Professor Zamorra 1075 - Simon Borner - E-Book

Professor Zamorra 1075 E-Book

Simon Borner

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Beschreibung

Ergib dich, hallte der sonore Bass des Mächtigen hinter Zamorras Stirn und über der Ebene wider.

Ergib dich und akzeptiere. Nichts kann mich aufhalten.

Zamorra schwankte. Er hob die Arme wie ein Boxer, der den Gong zur nächsten Runde hört. "Da ...", keuchte er, den Blick auf die Ebene gerichtet und trotz aller Schwäche den Anflug eines Lächelns in den Mundwinkeln, "da kennst du mich aber schlecht!"

Der Kampf ging weiter.

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Inhalt

Cover

Impressum

Nacht der Engel

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Blaithiel / Rainer Kalwitz

Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-1631-5

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Nacht der Engel

von Simon Borner

Ergib dich, hallte der sonore Bass des Mächtigen hinter Zamorras Stirn und über der Ebene wider.Ergib dich und akzeptiere. Nichts kann mich aufhalten.

Zamorra schwankte. Er hob die Arme wie ein Boxer, der den Gong zur nächsten Runde hört. »Da …«, keuchte er, den Blick auf die Ebene gerichtet und trotz aller Schwäche den Anflug eines Lächelns in den Mundwinkeln, »da kennst du mich aber schlecht!«

Der Kampf ging weiter.

Jedes Land bekommt den Zirkus, den es verdient. Spanien hat Stierkämpfe, Italien die Kirche, und Amerika hat Hollywood.

Erica Jong

Prolog Requiem für einen Riesen

Als er die Hand zum Mund führte, wurde sie feucht. Blut, warm und dunkelrot, tropfte auf ihren Rücken. Erst dann schmeckte er es auch auf der Zunge. Er keuchte.

Was denkst du dir? Was maßt du dir an, dich mir in den Weg stellen zu wollen?

Zamorra kniff die Augenlider zusammen, so schmerzhaft hallten die Fragen des Mächtigen in seinem Geist wider. Wie immer, seit dieser bizarre, scheinbar endlose Kampf begonnen hatte, schien seine Stimme von überall gleichzeitig zu kommen, und dennoch fühlte es sich an, als existiere sie einzig und allein im Schädel des Dämonenjägers.

Du kannst mich nicht aufhalten. Niemand kann das. Ich bin LEGION, und was ich will, das nehme ich mir.

»Ach ja?«, drang ein heiseres Flüstern über Zamorras blutige Lippen. »Das we-werden wir sehen.«

Es kostete ihn unendliche Mühe, sich einmal mehr am staubtrockenen Boden aufzustützen und auf die Beine zu kommen. Die Anstrengung lief allem zuwider, wonach sein geschundener Körper verlangte, und für einen erschreckenden, endlos scheinenden Moment übermannte ihn der Schwindel. Zamorra torkelte, die Arme stabilisierend ausgestreckt, bekam sich aber schnell wieder unter Kontrolle. Ein kühler Wind war aufgekommen, wehte von den fernen, nächtlichen Hügeln herüber, brachte den Sand zum Tanzen und trocknete den Schweiß auf dem Gesicht des Professors. Er tat gut und belebte ihn.

Zitternd vor Anstrengung, und doch beruhigt ob der Tatsache, noch immer auf eigenen Beinen stehen zu können, strich sich Zamorra einige Sandflecken von der Hose. Die Geste sollte lässig wirken, den Gegner irritieren und einen Hauch von Normalität transportieren, der zur Situation längst nicht mehr passte. Aber sie gab auch Selbstvertrauen zurück. Zamorra nahm es dankbar entgegen.

»Wie …«, krächzte er los, musste aber sofort hustend abbrechen. Dann spuckte er aus und einen dunkelroten Fleck auf den ausgedörrten Grund. »Wie lange soll dieses Spielchen hier …« Einatmen. Nicht das Atmen vergessen. »… eigentlich noch dauern, he?«

Die Berge schwiegen. Auch der Sand ließ sich nicht in die Karten blicken. Das sternenübersäte Firmament über der kargen Ebene – Sternenkonstellationen, wie Zamorra sie nie zuvor gesehen hatte und die sich verändert zu haben schienen, wann immer er zu ihnen aufblickte – gab keinerlei Anzeichen, zur Antwort auf seine Frage ansetzen zu wollen.

