fast so, als wolle er mit ihr spielen: Katz und Maus.

Tränen stiegen in Pamela auf. Abermals schrie sie. Und abermals fielen ihre Schreie auf fruchtlosen Boden. Hier würde ihr niemand mehr helfen. Sie war allein – und verloren!

Uralte Säulen flankierten die schmalen Gehwege, schwere Steinquader säumten die winzigen Grünflächen. Pamelas Stöckelschuhe klapperten auf dem Pflaster. Ihre Hände zitterten, und ihr Atem ging stoßweise. Der Träger ihres ärmellosen Kleids verrutschte, und ihre Schulter präsentierte sich der Nacht – ganz nackt und wehrlos. Warmes Fleisch.

Dann geschah es! Der Werwolf war plötzlich direkt vor ihr! Er trat aus den Schatten, als hätte er nur auf sie gewartet. Gott allein mochte wissen, wie er sie unbemerkt überholt hatte. Wieder spürte sie seinen heißen Atem auf der Haut, sah in seine gierigen Augen. Und sie wusste, dass es vorbei war. Sie würde sterben, hier und jetzt. Einsam und allein in Rom.

Der Werwolf öffnete sein riesiges Maul.

Pamela schloss die Augen.

»Uuund Schnitt!«, rief eine tiefe Stimme.

Einen Herzschlag später erklang eine schrillende Sirene, und das Licht ging wieder an.

Pamela Giffey öffnete die Augen. Die Scheinwerfer erhellten den Drehort. Gelangweilt wirkende Mitarbeiter standen zwischen den Säulen, nun nicht länger von Dunkelheit versteckt, und ein pickliger Produktionsassistent bohrte in der Nase. Der Werwolf zog sein Kostüm aus, und der breitschultrige italienische Wrestler darunter kam zum Vorschein. Pamela kannte seinen Namen noch immer nicht.

»Pamela«, rief die tiefe Stimme wieder. Sie klang tadelnd. »Pamela. Was soll ich sage noch, eh?«

Roberto Conte kam näher. Ihm gehörte die Stimme, und in gewisser Weise gehörte ihm auch die gesamte Produktion, war er doch Regisseur und Finanzier in einem. »Das Blut von Romulus« war sein Baby – und seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war er aktuell alles andere als stolz auf den Kleinen.

»War das gut für dich, Roberto?«, fragte Pamela lustlos. Sie zog sich den Träger wieder hoch und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich fand’s okay.«

»Okay?« Conte, dessen Englisch ebenso übel war wie sein Mundgeruch, fuchtelte mit den Armen, als wollte er die Nacht verprügeln. »Nichtse ist okay, okay? Gar nichtse. Du sollste laufen, ja. Du sollste schreien, ja. Aber vor allem du sollste zeigen. Capice, Pamela? Zeigen.« Die fuchtelnden Hände deuteten nun auf ihren demonstrativ versperrten Brustkorb. »Das da. Weißt du doch.«

Sie hob eine Hand und rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. »Und du weißt, dass ›das da‹ dich deutlich mehr kostet, als du mir geben willst. Verflucht, Roberto, wie oft sollen wir dieses Gespräch noch führen. Eine Pamela Giffey zieht nicht blank. Erst recht nicht für das bisschen Gage, das dein billiger Streifen im Budget hat. Du kannst froh sein, dass ich dir die nackte Schulter gebe. Die allein wird für mehr als genug Schlagzeilen sorgen, das garantiere ich.«

»Schlagzeile, Schlagzeile«, äffte er sie nach. Pamela merkte, dass ihm Speisereste im schwarzen Vollbart hingen. Er schien es aber nicht zu merken. »Was für Schlagzeile, eh? Du bist nicht mehr die große Star von damals. Und das hier …« Wieder fuchtelte er durch die Nacht. »Das iste nicht Hollywood, allora. Wir machen Giallo, nicht Kostümdrama. Wir machen Kino für die Leute!«

Für die Leute. Pamela schnaubte abfällig. »Wenn du das sagst, Robbie«, brummte sie, drehte sich um und ließ ihren Regisseur einfach stehen. Mit einem Mal war sie müde – so unendlich müde.

Ihr Trailer stand am Straßenrand der Straße Foro Romano. Der von der Produktion gestellte Wohnwagen war geräumig. Wann immer sie am Set nicht gebraucht wurde, zog Pamela sich hierhin zurück und dachte nach. Hauptsächlich darüber, wann und wo genau ihre Karriere solch einen Absturz erlebt hatte.

