Puppenmörder - Caroline Mitchell - E-Book

Puppenmörder E-Book

Caroline Mitchell

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Beschreibung

Ein grausamer Fund am Valentinstag und eine Detektivin auf der Flucht
Der fesselnde dritte Teil der Thriller-Reihe von Bestsellerautorin Caroline Mitchell

Während eines Einkaufsbummels mit ihrer Schwester bleibt Kriminalinspektorin Amy Winter vor einer Schaufensterauslage stehen: Eine perfekte Braut, in Spitze gehüllt und mit Diamanten besetzt. Doch etwas stimmt nicht. Aus dem Mund der Schaufensterpuppe tropft Blut. Die Frau ist tot, auf makabre Weise zur Schau gestellt. Als eine weitere Leiche gefunden wird, stellt sich heraus, dass beide Frauen als „Sugar Babes“ über Online-Plattformen Verabredungen mit älteren Männern arrangierten. Amy findet sich erneut auf der Jagd nach einem erbarmungslosen Psychopathen wieder. Dabei erregt sie die Aufmerksamkeit eines charismatischen Geschäftsmanns, der nicht nur die Agentur der Opfer betreibt, sondern auch eine beunruhigende Faszination für ihre mörderischen Eltern zeigt. Als ihre leibliche Mutter überraschend gegen ihre Verurteilung Berufung einlegt, drängt sich ihre eigene Vergangenheit unheilvoll in den Vordergrund. Mit dem Verschwinden eines dritten „Sugar Babe“ wird Amy schlussendlich klar, dass sie nun selbst in Gefahr schwebt …

Erste Leser:innenstimmen
„Die düstere Atmosphäre und die komplexe Ermittlungsarbeit machen diesen absolut nervenaufreibenden Thriller zu einem echten Pageturner-Erlebnis!“
„Eine aufregende Fortsetzung der Ein Fall für DI Amy Winters-Reihe, bei der die dunkle Vergangenheit der Protagonistin die Spannung zusätzlich erhöht.“
„Caroline Mitchell schafft es immer wieder, den Leser tief in die gefährliche Welt der Ermittlungen zu ziehen.“
„Mit schockierenden Details rund um die Ermittlerin und cleveren Plot-Twists liefert dieser Kriminalthriller Hochspannung pur.“

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses E-Book

Während eines Einkaufsbummels mit ihrer Schwester bleibt Kriminalinspektorin Amy Winter vor einer Schaufensterauslage stehen: Eine perfekte Braut, in Spitze gehüllt und mit Diamanten besetzt. Doch etwas stimmt nicht. Aus dem Mund der Schaufensterpuppe tropft Blut. Die Frau ist tot, auf makabre Weise zur Schau gestellt. Als eine weitere Leiche gefunden wird, stellt sich heraus, dass beide Frauen als „Sugar Babes“ über Online-Plattformen Verabredungen mit älteren Männern arrangierten. Amy findet sich erneut auf der Jagd nach einem erbarmungslosen Psychopathen wieder. Dabei erregt sie die Aufmerksamkeit eines charismatischen Geschäftsmanns, der nicht nur die Agentur der Opfer betreibt, sondern auch eine beunruhigende Faszination für ihre mörderischen Eltern zeigt. Als ihre leibliche Mutter überraschend gegen ihre Verurteilung Berufung einlegt, drängt sich ihre eigene Vergangenheit unheilvoll in den Vordergrund. Mit dem Verschwinden eines dritten „Sugar Babe“ wird Amy schlussendlich klar, dass sie nun selbst in Gefahr schwebt …

Impressum

Deutsche Erstausgabe Februar 2025

Copyright © 2025 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98998-413-4

Copyright © 2020, Caroline Writes Ltd Titel des englischen Originals: Left for dead

Copyright © 2018 Caroline Writes Ltd

Übersetzt von: Marijke Kirchner Covergestaltung: Buchgewand unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com: @ Sam shutterstock.com: @ karamysh, @ captureandcompose, @ Johannes Kornelius Korrektorat: Katrin Ulbrich

E-Book-Version 27.03.2025, 15:39:15.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Puppenmörder

PROLOG

Samuel lehnte sich entspannt in seinem Ledersessel zurück. Sein elegantes und doch sehr modernes Eckbüro strotzte vor poliertem Chrom und kunstvollem Design. Wie viele moderne Büros im Zentrum Londons hatte es bodentiefe Fenster, die von einer Ecke zur anderen reichten. Keiner seiner Kollegen hinterfragte das Fernrohr, das auf die Straßen unter ihnen gerichtet war. Sein unkonventioneller Ansatz in der Werbungsbranche hatte ihm den Ruf eines Flaneurs eingebracht, und viele versuchten, ihm nachzueifern. Wenn sie nur wüssten, wie sehr er es genoss, seinen Mitmenschen unter die Haut zu gehen.

Das Vibrieren seines Handys lenkte seine Aufmerksamkeit auf das Bild seiner Familie, das auf dem Bildschirm aufflackerte. Er nahm den Anruf ohne zu zögern an.

„Rate mal, Daddy, rate mal, was passiert ist!“, drang Megans aufgeregte Stimme durch die Leitung. Viele sagten, sie sei sein Ebenbild, mit ihren grüblerischen braunen Augen und dem mahagonifarbenen Haar. Sie war außerdem sehr weit für ihr Alter. Mit ihren sechs Jahren war sie durchaus in der Lage, selbstständig seine Handynummer zu wählen. Allerdings waren solche Anrufe strikt auf besondere Anlässe beschränkt. Megan kämpfte nun schon seit Wochen mit einem Wackelzahn. Das Lispeln in ihrer Stimme wärmte Samuels Herz. „Oh, was könnte nur passiert sein?“, fragte er neckisch. „Hmm … Hat die Katze Junge bekommen?“

„Nein!“ Megan kicherte. „Harvey ist ein Kater.“

„Du hast recht. Mal sehen … Ist Mummy ein Bart gewachsen?“

Ein weiteres Kichern. „Sei nicht albern, Daddy.“

„Dann rück mal raus mit der Sprache, was passiert ist.“ Samuels Lächeln schwang in seiner Stimme mit. Wie seine Frau hatte er seinen Essex-Akzent beibehalten und war seinen Wurzeln treu geblieben.

„Mein Zaaaaahn ist rausgefallen!“, quiekte Megan und konnte ihre Aufregung kaum unterdrücken.

„Fantastische Neuigkeiten! Du weißt, was das bedeutet, nicht wahr? Die Zahnfee wird dich heute Nacht besuchen.“

Im Gegensatz zu ihrer älteren Schwester war Megan geplant gewesen. Diesmal war alles viel einfacher, weil sie sich nicht mehr um Geld stritten. Megan fehlte es an nichts und das gefiel Samuel besser. Während seine Tochter plauderte, ließ er den Blick durch den Raum schweifen. Er nannte es ‚Spalten‘, seine Fähigkeit, sich ganz normal zu verhalten und gleichzeitig der dunklen Seite seiner Natur freien Lauf zu lassen. Er konnte problemlos einen Vortrag über digitale Trends halten und gleichzeitig darüber nachdenken, wie viel Gewalteinsatz nötig war, um ein Opfer gefügig zu machen, ohne es zu verletzen.

Sein Blick fiel auf die Meisterwerke seiner Karriere in der Werbebranche an den Wänden. Das waren die Kampagnen, die ihm das große Einfamilienhaus in Notting Hill eingebracht hatten. Zu seiner Rechten stand ein gerahmtes Foto seiner Frau und seiner beiden Kinder auf seinem Schreibtisch. Zu seiner Linken stand sein Branchenpreis. Die Halskette, die er seiner Frau zum Jahrestag gekauft hatte, lag in der obersten Schublade seines Schreibtischs. Die zweite Schublade war verschlossen, seine persönliche Schatztruhe. Samuels Gedanken kehrten nach Hause zu seiner Familie zurück, als Marianne ans Handy ging.

„Gib mir Laura, ich will kurz mit ihr reden.“ Ihre ältere Tochter hatte an einem Schulprojekt teilgenommen, eine Art Höhle der Löwen oder Dragons’ Den.

„Sie ist mit ihren Freunden unterwegs.“

„Schon wieder?“ Samuel stöhnte. „Warum hast du ihr nicht gesagt, dass sie direkt nach Hause kommen soll?“

„So wie du es mit sechzehn getan hast?“, antwortete Marianne. „Sie ist nur Pizza essen gegangen. Du kannst sie nicht jede Minute des Tages kontrollieren.“

„Was soll das denn heißen?“

„Nichts“, antwortete Marianne hastig. „Du musst dieses Wochenende doch nicht arbeiten, oder? Vergiss nicht, dass wir am Montagabend die Preisverleihung haben. Es wäre schön, wenn wir vorher noch etwas Zeit miteinander verbringen könnten.“

„Dieses Wochenende gehöre ich ganz dir.“ Samuel beruhigte seine aufgewühlten Gedanken. „Ich würde ja jetzt nach Hause kommen, aber es kommen einige wichtige Klienten aus Japan zu Besuch. Ich habe versprochen, ihnen die Sehenswürdigkeiten zu zeigen.“

Mit ‚Klienten‘ meinte er nur einen. Mr. Hamasaki war sein Alibi an diesem Abend. Ein paar Drinks, dann weiter in einen Gentlemans Club. Dank eines Beruhigungsmittels würde Hamasaki den Rest der Nacht im Tiefschlaf verbringen und sich am nächsten Tag kaum noch an die Ereignisse des Vortages erinnern.

