1,99 €
"Töte ihn! Töte ihn!"
Stand der Mann wirklich neben ihm? Oder war er nur eine Einbildung, ein Produkt seiner überreizten Sinne? Wenn er ihn aus den Augenwinkeln beobachtete, glaubte er, sein Körper würde von einem leichten Flimmern erfasst werden, als handelte es sich bei ihm lediglich um eine Halluzination.
Ja, so musste es sein! Er existierte gar nicht wirklich, genau wie sein Bruder nie mit seiner geliebten Genevieve geschlafen hatte ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 134
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Flüsternde Schatten
Leserseite
Vorschau
Impressum
Flüsternde Schatten
von Rafael Marques
Reichsfeld, 1873
»Töte ihn! Töte ihn!«
Stand der Mann wirklich neben ihm? Oder war er nur eine Einbildung, ein Produkt seiner überreizten Sinne? Wenn er ihn aus den Augenwinkeln beobachtete, glaubte er, der Körper wäre von einem leichten Flimmern erfasst, als handelte es sich bei ihm lediglich um eine Halluzination.
Ja, so musste es sein! Er existierte gar nicht wirklich, genau wie sein Bruder nie mit seiner geliebten Genevieve geschlafen hatte. Oder doch?
»Du hast es mit eigenen Augen gesehen, Frederic«, hauchte ihm der Dunkelhaarige mit einem bösen Lächeln ins Ohr. »Wie sie sich in deinem Bett gewälzt und es getrieben haben wie die Tiere. Willst du das etwa auf dir sitzen lassen? Willst du das wirklich?«
»Nein!«
Dieses einzige Wort erschreckte den einsam im Wald stehenden Mann, der Frederic die ganze Zeit über den Rücken zugewandt und ihn nicht bemerkt hatte. Sein Bruder fuhr herum und riss die Augen weit auf, als ihm der Hieb mit der Axt den Schädel spaltete ...
Am Abend fanden sich die Männer des Ortes in dem alten Gasthof neben dem Rathaus zusammen. Wo sonst getrunken, gelacht und getanzt wurde, um dem tristen Alltag zu entfliehen, herrschte nun betretenes, geradezu tödliches Schweigen. Beinahe kam es den Anwesenden so vor, als stünde der Weltuntergang bevor, so wie vor beinahe zwei Jahren, als die Kunde an sie herangetragen worden war, dass das Elsass nun nicht mehr zu Frankreich gehören sollte, sondern Teil des Deutschen Kaiserreiches geworden war. Als der Krieg verloren wurde, ging für sie alle die Welt zugrunde.
Und nun kehrten erneut finstere Zeiten in das kleine Dorf ein, das so etwas wie den Übergang zwischen den Weinbau- und Landwirtschaftsgebieten des Elsass und den dunklen, von Hügeln geprägten Wäldern der Vogesen bildete, in dem seit dem Ende des Krieges marodierende Soldaten als Räuberbanden umherzogen.
Die Gäste zeigten sich tief beunruhigt. Unbescholtene, hart arbeitende Bürger waren ohne ersichtlichen Grund zu Mördern geworden, beschuldigten ihre Opfer selbst schlimmer Verbrechen, obwohl offensichtlich war, dass Derartiges nie geschehen sein konnte. Wenn man sie darauf ansprach, woher sie ihr Wissen bezogen, berichteten sie stets von Fremden, die ihnen derlei absurde Dinge eingeflüstert hätten. Allerdings erinnerten sie sich nicht mehr genau an ihr Aussehen, ihre Gesichter lagen unter einem Schatten verborgen. Zwei Männer und eine Frau sollten es sein, so viel stand zumindest fest.
»Es muss ein Ende finden!«, brüllte Antoine Eschenbach plötzlich und hämmerte die Faust auf den Tisch. Die meisten seiner Gefährten wichen erschrocken zurück, einige hielten sogar für einen Moment den Atem an.
Antoine war der Mutigste unter ihnen, der es sogar gewagt hatte, sich gegen die Gesandten des Kaisers und ihre willkürlichen Steuererhöhungen zu stellen. Dafür war er hart und in aller Öffentlichkeit bestraft worden, und obwohl sich nichts geändert hatte, sahen die Bewohner zu ihm auf.