Denn wenn sie ehrlich zu sich war, hatte Conte vollkommen recht: Sie war nicht mehr der Kinderstar aus Hollywood, dem die Angebote nur so zuflogen. Seit »School’s out«, der 90er-Jahre-Sitcom, die sie berühmt gemacht hatte, war viel Zeit vergangen. Anfangs hatte Pamela von ihrem Ersparten sehr gut leben können – und von den Tantiemen, die die ständigen Wiederholungen der Sitcom ihr einbrachten. Hin und wieder hatte sie zudem Filme gedreht: romantische Komödien, die kaum egaler sein konnten. Doch die Tantiemen waren ihr Haupteinkommen geblieben – sie und der Ruf, der ihr dank der Sitcom anhaftete. Sie war Americas Sweetheart gewesen, in den Köpfen der Zuschauer eine ewige Zwölfjährige mit Sommersprossen und Zöpfen.

Bis 2018. Ein medial bis ins Detail ausgeschlachtetes Gerichtsverfahren hatte ihre Geldquelle versiegen lassen. Vier Frauen hatten ihren alten Co-Star aus »School’s out« des Missbrauchs bezichtigt, das Verfahren hatte die traurige Wahrheit endgültig ans Licht gebracht, und sämtliche TV-Sender der USA hatten die alte Serie kurzerhand aus dem Programm genommen. Weil ihr Serienvater ein Triebtäter war, wollte nun niemand mehr »School’s out« ausstrahlen. Nicht einmal die DVDs verkauften sich noch.

Und Pamela Giffey …

Mit einem Mal hatte sie wieder kämpfen müssen. Um Jobs, um ein Einkommen. Doch wie fand man Rollen, wenn Amerika einen nur als sommersprossige Göre haben wollte?

Inzwischen musste sie nehmen, was immer sie bekam. Als die Anfrage aus Rom bei ihr einflatterte, hatte sie den Begriff »Giallo« sogar erst einmal nachschlagen müssen, so fremd war ihr dieses italienische Genre, ein besonders blutiger Ableger der Horrorszene, gewesen. Aber in der Not fraß auch das Kind aus »School’s out« Fliegen – und deshalb war sie hier. Allein in Rom, umgeben von einem Stab von einheimischen Stümpern und gestraft mit Co-Stars, die wirkten, als hätten sie noch nie ein Kino von innen gesehen – geschweige denn einen Drehort.

Tiefer konnte man nicht fallen, so einfach war das. Diese Horrorproduktion war der Bodensatz dessen, was einmal eine Karriere gewesen sein mochte. Und jetzt wollte Conte auch noch ihre Brüste sehen. Vermutlich, damit sie vom billigen Monsterkostüm ablenkten oder wenigstens ein Grund bestand, sich »Das Blut von Romulus« anzusehen.

»Ich bin nicht hier, um eine Hauptrolle zu spielen«, brummte die Amerikanerin, schloss die Tür des Trailers hinter sich und ließ sich aufs Sofa plumpsen. »Sondern um diesem elenden Stück Dreck von einem B-Movie wenigstens einen Hauch von kommerzieller Bedeutung zu verleihen.«

»Miss Giffey?« Es klopfte an ihrem Wohnwagen. »Wir wären so weit für den zweiten Take. Alles auf Ausgangsposition.«

Es ging weiter. Pamela seufzte, vergrub das Gesicht in den Händen und atmete tief durch. Dann stand sie auf.

»Sagen Sie Roberto, er soll wenigstens ehrlich sein«, rief sie und griff nach der Türklinke. »Und den Namen seines Dreckstreifens ändern. Denn eigentlich geht’s hier doch nur um meine Brüste. Von daher sollte das Ding auch so heißen, oder etwa nicht? Giffeys Oberweite – Ein Schundfilm von Roberto Kenntmanicht …«

Sie verstummte, kaum dass sie ins Freie getreten war. Denn hier draußen war niemand.

Na, ihr habt’s ja eilig, spottete sie in Gedanken.

Schweigend ging sie los. Die Scheinwerfer waren aus, und das gesamte Gelände wirkte vollkommen still und ruhig. Beinahe verlassen.

