Professor Zamorra 1007 - Simon Borner - E-Book

Professor Zamorra 1007 E-Book

Simon Borner

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Beschreibung

Ich war dabei, als das Ende der Welt begann. Als Dämonenfürsten über unsere Metropole regierten, unaussprechliches Grauen uns in die Schatten zerrte und Hoffnung zu einem Wort ohne Bedeutung verkam. Als sich die Leichenberge in den Straßen stapelten, Bruder gegen Bruder kämpfte und die Wolken Blut weinten. Apokalypse. Mein Name ist - war - Jenny Moffat ... und wenn Sie dies lesen, ist alles vorbei. Wenn Sie dies lesen, haben wir verloren. Sagen Sie Zamorra, es tut uns leid ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Der Opfergang

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Slark / Luserke

Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-8387-4897-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Der Opfergang

von Christian Schwarz und Simon Borner

Ich war dabei, als das Ende der Welt begann.

Als Dämonenfürsten über unsere Metropole regierten, unaussprechliches Grauen uns in die Schatten zerrte und Hoffnung zu einem Wort ohne Bedeutung verkam. Als sich die Leichenberge in den Straßen stapelten, Bruder gegen Bruder kämpfte und die Wolken Blut weinten. Apokalypse.

Mein Name ist – war –Jenny Moffat … und wenn Sie dies lesen, ist alles vorbei.

Wenn Sie dies lesen, haben wir verloren.

Sagen Sie Zamorra, es tut uns leid …

Tendyke’s Home, Florida

Das irre klingende Lachen brach abrupt ab. Der düster aussehende Südländer, der es ausgestoßen hatte, stand inmitten eines magischen Beschwörungskreises, aus dem er nicht entkommen konnte. Asmodis, denn um niemand anderen handelte es sich, entließ eine Schwefelwolke aus seinen Nasenlöchern. »Kann es sein, dass ihr von einem Moment auf den anderen ganz schön in der Scheiße sitzt?«, fragte er in einem unerträglich süffisanten Ton. »Was für eine prächtige Zwickmühle. Die hätte ich mir auch nicht besser ausdenken können. Das ist wahrhaft … teuflisch.«

»Halt bloß die Schnauze, Assi!«, brüllte Nicole los, die in diesem Moment vollkommen die Nerven verlor. »Sonst mache ich dich mit dem Amulett alle. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue!«

Der Erzdämon zog es tatsächlich vor, zu schweigen, behielt aber ein latentes Grinsen bei. Rhett Saris ap Llewellyn, der Erbfolger, hob in einer rührend hilflos erscheinenden Geste das Schwert an, mit dem er vor wenigen Minuten hier aufgetaucht war.

»Ich muss diese Möglichkeit zumindest zur Diskussion stellen, versteht ihr?«, flüsterte der junge Mann heiser, während die anderen Anwesenden abwechselnd ihn, Nicole und Asmodis anstarrten. Den am Boden sitzenden Zamorra mieden sie tunlichst mit ihren Blicken, die zwischen Entsetzen und Mitleid schwankten. Über die Wände huschten düstere Schatten. Es schien fast, als handele es sich um eigenständige Wesen, die einen grotesken Tanz aufführten, um die anwesenden Menschen zu verhöhnen. Doch sie waren nichts weiter als das Produkt unruhig flackernder Kerzen.

»Gut, dass du hergekommen bist«, flüsterte der immer noch geschwächte Zamorra in Richtung des Erbfolgers. »Das war vollkommen rich …«

»Nein!« Nicoles Stimme kippte fast. »War es nicht. Wir werden nicht mal einen Gedanken an diese Möglichkeit verschwenden. Nicht den kleinsten, ist das klar?« Panik war in ihren Augen zu sehen, die goldenen Tüpfelchen, die immer dann in ihren Pupillen erschienen, wenn sie aufgeregt war, schienen dieses Mal förmlich zu leuchten. Sie machte zwei aggressiv wirkende Schritte auf den Erbfolger zu. »Du kannst dir das Riffkabyl sonst wohin schieben, Rhett, verstanden? Wir finden eine andere Lösung. Oder wir gehen eben alle zusammen unter.«

»Nici, der Kreis«, flüsterte Professor Zamorra.

