Professor Zamorra 1224 - Simon Borner - E-Book

Professor Zamorra 1224 E-Book

Simon Borner

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Beschreibung

Eine unfassbare Kreatur stieg aus der Felsspalte empor! Der Leviathan war groß wie drei Hochhäuser, und der gesamte unheilige Körper stand in Flammen. Auf dem knochigen Schädel prangten Hörner wie bei einem Stier, in den gewaltigen Augen herrschte endlos scheinende Finsternis. Als er das Maul aufriss, hallte sein Ruf über die Ödnis, lauter als die Posaunen von Jericho. Ein Ruf voller Wut, Hass und Gier.
Mike Anderson hatte noch nie einen Dämon der Hölle gesehen. Trotzdem wusste er sofort, wen er da vor sich hatte.
Und mit einem Mal ahnte er auch, wo er sich befand ...


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Inhalt

Cover

Der Albtraum-Sammler

Leserseite

Vorschau

Impressum

Der Albtraum-Sammler

von Simon Borner

Eine unfassbare Kreatur stieg aus der Felsspalte empor! Der Leviathan war groß wie drei Hochhäuser, und sein gesamter unheiliger Körper stand in Flammen. Auf dem knochigen Schädel prangten Hörner wie bei einem Stier, in den gewaltigen Augen herrschte endlos scheinende Finsternis. Als er das Maul aufriss, hallte sein Ruf über die Ödnis, lauter als die Posaunen von Jericho. Ein Ruf voller Wut, Hass und Gier.

Mike Anderson hatte noch nie einen Dämon der Hölle gesehen. Trotzdem wusste er sofort, wen er da vor sich hatte.

Und mit einem Mal ahnte er auch, wo er sich befand ...

Von außen lassen sich große Zivilisationen erst dann vernichten, wenn sie sich in ihrem Kern bereits selbst vernichtet haben.

Ariel Durant

Kapitel 1:Stadt der Finsternis

Winter, 1825

Die helle Stimme zitterte. »... und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.«

James Miller runzelte die Stirn. »Was machst du da?«, fragte er sie und trat zu ihr ans Fenster. Das Licht der Kerze, die er in Händen hielt, erhellte ihrer beider Gesichter. »Beten? Am Fenster zum Hof, anstatt oben in deiner Kammer?«

Emily Banning war eines der Dienstmädchen des Hauses. Ein junges Ding, dessen plumpe Züge einen scharfen Verstand verbargen. Erst jetzt, aus nächster Nähe, erkannte Miller, dass sie zitterte.

»Du meine Güte, Emily«, staunte der Butler. »Was in aller Welt ist denn in dich gefahren – noch dazu um diese Zeit?«

»Ich ...« Das Mädchen hatte sichtlich nicht damit gerechnet, hier im Treppenhaus jemandem zu begegnen. Nervös fingerte sie am Saum ihrer Schürze. Dann platzte es doch noch aus ihr heraus: »Mr Miller, ich ... ich habe Angst!«

»Ts, ts«, tadelte der alte Diener des Hauses. Er stellte die Kerze auf die Fensterbank und nahm die Hände des jungen Dings in seine. »Jetzt mal ganz ruhig, verstanden? Wovor sollte ein Kind wie du denn Angst haben, hm?«

»V... vor ihm«, hauchte Emily.

Einen Sekundenbruchteil später hallte der nächste Schrei durch das ansonsten nachtschlafende Haus. Ein Schrei voller Qualen und Schmerzen. Und James Miller begriff.

»Was in aller Welt hat er dieses Mal gesagt?«, fragte der Butler und schloss frustriert die Augen. Schon seit Tagen band sein bettlägeriger Dienstherr dem Personal einen haarsträubenden Bären nach dem anderen auf. Nun schien es die junge Bannings getroffen zu haben. »Nun, Emily? Ich höre.«

»Er ...« Sie schluckte. »Mr Miller, also ...«

»Raus damit«, forderte der Butler. »Keine Scheu. Ich muss es wissen.«

»Mr Miller, der Herr bat mich, hier Ausschau zu halten«, gestand das Mädchen. »Hier am Fenster. Weil man von hier aus doch solch einen guten Blick auf die Straße vor dem Haus hat. Verstehen Sie?«

Miller, der absolut nichts verstand, wagte einen Blick durch die Scheibe. Draußen herrschte tiefe Dunkelheit. Nicht einmal der Mond erhellte noch die Straßen von Washington D.C. Dichte Wolken bedeckten den Himmel über der Stadt, und eiskalter Schnee fiel auf die Erde.