Die Stimme seines Unterbewusstseins, selbstgefällig und bewundernd, meldete sich zu Wort, als er auflegte. Du bist so ein begabter Lügner. Seine Atmung beschleunigte sich, sein Herz schlug ein wenig dumpfer in der Enge seiner Brust. Er konnte kaum glauben, dass er seinen Plan in die Tat umsetzen würde. Würde es der Fantasie gerecht werden? Er beugte sich vor und drückte den Knopf für seine Sprechanlage. Naomi, seine Sekretärin, meldete sich prompt. „Ja?“

„Leg alles für zehn Minuten auf Eis, ja, Babe? Ich habe einen wichtigen Anruf zu tätigen.“

„Klar doch, Boss.“

Er lächelte in sich hinein. Bei Naomi kam er mit den Kosenamen immer durch. Sie war nicht die qualifizierteste Sekretärin, aber sie war warmherzig, temperamentvoll und bodenständig. Vor allem aber war sie dankbar für ihren Job. Seine früheren Sekretärinnen hatten so getan, als würden sie ihm einen Gefallen tun, wenn sie zur Arbeit erschienen. Viele Leute rümpften die Nase, weil es ihm an Eloquenz fehlte, und sein Abschluss an der Open University schien anfangs völlig verpönt. Doch im Laufe der Jahre hatte er das Vertrauen seiner Klienten gewonnen.

Heute wurde sein Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär mit dem von Lord Sugar verglichen, und Samuel war entschlossen, dessen Erfolg nachzuahmen.

Er holte den Schlüssel aus seiner Brusttasche und schloss die zweite Schublade seines Schreibtisches auf. Behutsam und leise rollte sie auf und gab ihren Schatz preis. Samuels Reichtum verlieh ihm den Luxus, alles zu kaufen, was sein Herz begehrte, und überall auf der Welt Urlaub zu machen. Aber der Nervenkitzel beim Aufbau seines Imperiums war verblasst, nachdem er letztes Jahr im Alter von fünfunddreißig Jahren seine ersten fünf Millionen verdient hatte. Seither war alles zu einfach und er war gezwungen, sich woanders seinen Kick zu holen. Er nahm sein schwarzes Ledernotizbuch in die Hand, in dem Gedanken standen, die zu dunkel waren, um sie auszusprechen. Jede Seite war mit der Tinte seines Füllfederhalters befleckt und enthielt Details und Routinen der Frauen, die sein Interesse geweckt hatten. Es war mehr als ein kleines schwarzes Buch; es war seine Mörderliste.

Nachdem er einige Seiten durchgeblättert hatte, griff er nach seinem wertvollsten Besitz. Der sorgfältig gefaltete Stofffetzen war eine Einladung in eine Welt voller Euphorie, die nur wenige kannten. Er hob das Taschentuch an und sein Blick fiel auf seine anderen Schätze: eine verblasste Zugfahrkarte, eine Haarlocke. Jedes Stück stand für einen Moment, der sich in das Gewebe seines Seins eingebrannt hatte. Sie hatten ihn zu dem Mann gemacht, der er heute war.

Er schloss die Augen und strich sich mit dem Taschentuch über das Gesicht, wobei er den Duft einatmete, den er nie vergessen würde. Es war eins von sieben, jedes mit einem Wochentag bestickt. Inzwischen war es zerschlissen, aber er sah weder die Ausfransungen noch den vergilbten Stoff. Nur ihr Gesicht war wichtig. Die Erinnerung, die sich in seiner Jugend in seine Psyche eingebrannt hatte, war ihm bis ins Erwachsenenalter gefolgt. Jetzt kehrte er mehr denn je in eine Welt zurück, die er hinter sich gelassen zu haben glaubte. Seine Erregung wuchs, als er sich erlaubte, tiefer in die Erinnerung einzutauchen. Doch dies war nicht der richtige Ort dafür. Widerwillig öffnete er die Augen, faltete das Taschentuch sorgfältig zusammen und legte es zurück in die Schublade.

Er sah auf seine Armbanduhr. Es blieben nur noch ein paar Minuten, um darüber nachzudenken, was kommen würde. Er richtete sein Fernrohr auf die Straßen unter ihm und beobachtete die Fußgänger, die sich dort tummelten, genau wie auf seinem täglichen Weg zur Arbeit und nach Hause. Die Februarsonne war nicht stark genug, um die kühle Brise in der Luft zu vertreiben, und die meisten Menschen waren in Mäntel und Wollschals gehüllt. Er richtete seinen Blick auf einen Mann in seinen Dreißigern in einem Geschäftsanzug, der darauf wartete, die Straße zu überqueren. Hatte auch er verborgene Sehnsüchte? Bedürfnisse, die erfüllt werden wollten? Der Gedanke, dass er Teil eines Geheimbundes war, gab Samuel einen Kick. Wie viele Menschen wie er liefen durch die Straßen Londons? Wie viele streiften ihn, wenn er die U-Bahn nahm? Er war wie ein Chamäleon, konnte sich in jede Situation problemlos einfügen. Er war ein Vater, ein Ehemann, ein geachteter Kollege auf der Arbeit. Ein ganz normaler Mann, an dem man auf der Straße vorbeigehen konnte, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Doch sein Hobby ließ sein alltägliches Leben verblassen und setzte einen Tsunami von Gefühlen frei, die er seit seiner Jugend tief vergraben hatte. In seiner linken Brusttasche befand sich eine weiße Substanz, ein Pulver, das dafür sorgen würde, dass sein Opfer gehorchte. Nichts war dem Zufall überlassen worden. Seine Gedanken waren auf die beste Art schrecklich, weit entfernt von dem Telefonat mit seiner Tochter, das er Minuten zuvor geführt hatte.

KAPITEL EINS

Amy starrte ihre E-Mails an und murmelte leise vor sich hin: „Was ist das für eine Scheiße?“ In letzter Zeit hatte sie sich mit vielen Problemen auseinandersetzen müssen. Der Verlust ihres Vaters war verheerend genug gewesen, und die Entdeckung ihrer wahren Herkunft hätte jeden umgehauen. Aber das … Gerade als sie dachte, es würde sich alles wieder einrenken, kam der Dirigent ihres Elends vorbei, um so zu tun, als hätte er ihr einen Gefallen getan. „Sei nett“, hatte DCI Pike gesagt, als sie angerufen hatte, um die Nachricht von Donovans Besuch zu überbringen. Sie würde nett sein, darauf konnte sich ihre DCI verlassen. Sie runzelte die Stirn, als sie den Rest der E-Mail las, in der sie über zukünftige Pläne informiert wurde.

Es klopfte leise an ihre offene Tür. Als sie den Blick hob, wurde ihr Gesichtsausdruck teilnahmslos. „Du bist zu früh.“

Donovan sollte erst am Montag anfangen, obwohl er DCI Pike in der letzten Woche über die Schulter gesehen hatte. Nachdem er von der Polizei von Essex zur Met gewechselt war, hatte man ihn ausgewählt, um DCI Pikes Stelle zu übernehmen. Amys und Pikes Verhältnis war zerstört, aber der Vorschlag in Donovans E-Mail, ein Fernsehteam einzuladen, verhieß nichts Gutes für seinen ersten Tag im neuen Job.

„Ich freue mich auch, dich zu sehen“, antwortete er, nicht im Geringsten von ihrer Antwort überrascht. „Ich wollte dir nur sagen, dass eine E-Mail auf dem Weg zu dir ist.“ Seine Ärmel waren bis zu den Ellbogen hochgekrempelt, der oberste Knopf seines Hemdes stand offen. Bei jedem anderen hätte es Amy geärgert, dass er keine Krawatte trug, aber in Wahrheit fiel es ihr schwer, ihren Blick von ihm abzuwenden. Donovan war durchtrainiert und muskulös. Da war wohl jemand fleißig im Fitnessstudio gewesen.

„Ich lese sie gerade.“ Sie schenkte ihm ein höfliches Lächeln. „Also, wenn das alles wäre –“

„Wenn das alles wäre?“ Donovan stützte sich lässig auf die Lehne ihres Bürostuhls, seine blauen Augen unverwandt auf sie gerichtet. „Wir haben viel zu besprechen, findest du nicht auch?“

„Du fängst erst Montag offiziell an.“ Amy zeigte auf ihren Schreibtischplaner. „Ich habe dich für eine Besprechung um vierzehn Uhr eingetragen.“

Donovan nahm Platz und lächelte, doch sein Lächeln verblasste, als Amy eine Augenbraue hob, um zu antworten.

„Ist das dein Ernst?“, fragte er überrascht.

Amy nickte. „Pikes Abschiedsrede beginnt in ein paar Minuten. Ich bin sicher, unser Meeting kann warten.“ Die Ruhestandsfeier von DCI Hazel Pike hatte vor einer Woche stattgefunden, aber Molly hatte Geld vom Team eingesammelt, um Blumen und Wein zu kaufen. Amy hatte ihre eigene Rede vorbereitet und versuchte so nett zu sein, wie sie es unter diesen Umständen konnte. Es hatte keinen Sinn, einen Groll zu hegen. Pike ging, und das war das Beste für alle.

„Sie ist weg. Konnte es nicht ertragen, sich zu verabschieden. Sie bat mich, dir ihren Dank auszurichten, aber sie hasst Abschiede.“

„Oh.“ Amy nahm ihren Stift zur Hand und strich den Termin in ihrem Planer durch. Sie erhob sich von ihrem Stuhl. „Dann sollte ich es den anderen sagen.“

„Schon geschehen. Sieht aus, als hätten wir doch noch Zeit für unser Meeting.“

„Wenn du darauf bestehst.“ Amys Drehstuhl knarrte, als sie sich wieder hinsetzte.

