Professor Zamorra 1230 - Simon Borner - E-Book

Professor Zamorra 1230 E-Book

Simon Borner

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Beschreibung

Sondrak-Kolonie, Maine. Anno Domini 1593
Da sind Monster im Wald!
Ja, ich kann sie nicht anders nennen. Sie sind keine Männer, nicht einmal Menschen. Und wenngleich sie von kleinem Wuchs sind, ist die Gefahr, die in ihnen schlummert, alles andere als klein.
Dreizehn Teufel standen heute vor mir. Sie traten aus den Schatten. Ich sah Höllenfeuer in ihren Augen, sah ihre gewaltigen Zähne, und wenngleich sie mich noch nicht berührt hatten, glaubte ich bereits zu spüren, wie sie ihre entsetzlichen Klauen in meinen wehrlosen jungen Leib schlugen.
Sie sind die wahren Herren dieser neuen Welt!


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Inhalt

Cover

Die vergessene Kolonie

Kapitel 1 In den Schatten

Kapitel 2 Der Feind meines Feindes

Kapitel 3 Die Spur des Teufels

Kapitel 4 Das Rätsel von Harker Mills

Kapitel 5 Welt aus Flammen

Leserseite

Vorschau

Impressum

Die vergessene Kolonie

von Simon Borner

Sondrak-Kolonie, Maine. Anno Domini 1593

Da sind Monster im Wald!

Ja, ich kann sie nicht anders nennen. Sie sind keine Männer, nicht einmal Menschen. Und wenngleich sie von kleinem Wuchs sind, ist die Gefahr, die in ihnen schlummert, alles andere als klein.

Dreizehn Teufel standen heute vor mir. Sie traten aus den Schatten. Ich sah Höllenfeuer in ihren Augen, sah ihre gewaltigen Zähne, und wenngleich sie mich noch nicht berührt hatten, glaubte ich bereits zu spüren, wie sie ihre entsetzlichen Klauen in meinen wehrlosen jungen Leib schlugen.

Sie sind die wahren Herren dieser neuen Welt!

Kapitel 1In den Schatten

Die Nacht hatte Reißzähne und kein Erbarmen. Meterhoch schlugen die Wellen gegen die Klippe am Meer, und dunkle Sturmwolken verdeckten Mond und Sterne. Der alte Leuchtturm lag so verlassen da wie ein Relikt aus einer anderen Welt.

»Seid ihr sicher, dass das eine gute Idee ist?«, fragte Devon Bannister. Der Vierzehnjährige schlug den Jackenkragen höher und schluckte. »Sollen wir nicht lieber nach Hause gehen und bei besserem Wetter zurückkommen?«

»Kneifst du jetzt, oder was?«, spottete sein Nebenmann. Eric LaRusso setzte den Rucksack ins noch trockene Gras und zog eine Maglite heraus. Er schaltete sie an und hielt sie sich unters Kinn, sodass sein Kopf wie der Schädel eines Skeletts wirkte. Dazu senkte er die Stimme in Grabestiefen. »Hast du Angst vor der Dunkelheit, kleiner Devon?«

»Der? Immer.« Sophia Page lachte. »Der ist so ein Schisser, der hat als Kind bestimmt nachts ins Bett gemacht.«

»Du etwa nicht?«, blaffte Devon sie an.

Sie grinste hämisch. »Nicht mehr mit acht Jahren, Knirps!«

Devon seufzte innerlich. Sophia war seine Nachbarin, und nicht zum ersten Mal verfluchte er den Tag, an dem sie in ihre Straße gezogen war. Die Sechzehnjährige mit dem blonden Haar benahm sich wie eine Diva – vor allem ihrem »kleinen« Nachbarsjungen gegenüber.

»Na kommt schon«, meldete sich nun die Vierte in ihrem Bunde. Shelly Wong sah die Gruppe ungeduldig an. »Wollt ihr hier stehen und quatschen, oder fangen wir endlich an? Ich bin nicht so weit gefahren, um jetzt auf der Wiese ein Picknick zu veranstalten. Der Turm wartet, ihr Flitzpiepen!«

»Ganz meine Meinung«, sagte Eric. Er richtete den Strahl der Maglite nach vorn zu dem alten und vom Wind umtosten Gebäude. »Mir nach, Mädels.«

»Ha, ha«, brummte Devon und trottete seinen Freunden hinterher.

