Professor Zamorra 1006 - Simon Borner - E-Book

Professor Zamorra 1006 E-Book

Simon Borner

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Beschreibung

Professor Zamorra stand hoch oben an einem der Fenster des Nordturms und kniff die Augen zusammen. Der wolkenverhangene Himmel über dem Loiretal, dessen gesamter Horizont sich schlagartig verfinstert hatte, schien sich nun wie eine träge Welle auf- und ab zu bewegen - direkt auf das Château zu! Je näher sie kam, desto mehr schien sie sich in tausende kleiner, flatternder Einzelteile aufzulösen. Das mussten Millionen schwarzer Vögel sein! "Was wollen die denn hier?", murmelte der Meister des Übersinnlichen erneut und spürte, wie sich in seinem Magen ein kleiner Knoten zu bilden begann ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Das Schwert von Babylon

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Keel / Luserke

Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-8387-4896-2

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Das Schwert von Babylon

Von Simon Borner und Christian Schwarz

Château Montâgne

Professor Zamorra stand hoch oben an einem der Fenster des Nordturms und kniff die Augen zusammen. Der wolkenverhangene Himmel über dem Loiretal, dessen gesamter Horizont sich schlagartig verfinstert hatte, schien sich nun wie eine träge Welle auf und ab zu bewegen – direkt auf das Château zu! Je näher sie kam, desto mehr schien sie sich in Tausende kleiner flatternder Einzelteile aufzulösen.

Das mussten Millionen schwarzer Vögel sein!

»Was wollen die denn hier?«, murmelte der Meister des Übersinnlichen erneut und spürte, wie sich in seinem Magen ein Knoten zu bilden begann …

Unwillkürlich wanderte sein Blick zu dem magischen Zeichen, das links neben dem Fenster angebracht und Teil des magischen Schutzschirms um das Château war.

Noch da, schoss es Zamorra durch den Kopf. Er spürte Erleichterung, zumal sich die Vögel jetzt, da sie nur noch ein paar Hundert Meter vom Château entfernt waren, als etwas ganz Anderes herausstellten.

Vampire!

Zumindest aber doch als Fledermäuse von einer Größe, wie man sie sonst in diesen Breiten nicht antraf. Um ihre Absicht eindeutig erraten zu können, musste man nicht annähernd so helle wie Zamorra sein.

Die Biester flogen einen Angriff auf Château Montagne!

Unwillkürlich nahm Zamorra den Kopf etwas zurück. Sofort ließ das Pfeifen des kühlen Windes nach. Der Professor war sich nicht sicher, was jetzt kam. Waren die Fledermäuse dämonisch, würden sie im Schutzschirm enden. Wenn nicht …

Auf jeden Fall handelte es sich hier um kein natürliches Phänomen. Unwillkürlich tastete Zamorra nach Merlins Stern, den er unter dem Hemd trug, und zog ihn mitsamt der Silberkette hervor. Das Amulett rührte sich nicht, erwärmte sich kein bisschen.

Die Tiere (wenn es denn welche waren) erreichten die ungefähre Grenze der unsichtbaren Schutzkuppel. Zamorra rechnete mit einem abrupten Ende der Flugbewegung und einer Massenvernichtung in einem grell leuchtenden Inferno. Nichts in dieser Richtung passierte.

»Bei Merlins hohlem Backenzahn«, murmelte der Professor.

Die fast einen Meter großen Blutsauger stürzten sich wie ein apokalyptischer Heuschreckenschwarm auf das Château! Und sie regulierten ihre Geschwindigkeit nicht. Zamorra sah Hunderte direkt auf sich zuschießen, sah aufgerissene Mäuler und spitze Zähne in lederartigen Gesichtern, die böse und tückisch wirkten.

Er keuchte entsetzt und tat zwei weitere Schritte ins Zimmer zurück. Das sollte ihm den nötigen Platz verschaffen, um den nach innen aufgegangenen Fensterflügel wieder zuzuwerfen. Zu spät. Mit voller Wucht knallten die Biester gegen die schrundige Turmwand. Es knirschte hässlich, als sie sich Hälse, Flügel und andere Knochen im Leib brachen und anschließend leblos in die Tiefe trudelten. Ein gutes Dutzend der Angreifer drängte durch die Fensteröffnung. Zamorra musste sich wegdrehen und gleichzeitig ducken, um nicht voll im Gesicht getroffen zu werden. Er spürte Krallen in den Haaren, hörte das Geräusch vielfachen Flatterns und ein hohes Kreischen, das ihm sofort Kopfschmerzen bereitete. Der Professor verzog das Gesicht, während er sich die Angreifer vom Kopf schlug und für einen Moment freie Sicht bekam.

