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Eine Welt, in der Zauberei so selbstverständlich zum Leben dazugehört wie die Ernte auf den Feldern und das Melken der Kühe. Als Ranji diese Welt betritt, ist er davon zunächst irritiert. Sind das, was ihm der alte Zauberer des Hofes da vorführt, nicht doch alles nur Tricks und Täuschungen? Erst allmählich lernt er die Geheimnisse von Ursache und Wirkung zu erkennen und wie ein Zauberer sich diese zunutze machen kann. "Ran" ist keine Fantasy-Geschichte vom epischen Kampf zwischen Gut und Böse. Es geht um das tägliche Leben in einer Welt, in der Ranji nicht nur das faszinierende Handwerk der Zauberei erlernen, sondern auch noch seinen Platz in der Stadt und bei Hofe finden muss. Und so ist "Ran" auch eine Geschichte über Freundschaft und Vertrauen, über Liebe und Macht und über das Erwachsen werden. Nicht immer ist das einfach, auch nicht für einen Zauberlehrling. Und viel zu schnell muss Ranji mehr Verantwortung übernehmen, als ihm lieb ist.
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Seitenzahl: 787
Veröffentlichungsjahr: 2024
Ran
Ein Märchen
Uwe Brunotte
16. September 1989
© 2024 Uwe Brunotte
Umschlag, Illustration: Oliver Brunotte, Dall-E
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich.Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig.Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung “Impressumservice“, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland.
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Widmung
Begegnung
Lernen
Die Königin
Die Stadt
Der Wald
Arbeit
Das Fest
Stein und Feder
Winter
Der Händler
Waffenmeister
Labor
Erinnerungen
Fäden
Arzt
Meister
Feenzauber
Tod
Aufbruch
Unterwegs
Aufbau
Alt
Überfall
Aufbruch
In Gefahr
Unbekannt
Ausbildung
Garven
Heimkehr
Unglück
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Für Sofie, denn Magie ist überall
Begegnung
Da bist du ja.
Ich habe schon lange auf dich gewartet.«
Das waren die ersten Worte, die ich bei meiner Ankunft hörte. Um mich herum verblassten gerade die regenbogenfarbenen Umrisse des Portals und erst langsam gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit dort, wo immer ich jetzt sein mochte.
Zuerst sah ich nur die Fackel, die das düstere Mauerwerk etwas erhellte und es dauerte einige Zeit, bis ich mich zurechtfand. Der Gang, in dem ich stand, war breit und niedrig, grobe, unverputzte Steinmauern wurden durch hölzerne Säulen gestützt, die Decke war ebenfalls aus Holz und sah stellenweise nicht sehr zuverlässig aus.
Seltsamerweise meinte ich, ein Lachen gehört zu haben, aber in dieser tristen Umgebung glaubte ich dann eher, mich zu irren. Besonders einladend sah es in dem dunklen Gang wirklich nicht aus und ich fragte mich, wie schon so oft, wo ich denn wieder hineingeraten sei.
Moment, wer hatte da auf mich gewartet? Das war ja nun wirklich das Letzte, mit dem ich gerechnet hatte, da ich hier eigentlich völlig unbekannt sein sollte. Immerhin wusste auch ich nicht, wo ich war und daher konnte mich niemand kennen. Vielleicht eine Verwechslung.
Ich drehte mich um.
Der Mann war alt, sehr alt sogar, nur die lebhaften und freundlichen Augen passten nicht in das faltige Gesicht. Und da war noch etwas, das ich nicht einordnen konnte. Irgend etwas an ihm, vielleicht die hohe Stirn, die buschigen Augenbrauen oder das fast jungenhafte Lächeln kam mir bekannt vor. Sein Blick ließ auch keinen Zweifel mehr daran, dass ich tatsächlich gemeint war, er kannte mich.
»Schön, dass du da bist«, meinte er jetzt noch einmal.
»Woher. . . ?«, begann ich, aber er redete schon weiter, die Frage, die ich stellen wollte, beantwortend.
»Es ist jetzt unwichtig, woher ich dich kenne, ich glaube, für dich ist es im Moment wichtiger, wer ich bin.«
Damit hatte er sicherlich recht und so nickte ich nur. Er stützte sich auf seinen Stock, richtete sich auf und mit einem Mal strahlte er eine so beruhigende Würde aus, dass ich alle Fragen in einem Moment vergaß. Sie waren einfach nicht mehr wichtig. Mir wurde klar, dass ich hier nichts zu befürchten hatte und ohne etwas über diesen Mann oder die Welt zu wissen, die ich eben betreten hatte, fühlte ich die Sicherheit, hier einen Freund zu haben.
»Mein Name ist Ran.«
»Ich bin seit vielen Jahrzehnten der Zauberer dieses Hofes und dieser Stadt und es gibt hier nichts, das mir verborgen bleibt. Deine Ankunft war mir klar, lange bevor du selbst davon wusstest und es war nur eine Frage der Zeit, bis du kommen würdest.
Du wirst mein Schüler sein und alles lernen, was ich selbst gelernt habe, du wirst Zauberer dieser Stadt und dereinst auch mein Nachfolger sein und dein Leben wird dem meinen gleichen.«
Das hatte ich eigentlich nicht vor. Ich wollte doch nicht mein ganzes Leben hier verbringen, immerhin musste ich ja einmal wieder zurück in meine Welt und bis jetzt hatte ich mir immer noch selbst meinen Weg gesucht. Vorschreiben ließ ich mir jedenfalls nicht, was ich zu tun hätte und. . .
Er hatte recht.
Ein Blick aus seinen freundlichen, undurchschaubaren Augen hatte mich davon überzeugt, dass ich genau das tun würde, was er sagte. Er sah mich weiter lächelnd an und ich fühlte die Sicherheit hinter seinen Worten. Mochte ich selbst die Gründe nicht kennen, mit der Zeit würde ich sie sicher verstehen.
Mehr noch, nach einem Moment der Verblüffung wurde mir klar, dass ich eigentlich genau das wollte, was er mir anbot. Zaubern beschränkte sich in ›meiner‹ Wirklichkeit auf gute Tricks und Geschicklichkeit, die Existenz des Über– oder Außernatürlichen wurde meistens abgelehnt und hier sollte ich genau das lernen und erfahren dürfen?
Ran sah nämlich nicht so aus, als würde er Kartentricks vorführen oder Kaninchen aus dem Hut ziehen. Wenn er Zaubern sagte, meinte er genau das. Natürlich würde ich mitmachen und das hatte er von Anfang an gewusst.
»Komm mit«, sagte er und ging an mir vorbei auf die Wand zu. Etwas verwirrt drehte ich mich um und wollte hinterher, aber da war doch nichts. Der Gang zog sich rechts und links in die Dunkelheit (erst jetzt fiel mir auf, dass nur eine Fackel brannte, die, unter der wir gestanden hatten) und Ran lief genau auf die großen, etwas bemoosten und alten, aber zweifellos sehr massiven Steine zu.
»Komm ruhig und wundere dich nicht allzu sehr.«
Mit seinem Stab schlug er ganz leicht an die Wand und mit einem leisen Knirschen schoben sich die Steine nach hinten. Sand und Moos rieselten aus der entstehenden Lücke, die etwa mannshoch und so breit war, dass eine Person gut hindurch gehen konnte. Ran stieg die Stufen, die dahinter sichtbar wurden, mit einer Behändigkeit hinunter, die, wie vieles an ihm, nicht zu seinem Alter passten. Aber wie alt war er überhaupt?