Der nächtliche Ausflug nach Litte Bear Island war eine hirnverbrannt dämliche Idee. Es war stockdunkel hier draußen an der Steilküste, und bis zu den ersten Regentropfen war es sicher nur wenige Minuten hin. Das Unwetter, das sich dort über der See zusammenballte, dürfte äußerst stattlich werden, ahnte Devon. Aber anstatt bequem daheim in den Betten zu liegen und den Morgen abzuwarten, wollten seine idiotischen Freunde ausgerechnet jetzt ins Sondrak Lighthouse einsteigen. Was für ein Unsinn!

Abermals sah der Junge zurück zum Weg, den sie gegangen waren. Der Waldrand stand schwarz und still hinter ihm. Irgendwo da hinten parkte das Auto. Sophia hatte es gefahren. Sie war die Einzige in ihrer Clique, die schon einen Führerschein hatte. Und Devon wusste, dass sie nicht zurückgehen würde, bis sie ihre Mission erfüllt hatten. Wahrscheinlich wollte sie Eric imponieren, die dämliche Kuh.

»Augen nach vorn, Soldat!«, rief Eric gerade. Er hatte den Leuchtturm fast erreicht, und der Wind zerrte an seinem feuerroten Haar. »Wo guckst du hin, Devon? Deine Mum kann dich nicht retten, die schläft schon und weiß von nichts. Na los. Das Geheimnis von Sondrak wartet auf uns!«

Das Geheimnis von Sondrak, brummte Devon in Gedanken. Na bravo.

Die Legende der verlorenen Kolonie kannte hier draußen auf den Inseln von Maine jedes Kind. Im siebzehnten Jahrhundert hatten sich einige britische Siedler auf Little Bear Island niedergelassen, Häuser gebaut und ein neues Leben begonnen. Auch der Leuchtturm ging auf ihre Kappe. Doch eines Frühjahrs, als Händler in die Gegend kamen, um erneut mit der Sondrak-Kolonie Geschäfte zu machen, fanden sie nichts und niemanden mehr vor. Die gesamte Kolonie, so hieß es, war plötzlich verschwunden gewesen – nicht nur die Männer, Frauen und Kinder, sondern auch ihre Höfe. Die Stallungen mit dem Vieh. Das Korn auf den Feldern. Die kleinen Fischerboote unten am Wasser. Einzig der Leuchtturm war übrig geblieben und erinnerte bis heute an das Rätsel jener Zeit.

Das war natürlich völliger Mumpitz, wusste Devon. Nur eine Gruselgeschichte, die man kleinen Hosenscheißern erzählte, weiter nichts. Der Geier wusste, wer das Sondrak Lighthouse gebaut hatte – aber ganz sicher keine vom Erdboden verschluckten Siedler von Anno Pfeifendeckel.

Außerdem ist die Geschichte echt kein bisschen originell, dachte der Junge. Seine schlechte Laune wuchs mit jedem Meter, den er sich dem Turm näherte. Erste Regentropfen schlugen ihm ins Gesicht, aufgepeitscht von einem scharfen Ostwind. Nahezu jedes einzelne Detail ist von Roanoke geklaut. Das allein beweist ja schon, dass das purer Unfug ist.

Roanoke Island war die erste englische Siedlung in Nordamerika gewesen. 1590 verschwanden die dortigen 118 Siedler spurlos auf mysteriöse Weise. Jedes Kind kannte die Legende bis heute.

Eric, Sophia und Shelly hatten den Eingang des Turms erreicht. Die hölzerne Tür hing schief in den Angeln. Überhaupt wirkte das ganze Bauwerk auf Devon recht baufällig. Die steinernen Mauern sahen zwar aus, als könnten sie sogar die Apokalypse überdauern, aber die Tür, die Läden an den kleinen Fenstern und das Vordach über dem Eingang wirkten wenig vertrauenserweckend. Unkraut wuchs überall, und dunkle Moosflecken prangten an den Mauern.

»So, Herrschaften«, sagte Eric. Er grinste und wirkte sehr gespannt. »Dann wollen wir mal. Packst du mit an, Dev?«

Gemeinsam wuchteten die beiden Jungen die Tür auf. Es ging leichter als gedacht.