»Aber wie?«, fragte der ängstliche Ludovic, der einen kleinen Kramladen führte.
Martín hingegen nickte eifrig, bevor er zusammenzuckte, als ein Blitz neben dem Fenster entlangfuhr. Der Donner folgte nur Sekunden später, bis er schnell von dem Rauschen des Regens übertönt wurde. Beinahe als hätte der Himmel alle Schleusen geöffnet, um den Menschen von Reichsfeld zu zeigen, dass es nichts brachte, sich gegen die Mächte der Finsternis aufzulehnen.
»Du wolltest etwas sagen, Martín«, brach Antoine das erneut aufkommende Schweigen.
»Ja, ja«, bestätigte der Angesprochene und nickte erneut. »Ich weiß nicht, ob alles der Wahrheit entspricht, jedenfalls sind mir Gerüchte zu Ohren gekommen, die man sich so hier und in anderen Dörfern erzählt. Die Leute sagen, es seien Dämonen, die durch das Land ziehen und die Seelen derer einsammeln, die die von ihnen angestifteten Mörder ihren Opfern entreißen. Finstere Rituale sollen sie abhalten und sich dabei in abscheuliche Kreaturen verwandeln.«
»Wo? Wo soll das geschehen?«, fuhr Antoine den zierlichen Mann an.
»In ... in den Wäldern ...«
Bevor Martín in der Lage war, mehr über die Gerüchte mitzuteilen, flog die Tür der Gastwirtschaft auf. Inmitten eines grauen Schleiers aus Regen baute sich eine uniformierte Gestalt auf, in deren Augen das Feuer des Hasses zu lodern schien. Und das, obwohl sie einem Mann gehörten, der von all seinen Mitmenschen für seine Besonnen- und Gelassenheit bewundert wurde, selbst im Angesicht von Gefahren, wie sie in diesen Tagen den Ort heimsuchten.
Es war Adrien Medec, der Gendarm, der sich mit seinem Jagdgewehr im Anschlag in der offenen Tür aufbaute und mit einem wilden Schrei das Feuer auf die Anwesenden eröffnete.
Paris, Gegenwart
Ein erwartungsvolles Lächeln huschte über Simon Delletres Lippen, während er mit der Stiefelspitze die heruntergebrannte Zigarette zerdrückte. Die kleine Geste galt dem Mädchen mit den dunkelblonden Lockenhaaren, das auf dem Rücksitz seines Wagens kauerte und es nicht wagte, ihm auch nur eine Sekunde in die Augen zu blicken. Die Wangen waren gerötet, zudem zog es immer wieder die Nase hoch und verschränkte demonstrativ die Hände vor der Brust.
Ziemlich trotzig gab sie sich, was wohl an ihrem Alter lag. Eine Erwachsene hätte eher versucht, ihn anzuflehen und um Gnade zu bitten, ja vielleicht sogar, ihn mit ihren weiblichen Reizen für sich einzunehmen. Eigentlich solltest du mir dankbar sein, dachte sich der Drogenhändler süffisant, dafür, dass ich so ein netter Mensch bin.
In gewisser Weise stimmte das sogar. Andere in seiner Situation hätten die Gelegenheit genutzt, um sich an der durchaus attraktiven 14-Jährigen zu vergreifen oder sie seinen Helfern zu überlassen. Doch er war weder ein Tier noch ein Monster, zumal er selbst eine Familie hatte, der er gerne noch unter die Augen treten wollte. Etwas Derartiges wäre ihm jedenfalls niemals in den Sinn gekommen.
Das bedeutete allerdings nicht, dass er ein guter Mensch war. Im Gegenteil, er ging für sein Geschäft auch über Leichen und spielte mit dem Leben seiner Kunden. So wie in diesem Fall, denn Beatrice' Vater hatte ihn mehr oder weniger dazu gezwungen, sie zu entführen und auf diese Weise seine Schulden einzufordern.
