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Psalmen sind die beliebtesten Bibeltexte weit über ihren kirchlichen Gebrauch hinaus. Sie inspirieren zeitgenössische Dichter wie Arnold Stadler oder SAID zu eigenen poetischen Neuschöpfungen und Nachdichtungen. Dieser Band bringt als deutsche Erstausgabe die 150 biblischen Psalmen in der Übertragung durch den holländischen Priester-Poeten Huub Oosterhuis. Er hat fast ein Leben lang an diesem Buch geschrieben, es ist die reifste Frucht seiner Dichtkunst und Spiritualität. Wie kein anderer hat Huub Oosterhuis biblische und zeitgenössische Sprache miteinander verschmolzen und gilt auch im deutschen Sprachraum als der bedeutendste spirituelle Dichter der Gegenwart.
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Seitenzahl: 157
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Huub Oosterhuis
Psalmen
Aus dem Niederländischen übersetzt von Annette Rothenberg-Joerges und Hanns Keßler
Zur Übersetzung:
Die Psalmen 1–60 und 130A–150 hat Annette Rothenberg-Joerges, die Psalmen 61–130 Hanns Keßler aus dem Niederländischen übersetzt.
Der Dank von Verlag und Übersetzern geht an Kees Kok, Amsterdam, der mit Sachkompetenz und Einfühlungsvermögen das Übersetzungsprojekt konstruktiv begleitet hat.
Titel der Originalausgabe:
150 psalmen vrij
© 2011 Kok ten Have Publishers, NL
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: agentur IDee
Umschlagmotiv: © shutterstock
Gesamtgestaltung: SatzWeise, Föhren
E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN (E-Book) 978-3-451-80163-1
ISBN (Buch) 978-3-451-32364-5
»Gott ist Freund,
wir sind fremd«
Meister Eckhart (12. Jh.)
Freund für das Leben
Psalm 118
Inhalt
Wort zum Geleit
1 Gut ist
2 Hört, Despoten aller Zeiten
3 Weißt du
4 Hör mich, sei nicht Totenstille
5 Hör, wie ich seufze, schreie, murmele
6 Sei nicht wütend, du
7 Als sie mich beinahe hatten, meine Verfolger
8 Unmöglicher Name, unnennbar, wer?
9 Loben und preisen, »Ehre sei Gott«
10 Sieh diese Erde
11 Vögelchen, flieh in die Berge
12 Unbestechliche Worte, wo seid ihr?
13 Wie lang noch mich vergessen, mich –
14Der Tor spricht in seinem Herzen
15 Wer darf
16
1 Hörst du mich?
2 Gelesen hab ich, was geschrieben steht
17 Hör meine bittere Wahrheit
18 Ihn hab ich lieb, meinen Fels, mein Entkommen
19 Hoch am Himmel
20 Möge der Eine, Ich-werde
21
1 Gottes auserkorener König
2 Ich lese und lese dieses Lied
22 Gott, mein Gott, warum
23 (Niederländisch) Jij mihn herder?
