Psychopolitik - Byung-Chul Han - E-Book

Psychopolitik E-Book

Byung-Chul Han

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Beschreibung

Der Philosophie-Bestseller des Jahres 2014 – vom »neuen Star der deutschen Philosophie« (El País) Nach seinem Bestseller ›Müdigkeitsgesellschaft‹ führt der Berliner Philosoph Byung-Chul Han seine Kritik am Neoliberalismus leidenschaftlich fort. Pointiert legt er die Herrschafts- und Machttechnik des neoliberalen Regimes dar, die im Gegensatz zu Foucaults Biopolitik die Psyche als Produktivkraft entdeckt. Han beschreibt die neoliberale Psychopolitik in all ihren Facetten, die in eine Krise der Freiheit führt. Im Rahmen dieser Analytik der neoliberalen Machttechnik werden darüber hinaus eine erste Theorie von Big Data und eine luzide Phänomenologie der Emotion vorgelegt. Hans neuer fulminanter Essay entwirft jedoch auch Gegenmodelle gegen die neoliberale Psychopolitik: reich an Ideen und voller Überraschungen.

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Byung-Chul Han

Psychopolitik

Neoliberalismus und die neuen Machttechniken

FISCHER E-Books

Inhalt

Protect me from what [...]Krise der FreiheitAusbeutung der FreiheitDiktatur des KapitalsDiktatur der TransparenzSmarte MachtMaulwurf und SchlangeBiopolitikFoucaults DilemmaHealing als KillingSchockDer Freundliche Big BrotherDer Kapitalismus der EmotionGamifizierungBig DataDas Ei des KolumbusDataismusQuantified SelfTotalprotokollierung des LebensDas digitale UnbewussteBig DealVergessenGeistEreignisJenseits des SubjektsIdiotismusAnmerkungen

Protect me from what I want

Jenny Holzer

Krise der Freiheit

Ausbeutung der Freiheit

Die Freiheit wird eine Episode gewesen sein. Episode heißt Zwischenstück. Das Gefühl der Freiheit stellt sich im Übergang von einer Lebensform zur anderen ein, bis sich diese selbst als Zwangsform erweist. So folgt auf die Befreiung eine neue Unterwerfung. Das ist das Schicksal des Subjekts, das wörtlich Unterworfensein bedeutet.

Wir glauben heute, dass wir kein unterworfenes Subjekt, sondern ein freies, sich immer neu entwerfendes, neu erfindendes Projekt sind. Dieser Übergang vom Subjekt zum Projekt wird vom Gefühl der Freiheit begleitet. Nun erweist sich dieses Projekt selbst als eine Zwangsfigur, sogar als eine effizientere Form der Subjektivierung und Unterwerfung. Das Ich als Projekt, das sich von äußeren Zwängen und Fremdzwängen befreit zu haben glaubt, unterwirft sich nun inneren Zwängen und Selbstzwängen in Form von Leistungs- und Optimierungszwang.

Wir leben in einer besonderen historischen Phase, in der die Freiheit selbst Zwänge hervorruft. Die Freiheit des Könnens erzeugt sogar mehr Zwänge als das disziplinarische Sollen, das Gebote und Verbote ausspricht. Das Soll hat eine Grenze. Das Kann hat dagegen keine. Grenzenlos ist daher der Zwang, der vom Können ausgeht. Wir befinden uns somit in einer paradoxen Situation. Die Freiheit ist eigentlich die Gegenfigur des Zwanges. Frei sein heißt frei von Zwängen sein. Nun erzeugt diese Freiheit, die das Gegenteil des Zwanges zu sein hat, selbst Zwänge. Die psychischen Erkrankungen wie Depression oder Burnout sind der Ausdruck einer tiefen Krise der Freiheit. Sie sind ein pathologisches Zeichen, dass heute die Freiheit vielfach in Zwang umschlägt.