Weitere Fledermäuse drängten ins Turmzimmer. Zamorra schrie unwillkürlich und schnappte sich einen alten Eisenstab, den irgendwer irgendwann mal hier liegen gelassen hatte. Er schlug und stach nach den Biestern. Blut spritzte, drei Fledermäuse taumelten dem Boden entgegen, wurden von ihren Artgenossen kreischend zerrissen. Der Professor, der sich tapfer in die schwarze, flatternde Wand vor ihm kämpfte, fühlte weitere Krallen in seinen Haaren, schlagende Flügel im Gesicht, kleine, scharfe Reißzähne auf der Haut. Er drehte sich um seine eigene Achse, fasste sich in die Haare, fühlte borstige Körper zwischen seinen Fingern, riss sie weg und schleuderte sie dabei gegen andere Angreifer oder gegen die Wand. Um die Biester abzustreifen, die sich in Hals und Kopf zu verbeißen versuchten, musste er den Stab schließlich fallen lassen. Zamorra kämpfte verbissen, kam schließlich zum Fenster durch und drückte es zu. Es knallte dumpf, als weitere Fledermäuse dagegen krachten und blutige Schlieren auf den Scheiben hinterließen. Aber das Glas schien zu halten.

Zamorra nahm in Bruchteilen eines Augenblicks mehrere Eindrücke gleichzeitig wahr. Wie ein gigantischer schwarzer Teppich überzogen die Fledermäuse das Château, begruben es förmlich unter sich. Er wirkte wie ein Leichentuch, das sich über die gigantische Burganlage gelegt hatte. Den wahrscheinlichen Verursacher konnte Zamorra ebenfalls ausmachen. Auf einem Felsvorsprung, etwas unterhalb des Châteaus, von hier gut einsehbar, stand eine selbst auf Zamorra unheimlich wirkende Gestalt. Der schwarz leuchtende Sturmhimmel hinter ihr, in dem geisterhafte Wesen einen irren Tanz aufzuführen schienen, bildete einen absolut würdigen Rahmen für den Auftritt des menschengestaltigen Dämons. Er hatte sich in ein dunkles Gewand gehüllt, dessen bis auf die Brust fallender Kragen mit magischen Mustern bestickt war. Das Gewand lief in langen Fetzen aus, die den Schwarzblütigen wie zuckende Tentakel umgaben und dabei eine Art Eigenleben zu entwickeln schienen. Das Wesen, das statt eines Gesichts ein grelles Leuchten unter der Kapuze präsentierte, hielt seine beiden Arme weit ausgestreckt. In der rechten krallenbewehrten Hand konnte Zamorra einen magischen Stab ausmachen, der in einem gehörnten Totenkopf und rundum angebrachten Krallen auslief, in der Linken hielt die Gestalt, die sich aus einem Berg milliardenfach übereinander krabbelnder Insekten zu erheben schien, eine Art Kristall, der so hell wie ihr Gesicht leuchtete.

Wer bist du denn?, schoss es Zamorra durch den Kopf. Er riss sich weitere Fledermäuse aus den Haaren und bemerkte, wie der Unheimliche den Stab drei Mal gegen das Château reckte. Damit schien er also die fliegenden Angreifer zu dirigieren.

In diesem Moment kam der Schock über Zamorra und fraß sich wie glühende Lava durch seinen Körper.

Es war der Moment der Erkenntnis.

Der Erkenntnis, dass sich der Dämon innerhalb der M-Abwehr befand! Denn die magische Schutzkuppel umfasste die komplette Anlage mit Park, kleinem Friedhof und einem Teil der Felsen, auf dem es thronte.

Angriff!, befahl er dem Amulett. Schieß diesen verdammten Mistkerl ab!

Tatsächlich tat Merlins Stern, was er von alleine wohl nicht getan hätte. Er griff den Unheimlichen an. Silberne Blitze lösten sich aus dem Amulettzentrum, durchdrangen die Mauern und schlugen in die Brust des Unheimlichen. Gesicht und Kristall leuchteten ebenso grell auf wie der gesamte Himmel. Zamorra schloss für einen Moment geblendet die Augen, während sich seine Arme wie Windmühlenflügel bewegten.

Als er die Augen wieder öffnete, war der Spuk vorbei. Kein Dämon mehr, keine Fledermausarmee, selbst die Tiere hier im Turmzimmer waren schlagartig verschwunden.

