Radieschen von unten - Frida Mey - E-Book
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Frida Mey

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Beschreibung

Mopsfidel & mausetot.

Bei ihrem zweiten Auftritt soll Elfie Ruhland Ordnung in die chaotischen Steuerunterlagen der „Pietas“ bringen, einer erfolgreichen Bestatterkette, die von der herrischen Juliane Knörringer geleitet wird. Diese hält ihren erwachsenen Sohn Carlos an der kurzen Leine und terrorisiert ihre Angestellten nach allen Regeln der Despotenkunst. Doch nicht nur das: Elfie findet heraus, dass die Knörringer sich nicht zu schade ist, ihre trauernden Kunden aufs Fieseste übers Ohr zu hauen. Als dann ein aufgebrachter Witwer verschwindet, kommt Kommissarin Alex ins Spiel. Elfie gerät unter Verdacht und beginnt, eigene Nachforschungen anzustellen. Stets im Schlepptau hat sie dabei Amadeus, den verzogenen und übergewichtigen Pflege-Mops, der sie mit seiner pfiffigen Spürnase tatkräftig unterstützt ...

"Eine Mordslust." Süddeutsche Zeitung.

"Für alle, die beim Tatort immer hoffen, dass die Bösewichte ungestraft davonkommen." FREUNDIN.

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Seitenzahl: 324

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Ähnliche


Frida Mey

Radieschenvon unten

Ein Bestatter-Krimi

Impressum

ISBN 978-3-8412-0668-8

Aufbau Digital,

veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, Oktober 2013

© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin

Die Originalausgabe erschien 2013 bei Aufbau Taschenbuch, einer Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

Umschlaggestaltung Mediabureau Di Stefano, Berlin

unter Verwendung eines Motivs von Helge Sauber/plainpicture, von JackJelly/iStockphoto und Meike Bergmann Photography

E-Book Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, www.le-tex.de

www.aufbau-verlag.de

Für Helmut

Inhaltsübersicht

Cover

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Informationen zum Buch

Informationen zur Autorin

Wem dieses Buch gefallen hat, der liest auch gerne ...

1.

Das fing ja gut an. Elfriede Ruhland wischte sich verstohlen den Schweiß von der Stirn. Warum nur musste es bei Beerdigungen immer drückend heiß sein oder aus allen Kübeln regnen? Früher hatte ihr das nichts ausgemacht. Doch seit ihrem 60. Geburtstag litt sie an Wetterfühligkeit. Als sie die Trauerhalle betrat, liefen ihr bereits Schweißbäche den Rücken hinunter. Die schwarze Bluse klebte an ihrer Haut. Doch das vermochte Elfies Freude nicht zu schmälern. Sie liebte Beerdigungen. Diese gehörten zu ihrem Leben wie …, nun, wie der Tod.

In der Aussegnungshalle bezog Elfie ihren Posten gleich neben dem Eingang. Von hier aus hatte sie einen wunderbaren Überblick. Die kahlen Wände waren mit Tüchern in verschiedenen Erdtönen dezent und geschmackvoll dekoriert. Die darunter platzierten Blumengestecke erregten dagegen Elfies Missfallen. Die Rosen sahen schon halb verwelkt aus, die Lilien ließen traurig die Köpfe hängen – wie unpassend für eine Beerdigung. So etwas durfte einfach nicht passieren, auch wenn sicher die für September extreme Hitze daran schuld war.

Der Sarg wiederum gefiel Elfie. Er sah schlicht und schön aus und war von großen, massiven Kerzenleuchtern stilvoll umrahmt – vier auf jeder Seite. Aber warum brannten die Kerzen nicht? Hatte man vergessen, sie anzuzünden? Elfie schüttelte missbilligend den Kopf. Die Trauergäste erhoben sich. Ein alter Mann, offenbar der Witwer, umklammerte mit beiden Händen einen glänzenden Gegenstand. Als er an Elfie vorbeiging, sah sie, dass es sich um eine Totenmaske aus Bronze handelte. So etwas war früher hochgestellten Persönlichkeiten vorbehalten gewesen. Automatisch griff Elfie nach ihrem Medaillon mit dem Foto von Ludwig, dachte an die Wärme in seinen Augen, an sein Lachen, auch an die gewisse Melancholie in seinen Gesichtszügen. Ob eine Totenmaske ebensolche Erinnerungen wecken konnte?

