Rabenkuss - Anja Ukpai - E-Book

Rabenkuss E-Book

Anja Ukpai

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Beschreibung

June ist bis über beide Ohren in Jacob verliebt und kann es gar nicht abwarten, ihn endlich wieder in die Arme zu schließen. Als sie aber erneut von geisterhaften Erscheinungen heimgesucht wird, ist sie sich sicher, dass der Rabenlord wiedererwacht ist. Wie zornig er ist, zeigt sich, als einer von Junes Mitschülern sich plötzlich in Luft auflöst – nur eine Handvoll Federn bleibt zurück. June bekommt es mit der Angst zu tun. Sie muss herausfinden, wer der Rabenlord ist, bevor noch Schlimmeres geschieht. Doch welche Rolle spielt Jacob dabei? Ist er vielleicht sogar selbst in Gefahr? Packendes Finale des Rabenepos

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Buchinfo

June ist bis über beide Ohren in Jacob verliebt und kann es gar nicht abwarten, ihn endlich wieder in die Arme zu schließen. Als sie aber erneut von geisterhaften Erscheinungen heimgesucht wird, ist sie sich sicher, dass der Rabenlord wiedererwacht ist. Wie zornig er ist, zeigt sich, als einer von Junes Mitschülern sich plötzlich in Luft auflöst – nur eine Handvoll Federn bleibt zurück. June bekommt es mit der Angst zu tun. Sie muss herausfinden, wer der Rabenlord ist, bevor noch Schlimmeres geschieht. Doch welche Rolle spielt Jacob dabei? Ist er vielleicht sogar selbst in Gefahr?

Packendes Finale des Rabenepos

Autorenvita

© privat

Anja Ukpai wuchs in einer kleinen Stadt im Münsterland auf. Schon früh begann die gelernte Sozialpädagogin mit dem Schreiben und arbeitet inzwischen als freie Autorin. Seit 2010 veröffentlicht sie Kinderbücher im Thienemann-Esslinger Verlag, die unter anderem mit dem »Leipziger Lesekompass« ausgezeichnet wurden. Nach einer Zeit in Michigan/​USA ist die Autorin nun wieder zurück an ihrem Schreibtisch im Münsterland, den sie manchmal auch gegen ihren Lieblingsplatz unter dem alten, knorrigen Kirschbaum eintauscht.

Für alle, die an Orakelkeksnachrichten glauben,

für euch, die ihr June die Treue gehalten habt,

und für die Geisterkatze vom Friedhof.

PROLOG

Jonathan Paul Edward of Rosebridge

1507–1524

Kloster Saint Gilberts, 28. März 1524

Die Vogelfallen klapperten in seinen Händen, als er über den Zaun in den Mortlock Park stieg, den dichten Wald, der die Jungenschule im Kloster Saint Gilberts umgab.

Heiße Tränen brannten auf seinen Wangen und er ließ sie laufen. Hier, im finsteren Wald, wo niemand ihn sah, konnte er ihnen endlich freien Lauf lassen. Würde er im Kloster heulen, würden sie ihn wieder bloßstellen. So wie heute beim Mittagessen.

»Na, Jonathan?«, hatte Andrew Brooks quer durch den Speisesaal gerufen. »Wie viele Raben hast du heute Morgen eingefangen? Keinen? Ich lach mich tot. Du bist der größte Schlappschwanz unter der Sonne, weißt du das?«

Zur Bestätigung hatte James Quirly ihm seinen Haferbrei über den Kopf geschüttet. Und weil er sich waschen und umziehen musste, war er zu spät zum Astronomie-Unterricht gekommen und hatte von Pater Joseph zehn Hiebe mit der Rute erhalten. Die Klasse hatte dazu applaudiert.

Jonathan of Rosebridge seufzte. Die Rutenhiebe taten ihm nicht weh. Weh taten ihm die Fallen in seiner Hand, die er im Mortlock Park aufstellen musste.

