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"Ich habe das Gefühl, dass ich hier unten alleine nicht lange überleben werde. Darum bleibt mir nichts anderes übrig, als auf deine Hilfe zu vertrauen. Also mach es mir nicht noch schwerer, als es sonst schon ist." Nachdem Hina und Gil in ihre Heimat zurückkehren, müssen sie feststellen, dass während ihrer Abwesenheit die Stadt Xyr überfallen wurde. Um herauszufinden, ob ihre Familien noch leben und wer sie verschleppt hat, müssen sie in die tiefen Tunnel von Purgator vordringen. Während Hina mit sich und ihren neuen Fähigkeiten kämpft, muss sie mit Gils Vorurteilen und neuen Gegnern zurechtkommen. Können sie gegen die Pyroniden und die vier Hüter bestehen? Schaffen sie es die Bewohner von Xyr wieder zu befreien? Und was hat der Geist des Feuers vor?
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Seitenzahl: 144
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Vorwort
Zurück nach Xyr
Abstieg in die Hölle
Auf der untersten Ebene
Vertrauen
Die Revolution
Gespaltene Zungen
Flammen der Entscheidung
Unerwartete Bekanntschaften
Hoffnungsschimmer
Zweifelhafter Sieg
Der nächste Zug
Tief im Stollen
Gefühle
Sie sollen brennen!
Durch die Wand
Der Plan
Wir sind noch nicht fertig!
Neuanfang
Danksagung
Lieber Leser,
das Werk, welches du in den Händen hältst, ist der zweite Teil von Hinas Abenteuer. Um Verwirrungen und Unklarheiten vorzubeugen, erkläre ich hier noch einige Details in Kürze:
Menschen: Kompatibel mit verschiedensten Blutsorten. Bisher war es nicht möglich, mehr als zwei verschiedene Arten in einem Menschen zu vereinen.
Drachen: Die Allgemeinheit denkt, sie seien ausgestorben, aber ein Exemplar lebt noch auf der Insel Vardra und wird von der Öffentlichkeit abgeschirmt.
Dagons: Halb Frosch, halb Mensch. Sie sind in der Lage, das Wasser zu kontrollieren und von Natur aus Pazifisten.
Olgois: Vettern der bekannten Orks, schmächtig gebaut und mit enormer Körperkraft ausgestattet.
Nugri: Die nächste Entwicklungsstufe der Schnecken. Sie sind zäh und können wochenlang ohne Nahrung und Flüssigkeiten überleben, gelten generell als ausgestorben.
Lindwürmer: Eine Unterart der Drachen, in lockerem Boden wie Sand beheimatet. Sie haben keine Extremitäten und ihre Zähne besitzen ein Gift, welches einen innerhalb von Sekunden tötet.
Griffis: Zum Leben erweckte Pflanzen. Es gibt sie in verschiedensten Formen und Arten, tendenziell nostalgische Geschöpfe.
Das Wesen des Wassers: Eines der fünf Elemente. Herrscher über die Insel Vardra und stiller Strippenzieher.
Die Macht des Blutes: Sobald ein Mensch das Blut eines anderen Volkes in sich aufnimmt, übernimmt es automatisch dessen Stärken. Bei mehreren Blutarten kann das Übernehmen der Stärken ein langer und schmerzvoller Prozess werden.
Die Hüter der Elemente: Sobald sich ein Lebewesen zu einem Hüter qualifiziert hat, steht es in ständigem Kontakt mit dem Elementarwesen. Er ist in der Lage, durch das jeweilige Element sämtliche Informationen aufzunehmen und die Geschehnisse mitzuverfolgen. Es ist möglich, mehrere Hüter zu rekrutieren, dessen Rang dann auch die Stärke definiert.