»Was?« Tatsächlich hatte Nicole in der Aufregung die Konzentration auf Merlins Stern, mit dem zusammen sie den Beschwörungskreis aufrechterhalten hatte, nachdem Zamorra dafür bereits zu geschwächt gewesen war, vollkommen fahren lassen. Das magische Gebilde war zusammengebrochen, Asmodis wieder frei. Der Erzdämon nutzte die neue Situation sofort. Er drehte sich zwei Mal und verschwand in einer Schwefelwolke im Nichts. Gleichzeitig erloschen die schwarzen Kerzen, die um den Kreis aufgestellt waren, mit einem Schlag.

Nicole schaffte es nicht mal, Asmodis einen hasserfüllten Blick hinterher zu schicken. Stattdessen ging sie neben Zamorra auf die Knie. In ihren Augen schimmerte es feucht, als sie ihm zwei Mal zärtlich über die Wange streichelte. »Chéri«, flüsterte sie. »Du versprichst mir, dass du dich nicht mal eine Tausendstelsekunde lang mit diesem Gedanken beschäftigen wirst. Ja? Versprichst du mir das?«

Dem Meister des Übersinnlichen, der langsam wieder zu Kräften kam, war es nicht wohl in seiner Haut. Das zuvor Gehörte, das bei Anwendung seinen Tod bedeuten würde, verursachte ihm ein eigenartiges Kribbeln am ganzen Körper. Aber dieses Versprechen konnte er Nicole nicht geben. Nicht voreilig. Nicht jetzt und hier.

Und sie wusste es ganz genau. Deswegen sagte sie nichts weiter, als er lediglich den Kopf senkte, sondern erhob sich nur und schaute die anderen herausfordernd an. »Oder, wie seht ihr das?«

»Das kann niemals eine Option sein«, murmelte Uschi Peters, wagte es aber nicht, Nicole direkt anzuschauen. Verlegen senkte sie ihren Blick.

»Wir haben schon zu viele Verluste erlitten«, sagte Uschis Zwillingsschwester Monica so undeutlich wie orakelhaft. Denn diese Antwort konnte alles und nichts bedeuten. Auch sie schaffte es nicht, Nicoles Blick standzuhalten.

Rhett zog es vor zu schweigen. Nachdem Zamorra den Erzdämon Asmodis beschworen hatte, um von diesem zu erfahren, warum es LUZIFER momentan unmöglich war, nach Avalon zu gelangen, war Rhett hier aufgetaucht – quasi mit der Antwort in der Hand. Mithilfe des Drachenschwerts Ryffnoryl konnte LUZIFER möglicherweise die gesperrten Paraspuren nach Avalon öffnen und dorthin gelangen; vorausgesetzt, es bekam das Blut des Letzten zu fressen, den die Quelle des Lebens unsterblich gemacht hatte.

Zamorras Blut!

Auch Anka Crentz, die Mutter der Peters-Zwillinge, fand keine Worte. Immerhin wandte sie ihre Blicke nicht ab.

Julian Peters, der Träumer, war einen guten Kopf größer gewachsen als Rhett. Groteskerweise fiel das Zamorra genau in diesem Augenblick auf.

Warum müssen sich Gedanken immer dann, wenn Großes besprochen wird, mit kleinen, unbedeutenden Details beschäftigen, die mit der Sache gar nichts zu tun haben?