Eigentlich musste er nicht. Er hatte sich freiwillig für den Vogelfang gemeldet. Solange er selbst den Dienst tat, hatte er die Kontrolle. Frühmorgens, noch eine Stunde vor Sonnenaufgang, wenn die Dämmerung gerade so viel Licht gab, dass er die Fallen finden konnte, streifte er durch den Mortlock Park und befreite die in der Nacht eingefangenen Vögel. Nie war er mit Beute ins Kloster zurückgekehrt.

»Mir scheint, wir haben die Rabenseuche im Griff«, hatte Pater Samuel zufrieden gesagt, denn Raben waren es, die er einfangen sollte. Lebend.

Dabei hatte er gelogen. Erst am Morgen hatte er einen Kolkraben aus einer der Fallen befreit. Ein selten schönes Tier.

»Lass dich nicht noch einmal erwischen«, hatte er ihm hinterhergerufen und sich voller Sehnsucht gewünscht, dass er sich selbst auch so leicht befreien könnte.

An diesem Abend war er früher als sonst unterwegs. Die Sonne warf gerade ihre letzten Strahlen durch die Bäume. Mit einem Schaudern betrat er den Mönchsfriedhof mitten im Wald, seine erste Station. Er spannte die Falle und steckte sie in das Astloch einer Birke. Plötzlich hörte er Schritte hinter sich und fuhr herum.

»Du?«, rief Jonathan of Rosebridge verwundert.

Die Fallen fielen klirrend zu Boden, als wenig später zwei Raben laut schreiend zwischen den Bäumen aufstiegen.

Stunden später zogen vier Mönche des Klosters Saint Gilberts mit zischenden Fackeln durch den Mortlock Park, um nach ihrem Zögling Jonathan Paul Edward of Rosebridge zu suchen. Auf dem Waldfriedhof fanden sie schließlich die aufgestellte Vogelfalle und nicht weit davon entfernt eine Handvoll schwarzer Federn, als hätte Jonathan mit einem gefangenen Raben gekämpft.

»Lasst uns zurückgehen«, hatte Pater Samuel kopfschüttelnd gesagt.

Am nächsten Morgen schrieb er dem Vater, Lord Rosebridge, einen langen Brief. Ein Brief, der vom Unglück seines Sohnes erzählte. Von Jonathans Intelligenz, die ihm all die Jahre ein Stipendium auf Saint Gilberts ermöglicht hatte, aber auch von seinem Sanftmut, von seiner Schwäche. Es wäre ihnen nicht gelungen, Jonathan zu einem Mann zu erziehen und er behauptete in dem Schreiben, dass Jonathan Paul Edward of Rosebridge sich im Mortlock Lake ertränkt hätte.

Bube der Schwerter

Ein Jüngling hantiert mit einem glänzenden Schwert. Vorsicht: Ein Angriff steht bevor.

Auch in der Liebe könnte es eine Auseinandersetzung geben, die mit scheußlichen Wortgefechten einhergehen kann und manchmal in einem wahren Rosenkrieg mündet.

aus: »Tarotkarten richtig deuten«, Meister Jadoo

1.

Mit einem lauten »Kroak« stürzte sich der Rabe auf uns herab.

Erschrocken schubste ich Jacob von mir und taumelte rückwärts. Der schwarze Vogel zog haarscharf an Jacobs Kopf vorbei, sodass dieser sich ins Gras warf und beide Hände schützend über seinen Kopf legte.

Nach Luft schnappend drückte ich mich an den Baumstamm der uralten Linde, unter der Jacob mich gerade geküsst hatte. Mich, Juniper Adams, die Stipendiatin von Saint Gilberts.

Gut, dass ich die Stipendiatin war, wusste Jacob nicht. Manchmal hatte er Andeutungen gemacht, dass er es ahnte. Wir hatten uns sogar fürchterlich gestritten, weil ich ihm nicht die Wahrheit über mich sagen durfte. Das stand nämlich in dem siebenseitigen Stipendiatenvertrag, den ich zu Beginn eines jeden Schuljahres unterschreiben musste. Doch heute Abend hatte Jacob mir alles verziehen, jedes Geheimnis.