Elfie folgte dem Trauerzug bis zum Grab. Während der Sarg hinabgelassen wurde, studierte sie die Inschriften auf den Kränzen. Sie musste schmunzeln, als sie auf einer Schleife das Foto eines drolligen Hundes sah, unter dem stand: Auch Fifi vergisst Dich nicht. Elfie schaute sich um, doch konnte sie Fifi in natura nirgendwo entdecken. Anscheinend musste er während Frauchens Beerdigung zu Hause bleiben.

Wie üblich trat Elfie als Letzte an das Grab und hob die Hand, um ihre schwarze Rose zu werfen. Sie zuckte vor Schreck zusammen, als sie auf ihre leere Hand sah. Sie hatte die Rose vergessen! Als ihr Blick auf das Sterbebild und den Namen der Toten fiel, beruhigte sich Elfie wieder. Für einen Moment war ihr tatsächlich entfallen, dass sie die Frau überhaupt nicht kannte und diese Beerdigung gar nicht auf ihr Konto ging. Erleichtert nahm sie die Schaufel, warf etwas Erde auf den Sarg und besann sich darauf, warum sie hier war.

Elfie stand neben dem schwarz glänzenden Leichenwagen der Firma Pietas auf dem Parkplatz vor der Trauerhalle. Sie sah zu, wie die Bestatterin sich von den Angehörigen verabschiedete, die Hand des sichtlich mitgenommenen trauernden Witwers, den sie um Haupteslänge überragte, mit beiden Händen umfasste und ihm wohl ein paar tröstende Worte zukommen ließ.

Dann kam Juliane Knörringer auf Elfie zu. Sie setzte die Füße ein wenig nach außen, was ihrem Gang zwar etwas Anmutiges, aber auch sehr Gestelztes verlieh. Sie trug einen tiefschwarzen Hosenanzug, der in scharfem Kontrast zu ihren zu blond gefärbten Haaren stand. Wie alt mochte sie sein? Vielleicht Anfang fünfzig, auf jeden Fall deutlich älter als Carlos Knörringer, mit dem Elfie bisher ausschließlich zu tun gehabt hatte. Für Elfies Geschmack war sie entschieden zu stark geschminkt. Ein wenig übertrieben diese falschen kohlschwarzen Wimpern, vor allem wenn man dagegen die verweinten Augen vieler Angehöriger betrachtete.

»Besten Dank noch einmal, dass Sie eingesprungen sind und uns so spontan aus der Klemme geholfen haben, Frau Ruhberg.« Die Bestatterin nahm Elfie das Kondolenzbuch ab und öffnete ihr die Beifahrertür.

»Mein Name ist Ruhland, Elfie Ruhland«, verbesserte Elfie freundlich, und Juliane Knörringer lächelte entschuldigend.

Ein etwas falsches Lächeln, dachte Elfie, lächelte aber ebenfalls, um dann fortzufahren: »Die Betreuung des Kondolenzbuches habe ich gern übernommen. Ich liebe Beerdigungen, auch wenn die Witterungsbedingungen mitunter recht anstrengend sind.«

Zum Glück hatte der Wagen im Schatten gestanden, so dass die Innentemperatur einigermaßen erträglich war. Dank der Klimaanlage war es nach wenigen Minuten sogar so kühl, dass Elfie in ihrer durchgeschwitzten Bluse zu frösteln anfing. In einem Leichenwagen war sie noch nie gefahren, und sie sah sich neugierig um. Die Scheiben waren dunkel getönt, und die Heckscheiben hatten kleine Gardinen.