Der Träumer betrachtete seine Fingernägel, als ginge ihn die ganze Sache nichts an. In diesem Moment erinnerte er Zamorra mehr denn je an seinen Großvater Asmodis. Unvermittelt hob Julian den Kopf, als er Nicoles Blicke auf sich spürte. »Ihr habt die Nachrichten gesehen? Gerade vorhin haben sie einen brandaktuellen Bericht aus New York gebracht. Es wird immer schlimmer, die Welt geht bald unter. Deswegen wüsste ich nicht, warum wir uns nicht mit jeder Möglichkeit beschäftigen sollten, um sie zu retten. Mit absolut jeder.«

Er sah Zamorra kurz an, verächtlich, wie es dem Meister des Übersinnlichen erschien, dann drehte er sich abrupt um und verließ den Raum.

»… sagte der Mann, der sich auf den Silbermond zurückziehen kann, wenn’s brenzlig wird«, schickte ihm Nicole voller Wut hinterher.

***

Rückblick: Police Plaza One,New York City

Sie kamen aus den Schatten – und sie brachten den Tod. Gedrungene, zwielichtige Gestalten mit bleichen Visagen und Augen, in denen das Feuer der Hölle zu lodern schien. Ihre Bewegungen waren schnell – übermenschlich schnell – und sie kannten keine Gnade. Schon legten sich ihre Arme um Dianes Brustkorb, öffneten sie ihre Münder, entblößten sie ihre grauenvollen spitzen Zähne und …

»Diane?«

Schreiend fuhr sie auf, sah sich blinzelnd um. Wo war sie? Was geschah mit ihr? Erst nach und nach kehrte die Wirklichkeit zurück.

»Entschuldigung, hab ich dich erschreckt?«

Das war Andy. Ihr guter Freund und Kollege Andy Sipowicz, kein anderer. Er stand auf der Schwelle ihres Labors, das sich im Keller der Manhattener Polizeizentrale Police Plaza One befand, und sah sie fragend an.

Diane erhob sich von ihrem Platz am Labortisch und streckte sich. »Ich … scheine kurz eingenickt zu sein«, sagte sie bedauernd. »Suchst du nach mir?«

So sehr sie sich auch bemühte, es gelang ihr nicht, die eigenartigen Traumbilder zu vertreiben, die ihr noch durch den Geist gingen. Bilder von Menschen in den Schatten. Nein, keine Menschen. Das waren …

»Ich glaube, ich halte das nicht mehr lange aus«, brummte Andy und riss sie so erneut aus ihren seltsamen Gedanken. Er trat näher, den Blick auf den Boden gerichtet. Im Schein der Neonlampen – der einzigen Lichtquelle hier unten im »Loch«, wie Diane ihren Arbeitsbereich nannte – wirkte der sonst so agile Police Sergeant blass und kränklich. »Amy und Zandt sind nun schon seit knapp einer Stunde weg.«

Diane nickte. Daher wehte der Wind also. »Aber sie halten doch Funkkontakt«, wiegelte sie ab. »Du weißt, dass es ihnen gut geht.«

Lieutenant Steven Zandt, ihr gemeinsamer Vorgesetzter beim NYPD, und Amy Williams, junge Polizeioffizierin und Andys bessere Hälfte, waren gemeinsam nach Governors Island aufgebrochen, einem mysteriösen Tatort vor der Küste Manhattans. Dort war in der vergangenen Nacht ein Dimensionstor entstanden, aus dem ein Stück Hölle über New York hereingebrochen war. Die Gefahr war zwar inzwischen gebannt, doch hatte das PD auf dem verwüsteten Gelände einen rätselhaften Mann gefunden. Niemand kannte diesen Rhett, so sein angeblicher Name. Einzig Amy, die ebenfalls kurzzeitig in ein Dimensionsloch gesaugt worden war, schien zu wissen, um wen es sich bei dem Fremden handelte. Deswegen hatte Zandt sie mitgenommen. Andy, der bei der Konfrontation mit dem Höllenwesen verletzt worden war, hatte in der Zentrale bleiben und sich vom Arzt behandeln lassen müssen.