Das Boot, welches Hina und Gil von den Dagons bekommen haben, fährt sicher über das Meer. Von der Strömung, die sie vor einem Jahr auf die Insel Vardra gebracht hat, ist nichts mehr zu spüren. Gil hält ein kleines Tongefäß zwischen seinen Beinen, während Hina gleichmäßig rudert. Stille herrscht zwischen den beiden. Soras Beerdigung war vor gerade mal zwei Tagen. Doch sie hat immer noch nicht die richtigen Worte gefunden, um mit ihm über das Geschehene zu reden. Der Schock über das Geschehene sitzt noch zu tief. Hina hat die Menschen auf dieser Insel ausgelöscht. Einen weiteren Krieg zwischen den Völkern verhindert, die Sicherheit des letzten Drachen gewährleistet und ihre erste und einzige Freundin verloren. Gil wurde während der Folter im schwarzen Kloster seiner Sinne beraubt. Und nachdem er kurz mit seiner Zwillingsschwester wiedervereint war, hatte sie sich für Hina geopfert.
„Wie werden sie wohl reagieren?“
Hina sieht zu ihrem Begleiter. Gil starrt weiter auf die verzierte Urne.
„Wie werden wohl unsere Eltern reagieren?“
Anscheinend hat Gil nicht das Bedürfnis mit ihr zu reden, weshalb Hina für sich nickt und weiter rudert. Die Stille wird erst wieder unterbrochen, als Möwen über ihren Köpfen schreien. Die Fischerhäuschen von Xyr sind in Sichtweite.
Gil streichelt das Tongefäß, welches mit der Asche seiner Schwester gefüllt ist.
Hina sieht ihm aus dem Augenwinkel zu. Sie kann sich gar nicht vorstellen, wie es sein muss, seine zweite Hälfte zu verlieren. Schließlich waren die Zwillinge unzertrennlich.
Nachdenklich sieht sie zu den Möwen am Himmel.
Langsam kommen sie dem Ufer immer näher.
„Wo wirst du sie begraben?“
„Im Wald.“
„Darf ich mitkommen?“
Gil schüttelt den Kopf.
„Das will ich mit meinem Vater tun.“
Der Strand ist leer, wie schon bei ihrer Abreise. Die Holzhütten stehen am Waldrand, alles ist ruhig. Die Fischer schlafen vermutlich, da sie wegen der gefährlichen Strömung nur nachts arbeiten.
Wären sie damals doch nur nachts herausgefahren.
Hina befestigt das Boot mit einem Seil am Steg. Gil hält das Gefäß mit der Asche mit beiden Händen und starrt auf den Wald. Sein kahlgeschorener Kopf glänzt in der Sonne. Mit den weißen Gewändern sieht er aus wie ein Priester. Hina gesellt sich zu ihm. Ihre rote Haarmähne weht im Wind. Auch sie ist in weiße Gewänder gekleidet.
Still gehen sie den Weg durch den Wald. Hina nimmt viel mehr wahr, auch fällt ihr der Weg um einiges leichter als letztes Mal.
Die verschiedenen Blutarten, die sie in sich trägt, erleichtern ihr enorm den Weg. Mit ihren nackten Füßen spürt sie jede Wurzel, jedes Blatt und weicht den kleinen Krabbeltieren aus. Leichtfüßig spaziert sie zwischen den Büschen und gibt keinen Ton von sich.
Still starrt sie Gils Rücken an. Er geht stur vor ihr und hält die Asche vor sich wie einen Schatz. Sie kann seinen schweren Atem hören.
„Kann ich dir helfen, Gil?“
Ruckartig bleibt er stehen.
„Ich höre doch wie es dir schwerfällt. Lass mich dir helfen …“
Hina streckt eine Hand nach ihm aus und hält inne, als sie ihn schreien hört.
„FASS MICH NICHT AN!“
Stille.
Hina steht da wie vom Blitz getroffen, ihre rechte Hand noch ausgestreckt.
Immer noch mit dem Rücken zu ihr gewandt, redet er in einem angespannteren Ton weiter.
„Ich habe nachgedacht. Warum das alles passiert ist.