Nach einigen Minuten waren sie beim Beerdigungsinstitut angekommen. Der zweistöckige Altbau mit der steinernen Vorhalle auf vier dicken Säulen hatte sie bereits bei ihrem Vorstellungsgespräch vergangene Woche beeindruckt. Durch den leuchtend weißen Anstrich wirkte das Gebäude licht und hell, was eigentlich nicht recht zu einem Bestattungsunternehmen passte. Über der schweren bronzenen Eingangstür prangte in mattgoldenen Lettern der Schriftzug Pietas.

Elfie folgte Juliane Knörringer ein paar Stufen hinauf ins Beerdigungsinstitut und in den riesigen Empfangsraum, der durch seinen Marmorboden kühl wirkte. Auch die in Blauund Grüntönen gehaltenen Jugendstilfenster unterstrichen diesen Eindruck. Leise Musik, eine Instrumentalversion von Schuberts »Ave Maria«, erklang von irgendwoher. In der Halle waren mehrere Särge repräsentativ angeordnet. Ausstellungsstücke aus edlen Hölzern oder mit besonders dekorativer Innenausstattung, dazwischen als Raumteiler üppige Grünpflanzen und schlichte Regale, in denen Urnen in den verschiedensten Formen, Farben und Materialien standen. An den weißen Wänden hingen Kreuze in allen Variationen, aus Holz, aus Metall, aus Gips, mit und ohne Corpus.

Mitten in diesem Empfangsraum stand ein junges Mädchen – sicher die Auszubildende – im Gespräch mit einer Kundin. Das Mädchen, in einem langen schwarzen Rock und mit einer Fransenstola um die mageren Schultern, redete intensiv auf die andere Frau ein. Um den Hals baumelte ein Paar Kopfhörer, aus denen Heavy-Metal-Klänge gegen das »Ave Maria« anquäkten. Bei näherem Hinsehen bemerkte Elfie, dass das Mädchen einige Piercings hatte: Augenbrauen, Nasenflügel und Lippen waren mit kleinen silbernen Ringen versehen, und im linken Ohr steckte ein dreieckiges Tunnel-Piercing. Elfie hatte erst kürzlich eine Fernsehsendung über die Gletschermumie Ötzi und ihre gedehnten Ohrlöcher gesehen. 3000 Jahre vor Christus war das schon einmal modern gewesen. Elfie sah sich die Verzierungen interessiert an. Ob so etwas wohl wehtat, wenn man sprach oder lachte?

»Ich übernehme das Gespräch, Frau Weiss«, erklärte Juliane Knörringer ihrer Angestellten.

Schwarz würde besser passen, dachte Elfie.

Während das junge Mädchen am anderen Ende der Halle hinter einer Tür verschwand, wandte sich die Bestatterin Elfie zu: »Bitte, Frau Ruhland, setzen Sie sich doch so lange in mein Büro, bis ich mit dem Gespräch fertig bin.«

Sie ging in den Flur, öffnete die Milchglastür zum gegenüberliegenden Raum, in dem auch das Vorstellungsgespräch mit Herrn Knörringer stattgefunden hatte und der von zwei großen gläsernen Schreibtischen dominiert wurde. Die Stuckdecke, ein achtarmiger Kristallleuchter und ein paar zierliche Biedermeiermöbel wirkten elegant, aber unaufdringlich.

Schön, diese Geräumigkeit. Elfie freute sich auf ein luftiges Büro mit reichlich Ablagemöglichkeiten für die Vorbereitung der Unterlagen bei der Steuerprüfung. Sie verharrte ein wenig unschlüssig an der Tür, die einen Spalt offen stand. Zum einen hatte Juliane Knörringer ihr keinen Platz angeboten. Zum anderen konnte Elfie von hier aus dem Verkaufsgespräch gut folgen.