»Gut, gut«, spottete der junge Sergeant ungehalten. »Was heißt das denn heute noch? Seit Wochen ist diese Stadt das reinste Minenfeld. Immer wieder kommt es zu übernatürlichen Vorfällen, Diane. Zombies im Central Park, Dämonen auf Long Island, Höllenfeuer im Holland Tunnel – New York fällt zunehmend in eine andere Dimension, und wir können nichts dagegen unternehmen. Die Stadt ist zu groß, um sie zu evakuieren, und die bizarren Zwischenfälle geschehen so spontan und scheinbar wahllos, dass wir uns unmöglich gegen sie wappnen können.« Er seufzte. »Hier ist niemand mehr sicher, Diane. Nicht einmal die, die direkt vor dir stehen.«

Nun war es an ihr zu seufzen. »Seit dieser Cranston hier ist, hat das mit den Zwischenfällen sogar noch zugenommen.« Finn Cranston war der neue Bürgermeister New Yorks – und ein Vampir. Er hatte die Stadt im Handumdrehen erobert und regierte sie nun vom Inneren der St. Patrick’s Cathedral aus, einer großen Kirche in Central Manhattan. Die normale Stadtbevölkerung machte seitdem unbewusst einen Bogen um das sakrale Gebäude und mied auch das Thema Cranston instinktiv. Welche Magie dieser Vampir auch anwandte, es schien eine äußerst mächtige zu sein.

Andy schwieg.

»Mensch, lass dich nicht so hängen«, sagte Diane. »Hast du nicht selbst gesagt, wir schaffen das, solange wir zusammenhalten und auf deinen Freund Zamorra vertrauen?«

»Von dem hab ich auch lange nichts gehört«, brummte Andy. »Wer weiß? Vielleicht ist der Kampf längst verloren, und uns hat’s nur noch keiner gesagt.«

Diane schüttelte den Kopf. »Auf gar keinen Fall. Zamorra hat viele Verbündete. Wäre ihm etwas passiert, hätten wir inzwischen garantiert Besuch von jemandem aus seinem Team bekommen – von Gryf, Teri, Nicole oder vielleicht von dieser Jenny Moffat, die schon mal hier war.«

Andy runzelte die Stirn. »Jenny?«, fragte er und sah Diane ratlos an. »Was redest du denn da? Jenny ist hier.«

»Was? Seit wann?« Diane mochte die junge Journalistin – nicht nur als Freundin. Sie war auch bekennender Fan ihrer kontroversen TV-Sendung Think America, in der Jenny allwöchentlich der US-amerikanischen Gesellschaft den Spiegel vorhielt und Missstände aufdeckte. »Warum sagt mir das denn keiner?«

Andy wirkte fassungslos. »Ähm, Diane? Bist du wirklich sicher, dass mit dir alles in Ordnung ist? Jenny ist bereits seit gestern hier. Nicht nur das, sie wohnt sogar bei dir im Gästezimmer.«

Diane sah ihn an. Hatte der Knabe den Verstand verloren? »Soll das ein Scherz sein?«

»Absolut nicht. Jenny war von Unbekannten entführt worden. Zandt und ich befreiten sie aus einem Bunker nahe der Inwood Hills. Sie hatte diese Kamera dabei, auf der die Bilder von Gregs Tod und Stygias Machtergreifung gespeichert waren. Weißt du das echt nicht mehr?«

Andy klang aufrichtig entsetzt. Diane sank zurück auf ihren Stuhl. Jenny … bei ihr? »Daran würde ich mich doch erinnern«, murmelte sie.

Er legte ihr die Hand auf die Stirn, fühlte mit der anderen ihren Puls. »Du musst zum Arzt, Diane«, sagte er. »Nicht, dass du dich krank anfühlen würdest – aber wenn du vergisst, was du heute Morgen gemacht hast, ist etwas nicht in Ordnung mit dir.«

»Heute …«, murmelte Diane. Irgendwie ging alles so schnell. Sie fühlte sich, als bräche der Boden unter ihren Füßen weg.