„Ah, da ist sie ja.“ Donovan lächelte, als Molly hereinkam, die ein Tablett in ihren Händen balancierte. Darauf standen zwei Tassen Kaffee und ein Teller mit Jam Tarts, alles bezahlt mit der Kaffeekasse.

„Jederzeit“, meinte Molly, bevor sie wieder verschwand. Sie hatte sich sofort mit Donovan angefreundet. Von allen Teammitgliedern würde Molly DCI Pike am wenigsten vermissen.

„Sie ist nicht hier, um Kaffee für dich zu kochen, weißt du.“ Amy hob ihre Tasse vom Tablett. „Warum fragst du nicht Paddy oder Gary? Denkst du, nur weil sie eine Frau ist, dass sie –“

„Immer mit der Ruhe“, antwortete Donovan. „Ich habe sie nicht gefragt, sie hat es angeboten.“ Er ließ die Worte einsickern, bevor er fortfuhr. „Also, warum sagst du mir nicht, was dich wirklich stört?“

„Ist das nicht offensichtlich?“ Amy blies in ihren heißen Kaffee, aus dem Dampf aufstieg, bevor sie einen Schluck nahm.

„Ist es das Fernsehteam? Vertrau mir. Wir haben mit ihnen in Essex zusammengearbeitet, und das hat unseren Bekanntheitsgrad ungemein gesteigert. Es wird Wunder für das Team in London bewirken. Es könnte dir sogar Spaß machen.“

„Du hast leicht reden“, brummte Amy. „Du wirst nicht diejenige sein, der man eine Kamera ins Gesicht hält.“ Sie schob ihm einen Untersetzer zu, als er seine Tasse auf ihrem Schreibtisch abstellte.

Donovan stellte die Tasse auf den Untersetzer und lächelte. „Es wird nicht einfach werden, der Öffentlichkeit zu entkommen, also kannst du dich ihnen genauso gut stellen. Alles geschieht aus einem bestimmten Grund.“

„Wenn du meinst …“ Amy starrte in das trübe braune Gebräu, das sich Kaffee schimpfte.

Donovan wurde von seinen ehemaligen Kollegen bei der Polizei von Essex sehr respektiert, und ihr Team konnte sich glücklich schätzen, ihn zu haben. Aber um ehrlich zu sein, schlug Amy um sich, weil sie verletzt war. Hätte sie gewusst, dass er ihr DCI werden würde, hätte sie letztes Jahr niemals versucht, mit ihm befreundet zu sein. Sie hatte sich ihm anvertraut, ihm von ihrem Privatleben erzählt. Es war schon schlimm genug, dass er dem Team beitrat, aber als DCI? Man hatte ihr gesagt, dass dieser Rang überflüssig sei, aber es schien, dass im Budget doch noch genug Spielraum dafür war. Warum hatte man ihr den Job nicht angeboten? Es war einfacher, die Schuld auf das bevorstehende Zirkustheater mit dem Fernsehteam zu schieben, als sich ihm weiter anzuvertrauen und sich verletzlich zu machen.

Donovan stürzte einen Schluck Kaffee hinunter, wobei er nie den Blick von Amy abwandte. „Die Öffentlichkeit liebt dich.“ Er stellte seine Tasse zurück auf den Untersetzer. „Du bist die Geheimwaffe der Met. Wir müssen jetzt handeln, die Chance nutzen und das Beste daraus machen.“

Aber Amy war in Gedanken versunken. Die Berichterstattung der Zeitung war gut gelaufen. Der zweiseitige Artikel in einem der führenden Blätter des Landes hatte über ihre Verbindung zu Lillian Grimes in einem positiven Licht berichtet. Es wurde viel über Amys Fähigkeit berichtet, sich in die Psyche von Serienmördern hineinzuversetzen. Der Artikel beschrieb sie als Psychopathenflüsterin. Das britische Äquivalent zu John Douglas von Mindhunter. Sie wurde gefeiert. Als Leiterin eines Eliteteams macht sie Jagd auf die brutalsten Mörder Großbritanniens. Sie versteht, wie sie ticken.

Warum man sich auf ihr Aussehen und ihre Größe von 1,57 m bezog, wusste sie nicht. Trotz ihres ernsten Gesichtsausdrucks war ihr Foto einigermaßen schmeichelhaft ausgefallen, und sie hatte daraufhin eine lächerliche Menge an Fanpost erhalten. Der einzige Vorteil, den Amy daraus zog, war, dass sie wusste, dass es ihre leibliche Mutter im Gefängnis zur Weißglut getrieben hatte.

„Amy? Hast du mich gehört? Die Dokumentation …“

„Die Doku, ja, ich habe dich gehört. Das ist ein richtiger Gamechanger!“ Amys graue Augen leuchteten, als sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Donovan richtete. „Und nenn mich Winter, wie alle anderen auch.“

Donovan schüttelte den Kopf. „Oh, um Himmels willen, entspann dich, ja?“

„Mich entspannen?“ Amy stieß ein humorloses Lachen aus. „Du wusstest, wie sehr ich Publicity hasse, und trotzdem hast du die Initiative ergriffen, um den Job zu bekommen. Wir waren Freunde. Du hast mich verraten.“

„Freunde? Kaum sind wir uns nähergekommen, hast du kalte Füße bekommen und die Flucht ergriffen. Komische Art, seine Freunde zu behandeln.“

„Sei leiser“, flüsterte Amy scharf und spähte hinaus, um sicherzugehen, dass sie nicht belauscht wurden. „Ich habe dem Kommandoteam bereits gesagt, dass ich bei deiner kleinen Initiative mitmachen werde. Aber ich muss es nicht mögen.“ Fast hätte sie gesagt, dass sie ihn auch nicht mögen musste, aber das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Sie mochte ihn mehr, als sie zugeben wollte, und deshalb war ihre Reaktion so verbissen.

„Okay. Wenn du nicht darüber reden willst, dann habe ich noch Besseres zu tun.“

„Was glaubst du, wo du hingehst?“, fragte Amy, als Donovan sich auf den Weg zur Tür machte.

„Wie bitte?“

„Wir haben viel zu besprechen, hast du das nicht gerade erst gesagt?“

Verwirrt kehrte Donovan zu seinem Platz zurück. „Du bist einmalig, weißt du das?“

Amy lächelte. „Du bist nicht der Erste, dem das auffällt. Sieh mal. Ob du es glaubst oder nicht, ich bin froh, dass du hier bist. Es ist diese Doku, über die ich mich ärgere. Ich werde mit der Zeit darüber hinwegkommen.“

„Wenn du die Idee so sehr hasst, rede ich mit dem Kommandoteam und sehe, ob wir eine Alternative finden können.“

Amy schüttelte den Kopf. „Ich habe diese ganze Publicity verursacht, also muss ich das jetzt klaglos hinnehmen. Die Zeitungen haben in einem Punkt recht. Wir sind ein Eliteteam. Und wenn die Öffentlichkeit hinter uns steht, dann bekommen wir vielleicht gerade genug Geld aus dem Budget, um unsere Arbeit zu machen.“

„Und es ist okay, dass du mir unterstellt bist?“

„Ich, dir unterstellt? Sei nicht dumm.“ Amy schnaubte. Dies war ihr Team, und sie hatte das Sagen. „Lass dich von meiner Größe nicht täuschen. Ich habe hier das Sagen.“

Donovan schüttelte den Kopf. „Das wird interessant werden.“

KAPITEL ZWEI

„Uh, ich verstehe, was hier vor sich geht. Ein Schaufensterbummel entlang der Brautmodengeschäfte?“ Amy konnte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, ihre ältere Schwester zu necken, während sie die Londoner Oxford Street entlangliefen. „Denkst du, Paddy wird dir bald einen Antrag machen?“ Es war einer ihrer seltenen freien Samstagnachmittage, und es gab niemanden, mit dem Amy ihn lieber verbringen würde als mit Sally-Ann.

„Seine Scheidung ist noch nicht offiziell, aber es ist gut, informiert zu sein. Nur für alle Fälle.“ Sally-Ann grinste verschmitzt. „Außerdem, was ist mit dir und diesem gutaussehenden DCI Donovan? Ich habe ihn letztes Jahr in einer Polizeidoku gesehen. Puh, ich würde ihn nicht von der Bettkante stoßen“

„Paddy.“ Amy rollte mit den Augen, als sie Sally-Anns Informanten auf Anhieb erriet. „Er hat wieder aus dem Nähkästchen geplaudert, nicht wahr?“ Paddy war Sally-Anns Lebensgefährte und ein Sergeant in Amys Team. Amy wusste, dass sich die beiden manchmal über ihre persönlichen Angelegenheiten unterhielten.

Sally-Ann konnte ihr Lächeln kaum zurückhalten. „Anscheinend stimmt die Chemie zwischen Donovan und dir.“

„Nun, du kannst Paddy sagen, dass er weit danebenliegt.“

„Es ist so einfach, dich aus der Reserve zu locken!“ Sally-Ann gluckste und hakte sich bei Amy ein. „Komm, lass uns sehen, was es mit dem ganzen Aufruhr auf sich hat.“

Sie sah die Menge vor dem Kaufhaus. Da es Februar war, hatte die Kette den Valentinstag als ihr Schaufensterthema aufgegriffen. Ein halbes Dutzend Leute hatte sich versammelt, die Handys in die Luft gereckt, um die Brautkleider von Vera Wang und Vivienne Westwood zu dokumentieren. Als Amy vor dem Schaufenster innehielt, betrachtete sie ihr Spiegelbild und erschrak über die Ähnlichkeit zu Lillian Grimes. Der Berufungsprozess ihrer leiblichen Mutter war in vollem Gange, und überall, wohin sie blickte, sah sie das Gesicht dieser Frau.