»Sie haben also Ihre Mutter verloren. Mein aufrichtiges Beileid.« Die Bestatterin flötete zwar in den höchsten Tönen, aber echte Anteilnahme klang anders. »Haben Sie schon Vorstellungen, wie Sie Ihre Mutter bestattet haben möchten? Sicher soll es doch ein würdiger Rahmen sein. Dazu gehören natürlich ausgesuchte Produkte in Bezug auf den Sarg und das Zubehör.«

Bei dem Wort Sarg begann die Frau zu weinen.

»Nun, nun«, meinte Juliane Knörringer, »ich verstehe schon, dass das alles nicht einfach für Sie ist.«

Statt Verständnis meinte Elfie jedoch eher Ungeduld herauszuhören.

»Erst gestern wurde ein besonders schönes Stück geliefert, aus Kirschbaumholz.« Juliane Knörringer drehte sich um und wies auf einen Sarg hinter sich. »Nicht ganz billig, aber für eine Mutter kann einem ja nichts zu teuer sein. Gerade unsere Mütter haben ja immer alles für uns getan.«

Die Frau strich über das rötliche Holz, ihre Stimme wurde plötzlich etwas lebhafter. »Meine Mutter liebte Kirschbaumholz. Sie hatte einen kleinen Sekretär aus Kirschbaum.«

»Sehen Sie, da sind wir uns ja ganz schnell einig geworden. Zu Kirschbaumholz würde ich Ihnen unbedingt das Bronzekreuz drüben neben der Tür empfehlen. Das hebt sich besonders gut ab, passt sich aber in Wärme und Art auch wiederum hervorragend an.«

»Ihre Angestellte hat mir gesagt, dass man auch ein eigenes Kreuz nehmen …«

»Natürlich könnten Sie ein eigenes Kreuz mitbringen, aber brauchen Sie das nicht als Andenken an Ihre Mutter? Ich würde es an zentraler Stelle in meinem Schlafzimmer aufhängen. So hat man es täglich vor Augen.«

Die Frau schwieg. Offenbar war sie unentschlossen. »Ich habe vorhin auch erfahren, dass man heutzutage nicht mehr im Totenhemd begraben wird, sondern seine eigene Garderobe angezogen bekommt. Das ist doch möglich – oder?«

»Sicher ist das möglich, aber wollen Sie sich wirklich von dem Gedanken an das weiße Totenhemd verabschieden? Sie wissen doch: Das letzte Hemd hat keine Taschen. Das ist eine ganz alte Weisheit, und in dieser Tradition liegt eine tiefe Würde.« Julianes Stimme vibrierte jetzt geradezu.

Na ja, dachte Elfie, ein schönes Nachthemd oder ein hübsches Lieblingskleid haben auch keine Taschen.

Juliane bohrte weiter: »Oder können Sie sich vorstellen, dass Ihre Mutter in einem blauen Kleid oder einem roten Pullover vor ihren Schöpfer tritt?«

Das vielleicht gerade nicht, dachte Elfie etwas beklommen und sah sich selbst in ihrem burgunderroten Pullover an die Himmelspforte klopfen.

»Wir wollen doch nicht schuldig vor unserem Herrn stehen. Ich sehe gerade, dass Sie ein wunderschönes Kreuz um den Hals tragen. Ihre Mutter hat doch sicher die kirchlichen Sterbesakramente empfangen. Dann ist sie im Stande der Unschuld. Wir haben außerdem Totenhemden in den allerbesten Stoffqualitäten, die auch noch biologisch … Aber das führt jetzt zu weit.«

Das führte wirklich zu weit, dachte Elfie empört darüber, wie Juliane Knörringer ihre Sachen an den Mann, in diesem Fall an die Frau brachte.

»Alle weiteren Details sollten wir auch noch besprechen – Blumenschmuck, Todesanzeigen, die Angelegenheiten mit dem Friedhofsamt. Das machen wir aber nicht hier im Stehen, sondern wir gehen dazu in mein Büro.«

Juliane führte die Frau zu Elfie herein und bat sie, in der Sitzecke Platz zu nehmen.