Jenseits der Schwelle wartete die Dunkelheit.

»Da ist es ja noch finsterer als hier draußen«, mäkelte Shelly. Sie war immer sehr etepetete, was sich auch in ihrer teuren Kleidung und der modischen Kurzhaarfrisur zeigte. »Und es stinkt!«

Tatsächlich wehte ein modriger Geruch aus dem Turm heraus. Devon verzog das Gesicht.

»Was habt ihr denn erwartet?«, schimpfte Eric. »Wir sind bestimmt seit Ewigkeiten die ersten Menschen, die einen Fuß in das alte Ding setzen. Vielleicht sogar die ersten seit den Siedlern selbst.«

»Jetzt übertreib nicht, Mann«, murmelte Devon. »Es gab hier nie Siedler.«

»Ach nein?« Sophia grinste streitlüstern. »Und wo kommt dann der Leuchtturm her, du Schlaumeier? Ist der vom Himmel gefallen, oder was?«

»Was ist wahrscheinlicher, hm?«, blaffte er zurück. »Dass die Erbauer dieses ollen Dings im Lauf der Jahrhunderte einfach vergessen wurden wie so vieles andere in der Geschichte? Oder dass hier mal ein komplettes Fischerdorf stand, von dem binnen eines einzigen Winters jede Spur verschwand?«

»Streitet euch nicht, Mädels«, spottete Eric. »Folgt mir lieber. Es wird Zeit, Geheimnisse zu ergründen.« Er trat über die Schwelle und in den Turm.

Shelly, Sophia und Devon folgten ihm. Erics Lichtkegel fiel auf nackte Wände und einen Boden, der vor Dreck, getrocknetem Laub und Mäusekacke nur so überquoll. Auf der rechten Seite des kreisrunden Raumes begann eine steinerne Wendeltreppe mit schmalen Stufen. Sie führte nach oben.

»Bah!« Shelly hielt sich die Nase zu. »Das ist ja das reinste Mäusegrab. Ekelhaft.«

Sophia ging zur Treppe. »Lasst uns nach oben gehen. Da dürfte weniger Dreck liegen. Und wer weiß, was wir noch finden?«

Sie stiegen die schmalen, glitschigen Stufen hinauf. Kalte Luft zog durch die Ritzen in der Außenmauer. Devon hörte das Tosen des Meeres und den Regen, der nun immer stärker wurde. Was für eine ungemütliche Nacht!

Nach kurzer Strecke erreichten sie eine Art Plateau, kaum größer als ein paar Quadratmeter. Eine Tür ging davon ab und stand einen Spalt offen.

Eric schob sie weiter auf und leuchtete über die Schwelle. »Hier muss der Leuchtturmwärter gewohnt haben«, vermutete er. »Seht ihr?«

Sein Licht fiel auf ein winziges Zimmerchen, in dem noch ein Tisch und ein klappriges Bettgestell standen. Beide wirkten tatsächlich, als hätten sie Jahrhunderte auf dem Buckel. Ein kleines Fenster in der Außenwand wies nach draußen, und der hölzerne Fensterladen klapperte im Wind.

»Aber er ist nicht zu Hause«, sagte Shelly. Sie schien die Lust an dieser Aktion zu verlieren. »Von daher können wir auch weitergehen, okay?«

Sie taten es. Abermals erklommen sie die glitschigen Stufen. Die nächste Etage des Leuchtturms war noch unspektakulärer: Auch hier fand sich ein kleines Zimmer, und es war vollkommen leer.

Oder?

»Was is'n das?« Eric wunderte sich. Sein Lichtkegel fiel auf die hintere Wand, auf der eine krude Zeichnung prangte. »Kapiert jemand, was das darstellen soll?«

Alle traten näher. Die Zeichnung – schwarze Striche auf nacktem Mauerstein – war groß und nahm etwa ein Drittel der Wand in Beschlag. Sie zeigte eine Teufelsgestalt, wie sie sich nur Wahnsinnige ausdenken konnten. Die Frau hatte lange Beine, eine gewaltige Oberweite und Hörner auf dem Kopf. Hinter ihr schien eine Art Vorhang zu hängen. Unter der Figur stand das Wort Sondrak in großen Lettern.