Natürlich war Simon intelligent genug, nicht allein und schutzlos auf das alte, leerstehende Fabrikgelände nahe Paris zu fahren. Er umgab sich gerne mit seinen Vertrauten, denn ohne ein funktionierendes Netzwerk aus Mitarbeitern, Helfern und Kleindealern wäre es gar nicht möglich gewesen, sein Revier im organisierten Drogenhandel zu verteidigen. Außerdem ging es bei dem Treffen in dieser Nacht um nicht weniger als 500.000 €, die der Vater des Mädchens aufbringen sollte. Abgesehen von diversen Krediten, die Simon ihm gewährt hatte, kamen da noch Spielschulden sowie ein üppiger Säumnisaufschlag hinzu. Da Simon auch in anderen Gewerben tätig war, hatte sich der Kerl in einem undurchschaubaren Netzwerk verfangen und musste nun mit den Konsequenzen seiner Sucht zurechtkommen.
Der Treffpunkt selbst gefiel ihm, obwohl er schlecht einsehbar war und Überraschungsangriffen Tür und Tor öffnete. Um derartige Vorfälle zu verhindern, hatte er mehrere Späher ausgeschickt, die die Gegend – die er selbst wie seine Westentasche kannte – in Augenschein nehmen sollten.
Nicht dass er wirklich glaubte, dass Johán die Polizei über die Entführung informiert hätte. Einer wie er würde sich das niemals trauen, allein schon, um seinen guten Ruf nicht zu schädigen und sich seinen Freunden und Verwandten bloßzustellen. Genau das war einer der Vorteile von Simons Geschäftsmodell: Er konnte sich auf die Verschwiegenheit seiner Kunden verlassen, die zumeist zur Elite der facettenreichen Metropole zählten.
Sein Blick glitt über den verwaisten Platz, auf dem sich bereits Unkraut und kleine Bäume durch die porösen Betonplatten drückten. Nur zu gut erinnerte er sich an seine Jugend und die alte Clique, mit der er hier, umgeben von Ziegelsteinbauten und qualmenden Schloten, sein eigenes Reich aufgebaut hatte.
Erst war es nur ein Spiel gewesen, das sich bald zu bitterem Ernst entwickelte, als sie ihre kriminelle Karriere mit Einbrüchen und Raubüberfällen begannen. Damals hatten seine Freunde und er gedacht, unsterblich zu sein und mit allem davonkommen zu können, bis sie nacheinander von der Realität eingeholt wurden und ihnen entweder durch Polizeikugeln, rivalisierende Gangs oder Drogen die eigene Verletzlichkeit drastisch vor Augen geführt wurde. Nur er blieb übrig und hielt die Erinnerung an seine alte Clique wach.
Seine sentimentalen Gedanken verwischten, als das leise Brummen eines Motors an den Wänden der Fabrik entlanghallte. Johán war also tatsächlich gekommen und hatte sich nicht feige vor dem Treffen gedrückt, wie es normalerweise seine Art gewesen wäre. Sein Druckmittel, das Leben seiner Tochter, wirkte selbst bei einem hochnäsigen Junkie, der sein selbst erarbeitetes Glück für einen schnellen Schuss wegwarf, als wäre es Müll.
Tief in seinem Inneren beneidete Simon Menschen wie diesen Kerl um die glückliche, friedfertige Existenz, die sie führten, während er selbst seine Familie jeden Tag vor dem Abschaum beschützen musste, mit dem er sich umgab. Umso mehr widerte es ihn an, wenn jemand wie Johán seinem Schicksal keinen Respekt zollte. Ein Widerspruch in sich, das wusste er selbst, allerdings machte ihn das vielleicht auch zu dem Mann, der er war.
»Er kommt«, murmelte er in das unscheinbar angebrachte Headset. »Ist er allein?«
»Kein anderes Fahrzeug zu sehen«, meldete Benoit, der auf einem der gegenüberliegenden Dächer postiert war. »Im ganzen Industriegebiet ist es sonst totenstill.«
»Gut.«
Ohne einen Hauch von Nervosität stand Simon neben seinem Wagen und beobachtete, wie eine schwarze Limousine auf den Innenhof der Fabrik fuhr. Der Mercedes blieb in etwa fünfzig Metern Entfernung stehen, ohne dass zunächst jemand ausstieg. Schnell bemerkte er die Nervosität seiner Helfer, die in ihrer Unruhe miteinander tuschelten und über ihre Pistolen strichen.
