Professor Zamorra 1213 - Simon Borner - E-Book

Professor Zamorra 1213 E-Book

Simon Borner

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Beschreibung

Die verlassenen Katakomben des Kolosseums waren wie eine tödliche Falle. Überall nur Stein und Gitter! Es gab kaum Fluchtwege, und die wenigen versperrte das titanenhafte Ungeheuer, das mit seiner Beute spielte wie die Katze mit der Maus. Mysati erschauderte, wann immer sie einen Blick auf die an einen pervertierten Wolf erinnernde Kreatur erhaschte.
Auf den riesigen Leib mit pechfinsterem Fell.
Auf das Maul voller rasiermesserscharfer Zähne.
Auf die glühenden Augen, heller als die Nacht über den Schwefelklüften.
Nein, keuchte die Magierin. Abermals ballte sie die Fäuste. Das ist kein Wolf, sondern purer Hass. Pure Gier!
Und die Kreatur kannte keine Gnade mit der Ewigen Stadt Rom ...

Lassen Sie sich die Fortsetzung des packenden Roman-Zweiteilers nicht entgehen!


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Inhalt

Cover

Impressum

Die Schwestern der Wölfe

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Leserseite

Vorschau

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Sara Corso / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7517-0606-3

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Die Schwesternder Wölfe

von Simon Borner

Die verlassenen Katakomben des Kolosseums waren wie eine tödliche Falle. Überall nur Stein und Gitter! Es gab kaum Fluchtwege, und die wenigen versperrte das titanenhafte Ungeheuer, das mit seiner Beute spielte wie die Katze mit der Maus. Mysati erschauderte, wann immer sie einen Blick auf die an einen pervertierten Wolf erinnernde Kreatur erhaschte.

Auf den riesigen Leib mit pechfinsterem Fell.

Auf das Maul voller rasiermesserscharfer Zähne.

Auf die glühenden Augen, heller als die Nacht über den Schwefelklüften.

Nein, keuchte die Magierin. Abermals ballte sie die Fäuste. Das ist kein Wolf, sondern purer Hass. Pure Gier!

Und die Kreatur kannte keine Gnade mit der Ewigen Stadt Rom ...

Rom ist die Stadt der Echos, die Stadt der Illusionen, die Stadt der Gier.

- Giotto di Bondone

Kapitel 1

Höllenfeuer in der Ewigen Stadt

Rom, Italien

Die Nacht hatte Zähne, und ihre Gier war unendlich groß.

Ted Ewigk keuchte, als er die Monster knurren hörte. Kalte Schauer liefen ihm über den Rücken. Mysati! Seine treue Gefährtin war genau zwischen den beiden Ungeheuern. Sie hatten sie eingekesselt, und nun stand sie da wie auf dem Präsentierteller. Ihr Leben hing am seidenen Faden!

Abermals regten sich die Schatten. Wie zuvor, konnte Ewigk die Kreaturen nicht genau erkennen. Sie waren bloße Schemen, vage Umrisse aus Luft und Dunkelheit. Doch er wusste, dass sie riesig waren. Mächtige Titanen voller Hass und Gier. Und sie waren gekommen, um sich an den Lebenden zu laben. Um Kraft zu schöpfen für ihren unerbittlichen Feldzug gegen alles, was gut und rechtschaffen war.

»Mysati!«, rief der Para-Reporter verzweifelt.

Was konnte er nur tun? Wie konnte er ihr beistehen? Verflucht, seinetwegen war sie doch nur in dieser schrecklichen Lage! Und jetzt? Jetzt wusste er ihr nicht einmal zu helfen?

Nein, dachte er fest entschlossen. Lieber sterbe ich an ihrer Seite, als dass ich sie kampflos hergebe. »Halte durch, ich komme!«

Dann rannte er los, direkt auf die Ungeheuer zu.

Und er betete, dass er nicht zu spät kam.

Das Forum Romanum war der Marktplatz des alten Roms, Herzstück des einstigen Weltreiches. Es lag in einer Senke zwischen den drei Stadthügeln Kapitol, Palatin und Esquilin. Früher hatte sich das ganze Leben hier abgespielt – die Kultur, die Wirtschaft, die Politik. Wichtige Reden waren im Schatten der gewaltigen Tempel geschwungen worden, Fehden ausgefochten und Handelsbeziehungen geschlossen.

Doch das war Jahrtausende her. Von den Tempeln waren nur noch Ruinen übrig – steinerne Überreste, schiefe Säulen, verfallene Mauern. Und statt Leben regierte inzwischen der Tod.

Zumindest nun, in dieser Nacht des Grauens ...