Und egal wie ich es drehe und wende, am Ende ist es immer deine Schuld.“
Er dreht sich langsam zu ihr und sieht sie mit Ekel in den Augen an.
Ihr bleiben die Worte im Hals stecken.
„Wenn du dich nicht so vor dem Reh erschreckt hättest, wäre Sora nicht auf die Idee gekommen, diesen bescheuerten Ausflug zu machen. Hättest du dich nicht von diesem verfluchten Lindwurm erwischen lassen, wären wir nicht von den anderen abhängig gewesen.“
Seine Stimme klingt ruhig und bedrohlich. Hina kann gar nicht anders, als ihn anzustarren.
„All das wäre aber gar nicht so schlimm gewesen. Doch dann hast du dich von deinem Halbbruder flachlegen lassen und uns den Rücken zugekehrt.“
Alles in ihr schreit. Die Erinnerungen spielen sich vor ihrem inneren Auge ab. Demitri, der sie verführte und ihr einige Wochen danach das Schwert in den Rücken rammte, Sora und Gil, die sich für sie opferten, und wie sie beide dann aus ihrem Sichtfeld verschwanden.
Ihr wird heiß und kalt gleichzeitig. Unter Gils Blick hat sie das Gefühl, zu ersticken.
Er steht ruhig da, seine Hände um die Asche seiner Schwester geklammert.
„Danach hast du beschlossen, die Menschen zu töten.
Eigentlich sollte ich mich glücklich schätzen, noch am Leben zu sein.“
Weder Ironie noch Sarkasmus. Hina realisiert, dass er jedes Wort ernst meint.
„I-ich bin doch auch ein-“
„Nein, Hina. Ich hab keine Ahnung, was du bist. Aber bestimmt kein Mensch. Jedenfalls nicht mehr.“
Sie versucht sich zusammenzunehmen, doch eine einzelne Träne findet trotzdem den Weg ihre Wange hinab. Sie weiß nicht, was sie tun soll.
Gil nimmt ihr die Entscheidung ab. Er dreht sich um und geht weiter in den Wald.
Steif wartet sie, bis er außer Sichtweite ist. Zu hören, wie ruhig und sicher er seine Schritte durch den Wald geht, versetzt ihr einen Stich.
Als würde sie sich nicht selbst schon genug Vorwürfe machen. Zu wissen, dass Gil genauso denkt, lässt das Loch in ihrer Brust nur noch größer werden. Vor allem, da er während Soras Beerdigung auf der Insel noch ihre Hand gehalten hatte.
Eine Träne nach der anderen wandert ihr Gesicht hinunter. Zögerlich macht sie einen Schritt nach dem anderen. Die Jagdhütte, Gils Zuhause, ist direkt am Waldrand. Wenn sie dem Weg weiter folgt, wird sie daran vorbeilaufen.
Hina erinnert sich an seine kalten Augen und biegt rechts ab. Auch wenn sie noch nie in diesem Teil des Waldes war, hat sie keine Mühe, sich zurechtzufinden. Ihre Sinne sind nicht nur geschärft, auch ihre körperlichen Fähigkeiten sind ins Unermessliche gestiegen. Sie hat während der gesamten Rückfahrt das Rudern übernommen, dennoch fehlt jede Erschöpfung.
Auch wenn ihre körperlichen Fähigkeiten enorm zugenommen haben, bereut sie es langsam, die verschiedenen Blutarten in sich aufgenommen zu haben.
Während Hina durch den Wald schreitet, bemerkt sie die ungewöhnliche Stille um sich herum. Sie bleibt stehen und lauscht angestrengt, doch es ist nichts zu hören. Weder Vögel noch andere Tiere brechen die gespenstische Ruhe. Ein Gefühl der Unruhe breitet sich in ihr aus. Vorsichtig macht sie sich auf den Weg in Richtung Stadt. Je näher sie kommt, desto nervöser wird sie. Die Luft trägt einen seltsam vertrauten Geruch, und als Hina den Waldrand erreicht, versteht sie auch, warum. Die Stadt ist in Flammen aufgegangen.