„Wow“, keuchte Sally-Ann im Einklang mit der Menge, und ihre Augen leuchteten, als sie die Schaufensterauslage in Augenschein nahm. „Sieh dir das an!“

Eine realistisch wirkende, blasse Schaufensterpuppe, die auf einem luxuriösen, rot gepolsterten und mit Gold verzierten Thron saß, strahlte auf jeden Fall den Wow-Faktor aus. Luxus, wie für eine Königin gemacht. Es herrschte ein Gefühl der stillen Ehrfurcht auf diesem belebten Londoner Bürgersteig, als die Käufer die Auslage betrachteten. Ein perlenbesetztes Diadem saß oben auf dem blonden Haar der Schaufensterpuppe. Die in den Stoff des Brautkleides eingenähten Diamanten und Perlentropfen sorgten für einen schillernden Effekt. Es war, als wäre sie in Eis getaucht worden. Amy blickte in ihr gefrorenes Gesicht und betrachtete dann den Strauß roter Rosen, der in den elfenbeinfarbenen Händen der Schaufensterpuppe steckte. Langsam verflüchtigte sich ihr Lächeln.

„Verflixt“, kicherte Sally-Ann. „Hast du jetzt auch das Brautfieber?“

Aber es war nicht das Kleid, das Amy interessierte. Sie reckte den Hals und drängte sich weiter nach vorne, um es besser sehen zu können. Sie drückte ihre Hand gegen das Fenster und untersuchte jeden Zentimeter der Auslage. Die Blumen waren frisch, die Finger der Schaufensterpuppe um die Stiele geschlungen. Aber Amy hatte noch nie eine Schaufensterpuppe mit einem blauen Schimmer unter den Fingernägeln gesehen. Und ihr Mund … Unter dem leuchtend roten Lippenstift und dem Rouge, das ihre Wangenknochen färbte, hatte ihre Haut einen lila-grauen Farbton. Bitte sag mir, dass ich mich irre, dachte sie, während ihr Atem das Glas beschlug. Aber die Puppe hatte eine tödliche Blässe, die sie von klein auf kannte. Amys Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie den leeren Blick und den Streifen doppelseitigen Klebebands bemerkte, der die Augenlider offenhielt, die nur allzu lebensecht aussahen. „Das ist keine Schaufensterpuppe.“ Sie wandte sich an ihre Schwester, während sie ihr Handy aus der Tasche zog und den Notruf wählte. „Sie ist echt.“

Ein Tropfen roten Blutes trat aus dem Mundwinkel der Dame aus und lief an ihrem Kinn hinunter. Bewundernde Blicke verwandelten sich schnell in Entsetzen, als ein Schrei durch die Menge ging. Als die Disponentin antwortete, nannte Amy ihre Dienstnummer und ihren Standort und forderte eine Streife und einen Krankenwagen an. Trotz der bizarren Umstände nahm die Disponentin es sehr gelassen auf.

„Kannst du die nehmen?“ Als sie sich durch die Menge drängte, drückte Amy ihrer Schwester ihre Einkaufstüten in die Hände, sodass sie keine andere Wahl hatte.

„Geh, tu, was du tun musst.“ Sally-Ann winkte sie davon, da ihr das Leben mit einem Partner bei der Polizei nicht fremd war. „Ich rufe Paddy an und sage ihm Bescheid.“

„Du bist ein Schatz“, rief Amy, bevor sie sich auf den Weg ins Kaufhaus machte. Für den Moment hatte sie drei Aufgaben: die Bude schließen, das Opfer überprüfen und für die öffentliche Sicherheit sorgen. Als ihre Polizeiinstinkte einsetzten, wurde ihr Fokus gestochen scharf. In ihrem Herzen wusste sie, dass die Braut im Schaufenster tot war, aber sie musste trotzdem versuchen, sie zu retten.

„Ihre Schaufensterpuppe“, sagte Amy und schnappte sich eine erschrocken dreinblickende, blonde junge Frau, auf deren Namensschild „Brianna“ stand. „Soll die Schaufensterpuppe bluten? Ist das Teil eines bizarren Stunts?“ Die Frage klang verrückt, aber größere Kaufhäuser beschäftigten oft Designer, um ihre Auslagen möglichst eindrucksvoll zu gestalten.

„Bluten?“ Brianna sah Amy an, als ob sie verrückt wäre. „Nein, natürlich nicht!“

„Dann bringen Sie mich in die Auslage. JETZT!“ Amy kramte ihren Dienstausweis aus der Tasche und zeigte sie Brianna. Wenn sie bedachte, dass sie ihn fast vergessen hatte, als sie heute einkaufen gegangen war, wurde ihr ganz mulmig. Der Dienstausweis war ihr wichtigstes Accessoire. Bei der Polizei war man immer im Dienst und musste ihn immer bei sich tragen. Den Vorfall zu ignorieren, wäre nicht nur für Amy befremdlich, sondern auch eine Pflichtverletzung. CCTV war allgegenwärtig; sie wusste, dass Beamte strenge Verwarnungen erhielten, weil sie in Situationen, die eine polizeiliche Reaktion rechtfertigten, ihren Job nicht machten.

Dienstausweis hin oder her, nichts würde sie davon abhalten, in diese Schaufensterauslage zu gelangen.

„Sie können da nicht rein!“, kreischte die junge Frau, als Amy nach einem Eingang suchte.

„Hören Sie mir zu“, antwortete Amy autoritär. „Rufen Sie Ihren Manager und sagen Sie, dass es einen Zwischenfall mit der Auslage gab und dass die Polizei und ein Krankenwagen unterwegs sind. Sperren Sie alle Zugänge ab und schließen Sie das Kaufhaus. Niemand außer den Rettungsdiensten darf den Laden betreten oder verlassen. Haben Sie Rollläden?“

Die junge Frau nickte stumm, den Mund halb geöffnet, während die Farbe aus ihrem Gesicht wich.

„Wenn Sie nicht aus den falschen Gründen auf Twitter trenden wollen, sollten Sie sich jetzt beeilen.“

Amy zerrte an der Schaufenstertür und trat von hinten in die Auslage ein, wobei sie in ihrer Eile fast über die erhöhte Plattform stolperte. Das weckte das Interesse der wachsenden Menge, die jeden ihrer Schritte filmte. „So viel zum Thema Anonymität“, murmelte sie leise vor sich hin, als sie sich der stummen Braut näherte. Sie hoffte, dass sie sich irrte, dass ihr Instinkt sie im Stich gelassen hatte. Sie konnte es verkraften, wie eine Närrin dazustehen, wenn das bedeutete, dass es doch eine Attrappe war. Doch der Duft des Todes stieg ihr in die Nase, als sie tief einatmete, und ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Die Verstorbene im Fenster war noch nicht starr, aber eiskalt, und das Blut, das ihr aus dem Mund tropfte, war zu dunkel und klebrig, um von einer lebenden Seele zu stammen. Nachdem sie nach einem Puls gesucht hatte, der längst erloschen war, trat Amy zurück, um die Sanitäter durchzulassen. Sie schüttelte den Kopf, um ihnen mitzuteilen, dass sie zu spät waren. Endlich informierte sie das laute akustisches Geräusch von Metallrollen, dass die Rollläden sich senkten. Amys Magen drehte sich vor Abscheu um, als sich die Zuschauer darunter duckten, um einen besseren Blick zu erhaschen. Was faszinierte die Menschen so sehr an einem Mord? Und warum hatte man das Opfer öffentlich zur Schau gestellt?

KAPITEL DREI

„Warum hast du mich nicht angerufen?“ Donovans Worte waren von Irritation geprägt, als er Amy den Flur entlang folgte. Sie war gerade vom Tatort zurückgekehrt und die Ermittlungen waren in vollem Gange.

„Dein offizieller Starttermin ist am Montag. Alles ist unter Kontrolle. Ich gehe jetzt zum Briefing.“ Amy wusste, dass sie kleinlich war, aber sie war noch nicht bereit, ihren Status als Leiterin des Teams aufzugeben.

„Ich bin heute Pikes Vertretung, wie du weißt.“ Donovans Stimme hallte im Korridor wider, als er neben ihr herging. „Du hättest sie doch auf den neuesten Stand gebracht, oder?“

„Ja, regelmäßige telefonische Updates, während sie es sich zu Hause gemütlich machte.“ Das stimmte. Pike machte nicht gerne Überstunden und hatte kein Problem damit, Amy die Arbeit zu überlassen. Wahrscheinlich war das einer der Faktoren, die zu ihrer erzwungenen Frühpensionierung beitrugen.

Amy warf Donovan einen Seitenblick zu und bemerkte sein Sweatshirt und seine Jeans. Er musste in halsbrecherischem Tempo aus der Tür gestürmt sein, wenn er sich keine Zeit zum Umziehen genommen hatte.

Donnergrollen zeichnete seinen Gesichtsausdruck. „Stell dir vor, wie ich mich gefühlt habe, zu Hause mit hochgelegten Füßen. Dann schalte ich den Fernseher ein und sehe, wie du in eine Schaufensterauslage springst, die sich als Tatort erwiesen hat. Du hättest mich wenigstens vorwarnen können.“

Amys knapper Tonfall verriet, wie wenig sie es schätzte, von jemandem gemaßregelt zu werden, der seinen Wert erst noch unter Beweis stellen musste. „So wie du mich vorgewarnt hast, dass das Fernsehteam am Montag zu uns stößt? Weißt du, wie schwer es sein wird, die Ermittlungen zu führen, während uns diese Leute im Nacken sitzen? Aber nein, niemand hat die Leute gefragt, die hier tatsächlich die Ermittlungen leiten.“ Sie hielt inne, schloss die Augen und holte tief Luft. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für diese Auseinandersetzung.