Der Meister des Übersinnlichen atmete tief durch und schluckte ein paar Mal schwer. Dann lauschte er dem Pochen seines Herzens, das seinen Schlag deutlich beschleunigt hatte. Das kam nicht oft vor und zeigte nur, wie tief der Schock noch immer in ihm saß.

Zamorra starrte hinaus auf die tief hängenden, dunklen, regenschweren Wolken, aus denen gerade die ersten Tropfen fielen. Sie präsentierten sich, als sei nichts gewesen.

Und genau das war die Frage.

Bin ich gerade einer Halluzination aufgesessen? Hm, wohl nicht. Oder? Unwillkürlich tastete er nach den nicht allzu tiefen Wunden an Hals und Gesicht, die unverändert Bestand hatten. Aber das musste nichts heißen. Mal sehen, was Nici zu der ganzen Angelegenheit sagt.

Der Meister des Übersinnlichen hastete die enge Wendeltreppe hinunter und betrat zwei Stockwerke weiter unten sein Arbeitszimmer. Er aktivierte das an der Wand hängende Visofon. Es war tot.

Der Knoten in Zamorras Magengegend verstärkte sich schlagartig.

***

Drachenland

Lavablasen wuchsen aus dem flüssigen Stein, zerplatzten in brennend heißen Sprühregen, versengten alles, was lebte. Rhett Saris ap Llewellyn schrie – aber nicht der Vulkanmasse wegen.

Er schrie, weil er um sein Leben kämpfte. Und nicht wusste, ob er überhaupt einen Sieg verdiente.

»Zeit für eine Revanche, findest du nicht?«, hatte die falsche Anka gesagt, als sie aus dem Krater gestiegen war, auf dessen Rand er stand. Dann hatte der Kampf begonnen – und obwohl Rhett genau wusste, dass das nicht Anka war, dass es nicht einmal wirklich geschah, sondern er nur von den eigenartigen Dämpfen des Vulkans zu Halluzinationen gebracht wurde, fühlte er sich, als stünde er wirklich der Frau gegenüber, die er getötet hatte.

Und jetzt wollte sie seinen Tod.

Rhett wich geschickt ihrem neuesten Hieb aus, bekam aber prompt die Quittung: Abgelenkt von ihren Schlägen, bemerkte er zu spät, dass Anka ihm gleichzeitig in die Beine trat. Der Tritt fand sein Ziel, riss ihn von den Füßen und ließ ihn stürzen.

Durch Glück entging er der Lava, landete »nur« unsanft auf dem Kraterrand. Anka mochte immun gegen den gleißend heißen Feuersee sein, doch er, Rhett, daran hegte er keinen Zweifel, würde jämmerlich verbrennen, wenn er ihn bloß berührte.

Und der Kraterrand war schmal und brüchig. Poröses Gestein, durch das sich einzelne kleine Bäche aus Lava zogen. Mehrfach war Rhett schon der Boden unter den Füßen weggebrochen, hatte er sich nur mit Mühe auf eine neue, stabilere Stelle retten können.

Anka preschte vor. Ihn am Boden zu sehen, schien ihre Wut noch zu beflügeln.

Rhett reagierte sofort. Er wirbelte herum, stemmte sich mit den Händen am Kratergestein ab und wieder in die Höhe. Unter seinen Handballen bröselte der Stein auseinander; Rhett beschloss, das als Vorteil zu nutzen. Er nahm die Bruchstücke und Krümel in die Hände und schleuderte sie mit aller Kraft hinter sich, der Angreiferin entgegen.

Wo sie die Haut der falschen Anka berührten, rissen sie kleine Löcher hinein, hinter denen Rhett das Leuchten der Lava erkennen konnte. Dann trat die zähe Flüssigkeit aus den Löchern aus, tropfte Anka gemächlich am Körper herab, ohne diesen merklich zu schädigen. Es sah aus, als bestünde sie aus Lava, und das menschliche Äußere sei nur Fassade.

Geist aus dem Vulkan, dachte Rhett. Dann rannte er los.

Wie floh man, ohne sehen zu können? Die Welt hier oben am Krater schien nur noch aus Rauch zu bestehen. Da war kein Himmel mehr, kein Stern, der Orientierung hätte geben können. Der beißende Qualm beherrschte alles. Rhett wusste, dass irgendwo in diesen Schwaden Fooly und Meister Occard, der ebenso weise wie exzentrische Drache, warteten, aber er fand sie nirgends und wollte auch nicht nach ihnen rufen.

Dies war eine Prüfung, oder etwa nicht? Occard würde sie wohl kaum als bestanden werten, wenn der Prüfling mittendrin um Hilfe von Außen flehte.