»He, ich sehe nichts, wart’ doch auf mich!«
Vor mir waren nichts als Dunkelheit und einige ausgetretene Stufen zu erkennen. Ran war schon viel weiter gegangen, ich hörte nur noch leise seine Schritte irgendwo vor oder unter mir. Jetzt erlosch auch die Fackel hinter mir und ein Knirschen zeigte an, dass sich die Tür langsam wieder schloss. Da ich noch immer auf der obersten Stufe, also mitten in der Wand stand, war mir diese Tatsache nicht gerade angenehm.
Da sah ich vor mir ein Licht aufflammen. Ran zündete eine Fackel an und ich erkannte endlich die Stufen, die in einer gewundenen und unregelmäßigen Treppe vor mir nach unten führten.
»Entschuldige, ich habe so selten Besucher hier, dass ich wohl etwas rücksichtslos geworden bin«, meinte er. Als erstes verließ ich die Wand, die sich unmittelbar hinter mir schloss. Ran stand nicht so weit entfernt, wie ich gedacht hatte, er blickte zu mir, während seine andere Hand auf die Fackel deutete.
Allerdings deutete er wirklich nur, er war noch einige Armeslängen von ihr entfernt und sie hing so hoch unter der Decke, dass er sie von dieser Stufe aus nie hätte erreichen können. Aber hatte ich ernsthaft erwartet, dass ein Zauberer mit Streichhölzern oder Feuerzeug durch die Gegend läuft?
Er hatte recht, wundern sollte ich mich lieber nicht.
»Das mit der Tür war nicht schlecht, oder?«, fragte er wie ein Kind, dass einem anderen eine besonders schöne Glasmurmel zeigt. »Aber leider«, fügte er leicht bedauernd hinzu, »mit Zauberei hat das nicht viel zu tun.«
Er klopfte mit seinem Stock ein paarmal auf die Erde. »Dort drinnen ist die ganze Zauberei. Ein Magnet löst den Sperrriegel und öffnet die Tür. Das Pendel schwingt einmal und dann schließt sie sich wieder, wenn das Gegengewicht noch genug Raum zum Arbeiten hat.« Er blieb stehen.
»Hier.«
In einer aus dem Fels gehauenen Rinne hing ein schwerer Sandsack von der Decke. Über eine Rolle führte das Seil nach oben zur Tür, die in großen Metallschienen lief. Dort sah ich auch etwas wie ein Pendel, das sich noch leicht bewegte.
»Jedes Mal, wenn du eine der Türen benutzt, zieht das Gewicht sie auf und gleich darauf wieder zu. Das geht so fünf oder sechs Mal, dann musst du den Sack wieder hochkurbeln.« Er deutete auf eine ziemlich schwer aussehende Kurbel in einer Nische neben der Rinne für das Gewicht.
»Probiers am besten sofort, es ist nämlich wichtig.«
Und während ich mich abmühte, die eiserne und wirklich nicht leichte Kurbel zu drehen, erzählte er weiter.
»Es gibt noch viele solcher Gänge und Türen, manche davon benutze ich seit Jahren nicht mehr, da sie nicht so schön leichtgängig sind wie diese hier.« –Ach – dachte ich schwitzend, –leicht?– »Ich selbst kann es langsam wirklich nicht mehr. Aber du musst immer daran denken, dass die Türen gespannt sind. Stell dir doch nur einmal vor, du, der Zauberer des Hofes, gehst auf eine Wand zu, die sich öffnen sollte und läufst dagegen. Oder eine Tür schließt sich nicht und jemand sieht dich hier unten kurbeln. Das ist für einen Zauberer, und mag er noch so gut sein, einfach unmöglich.«
Ich war ehrlich gesagt etwas enttäuscht. »Aber das sind doch nur Tricks und Täuschungen«, wagte ich einzuwenden.
Er sah mich nicht besonders streng an.
»Du wirst, genau wie ich, lernen müssen, dass ein guter Zauberer den größten Teil seiner Wirkung durch Illusion und, wie du es nennst, Täuschung erreicht. Nur wenig ist echte Magie und davon ist nur sehr wenig geeignet, um auf andere Eindruck zu machen, aber, und auch das wirst du lernen, gerade das ist das Wichtigste.
Ein Zauberer, der nicht ein wenig angibt, wird keinen Erfolg haben.«
Und damit drehte er sich wieder um. Wir gingen weiter die Stufen hinunter, aus dem Lichtkreis der Fackel hinaus. Er blickte nach vorne und blieb kurz stehen.
»Pass auf, das ist jetzt etwas echte Zauberei.«
Er zeigte auf einen Punkt vor uns und mit einem Zischen sprang dort ein Licht an, die Fackel glomm auf und stand fast sofort in Flammen. Es war ein wenig so, als würde man das Löschen einer Flamme rückwärts betrachten.
Gleichzeitig wurde es hinter uns dunkel.
»Wenn du sparsam bist, musst du nicht so oft ins Lager und Fackeln klauen. Die Leute glauben eben, dass ein Zauberer kein Licht braucht oder immer genug davon hat, aber leider ist mir die Nutzung des elektrischen Stroms noch nicht gelungen.«
Als ich das hörte, blieb ich überrascht stehen.
»Was ist los?«, fragte er, sich umdrehend.
»Ach so, Elektrizität gibt es nur bei dir, denkst du. Warte noch etwas ab, dann bekommst du auf alle Fragen eine Antwort und sogar noch ein wenig mehr.«
Er drehte sich um und schritt weiter die Treppe hinunter, die sich in sanften Kurven offenbar durch den festen Fels zog. Dann sprach er weiter.
»Die Zauberei, jedenfalls die echte, die allen anderen Menschen so unbegreiflich erscheint, beruht auf einigen einfachen Grundprinzipien. Du musst das, was immer du verwandeln willst, lieben und achten, sonst hast du keinen Erfolg. Merke dir, nur wenig kommt von dir selbst, die meiste Kraft ist die Kraft deiner Umgebung und die Kraft der Menschen, die du verzaubern willst. Wenn sie an dich glauben, brauchst du fast keine Zauberei mehr. Du kannst keine Wunder vollbringen, auch als Zauberer musst du dich an die Gesetze dieser Welt halten. Sie sind von denen aus deiner Welt nicht verschieden, nur habt ihr euch selbst einen großen Teil eurer Macht verschlossen. Die Naturgesetze gelten hier wie überall im Universum und auch bei euch gab und gibt es Menschen, die zaubern können, doch meistens wissen sie nichts davon und beachten es nicht.«
Wir erreichten das Ende der Treppe und vor uns lag eine Halle, von der dunkle Gänge in verschiedene Richtungen abzweigten. Ran schritt bis zur Mitte der Halle, wo eine ebenfalls aus dem Fels gehauene Säule die gewölbte Decke stützte. Er drehte sich um und sah mir direkt in die Augen.
»Also, mein Sohn, löse dich von den festen Vorurteilen deines Weltbildes und beginne die Macht des Geistes zu erkennen. Ihr nennt es, glaube ich, Telepathie oder Telekinese oder so, aber viel Ahnung habt ihr nicht davon, sonst würden sich mehr Menschen damit beschäftigen.