Eine Sekunde nach der anderen tropfte dahin, bis jemand von innen die Fahrertür öffnete und ausstieg. Trotz der schlechten Lichtverhältnisse sah Simon sofort, dass es sich tatsächlich um Johán handelte, der am ganzen Leib zitterte. Seit er an der Nadel hing, war er ein nervliches Wrack geworden, besonders wenn er unter Druck gesetzt wurde. Die Angst um seine einzige Tochter musste diese Nervosität noch um ein Vielfaches gesteigert haben.
»Hallo, wie geht es?«, fragte der Drogenhändler mit einem eisigen Lächeln. »Steigt das Geschäft oder nicht?«
Johán, der einen Kopf kleiner war als er und eine randlose Brille trug, starrte ihn lange an, ohne einen Ton von sich zu geben. Zu lange, befand Simon schließlich und griff bereits nach seiner Waffe.
»Es geht nicht«, stieß sein Gegenüber plötzlich hervor, riss seinerseits eine Pistole hoch und eröffnete das Feuer.
Mit einem Fluch auf den Lippen warf sich Simon zu Boden, während sich mehrere Kugeln entweder in den Betonboden oder durch das Glas der Windschutzscheibe bohrten. Johán mochte ein lausiger Schütze sein, die anderen stillen Beobachter hingegen feuerten umso präziser auf den einsamen Mann, der von unzähligen Geschossen durchgeschüttelt wurde, bis er stöhnend zusammenbrach.
Auch Simon zitterte nun, als er sich wieder aufrichtete. Von Johán drohte ihm keine Gefahr mehr, er lag neben der linken Fahrzeugfront und rührte sich nicht, außerdem rannten die anderen Beobachter in seine Richtung, um die Lage endgültig zu sichern. Er selbst bemerkte erst jetzt, wie knapp er wieder einmal dem Tod von der Schippe gesprungen war. Nur wenige Zentimeter entfernt zeichneten sich kleine Löcher in der porösen Betondecke ab, zudem hatten sich zwei Kugeln durch die Windschutzscheibe seines Wagens gebohrt und ...
»Scheiße«, stieß er hervor, als er sah, dass Beatrice nach vorne gekippt war und mit dem Gesicht am Fahrersitz lehnte. Er riss die Hintertür auf, packte das Mädchen und zog es zurück, nur um festzustellen, dass es nicht mehr lebte. Eine Kugel hatte das junge Leben der Kleinen endgültig ausgelöscht. Ihm blieb nichts weiter, als ihr die weit aufgerissenen Augen zu schließen.
»Das war unnötig«, murmelte er und wischte sich über die Augen. »Ich hätte dir niemals etwas getan.«
»Hey, Chef!«
Simon zuckte zusammen, setzte hastig trotz der Dunkelheit seine Sonnenbrille auf und kroch wieder aus dem Wagen. Einer seiner marokkanischen Helfer, ein Bärtiger namens Hicham, war auf ihn zugelaufen und hielt weiterhin seine Pistole in der Hand, obwohl es niemanden mehr gab, auf den er hätte anlegen können.
»Was ist?«, fragte der Drogenhändler, der seine Wut nur schwer zu unterdrücken vermochte.
»Wir haben den Wagen durchsucht«, berichtete Hicham aufgeregt. »Er hatte einen Koffer mit Geld dabei, aber wohl nicht mehr als 200.000 Euro.«
Als Antwort nickte Simon lediglich, wandte sich ab und blickte wieder auf das tote Mädchen. Johán war es offensichtlich nicht gelungen, das Geld aufzutreiben, und in seiner Verzweiflung hatte er eine dumme Entscheidung getroffen und wider besseres Wissen alles auf eine Karte gesetzt. Jetzt war er tot und seine Tochter ebenso.
Der Anblick der Kleinen brannte sich in sein Gedächtnis. Doch obwohl er von Schuldgefühlen übermannt wurde, hätte er nie gedacht, was dieser sinnlosen Schießerei folgen sollte ...
Eine Woche später
Mit einem Schrei fuhr Simon Delettre in die Höhe. Er war schweißgebadet und zitterte am ganzen Körper, so wie immer, wenn ihn dieser Albtraum heimsuchte. Wieder und wieder sah er sich selbst, wie er sich über die tote Beatrice und ihr blutverschmiertes Gesicht beugte und von ihr nicht nur angestarrt, sondern auch angegrinst wurde. Ja, sie lachte ihn aus und kündigte ihm an, dass er für seine Taten bezahlen würde. Dass jemand käme, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen und mit seinem Leben für den Tod des Mädchens und seines Vaters büßen zu lassen.