Aus der Aula klangen die letzten Takte des Donauwalzers nach draußen und das gleißende Licht des Ballsaals verlieh der Umgebung eine romantische Stimmung. (Also romantisch für den, der nicht gerade von einem Raben angegriffen wurde.)

Ich versuchte mich zu erinnern, was geschehen war, doch das Flattern in meinem Bauch lenkte mich fürchterlich ab. Heute war der Michaelmas-Ball und ich hatte es komplett vermasselt. Während des feierlichen Einzugs in die große Aula, als Tanzpartnerin von Jacob Morris, hatte ich die Flucht ergriffen. Nicht vor Jacob, sondern vor der Wise-Fellows-Stiftung. Es war die einzige Möglichkeit gewesen, mein Stipendium zu retten, denn wenn der Stipendiatenausschuss mich auf dem Ball entdeckt hätte (was er mir erst wenige Tage zuvor verboten hatte), wären meine Stunden auf Saint Gilberts gezählt gewesen.

Jacob war kein bisschen sauer gewesen, sondern mir hinterhergelaufen. Und dann hatte er mich hier draußen unter der uralten Linde zum Eröffnungstanz aufgefordert und mich geküsst.

»Hau ab du verdammtes Mistvieh«, brüllte Jacob gerade und riss mich aus meinen Gedanken. Er wurde ein zweites Mal von dem Raben attackiert und schlug mit seinen Armen um sich, um den Vogel abzuwehren. »June, June!«

Ich stürzte vor und schlug mit meiner filigranen, kunstvoll bestickten Balltasche nach dem Raben und weil das ungefähr genauso wirksam war, als würde man mit einer Feder einen Nagel in die Wand schlagen wollen, schmiss ich mich kurzerhand auf Jacob und begrub seinen Kopf unter meinem ausgestellten Ballrock.

Das war alles meine Schuld. Tante Phoebe hatte mich deutlich genug gewarnt. Und nicht nur das. Sie hatte mir verboten, Jacob zu küssen. Tante Phoebe glaubte nämlich, dass ich die Bestimmte sei, die einen uralten Fluch auf Saint Gilberts aufheben soll, und zwar im Tausch gegen meine große Liebe. Daher hatte sie mir vor allem das Küssen meiner großen Liebe streng untersagt. Und nur, weil ich ihr dieses Versprechen gegeben hatte, durfte ich überhaupt zum Ball gehen.

»Ist er weg?«, fragte Jacob und lugte unter meinem Ballkleid hervor.

Ich setzte mich auf und sah mich um. »Ja, nichts mehr zu sehen!«

»Gut.« Jacob stand auf und klopfte sich den Schmutz von seinem ruinierten Smoking. Das Haar hing ihm wirr in die Stirn, seine sonst meergrünen Augen funkelten dunkel und er sah so gut dabei aus, dass ich ihn am liebsten gleich noch einmal geküsst hätte. Doch er reichte mir nur sein Taschentuch, mit dem er mir vor wenigen Minuten noch Tränen weggewischt hatte. »Dir klebt Schmutz auf der Wange.«

Wie jetzt? Jacob tat so, als wäre das alles gerade überhaupt nicht geschehen. Hatte er unseren romantischen Tanz und den göttlichen Kuss etwa schon vergessen?

Trotzig gab ich ihm das Taschentuch zurück. »Ich hab selber eins«, sagte ich und kramte stattdessen in meiner Balltasche, die genauso wie mein restlicher Aufzug unter der Attacke gelitten hatte.

»Ich glaub, die Luft ist rein«, flüsterte Jacob und griff nach meiner Hand. Ehe ich noch überlegen konnte, was er wohl vorhatte, zog er mich hinter sich her, geradewegs zur Haltestelle der Schullimousinen, an der sich heute Abend mehr als zwanzig glänzende Black Cabs aufgereiht hatten – alte, ausrangierte Londoner Taxis, die zu Schullimousinen umfunktioniert worden waren und die heute anstatt der externen Schüler die Gäste des Michaelmas-Balls nach Hause fahren würden.