Amy griff nach ihrer Zugangsmarke, bereit, sie gegen das Sicherheitsbedienfeld vor dem Eingang der Abteilung für hochrangige Verbrechen zu drücken. „Hör zu. Ich hätte dich angerufen, sobald ich wieder im Büro bin. Wie wäre es also, wenn wir beide uns wie Erwachsene benehmen und mit unserer Arbeit weitermachen? Es gibt einigen Papierkram, den du abzeichnen kannst, und dann gilt es noch das Budget zu regeln sowie das Meeting mit dem Kommandoteam –“

„Und du erwartest, dass ich das alles regle?“

Amy runzelte die Stirn. „Du hast selbst gesagt, dass du heute für Pike einspringst.“

„Und du meintest, dass du mir nicht unterstellt bist. Das bedeutet, dass ich die Ärmel hochkrempeln und mich mit den Ermittlungen befassen kann, während du den Papierkram erledigst. Du kannst nicht beides haben.“

„Wir können nicht beide SIO sein. Ich leite die Ermittlungen und du kümmerst dich um den Papierkram. So ist es immer gewesen.“

„Stimmt, so war es, bis du dich beschwert hast.“

„Nun gut.“ Amys Kiefer mahlte. „Ich bin dir unterstellt.“ Aber ihre gemurmelten Worte waren kaum zu hören. Sie betrat ihr Büro, dicht gefolgt von Donovan. Sie spürte, wie ihr Temperament hochkochte, gepaart mit der Frustration, dass sie den Fall mit ihm teilen musste. Früher hatte sie es gehasst, dass Pike sich nicht mehr einmischte, aber jetzt fragte sie sich, ob das so schlecht gewesen war.

„Entschuldige, was hast du gesagt?“, meinte Donovan und schloss ihre Bürotür hinter sich.

Amy drehte sich zu ihm um. „Ich sagte, dass ich mich dir unterordnen werde. Zumindest, bis wir ein paar Grundregeln aufgestellt haben. Kannst du jetzt bitte den Papierkram abzeichnen? Ich lasse ihn in dein Büro schicken.“

„Meinst du Pikes Büro?“ Donovan hob eine Augenbraue. „Ich habe es abgelehnt. Ich habe angegeben, dass ich mir eins mit dir teilen werde.“

Dies wurde mit einem Blick des Entsetzens quittiert. „Wo willst du denn sitzen … auf meinem Schoß?“

„Verlockend, aber nein. Wir haben jetzt ein neues Büro … den Konferenzraum.“

„Wie hast du das geschaukelt?“ Amy zog ihren Drehstuhl hervor und setzte sich. Seit ihrem Dienstantritt hier hatte sie um den Konferenzraum gekämpft. Er war perfekt für ihre Bedürfnisse, mit einem guten Blick auf die Straße und auf ihr Team.

„Die Macht des Fernsehens.“ Donovan grinste. „Ich sagte doch, es hat bei uns Wunder bewirkt.“

„Hmm.“ Amy wollte nicht zustimmen. Ein größeres Büro wäre besser, aber zu welchem Preis?

Donovan setzte sich auf die Kante ihres Schreibtisches und nahm eine Akte zur Hand. Seufzend schüttelte er den Kopf, als die Bilder des Opfers zum Vorschein kamen. Sie war noch nicht identifiziert worden, schien aber Anfang zwanzig zu sein. Ein junges Leben, das ein tragisches Ende fand. Es war eine ernüchternde Erinnerung an die Prioritäten, die sie jetzt hatten.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, begegnete Donovan Amys Blick. „Hör zu, ich bin mir nicht sicher, was gerade passiert ist, aber können wir nicht einen Schlussstrich ziehen und neu anfangen?“ Er blickte auf die Bilder hinunter. „Sie hat unsere volle Aufmerksamkeit verdient, meinst du nicht auch?“

Amy räusperte sich und schämte sich sehr. „Du hast recht. Die Leiche … sie wurde aufwendig inszeniert, mit viel Liebe zum Detail. Das strotzt nur so vor Arroganz. Aber schlimmer als das ist, dass …“ Der Gedanke an die letzten Momente des Lebens ihres Opfers ließ Amy innehalten. „Es gab Kratzspuren auf den Armlehnen. Ich glaube, sie war noch am Leben, als sie auf diesen Thron gesetzt wurde. Der Mörder … er hat zugesehen, wie sie um ihr Leben kämpfte.“

KAPITEL VIER

Amy öffnete die Fenster im Besprechungsraum, um den Geruch der frischen Farbe zu vertreiben. Der Himmel vor dem Fenster war diesig, und das schrille Piepen der nahegelegenen Ampel signalisierte, dass es für Fußgänger sicher war, die Straße zu überqueren. „Das wird nerven“, brummte Amy und fragte sich, wie oft am Tag das Geräusch wohl erklang. Sie beobachtete, wie ihr DS, Paddy Byrne, auf dem Panel an der Wand herumdrückte.

„Klimaanlage“, sagte er. „Damit du das Fenster schließen kannst. Sie haben sie gestern installiert.“

Der neue, geräumige Konferenzraum war eine deutliche Verbesserung gegenüber dem alten Büro, den sie sich jetzt mit DCI Donovan teilte. Sie ließ ihren Blick über die Reihen ordentlich aufgestellter Stühle schweifen, als ihre Beamten eintraten. Malcolm, ihr leitender Tatortermittler, nickte ihr respektvoll zu, während die uniformierten Beamten verstohlene Blicke in ihre Richtung warfen. Amy brauchte ihre geflüsterte Unterhaltung nicht zu belauschen, um zu wissen, worum es ging. Lillians Berufung gewann an Schwung und die öffentliche Meinung war gemischt. Während sich Amys eigenes Team mit dem Gedanken an ihre Herkunft angefreundet hatte, wurde sie von Außenstehenden immer noch mit kuriosen Blicken betrachtet. Es war normal, dass sich ihr Team Beamte aus verschiedenen Abteilungen auslieh, um bei der Vorbereitung zu helfen, und Amy gewöhnte sich langsam daran, dass sie sich nicht wie alle anderen einfügen konnte. Sie öffnete den Knopf ihrer maßgeschneiderten Anzugjacke und sah zu Malcolm, der neben ihr stand.

„Ein Update ist gerade reingekommen“, murmelte er leise. „Ich habe versucht, dich vor dem Briefing zu erwischen, aber du warst schon weg.“ Amy hasste Überraschungen und Malcolm versuchte mit seinen Reports sicherzustellen, dass sie gerüstet war. Sie überflog die Seiten, die mit Operation Glitterball betitelt und als sensibel eingestuft waren. Der Name war aus einer Liste zufällig generierter Titel ausgewählt worden, aber angesichts der Menge an Diamanten und Glitter, die für ihr Opfer verwendet wurde, schien er seltsam passend. Amys Laune sank, als sie das Update las. Das war das Letzte, was sie im Moment brauchten.

„Danke an alle, die gekommen sind, obwohl sie sich das Wochenende freigenommen haben.“ Amy erhob ihre Stimme über das Stimmengewirr im Raum. „Wir haben ein Update.“ Sie wandte sich an Malcolm. „Du hast das Wort.“

„Danke, Darling“, erfüllte Malcolms gepflegter britischer Akzent den Raum. Hätte jemand anderes sie so genannt, hätte es vielleicht Gelächter hervorgerufen, aber Malcolm war bei der Polizei sehr angesehen. Als ehemaliger Richter war er für seine Fairness und sein Engagement bekannt, und sie konnten sich glücklich schätzen, ihn für den Fall gewonnen zu haben. Er präsentierte sich selbstbewusst, schlank und gut gekleidet in seinem Savile Row-Anzug. Das war eine willkommene Abwechslung zu den forensischen Onesies, in denen Amy ihn normalerweise herumlaufen sah.

Als die Beamten sich beruhigten, blickte Malcolm ernst durch den Raum. „Nun, es hat sich herausgestellt, dass dem Opfer eine herzförmige Wunde in die Brust geritzt wurde, etwa so groß wie ein kleiner Pfirsich. Sie war nicht sonderlich tief, gerade tief genug, um die Haut zerkratzen.“ Er legte eine Pause ein, damit alle seine Worte auf sich wirken lassen konnten. Wenn jemand ein Publikum liebte, dann war es Malcolm. „Ich habe nachgeforscht und herausgefunden, dass heute vor zwanzig Jahren eine junge Frau aus Essex mit einem ähnlichen Mal auf der Brust tot aufgefunden wurde.“

„Da klingelt was bei mir“, meldete sich ein stämmiger Beamter in der Ecke zu Wort. „Wie haben die Zeitungen den Mörder nochmal genannt?“ Er rieb sich den Bart, während er versuchte, sich an die Details zu erinnern.