Dabei hatte er nicht einmal selbst den tödlichen Schuss abgefeuert, sondern Johán, dieser Idiot. Hätte er sich nicht einfach selbst erschießen können? So wäre die kleine Beatrice ohne Vater aufgewachsen, aber immerhin würde sie noch leben, denn Simon hätte sie ganz sicher nicht angerührt. Wofür hätte er sich sonst die Mühe machen sollen, ihr die ganze Zeit über die Augen zu verbinden und seine Identität und die seiner Männer zu verschleiern? Ihr Tod war nie eingeplant gewesen, dennoch wurde er deswegen gnadenlos gejagt.
Obwohl in der kleinen Pension ein Rauchverbot herrschte, griff er nach der auf dem Nachttisch liegenden Zigarettenpackung und steckte sich einen Glimmstängel zwischen die Lippen. Eigentlich hasste er den Gestank, weil er ihn an seinen Vater und seine traurige Kindheit erinnerte, durch die er überhaupt erst auf die schiefe Bahn geraten war. An die Zeit davor wollte er nie wieder denken, trotzdem kämpfte er immer wieder gegen die Sucht an, die ihn schon sein ganzes Leben lang begleitete. Deshalb entzündete er die Zigarette auch nicht, sondern spielte lediglich mit den Fingern an ihr herum.
Er musste wohl dankbar dafür sein, überhaupt noch atmen zu dürfen. Jemand machte Jagd auf ihn, gnadenlos, brutal und unberechenbar, denn er kannte weder seinen Namen noch hatte er ihn je zu Gesicht bekommen.
Dafür hinterließ er Leichen, deren Adern aufgeplatzt waren und denen das komplette Blut fehlte, als wären sie von einem Vampir ausgesaugt worden. Allerdings glaubte Simon nicht an derartige Kreaturen, mal davon abgesehen, dass die Leichen niemals Bissspuren aufwiesen. Mittlerweile waren alle Männer, die einen Schuss auf Johán abgefeuert oder das Gelände unter Beobachtung gehalten hatten, tot, nur er lebte noch. Noch war in diesem Zusammenhang genau das richtige Stichwort, denn obwohl ihm von Paris aus die Flucht ins Elsass gelungen war, fühlte er sich weiterhin verfolgt.
Immerhin war seine eigene Familie von dem unheimlichen Mörder verschont geblieben. So viel Menschlichkeit besaß der Verrückte offenbar noch, dass er nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten versuchte. Er würde diese Gnade sicher nicht erfahren, doch obwohl er sich ebenfalls schuldig am Tod der Kleinen fühlte, dachte er nicht daran, einfach aufzugeben und den Dingen ihren Lauf zu lassen. Wenn der Killer auftauchte, würde er das gesamte Magazin seiner Desert Eagle in den Körper dieses Typen pumpen, der seine Leute auf dem Gewissen hatte.
Stöhnend wälzte er sich zur Seite und setzte sich auf die Bettkante. Die kitschige, von Holz und antiquarischen Möbeln geprägte Einrichtung sowie das bequeme Himmelbett waren ihm völlig egal, ebenso die im Stile der Romantik gehaltenen Landschaftsmalereien an den Wänden. Es war nur Zufall, dass er ausgerechnet diese Unterkunft als Versteck ausgesucht hatte, eine Pension in einem Bauernhaus, das nahe einer Siedlung namens Reichsfeld und inmitten weiter, hügeliger Felder lag.
»Komm schon«, zischte er, griff nach seiner Pistole und entsicherte sie. »Ich warte auf dich.«
Eine Antwort erhielt er nicht. Es war so fürchterlich still in dieser verfluchten Pension, in der er aktuell offenbar der einzige Gast war. Andererseits reagierte er neuerdings bei jedem noch so kurzen, lauten Geräusch, als würde er rund um die Uhr unter Strom stehen. So war er zumindest dazu in der Lage, genau mitzuhören, was innerhalb des Hauses vor sich ging.
»Ich warte!«