Das Leistungssubjekt, das sich frei wähnt, ist in Wirklichkeit ein Knecht. Es ist insofern ein absoluter Knecht, als es ohne den Herrn sich freiwillig ausbeutet. Ihm steht kein Herr gegenüber, der ihn zur Arbeit zwingt. Es verabsolutiert das bloße Leben und arbeitet. Das bloße Leben und die Arbeit sind zwei Seiten einer Medaille. Die Gesundheit stellt das Ideal des bloßen Lebens dar. Diesem neoliberalen Knecht ist die Souveränität, ja die Freiheit jenes Herrn fremd, der Hegels Dialektik von Herr und Knecht zufolge nicht arbeitet und nur genießt. Diese Souveränität des Herrn besteht darin, dass er sich über das bloße Leben erhebt und dafür sogar den Tod in Kauf nimmt. Dieser Exzess, diese exzessive Lebens- und Genussform ist dem arbeitenden, um das bloße Leben besorgten Knecht fremd. Entgegen Hegels Annahme macht die Arbeit ihn nicht frei. Er bleibt weiterhin ein Knecht der Arbeit. Hegels Knecht zwingt auch den Herrn zur Arbeit. Hegels Dialektik von Herr und Knecht führt zur Totalisierung der Arbeit.

Das neoliberale Subjekt als Unternehmer seiner selbst ist nicht fähig zu Beziehungen zu anderen, die frei vom Zweck wären. Zwischen Unternehmern entsteht auch keine zweckfreie Freundschaft. Frei-sein bedeutet aber ursprünglich bei Freunden sein. Freiheit und Freund haben im Indogermanischen dieselbe Wurzel. Die Freiheit ist im Grunde ein Beziehungswort. Man fühlt sich wirklich frei erst in einer gelingenden Beziehung, in einem beglückenden Zusammensein mit anderen. Die totale Vereinzelung, zu der das neoliberale Regime führt, macht uns nicht wirklich frei. So stellt sich heute die Frage, ob wir die Freiheit nicht neu definieren, neu erfinden müssen, um der verhängnisvollen Dialektik der Freiheit, die diese in Zwang umschlagen lässt, zu entkommen.

Der Neoliberalismus ist ein sehr effizientes, ja intelligentes System, die Freiheit selbst auszubeuten. Ausgebeutet wird alles, was zu Praktiken und Ausdrucksformen der Freiheit gehört wie Emotion, Spiel und Kommunikation. Es ist nicht effizient, jemand gegen seinen Willen auszubeuten. Bei der Fremdausbeutung fällt die Ausbeute sehr gering aus. Erst die Ausbeutung der Freiheit erzeugt die höchste Ausbeute.

Interessanterweise definiert auch Marx die Freiheit vom gelingenden Verhältnis zum Anderen her: »Erst in der Gemeinschaft [mit Anderen hat jedes] Individuum die Mittel, seine Anlagen nach allen Seiten hin auszubilden; erst in der Gemeinschaft wird also die persönliche Freiheit möglich.«[1] Frei sein heißt demnach nichts anderes als sich miteinander realisieren. Die Freiheit ist ein Synonym für die gelingende Gemeinschaft.

Die individuelle Freiheit stellt für Marx eine List, eine Tücke des Kapitals dar. Die »freie Konkurrenz«, die auf der Idee der individuellen Freiheit beruht, ist nur die »Beziehung des Kapitals auf sich selbst als ein anderes Kapital, d.h. das reelle Verhalten des Kapitals als Kapital«.[2] Das Kapital betreibt seine Fortpflanzung, indem es sich vermittels der freien Konkurrenz auf sich selbst als ein anderes Kapital bezieht. Es kopuliert mit dem Anderen seiner selbst vermittels der individuellen Freiheit. Während man miteinander frei konkurriert, vermehrt sich das Kapital. Die individuelle Freiheit ist insofern eine Knechtschaft, als sie vom Kapital zu seiner eigenen Vermehrung vereinnahmt wird. Das Kapital beutet also die Freiheit des Individuums aus, um sich fortzupflanzen: »Nicht die Individuen sind frei gesetzt in der freien Konkurrenz, sondern das Kapital.«[3]>

Vermittels der individuellen Freiheit verwirklicht sich die Freiheit des Kapitals. Somit wird das freie Individuum zum Geschlechtsteil des Kapitals degradiert. Die individuelle Freiheit verleiht dem Kapital eine »automatische« Subjektivität, die es zu aktiver Fortpflanzung antreibt. So »wirft« es fortgesetzt »lebendige Junge«.[4] Die individuelle Freiheit, die heute eine exzessive Form annimmt, ist letzten Endes nichts anderes als der Exzess des Kapitals selbst.