»Langweilig«, fand Sophia. »Lasst uns weitergehen. Nach ganz oben. Ich will wissen, ob man da noch ein Leuchtfeuer machen kann. Das wäre so cool! Was meint ihr, was die Leute denken, wenn hier draußen plötzlich ein Leuchtfeuer brennt?«

Eric winkte ab. »Nein, warte noch«, sagte er. Sein Lichtkegel wanderte über die Rundungen der Figur, als wolle er sie streicheln. Irgendwie schien er sich nicht von ihr lösen zu können. »Ich will wissen, wer das hier ist. Was soll uns das seltsame Bild sagen?«

»Aber mir ist langweilig«, klagte Sophia.

»Dann geh doch vor«, erwiderte Shelly schnippisch. »Wir bleiben, so lange Eric es möchte.«

Das saß. Beleidigt machte Sophia auf dem Absatz kehrt und ging zurück zur Treppe.

Devon sah ihr nach. »Leute, sollten wir nicht besser zusammenbleiben?«

»Warum?«, brummte Eric. »Damit wir dir alle zugucken können, wenn du dir vor Angst in die Hose machst?«

Shelly lachte. Devon verschränkte zornig die Arme vor der Brust und gab es auf. Abermals sah er zu der seltsamen Zeichnung.

»Meint ihr, die Siedler haben die angefertigt?«, fragte Shelly. »Ihr wisst schon: Wie drüben in Roanoke. Da hat man ja auch einen mysteriösen Hinweis gefunden. Dieses eine Wort. Wie hieß es noch gleich?«

»Croatoan«, wusste Devon. »Und das war kein mysteriöser Hinweis, sondern schlicht der Name eines Indianerstammes. Alles andere ist pure Fiktion.«

»Man sagt nicht mehr Indianer!«, sagte Shelly tadelnd. Aber sie klang eher spöttisch als entrüstet.

»Man sagt auch nicht mehr behindert«, erwiderte Devon grinsend. »Und trotzdem bist du das.«

Shelly knuffte ihn in die Seite.

»Hey, jetzt lasst das endlich«, beschwerte sich Eric. »Guckt euch lieber die Teufelsfrau an. »Kann es sein, dass der Vorhang da hinter ihr gar kein Vorhang ist, sondern ...«

Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Ein gellender Schrei unterbrach ihn.

Devon wirbelte herum. »Das ... Das ist Sophia!«

Der Schrei wiederholte sich. Schrill und panisch hallte er durch den verlassenen Leuchtturm von Little Bear Island, lauter als der Sturm und gnadenloser als die unerbittliche See.

»Los!«, keuchte Eric. Er lief zur Tür. »Sophia!«

Die anderen folgten ihm. Sie erreichten die Treppe, und Eric leuchtete nach oben. Abermals wehte Devon ein übler Duft in die Nase. Außerdem kribbelten seine Fingerkuppen ganz seltsam. War das die Angst?

»Sophia!«, rief Shelly. »Halte durch, wir kommen.«

Eine Bewegung im Augenwinkel ließ Devon zur Seite schauen. Kalte Schauer zogen über seinen Rücken. Irrte er sich, oder stand da jemand?

Die Gestalt war klein wie ein Kind, aber ungewöhnlich breit und verhutzelt. Sie hatte gewaltige Schultern und einen kreisrunden, deformiert wirkenden Schädel. Er konnte nur ihre Umrisse ausmachen, und er ahnte, dass dies eine Gnade war. Denn die Kreatur war gewiss unfassbar hässlich.

Ein Blitz zuckte durch die sturmumtoste Nacht. Weißes Licht fiel plötzlich durch das kleine Zimmerfenster und die offen stehende Tür. Es erhellte auch die Ecke an der Treppe, in der Devon den Schemen vermutete.

Aber da war gar niemand! In dem kurzen Augenblick, da der Blitz das Treppenhaus beinahe taghell werden ließ, sah Devon es genau. Es gab keine breitschultrige Kreatur in den Schatten. Seine Phantasie spielte ihm wohl üble Streiche.

Sophia schrie erneut ... und der Schrei endete in einem grässlichen Gurgeln.