»Warum in aller Welt sollten Sie eine nachtfinstere, menschenleere Straße im Auge behalten?«

»Na, weil der Herr Besuch erwartet«, überraschte sie ihn mit einer Antwort.

Miller riss die Brauen in die Höhe. »Besuch?«, echote er, als wäre schon allein die Vorstellung unmöglich. »Um diese Zeit und bei diesem Wetter?«

»Das ist es ja, was mich so verstört, Mr Miller«, gestand Emily. Sie errötete, als trüge sie selbst Schuld an dem, was sie nun sagte. »Der Herr sagt, sein später Gast komme erst, wenn der ›letzte gottverdammte Pfaffe der Stadt‹ schlafen gegangen sei. Das waren seine genauen Worte: der letzte gottverdammte Pfaffe der Stadt. Ich bitte Sie, Mr Miller. So spricht doch kein Christenmensch ...«

Miller runzelte erneut die Stirn. Die Formulierung war in der Tat nicht sonderlich ehrenvoll. Kein Wunder, dass sie das junge Dienstmädchen so verstört hatte. Und dann dieser absurde Auftrag ...

»Mach dir keine Sorgen, Emily«, sagte er der stämmigen Kollegin. »Es kommt kein Besuch. Nicht in dieser und auch in keiner anderen Nacht. Unser Herr ist krank, das weißt du. Die Ärzte glauben sogar, er sei sterbenskrank – auch wenn er selbst es bestreitet. Und ich fürchte, sein Leiden macht auch vor seinem Verstand nicht Halt. Er hat dir einen Bären aufgebunden, weiter nichts. Weil er ein verwirrter alter Mann geworden ist, dem es offenbar Freude bereitet, seine Angestellten zu quälen.«

Die Dienstmagd hob den Blick. Hoffnung lag auf ihren Zügen. »Glauben Sie wirklich?«

»Ehrenwort, Emily«, versprach er und hob die Hand zum Herzen. Dabei lächelte er warm. »Sag doch selbst: Welcher rechtschaffene Christ sollte unser Haus zu dieser von allen guten Geistern verlassenen Stunde schon besuchen wollen?«

Im selben Augenblick klopfte es an der Haustür. Drei Schläge, schwer und tief.

Selbst Miller erschrak. »N... Nanu?«, stammelte er, kurzzeitig überrumpelt. »Wer wird das denn sein?« Eine Gänsehaut zog über seinen Rücken, als er zur Tür ging.

»Mister Miller«, flehte Emily, abermals von Angst gepackt. »Nicht. Lassen Sie ihn nicht her...«

Doch Miller riss die Tür weit auf – auch um sich selbst zu beruhigen.

Draußen stand ein hagerer Mann. Er war größer als der Türrahmen und trug einen schwarzen langen Mantel und einen ebenso schwarzen Hut mit breiter Krempe. Keine einzige Schneeflocke lag auf seinen Schultern, obwohl hinter ihm der Winter tobte und toste. Und die Schatten auf seinem Gesicht konnten das seltsame Funkeln in seinen Augen nicht ganz verbergen.

»Guten Abend«, sagte der Fremde. Seine Stimme war tief wie das Meer. »Ich werde erwartet.«

Emily schrie auf und presste sofort die Hände vor den Mund, um sich zu bremsen.

Miller blinzelte, schluckte. Warum er sich so fürchtete, verstand er nicht. Aber das Gefühl blieb. »W... wen darf ich denn melden?«

»Ich werde erwartet«, wiederholte der Fremde schlicht. Sein Ton machte klar, dass damit alles gesagt war.

Miller nickte und ergab sich dem Unvermeidlichen.

Die Zeit verlor jede Bedeutung, wenn man starb. Seit Wochen lag Pierre Charles L'Enfant nun schon in seiner Kammer, umgeben von den immer gleichen vier Wänden und gefangen in den immer gleichen Schmerzen. Tage wurden zu Nächten, Nächte zu Tagen, und L'Enfant bemerkte keinen Unterschied. War er wach, starrte er die Wände an. Schlief er, starrten die Wände zurück. Nichts änderte sich – und der alt gewordene Ingenieur sehnte den Tod an manchen Tagen regelrecht herbei – schon allein aus Langeweile. Der Tod, so fand er während seiner schlimmsten Phasen, wäre wenigstens eine Abwechslung.

Doch wann immer ihn solch sündhafte Gedanken übermannten, tadelte er sich sofort dafür. Er würde nicht sterben, verdammt! Nicht hier und nicht so. Dafür hatte er schließlich schon vor Jahren gesorgt ...