Zuerst musst du lernen, dich selbst kennenzulernen und zu verstehen, damit du deine Kräfte kennst und sinnvoll einsetzen kannst. Denn nicht jeder Zauberer kann das Gleiche, wie mit den körperlichen Kräften ist es auch mit den geistigen recht unterschiedlich.
Ich werde dir alles beibringen, was ich kann, wenn die Zeit dafür noch ausreicht. Aber manches wirst du nicht können, ob du lernst oder nicht; anderes wird dir leichter fallen als mir und vieles wirst du dir später noch selbst erarbeiten, das steht dann alles in deiner eigenen Macht. Ich kann dir nur den Weg zeigen, gehen musst du ihn selbst.«
Eine Fackel leuchtete in einem der Durchgänge auf und mit einer Handbewegung forderte Ran mich auf, den dahinter liegenden Raum zu betreten. Überrascht stellte ich fest, dass es sich um eine gemütliche Kammer mit Wandbehängen aus Stoff, einigen weichen Kissen und zusammengerollten Strohmatten handelte.
»Wir werden deine Lehre mit Meditation und Körperbeherrschung beginnen. Es ist klar, dass du als Zauberer nicht nur keinen Schmerz empfinden darfst, sondern auch kleinere Verletzungen sofort heilen musst. Du bist hier nämlich auch der einzige Arzt und besonders dabei ist es wichtig, dass die Leute an dich glauben. Die meisten Krankheiten sind heilbar, wenn der Kranke daran glaubt, dass der Arzt ihm helfen kann. Du selbst tust dann eigentlich gar nichts, der Kranke heilt sich selber durch seinen Glauben.
Aber, und auch das ist wichtig, du musst genauso davon überzeugt sein, ihm helfen zu können. Es mag sein, dass dir das jetzt etwas widersprüchlich erscheint, denn du kannst nur dann wirksam helfen, wenn du wirklich glaubst, es zu können und dann brauchst du auch schon nicht mehr viel zu tun, aber es ist so und du wirst schnell genug verstehen, dass Magie sich mit Logik nur schwer in Einklang bringen lässt.
Mit ein wenig Übung kannst du auch Verletzungen heilen, die eigentlich tödlich sind. Aber dafür werden wir eine lange Zeit brauchen, ich weiß nicht, ob ich dir das noch beibringen kann.
Wenn du jetzt allerdings glaubst, als Arzt könntest du alles dem Glauben an dich und deine Kräfte überlassen, muss ich dich leider enttäuschen.«
Die Fackel in der kleinen Kammer erlosch und gleichzeitig sah ich Licht in einen anderen Durchgang aufleuchten. Ich trat hindurch und fand mich in einem langgezogenen Lagerraum wieder, dessen Wände bis zur Decke von hölzernen Regalen und Schränken bedeckt waren. Gläser und Schalen mit getrockneten Kräutern, Stängeln und Beeren standen und lagen überall.
»Du wirst mit mir durch die Wälder ziehen, Kräuter und Beeren suchen und das Gift der Pflanzen zu nutzen lernen. Gerade die giftigsten unter den Pflanzen sind die wirkungsvollsten. Fingerhut, Tollkirsche, Giftefeu, alles das sind treffliche Arzneien, wenn du damit umgehen kannst.
Falls allerdings jemand einige Einbeeren genommen hat, wird dir alle Zauberei nicht helfen, da rettet dann nur noch der Lederschlauch und eine ganze Menge Salzwasser. Aber so weit solltest du es nie kommen lassen, du hast ja an deinen Ruf als Zauberer zu denken.«
Wieder erlosch die Fackel und ich beeilte mich, den dunklen Raum zu verlassen und zurück in die kleine Halle zu treten. Ran schritt jetzt auf einen weiteren Durchgang zu, hinter dem offenbar mehrere Räume lagen. Im ersten erkannte ich einen schweren Arbeitstisch, auf dem etliche in Leder gebundene Folianten lagen. Kerzenleuchter standen auf dem Tisch und ich sah auch Schreibwerkzeug, etwas das wie ein Zirkel aussah und einen Rahmen, auf dem offenbar ein leeres Blatt Pergament eingespannt war.
»Wenn wir mit den Grundlagen deiner geistigen Ausbildung fertig sind, beginnt das eigentliche Zaubern. Du musst in der Lage sein, die Gedanken deiner Mitmenschen zu erkennen und lenken zu können, du musst Bilder erzeugen und verschwinden lassen können, du musst Wetter rufen und abwenden sowie rechtzeitig Stürme erkennen und warnen können.
Falls es zu einem Krieg kommt, was ich mir nicht vorstellen kann, da die Stadt nicht reich ist und es schon seit Jahren keine Angriffe mehr gegeben hat, musst du Feinde blenden und in Furcht versetzen können, außerdem natürlich dich selbst und andere schützen.
Dazu kommen noch ein paar Kleinigkeiten, wie Feuer entzünden und löschen, Gegenstände bewegen und natürlich Hypnose. Das ist dann die Grundlage für alles weitere, vieles wirst du selbst nebenbei lernen und von dir aus erforschen.
Ich würde mich in deiner Welt wohl als Wissenschaftler bezeichnen und noch immer habe ich Fragen und will sie beantworten. An ein Ende des Lernens bin ich nie gestoßen und ich glaube nicht, dass dir das je gelingen wird.
Ach ja, noch etwas gehört zu deinem Lehrplan. Du kannst nicht gegen die Naturgesetze verstoßen, aber du kannst sie nutzen, um deine Kraft wirksamer einzusetzen.
Dafür musst du sie aber kennen, so gut das eben möglich ist und so werden wir auch Physik betreiben. Je näher du dem Aufbau der Welt bist, umso mehr kannst du mit kleinen, dir gerade möglichen Änderungen erreichen. Dort sind dir aber irgendwann Grenzen gesetzt, die kein vernünftiger Mensch überschreiten sollte.«
Ran öffnete eine schwere, mit Metall verkleidete Tür und ich sah das Licht einer Fackel, die im Raum dahinter aufflammte. Doch diesmal blieb Ran in der Tür stehen und streckte abwehrend seinen Arm aus, als ich neugierig auf die nächste Kammer den Durchgang passieren wollte.
»Wenn du zu weit nach innen gehst, den Aufbau der kleinsten Teile erkennst und veränderst, wirst du Probleme haben, gegen die dich keine Zauberkraft der Welt mehr schützen kann.
Ich selbst hielt mich für so mächtig und weise, dass ich es wagte, aber ich musste meine Überheblichkeit teuer bezahlen. Sieh her, im Wasser dort hinter der dicken Wand aus Glas. Siehst du den schimmernden Klumpen in der Mitte?
Kennst du den Traum aller Alchemisten und leider auch vieler Zauberer?
Auch ich wollte Blei in Gold verwandeln und ich verspottete die anderen, die es mit Pulvern und Säuren versuchten, denn ich kannte das Geheimnis. Glaubte ich jedenfalls damals.
Was du dort siehst, ist Gold, sogar sehr Reines, fast achtundneunzig Teile von Hundert sind Gold dort drin.
Furchtbar sind nur die beiden restlichen Teile.