»Denn eines muss sogar dir inzwischen klar geworden sein«, fuhr Zamorra fort. »An mir kommst du nicht vorbei. Niemals.«

In seinen Ohren schienen die Niagarafälle zu rauschen, und ihm war, als stünde jeder einzelne Muskel seines Körpers kurz vor der spontanen Selbstentzündung, aber das war unwichtig. Er stand. Noch immer. Nichts anderes zählte.

Nichts anderes durfte zählen.

Dann öffnete sich der Boden unter seinen Füßen!

Merlins Stern, das magische Schutzamulett an seiner Brust, reagierte sofort und bildete eine Hülle von grünlicher, wabernder Energie, die ihren Träger wie eine zweite Haut umschmiegte. Nichts Schwarzmagisches vermochte diese Barriere zu durchdringen, solange der Amulettträger die Kraft besaß, sie aufrechtzuerhalten.

Fast nichts …

Und Kraft war das, woran es Zamorra derzeit am meisten mangelte. Der Schutzschild hatte dafür gesorgt, dass er zwei Sekunden Zeit hatte – und mehr brauchte es nicht. Das Unausweichliche erwartend, hatte Zamorra diese zwei Sekunden genutzt, sich blitzschnell nach rechts fallen zu lassen und die Arme auszustrecken. Nun zahlte sich seine schnellen Reflexe aus. Kaum war die Energiehülle fort, bekamen seine Finger den bröckeligen Rand des Kraters zu fassen, der binnen eines einzigen Augenblicks unter ihm entstanden war. Zamorras Leib drohte ins Dunkel zu stürzen, doch seine Hände packten den Boden und hielten sich fest.

Die Anstrengung überstieg alles, was menschenmöglich zu sein schien. Zamorra war, als würden ihm die Sinne schwinden, als der Schmerz in seinen Armen ihn durchzuckte. Übelkeit stieg in ihm auf, und nur der harte Schlag, mit dem er gegen die Kraterwand prallte, und der ihm – so absurd das klang – den Fokus wiedergab, verhinderte Schlimmeres.

Schnell!, dachte Zamorra. Schnell!

Denn der Krater wuchs und wuchs. Zamorra spürte es. Wenige Sekunden noch, dann würde auch der bröckelige Rand, an den er sich klammerte, Geschichte sein. Keuchend winkelte der Meister des Übersinnlichen die Beine an, stemmte die Schuhsolen gegen das Erdreich und gab seinen Armmuskeln gleichzeitig den Befehl, zu ziehen wie der Teufel.

Das Unmögliche gelang. In einem Tempo, das den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit Hohn zu sprechen schien, hangelte sich Zamorra aus der unheimlichen Falle heraus, die sein Gegner ihm als Grab zugedacht hatte, schwang sich zurück auf festen Untergrund und stemmte sich ächzend hoch. Er musste weiter, er durfte nicht ruhen! Wo er jetzt stöhnend ausharrte und nach Kraftreserven suchte, mochte schon gleich kein Boden mehr sein, der ihn trug.

Ergib dich, hallte der sonore Bass des Mächtigen hinter seiner Stirn und über der Ebene wider, übertönte sogar das Rauschen, mit dem das trockene Erdreich in den Krater fiel. Ergib dich und akzeptiere. Nichts kann mich aufhalten.

Zamorra schwankte. Er hob die Arme wie ein Boxer, dem der Gong zur nächsten Runde ertönt. »Da …«, keuchte er, den Blick auf die Ebene gerichtet und trotz aller Schwäche den Anflug eines Lächelns in den Mundwinkeln, »da kennst du mich aber schlecht.«

Der Kampf ging weiter.

Kapitel 1 Los Angelinos

Wenige Tage zuvor

Sie nannten sie die Stadt der Engel, doch für Alain Voleurrouge haftete diesem Los Angeles absolut nichts Himmlisches an. Wohin er auch blickte, sah er Armut, Dreck und menschliches Elend zwischen protzigen Fassaden. Glitzernder Tand, der nur auf den ersten Blick über den maroden Zustand namens Wahrheit hinwegtäuschte.

Doch hier, wo Träume zu Geld gemacht wurden, zählte allein der erste Blick.