„Herzensbrecher“, antwortete Malcolm. „Es war ungewöhnlich, da es nur ein Opfer gab, aber ein Lokalblatt gab dem Mörder aufgrund der Umstände des Falles einen Spitznamen.“

Das war für Amy neu, aber wenn der Mord vor zwanzig Jahren geschehen war, wäre sie erst ein Teenager gewesen. Hatte das angesichts des Zeitrahmens irgendeine Bedeutung für diesen Fall? Sie schwieg, während Malcolm weiter erzählte. „Claire Lacey war eine sechsundzwanzigjährige Lehrerin, die bei ihren Schülern beliebt war. Sie stammte aus einer netten Familie, war verlobt und hatte viele Freunde. Es war ein Schock für die Gemeinde, als sie tot in ihrem Bett aufgefunden wurde … mit einem in die Brust geritzten Herz. Sie hatte einen sehr öffentlichen Zwischenfall mit ihrem Verlobten gehabt, der am nächsten Morgen wegen Mordes verhaftet wurde. Damals ging man davon aus, dass es sich um ein Verbrechen aus Leidenschaft handelte.“

Amy beobachtete ihre Kolleginnen und Kollegen. Die Spannung im Raum hatte zugenommen, und obwohl die meisten von ihnen letzte Nacht länger geblieben waren, um ihr Arbeitspensum zu bewältigen, wirkten sie aufmerksam und hellwach. Molly saß ganz vorne und machte sich mit einem rosafarbenen Glitterstift ausgiebig Notizen. Ein Tintenklecks befleckte den Ärmel der Bluse, die sie schon gestern Abend getragen hatte. Paddy saß neben ihr, seine langen Beine an den Knöcheln gekreuzt, während er alles in sich aufnahm. Er warf Amy einen Blick zu, als wollte er sagen: Jetzt geht’s schon wieder los. Sie nickte ihm knapp zu, bevor sie sich wieder dem Fall widmete. „Ihr Verlobter wurde wegen Mordes verurteilt“, sagte sie und las Malcolms Notizen, um seine Erzählung voranzutreiben.

„Ja, in der Tat“, antwortete er und nickte energisch. „Aber die Beweise gegen ihn waren nur Indizien, die sich auf einen Streit zwischen ihm und Claire in jener Nacht stützten. Seine Familie engagierte einen hochkarätigen Anwalt, und er wurde später in der Berufung freigelassen.“ Malcolm blickte sich im Raum um. „Ich weiß noch, wie es passiert ist … ein paar Wochen vor Valentinstag. In dem Jahr war es im Februar bitterkalt.“ Er rieb seine Hände aneinander, als ob er die Kälte in seinen Knochen spüren würde. „Es gab Spekulationen, dass der Mord an Claire mit einer lokalen okkulten Gruppe in Verbindung stand, aber nichts konnte bewiesen werden. Der Fall ist seitdem als ungelöst eingestuft.“

„Und die Todesursache war stumpfe Gewalteinwirkung?“, fragte Amy. Der Heizkörper hinter ihr gab ein tröpfelndes Geräusch von sich. Es war zwar bald Frühling, aber es war immer noch kalt in London. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, dankbar, dass die Heizung funktionierte.

„Ja“, antwortete Malcolm. „Obwohl es Berichte gibt, die besagen, dass die Herzform auf ihre Brust geritzt worden sein könnte, als sie noch lebte. Sie wurde ebenfalls in Pose gebracht, wenn auch nicht so kunstvoll wie unser derzeitiges Opfer, dem sie frappierend ähnlich sieht.“

„Wir werden mit der Polizei von Essex sprechen und Einzelheiten zu dem Fall anfordern.“ Sie schenkte Malcolm ein dankbares Lächeln, als er an der Stirnseite des Raumes Platz nahm.

DC Molly Baxter hob ihren Zeigefinger. „Ma’am, bedeutet das, dass wir es mit einem Serienmörder zu tun haben? Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Morden?“

„Es ist zu früh, um das zu sagen“, antwortete Amy. „Im Moment möchte ich mich auf den heutigen Tag konzentrieren.“ Die Morde konnten nicht aus einer Laune heraus miteinander in Verbindung gebracht werden. Es mussten Strategiesitzungen abgehalten werden, in denen die Ähnlichkeiten eingehend untersucht und die Auswirkungen der Zusammenlegung der Ermittlungen in Vergangenheit und Gegenwart ernsthaft erörtert wurden. Sie kannten noch nicht einmal die Identität ihres aktuellen Opfers. „Während wir uns im Feuer der goldenen Stunde befinden, konzentrieren wir uns hauptsächlich auf unseren aktuellen Fall und verfolgen die Spuren.“ Amy sprach von der entscheidenden Zeit nach dem Verbrechen, die über Erfolg oder Misserfolg eines Falles entscheiden konnte. Es war dringend notwendig, frühzeitig zu handeln. Die Zeit untergrub oft die Beweise: Zeugen vergaßen Details, Überwachungskameras wurden überspielt und die gesicherten Spuren wurden vom Winde verweht.

Amy aktivierte das elektronische Whiteboard und ein Bild des Opfers aus dem Schaufenster erschien auf dem Bildschirm. Es war aufgenommen worden, als das Opfer noch in seiner Aufmachung steckte, nicht lange, nachdem die anwesenden Sanitäter sie für tot erklärt hatten. Sie lag flach auf dem Rücken in der Schaufensterauslage, die Defibrillator-Pads waren noch an ihrer Brust befestigt, wo ihr Kleid aufgeschnitten worden war, um die Herz-Lungen-Wiederbelebung durchzuführen.

Die Temperatur im Raum schien zu sinken, als alle das Bild betrachteten. „Jemand muss sie vermissen.“ Amys Worte durchbrachen die Stille. Die Beamten waren damit beauftragt worden, die jüngsten Vermisstenmeldungen zu überprüfen. Sie zeigte auf den kunstvollen Kopfschmuck, als sie das nächste Bild auf dem Bildschirm aufrief. „Diese Requisiten sind der Schlüssel. Jemand hat unseren Mörder damit beliefert. Von den mit Diamanten besetzten Schuhen bis zum Schmuck um ihren Hals. Sie kommen alle von irgendwoher, und ganz sicher nicht aus dem Supermarkt – nicht nach dem, was ich gesehen habe.“ Sie beobachtete, wie die Beamten zustimmend nickten. „Molly, reich bitte die Liste mit den Aufgaben rum, ja?“ Sie reichte ihr ein Bündel frisch gedruckter Papiere. Ihre Priorität war es, das Opfer zu identifizieren und die Motive des Mörders zu verstehen.

Amy nippte an ihrem Kaffee und verzog das Gesicht, als sie feststellte, dass jemand vergessen hatte, den Zucker hineinzutun. Trotzdem schluckte sie ihn hinunter. Sie würde viel Koffein brauchen, um den heutigen Tag zu überstehen. Sie stützte ihre Tasse auf ihre Handfläche und wandte sich wieder an ihr Publikum. „Der Mörder ist stolz auf sein Werk.“ Sie schloss die Augen und holte tief Luft, während sich das Bild des Opfers in ihrem Geist einprägte. Die Schreie des Opfers hallten in Amys Fantasie wieder, während sie ihren Mörder in der Nähe wähnte. „Er verhöhnt uns. Das ist erst der Anfang. Ich kann es spüren.“

KAPITEL FÜNF

Amy steckte ein paar Münzen in den Automaten im Korridor und drückte die richtigen Knöpfe, um zwei Tüten Minstrels zu kaufen. Eine für sie und eine für Donovan: ein Zuckerboost, um ihn an seinem offiziellen Starttag willkommen zu heißen. Montage waren für Amy wie jeder andere Tag, und obwohl die Beamten gestern ihre Aufgabenliste im Eiltempo abgearbeitet hatten, gab es noch viel zu tun. Aber im Moment brauchte sie etwas Ruhe. Persönliche Angelegenheiten ließ man am besten zu Hause, aber sie hatte etwas Dringendes zu erledigen. Flora hatte sich eine schreckliche Erkältung eingefangen. Sie steckte die Schokolade ein und wählte die Nummer ihrer Mutter. Flora nahm nach dem zweiten Klingeln ab. „Ich bin’s.“ Amys Stimme hallte im schummrigen Korridor wider. „Wie geht es dir?“

„Ging schonmal besser“, krächzte Flora. „Winifred ist auf dem Weg hierher, um mich mit Lauch-Kartoffelsuppe zu versorgen.“

Amy stellte sich vor, wie Flora das Gesicht verzog. Winifreds Lauch-Kartoffelsuppe war berühmt und berüchtigt. Das Gemüse stammte aus dem örtlichen Schrebergarten von Mr. Charmeur, ein älterer Witwer, der seinem Namen alle Ehre zu machen schien. Amy fragte sich, ob ihre Mutter nicht ein klein wenig eifersüchtig auf Winifreds neu gewonnenen Freund war. „Nun, sieh zu, dass du es isst, du musst bei Kräften bleiben.“ Amy hob eine Hand, um sich die Stirn zu massieren. Flora hatte vor Kurzem in Lillians Prozess als Zeugin ausgesagt. Der Stress, der damit verbunden war, musste sie mehr mitgenommen haben als gedacht. „Halte mich auf dem Laufenden, ja?“, fuhr Amy fort. „Ruf mich an, wenn es dir schlechter geht.“ Seit dem plötzlichen Tod ihres Vaters hatte Amy den Gesundheitszustand ihrer Mutter genau im Auge behalten.

„Ich werde …“ Floras Stimme verklang, als sie sich vom Telefon abwandte. „Es hat gerade geklingelt. Ich muss los.“

Amy schnappte nach Atem, um zu sprechen, aber die Leitung war tot. Sie ging auf das Büro ihres Teams zu und fühlte sich, als würde sie in eine Schlacht ziehen. Ihre Stimmung verdüsterte sich, als sie zwei Männer und eine Frau beobachtete, die sich in der Mitte des Raumes mit Donovan unterhielten.