Ruinen zeichnen die Stelle, an der sie ihre Kindheit verbracht hat. So schnell sie kann, eilt sie nach Hause.
Der Weg ist mit Asche bedeckt, die bei jedem ihrer Schritte aufwirbelt.
Erst als sie vor der Bibliothek steht, hält sie an. Die schwere Eichentür, die einst den wertvollen Inhalt des Gebäudes schützte, ist nur noch an den Scharnieren erkennbar. Die steinernen Wände sind pechschwarz, und das Dach weist mehrere Brandlöcher auf, durch die die Sonne strahlt und Hina einen Blick auf das Chaos gewährt. Schluchzend hält sie sich die Hand vor den Mund. Langsam bewegt sie sich zwischen den verbrannten Seiten und den Überresten der Regale zum Kamin. Der Steinkamin steht noch einigermaßen intakt, überzogen von schwarzer Asche. Hina sinkt auf den Boden. Sie kann ihre Trauer nicht länger zurückhalten.
Mit einer Hand stützt sie sich am Boden ab und spürt das verbrannte Papier. Ein stechender Schmerz durchfährt ihr Herz. Ihre ausgeprägten Sinne werden von dem eisigen Geruch des Blutes und des verbrannten Holzes gequält. Sie klammert sich an die letzten Erinnerungen, die sie innerhalb dieser Wände hatte: das Geräusch des Gehstocks, wenn ihr Vater durch die Regale schritt, der leckere Duft von Grießbrei, den ihre Mutter im Nebenraum zubereitete, und das Gefühl, einen alten Lederband in ihren Händen zu halten. Was gäbe sie jetzt für all diese kleinen Dinge …
„Anscheinend hast du deine Menschlichkeit doch nicht ganz verloren.“
Sie hört, wie Gil langsam durch die Asche geht.
„Lass mich in Ruhe!“
„Das Recht hast du nicht.“
„Was?“
Sie dreht ihren Kopf, um ihn ansehen zu können. Ihre verquollenen Augen machen es ihr nicht leicht, Gil zu erkennen. Sein weißes Gewand ist voller Ruß.
„Du hast kein Recht, in Selbstmitleid zu versinken. Wir müssen sie wieder zurückholen.“
„Wir?“
Gil sieht sich die Überreste der einstmals stolzen Bibliothek an. Seine Augen sprühen vor Zorn. Erst jetzt fällt Hina auf, dass Gil Soras Urne nicht mehr bei sich hat.
In ihrem Kopf geht viel zu viel vor, um geradeaus denken zu können.
„Wer war das ...?“
Ihre Stimme ist nicht mehr als ein stockendes Flüstern.
„Wenn ich das wüsste, wäre ich nicht hier.“
Hina wischt sich die Tränen aus dem Gesicht und steht auf.
Sie versucht, sich zusammenzureißen.
„Wo ist Sora?“
„Ich habe ihre Asche begraben.“
Während sie ihn mustert und seine dreckige Kleidung näher ansieht, spaziert er umher. Es scheint, als würde er ihrem Blick ausweichen. Gils Handgelenke sind rot, die Fingernägel eingerissen. Es ist nicht nur Ruß, sondern auch Erde auf seinem ehemals weißen Gewand.
Hina seufzt und versucht damit ihre Trauer herunterzuschlucken. Auch wenn es ihr nicht sonderlich gut gelingt.
„Du willst also mit einem Monster, wie ich es bin, zusammenarbeiten?“
„Nicht freiwillig. Und ich werde mich bestimmt nicht bei dir entschuldigen. Ich habe jedes Wort so gemeint, wie ich es gesagt habe.“
Er macht eine kleine Pause, bevor er sich zu ihr umdreht und sie ansieht.