Mysati spannte die Muskeln an. Die Magierin war erfahren im Kampf. Sie hatte Gegner niedergerungen und Mächtige besiegt, auf weitaus mehr Welten als dieser. Dennoch schlotterten ihr aktuell die Knie. Und der Grund dafür stand direkt vor ihr. Und hinter ihr.

»Ihr habt mich in der Zange, ihr Teufel«, knurrte sie den riesenhaften Schemen entgegen. »Aber noch habt ihr nicht gewonnen. Also kommt, wenn ihr euch traut. Dann werden wir ja sehen, wer heute Nacht auf der Strecke bleibt!«

Die Ungeheuer waren wie aus dem Nichts erschienen. Gewaltige Wölfe, groß wie Elefanten. Die Umrisse waren nur vage erkennbar, die Leiber nur verschwommene Kleckse – fast so, als wären sie noch nicht fertig, noch nicht vollends in dieser Wirklichkeit angekommen. Doch ihre Gier war unverkennbar, so offensichtlich wie ihr Hass.

Abermals traten sie näher, langsam und spielerisch. Wie Katzen, die sich auf die wehrlose Maus freuten. Sie kamen aus den Schatten der Ruinen und schnitten Mysati den Fluchtweg ab. Wohin die Magierin auch blickte, sah sie nur die schemenhaften Gegner, die auf jede ihrer Bewegungen lauerten und deren tiefes Knurren ihr durch Mark und Bein fuhr.

Sie und Ted Ewigk waren gekommen, um nach Spuren eines brutalen und unheimlichen Mordes zu suchen. Doch gefunden hatten sie nur den Tod – ihren eigenen!

Aber nicht, wenn ich es verhindern kann, dachte die Magierin.

Einen Herzschlag später griffen die Monster an. Geschickt wich Mysati einer nahenden Pranke aus. Sie wirbelte um die eigene Achse, sprang zur Seite und hob kampfbereit die Fäuste. Alte Magie, lange nicht benutzt, wallte in ihr auf. Zorn loderte in ihrem Inneren und befeuerte ihre Kraft. Es war der Zorn der Mächtigen von einst. Der Frau, die sich nichts vormachen ließ und die stets bekam, was sie wollte. Der Frau, die Mysati gewesen war, bevor sie sich auf Ted Ewigk einließ.

Der Zorn eines Monsters.

Die Magierin ließ ihn zu. Denn sie wusste, dass er ihr nur nutzen konnte.

Abermals knurrten die Schatten. Augen erschienen in der Dunkelheit, groß wie Teller und flammend hell wie die Feuer der Schwefelklüfte oder die brennenden Sterne in Avalon. Und die Augen sahen zu ihr!

Mysati begriff. Wer immer ihr beiden auch seid, dachte sie und taxierte ihre unheimlichen Gegner. Und wo immer ihr auch herkommt ... Eins ist mir jetzt klar. Je länger ich euch gewähren lasse, desto stärker werdet ihr. Desto realer werdet ihr.

Es war wirklich so: Die Kreaturen materialisierten erst. Noch waren sie nicht in Gänze anwesend. Das erklärte ihre vagen Formen. Aber sie kamen – mit jeder verstreichenden Sekunde mehr.

Ist das vielleicht meine Chance, fragte sich die Magierin. Ist das eure Schwachstelle?

Sie wusste es nicht. Aber sie musste es versuchen. Es war ihre einzige und letzte Chance.

Das nächste Monstrum griff an. Eine silbrige Klaue erschien wie aus dem Nichts, lang wie ein Arm und breit wie ein Baumstamm. Sie verfehlte die Magierin nur um Haaresbreite.

Mysati fluchte leise, atmete tief durch ....

... und rannte der Vernichtung entgegen!

Kurz zuvor

Carla Penuzzi hatte schon viel Elend auf ihrem Schreibtisch gesehen. Aber nichts war dem Elend dieser Nacht je nahe gekommen. Das hier war die Mutter aller Arschkarten!

»Was fange ich nur mit diesem Riesenmurks an?«, murmelte die commissaria aus Rom. Dann ergab sie sich dem Stapel an Akten, die sich lasen wie ein billiger Horrorfilm. Und die auch genauso wenig Sinn ergaben wie ein solcher. »Das ist doch alles ... Unfug!«

Die Zweiunddreißigjährige saß in ihrem Büro, einem fensterlosen Kabuff im Herzen der Stadt. Der lange Tag saß ihr in den Knochen, und wann immer sie den Kopf hob und durch die offene Zimmertür ins benachbarte Großraumbüro ihrer Untergebenen sah, fand sie nur verlassene Arbeitsplätze vor, nur Leere und Dunkelheit. Die Nacht hatte auch die policia fest in ihren Klauen, und alle anderen Beamten schliefen sicher längst in den heimischen Betten. Doch davon, wusste Penuzzi, wurden die Probleme auch nicht weniger problematisch. Manchmal musste man einfach durch –auch wenn es durch dicke Scheiße ging.