Du weißt es doch sicher auch noch aus der Schule. Verändere das Atomgewicht von Blei, entferne drei Protonen und du bekommst Gold.
Es war kein Problem, nur konnte ich mich nicht auf alle Teilchen gleichzeitig konzentrieren. Die Reaktion war zu schnell, zu wenig Zeit zum Denken und Handeln. Das Blei schmolz von selbst, teilweise verdampfte es sogar. Als ich versuchte, alles anzuhalten und zurückzunehmen, verlor ich die Kontrolle über die Masse, es geschah irgend etwas Furchtbares damit. Atome fanden zusammen, andere Bindungen zerbrachen und ich konnte mit all meiner Macht nur hilflos zusehen.
Es war Gold, jedenfalls sah es für alle so aus. Als ich wieder zu mir kam, war es zu spät. Einer meiner Helfer spielte überglücklich mit dem Zeug herum, lachte und bemerkte nichts.
Ich wollte ihn warnen, aber es war zu spät. Er betrachtete plötzlich seine Hände, die rissig und rot geworden waren. Er war so verwundert und hilflos und sah mich nur fragend an.
Ich konnte ihm nicht mehr helfen, er starb wenig später in meinen Armen.
Ja, Ranji, die restlichen zwei Teile des Goldes sind Plutonium.«
Lernen
Erst glaubte ich mich getäuscht zu haben, meine überanstrengten Augen würden mir Bilder vorgaukeln, aber dann geschah es wieder.
Ein leichtes, kaum sichtbares Flimmern der Luft umgab den Docht der Kerze und ich spürte einen Hauch von Wärme von dort ausgehen.
Noch einmal versuchte ich meine Konzentration zu verstärken. Ein kleiner Tropfen Wachs löste sich vom Docht und floss die Kerze hinunter. Er blieb auf halbem Weg hängen und die glänzend durchsichtige Flüssigkeit wurde matt und weißlich.
Ich spürte auf einmal ein Brennen in den Augen und einen salzigen Geschmack im Mund. Die Kerze wurde undeutlich, meine Gedanken glitten ab.
»Versuch es weiter, Ranji, du kannst es jetzt schaffen.«
Ran wischte mir den Schweiß aus dem Gesicht und ich konzentrierte mich wieder auf die Kerze.
Diesmal gelang es mir besser. Ich sah wieder das Flimmern der Luft um den Docht herum, aber es war stärker als vorhin. Ein weiterer Wachstropfen löste sich und rann herunter. Er erstarrte kurz unter dem ersten Tropfen. Ein dritter und vierter folgte und zusammen bildeten sie eine verschnörkelte Treppenfigur am Rand der Kerze, die langsam nach unten wuchs.
Ich würde mir das später einmal ansehen, wenn ich Zeit hätte. Jetzt musste ich an den Docht denken.
Alle meine Gedanken liefen auf einen Punkt hin. Ich schwitzte wieder (erzählte Ran später), aber ich spürte nichts davon. Es war ein einziger leuchtender Punkt auf der Kerze, ein Wunsch, ein Gedanke, ein Befehl:
Feuer.
Und dann sah ich diesen leuchtenden Punkt auf dem Docht, eine winzige Faser begann zu glühen, wie ein rotes Auge starrte mich dieser eine Funke an.
Ich starrte zurück.
Die Glut breitete sich aus und wurde stärker. Nach oben und unten fraßen sich die kleinen Leuchtpunkte, funkelnd und immer heller strahlend.
Dann hörte ich das leise Knistern des Feuers und ich spürte beinahe, wie die Stellen der Glut sich verbanden und verstärkten.
Mit einem Zischen begann der Docht zu brennen, erst flackernd und schwach, als würde er es sich gleich noch einmal anders überlegen, aber dann beruhigte sich die Flamme und verbreitete ein ruhiges, helles Strahlen um sich herum.
Dieses Licht erleuchtete das ganze, große Kellergewölbe, einen von Rans Arbeitsräumen tief unter der Stadt. Es war das einzige Licht dort (Wie hatte ich eigentlich vorher das Wachs sehen können? Unwichtig), aber so klein es war, es reichte aus.
Es war meine Kerze.
Ran blickte mich an. In dem Licht sah er alt und müde aus und ich begriff, dass er fast noch mehr als ich gebangt und gehofft hatte.
Jede meiner Anstrengungen hatte er miterlebt und ich war ihm dankbar dafür. Oder hatte er selbst die Flamme erschaffen, um mich nicht zu sehr zu enttäuschen? Aber den Gedanken verwarf ich wieder, das wäre keine Anstrengung für ihn und mir gegenüber auch nicht fair. Nein, diese Kerze hatte ich ganz alleine zum Brennen gebracht.
Als ich seine Augen sah, schwand der müde Ausdruck aus seinem Gesicht und ich spürte seine Freude wie die meine, als würde ich in einen Spiegel sehen.
»Das war gut, Ranji.«
Mehr brauchte er nicht zu sagen, ich hörte die Anerkennung auch aus den wenigen Worten.
Nicht, dass Ran mit Lob etwa besonders sparsam gewesen war, im Gegenteil, in den letzten Wochen hatte ich oft seinen Trost und einiges an Aufmunterung gebraucht, da es doch sehr schwer wurde. Bis jetzt hatte mich noch niemand gesehen, außer Ran und seinen Helfern unten im Keller. Er meinte, bis ich selbst als Lehrling dem Hof vorgestellt werden könne, müsste ich schon viel gelernt haben, um nicht zu unangenehm bei der Königin aufzufallen. Zuerst hatten wir, wie von ihm angekündigt, mit der körperlichen Ausbildung begonnen. Es war eine Mischung aus Zen–Meditation und hartem Body-Building, die wir gemeinsam durchführten und die Wirkung spürte ich schon nach wenigen Tagen.
Die Atemübungen und das Konzentrationstraining fanden viermal am Tag statt. Gleich nach dem Aufstehen (das Wasser zum Waschen war eiskalt, aber das war auch nur die ersten Tage furchtbar gewesen) kamen wir zur ersten Übung zusammen und wenn ich dann so richtig ruhig und entspannt war (und nicht, wie oft in der Anfangszeit, wieder eingeschlafen), dann gab es Frühstück.
Es war sehr gut und reichhaltig, was mich etwas überraschte, denn zu allen Meditationen, die ich bisher kennengelernt hatte, gehörte eine strenge und nicht besonders leckere Ernährungsweise. Ran meinte nur, ich solle essen, was mir schmeckt und auch so viel ich wolle. Um richtig lernen zu können, müsse ich so zufrieden wie möglich sein.
Damit hatte er recht, ohne ein vernünftiges Essen hätte ich die Übungen wohl nicht so gut geschafft.
Die zweite Meditation war dann gegen Mittag, wieder vor dem Essen. Dabei darf man sich das Essen mittags freilich nicht als große warme Mahlzeit vorstellen. Mit etwas Brot, Milch oder Wasser und ein bis zwei Käsesorten glich es eher einem späten Frühstück und wurde auch manchmal ausgelassen.
Zum dritten Mal setzten wir uns am frühen Abend zusammen. Es muss so die Zeit des Sonnenuntergangs gewesen sein, aber da ich noch nie draußen gewesen war, konnte ich das nicht genau feststellen.