23 Du mein Hirte? Nichts würde mir fehlen
24 Von wem ist die Erde? Von Gott
25 Zu dir, Lebendiger
26 Sprich Recht, nach Wahrheit
27 Du, mein Licht und Befreiung
28 Felsmassiv, unbegehbar
29 Obergötter, beugt euch tief
30 Der Abend kommt mit Trübsal
31 Zu dir hin flüchte ich
32 Glücklich ist ein Mensch
33 Liebe beginnt mit Singen
34Ein Lied, gesungen, als ich tat, als wäre ich verrückt
35 Hier steh ich, angeklagt. Im Stockdunkel
36 Der Schänder – Herz voller Hohn
37 Stille vor Ihm
38 Sagen, dass ich dich nie gekannt habe
39 Ich sagte mir: Überwache deine Worte
40 Ich hoffte, dass Ich-werde kommen würde
41 Vor mir stand eine Arme in Lumpen
42
1 So wie ein Hirsch schmachtet nach lebendem Wasser
2 Ich werde meinen Mund nicht halten
3 So wie ein Hirsch
43 Bist du Gott, dann tu mir Recht
44 Grauenhaft die Zeit, in der wir leben
45 Mein Herz ist in Aufruhr
46 Gott unsere Zuflucht und Kraft
47 Alles Verbundene und alle beseelten Verbände
48 Gott-Ich-werde, der Kommende
49 Hört, ihr Völker
50 Gott
51 Schrubb den Schmutz von mir ab
52 Verleumden
53 Der Schonungslose, niemand Erkennende
54 Gestern Nacht
55 An festen Sitten und Zeiten hängend
56 Menschen laufen über mich her
57 Ich suche bei dir Zuflucht für meine Seele
58 Richter, die lügen
59 Ja, ich habe Hasser, die mich hassen
60 Du hast uns verworfen
61 Hörst du mich schreien
62 Sei still, meine Seele, sei bei Gott
63 Zu dir steh ich auf am Morgen
64 Die Unparteiischen
65 Stille nun. Für dich
66 Bläser blasen dir zur Ehre
67 Er segne uns gnädig
68 Gott ist aufgestanden
69 Rette mich, Gott
70
1 Streck die Hand nach mir aus
2 Ein Schoß des Erbarmens ist unser Gott
71 Ich sitze mauerfest
72 Es sollte im Namen Gottes
73 Gott ist gut zu mir gewesen
74 Hast du deine Menschen verworfen?
75 Du bist ein ehrlicher Gott
76 Ich bin nicht von nirgendwo, ich komme
77 Die Stimme habe ich verloren
78 Hier bin ich, Menschen, euer Dichter
79 Hier wohnen wir schon ewig
80 Hirte der ganzen Erde, höre
81 Ich werde an den Haaren gezogen
82 Im Sitzungssaal der Götter
83 Schweige nicht
84 Das prachtvolle Haus
85 Du hast dein Land begnadet
86 Arm und elend bin ich
87 Er will bei Menschen sein
88
1 Hörst du mein Geschrei
2 Ich schreie des Tags, mein Gott
89 Du warst – du bist – du wirst sein
90 Eine sichere Zuflucht bist du
91 Wer wohnt unter der Obhut von …
92 Deinen Namen nennen ist Glück
93 Kein König unser Gott
94 Gott der Rache, erscheine
95 Der Fels unsrer Rettung
96 (Niederländisch) Zingen, heel de aarde
96 Die ganze Erde
97 Gott ist Er allein
98 Genug gesungen für Ihn
99 König werden – wer will das?
100 Ich-werde ist der Gott
101 Und wieder singen
102 Sie bitten nicht, sie kreischen
103
1 Dauern wird die Liebe Gottes
2 Du bist du
104 Du, der hoch wohnt! Also muss ich klettern
105 Ich werde an den Ohren gepackt
106 Was geschrieben steht, wird an uns erfüllt
107 »Dank sei Ihm. Er ist gut.«
108 Aufgestanden ist mein Herz
109 Schweig nicht, Gott meines Liedes
110 Wort von Gott-ich-werde
111 An deinen Taten, Gott-ich-werde
112 Du wolltest glücklich sein
113 So hoch du thronst in den Himmeln
114 Als Israel auszog aus Angstland
115 Das ist die Frage: Wo ist Gott?
116 Ich habe dich lieb
117 Gesegnet du
118 Dank sei Ihm, Er ist gut
119
1 Glücklich alle, die deine Wege gehen
2 Du willst, junger Mensch, einen reinen Weg?
3 Dein Diener bin ich, lass mich leben
4 Meine Seele klebt am Staub
5 Mach mir deutlich, worauf du hinauswillst
6 Möge deine Freundschaft mir widerfahren