Ohne mich zu fragen, öffnete Jacob die Tür zur ersten Schullimousine in der Reihe und beugte sich zu MrMo (eigentlich MrMortimer, meinem Lieblingsfahrer) herab.

»Sir?«, hörte ich ihn sagen. »Bitte bringen Sie Miss Juniper nach Hause. Sie ist unpässlich.«

Unpässlich? War das der neue Ausdruck für bis über beide Ohren verknallt und vor Angst schlotternd?

Jacob öffnete die hintere Wagentür, um mir beim Einsteigen behilflich zu sein. So einfach wollte er mich wegschicken? Alleine?

»Einen Teufel werde ich tun«, fauchte ich ihn deshalb an, raffte mein Ballkleid und machte mich zu Fuß auf den Weg.

»June!« Jacob stürzte hinter mir her und versuchte mich aufzuhalten. »Was hast du denn vor?«

»Nach Hause gehen«, antwortete ich so ruhig wie möglich und ärgerte mich, dass ich auf diesen hohen Absätzen herumwackelte wie eine Ente. Das nahm meinem Auftritt ein wenig die Dramatik.

»Das kannst du nicht machen.« Jacob fasste mich am Arm und zog mich an sich. Er wischte mir über die schmutzige Stelle auf der Wange und flüsterte: »Das ist verboten.«

Ich schubste ihn von mir und lief los, immer weiter Richtung hinteres Schultor, durch das wir Schüler tatsächlich nur bei Tageslicht oder in einer Schullimousine das Schulgelände verlassen durften. Ein Verbot, das wir einer uralten Legende um ein im Mortlock Park lebendes, schwarz gefiedertes Ungeheuer und einigen vor langer Zeit unter mysteriösen Umständen verschwundenen Schülern zu verdanken hatten.

Meine Füße schmerzten und so zog ich im Gehen und weiterhüpfend die Schuhe aus.

»Du bist ja verrückt«, rief Jacob mir hinterher, als ich durchs Schultor hinaus auf die einsame Waldstraße lief, die sich durch den Mortlock Park schlängelte und hinunter nach Little Lixton führte.

»Lieber verrückt als feige«, flüsterte ich und hörte mit Genugtuung, dass Jacob mir folgte.

Und noch jemand folgte uns. MrMo hatte die Schullimousine gestartet und fuhr im Schritttempo hinter uns her. Das Licht der Scheinwerfer ließ unsere beiden Gestalten lange Schatten auf den Weg werfen.

»Das Ganze wird mir zu gefährlich, June. Versteh das doch bitte.« Jacob suchte nach meiner Hand.

»Sag ich ja: feige!«, zischte ich und zog meine Hand weg.

»So, feige, ja?« Jacob blieb so abrupt stehen, dass MrMo die Schullimousine gerade noch stoppen konnte. »Sieh mich an June, sieh mich an«, forderte Jacob und ich tat ihm den Gefallen.

Mein Herz machte einen Satz, als ich ihn anblickte. Er stand breitbeinig mit aufgelöster Fliege und zerzausten Haaren mitten auf der Straße und das Scheinwerferlicht der Schullimousine ließ mich nur seine Konturen erkennen.

»Nennst du es auch feige, wenn ich mich so wie heute Abend vollkommen zum Deppen machen lasse, weil meine Tanzpartnerin vor mir die Flucht ergreift?«

»Das war doch nicht wegen dir«, schrie ich zurück.

»Weswegen sonst?« Jacob kam langsam näher und die Schullimousine rollte in kurzem Abstand hinter ihm her.

»Das war nur weil, weil …« Ich verstummte.

»Siehst du? Und du kannst nicht bestreiten, dass in deiner Nähe immer die merkwürdigsten Sachen geschehen. Und dann dieser verrückte Rabe.«

»Hast du nicht vorhin noch behauptet, dass du nicht abergläubisch bist?« Ich trat von einem Fuß auf den anderen, denn die Straße war feucht und kalt.