Erst das Abendbrot war die große Mahlzeit des Tages, verschiedene Sorten Obst und Gemüse (daraus schloss ich, dass ich irgendwann im Sommer angekommen sein musste), natürlich wieder Brot und manchmal Fleisch oder eine warme Suppe für mich.
Ran aß sehr wenig, mir schien, er würde mir nur Gesellschaft leisten und vielleicht aus Höflichkeit etwas anrühren. Darauf angesprochen meinte er nur, er würde sich schon sehr gut ernähren, darum bräuchte ich mir bestimmt keine Sorgen zu machen.
Mit der Zeit würde ich auch das verstehen, aber im Moment sollte ich mich darauf beschränken, die Grundlagen der Zauberei zu begreifen.
Die letzte gemeinsame Sitzung war kurz vor dem Schlafen und die war eigentlich die interessanteste. Nach den üblichen Entspannungsritualen und der richtigen Atmung fragte Ran mich nach dem Tag, der jetzt zu Ende ging.
Was hatte ich heute gelernt, was wieder vergessen, (das wurde am nächsten Morgen gleich wiederholt) und, die wohl wichtigste Frage, die ich mir auch heute noch jeden Abend stelle: Was hast du heute für andere getan?
Zu Anfang hatte es ja nur Ran und mich gegeben, so dass ich als Einziges etwas für Ran etwas tun konnte. Und das Einzige, was ich für ihn tun konnte, war, so viel wie möglich zu lernen, denn ich sah ja, dass er sich wirklich mit mir freute, wenn ich wieder etwas mehr verstanden hatte.
So bemühte ich mich, diese Frage immer ehrlich und gut beantworten zu können. Die nächste Frage: »Was hättest du besser machen können?«, wollte ich nämlich möglichst mit einem ehrlichen: »Nichts« beantworten.
Seltsam war auch, dass in der ganzen Zeit außer Rans einleitenden Worten nichts mehr gesagt wurde.
Alle Fragen und Antworten wurden nicht ausgesprochen, sondern nur gedacht. Oder gefühlt, da sich vieles, was Ran mir zu sagen hatte, mit Worten nicht ausdrücken ließ. So war es auch unmöglich, zu lügen, aber das hätte ich Ran gegenüber ohnehin nie getan. Er hätte mich sofort durchschaut.
»Weißt du, Ranji«, meinte er, als wir einmal darüber sprachen, »Die direkte Lüge ist nicht das Gefährlichste. Jeder Mensch hat schon das Wissen und die Macht, eine Lüge von der Wahrheit zu unterscheiden, als Zauberer vertiefst du diese Fähigkeit nur. Die meisten, die betrogen werden, wollen es ja glauben und so achten sie nicht auf das, was sie fühlen und eigentlich auch besser wissen sollten.
Du bist jetzt schon so weit, dass dir keiner mehr wissentlich die Unwahrheit sagen kann, da brauchtest du auch nie besonders viel zu lernen.
Die große Gefahr besteht in Falschheiten und Lügen, die aus ehrlicher Wahrhaftigkeit geglaubt werden. Wenn du mir abends sagst, du hättest nichts besser machen können, dann ist das für dich die volle Wahrheit, obwohl es falsch sein kann. Wenn ein Mensch von klein auf etwas Falsches glaubt, sei es die Macht der Gewalt, die Ohnmacht des Einzelnen oder ein Glaube, der auf Vernichtung des anderen beruht, dann kann das alles für ihn zur Wahrheit werden und nichts auf der Welt kann ihn davon abbringen.
Nicht die Lüge ist die Gefahr, Ranji, der ehrliche Selbstbetrug ist das Übel. Und das nicht nur in dieser Welt.«
Was sollte ich dazu sagen?
Zwischen den einzelnen Meditationen waren wir natürlich niemals untätig.
Ran besaß einen ganzen Stapel alter und dicker Bücher, die ich mir durchlesen sollte, falls er nicht da sein würde. In der ersten Zeit war das fast nie der Fall, aber als ich dann eigene Übungen bekommen hatte und nicht mehr ständig auf seine Hilfe und Anleitung angewiesen war, begann ich etwas darin zu blättern.
Die Schrift war alt und schwer zu lesen, aber es war eindeutig Rans eigene Handschrift. Es waren Lehrbücher der Zauberei, Hilfen zur Selbsthypnose und auch Körperübungen, die ich zum Teil schon kannte oder mit Ran gerade erlernte. Aber die Bücher waren sehr alt. Ich wusste zwar, dass er auf meine Ankunft gewartet hatte, und er sagte selbst, dass diese Schriften nur für mich wären, kein anderer hätte sie je gesehen und das würde wohl auch nicht mehr geschehen, aber dann hätte er bereits weit vor meiner Geburt von mir wissen und meine Lehre vorbereiten müssen.
Als ich ihn danach gefragt hatte, gab er mir keine Antwort und vertröstete mich auch nicht auf später. Darüber sollte ich also nichts wissen und ich fragte nicht wieder danach.
In den Stunden nach dem Auf stehen war ich meist in Rans ›Folterkammer‹ damit beschäftigt, Gewichte zu stemmen oder über Rollen zu ziehen, verschiedene Verrenkungen zu versuchen und im großen und ganzen mit Zauberei denkbar wenig zu tun zu haben. Aber es war auch wichtig, dass ich nicht nur geistig den Menschen dieser Stadt überlegen war, ich musste auch ganz einfach kräftig genug sein, um: ». . . nicht von jedem Bauern mal so eben verprügelt zu werden. So etwas passt nicht zu einem guten Zauberer.«
Da Zauberei gegen rohe Gewalt wenig ausrichten konnte, zumindest meine Künste in dieser Zeit bei Weitem nicht, war es wichtig, auch körperlich mit den hart arbeitenden Bewohnern der Stadt mithalten zu können, wie Ran betonte.
Das Training war eigentlich nie übermäßig hart, Ran verlangte nicht mehr von mir, als mir gerade möglich war. Eine der wichtigsten Übungen war es, sich immer auf die Muskeln zu konzentrieren, die beansprucht wurden, um auch geistig zum Aufbau beizutragen.
Das ging sogar überraschend gut, mit dieser Mischung aus Yoga und Bodybuilding war ich in wenigen Wochen so weit, dass ich an einem Tag sämtliche Türen für Ran vorbereiten konnte. Sogar die, welche schon seit Jahren nicht mehr benutzt wurden und entsprechend unbeweglich waren.
Ran war darüber sehr froh, da ihn sein Alter inzwischen doch ein wenig behinderte und so gehörte es von da an zu meinen täglichen Pflichten, die Türen zu kontrollieren und immer wieder einmal zu kurbeln.
In dieser Zeit hatte Ran mir noch nichts beigebracht, was ich mit Zauberei bezeichnen könnte. Auf meine Ungeduld reagierte er sehr gelassen und meinte, solange ich so darauf drängen würde, sei ich noch nicht reif dafür.
Damals ärgerte mich das sehr, aber er hatte natürlich recht, wie sich bald zeigen sollte.
Die Zeit verging und ich veränderte mich schneller als erwartet.
Am deutlichsten wurde mir das bei den Essgewohnheiten, vielleicht weil Ran mir dabei nie Vorschriften machte. Nachdem meine körperliche Ausbildung nahezu abgeschlossen war, begann ich, weniger und nicht mehr so wahllos wie bisher zu essen. Nicht, dass ich mich dazu zwingen musste oder hungrig aufstand, es schmeckte mir nur nicht mehr so wie früher und ich war eher satt als sonst.