Eigenartig. Versteckten sich dieIdioten jetzt alle? Hatte Conte das Set räumen lassen, um seiner Hauptdarstellerin ein bisschen mehr Privatsphäre zu bieten?

Irgendwie bezweifelte Pamela das. Der bärtige Italiener hielt #metoo sicher für ein Pasta-Gericht oder einen Grippeimpfstoff. Von political correctness und Gleichberechtigung wusste er dem Eindruck nach weniger als eine Milchkuh von der bemannten Raumfahrt.

Blieb aber die Frage: Wo waren plötzlich alle?

»Roberto?«, rief Pamela.

Keine Antwort. Mit einem Mal fiel ihr auf, wie still es hier tatsächlich war. Nicht einmal die Verkehrsgeräusche von jenseits des Forums wehten noch zu ihr hinüber.

Das ist eigenartig …, stutzte sie.

Einen Moment später hörte sie das Knurren.

Pamela Giffey rannte.

Laut hallten ihre Schritte über das unwirklich stille Forum Romanum. Die Nacht, die schon den Rest der Welt verschluckt zu haben schien, verschluckte auch sie gierig und unwiederbringlich. Und der Werwolf knurrte.

Seit einer gefühlten Ewigkeit floh Pamela nun schon vor dem Monster. Es war wahnsinnig schnell und wahnsinnig gnadenlos. Und es war riesig. Gut und gern zwei Meter maß die wölfische Kreatur. Sie hatte breite Schultern, lange Krallen und ein Fell, dunkler als die Nacht. Blut schwamm in den gierigen Augen, Geifer troff aus dem gewaltigen Maul.

Und sie war schnell! Wo immer Pamela auch hinflüchtete, das Ungeheuer war bereits dort – es trat aus den Schatten, als materialisiere es nach Herzenslust neu. Als zaubere es sich selbst kreuz und quer über die alte römische Anlage. In Windeseile.

Das ist unmöglich, dachte Pamela. Was sie hier erlebte, sprengte alle Grenzen der Wirklichkeit. Es konnte nicht echt sein.

Dennoch war es das. Sie spürte es in jedem Zittern ihrer Knie, jedem Schauer auf ihrem Rücken … und in der nackten Panik in ihren Eingeweiden, die sich anfühlten, als wären sie aus Eis.

Das Monstrum war echt. Nichts daran war Kostüm, nichts Spezialeffekt. Die Kreatur hatte nichts mit dem Filmdreh zu tun, absolut gar nichts. Und es war hinter ihr her!

»Roberto!«, schrie die Darstellerin. Zitternd rannte sie zwischen zwei Säulen hindurch, die älter schienen als die Ewigkeit, und auf die Basilica Giulia zu. Immer wieder sah sie sich nach Menschen um, nach Kollegen, nach Touristen. Und doch fand sie niemanden. »Roberto!«

Verflucht, wie konnte das sein? Dies war das Zentrum einer europäischen Landeshauptstadt. Eine Touristenhochburg, die niemals richtig schlief. Wie ging es an, dass sich hier absolut niemand blicken ließ?

Endlich erreichte sie die Basilica. Wenig erinnerte heute noch an das Gotteshaus von damals. Nur ein paar umgestürzte Säulen und Mauerreste hatte der Zahn der Zeit von ihr übrig gelassen, und auf ihrem ehemaligen Fußboden wucherte längst das Gras. Dennoch lief Pamela auf das Gelände, als könnte sie hier eine Tür hinter sich zuschlagen und Sicherheit finden.

Sie irrte.

Denn als sie die Mitte der Wiese erreichte, war der Wolf bereits da.

»Nein«, keuchte die Amerikanerin. Zitternd blieb sie stehen. Fassungslos starrte sie auf das Wesen, das aus den Schatten trat, als habe es dort nur auf sie gewartet. »Nein, das kann nicht … Das darf nicht … Nicht so! Bitte!«

Der Wolf spannte die Muskeln an. Sie sah es genau. Und der Anblick raubte ihr die letzte Kraft, die letzte Hoffnung. Pamela Giffey verlor die Kontrolle über ihre Knie und brach wimmernd im Gras zusammen.

Einen Sekundenbruchteil später sprang das riesige Monster mit der Wolfsgestalt in die Höhe … und kam über sie.