Diktatur des Kapitals

Marx zufolge geraten die Produktivkräfte (menschliche Arbeitskraft, Arbeitsweise und materielle Produktionsmittel) auf einer bestimmten Stufe ihrer Entwicklung in Widerspruch mit den herrschenden Produktionsverhältnissen (Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse). Der Widerspruch entsteht, weil die Produktivkräfte sich immer fortentwickeln. So erzeugt die Industrialisierung neue Produktivkräfte, die in Widerspruch geraten mit feudalähnlichen Eigentums- und Herrschaftsverhältnissen. Dieser Widerspruch führt zu gesellschaftlichen Krisen, die auf Änderung der Produktionsverhältnisse drängen. Er wird durch den Kampf des Proletariats gegen die Bourgeosie beseitigt, der eine kommunistische Gesellschaftsordnung hervorbringt.

Entgegen Marx’ Annahme lässt sich der Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen nicht durch eine kommunistische Revolution aufheben. Er ist unaufhebbar. Gerade aufgrund dieses ihm innewohnenden permanenten Widerspruches weicht der Kapitalismus in die Zukunft aus. So mutiert der industrielle Kapitalismus zum Neoliberalismus und Finanzkapitalismus mit postindustrieller, immaterieller Produktionsweise, statt in den Kommunismus umzuschlagen.

Der Neoliberalismus als eine Mutationsform des Kapitalismus formt aus dem Arbeiter einen Unternehmer. Nicht die kommunistische Revolution, sondern der Neoliberalismus beseitigt die fremdausgebeutete Arbeiterklasse. Jeder ist heute ein selbstausbeutender Arbeiter seines eigenen Unternehmens. Jeder ist Herr und Knecht in einer Person. Auch der Klassenkampf verwandelt sich in einen inneren Kampf mit sich selbst.

Nicht die kooperierende »Multitude«, die Antonio Negri zum postmarxistischen Nachfolger des »Proletariats« erhebt, sondern die Solitude des für sich isolierten, mit sich selbst kämpfenden, sich selbst freiwillig ausbeutenden Unternehmers macht die gegenwärtige Produktionsweise aus. So ist es ein Irrtum, zu glauben, dass die kooperierende »Multitude« das »parasitäre Empire« abwirft und eine kommunistische Gesellschaftsordnung hervorbringt. Dieses marxistische Schema, an dem Negri festhält, wird sich wieder als Illusion erweisen.

Im neoliberalen Regime existiert eigentlich kein Proletariat, keine Arbeiterklasse, die vom Eigentümer der Produktionsmittel ausgebeutet würde. In der immateriellen Produktion besitzt jeder ohnehin sein Produktionsmittel selbst. Das neoliberale System ist kein Klassensystem im eigentlichen Sinne mehr. Es besteht nicht aus Klassen, die sich zueinander antagonistisch verhielten. Darin besteht gerade die Stabilität dieses Systems.

Die Unterscheidung von Proletariat und Bourgeoisie lässt sich heute nicht mehr aufrechterhalten. Der Proletarier ist wörtlich jemand, der als einzigen Besitz nur seine Kinder hat. Seine Selbstproduktion ist auf die biologische Reproduktion beschränkt. Heute wird dagegen die Illusion verbreitet, jeder sei als ein sich frei entwerfendes Projekt zu einer grenzenlosen Selbstproduktion fähig. Strukturell unmöglich ist heute die »Diktatur des Proletariats«. Heute sind alle von einer Diktatur des Kapitals beherrscht.