Nach einiger Zeit war ich genauso sparsam wie Ran geworden, besonders was Fleisch anging. Ein Stück Brot und etwas Schafskäse reichte schon morgens, Obst oder Gemüse im Laufe des Tages (mittags war bald nur noch die Meditation wichtig) und abends dann auch öfter ein Becher Milch oder, ganz selten, etwas Honig oder sogar Wein.
Angst wegen Mangelernährung brauchte ich deswegen allerdings nicht zu haben, mir fehlte nichts und je weniger ich bewusst darauf achtete, um so weniger brauchte ich mir um meine Ernährung Sorgen zu machen.
Als ich Ran einmal darauf angesprochen hatte, lächelte er nur freundlich.
»Wir haben es endlich geschafft, deinen Körper von all diesen Giften und Süchten zu befreien und du hast Angst zu verhungern. Merkst du denn nicht selbst, wie viel besser es dir jetzt geht? Gleichzeitig mit deinem jetzt langsam wachsendem Körperbewusstsein entwickelt auch dein Körper einen recht scharfen Sinn dafür, was gut für ihn ist und was nicht. Außerdem ist er in der Lage, sehr viel mehr aus der Nahrung zu machen, die er bekommt. Du könntest dich jetzt schon wochenlang problemlos nur von Brot und Wasser ernähren und es wird nicht lange dauern, bis du monatelang fasten kannst, ohne wirklich Mangel zu leiden. Es kann sein, dass du es einmal brauchen wirst.
Mit etwas Zauberei bist du dann fähig, jede Art von Gift in der Nahrung zu erkennen, nur durch Geruch oder Geschmack. Wenn dir etwas nicht gefällt, lass es stehen, auch wenn du keinen Grund dafür siehst. Dein Körper weiß schon Bescheid.
Damit kannst du dann auch bei Hof bekannt werden und zu dieser Zeit werde ich dich der Königin und der Stadt vorstellen. Einiges an Zauberei und Selbstbeherrschung brauchst du bis dahin noch, aber du lernst ja sehr schnell und gut.«
Langsam, neben all den anderen Übungen, die ich jetzt jeden Tag absolvierte, hatte Ran auch etwas mehr seiner eigentlichen Kraft eingebracht. Es geschah unmerklich und leise, so dass ich erst gar nichts davon merkte. Aber bald verstand ich, was er damit gemeint hatte, als er sagte, ich müsse erst aufhören, darauf zu drängen. Das schien mir ja das Schwerste zu sein, da ich wirklich darauf brannte, endlich zaubern zu lernen.
Es war nicht schwer, zumindest als ich mit den anderen Übungen immer besser zurecht kam. Ran hatte recht, ich fühlte mich einfach sehr gut, allein die Ruhe und die Kraft, die ich aus Meditation und der ›Folterkammer‹ schöpfte, gaben mir mehr, als ich je zu hoffen gewagt hatte.
So wurde der Wunsch, nun endlich doch das ›Richtige‹ zu lernen, mit der Zeit immer geringer und verschwand bald in dem Gefühl, eigentlich auch so recht zufrieden zu sein, aber gerne noch etwas dazu bekommen zu können.
Im gleichen Maß begann Ran mit der Entwicklung meiner Kraft. »Es ist nichts Übernatürliches am Zaubern, auch wenn das alle anderen Menschen denken. Du lernst nur, Ursache und Wirkung zu sehen und an der richtigen Stelle zu beeinflussen.«
Mit dem Feuer war es noch am einfachsten. Da sich alle Teilchen der Luft ständig und ziemlich heftig bewegen, musste ich diese Bewegung nur auf einen Punkt konzentrieren. So etwas kann auch zufällig geschehen, die Wahrscheinlichkeit ist nur sehr gering. Also half ich nur dem Zufall etwas nach, was lediglich eine geringe telekinetische Kraft voraussetzte. Nach Rans intensivem geistigen und körperlichen Training konnte ich schon kleinere Gegenstände bewegen, einen Becher, Besteck oder sogar eine Tür öffnen und Ran sagte mir, ich würde nie mehr Kraft benötigen. Alles Weitere sei nur eine genaue Kontrolle und der Umgang damit würde die meiste Zeit meiner weiteren Ausbildung beanspruchen.
Also saß ich von da an jeden Tag lange vor einer Kerze und konzentrierte mich auf Feuer.
Natürlich war lange Zeit gar nichts geschehen, weil ich mich darauf beschränkte, die Kerze brennen zu sehen. Erst allmählich begriff ich wirklich, was Ran mit Ursache und Wirkung meinte. Das Ziel ist nie direkt zu erreichen, es gibt immer einen Weg, der scheinbar genau in die andere Richtung weist.
Als ich mich das erste Mal nicht auf die Kerze, sondern die Luft um den Docht konzentriert hatte, spürte ich sofort die Wärme im Raum.
Nicht viel, aber es gab mir Hoffnung.
Und so entfernte ich mich immer weiter von der Kerze, versuchte möglichst nicht an sie zu denken und spürte statt dessen die Bewegung der Luft.
Ich wurde fast ein Teil der vielen Strömungen und Wirbel in dem Raum, ließ mich treiben und tragen und richtete dann, wie zufällig, die Kraft auf die Kerze.
Und es gelang.
Jetzt saß ich hier, die brennende Kerze vor mir und fühlte, dass in diesem Moment ein neuer Abschnitt meines Lebens begonnen hatte. Es gab keinen Weg zurück mehr, von nun an war ich unwiderruflich ein Zauberer.
Auch Ran schien das zu fühlen, sein Benehmen mir gegenüber änderte sich langsam. Hatte er mich bisher doch etwas von oben herab, wenn auch immer äußerst freundlich, behandelt, so wurde ich jetzt mehr und mehr zu einem gleichberechtigten Freund neben ihm.
Der weitere Weg erschien mir nun leicht. In wenigen Tagen war das Anzünden von Kerzen und Fackeln kein Problem mehr und auch anderes, Gedanken lesen und Beeinflussen, Erkennen von Leben in meiner Umgebung und das Sehen in der Dunkelheit lernte ich jetzt in wenigen Wochen.
Ran meinte, ich hätte den Durchbruch geschafft und nun müsste ich nur noch diese Kraft genau einsetzen können, dann wäre ich bereit für meine Aufgabe.
Aber er sagte mir nicht, worin diese Aufgabe bestehen sollte und Rans Gedanken waren nie zu lesen. Wahrscheinlich hätte ich ohnehin nichts mehr ändern können.
Die Königin
Es war soweit.
Ran und ich standen hinter der kleinen Tür, die direkt in den Thronsaal führte. Natürlich war sie auf der anderen Seite nicht zu erkennen, dort schien eine massive Wand zu sein. Der Zauberer betritt doch einen Raum nicht durch eine gewöhnliche Tür.
Ran hatte mir alles genau erklärt, aber ich war trotzdem nervös wie vor einer Prüfung. Vor wenigen Stunden hatte er um eine Unterredung mit der Königin gebeten und sie war ihm sofort gewährt worden.