Das Moonlight Diner lag an einer dicht befahrenen Straße, irgendwo im Westen der grenzenlos anmutenden Stadt, deren Ecken und Viertel sich in der Nacht doch glichen wie ein Ei dem anderen. Seit Stunden schon saß Alain allein an seinem kleinen Plastiktisch, auf seiner kleinen, mit Plastik überzogenen Mini-Couch, und trank bitteren Kaffee aus Plastikbechern. Er schmeckte nutzlos und haltlos, genau wie das Plastik, das ihn umgab.

Doch Alain war nicht des Kaffees wegen hier, sondern wegen der Aussicht.

Sein Tisch stand am hinteren Ende der langen Fensterfront, die zur Straße hinausging. Um diese späte Stunde hatte der rund um die Uhr geöffnete Diner nur noch wenig Kundschaft aufzuweisen – und die Wenigen waren eher von der schrägeren, geistig verwirrten Sorte; Kinder der Nacht, haltlos wie der Kaffee –, und niemand schenkte dem attraktiven Franzosen groß Beachtung. Genauso wollte Alain es.

Seine Aufmerksamkeit galt dem Gebäudekomplex auf der gegenüberliegenden Straßenseite, und von seinem Ecktisch im Moonlight Diner aus hatte er darauf perfekte Sicht.

Zwei Uhr vierundfünfzig, notierte Alain sich nach einem Blick auf sein Handy. Der kleine Block, der vor ihm lag, war bereits stattlich gefüllt. Nachtwächter noch immer auf Position in Wachhäuschen.

Das war zu erwarten gewesen. Vor drei Uhr begann der stets zerknittert wirkende Typ dort drüben nie mit seiner nächtlichen Kontrollrunde. Alain beobachtete ihn schon seit fünf Nächten. Mittlerweile glaubte er, die Routinen des anderen Mannes besser zu kennen als seine eigenen. So musste es auch sein. Ein guter Einbrecher wusste nicht nur, was er wollte. Ein guter Einbrecher wusste, wie die Gegenseite versuchen würde, ihm seinen Willen vorzuenthalten.

Ein leises Rascheln ließ Alain aus seinen Beobachtungen auffahren. Eine alte Frau hatte gegenüber von ihm Platz genommen und sich ungefragt an seinen Tisch im Diner gesetzt. Ihr Alter schien sich biblischen Vorbildern zu nähern. Ihr Haar war schneeweiß, ihr Gesicht faltig und eingefallen. Knotige Hände mit Fingern, dünn wie Hühnchenknochen. Doch es lag Stolz in ihrer Körpersprache, in den straffen Schultern und dem geraden Blick, mit dem sie Alain aus hellblauen Augen musterte. Sie trug Schwarz: ein schwarzes, knöchellanges Kleid, einen schwarzen Schal, sogar einen schwarzen Schleier, den sie erst jetzt, da Alain sie bemerkt hatte, für ihn zurückschlug. Sie wirkte wie ein Geist.

»Tun Sie es nicht«, sagte die Frau. Ihre Stimme war brüchig, ihr Tonfall fest.

Alain runzelte die Stirn. »Wie bitte?« Er bemühte sich, seinen französischen Akzent besonders zu betonen. Die Kinder der Nacht ließen einen schneller in Ruhe, wenn sie glaubten, man verstünde sie nicht.

Die Alte sah kurz auf seinen Block, den Alain mit den Händen bedeckte, dann wieder in sein Gesicht. »Ihr Vorhaben. Lassen Sie es sein. Sie machen sich nur unglücklich.«

Der jugendlich wirkende Einbrecher schaute sich um. Die Bedienung – ein junges Blondchen mit großer Oberweite und null Verstand – polierte Gläser hinter dem Tresen; die zwei übrigen Gäste saßen allein an ihren Tischen am anderen Ende des Gastraumes und kämpften mit ihren ganz eigenen Dämonen: Einer murmelte still vor sich hin, der andere zuckte alle paar Sekunden spastisch. Nachts um drei traf sich der Bodensatz im Mondlicht.

Niemand scherte sich um Alain und die Alte. Und niemand würde sich um sie scheren, niemand die verrückte Frau von dem schweigsamen Kaffeetrinker trennen. Alain erkannte, dass Eigeninitiative gefragt war.