7 Gedenk deines Wortes, gesprochen zu deinem Knecht
8 Du, Lebender, du bist mein Teil des Lebens
9 Du hast mir Gutes getan, deinem Knecht
10 Deine Hände haben mich gemacht, geformt
11 Meine Seele lechzt nach Befreiung
12 Du, Lebender, für alle Zeit und ewig
13 Ich liebe sie, deine Tora
14 Dein Wort ist meines Fußes Leuchte
15 Unentschiedene Leute hasse ich
16 Recht und Gerechtigkeit hab ich geübt
17 Unsere Absprachen – Wunder sind es
18 Du, Lebender
19 Mein Herz ruft dich, du, Lebender
20 Sieh mein Elend nicht nur an
21 Könige jagten mir nach. Machte mir nichts
22 Sind meine Schreie zu dir gedrungen
120 Bist du da, rufe ich
121 Kommst du hoch von den Bergen
122 Begeistert, ja entzückt
123 So wie mein Kind von fünf
124 Wäre Er es nicht gewesen
125 Wer treu ist deinem Wort
126 Erzählung und Lied
1 Als Gott uns heimbrachte
2 Wenn Gott uns heimbringt
127 Die Bauleute plagen sich
128 Mann, Frau, hier geboren
129 Gequält von klein auf
130 Aus der Tiefe rufe ich dich
130 A Aus der Tiefe, dich vergessen
131 Du
132 Ich werde in meinem Haus nicht wohnen
133 Allein geht auch
134 In deinem Dienst
135 Lobgesang für dich
136 Segen und Dank, du bist gut
137 An den Strömen von Babel-Verwirrung
138 Mein Herz eine Harfe, eine Geige
139 Du ergründest mein Herz, du durchschaust mich
139 A Kennst du mich? Wen kennst du dann?
140 Rette mich
141 Die Sache eilt
142 Rufen. Schreien ist es
143 Fordere mich nicht. Frag nichts
144 Gesegnet der Fels, der mein Gott ist
145 Jeden Tag, alle Tage
146 Lass mich nur singen, solang ich noch kann
147 Fällt deine Stadt in Schutt
148 Ich preise dich glücklich
149
1»Sing ein neues Lied für Ihn«
2 Der mich trug
150 (Niederländisch) Eeuwige hier nu
150 Ewiger hier nun
Anmerkungen
Spröde, maßlose Texte sind es. Voller Abgrund und siebtem Himmel.
»Nichts soll mir fehlen – lass es so bleiben, dieses Glück.« Aber auch: »Warum hast du mich verlassen?« Fassungslos darüber, was Menschen einander antun, »foltern, drauflosschlagen, enthaupten«. Aber sie wissen auch: »Eine düstere Sache ist die Welt, doch es gibt Menschen aus Licht.« Sie fluchen gegen Unrechttäter, Menschenverschlinger, Schufte und Schänder: Rette die, die keine Verteidigung haben! Aber auch: »In deine Hände befehl ich meinen Geist« und: »Du wirst die Seele deiner Taube nicht den wilden Tieren überlassen.«
Den unaussprechlichen Namen JHWH, nach der Tradition der Synagoge ausgesprochen als Adonai, Herr, habe ich umschrieben mit »Ich-werde-da-sein-wie-ich-bin«.
Die Psalmen sind Lieder aus dem biblischen Auszugbericht, über Befreiung aus Sklaverei und Demütigung, aus Angst und Leere. Über Hoffnung auf »ein gutes, weites Land«, eine bessere Welt. Diese Große Erzählung, die noch immer besteht und Widerklang findet; und manchmal, nach bitterer Ratlosigkeit und viel Streit in Erfüllung geht, hier und da, in Menschen, in kleinen und großen Projekten – du weißt nicht, wobei du gerade mitmachst, und du singst mit Psalm 23:
»Lass es so bleiben, dieses Glück, diese Gnade, all meine Lebenstage.«
Gut ist,
dass du nicht tust, was schlecht ist,
nicht hinter Schwindlern herläufst,
nicht mit Schuft und Schänder heulst,
nicht mit den Schultern zuckst –
»Schuft und Schänder, ach,
so ist die Welt.«
Gut ist,
dass du gute Worte überdenkst und willst:
Hab den Nächsten lieb, der ist wie du,
dem Flüchtling, dem Armen schaffe Recht.
Präg sie in das Herz deines Verstandes,
diese Worte,
sprich sie vor dich hin,
gesegnet bist du,
ein Baum, gepflanzt an strömendem Wasser.