Es war schon aufgefallen, dass der Zauberer nicht mehr so oft in der Stadt und bei Hof gesehen wurde, Gerüchte über eine große Aufgabe waren entstanden und mehrmals war er bereits direkt gefragt worden. Die Helfer, die mich kannten, blieben stumm, Ran hatte sie gut ausgewählt, aber jetzt war es Zeit, die vielen neugierigen Fragen zu beantworten. So stand es fest. Ich sollte der Königin und dann der ganzen Stadt als der Lehrling und Nachfolger Rans vorgestellt werden, obwohl meine Ausbildung noch lange nicht abgeschlossen war.
»Aber wir müssen jetzt sowieso hinaus«, hatte Ran gesagt.
»Der Sommer ist bald vorbei und du musst noch vieles über Pflanzen und Tiere lernen. Wie willst du je Wetter machen können, wenn du es gerade im Keller zu einem lauen Lüftchen bringst?«
Hinter der Tür hörten wir Stimmen, mehrere kräftige Männerstimmen und eine Frau, die ruhig und sicher sprach. Oft redeten die Männer durcheinander, aber beim ersten Wort von ihr wurden sie stumm.
»Ja«, flüsterte Ran. »Sie ist die Königin. Es wird die kommende Ernte besprochen, aber danach sind wir dran.« Eigentlich hätten wir jederzeit kommen können, der Zauberer brauchte keine Erlaubnis und keine Entschuldigung, aber Ran hatte sich angewöhnt, sein Kommen höflich anzukündigen. Außerdem war die Besprechung der Ernte zu wichtig, um sie grundlos zu unterbrechen und so standen wir hinter der Tür, hörten zu und ich ging immer wieder die Höflichkeitsformen und unseren Auftritt durch. Ich wollte doch gleich einen guten Eindruck machen.
Aber warum musste ich das alles durchführen, Ran hätte das doch viel besser geschafft. Er machte das schon seit Jahren und ich sollte gleich mit einem Auftritt vor der Königin anfangen und. . .
»Man lernt am besten Schwimmen dort, wo das Wasser am tiefsten ist«, hörte ich Rans leise Stimme dicht neben mir. Er las also, wie immer eigentlich, meine Gedanken. Also gut, so schwer würde es hoffentlich nicht sein. In der Hand hielt ich ein kleines Paket. Ich hatte es selbst zusammengestellt, verschiedene Schichten eines brennbaren Pulvers (Schwarzpulver?), Rauch– und Duftkräuter und das alles in dünnes, leichtes Papier eingewickelt, das schnell und ohne Rückstände verbrennen sollte. Ja, unser Auftritt sollte recht wirkungsvoll werden. Nur proben konnten wir es nicht, ich musste mich darauf verlassen, richtig gearbeitet haben.
Ran wartete nicht, bis die Männer den Saal verlassen hatten, sie sollten ebenfalls etwas zu sehen bekommen. Die Besprechung war bald zu Ende, es wurde nur noch über Belanglosigkeiten geredet und mit einem Schlag spürten wir beide die Gedanken der Königin.
›Ran wollte doch noch kommen‹
»Jetzt«, flüsterte Ran, aber das war klar. Eine bessere Gelegenheit würde sich nicht bieten.
Vor mir, direkt neben der Tür, war eine kleine Röhre durch die Steine gemeißelt. Sie führte verborgen bis genau vor die Schwelle und dorthin ließ ich meine kleine Bombe jetzt rutschen.
Sie blieb nirgends hängen und kurz bevor sie ankam und die Leute im Thronsaal sie sehen konnten, konzentrierte ich mich auf das Pulver.
»Feuer«.
Ich spürte die Körner sich bewegen, erwärmen und knistern. Die Hitze schlug von innen heraus und fast gleichzeitig brannte das ganze Paket.
Mit einem Knall explodierte der Inhalt, dichter Rauch stieg in Schwaden vor der Tür auf. Duft nach Tannennadeln und anderen ätherischen Ölen breitete sich aus und uns war klar, dass jeder im Raum jetzt auf diese Stelle starrte.
»Tür auf!«, kommandierte Ran, als ich bereits dabei war, den Riegel zu lösen. Lautlos glitt die Wand zur Seite und einen Moment später standen wir im dichten Rauch.
Lautlos schloss sich die Tür hinter uns und als sich der Nebel um uns langsam verteilte, befand sich dort wieder eine geschlossene, massive Wand aus Stein.
Der Saal war groß, wenn auch nicht besonders prunkvoll. Die Kuppel wurde von steinernen und hölzernen, fein geschnitzten Säulen getragen und an einer Wand entdeckte ich dicke, mit Mustern und Bildern bestickte Wandteppiche. Ran bestätigte mir später, dass dies die Außenmauern seien, die im Winter viel zu kalt würden, um den Raum ohne diese Wandbehänge vernünftig zu beheizen.
In der Mitte des Saales, direkt unter einem der hohen, gebogenen Fenster war eine schwere Tafel aus einem dunklen Holz. Die Stühle darum waren aus dem gleichen Material und ebenfalls sehr groß. Mir hätte eine der Lehnen bis zur Schulter gereicht, doch sahen sie nicht unbequem aus.
Vier oder fünf davon waren besetzt gewesen, jetzt standen die Männer und sahen erstaunt zu uns herüber.
Nur eine Person blieb sitzen.
Die Königin war älter, als ich sie mir vorgestellt hatte, sie musste schon über fünfzig Jahre sein, aber es war immer noch deutlich erkennbar, dass sie früher sehr schön gewesen war.
Sie war schlank und groß und wenn sie jemanden direkt ansah, wie mich jetzt zum ersten Mal in meinem Leben, dann fühlte man sofort ihre Autorität und Stärke. Sie war die Königin und daran gab es keinen Zweifel. Kurz hatte ich Gelegenheit, ihr Gesicht zu betrachten, bevor der Rauch sich völlig verflüchtigte und ich bescheiden und höflich zu Boden blickte.
Es war hart, von dünnen Falten und sogar einer feinen Narbe durchzogen, aber ihre Augen waren groß und weich wie die eines Kindes. Sie hatte schon viel erlebt und gesehen, aber sie war nicht verbittert. Als sie Ran begrüßte, lag in ihrer ruhigen, freundlichen und doch so festen Stimme eine Liebe, die mich überraschte. So begrüßt man seinen besten Freund oder den Vater, und ich fragte mich zum ersten Mal, wie nah sich die beiden standen oder gestanden haben mochten.
Langsam stand sie jetzt ebenfalls auf. Sie schien nicht überrascht zu sein und sah mich nur einmal fragend an, bevor sie sich an Ran wandte.
»Seid mir willkommen, Ran, wir erwarteten Euch bereits.«
Die Männer in ihrer Umgebung hatten sich noch nicht von ihrem Schreck erholt, obwohl sie Ran doch kennen mussten. Sie standen noch immer herum und betrachteten die beiden Gestalten, die mit Feuer und Rauch offensichtlich aus dem Nichts erschienen waren. Ich sah, dass einem doch tatsächlich der Mund offen stand und ehrlich gesagt, ich war stolz darauf. Unser Auftritt, mein Auftritt eigentlich, war ein voller Erfolg geworden.