Hintertux, Österreich

Das Licht der untergehenden Sonne spiegelte sich auf den schneebedeckten Berggipfeln ebenso wie auf der glitzernden Oberfläche des Tuxbachs, der nahezu kerzengerade durch das schmale Tal zog. Die Luft roch nach der Weite des nahezu wolkenlosen Himmels, aber auch nach dem satten Grün der nahen Weiden und dem Rauch der Schornsteine, die vorne im Dorf qualmten.

Monsignore Giacomo Parisi schlug den Mantelkragen höher und ging weiter. Das Taxi hatte ihn drüben am Gletscher abgesetzt, wo trotz der nahenden Nacht noch immer zahlreiche Skifahrer aktiv waren. Den Rest des Weges würde er zu Fuß hinter sich bringen müssen.

Hintertux präsentierte sich ihm in aufgeräumter Übersichtlichkeit. Das Zweihundertseelendorf lebte vom Tourismus, wie zahlreiche Hotelbetriebe und Pensionen bewiesen. Auch die Therme, das höchstgelegene Thermalbad in ganz Europa, war weit über Österreichs Grenzen hinweg bekannt. Doch die abgeschiedene Lage in den Bergen und auch die wenigen verbliebenen Bauernhöfe verliehen dem Dorf noch immer einen ländlichen, rauen Charme. Parisi fragte sich, wie es hier wohl sein mochte, wenn die Touristensaison endete und die Einheimischen auf sich gestellt waren.

Vermutlich genauso, wie er es sich vorstellte.

So, wie es die dunklen Geschichten schilderten.

Ihretwegen war er hier. Und ihretwegen suchte er nun seinen Gesprächspartner.

»Herr Bachbichler?«, fragte Parisi. Seine Kenntnisse der Landessprache waren überschaubar, doch er schlug sich redlich. »Herr Josef Bachbichler?«

Der Alte, an dessen am Ortsrand gelegene Haustür er geklopft hatte, betrachtete ihn abschätzend. Bachbichler war ein stämmiger Grauschopf von gut achtzig Lenzen, trug ein kariertes Hemd zu Kord und Hosenträger. Das Kinn wies vereinzelte Reststoppeln auf; vermutlich fehlte ihm inzwischen die nötige Sehkraft, sich ordentlich zu rasieren. Sein Atem roch nach Pfefferminz.

»Ich bin Giacomo Parisi.« Er deutete an sich hinab, auf den schwarzen Parka und die gefütterten Stiefel. »Wir hatten telefoniert.«

Nun nickte Bachbichler. »Der Pfaffe aus Rom. Ich hatte Sie mir anders vorgestellt.«

Parisi lächelte. »Wie denn? Mit Bischofshut und Talar?«

»So ungefähr.« Bachbichler winkte ab. »Na, nun kommen Sie schon rein.«

Das Innere des alten Bauernhauses wirkte nicht minder heruntergekommen wie der äußere Anblick. Parisis Blick fiel auf alte Eichenmöbel, vergilbte Deckchen, einen schmutzigen Fernsehsessel. An der Wand hing ein Kalender mit Katzenmotiven, der über dreißig Jahre alt war. Der Aschenbecher auf der Fensterbank quoll über, und das gewiss schon seit Wochen.

»Setzen Sie sich, Herr Bischof«, sagte Bachbichler und deutete auf eine Couch, die mit alten Zeitschriften schon mehr als gefüllt war.

Parisi wusste nicht, ob er scherzte. »Ich komme wegen Ihres Nachbarsjungen. Erinnern Sie sich?«

»Erinnern.« Der pensionierte Landwirt schnaubte. »Und ob. Einer muss sich hier ja erinnern. Wenn’s schon nicht einmal die Eltern tun.«

Fragend runzelte er die Stirn. »Die Eltern? Ich habe vorhin den Umzugswagen bemerkt, der ein Haus weiter hält. Ziehen Ihre Nachbarn weg?«

Ächzend ließ Bachbichler sich in seinen Sessel fallen. »Die flüchten. Weil sie sich der Wahrheit nicht stellen wollen. Verstehen Sie? Weil sie Angst vor der Wahrheit haben.«

Das saß. Parisi wusste nicht viel über den Vorfall, der ihn auf Hintertux hatte aufmerksam werden lassen. Aber er fragte sich, wie viel Angst ein Elternpaar haben musste, wenn es freiwillig wegzog – aus dem Dorf, in dem das eigene Kind verschwunden war.

»Und wie lautet die Wahrheit?«