L'Enfant lag auch in seiner Kammer, als der Hagere eintrat.

»Endlich«, hauchte der Ingenieur. Große Erleichterung ergriff ihn. »Ich habe so lange gewartet. Endlich bist du hier.«

Der Fremde im schwarzen Mantel trat ans Fußende von L'Enfants Bett. Er zog den Hut nicht aus. Fast wirkte er wie ein Teil der nächtlichen Schatten. Die Hände in den schwarzen Lederhandschuhen ruhten auf dem Bettrahmen. »Ich grüße dich, Pierre. Oder soll ich Peter sagen?«

L'Enfant schnaubte schwach. Peter – den Namen hatte er sich gegeben, weil die dummen Amerikaner mit dem französischen Pierre Probleme hatten. Doch er war Pierre und würde es immer bleiben. »Setz dich, alter Freund«, sagte er und deutete auf den Stuhl an der Wand. »Wir haben viel zu besprechen heute Nacht.«

»Du stirbst«, sagte der Hagere.

»Noch«, betonte L'Enfant. Dann packte ihn ein neuer Hustenanfall, der sich anfühlte, als zerrisse seine Lunge in tausend kleine Stücke.

Als L'Enfant sich wieder gesammelt hatte, stand der nächtliche Besucher an der Wand. Er betrachtete den Stadtplan, den die Diener des Ingenieurs dort aufgehängt hatten, um ihren Herrn zu erfreuen.

»Washington«, murmelte der Mann in Schwarz anerkennend.

»Es ist genauso geworden, wie du es wolltest«, sagte L'Enfant. Es lag Stolz in der brüchigen Stimme. »Jede Straße ist so angelegt, wie wir es vor Jahrzehnten vereinbart haben. Jeder Park, jede Säule steht exakt an ihrem vorherbestimmten Platz. Die gesamte Ortschaft ist ein einziger geheimer Plan.«

Der Hagere drehte sich um. »Und niemand hat etwas bemerkt? Während der kompletten Planungs- und Bauphase nicht?«

L'Enfant setzte sich in seinen Kissen auf. Es gelang nur mit Mühe. »Niemand«, versicherte er seinem finsteren Kompagnon. »Darauf gebe ich dir mein Ehrenwort. Washington ist ein Hort des Bösen und der Finsternis geworden – exakt so, wie du es dir wünschtest.«

Es war einfacher gewesen als gedacht. Pierre L'Enfant, der Verfasser des »L'Enfant-Plans«, hatte die gesamte Stadt angelegt. Jeder Straßenverlauf, jede Kreuzung und jedes Wohngebiet war heute exakt dort, wo er es vor mehr als drei Jahrzehnten schriftlich festgelegt hatte. Die Arbeiter hatten sich an seine sämtlichen Vorgaben gehalten. Entstanden war eine Landeshauptstadt, die gar nicht wusste, dass schon ihr ureigenes Fundament eine Liebeserklärung an die Mächte der Finsternis war. Und dass auf dem Fundament nie etwas anderes als Dunkelheit und Hass erblühen würde.

»Ich weiß, Pierre«, sagte der nächtliche Besucher nun. »Ich würde es spüren, wenn du lügst. Erinnerst du dich?«

L'Enfant nickte schwach. Er erinnerte sich an so manches unheimliche Detail ihrer Begegnungen. Nicht alle wollte er im Gedächtnis behalten.

»Vor allem«, sagte er, »erinnere ich mich an unsere Abmachung. Wie du siehst, habe ich meinen Teil eingehalten. Die Hauptstadt dieser neuen Nation ist geworden, wie du es dir gewünscht hast. Dafür habe ich gesorgt. Und nun ...«

In diesem Moment flog die Tür der Kammer auf. Emily Bannings stürmte in den Raum. Die Dienstmagd war weiß wie eine Wand. Doch sie hielt ein schweres hölzernes Kruzifix in der zitternden, erhobenen Hand – und eine kleine Schale.

»Das ist das Wasser unseres Herrn Jesu!«, rief die junge Angestellte panisch. Sie warf die Schale dem Besucher entgegen, und ein Regen aus geweihtem Wasser traf den Mann in Schwarz.

Der ganze Ausbruch hatte nur wenige Sekunden gedauert. Die Reaktion des Hageren dauerte sogar noch weniger. Der Mann in Schwarz hob die Arme, zog sich in ruckartiger Bewegung den linken Handschuh aus ... und ein gleißender Lichtstrahl, eitrig grün und von krankmachender Aura gezeichnet, drang aus der nackten Handfläche! Binnen eines einzigen Augenblicks traf der Strahl die junge Dienstmagd und vernichtete sie auf der Stelle! Spurlos, gnadenlos.