Fooly hatte Rhett hierher gebracht, ins Drachenland. Dort hatte er mittels Drachenmagie Rhetts Wunden geheilt und auch den bösen Zwilling aus ihm heraus gefressen – zumindest hoffte er das. Trotz aller Bemühungen hatte Fooly nicht garantieren können, dass ihm Letzteres vollends gelungen war. Es mochten noch Rückstände des Zwillings in Rhett haften, die irgendwann wieder erstarkten.

Aber Rhett hatte ohnehin die Zeit gefehlt, lange darüber nachzudenken. Mit Foolys Hilfe war ihm nämlich eingefallen, wie er Zamorras Probleme – an denen er selbst eine nicht zu unterschätzende Mitschuld trug – möglicherweise lösen konnte. Es war keine gute Lösung, aber vermutlich die einzige, die überhaupt noch realisierbar war: LUZIFER musste nach Avalon.

Fooly hatte Rhett zu Meister Occard gebracht, dem Weisen des Drachenlandes, denn Occard wusste angeblich, wie dieser Plan umgesetzt werden konnte. Doch der uralte Drachenriese hatte sich geweigert, sein Wissen mit einem Drachentöter wie Rhett zu teilen – eine unzulässige Verallgemeinerung, wie Rhett fand. Denn er hatte in seinem Leben noch nie einen Drachen getötet.

Erst auf Foolys Fürsprache hin – und auf einige Versprechungen, die Fooly dem Alten gegeben hatte und über die Rhett lieber gar nicht erst nachdenken wollte – war Occard gewillt gewesen, dem Menschen Rhett eine Chance zu geben.

Rhett hallten Occards Worte noch immer in den Ohren: »Allerdings nur, wenn sich der Drachentöter als würdig erweist. Wenn er mir beweist, dass er nicht ist, für den ich ihn halte. Dass er anders ist als seine Ahnen.«

Fünf Prüfungen musste Rhett absolvieren. Dann, so lautete die Abmachung, würde Occard ihm – und somit auch Zamorra, somit auch der ganzen Welt – helfen. Nur dann.

Und Rhett scheiterte schon an der ersten.

»Hab ich dich!«, zischte Anka-die-nicht-da-war, als sie keinen Meter vor ihm aus den Rauchwolken und in seinen Fluchtweg trat. Es war, als hätte der Rauch sie erst geformt, als sei sie ein körperlich gewordener Auswuchs des beißenden Vulkanodems.

Rhett musste so abrupt bremsen, dass er auf dem schmalen Kraterrand das Gleichgewicht verlor und mit rudernden Armen voraus fiel – der unheimlichen Gegnerin entgegen!

Anka verschwand. Ungehindert plumpste Rhett auf den steinigen Boden, verlor abermals den Halt und rutschte hilflos zur Seite. In Richtung Lavasee. Nur mit äußerster Mühe gelang es ihm, sich an einer faustgroßen Ausbuchtung im Stein festzuhalten. Ächzend und keuchend kämpfte er sich wieder hoch.

Ich glaube, ich weiß, was hier läuft, dachte er, als er wieder auf eigenen Beinen stand und sich vergebens nach Anka umsah. Du kannst mich angreifen, aber wenn ich dir zu nahe komme, löst du dich in Rauch auf? Warum? Etwa, weil du mich nicht töten kannst, sondern … nur dafür sorgen sollst, dass ich in den Vulkan falle?

Hinter seiner schweißbedeckten Stirn passierte Akkordarbeit. Puzzlestücke fielen an ihre Plätze, Schlüsse ließen sich endlich ziehen. Rhett grinste, als er begriff.

»Anka!«, rief er dem Qualm, den Lavablasen und der höllischen Hitze entgegen, die ihm die Luft raubte und den Schweiß aus allen Poren trieb. »Anka, ich bin hier! Worauf wartest du? Bringen wir’s endlich hinter uns. Ein für alle Mal.«

Und die Frau erschien, schön wie eh und je. Hass loderte in ihrem Blick, und die dünnen Lavabäche, Tränenflüssen gleich, die aus ihren kleinen Wunden traten, hinterließen keinerlei Spuren auf ihrer reinen, zarten Haut. »Wirst du also zu guter Letzt doch vernünftig?«, zischte Anka. »Siehst du ein, dass es unausweichlich ist? Dass du den Tod verdienst?«

Rhett sah sie an. Dies war der Moment. Nun würde sich entscheiden, ob er die Prüfung richtig einschätzte – oder seinen ersten Fehler mit dem Leben bezahlte. Seinem eigenen und dem zahlloser weiterer Seelen.