»Heilige Scheiße!«, keuchte Eric. Er war schon mehrere Stufen hinaufgerannt, Shelly dicht auf den Fersen. Und er sah hinter sich. »Scheiße, Devon. Jetzt komm endlich! Sie braucht uns!«

Devon schüttelte die kalten Schauer ab und konzentrierte sich wieder auf den Moment. Schnell lief er seinen Freunden nach, den Turm hinauf und den Schreien entgegen. Er wusste nicht, was ihn dort oben erwartete. Aber er wusste, dass sie einen riesigen Fehler gemacht hatten, als sie nach Little Bear Island kamen.

Denn es gab Rätsel, die ließ man besser für immer ruhen.

Andernfalls forderten sie nämlich einen grauenvollen Preis.

Das Roosevelt lag in einer Seitenstraße des Regierungsviertels und zählte zu den führendsten Adressen der Stadt. Schwarzes Edelholz, roter Stoff, glänzender Chrom und makellos polierter Marmor. Die Größen der Welt hatten schon in dem viergeschossigen Altbau genächtigt, dessen Architektur zum alten Stadtbild von Washington D.C. passte wie die Krone auf das Haupt eines Regenten. Seit den 1930er Jahren hatte das ehrwürdige Hotel geöffnet, und kein einziger Besitzerwechsel hatte seinem guten Ruf jemals geschadet.

Auch der jüngste nicht.

Der Mann in Schwarz saß in seiner liebsten Nische in der Hotelbar, ganz hinten an der holzvertäfelten Wand. Die Bar Teddy's war zu dieser späten Stunde – es ging auf zwei Uhr zu –, kaum noch besucht, hatte aber selbstredend rund um die Uhr geöffnet. Erst recht für ihn. Der Mann genoss die entspannte Atmosphäre, die das Teddy's offerierte. Vom sanften Klavierklang, der aus der Lobby herüberwehte, bis hin zum schwarzen Livree des schweigsamen Barkeepers hinter dem Mahagonitresen ... Alles passte perfekt zusammen. Genau so stellte man sich die Orte doch vor, in denen in D.C. die wahrhaft wichtigen Entscheidungen getroffen wurden, oder?

Sein Gegenüber sah das anders.

»Ich weiß wirklich nicht, warum wir das nicht zu einer normalen Uhrzeit besprechen konnten«, klagte die Frau im weinroten Kostüm. Sie traf gerade ein und nahm nun ebenfalls in der Nische Platz. »Und in meinem Büro auf Capitol Hill. Dieses verschwörerische Getue passt weit eher in einen billigen Spionageroman als in die amerikanische Realpolitik der Gegenwart, Mister ...«

Der Mann in Schwarz lachte. »Realpolitik«, wiederholte er. Amüsiert strich er sich über das stoppelige Kinn. »Was für ein absurdes Wort, finden Sie nicht auch, Clarice? Als gäbe es irgendetwas in dieser Branche, das irreal wäre.«

»Absurd?« Sie wollte die Beine übereinander schlagen, aber die Nische war schlicht zu eng. Ihr Rocksaum wanderte dennoch ein, zwei angenehme Fingerbreiten nach oben. »Das sehe ich aber anders. Und viele meiner Parteikollegen ebenfalls. Wie Sie wissen, legen wir großen Wert darauf, die Realitäten dieser Stadt offenzulegen. Falls es America Now endlich in den Senat schafft, dann ...«

Abermals ließ er sie nicht ausreden. »Nicht falls, Clarice«, tadelte er sie sanft. »Wenn. Mit mir an Ihrer Seite ist Ihr Erfolg kein Vielleicht mehr, sondern absolute Gewissheit.«

Nun war sie es, die amüsiert wirkte. »Das sind große Worte. In dieser Stadt werden oft große Worte geschwungen, aber nur selten folgen ihnen auch wahrlich große Taten. Wer sagt mir, dass Sie nicht auch nur ein vollmundiger Schwätzer sind?«

»Sie sagen das. Sie sich selbst.« Der Mann in Schwarz ließ seinen Blick über Clarice Simmons wandern – über den hübschen blonden Kopf, den zarten Hals, die schmalen Schultern und die angenehm dezenten Rundungen. Das Kostüm schmeichelte ihrer Figur, doch auch ohne gab sie gewiss ein attraktives Bild ab. Vor allem ohne. »Wären Sie anderer Ansicht, wären Sie jetzt nicht hier. Sie wollen mir glauben.«