Nur zwei leicht qualmende Schuhe blieben von Emily Bannings zurück.

Der Hagere zog den Handschuh wieder an, trat zu den Schuhen und spuckte verächtlich auf sie nieder. »Ich muss schon sagen, Pierre«, tadelte er. »Deine Angestellten sind ... speziell.«

L'Enfant, der das Treiben fassungslos verfolgt hatte, schluckte. »Es sind Narren«, knurrte er reumütig. »Fromm und verblendet. Verzeih ihre Kurzsichtigkeit, alter Freund. Das dumme Ding hat bekommen, was es verdient.«

»In der Tat.« Der Mann in Schwarz klang angewidert, als er sich über den nassen Mantel strich. »Das hat sie.«

Schnell kam L'Enfant zurück zum Thema. »Was unseren Pakt betrifft ... Wie du siehst, habe ich meinen Teil der Abmachung eingehalten. Deine Anwesenheit an meinem Sterbebett zeigt mir, dass auch du zu deinem Wort stehst.«

Der Hagere lachte leise. »So? Zeigt sie das?«

Mit einem Mal veränderte sich die Atmosphäre im Zimmer. L'Enfant stutzte, und eine böse Vorahnung kroch wie Eisregen über seinen alt gewordenen Rücken. »Wir hatten eine Vereinbarung«, unterstrich er mit brüchiger Stimme. »Ich baue die Stadt nach deinen geheimen Vorstellungen, das Herz dieser neuen und arroganten Nation. Und im Gegenzug gewährst du mir, wenn meine Zeit gekommen ist, eine zweite Jugend. Eine Rettung vor dem nahenden Tod.«

Wieder lachte der Mann in Schwarz. »Pierre, Pierre ...«, tadelte er leise. »Guter alter Pierre. Du warst schon vor mehr als drei Jahrzehnten naiv. Wie es aussieht, hat sich daran nichts geändert.«

Der Ingenieur begriff. Kaltes Entsetzen packte ihn. »Du ... du willst mich betrügen? Um meinen gerechten Lohn?«

»Aber nein«, widersprach sein dunkler Gast. »Ich habe dich längst betrogen. Und das schon vor mehr als drei Jahrzehnten.« Er hob die Hand und zog den breitkrempigen Hut ab.

Darunter kam sein Kopf zum Vorschein. L'Enfant sah das Gesicht seines Gastes zum allerersten Mal und erschrak zutiefst. Der Schädel des Mannes in Schwarz war beinahe ein Totenschädel! Kein einziges Haar prangte auf dem knochigen Haupt. Höllenfeuer loderten in den runden Augenhöhlen, und eine faltige, pergamentdünne Haut überspannte die bleich durchschimmernden Knochen.

»Was ...«, keuchte der Vater der amerikanischen Hauptstadt. »Was in aller Welt erlaubst du dir ...?«

»Vielleicht hättest du auf deine Diener hören sollen«, sagte sein dunkler Besucher. Seine Stimme war nun noch tiefer als ohnehin. Sie war wie eine Finsternis, die sich in alle Ritzen und auf alle Oberflächen der Welt legen wollte, um sie für immer und ewig zu besudeln. »Sie hätten es dir nämlich ganz gewiss sagen können: Niemand geht einen Pakt mit dem Teufel ein und gewinnt. Niemand, Pierre L'Enfant – auch du nicht. Der Einzige, der jemals aus einem Handel wie dem unseren profitiert hat ... bin ich selbst!«

Im selben Augenblick loderten grüne Flammen aus dem Boden der Kammer. Mannshohes unheiliges Feuer flankierte den Mann in Schwarz, ohne ihm das Geringste anhaben zu können. Im Gegenteil: Er schien die Flammen zu genießen.

L'Enfant keuchte erneut. Panische Angst regierte in seiner Brust, nacktes Entsetzen lähmte seinen Geist. Getäuscht! Man hatte ihn all die Jahre getäuscht! Mehr noch: Sein gerechter Lohn würde nie ausbezahlt werden. Sein Leben würde enden!