»Du und Jenny. Wolltet ihr nicht zu St. Patrick fahren und beobachten, ob diese Stygia tatsächlich dort ist?«

Sie wusste nichts davon. Nicht nur von diesem speziellen Ereignis – sie merkte voller Entsetzen, dass sie eine Lücke im Gedächtnis hatte. »Ich erinnere mich nicht«, sagte sie schockiert. »Andy, ich weiß gar nichts mehr von heute Vormittag. Gar nichts. Ich … ich bin aufgestanden und … und … dann standest du hier eben auf der Schwelle.«

Andy stutzte. »Und dazwischen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Da ist kein Dazwischen«, schluchzte sie. »Nicht in meinem Kopf. Andy, was geschieht mit mir?«

Er schluckte und fasste sie an den Händen, beruhigte sie. »Genügt dir eine Vermutung? Ich glaube, ihr wart in St. Patrick. Aber nur du bist wieder rausgekommen. Bleibt die Frage …«

»… wo Jenny Moffat steckt«, hauchte Diane das Ende des Satzes. »Und was ist mit ihr – mit uns – geschehen?«

Abermals fühlte Andy ihren Puls, sah ihr tief in die Augen. Und jetzt begriff sie auch, warum er das tat. Nicht nur aus Sorge um sie.

Andy überprüfte, ob sie ein Vampir geworden war! Einer wie Cranston.

Und plötzlich kam ihr ihr eigenartiger Traum gar nicht mehr so wirr vor …

***

Rückblick: Governors Island

Fort Jay war eine alte Festung. Eine Verteidigungseinrichtung aus früheren Jahrhunderten, und sie befand sich auf einer Insel vor Manhattans Küste. Sie galt inzwischen als beliebtes Touristenziel und täglich schipperten unzählige Besucher von der Stadt aus per Fähre hier herüber.

Doch heute würden keine kommen. Heute war alles anders.

Wegen ihm.

Fassungslos starrte Amy Williams auf den bewusstlosen Mann auf der Pritsche der Sanitäter. Er war es, ganz ohne Zweifel. Das war der Fremde, den sie in der Upper Bay gesehen hatte.

»Wenn mich Ihre entsetzte Miene nicht täuscht, kennen Sie den Knaben wirklich«, sagte Lieutenant Steven Zandt. Der ebenso stämmige wie miesepetrige Ermittler stand neben Amy. Das Licht der Mittagssonne ließ jede einzelne Falte seiner wie immer zerknitterten Kleidung zur Geltung kommen. »Dann mal raus mit der Geschichte, Miss Williams. Dieser Rhett ist zeitgleich mit dem Monstrum hier aufgetaucht, das letzte Nacht und heute Morgen Fort Jay verwüstete. Demnach gehe ich davon aus, dass er mir ein paar Antworten bieten kann. Aber die Ärzte erlauben es mir nicht, ihn aufzuwecken – von daher muss ich für den Moment wohl mit Ihnen vorlieb nehmen. Nun denn, ich höre.«

Amy sah ihn an. »Das wird Ihnen nicht gefallen«, sagte sie vorsichtig, denn sie wusste, wie allergisch Zandt auf Probleme reagierte, die er nicht rational erklären und mit altbekannten Methoden bekämpfen konnte.

Zandt grunzte ungehalten. »Mädchen, mir gefällt hier schon seit Wochen nichts mehr, abgesehen von den Käse-Sandwiches in Kunals Deli bei mir um die Ecke. Von daher …«

Sie schmunzelte. Frische Seeluft wehte zu ihnen herüber und über die Grünflächen der Insel. Amy sah zum Wasser. »Ich war da drin«, begann sie. »Mit ihm. Ich trieb in der Upper Bay vor Manhattans Wolkenkratzern.«

Zandt stutzte. »Was? Wann soll das gewesen sein?«

»Vor einer Stunde?«, erwiderte sie leise und lachte, denn es klang tatsächlich höchst absurd. »Oder vor einer Ewigkeit? Ich weiß es nicht. Es geschah, als ich in diesem … Ding war.«