»Ich glaube, Sie verwechseln mich«, sagte er mit dem Anflug eines höflichen Lächelns, dann sah er wieder aus dem Fenster, als wolle er signalisieren, dass er das Gespräch damit für beendet hielt.

Die Alte sah das anders. »Sie sind er«, sagte sie, streckte die Hände vor und umfasste Alains. Ihre Haut war kalt wie der Nachtwind am Pol. »Der, der nach ihr sucht. Der, der sie nicht aufgeben kann. Der, der noch Hoffnung hat.«

Das saß! Nun war Alain es, der zusammenzuckte. So absurd die Situation auch war, so sehr trafen die Worte der zweifellos geistig umnachteten Alten ins Ziel. »Wovon reden Sie?«, fragte er.

Sein Gegenüber beugte sich vor. »Von ihr, Sie Narr. Nur von ihr. Von der Schönen des Ostens.«

Alain keuchte auf. Ruckartig entriss er der Fremden seine Hände, presste sich den kleinen Notizblock an die Brust. Seine Augen wurden groß, und für einen kurzen Moment lief ihm ein eisiger Schauer über den Rücken. »Des Ostens?«, wiederholte er perplex. »Sie meinen …? Meinen Sie etwa …?«

Es war vollkommen unmöglich. Das wusste er genau. Die Alte war geistig verwirrt, weiter nichts. Sie brabbelte vor sich hin, ähnlich wie der Mann hinten am Tisch. Nur brabbelte sie eben zu ihm und nicht zu sich selbst. Und durch puren Zufall – und aufgrund seiner überreizten Nerven – hatten einige ihrer Worte für ihn eine echte Bedeutung.

Die Alte nickte. »Genau die, junger Mann«, raunte sie im Verschwörerton. »Genau die meine ich.«

Alain schmunzelte leicht, während sich sein Puls langsam beruhigte. »Ich verstehe. Und ich danke Ihnen für Ihre Warnung. Guten Tag.«

Dieses Mal begriff sie den subtilen Hinweis. Ächzend erhob sich die Alte, und abermals raschelte ihr schwarzes Kleid. Es war spitzenbesetzt und hatte einen nahezu seidigen Glanz. Vor einer gefühlten Ewigkeit und in einer stilvolleren Welt als der Gegenwart hätte es als schick gegolten, fast schon als edel.

Am Ende des Tisches blieb sie stehen, den Blick auf Alain gerichtet. Fast schon bedauernd. »Sie verstehen nicht«, sagte sie leise, und tatsächlich klang Mitleid in ihrem Ton durch. »Aber Sie werden verstehen. Schon sehr bald. Doch dann wird es zu spät sein. Dann werden Sie das Unglück bereits über sich gebracht haben, vor dem ich Sie bewahren will. Sie werden es über sich gebracht haben – und über uns alle.« Wieder ergriff sie seine Hände. Ihre Reflexe waren so schnell wie die eines Tigers auf der Jagd. »Ich beschwöre Sie, Alain: Tun Sie es nicht!«

»W-woher kennen Sie meinen Namen?«, stammelte er, nun wirklich entsetzt.

Die Alte schwieg. Sie ließ von ihm ab, zog sich den herrlich altmodischen schwarzen Spitzenschleier wieder vor das Gesicht und ging.

»He … He!«, rief er ihr nach. »He, Madame. Wo-woher kennen Sie meinen Namen?«

Doch sie drehte sich nicht um. Nicht einmal, als er aufstand und ihr nachzueilen versuchte.

Der Versuch scheiterte an der vollbusigen Blonden. Sie trat Alain nämlich just in diesem Moment entschlossen in den Weg, einen Teller dampfenden Rühreis, eine kleine Flasche Ketchup und einige Toastbrotscheiben mit Butter in den Händen. »Nur die Ruhe, Süßer«, säuselte sie und mühte sich ganz offenkundig, dem attraktiven späten Gast körperlich so nah zu kommen, wie es die Regeln des Anstands gerade noch erlaubten. »Alles wird gut.«

Er trat zur Seite. »Nein, Sie verstehen nicht. Ich muss zu dieser Frau und …«

»Is nich, Süßer«, sagte das Busenwunder mit ehrlichem Bedauern im übertrieben bemutternden Tonfall. »Kannste leider nich. Aber du hast ja mich, nich wahr? Und du hast die hier.« Sie hielt ihm den Teller entgegen, als wäre damit alles gesagt.