»Was ...« Der Ingenieur schluckte trocken und leckte sich nervös über die zitternden Lippen. Erste Flämmchen griffen nach seinem Bettzeug, und beißender Brandgestank hing in der Luft. »Was suchst du dann hier? Wenn du nicht kommst, um mir meinen Lohn zu gewähren – was willst du dann, du elender Satan?«

Es klang unglaublich, aber die knochigen Mundwinkel des Teufels verzogen sich tatsächlich zu einer Art spöttischem Grinsen. »Das, was ich all die Jahrzehnte schon wollte, mein lieber Pierre«, antwortete der Finstere, und die Flammen seiner höllischen Macht züngelten höher denn je. »Mich an deiner köstlichen Dummheit ergötzen. Nur zu, alter Freund. Sag mir ruhig noch einmal, wie froh du über unseren Pakt bist. Wie sehr du dich freust, dass ich ausgerechnet dir diese Ehre gewähre. Ich höre es immer wieder gern, weißt du? So wie einen guten alten Witz ...« Dann lachte er schallend.

Er lachte auch noch, als die Flammen nach Pierre L'Enfants kranken und wehrlosen Beinen griffen.

»... und führe uns nicht in Versuchung«, flüsterte James Miller, »sondern erlöse uns von dem Bösen. Dein dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit. In Ewigkeit. Amen.« Dann bekreuzigte er sich und stand auf.

Das Haus auf der anderen Straßenseite brannte lichterloh. Die Hitze der Flammen schlug dem geflüchteten Butler entgegen wie eine Wand. Dennoch fror Miller. Er fror innerlich.

Er wusste nicht genau, was geschehen war. Vermutlich gab es niemanden, der das mit absoluter Sicherheit sagen konnte. Aber Miller wusste, was er in der Tiefe seiner Seele spürte. Deswegen hatte er das Vater Unser gebetet – so wie Emily Bannings vor ihm.

»Du hattest recht, Emily«, murmelte er. Trauer stieg in ihm auf. »Und ich habe dir nicht zugehört.«

Die Magd hatte ihn warnen wollen, aber er hatte es als Unfug abgetan. Erst als der hagere Mann leibhaftig vor ihm stand, hatte auch er begriffen, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gab, als das bloße Auge sah. Mehr Finsternis.

Emily. Sie war in die Kammer ihres gemeinsamen Herrn gerannt, um zu retten, was zu retten war. Bewaffnet mit nichts als ihrem Glauben ... und mit der Reinheit ihrer jungen Seele.

»Was hat es dir genützt, du armes Ding?«, murmelte Miller. »Was nützt dir eine reine Seele gegen die Tricks eines Seelenfängers?«

Es krachte laut. Der Dachstuhl von Pierre L'Enfants Haus im Herzen Washingtons stürzte ein, weiteres Opfer der Übermacht der Flammen. Funken flogen im Wind und mischten sich unter den Schnee. Irgendwo in der Ferne wurden Rufe laut. Vermutlich hatte endlich jemand die Feuerwehr alarmiert.

James Miller wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und straffte dann die Schultern. »Ich weine nicht um Euch, Monsieur L'Enfant«, sagte er dem, was die Flammen gerade vernichteten. »Ihr wart ein böser alter Narr und seid so jämmerlich gestorben, wie Ihr es verdient habt.« Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich weine um uns.«

Denn der nächtliche Besucher hatte weit mehr getan, als nur einen alten Narren zu bestrafen. Er hatte Miller eine Angst in den Leib gesetzt, die, das ahnte der Butler, nie mehr vergehen würde.

Die Angst vor der Welt als solcher. Wie sollte ein Mann weitermachen, wenn er erst wusste, was die Finsternis brachte? Wie konnte man das alles akzeptieren, ohne an der dunklen Wahrheit zugrunde zu gehen?

Miller war bereits fort, als die ersten Männer mit Wassereimern und schweren Pumpen eintrafen. Er verschwand unbemerkt in den nächtlichen Straßen, verborgen im Trubel des fallenden Schnees und der herbeieilenden Schaulustigen.

Doch er ging nicht weit. Der mächtige Potomac River lag von seiner brennenden Arbeitsstätte nur einen kurzen Spaziergang entfernt. Selbst in klirrend kalter Nacht war die Strecke kein Problem.

Wie es sich wohl anfühlte, in die Fluten des Flusses zu springen? Kam der Tod schnell, wenn man ertrank?

James Miller wusste es nicht. Doch die Flecken, die der nächtliche Gast auch auf seiner Seele hinterlassen hatte, sagten ihm, dass er es schon sehr bald wissen würde.

Pierre L'Enfants alter Diener machte sich auf dem eisigen Brückengeländer bereit – und sprang in die Schwärze!

Washington D.C., Gegenwart