»Ich verdiene nicht den Tod«, sagte er leise. Dann wandte er sich von Anka ab und ging durch den Rauch und entlang der Lavabäche den äußeren Hang des Vulkanbergs hinab. Er verließ den Kraterrand, langsam und vorsichtig. Keine Eile mehr.

Wozu auch? Sie will meinen Tod im Krater, nirgends sonst. Je weiter ich vom Krater weggehe, desto weniger kann sie bewirken.

»Was soll das jetzt werden, he?«, fragte sie knurrend, als sie einmal mehr vor ihm in den Schwaden erschien. »Fliehst du wieder?«

»Nein«, antwortete Rhett. »Ich verdiene nur nicht den Tod.« Dann hob er die Hand und wischte sie einfach aus seinem Weg, wedelte sie fort wie den Rauch, aus dem sie bestand.

Wenige Meter später erschien sie ihm ein weiteres Mal, stieg diesmal aus den Fluten eines besonders breiten Lavastroms, der hangabwärts und ins Tal floss, ohne es, wie Rhett wusste, je zu erreichen. Diese Anka glühte, wurde gar nicht erst richtig Mensch-Fassade, sondern blieb Lava. »Du kannst nicht gehen!«, fuhr sie ihn an, und hinter ihren Lavalippen loderte ein Feuer, das direkt aus den Untiefen der Schwefelklüfte zu stammen schien. »Du verdienst es nicht zu leben!«

Rhett trat direkt auf sie zu, spürte die Hitze der Lava, die von ihr ausging, und wusste – ahnte, hoffte – dass sie doch nicht real war. »Du irrst«, sagte er – und schritt mitten durch die Lava-Frau hindurch!

Wie zuvor der Rauch, verging auch sie, sowie er sie berührte.

Und hinter ihr ging es weiter ins Tal. Ins Leben.

***

Château Montagne

Nicole Duval hatte die Kontrolle der Château-Südseite übernommen. Die Französin stand gerade auf dem schmalen Pfad vor der Burgmauer inmitten von allerlei Gestrüpp und betrachtete sich konzentriert die magischen Zeichen, die hier allesamt in einer Reihe knapp über Kopfhöhe angebracht waren. Obwohl die Zeichen zum Teil eine komplizierte, ineinander verschlungene Struktur aufwiesen, war Nicole doch in der Lage, jede kleine Abweichung zu erkennen. Denn sie hatte die kleinen Kunstwerke schon vor vielen Jahren mithilfe des Amuletts fest in ihrem Gedächtnis verankert.

»Hm«, murmelte sie vor sich hin und trat dabei ein paar Brennnesseln platt, »bis jetzt ist alles unverändert. Seltsam, seltsam.«

Nicole machte sich keine geringen Sorgen. In den letzten Wochen und Monaten schien sich durch LUZIFERS direkte Anwesenheit auf der Erde das schwarzmagische Energieniveau beträchtlich erhöht zu haben. Möglicherweise war das der unselige Nährboden für die Black Spots, die überall auf der Welt wie Pilze aus dem Boden schossen. Ganze Städte, selbst Weltmetropolen wie Paris, wurden bereits von dämonischen Kräften regiert. Ganz sicher hing das Erblühen der schwarzmagischen Zonen aber damit zusammen, dass die Kräfte nach dem Zusammenbruch der Hölle wieder einen Ausgleich suchten, suchen mussten, denn das Gleichgewicht zwischen Schwarz und Weiß, Gut und Böse, was auch immer, musste – vor allem in den Brennpunkten der Schöpfung – weitgehend gewahrt bleiben, damit das Multiversum in seiner jetzigen Form überhaupt existieren konnte.

Nicole seufzte leise vor sich hin. Nachdem sich LUZIFER durch einen genialen Trick seinem Fluch entzogen und damit die Hölle in den Untergang gerissen hatte, war er wohl zu schwach, um selbst für die benötigte schwarzmagische Ausgleichskonstante zu sorgen, wenn man es mal so ausdrücken wollte. Wie sie in der Zwischenzeit wussten, strebte LUZIFER nun danach, die Black Spots der Erde zu mehren und zu stärken, um die gesamte Kraft zum Schluss in sich zu vereinen und so stark genug zu sein, um die Hölle wieder zu errichten.

Dann hätten wir im wahrsten Sinne des Wortes die Hölle auf Erden. Mir wird schlecht, wenn ich bloß daran denke!