»Frau Weiss wird uns gleich einen Kaffee bringen – oder möchten Sie lieber ein Glas Wasser?«

Ohne die Antwort abzuwarten, war sie auch schon zur Tür hinaus, nahm rasch noch einen Aktenordner vom Schreibtisch und bedeutete Elfie, ihr zu folgen.

»Ich bringe Sie jetzt zu Ihrem Arbeitsplatz.« Sie ging den Flur entlang. »Es gibt noch einen anderen Eingang zu diesem Büro. Von außen, damit nicht alle immer durch die Halle laufen. Das Büro liegt in einem Anbau, der früheren Remise.«

Aha, also so etwas wie ein Dienstboteneingang, dachte Elfie. Das hörte sich schon gar nicht mehr so luftig und großzügig an, wie sie sich das vorgestellt hatte. Gegenüber der Tür, durch die sie gerade gegangen waren und hinter der ein kleiner Tisch mit einer Kaffeemaschine eingeklemmt war, betraten sie durch eine eiserne Feuerschutztür den Raum für die Angestellten.

Elfie hatte in ihrem Arbeitsleben schon viele Büros gesehen, aber das hier übertraf alles bisher Dagewesene. Was war das denn für ein – Schuppen! Sie schnappte nach Luft.

Juliane Knörringer warf ihr einen raschen Blick zu und legte den Kopf in den Nacken.

Frau Weiss war gerade im Begriff, einen Schnellhefter aus dem Regal zu zerren, riss sich beim Anblick von Juliane Knörringer hastig die Kopfhörer aus den Ohren und warf sie in eine Schreibtischschublade. Vermutlich lagen auch die Piercings darin, denn sie war jetzt sozusagen metalllos. Ihr Gesicht wirkte dadurch noch jünger und verletzlicher.

»Frau Weiss, zwei Tassen Kaffee und ein Glas Wasser in mein Büro. Und zwar rasch! Wir sprechen uns später noch!«

Das klang so drohend, dass Elfie unwillkürlich den Kopf einzog.

Die Bestatterin legte den Aktenordner auf einen Schreibtisch. »Frau Ruhland, hier sind schon einmal die Lohnabrechnungen des laufenden Jahres. Alles Weitere bereden wir, wenn ich das Gespräch mit der Angehörigen geführt habe.«

Elfie traute ihren Ohren nicht. Jetzt war die Stimme von Juliane Knörringer so liebenswürdig, dass man kaum glauben konnte, dieselbe Person vor sich zu haben. »In der Zwischenzeit kann Frau Weiss Ihnen Ihren Arbeitsplatz zeigen.«

Während das junge Mädchen sich im Vorraum an der Kaffeemaschine zu schaffen machte und Juliane zurück zu ihrer Besprechung ging, hatte Elfie Zeit, sich umzusehen. Nach den großzügig gestalteten Räumen im Eingangsbereich des Beerdigungsinstituts fand man sich hier wie in einem Verlies wieder. Fensterlos, grelles Neonlicht, abgestandene Luft und ein muffiger Geruch nach Staub und altem Papier. Die Schreibtische standen dicht an dicht. Metallregale an den Wänden quollen über von Ordnern und Aktenstapeln.

»Ganz schöner Mief hier drin«, kommentierte Frau Weiss Elfies Sprachlosigkeit. »Was meinen Sie, wie eng es erst mal wird, wenn wir zu viert sind.«

»Wieso zu viert?«, fragte Elfie.

»Morgen wird Herr Bornekamp wohl wieder da sein, und dann hat Herr Knörringer noch jemanden eingestellt, der eine Homepage für das Unternehmen einrichten und ins Internet stellen soll.