Jacob lachte kurz auf. »Das war aber keine Einbildung, June, das ist wirklich passiert.«

Schön, dachte ich. Er erinnerte sich also. »Das ist nicht das Einzige, was heute Abend passiert ist«, half ich ihm auf die Sprünge.

»Können wir uns daran vielleicht in der beheizten Schullimousine erinnern?«, fragte Jacob nun wieder mit freundlicher Stimme und öffnete die Tür des Wagens, in dem MrMo am Steuer saß und so desinteressiert guckte, dass es mir verdächtig vorkam.

»Okay«, lenkte ich ein. »Mir ist kalt und wer weiß, wann die Geister aufwachen.«

Jacob hielt die Tür für mich auf und MrMo ließ in der kleinen Anzeige über der Windschutzscheibe Little Lixton aufleuchten.

»So ist es gut«, flüsterte Jacob erleichtert, als ich mein Kleid zusammenraffte, um in die Schullimousine einzusteigen.

»So ist es gut?« Aufgebracht funkelte ich ihn an. Er klang wie ein stolzer Vater, der den Kampf gegen sein trotziges Kind gewonnen hatte. »Gar nichts ist gut. Erst rennst du hinter mir her und küsst mich, und dann sagst du, das alles wird dir zu gefährlich.«

Mein Blick wurde von einer Bewegung hinter Jacob abgelenkt. Ich versuchte etwas in den weißen Nebelwolken im Mortlock Park zu erkennen, aber Jacobs Nähe lenkte mich zu sehr ab. Wenn ich mich auf die Zehenspitzen stellen …

Doch Jacob dachte nicht ans Küssen. Er folgte meinem Blick und flüsterte: »Ist dort jemand?«

»Wie kommst du darauf, dass ich das weiß?«, zischte ich und stieg schnell in die Schullimousine ein.

»Du bist doch das Geistermädchen.« Jacob schob mein Ballkleid zur Seite und rutschte neben mich auf die Rücksitzbank. Das mit den Geistern hatte er mal zufällig aufgeschnappt und seitdem nannte er mich Geistermädchen. Sogar in aller Öffentlichkeit.

Ich sah stur geradeaus und sagte würdevoll (soweit das mit zitternder Stimme möglich war): »Bitte einmal nach Little Lixton, MrMo. Danke«, als hätte MrMo das noch nicht gewusst.

Doch er nickte mir höflich im Rückspiegel zu und fuhr an.

»Wir verpassen das Beste«, stöhnte Jacob neben mir.

»Was da wäre?«

»Das Buffet«, meinte er, und ich hatte für einen Moment das Gefühl, dass MrMo aufgelacht hatte. Aber es war MrMo laut Schulregel Nr.78c nicht erlaubt, an unserer Unterhaltung teilzunehmen oder mit uns zu reden. Nicht während der Fahrt.

»Du hast Sorgen«, schimpfte ich und nahm mir vor, die weißen Nebel im Mortlock Park zu ignorieren.

»Du würdest mich verstehen, wenn du so wie ich auf Frühstück und Mittagessen verzichtet hättest«, meinte Jacob und lächelte mich auf eine Art und Weise an, dass mein Herz einen Schlag aussetzte. »Wieso bist du wirklich davongelaufen?«

»Wieso interessiert dich das?«, fragte ich abwesend und suchte in meiner Balltasche nach dem Taschentuch.

»Stimmt. Nicht, dass es mich etwas angehen würde«, sagte Jacob zustimmend nickend. »Ich habe mich ja auch nur deswegen absolut lächerlich gemacht, bin dir gefolgt und habe dich …«

»Ja?«, fragte ich atemlos und tat so, als müsste ich mich auf den Fleck auf meiner Wange konzentrieren, der im dämmrigen Licht der Schullimousine und in meinem winzigen Handspiegel gar nicht so leicht zu entfernen war.

»Erzähl mir mehr vom Rabenlord«, flüsterte Jacob stattdessen, und ich sah ihn verblüfft an.