Früchte wirst du tragen,
Blätter welken nicht,
es wird dir gut gehen.
Schwindler,
ohne Segen wirst du sein.
Ein Sturm zieht auf,
du wirst verwehen ins Nichts.
Hört, Despoten aller Zeiten
und eure Trabanten:
Warum rast und tobst du,
ganze Völker geißelnd?
Möge es weltweit klingen, dieses Lied,
gegen eure Furien des Unrechts,
gegen euren zynischen Hohn und Verachtung,
für das Menschenkind und seinen Gott.
Der Gott dieses Menschenkindes
schaudert und weint in seinem Himmel.
Dann brüllt Er, schüttelt seine Mähne
und springt – unsichtbar vor Licht
steigt Er in ein Menschenherz hinab:
Du, mein Hirte, mein Löwe,
du sollst meine Lämmer weiden,
ihre Wunden waschen und salben,
um mein Weltall zu hüten,
habe ich dich heute erweckt.
Mag es ein Zimmermannssohn,
ein Zöllner, ein Zeltmacher sein,
eine Königin
oder eine Putzfrau,
denen Er seine Leidenschaft einhaucht,
seine zarte Kraft des Erbarmens.
Sie sind voller Furcht. Doch sie gehen –
ihr Weg ist die ganze Erde
bis überall, wo noch höchste Mächte
Menschen zerschlagen wie irdene Krüge.
Weh euch, Trabanten, bestechliche Richter,
weh euch, Despoten, seid gewarnt.
Was für eine Welt wollt ihr
für eure Kinder – diese?
Weißt du,
wie viele es sind,
die mir nachjagen?
Sie sagen über meine Seele:
Sie wird es nicht schaffen,
auch mit ihrem Gott nicht.
Du, mein Schild, sei gesegnet.
Ich habe mein Haupt wieder erhoben,
erheb meine Stimme zu dir.
Und du antwortest mir
von höchsten Höhen, wo du bist,
von deinem heiligen Berg.
Ich hatte mich niedergelegt und geschlafen,
erwacht bin ich in deinen Armen.
Tausend, Zehntausend rings um mich her –
ich fürchte mich nicht, nicht mehr,
mag kommen, was kommt.
Erhebe dich, sei Gott-Befreier –
Bösewichtern brich ihre Zähne,
du, der du deine Gemeinde segnest.
Hör mich, sei nicht Totenstille.
Gib mir Antwort, wenn ich rufe.
Aus meinem Abgrund hör mich rufen:
Gib mir Raum, weit wie der Himmel.
Mensch, wie lang noch hältst du fest an
Schein und Schicksal? Komm zur Einkehr.
Er gibt Antwort, wenn du rufst.
Er schenkt Raum, weit wie der Himmel.
Also hör mich. Komm zum Vorschein.
Nicht umsonst ruf ich zu dir.
Um eine neue Erde schrei ich
wie eine Frau in ihren Wehen.
Werde ich je noch sicher wohnen,
schlafen in einem Traum des Friedens?
Ja, das werde ich – gib mir Antwort.
Hör mich. Sei nicht Totenstille.
Hör, wie ich seufze, schreie, murmele.
Schon morgens früh beginnt es in mir.
Meine Augen fragen: Wo bist du?
Wäre ich ein listiges Lügenmaul,
hielte ich vor deinen Blicken nicht stand,
wäre ich schlecht;
ich machte mich klein vor dir wie ein Floh.
Mörder und ihre Handlanger hasst du.
Mir machst du auf, lässt mich ein: alles
darf ich sehen, deine intimsten Räume.
Ich werde, sagst du, ich werde dich …
was? Mich leiten mit sicherer Hand.
Quer durch die Schar meiner Feinde
mit ihren fauligen Gedärmen,
ihren Kehlen, stinkende Gruben,
ihre Münder gähnende Gräber …
Pack sie, lass sie nicht entkommen,
dass sie straucheln über ihre eigenen Pläne.
Gegen dich zielt ihr Aufstand.