»Und wo ist dann mein Platz, Frau Weiss?«

»Sagen Sie einfach Saskia.«

Elfie nickte. »Ich bin Elfie Ruhland.«

Sie streckte Saskia die Hand entgegen, die diese nach leichtem Zögern ergriff, den Druck allerdings nicht erwiderte.

»Das da ist Ihr Platz.« Saskia wies auf einen weißen Gartentisch aus Plastik, der so mit Papieren, Heftern und Zetteln übersät war, dass die Tischbeine sich unter dem Gewicht der Stapel nach außen bogen.

Elfie ließ sich auf den davor stehenden Stuhl fallen, einen weißen Gartenstuhl, der ein erschrecktes Quietschen von sich gab.

Als Saskia sich setzen wollte, stieß sie sich die Hüfte an der Schreibtischecke. »Fuck!«, murmelte sie und rieb sich die schmerzende Stelle.

Du meine Güte, vier Personen in diesem engen Schuppen – da ging es wohl nicht ohne blaue Flecken ab.

Elfie sah auf den Gartentisch und betrachtete den Papierberg, der auf ihre ordnenden Hände wartete.

»Wie soll ich denn da ein System reinbringen? Ich habe ja nicht einmal ein barmherziges Plätzchen, um irgendetwas abzulegen, ganz zu schweigen von einer Schublade.« Sie sah zu Saskias Schreibtisch, der relativ leer wirkte.

»Ob wir vielleicht die Plätze tauschen könnten«, wagte sie einen Vorstoß in Saskias Richtung.

Keine Antwort. Das junge Mädchen hatte bereits die Kopfhörer wieder eingestöpselt und summte irgendeine Melodie vor sich hin.

Elfie wiederholte ihre Frage, dieses Mal etwas lauter.

Saskia nickte unwirsch und brummelte: »Wenn’s sein muss. Aber meinen Drehstuhl nehme ich mit.«

Mit beiden Händen schaufelte Elfie die Berge von Zetteln vom Gartentisch auf die Schreibtischfläche, sorgsam darauf bedacht, dass nichts zu Boden fiel. Saskia rollte ihren Bürostuhl vor den Gartentisch, schraubte ein wenig daran herum, weil die Höhe nun nicht mehr passte. Elfies Gartenstuhl stellte sie vor den Schreibtisch. Immerhin!

»Irgendwo muss noch eine Auflage dafür herumliegen«, meinte sie, steckte sich wieder die Stöpsel in die Ohren und kümmerte sich nicht weiter um Elfie.

Diese sah sich suchend um. Tatsächlich, in einem der oberen Regale klemmte etwas Kissenähnliches. Knallbunte Blumen auf grünem Untergrund. Der einzige Farbfleck in diesem Büro, der allerdings auch nicht zur Verschönerung des Ganzen beitrug. Elfie schüttelte die Auflage aus, Staubmäuse wirbelten durch die Luft, segelten dann auf die Papiere. Sie nieste.

»Gesundheit«, murmelte Saskia, ohne aufzublicken.

Elfie räumte ihre Schreibtischschublade ein, reichte vorher eine kleine Schachtel mit den Piercings und anderen Kleinigkeiten zu Saskia hinüber, die sich ratlos umsah und die Schachtel dann etwas unwillig zu ihren Füßen abstellte. Elfie griff nach dem Beutel, in dem sie immer ihre eigenen Utensilien von einem Arbeitsplatz zum nächsten beförderte. Stifte in allen Farben, Lineal, Anspitzer. In die Mitte des Fachs legte sie wie immer den Füllfederhalter mit der Goldfeder. Ein Geschenk von Ludwig.

In diesem Augenblick öffnete sich die Feuerschutztür, und Juliane Knörringer baute sich vor Saskia auf.