»Vom Rabenlord?«

Ich seufzte. Die Legende vom Rabenlord war nun wirklich nicht gerade das, worüber ich mich jetzt unterhalten wollte. Diese Geschichte hatte mich schon mein ganzes Leben verfolgt, denn unser kleines Dorf zog allein aufgrund dieser uralten Legende jedes Jahr Zigtausende Touristen an. Es war für mich unvorstellbar, dass jemand noch nie etwas vom Rabenlord gehört haben sollte. Ein schwarz gefiedertes Ungeheuer, das angeblich im Mortlock Park hauste und in der Vergangenheit mehrere Schüler von Saint Gilberts in Raben verwandelt haben soll.

MrMo hatte den Wagen angehalten, und wie ich erst jetzt bemerkte, waren wir schon an der Schullimousinen-Haltestelle in Little Lixton vor dem Black Fox, dem einzigen Dorfpub des Ortes, angekommen. MrMo war bereits ausgestiegen und um die Schullimousine herumgeeilt, um mir die Tür aufzuhalten. Sein strenger Blick, der mich kurz streifte, sah wie eine Warnung aus.

»Ein andermal«, sagte ich daher schnell und wollte aussteigen, als Jacob mich an der Hand festhielt.

»Ich nehme dich beim Wort«, sagte er und nahm mir das Taschentuch aus der Hand, um meine Wange zu säubern. »Danke für den Tanz«, flüsterte er, gab mir das Taschentuch zurück und beugte sich zu mir herüber. Oh Gott. Er wollte mich doch nicht etwa … küssen?

»Gern geschehen«, wisperte ich, bereit, mich in Jacobs Arme fallen zu lassen, als MrMo sich umständlich räusperte.

»Herrschaften, es handelt sich bei diesem Gefährt um eine Schullimousine, deren einziger Zweck die Beförderung der Schüler und manchmal auch der Gäste von Saint Gilberts ist. Bitte halten Sie sich an die Schulregeln und steigen Sie nun aus, Miss Adams.«

Jacob grinste mich zwinkernd an, als er an mir vorbei zu MrMo sagte: »Aber es verstößt gegen keine Schulregel, wenn ich kurz aussteige und Miss Juniper bis zur Haustür begleite. Nur um sicherzustellen, dass Miss Juniper auch wohlbehalten zu Hause ankommt, selbstverständlich.«

»Sagen wir es so«, sagte MrMo und deutete auf die Windschutzscheibe der Schullimousine, in deren Anzeigenfenster noch immer Little Lixton stand. »Sie haben Zeit, solange der Fahrer einer Schullimousine noch keine neue Fahrt angezeigt hat. Mit anderen Worten: Sie haben drei Minuten, MrMorris.«

Jacob sprang aus dem Wagen und reichte mir die Hand, um mir beim Aussteigen zu helfen, doch ich tat so, als hätte ich das nicht gesehen, kletterte aus dem Wagen und strich mein Ballkleid glatt.

»Ihre Schuhe, Miss Adams«, rief MrMo mir hinterher, als ich schon hoch erhobenen Hauptes den Gehweg zu unserem Buchladen hinunterstolzierte.

Noch ehe ich zurückeilen und nach meinen Schuhen schnappen konnte, hatte Jacob diese in Empfang genommen, fasste mich dann am Arm und zog mich hinter sich her.

»Die Zeit läuft, MrMorris«, rief MrMo und blieb neben der offenen Tür der Schullimousine stehen.

»Komm schon«, zischte Jacob und lief schneller.

»Ich schaff die paar Meter auch alleine«, protestierte ich halbherzig und eilte neben Jacob her. »Was machst du denn, wenn MrMo ohne dich zurückfährt?«

»Dann laufe ich«, flüsterte er. »Aber verpetz mich nicht. Nur fürs Buffet werde ich dann wohl zu spät kommen.«

Jacob zog mich unbeirrt am Arm weiter die Straße hinab. Vor unserem Buchladen schob er mich in die dunkle Nische vor der Ladentür und flüsterte: »Leider ist jetzt keine Zeit für die Geschichte vom Rabenlord, aber ich habe dein Versprechen nicht vergessen, Juniper Adams.«

Wie jetzt? Er wollte mich gar nicht küssen? War er etwa nur mit mir in dieser finsteren Nische verschwunden, um mich an den Rabenlord zu erinnern?