Der Mord an Pamela Giffey gab der erfahrenen commissaria Rätsel auf wie kein Fall zuvor. Die US-Amerikanerin hatte in Rom einen sogenannten Giallo gedreht, einen billigen Horrorfilm mit viel Blut und Ekeleffekten, wie es sie schon seit Jahrzehnten gab. Doch sie war getötet worden – mitten am Drehort, dem Forum Romanum. Und getötet war noch vorsichtig formuliert! Die Leiche, deren ekelerregend detailreiche Fotos vor Penuzzi auf den Aktenstapeln ruhten, sah aus wie durch den Fleischwolf gedreht. Wüsste sie es nicht besser, Penuzzi hätte einen riesigen Wolf als Mörder verdächtigt – einen Teufel in Tiergestalt, dessen mächtige Pranken und riesenhafte Zähne die wehrlose Amerikanerin zerfleischt hatten und dessen Gier keine Grenzen gekannt hatte. Was sonst sollte all diese brutalen Schnitte erklären, all die freigelegten Knochen und zerfetzten Gedärme?

Giffeys Oberkörper war ein einziger Matschklumpen, der Schädel von breiten Narben gezeichnet. Nicht einmal ihr größter Fan hätte sie so noch wiedererkannt. Obwohl: Allzu viele Fans hatte die Schauspielerin gewiss nicht mehr gehabt.

Penuzzi hatte den Lebenslauf der Toten recherchiert. In Kindertagen war Giffey der Star einer beliebten Sitcom gewesen: »School's out«. Die gut einhundert Episoden hatten weltweit ein untotes Leben im Wiederholungsprogramm geführt. Sie waren wieder und wieder ausgestrahlt worden und hatten – so vermutete die commissaria –dem Ensemble von damals dank der Wiederholungstantiemen, dank DVD- und BluRay-Auswertungen und allerlei Merchandise auch weiterhin ein schönes Einkommen beschert.

Bis ...

Vor ein paar Jahren hatte Giffeys einstiger Co-Star die MeToo-Bewegung zu spüren bekommen. Missbrauchsvorwürfe waren laut geworden und hatten in den USA zu einem viel beachteten Gerichtsprozess geführt, an dessen Ende der männliche Hauptdarsteller von »School's out« zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden war. Die ultraprüden USA hatten die Serie umgehend verdrängt: Die Wiederholungen verschwanden quasi über Nacht aus dem Programm der TV-Sender, die DVDs aus den Regalen der Media-Märkte. Weil der Sexualverbrecher (vollkommen zu Recht) zur persona non grata erklärt wurde, ließ man auch an seinem künstlerischen Werk kein gutes Haar mehr und tat, als hätte es nie existiert.

Für den Co-Star mochte die öffentliche Ächtung die gerechte Strafe sein. Für alle anderen, die ebenfalls noch immer von den Tantiemen lebten, war sie aber eine existenzbedrohende Katastrophe gewesen.

Vor allem Giffey hatte das zu spüren bekommen, wie Penuzzi nun wusste. Der einstige Kinderstar hatte als Erwachsener kaum noch Fuß in Hollywood fassen können. Die Traumfabrik hatte Giffey als sommersprossige Göre abgespeichert gehabt, und dem Publikum war es ganz ähnlich ergangen. Das Mädchen aus »School's out« hätte jede Rolle der Welt bekommen, doch das Mädchen aus »School's out« war eine erwachsene Frau geworden und hatte mangelndes Talent nicht länger mit niedlicher Optik übertünchen können. Die Angebote waren ausgeblieben, die Karriere versandet. Der Giallo hier in Rom, so absurd das auch klang, war Giffeys erste echte Hauptrolle seit Jahren gewesen. Und ihr brutaler Tod bot den Klatschmagazinen der ganzen Welt nun reichlich Futter für diverse maßlose Spekulationen.

Giffeys blutiges Ende, las Penuzzi eine der Schlagzeilen, die ihre Mitarbeiter für sie in einem Aktenordner sammelten. War es der Dämon Alkohol? Oder hier, eine zweite: Mysteriöser Mord wie im Drehbuch! Welche Dämonen töteten den Kinderstar?