„Nein. Nicht jetzt“, stöhnte sie, als ihr Blick auf die Kameraausrüstung fiel. Das beraubte sie jeder Chance, sich davonzuschleichen, um nach Flora zu sehen. Sie beobachtete, wie sie in Gelächter ausbrachen und die Frau sich über etwas amüsierte, das Donovan gesagt hatte. Zähneknirschend zwang sich Amy in das Büro zu gehen, um die Crew zu begrüßen.

„Ah, da ist sie ja, der Star der Show!“ Donovans Lächeln geriet ins Wanken, als Amy ihm einen finsteren Blick zuwarf. „Ähm“, fuhr er fort, dieses Mal weniger selbstsicher. „Amy, das ist Ginny Wolfe.“

„Ernsthaft?“, fragte Amy und erinnerte sich an das Buch von Virginia Woolf, das ihre Mutter ihr letzte Woche auf den Nachttisch gelegt hatte, damit sie es las. Ginny schien Anfang zwanzig zu sein, hatte einen Nasenstecker und kurzes, struppiges schwarzes Haar.

„Haha, ich weiß.“ Sie grinste. „Mum hatte einen fantastischen Sinn für Humor.“ Sie drehte sich um und stellte Amy ihren Kameramann, Bob, vor. Er war ein stämmiger Mann mittleren Alters, schwitzte und war rot im Gesicht, nachdem er zweifellos den Großteil der Ausrüstung geschleppt hatte. Dom, ihr Assistent, wuselte um sie herum, seine blauen Augen leuchteten, als er alles in sich aufnahm. „Ich wollte schon immer Polizist werden.“ Er rieb sich sein gegeltes, braunes Haar im Nacken. „Ich meine, ich filme gerne …“ Er warf Ginny einen entschuldigenden Blick zu. „Aber die Polizei … das ist abgefahren.“

„Keine Sorge, Kumpel.“ Ginny klopfte ihm enthusiastisch auf die Schulter. „Ich bin sicher, dass sie dich eines Tages nehmen werden.“

„Sind das alle?“, fragte Amy und hoffte, dass dies der Fall war. Im Hintergrund plapperte Molly lautstark am Telefon über beschlagnahmtes Eigentum aus ihrem letzten großen Fall.

Ginny blickte sich im Raum um, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder Amy zuwandte. „Ja, wir sind nur zu dritt. Wir halten es schlicht, aber das ist es, was unsere Zuschauer mögen. Wir benutzen zwei Kameras. Normalerweise gebe ich die Anweisungen, aber manchmal filme ich auch, um eine zusätzliche Perspektive zu bekommen. Unsere Zuschauer haben gerne das Gefühl, Teil der Ermittlungen zu sein.“

„Aber es ist alles vorab aufgezeichnet, oder?“, fragte Amy und vergewisserte sich, dass ihre Informationen korrekt waren.

„Oh ja, ganz sicher.“ Ginny steckte beide Hände in die Hosentaschen ihrer verblichenen Jeans. „Wir werden unser Bestes versuchen, nicht im Weg zu sein.“

Amy lächelte dankbar. Immerhin war sie kein totaler Oger. Wenn es dazu beitrug, das Profil ihres Teams zu heben und sie in ein besseres Licht zu rücken, dann würde es sich vielleicht lohnen. Sie beobachtete, wie Donovan sich an ihr Team wandte und alle nacheinander vorstellte. Ihr Blick ruhte auf Molly, die Ginny mit brennender Neugierde in den Augen anstarrte. Nachdem sie ihr Telefonat beendet hatte, gesellte sie sich zu ihnen und schüttelte Ginny enthusiastisch die Hand. „Ich bin ein großer Fan“, sagte sie zur Erklärung, wobei zwei rosa Flecken auf ihren Wangen aufleuchteten. Ginny lächelte herzlich, und als sie sich länger in die Augen starrten, räusperte sich Amy. „Gut, Leute, zurück an die Arbeit. Ginny wird uns wissen lassen, was sie von uns braucht. In der Zwischenzeit haben wir viel zu tun.“

Amy überließ Donovan dankbar die Aufgabe, Ginny und ihre Crew herumzuführen. Sie zückte ihr Handy aus der Hosentasche und stellte es widerwillig auf lautlos. Winifred würde anrufen, wenn es ihrer Mutter schlechter ginge. Sie bekam ein schlechtes Gewissen, weil sie abgelenkt war. Das war ihr Job. Sie sollte sich auf ihr Opfer konzentrieren, anstatt an ihre Mum zu denken. Aber ihr Vater war so plötzlich gestorben, dass Amy nicht anders konnte, als sich Sorgen zu machen. Als sie in ihr Büro zurückkehrte, starrte sie missbilligend auf Donovans Schreibtisch. Sein Arbeitsplatz war das totale Gegenteil von ihrem – alle Papiere und Akten waren das reinste Durcheinander. Sie wollte sich nicht vorstellen, wie sein Arbeitsplatz ausgesehen hatte, bevor der Großteil ihrer Dokumente digitalisiert wurde. Sie stöberte auf seinem Schreibtisch herum, um nach Hinweisen auf seine Persönlichkeit zu suchen. Es gab keine gerahmten Familienfotos, aber das war nicht ungewöhnlich, da sie gerade erst in das neue Büro gezogen waren. Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln, als sie die Worte auf der Tasse auf seinem Schreibtisch las: Ich habe ein weiteres Meeting überstanden, das eigentlich eine E-Mail hätte sein sollen. Amy konnte das nachempfinden.

Sie versteifte sich beim Geräusch sich nähernder Schritte und ließ die Tüte mit den leicht geschmolzenen Minstrels auf seinen Schreibtisch fallen. Das letzte bisschen Appetit, das sie noch gehabt hatte, verflüchtigte sich. Das war auch gut so, denn in einer Stunde würde sie bei der Autopsie dabei sein. Doch das leise Klopfen an der Tür kam nicht von Donovan, und sie blickte auf, nur um Malcolm dort stehen zu sehen. „Zweimal an einem Tag, die Leute werden reden“, sagte sie und versuchte, etwas Normalität in ihren Morgen zu bringen.

„Tut mir leid, Darling. Ich habe mich nur gefragt, ob du zur Autopsie gehst? Könntest du mich bitte wissen lassen, was sie finden, wenn du zurückkommst?“

„Klar“, antwortete Amy. „Hast du irgendetwas Neues herausgefunden …? Denn neue Spuren sind momentan dünn gesät.“

„Noch nichts, fürchte ich. Aber wer auch immer das getan hat, war ruhig und kontrolliert und hatte ein Auge fürs Detail. Wir reden hier von akribischen Bemühungen, alles genau richtigzumachen.“

„Das habe ich aus dem Schauspiel im Schaufenster entnommen“, antwortete Amy knapp. Sie lächelte entschuldigend und öffnete ihre Minstrels-Packung als Friedensangebot. „Tut mir leid“, fuhr sie fort, als Malcolm ein paar davon nahm. „Ich war die Erste vor Ort. Ich kann ihr Gesicht immer noch sehen, wenn ich die Augen schließe. Sie sah aus wie eine Schaufensterpuppe, mit weit aufgerissenen Augen, die in die Menge starrten.“

„Faszinierend“, erwiderte Malcolm und ließ die Minstrels-Schokodrops auf seiner Zunge zergehen. „Die Diamanten, der Glitter. Wenn unser Verdächtiger ein Mann ist, wusste er, wie man sich schminkt. Und was ihr Haar angeht …“

Amy seufzte, während Malcolm schwärmte. Es war, als würde er über eine aufwändige Theateraufführung sprechen und nicht über ein Opfer aus dem wirklichen Leben. Aber er war schon immer leidenschaftlich bei seiner Arbeit gewesen, und alle gingen unterschiedlich mit diesen Horrortaten um. Amys Irritation war ganz ihre eigene. Floras Krankheit beschäftigte sie. Flora und … Lillians Berufung.

„Es war sehr zeremoniell“, fuhr Malcolm fort, ohne sich um sie zu kümmern. „Darling, das war geplant.“ Er nickte, als würde er sich selbst zustimmen. „Aber ich kann nicht glauben, dass sie die ganze Zeit am Leben war.“

„Wie lief es im Kaufhaus?“, fragte Amy. Von Tür zu Tür zu gehen und nach Zeugen zu fragen hatte nichts Neues ergeben.

Malcolm stahl zwei weitere Schokodrops aus Amys Päckchen. „Bei so viel Glitter und Diamanten hatte ich erwartet, etwas zu finden. Ich glaube nicht, dass unser Opfer am Tatort geschminkt und angekleidet wurde.“

„Das glaube ich auch nicht“, stimmte Amy zu. Sie winkte Paddy herein, als sie ihn an ihrer Tür stehen sah. Einer raus, einer rein, dachte Amy, als Malcolm sich auf den Weg machte. Das war immer so. Es war ein Wunder, dass sie es überhaupt schaffte, zu arbeiten.

Sie ging zu ihrem Schreibtisch und schrieb eine Post-it-Notiz, um sich daran zu erinnern, Malcolm nach ihrer Rückkehr auf dem Laufenden zu halten. Sie klebte ihn an die Seite ihres Computermonitors, wo er sich zu den anderen Zetteln gesellte, die sie an diesem Tag geschrieben hatte.

Paddy räusperte sich.