Das »Ding«, so viel begriff sie inzwischen, war ein Dimensionsriss gewesen – nicht unähnlich dem, der in der vergangenen Nacht dieses Monstrum hierher auf die Insel befördert hatte. Amys Riss war in ihrem Badezimmer entstanden, just als sie heute Vormittag hatte duschen wollen, und ehe sie wusste, wie ihr geschah, hatte sie sich nicht länger in dem Haus befunden, das sie sich mit Andy Sipowicz vor den Toren der Bronx teilte, sondern war orientierungslos im kalten Wasser der Bay getrieben.

»Es war Nacht. Hier auf der Bay. Ich … ich sah Governors Island, doch die Insel wirkte seltsam. Sie leuchtete irgendwie, und eine diffuse Lichtsäule stieg von Fort Jay aus in den dunklen Himmel. Dann fuhr ein Boot der Küstenwache an mir vorbei, aber es sah mich nicht. Und als es fort war … rief jemand meinen Namen. Er.«

Sie deutete auf den Bewusstlosen. Die Rettungssanitäter hatten ihm beste Gesundheit attestiert, wollten aufgrund der mysteriösen Umstände seines Erscheinens aber kein Risiko eingehen und hatten daher angeordnet, dass Rhett nicht geweckt werden dürfe. Er sollte von selbst wach werden – wann auch immer.

»Er trieb in der Bay?«, vermutete Zandt goldrichtig. »Das kann nicht sein, Miss Williams. Die Kollegen fanden ihn im Innenhof des Forts, begraben unter den schleimigen Überresten dieses Höllenmonsters von letzter Nacht.«

Amy dachte nach. Kann es nicht sein? Oder kann es nur nicht sein, weil wir linear denken? Rhett – der Rhett aus der Bay – hatte gesagt, er freue sich, sie wiedergefunden zu haben. Wiedergefunden. Obwohl sie sich, Amys Kenntnis nach, noch nie begegnet waren. Und er war verletzt gewesen, ziemlich schlimm sogar. Der hier auf der Pritsche wirkte optisch wie aus dem Ei gepellt.

Und dann diese Lichtsäule. Die von Fort Jay aus in den Nachthimmel gestiegen war.

»Mal angenommen«, sagte Amy langsam, »diese Dimensionsrisse funktionieren auf mehr als eine Weise – zumindest manche von ihnen. Angenommen, sie versetzen die Wirklichkeiten nicht nur von einem Ort zum anderen, sondern auch von einer Zeit zur anderen. Dann ergäbe es Sinn.«

Zandt sah sie an, als wolle er sie am liebsten ebenfalls auf eine Pritsche legen und den Medizinern überlassen. »Zeit? Wovon reden Sie da?«

»Sie haben den Riss, der äh … na ja, über mein Haus lappte, selbst gesehen, Lieutenant. Er brachte mich von einem frühen Morgen auf City Island in eine kalte Nacht in der Upper Bay. Es ist doch offensichtlich, dass dazwischen ein Zeitunterschied besteht. Der Riss hat mich nicht nur an ein neues Wo befördert, sondern auch an ein anderes Wann.«

Und ich glaube, ich weiß jetzt, an welches.

»Letzte Nacht, als hier dieses Ungeheuer tobte, war da zufällig auch ein Licht über Fort Jay? Kam da zufällig die Küstenwache mit einem Affentempo per Boot hier herüber, um nach dem Rechten zu sehen?«

Zandt nickte.

»Um wie viel Uhr?«

»So kurz nach Mitternacht«, antwortete er widerwillig. Dann beschrieb er ihr, was die Coast Guard über die vergangene Nacht berichtet hatte. Von eigenartigen Messungen auf Wetter- und Radarinstrumenten und von Officers, die auszogen, ein Rätsel zu ergründen – und am nächsten Morgen nur noch matschige, auf Boden und an Wänden klebende organische Überreste waren.