Es war klar, worauf die Titelseiten abzielten. Die Boulevardblätter wollten Giffey als gescheiterte Existenz sehen, die am Verlust ihres einstigen Ruhmes zugrunde gegangen war. Als Opfer innerer Dämonen.

Doch je länger Carla Penuzzi die grauenvollen Fotos betrachtete, desto mehr fragte sie sich, ob der Täter nicht ein echter Dämon gewesen war. Das widersprach zwar allen Gesetzen der Logik und der Vernunft, hätte aber einiges erklärt.

»So schlimm, hm?«

Die Zweiunddreißigjährige zuckte zusammen, als die tiefe Stimme erklang.

»Oh, scusi. Ich wollte dich nicht erschrecken.«

Giancarlo Belladonna hob abwehrend eine Hand. Er stand im offenen Türrahmen ihres Büros, und seine schwarzen Hosenträger spannten sich über dem gewaltigen Bauch. Der vierundsechzigjährige Dienststellenleiter war ein Ermittler alter Schule und fast so etwas wie ein Mentor seiner jüngeren Mitarbeiter. Auch Penuzzi hatte ihm viel zu verdanken. Was aber nicht hieß, dass er sie ungestraft in den Tod schicken durfte ...

»Meine Nerven«, keuchte die commissaria. Anklagend sah sie zu dem älteren Kollegen. »Kannst du nicht anklopfen, Carlo? Überhaupt: Was machst du hier? Ich dachte, ich wäre längst alleine im Haus.«

»Bist du auch«, erwiderte er. Dann trat er näher, räumte ein paar Akten vom Stuhl vor ihrem Schreibtisch und setzte sich ächzend. »Ab sofort. Denn ich wollte mich in den Feierabend verabschieden – und dich gleich mit, wenn du es zulässt.« Er deutete auf die Ermittlungsunterlagen vor ihr. »Es ist spät, Carla. Fast schon Mitternacht. Was immer du da auch hast, kann gewiss bis zum Morgen warten. Das ist das einzig Gute an den Toten: Sie bleiben tot.«

Sie seufzte und fuhr sich durch das schulterlange braune Haar. »Aber Geheimnisse bleiben auch geheim, wenn man sie lässt. Keine Chance, Carlo. Der Haufen Scheißdreck hier will einfach keine Ruhe geben. Je länger ich ihn anstarre, desto rätselhafter erscheint er mir. Einen ganzen Tag arbeite ich mich nun schon an der toten Schauspielerin ab, doch noch immer bin ich nicht den geringsten Schritt weiter.«

»Das dachte ich mir. Ich hörte dich vorhin leise fluchen.« Er schmunzelte kurz. »Die Giffey, hm?«

Sie nickte. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich den Fall als ›höhere Macht‹ verbuchen.« Mit diesen Worten reichte sie ihm eines der Tatortfotos. »Oder wie würdest du es nennen, wenn die einzig logisch erscheinende Theorie darin besteht, dass Monsterwölfe am Werk waren?«

Belladonna studierte die Aufnahmen und stieß einen anerkennenden Pfiff aus. »Sicher, dass die Frau dort getötet wurde? Nicht irgendwo anders?«

Penuzzi ahnte, worauf er anspielte, und entkräftete den Ansatz sofort. »Todsicher. Die Spuren sind mehr als eindeutig. Was immer das da war, es geschah mitten auf dem Forum.«

»Dann muss jemand mächtige Werkzeuge dabei gehabt haben«, murmelte der alte Dienststellenleiter. »Einen Häcksler. Oder auch zwei.«

Die commissaria schnaubte. »Wie wahrscheinlich ist das?«, gab sie zurück.

»Wie wahrscheinlich sind Monsterwölfe?«, erwiderte er nicht minder trocken.

Penuzzi lehnte sich in ihrem knarrenden Sitz zurück und sah den Kollegen an. »Du verstehst also, was ich hier vor mir habe: einen Fall, der keinen Sinn ergibt.«

Nun war er es, der nickte. »Ich beneide dich nicht. Kaum ein Mord ist simpel – aber manche, beispielsweise der hier, sind echte Arschlöcher.« Er hob den Blick. »Aber zum Glück hat dir ja jemand beigebracht, wie man mit ihnen umgeht. Richtig?«

Die commissaria nahm die Kaffeetasse, die inmitten des Chaos auf ihrem Schreibtisch stand, und nippte daran. Der Kaffee war längst kalt geworden und schmeckte furchtbar. Dennoch trank sie ihn, denn er passte dazu, wie sie sich gerade fühlte.