„Damit das aber funktioniert, musst du mir versprechen, dass du nicht wieder eine ganze Stadt auslöschst. Ich halte nicht viel von Mördern.“
Als würde der Anblick ihrer verbrannten Bibliothek nicht schon genug schmerzen. Sie hat das Bedürfnis, sich zu erklären, und holt Luft, doch sie schließt ihren Mund wieder. Er hat sich seine Meinung über sie bereits gebildet. Und daran kann sie nichts ändern.
Wenn sie ehrlich zu sich selbst ist, weiß sie auch, dass er recht hat. Nicht jeder Mensch auf der Insel von Vardra hatte den Tod verdient. Und doch hatte sie bewusst entschieden, jeden einzelnen zu töten. Es gibt nichts, was sie sagen könnte, um seinen Vorwurf zu entkräften.
„Ich verspreche es.“
„Sprich es aus.“
„Ich werde keinen Unschuldigen mehr töten. Das verspreche ich dir.“
Gil nickt, nachdem er beschlossen hat, ihr zu glauben.
Danach dreht er sich um und verlässt die Ruinen.
„Lass uns das Loch untersuchen.“
„Loch? Welches Loch?“
Hina folgt ihm. Sichtlich verwirrt sieht sie sich um und versucht, das Loch zu finden, von dem er gesprochen hat.
Er geht still weiter, bis zum Marktbrunnen. Oder zu dem Ort, wo der Brunnen einst war. An seiner Stelle klafft ein riesiges Loch, aus dem Rauch steigt.
„Sag bloß, du hast das vorhin nicht gesehen.“
„Ich hatte einen anderen Weg genommen.“
Fassungslos starrt Hina hinab.
„Im Brunnen war ein Wasseramulett eingearbeitet.“
„Wie kommst du darauf?“
„Ich hab’s gesehen. Immer wieder. Laut Frederick hat Mutter es von der Insel mitgenommen.“
„Also hatte dieser Wassergott auch ein Auge auf uns.“
„Wahrscheinlich.“
„Und warum?“
Hina schüttelt den Kopf.
„Das weiß ich nicht.“
„Jedenfalls können wir mit ziemlicher Sicherheit sagen, wer das alles hier angerichtet hat.“
„Stimmt. Wenn der Geist des Wassers existiert, ist es nicht abwegig, dass es auch einen Feuerteufel gibt.“
Der Steinboden bröckelt am Rand, wo es steil hinab geht. Bei der näheren Betrachtung erkennt Hina, dass kleine Halterungen in der Schlucht vorhanden sind. Die Erdöffnung reicht unendlich weit nach unten und der Rauch versperrt ihr die Sicht. Wie weit es tatsächlich hinuntergeht, kann sie nicht genau sehen.
„Also Hina, was weißt du darüber?“
„Worüber?“
„Über dieses Loch. Vardra hattest du ja auch gekannt.“ Hina steht seufzend auf.
„Über Vardra gab es ein Buch. Vermutlich hat es sogar meine Mutter geschrieben. Obwohl ich nicht weiß, warum sie meinen biologischen Vater als Held dargestellt hat.“
Gil mustert Hina erneut. Er scheint abzuschätzen, ob sie die Wahrheit sagt. Sie schluckt ihre Empörung runter.
Nach all dem, was passiert ist, wagt sie es nicht, ihm Vorwürfe zu machen.
„Hör zu Gil, ich habe keine Ahnung, was uns erwartet.
Aber ich finde, wir sollten sicherstellen, ob wirklich niemand mehr hier ist. Die Fischerhütten sahen noch intakt aus. Und du brauchst auch Proviant. Vielleicht geht die Reise länger als uns lieb ist.
Abgesehen davon-“
„Wir brauchen Proviant.“
„Was?“
„Du hast gesagt, dass nur ich Proviant brauche.“
Seinem Blick ausweichend, fokussiert sie sich auf das riesige Loch vor ihnen.