»Du könntest auch jeden anderen dazu befragen. MrMo zum Beispiel. Was hat das mit mir zu tun?«, sagte ich aufgebracht und kramte in meiner Balltasche nach dem Schlüssel zu unserer Ladentür.

Jacob griff nach meinen Armen und schüttelte mich ein wenig. »Jetzt sei doch nicht so störrisch, June. Wir beide sind gerade von einem Raben angegriffen worden. Erst vor wenigen Wochen ist unser Lehrer für Literaturgeschichte, bis auf ein paar schwarze Federn, spurlos verschwunden und du fragst mich, was du damit zu tun hast?«

»Du bist von einem Raben angegriffen worden, um genau zu sein«, korrigierte ich ihn. Verdammt, wo war nur dieser Schlüssel? Und musste er mich ausgerechnet jetzt an MrWinston erinnern? Zu meinem Ärger stiegen mir nun auch noch Tränen in die Augen. MrWinston war im Sommer als neuer Lehrer für Literaturgeschichte nach Saint Gilberts gekommen und war der beste Lehrer, den wir je gehabt hatten. Die Mädchen hatten sich reihenweise in ihn verliebt. Auch ich fand ihn äußerst sympathisch. Er hatte seinen Unterricht in die alte Schreibstube verlegt, wo wir Rabenherz, eine uralte Prophezeiung um den Rabenlord, gefunden hatten. Und in diese hatte er sich furchtbar hineingesteigert. Was genau mit ihm geschehen war, war bislang ein Rätsel.

Genauso wie mein Beziehungsstatus zu Jacob Morris.

Vor dem Black Fox wurde eine Autotür zugeworfen und Jacob stürzte hinaus auf die Straße. »Wir sprechen uns, June«, rief er, und ich sah ihm nach, wie er den Weg hinablief zur Schullimousine, in der MrMo schon Platz genommen hatte.

Wir sprechen uns? Lieber wäre mir »Wir küssen uns, June!« gewesen. Und überhaupt. Warum musste er das denn so betonen? Sollte das nun ein Versprechen oder eine Warnung sein?

Im Laden hinter mir wurde die Beleuchtung eingeschaltet und ich sah Dad durch den Verkaufsraum zur Tür schlurfen.

Jacob hatte es gerade noch so geschafft. Er riss die Tür der Schullimousine auf und sprang hinein, bevor MrMo ohne ihn davonfahren konnte.

»June?«, fragte Dad hinter mir. »Alles in Ordnung mit dir? Was machst du denn schon hier? Oder hast du was vergessen?«

»Ich bin okay, Dad«, log ich und sah der Limousine hinterher, die Jacob zurück zum Michaelmas-Ball bringen würde.

Aus den Tagebüchern des Rabenlords

Freitag, 29. September (im 600. Jahr n.V.)

Welch rauschendes Fest.

All die vielen, vielen Jahre.

Immer war ich dabei – und doch

habe ich noch nie mit ihnen getanzt.

Sie war so bezaubernd schön.

Von solcher Klarheit – wie

kristallklarer Morgentau.

Ich wollte mit ihr allein sein.

Ich wollte sie für mich.

Wollte mit ihr tanzen,

bis uns schwindelig vor Glück

werden würde.

Habe ich sie denn nicht laut genug

gerufen?

2.

June, na endlich«, stöhnte Emma ins Telefon. Sie war offensichtlich noch auf dem Ball, denn im Hintergrund wurde irgendwas von Tschaikowsky gespielt. »Wo warst du denn? Und wo bist du jetzt? Ehrlich, mir solch einen Schrecken einzujagen. Auf einmal rennst du weg und ich sehe nur noch, wie Jacob dir hinterherläuft.«

Lesen Sie weiter in der vollst?ndigen Ausgabe!

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