Hörst du mich noch? Ich hörte
Singen über dich, ein uraltes Lied,
stolz und strahlend wurde es gesungen:
Meine feste Burg ist Er.
Sei nicht wütend, du,
schlag mich nicht, Hitzkopf.
Sieh mich, ich bin ausgeblutet,
meine Gebeine sind verrenkt,
meine Kraft ist dahin,
verstört ist meine Seele.
Wo bist du, du – wie lange noch?
Entbinde mich, du würdest da sein,
und du schienst vertrauenswürdig zu sein.
Wer denkt als Toter noch an dich?
Wer kennt im Totenreich noch deinen Namen?
Ich heule mir
die Augen blind,
todmüde, starr im Nebel,
erspür meinen Feind,
schrei ohne Laut.
Da kommst du an.
Du erkanntest mein Geschrei und wusstest.
Zuschanden sollen werden
die mich belagern.
So wie geschrieben steht:
»Ich werde da sein.«
Dein Name.
Als sie mich beinahe hatten, meine Verfolger,
wurdest du meine Freistatt –
Löwen stürzten sich auf mich,
einer hatte meine Seele schon verschlungen.
Wenn ich falsch bin,
Gutes mit Bösem vergelte, einen Armen bestehle,
dann lass mich fallen,
übergebe mich dann meinem Feind,
der stampfe mich dann in den Grund.
Erhebe, empöre dich, du,
steh groß auf, versperr ihnen den Weg,
meinen Belagerern,
tu Recht.
Du, der richtet die Weltgemeinschaft,
richte auch mich.
Rette, die reinen Herzens sind, du,
untadeliger Richter.
Die Schurken wetzen ihre Schwerter,
spannen ihre Bogen und legen an –
Feuerblitze schießen sie ab, Todespfeile.
In Zerstörung schwelgend, schwanger von Unheil,
gebären sie Wahnsinn, graben ihren eigenen Abgrund,
fallen, stürzen zu Boden.
All ihre Schläge erhalten sie zurück –
ach ihr eingeschlagenen Schädel.
Gesegnet seist du um deiner Gerechtigkeit willen,
ich sing deinen Namen bis in den Himmel.
Unmöglicher Name, unnennbar, wer?
Tief oder hoch, in welchem Erdenwinkel, wer?
Himmel, majestätischer Mantel,
funkelnde Myriaden –
wer?
Der aus dem Mund von Kindern
eine Kraft aufbaut, eine Burg aus Liedern,
wo sie ihren Schändern entkommen,
der.
Wenn ich den Himmel anschau,
Mond, Sonne, Sterne dort geformt:
Wer sind wir dann,
dass an uns gedacht werden sollte,
Mensch, wer bist du, dass du gewusst wirst?
Göttertöchter sind wir und -söhne,
gekrönt mit unsichtbaren Kronen,
in verfeinerte Körper gekleidet.
Und die ganze Erde ausgelegt zu unseren Füßen,
bis in die fernsten Fernen,
dass wir sie behüten.
Herden von Schafen, Mengen von Vieh
mit den Tieren der Wildnis zusammen,
Vögel entlang der Himmelsbahnen,
Fische, flitzend entlang der Meerespfade.
Unmöglicher Name, unnennbar du,
wer du,
tief oder hoch, in welchem Erdenwinkel, du,
wer du?
Loben und preisen, »Ehre sei Gott«,
danken, bewundern, singen.
Ich lache dir zu, verliebt und verlegen,
dein Name ist: Einziger Wahrer.
Feinde sind in die Flucht geschlagen,
strauchelten, fielen der Länge nach hin,
konnten nicht ertragen deinen Anblick,
unbestechlicher Richter, du,
der mein Verfahren schlichtete, mich freisprach –
du entlarvst die Schlächter.
Fegst ihre Namen weg für immer …
ihre Städte – wer weiß, wo sie lagen?
Von nun an sitzt du für immer und ewig
auf dem Stuhl des Rechts?
Jetzt wirst du die Welt richten,
Gott-Ich-werde, gerecht und gnädig?