Die Alte verließ gerade den Diner. Alain trat zur anderen Seite, versuchte erneut an der Bedienung vorbeizukommen, doch sie hielt ihn geschickter auf als ein Torwart einen gegnerischen Ball.

»Mh-hm«, machte sie tadelnd und schüttelte den Kopf. »Ich darf dich nicht weglassen, Süßer. Erst, wenn du aufgegessen hast.«

Nun sah er sie an. Fassungslos. Angewidert ob so viel Irrsinns. »Was?«

»Claire hat’s mir genauso aufgetragen«, erklärte sich die Blonde. »Wenn Sie mit dir fertig is, hat sie gesagt, soll ich dir die Eier bringen. Und dich erst gehen lassen, wenn du sie gegessen hast. Sie meinte, du bräuchtest heute Nacht alle Energie, die du bekommen kannst.« Sie lächelte glücklich. »Is doch spitze von ihr, findste nich? Claire is echt ’ne Nette. Okay, sie hat ein paar Schrauben locker, aber ich garantiere dir, das haben alle, die um die Zeit noch hier auftauchen.« Sie bremste sich. Ihr Blick wanderte bewundernd an ihm auf und ab. »Alle außer dir, meine ich. Du … Nee, Süßer, du bist echt was Anderes.«

Die Alte war nirgends mehr zu sehen, aus dem Sichtfeld der Fenster verschwunden. Alain ließ sich seufzend wieder auf sein Plastiksofa sinken. »Sie kennen diese Frau?«, fragte er.

Die Blonde – das an ihrer viel zu engen Bluse angepinnte Namensschild identifizierte sie als Jazzie, was in Alains Englischverständnis weder ein Name noch ein Wort war – stellte Eier, Brot und Ketchup vor ihn auf den Tisch. »Claire? Oh, klar. Jeder hier kennt Claire. Die war mal ein Star. Ein echter, großer Filmstar.«

»Muss lange her sein«, brummte er.

»Is es.« Jazzie nickte. »Gibt nich mehr viele von Claires Sorte hier. Das alte Hollywood stirbt aus, weißte? Die Zeit von Glanz und Glamour. Als Stars noch echte Stars waren und keine PR-Maschinen wie heute.«

»Und wo finde ich diese Claire?«

Jazzie hob die dünn gezupften Brauen. »Finden? Süßer, die kannst du nich finden. Dafür stehe ich ja hier. Claire will nich gefunden werden. Die taucht paar Mal die Woche hier auf. Und manchmal redet sie mit anderen Gästen. Wenn sie glaubt, ihnen was mitteilen zu können. Was, das die anderen wissen müssen. Und sobald sie’s ihnen gesagt hat, verschwindet sie wieder.«

»Und schickt dich, um etwaige Verfolger auszubremsen? Mit Rührei?«

Sie lächelte wieder. »Manchmal auch mit Scotch. Oder mit ’nem Burger. Je nachdem, was zu dem jeweiligen Verfolger passt. Claire bestellt da immer sehr individuell.«

Alain schüttelte den Kopf. Hilflos und frustriert. Selten zuvor hatte er sich derart allein gefühlt – und das besagte einiges, besah man sich seine aktuelle Situation. »Sie kannte meinen Namen!«, betonte er.

Jazzie schien nicht überrascht. »Das glaub ich gern. Claire ist so. Die weiß oft Sachen über andere, die die selbst nich wissen. Is so ’ne Gabe von ihr. Ich kenne viele, die ihr das nich glauben, aber ich? Ich glaub dran. An Hellsehen und das ganze Zeug. Warum soll’s das nich geben?« Sie deutete auf den Teller. »Also: Wenn du mich fragst, Süßer, dann machst du das, was Claire dir gesagt hat. Das hat sie nämlich nicht ohne Grund. So viel is sicher.« Wieder das Lächeln. »Und falls du um fünf noch immer hier sitzt und auf die Straße stierst … Na ja … Ich hab um fünf Feierabend und wohne nur drei Blocks von hier …«

***

Er hatte um fünf nicht mehr dort gesessen. Aus diversen Gründen, die längst nicht alle mit der Blonden zu tun gehabt hatten. Und er war auch nie mehr ins Moonlight Diner