Belladonna hatte nicht unrecht. Er hatte ihr beigebracht, wie. Aber galt das auch hier? »Die Sache ist viel zu ...«, begann sie ihren Protest.

Doch der Alte schüttelte den Kopf. »Keine Sache ist das, Carla. Vergiss das niemals. Jeder Fall ist lösbar, wenn man nur genau genug vorgeht.« Er legte die Fotos zurück auf den Tisch. »Und du kennst die Schritte. Wenn du hier nicht weiterkommst, machst du das, was wir immer machen, wenn wir kein Land sehen.«

»Aber ...«

»Kein Aber. Es gibt kein Aber in der Polizeiarbeit. Es gibt nur die immer gleichen Schritte.«

Sie wusste, was er meinte. Und sie begriff, dass er recht hatte. Nur wenn sie einen Schritt zurückging, würde sie vorwärts kommen – falls überhaupt.

»Danke, Carlo«, ergab sie sich schließlich seinem väterlichen Rat. Und sie war ihm wirklich dankbar. »Danke, dass du mir immer noch den Kopf waschen kannst, wenn es nötig wird. Was würden wir hier ohne dich machen?«

»Eure Arbeit, hoffe ich doch«, lachte er. »Nur eure Arbeit.«

Carla Penuzzi erhob sich von ihrem Platz am Schreibtisch der elenden Sackgassen, nahm ihre Jacke und tat das Einzige, was sie noch tun konnte: Sie ging einen Schritt zurück.

Zurück an den Tatort.

Im Grunde war es simpel: Wer in Sackgassen geriet, musste rückwärts gehen. Oder, wie im Fall der polizia Roms, rückwärts denken.

Carla Penuzzi steuerte ihren Wagen durch die nächtlichen Straßen der Ewigen Stadt. Dank der späten Stunde war der Verkehr nicht ganz so schlimm wie am Tag, und sie kam gut voran. Auf der mehrspurigen Via Labicana war nur wenig los, und der Platz vor der bei Touristen beliebten St-Clement-Basilika war verwaist. Auch die Titusthermen, die an den Parco del Colle Oppio grenzten und vis-à-vis des legendären Kolosseums lagen, waren um diese Zeit verlassen.

Es war eigenartig, dachte die commissaria. Je näher sie dem Forum Romanum kam, desto leerer wirkte Rom. Aber das war natürlich Unsinn.

Oder?

Sie parkte vor einer Eisdiele an der Fori Imperiali und stieg aus. Dann lief sie über die Straße und tauchte in das Gelände ein. Nahezu sofort hörte sie die Schreie.

Was zur Hölle ...?

Penuzzi zögerte nicht. Sie zog die Dienstpistole aus dem Schulterhalfter und lief los, den Geräuschen entgegen. Waren das überhaupt Schreie? Es klang vielmehr, als würden zwei Menschen sich laut zurufen. Und ... als versuchte eine Horde tollwütiger Mutanten-Nashörner mit ausgeprägtem Blutdurst sie daran zu hindern!

Schon hatte sie die Biglietteria erreicht, das Kassenhäuschen der verlassenen Anlage. Penuzzi sprang gekonnt über die Schranke und rannte weiter. Links von ihr ragte der Tempel von Antoninus und Faustina aus den Schatten, ein quadratischer Klotz mit hohen Decken und uralt anmutenden Säulen, die in der Dunkelheit wie die Finger eines bösen Riesen wirkten. Vor sich wusste sie die Ruinen der Regia, eines Heiligtums aus dem siebten Jahrhundert, das dem Kriegsgott Mars geweiht war. Und auf der rechten Seite ...

Penuzzi erstarrte, als sie die lodernden Augen sah!

Zwei gewaltige Scheiben schwebten haushoch in der Luft, mitten zwischen den Resten der Basilica Emilia. Sie prangten in einem gewaltigen Kopf, der aus wabernden Schatten zu bestehen schien. Der dazugehörige Leib waberte ebenfalls, eine Fata Morgana aus Luft und der bizarren Andeutung monströser Formen, irreal wie ein Gesicht in einem Zerrspiegel. Die gesamte Erscheinung war gewaltig, größer als der Vestia-Tempel, und sie knurrte!

Penuzzi fiel beinahe die Waffe aus der Hand. Schockstarr stand sie da, gefangen in diesem unfassbaren Moment des Grauens. Ihr Blick hing wie gefesselt an diesen mächtigen, lodernden Augen. An dem höllischen Feuer, das sich der Nacht widersetzte, als wollte es alle Hoffnung und alles Licht in sich verzehren.