Der Zertretene findet von nun an
einen sicheren Anker in Stunden des Todes?
Wen du suchst, der wird gefunden?
So wie die Psalmen es singen:
»Dass du das Schreien hörst
deiner verworfenen Menschen,
dass du hörst das Schreien
ihres vergossenen Blutes.«
Ich ersticke in meinen Fragen, heule um Antwort,
sehe die Welt – da verändert sich nichts.
Überall feiern die Schlächter ihre Feste
und singen: »Gott-Ich-werde, dich gibt es nicht.«
Trag mich weg von der Schwelle,
den Pforten des Todes,
komm meinem Unglauben zu Hilfe.
Lass es nicht bleiben, so wie es ist:
dass Millionen Tote nicht zählen.
Bring zur Vernunft, Gott-Ich-werde,
die Machthaber dieser Welt:
dass ein nichtiger Mensch über alles geht,
ein Menschlein nur.
Sieh diese Erde.
Wo bist du?
Schaust du nur aus der Ferne zu,
in Sicherheit, weit weg? Selbst ängstlich,
dass du dich so versteckst
in diesen Zeiten von Unheil und Angst?
Großer Name, »Ich-werde«,
große Erzählung – was solltest du?
Was hat ein Armer
noch zu erwarten von dir?
Schuft und Schänder jagen ihn auf,
fangen ihn, schlagen ihn nieder, treten nach:
»Gott gibt es nicht.«
Name, steh auf, bestehe.
Weißt du wohl, was es heißt,
arm, getreten zu sein,
Kind ohne Mutter, Vater?
Komm mit Händen.
Schuft und Schänder, brich sie.
Dass sie es nicht mehr wagen.
Unscheinbaren Menschen
gehört sie,
diese Erde.
Vögelchen, flieh in die Berge.
Es gibt keinen Unterschlupf mehr.
Jedermann wird auf dich schießen,
jedermann schießt auf alles.
Die Fundamente der Erde
stürzen dem Abgrund zu.
Was kann ein Mensch noch machen?
Gott, der Eine, Ich-werde,
beugt sich über die Zinnen
seiner himmlischen Türme,
über die Erde blickend
ruft Er: »Adam, wo bist du?«
Er sieht zwei Söhne einander
mit Feuer und Schwefel bekämpfen.
Er sieht auch zwei, drei, sieben
einander aufhelfen und tragen.
Hundert bauen ihre Häuser wieder auf,
tausend pflanzen Zedern und Eichen.
Gott, der Eine, Ich-werde,
lässt sein Angesicht über uns leuchten.
Vögelchen aus den Bergen,
such deinen Unterschlupf hier.
Unbestechliche Worte, wo seid ihr?
Verlässliche Freunde, erlegen
einem Sperrfeuer von Zungen?
Beständig ist niemand, beständig
ist nur die steinharte Lüge.
Er wird sie, die Götter der Erde,
die schielen, die schönreden, morden,
schlagen mit Stummheit die Armen,
die denken »mein Wort ist das letzte«.
Ihre Zungen ausreißen wird Er.
Er sagt: Ich trag es nicht länger,
das Wimmern von wehrlosen Kindern.
Ich weiß, was Recht ist, menschenwürdig.
Ich kenne den Abgrund der Herzen.
Ich komme, mit Feuer aus dem Himmel.
Sein Wort ist kein Wort wie von Menschen.
Es ist erkämpft, geläutert
in Verzweiflung und Zuschauenmüssen,
in Dulden, Hoffen, Vergeben.
Es wirkt. Es weicht vor keiner Welt.
Für uns, die untröstlich, wie lang noch,
nicht wissen, nicht sehen, doch glauben,
dass einst deine Wahrheit ans Licht kommt,
für uns ward dein Schriftwort geschrieben,
eine Handschrift aus Licht hoch am Himmel.
Wie lang noch mich vergessen, mich –
wegschauen, weg von mir?
Wie lang noch muss ich mir
keinen Rat wissen in meiner Seele?
Angst, Angst vor dem Todfeind,
der Tod heißt, Leere, Nichts.