Das neoliberale Regime verwandelt die Fremdausbeutung in die Selbstausbeutung, von der alle ›Klassen‹ betroffen sind. Diese klassenlose Selbstausbeutung ist Marx gänzlich fremd. Sie macht gerade die soziale Revolution unmöglich, die auf der Unterscheidung zwischen Ausbeutenden und Ausgebeuteten beruht. Und aufgrund der Vereinzelung des sich selbst ausbeutenden Leistungssubjekts formiert sich kein politisches Wir, das zu einem gemeinsamen Handeln fähig wäre.

Wer in der neoliberalen Leistungsgesellschaft scheitert, macht sich selbst dafür verantwortlich und schämt sich, statt die Gesellschaft oder das System in Frage zu stellen. Darin besteht die besondere Intelligenz des neoliberalen Regimes. Sie lässt keinen Widerstand gegen das System aufkommen. Im Regime der Fremdausbeutung ist es dagegen möglich, dass die Ausgebeuteten sich solidarisieren und sich gemeinsam gegen die Ausbeuter erheben. Auf dieser Logik beruht ja Marx’ Idee der »Diktatur des Proletariats«. Sie setzt aber repressive Herrschaftsverhältnisse voraus. Im neoliberalen Regime der Selbstausbeutung richtet man die Aggression vielmehr gegen sich selbst. Diese Autoaggressivität macht den Ausgebeuteten nicht zum Revolutionär, sondern zum Depressiven.

Heute arbeiten wir nicht mehr für unsere eigenen Bedürfnisse, sondern für das Kapital. Das Kapital erzeugt eigene Bedürfnisse, die wir fälschlicherweise als unsere eigenen Bedürfnisse wahrnehmen. Es stellt eine neue Transzendenz, eine neue Subjektivierungsform dar. Wir werden wieder aus der Immanenzebene des Lebens herausgeworfen, wo das Leben sich auf sich selbst bezöge, statt sich einem äußeren Zweck zu unterwerfen.

Die Emanzipation von der transzendenten Ordnung, das heißt von den religiös begründeten Prämissen, zeichnet die moderne Politik aus. Erst in der Moderne, in der transzendente Begründungsressourcen keine Gültigkeit mehr hätten, wäre eine Politik, eine vollständige Politisierung der Gesellschaft möglich. Handlungsnormen wären damit ganz frei verhandelbar. Die Transzendenz wiche dem gesellschaftsimmanenten Diskurs. So hätte sich die Gesellschaft aus sich selbst, rein aus ihrer Immanenz heraus neu aufstellen können. Diese Freiheit wird aber in dem Moment wieder aufgegeben, in dem das Kapital zu einer neuen Transzendenz, zu einem neuen Herrn aufsteigt. Die Politik gerät dadurch erneut in eine Knechtschaft. Sie wird ein Handlanger des Kapitals.

Wollen wir wirklich frei sein? Haben wir nicht Gott erfunden, um nicht frei sein zu müssen? Gegenüber Gott sind wir alle schuldig. Die Schuld vernichtet aber die Freiheit. Die Politiker machen heute die hohe Verschuldung dafür verantwortlich, dass ihre Handlungsfreiheit massiv eingeschränkt sei. Wenn wir schuldenfrei, das heißt ganz frei sind, müssen wir wirklich handeln. Womöglich verschulden wir uns permanent, damit wir nicht handeln müssen, das heißt nicht frei sein, nicht verantwortlich sein müssen. Sind hohe Schulden nicht ein Beweis dafür, dass wir es noch nicht vermögen, frei zu sein? Ist das Kapital nicht ein neuer Gott, der uns wieder zum Schuldigen macht? Walter Benjamin begreift den Kapitalismus als eine Religion. Er sei der »erste Fall eines nicht entsühnenden, sondern verschuldenden Kultus«. Da es keine Möglichkeit der Entschuldung gibt, perpetuiert sich der Zustand der Unfreiheit: »Ein ungeheures Schuldbewußtsein, das sich nicht zu entsühnen weiß, greift zum Kultus, um in ihm diese Schuld nicht zu entsühnen, sondern universal zu machen.«[5]

Diktatur der Transparenz