Amy schob ihren Ärmel zurück und sah auf ihre Armbanduhr. „Ich habe in einer Stunde eine Autopsie. Ist es dringend?“

„Es hat sich eine Zeugin gemeldet. Sie ist an der Rezeption.“ Paddy reckte den Hals, während er seine Krawatte lockerte. „Sie sagt, sie kennt unser Opfer von Facebook. Soll ich Molly runterschicken, um mit ihr zu sprechen?“ Mehrere Videos waren in den sozialen Medien veröffentlicht worden, bevor sie gemeldet und entfernt werden konnten. Amy steckte sich einen Stift in die Brusttasche ihrer Anzugjacke und holte ihr in Leder gebundenes Polizei-Notizbuch aus ihrer Schreibtischschublade. Eine solche Gelegenheit durfte sie sich auf keinen Fall entgehen lassen. „Lass sie mich zuerst etwas aushorchen“, sagte sie, obwohl sie wusste, dass sie delegieren sollte. Doch wenn jemand mit Informationen über ihr Opfer vorgetreten war, wollte sie an der Quelle sitzen.

KAPITEL SECHS

Donovan kannte Superintendent Jones nicht besonders gut, aber seine über vierzigjährige Polizeierfahrung war an den Falten auf seiner Stirn und seinem schütteren Haar abzulesen. Der stechende Geruch von Zigaretten hing in der Luft. Im Gebäude durfte nicht geraucht werden, aber der Geruch haftete an der Kleidung des guten Superintendenten. Donovan wäre nicht überrascht, wenn er auch eine Flasche Scotch in seiner Schublade hätte: ein Relikt der längst vergangenen Tage.

Jones bedeutete ihm, sich zu setzen, und drückte sich den Hörer seines Telefons ans Ohr, während er die Genehmigungen für einen laufenden Fall besprach. Donovan hatte nicht den besten Start mit seinem neuen Team gehabt. Amy hatte viel Einfluss, der auch über ihre Präsenz hinaus spürbar war, und Donovan musste sich erst noch daran gewöhnen, ihr Boss zu sein. Er schlug die Beine übereinander und strich einen weißen Fussel von seiner schwarzen Hose. Vom ersten Moment an, als er Amy kennengelernt hatte, war er von ihr völlig eingenommen gewesen. Hinter ihrer scharfen Zunge und ihrer eisigen Haltung verbarg sich eine Verletzlichkeit, die nur wenige zu sehen bekamen.

Nachdem er sein Telefonat beendet hatte, wandte Jones seine Aufmerksamkeit Donovan zu. „Sorry“, sagte er und verschränkte die Arme in dem Hemd, dessen Nähte sich spannten. „Wie leben Sie sich ein?“

„Gut, danke, Sir. Alles läuft nach Plan.“

„Ich würde Winters Sprung in ein Schaufenster wohl kaum ‚planmäßig‘ nennen, oder? Der Fall erregt landesweit Aufmerksamkeit.“

Donovan räusperte sich. „Um ehrlich zu sein, Sir, hätte ich wahrscheinlich dasselbe getan.“

„In der Tat.“ Jones hob einen Finger. „Aber wissen Sie, warum Sie nie auf den Fall gestoßen wären? Instinkt. Sie sind ein verdammt guter Detective, verstehen Sie mich nicht falsch. Aber es war roher Instinkt, der Winter zu dieser Schaufensterauslage geführt hat … so wie er sie auch bei ihrem letzten Fall zum Mörder geführt hat. Schade, dass wir ihren Instinkt nicht in Flaschen abfüllen können.“

Donovan nickte, unsicher, wie er seinen Superintendenten verstehen sollte. Die Zeitungen hatten Amys Umgang mit der Untersuchung der Kinderversuche gelobt. Sie hatte die Sache an die Öffentlichkeit getragen, aber die Risiken, die sie eingegangen war, um eine Verurteilung zu erwirken, bereiteten ihm Kopfschmerzen. Es war keine Überraschung, dass ihre letzte DCI gezwungen war, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen. Seine Vorgesetzten hatten in Bezug auf seine Aufgabe kein Blatt vor den Mund genommen. Er sollte das Team leiten, während Amy streng beobachtet wurde. Er sollte ihr genügend Freiraum lassen, um ihren Instinkten zu folgen, aber unter seiner Aufsicht. Sie durfte nie davon erfahren. Ihre Beziehung war so schon kompliziert genug.

„Unser Team wird von vielen Leuten interessiert beobachtet. Ich hoffe, wir werden es nicht bereuen, ein Fernsehteam eingeladen zu haben.“ Jones’ Stimme riss Donovan aus seinen Gedanken.

„Winter ist an Bord. Es wird ein Erfolg, ich gebe Ihnen mein Wort.“

Jones nickte in Richtung eines Schwarz-Weiß-Fotos, das an seiner Wand hing. Darauf saßen reihenweise junge Beamte in Uniform und hatten die Hände auf dem Schoß gefaltet. „Robert und ich traten zur gleichen Zeit in den Dienst bei der Met ein. Er war ein hervorragender Beamter, und das Erbe seiner Arbeit lebt in Amy weiter. Aber ich gehe bald in den Ruhestand, und mein Nachfolger wird nicht ganz so entgegenkommend sein, wenn es um das Verhalten seiner Tochter geht. Verstehen Sie mich nicht falsch, sie ist ein brillanter Detective Inspector …“ Er gestikulierte mit beiden Händen. „Aber seit ihre Verbindung zu den Grimes bekannt geworden ist, sitzt sie auf Messers Schneide.“

„Boss, was genau wollen Sie?“ Donovan schaute auf die Uhr; die Zeit tickte und er hatte noch so viel zu tun.

„Halten Sie Winters Erkenntnisse mit etwas altmodischer Polizeiarbeit im Gleichgewicht. Leisten Sie die Vorarbeit, um ihre Theorien zu untermauern, so wild sie auch erscheinen mögen. Sind wir der Identität unserer toten Schaufensterpuppe schon nähergekommen?“

„Wir haben eine Zeugin, die sich gemeldet hat. Sie spricht gerade mit Winter.“

„Gut“, antwortete Jones und runzelte die Stirn, als sein Telefon klingelte. „Machen Sie sich wieder an die Arbeit. Halten Sie mich über alle Entwicklungen auf dem Laufenden und behalten Sie Winter genau im Auge. Wir können uns keine negative Publicity leisten.“

„Natürlich.“ Donovan wollte etwas sagen, um seinen Boss zu beruhigen, aber Jones hatte den Anruf bereits entgegengenommen. In dieser Welt gab es wenig Zeit für Nettigkeiten. Es schien, als würde der Superintendent ein Auge auf sie beide haben. Aber Donovan war mehr als ein glorifizierter Babysitter. Die Bemerkung über seinen Instinkt hatte wehgetan. Donovan hatte sich während seiner Arbeit für die Polizei von Essex unzählige Male bewährt, aber jetzt fühlte er sich, als müsste er wieder von vorne anfangen.

Das war ein Grund mehr, die Doku zum Erfolg zu führen. Er vertraute Ginny, dass sie wusste, was sie tat; er wusste, dass sie auf ihn hören würde. Winter wusste nichts von ihrer Beziehung, und er hatte vor, es dabei zu belassen. Im Moment hatte er das Gefühl, viele Bälle gleichzeitig jonglieren zu müssen. Er hoffte nur, dass keiner von ihnen zu Boden fallen würde.

KAPITEL SIEBEN

Der Empfang des Polizeireviers war ein deprimierender Anblick, geprägt von weiß getünchten Steinmauern und in den Boden geschraubten Hartplastikstühlen. Eine dicke Scheibe aus Sicherheitsglas trennte die Mitarbeiter der Polizei von den Bürgern, und obwohl der geflieste Boden regelmäßig gewischt wurde, haftete ihm ein unangenehmer Geruch an, der sich nicht beseitigen ließ. Es gab schönere Orte auf dieser Erde, vermutete Amy. Sie strich sich das Haar glatt und zupfte am Saum ihrer Jacke, um sie zu glätten.

Die Zeugin, die sich als Rose vorgestellt hatte, wurde in einen Nebenraum geführt, der für den Erstkontakt reserviert war. Molly würde sie später durch das Gebäude führen, falls eine Aussageaufnahme oder ein Videointerview erforderlich war.

Amy stellte sich vor, als sie eintrat. „Sie sind Rose, nehme ich an?“

Die junge Frau schien Mitte bis Ende zwanzig zu sein und hatte große braune Bambi-Augen. Ihr blondes Haar war zu einem Pferdeschwanz zurückgekämmt, und ihr Kostüm schien teurer als alles, was Amy je besessen hatte. Amy musterte sie eingehend. Ihre Designertasche, die perfekt manikürten Nägel und die frisch ausgespritzten Lippen – all das erzählte eine Geschichte.

„Ja, Sie können mich Rose nennen“, sagte sie in einem Ton, der das Gegenteil vermuten ließ.

„Was kann ich für Sie tun?“ Amy deutete ihr an, sich zu setzen. Der Raum war klein, aber angemessen weit und mit einem einfachen Tisch und Stühlen ausgestattet. Es war schade, dass es keine Fenster gab, denn etwas frische Luft hätte gut getan.

Roses Augen huschten zur Tür, als ob sie über eine Flucht nachdachte. Amy hatte diesen Blick schon einmal gesehen. Rose hatte ein Geheimnis. Eines, das alles auf den Kopf stellen würde. Ihre Finger verkrampften sich um den Griff ihrer Handtasche, während sie einen inneren Kampf auszutragen schien.

„Sie haben gesagt, dass Sie das Opfer identifizieren können“, setzte Amy an.

„Ihr Name ist … war Stacey. Ich kenne sie schon seit Jahren.“

„Sie war Ihre Freundin?“