„Ich kann Wochen ohne Wasser oder Essen auskommen.“
Er zieht die Augenbraue hoch.
„Also doch ein Monster.“
Hina seufzt und sieht sich um. Die verkohlten Ruinen um sie herum sehen alles andere als vielversprechend aus.
„Ich habe mich bereits umgesehen. Es ist niemand mehr da. Und den verbrannten Leichen nach zu urteilen, ist die Verwüstung noch nicht sehr lange her.“
Überrascht sieht sie ihn an. Wie lange war sie in der Bibliothek? Wenn Gil in der Zwischenzeit nicht nur Soras Überreste begraben, sondern auch noch die Gegend abgesucht hat, muss eine Ewigkeit verstrichen sein.
„Glaubst du wirklich, dass du meine erste Wahl warst? Ich hab niemand anderen gefunden, also habe ich dich wieder aufgesucht.“
Sein abschätziger Blick versetzt ihr erneut einen Stich ins Herz.
„Wie viele Leichen hast du gefunden?“
„Eine Handvoll, sie müssen die anderen Bewohner verschleppt haben.“
„Hoffen wir’s.“
Sie zerreißt ihr rußverschmiertes Gewand, um ihren Beinen mehr Bewegungsfreiheit zu geben. Gil macht es ihr nach.
„Nimm den gleichen Weg wie ich.“
„Hör auf, mich beschützen zu wollen. Ich brauche deine Fürsorge nicht.“
Seufzend beginnt Hina das Loch hinunterzusteigen.
Der Geruch von verfaulten Eiern wird intensiver.
Langsam klettern die zwei hinunter und achten darauf, nicht hinunterzufallen. Auch wenn Hina ihrem Zeitgefühl nicht mehr traut, ist sie sich sicher, dass sie schon seit Stunden hinabsteigen.
Schweißperlen bilden sich auf ihrer Stirn und rollen in ihre Augen. Ihre lange Mähne hinterlässt eine zusätzliche Wärme auf ihrem Rücken und der Rauch kratzt in der Lunge. Hina versucht sich nicht zu beschweren, schließlich ist sie sich sicher, das es Gil noch viel schlechter geht. Um einen Streit zu vermeiden, bleibt sie still. Es wäre unklug, sich auch nur zu unterhalten, denn sie wissen nicht, was unten auf sie wartet.
Hina bereut, ihren Morgenstern auf der Insel gelassen zu haben. Sich unbewaffnet auf fremdes Gebiet zu begeben, passt ihr gar nicht. Sie hofft, dass ihre Drachenaura mögliche Feinde vorerst fernhält, wie sie die Lindwürmer ferngehalten hat.
Gil zittert am ganzen Körper und er verflucht sich dafür. Auch wenn er in den Überresten seines Zuhauses keine Knochen gefunden hat, weiß er nicht, ob sein Vater noch lebt. Vor ihrer Abreise war sein Bein krank. Der Doktor hatte es amputieren müssen. Er will sich gar nicht vorstellen, wie es ihm die ganze Zeit gehen musste.
Völlig in seinen Gedanken versunken, fängt er an zu husten. Er hat zu viel vom Rauch eingeatmet.
Hina sieht nach oben und bemerkt, wie Gil wegen des Hustens einen Fehltritt macht und den Halt verliert. Ohne zu zögern, bewegt sie sich zur Seite, dass sie nicht mit ihm zusammen runter gerissen wird. Dann packt sie sein Handgelenk und bewahrt ihn so vor dem Sturz. Panisch sieht er sie an.
„Wir hätten doch eine Pause machen sollen, Gil.“
Er gibt lediglich einen verächtlichen Laut von sich und vermeidet ihren Blick.
„Ich weiß, dass es dir nicht gefallen wird, aber ich nehme dich am besten auf den Rücken.“
„Stimmt, das gefällt mir überhaupt nicht.“
Ein weiterer Hustenanfall schüttelt seinen Körper.