»Ich sage Ihnen jetzt zum letzten Mal, was ich von Ihnen bei der Arbeit erwarte: keine Kopfhörer, keine Piercings und eine dezente Garderobe. Wir sind schließlich ein Bestattungsunternehmen, da ist ein würdiges und geschmackvolles Auftreten wichtig.«

Na, dezent waren diese falschen Wimpern auch nicht gerade, dachte Elfie und hoffte, dass die Bestatterin mit ihrer Tirade am Ende wäre.

Doch die stieß einen theatralischen Seufzer aus und holte nur einmal tief Luft, um mit unvermittelter Lautstärke fortzufahren: »Und in diesem Aufzug haben Sie auch noch ein Beratungsgespräch mit einer Angehörigen geführt und ihr alle möglichen Flöhe ins Ohr gesetzt …«

»Aber der Theo, ich meine Herr Bornekamp, war doch nicht da, und ich dachte …«

»Der ist nie da, wenn man ihn braucht. Magen-Darm-Infekt – ha! Dass ich nicht lache. Wahrscheinlich hat er mal wieder zu viele Gummibärchen in sich reingestopft. Das wäre ja nicht das erste Mal.«

Elfie war entsetzt über den gehässigen Ausdruck in Juliane Knörringers Gesicht.

Die Chefin war noch nicht fertig. »Wie lange sind Sie jetzt hier, Frau Weiss? Fünf Monate? Ich warne Sie, Ihre Probezeit ist noch nicht zu Ende. Ihre wievielte Lehrstelle ist das hier bei uns eigentlich? Ich fürchte, ich muss mal wieder mit Ihren Eltern sprechen, wenn meine Worte auf Sie keinen Eindruck machen.«

Saskia zuckte zusammen, wurde immer kleiner auf ihrem Drehstuhl und hätte sich wohl am liebsten unter dem Tisch verkrochen.

»Nun aber zu Ihnen, Frau Ruhland.« Die Stimme der Bestatterin hatte wieder kristallklare Höhen erklommen, und Elfie war aufs Neue erstaunt, wie schnell diese Frau ihre Tonlage wechseln konnte.

»Ich hoffe, dass Sie mit der Vorbereitung der Unterlagen für die Steuerprüfung so schnell wie möglich fertig sind. Bei Ihrem hohen Stundensatz kann man das ja wohl erwarten.«

Elfie sah auf die Menge an Papieren auf dem Schreibtisch, legte den Kopf schief und meinte: »Ein bisschen wird es schon dauern, bis hier Ordnung herrscht.«

Die Bestatterin drückte Elfie zwei weitere Aktendeckel in die Hand, die sie mitgebracht hatte. »Am besten Sie fangen erst mal an. Wenn Fragen auftauchen, wenden Sie sich an mich.« Dann rauschte die Chefin aus dem Zimmer, allerdings nicht, ohne Saskia noch mit einem bitterbösen Blick zu bedenken.

Elfie betrachtete Saskia voller Mitgefühl, die wie ein Häufchen Elend dasaß. Unwillkürlich griff sie in ihre Handtasche, um ihr bordeauxrotes Notizbuch hervorzuholen. Aber das lag zu Hause im Schrank, wohin sie es nach ihrem letzten missglückten Projekt verbannt hatte.

Elfie schüttelte den Kopf. Sie hatte sich geschworen, keine unliebsamen Chefs mehr aus dem Weg zu räumen, und würde ihren guten Vorsätzen nicht gleich wieder untreu werden. Obwohl diese schreckliche Juliane Knörringer schon mehrere dicke Minusstriche in ihrem Notizbuch verdient hätte.

2.

Alex von Lichtenstein lümmelte auf der Couch und konnte sich gar nicht sattsehen. Das Fotobuch war noch viel schöner geworden, als sie es sich vorgestellt hatte. Immer wieder blätterte sie zu der Seite mit den Aufnahmen der Dschungeloper in Manaus und verglich sie mit denen der letzten Reise ihrer Eltern. Hubert und sie hatten sich genauso vor dem Theater postiert wie ihre Eltern zwanzig Jahre zuvor.

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