Die Männer mochten so dreißig bis vierzig Jahre alt gewesen sein. Ihren Gesichtern war die harte Landarbeit anzusehen und sie wirkten ausnahmslos nicht gerade schwächlich. Ich selbst war inzwischen recht kräftig geworden, aber gegen keinen von ihnen hätte ich im Armdrücken auch nur ein paar Augenblicke bestanden. Sie trugen Lederkleidung und grobe Wollumhänge, ähnlich wie die Königin, deren Kleidung sich höchstens durch etwas feinere Verarbeitung von ihren unterschied.
So hatte ich mir eine Königin wirklich nicht vorgestellt. Prunk und Etikette schienen hier völlig unwichtig zu sein, die Königin gehörte offenbar als Gleiche unter Gleichen dazu und alle Macht, die sie besaß, schien ihr nicht verliehen worden zu sein, sondern von ihr selbst auszugehen.
Eigentlich sollte es doch genauso sein, dachte ich, aber all meine Vorstellungen von Glanz und Herrschaft eines Königtums wurden hier so vollständig über den Haufen geworfen, dass ich mich doch etwas unwohl fühlte.
Allerdings sollte ich mich gleich noch um einiges unwohler fühlen.
Als ich so bescheiden auf den Boden blickte, entdeckte ich eine schwarze Stelle direkt vor uns. Ich wurde neugierig und bei näherem Hinsehen erkannte ich ein Stück meines Papiers, das, um uns nicht zu verraten, vollständig hätte verbrennen sollen. Es dachte aber gar nicht daran. Groß und schwarz und unglaublich auffällig lag es da und schien immer deutlicher zu werden. Gleich würde die Königin es sehen, vielleicht freundlich fragen, vielleicht auch nur etwas nachdenken und unsere Zauberei als Trick und Betrug erkennen. Die Tür war dann leicht zu entdecken, Ran verließ sich darauf, dass niemand danach suchte und bald würden auch die anderen Türen gefunden werden.
Ran sah es auch, ich spürte seinen Schreck wie er den meinen. Aber er blieb auch innerlich völlig ruhig, was ich nicht begreifen konnte. Er lächelte sogar angesichts des möglichen Endes seiner Laufbahn als Zauberer.
»Meine Königin, ich bin erfreut, dass Ihr mich empfangt.«
Er verbeugte sich und da er doch nun schon so alt war, hatte er Schwierigkeiten beim Aufrichten. Er trat einen Schritt vor, um das Gleichgewicht zu halten und blieb zufällig genau auf dem glimmenden Stück Papier stehen.
Ein Blick zeigte mir, dass niemand es bemerkt hatte. Alle spürten sie Bewunderung für den Zauberer und etwas Mitleid, weil er langsam in die Jahre kam.
Dann war der Moment vergessen und ich fühlte die Neugierde der Menschen sich wieder auf mich richten.
Ran trat vor und das Papier blieb verschwunden. Nicht einmal etwas Asche fiel von seinem Schuh auf den Boden.
»Ich weiß, dass Eure Geschäfte wichtig sind und so werden wir nicht lange stören.«
»Wir waren mit der Besprechung soeben am Ende, Ran. Ihr seid wie immer zu der günstigsten Zeit erschienen.«
Ran verbeugte sich wieder leicht als Zeichen der Dankbarkeit. Natürlich waren wir günstig erschienen, immerhin hatten wir auch lange genug in der Dunkelheit hinter der Tür gewartet.
Sie weiß das auch genau.
In dem Moment, als ich wieder ihr Gesicht sah und das feine Lächeln um ihren Mund, wurde mir das klar. Sie wusste, dass Ran seine Auftritte genau plante und da Ran, wenn auch verborgen durch seine Verbeugung, genauso grinste, wusste er ebensogut, dass sie es wusste.
Aber die Höflichkeit bestimmte es eben, sich dafür zu bedanken, als sei alles ein glücklicher Zufall.
»Nun Ran«, Sie sah mich wieder voll an und wieder konnte ich ihren Blick nicht lange erwidern.
»Willst du uns nicht deinen jungen Begleiter vorstellen?« »Deswegen bin ich hier, meine Königin.« Er richtete sich wieder auf und stützte sich leicht auf seinen Stock. Wie damals, als ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte, strahlte er eine Würde und Sicherheit aus, der sich niemand im Saal entziehen konnte. Die meisten Männer neigten den Kopf und auch die Königin schien wie ein Kind auf seine Worte zu lauschen.
»Ihr alle wisst, dass ich nicht ewig der Zauberer dieses Hofes sein werde.
Meine Macht mag groß sein, unerschöpflich ist sie nicht. Und so beschloss ich, mich nach einem Nachfolger umzusehen, der mir in meinem letzten Jahr. . . en beisteht und einst, wenn es an der Zeit ist, mein Werk fortführt.«
Wer außer mir hatte noch Rans kurzes Zögern bemerkt?
Ich blickte mich um, aber ich spürte nichts außer Bewunderung und dem Versuch, Rans Worte zu verstehen. Er hatte ›in meinem letzten Jahr‹ gesagt, sich dann aber schnell verbessert. Was bedeutete das? Wusste Ran über seinen Tod Bescheid?
Mir kamen andere Andeutungen in den Sinn, vieles, über das ich mit Ran nie hatte sprechen können und einen Moment legte sich eine dunkle Decke der Vorahnung über mein Denken und Fühlen.
Ich hörte die Worte neben mir nicht mehr, ich hatte Angst.
Aber dieses Gefühl ging genauso schnell vorbei, wie es gekommen war.
Obwohl Ran weiter mit der Königin sprach, hatte ich das Gefühl, er würde mich scharf ansehen und ich glaube immer noch, dass er mich damals beeinflusste, damit ich nicht weiter an diese düstere Vorahnung dachte. Jedenfalls tat ich das dann nicht mehr und erinnerte mich erst viel später (neben seiner Leiche fast ein Jahr danach) an diese Worte.
». . . danke ich Euch, meine Freunde. Ich glaube auch, dass dieses Jahr eine gute Ernte bringt und bin froh über Eure Hilfe.«
Was hatte Ran gesagt? Irgend etwas über das Wetter und das Getreide auf den Feldern. Einer der Männer hatte geantwortet und die Königin erinnerte sich wohl daran, dass sie diese langsam entlassen könnte.
Als ich wieder zuhören konnte, verbeugten sie sich gerade ehrfürchtig vor der Königin, dann vor Ran und sogar vor mir. Das allerdings nicht ganz so ehrfürchtig, sie wussten noch nicht, was sie von mir halten sollten.
Nach einigen freundlichen Höflichkeitsfloskeln gingen sie und wir drei blieben in dem Saal zurück. Die Königin kam auf mich zu und obwohl ich nicht gerade klein bin, musste ich zu ihr aufblicken.
»Etwas blass sieht er ja noch aus, Ran, aber das wird sich wohl bald geben.«
Und, zu mir gewandt: »Wie ist dein Name, junger Mann?« Ich fand tatsächlich den Mut zu antworten.
»Ran nannte mich Ranji, seit ich hier bin und ich glaube, so soll ich auch weiter genannt werden.«
War das höflich genug? Meine Fähigkeit, Gedanken zu lesen, Rans ganze Ausbildung war wie weggeblasen, ich stand nervös vor der Königin und bemühte mich, diese Nervosität nicht zu zeigen. Sie lachte und ihr Gesicht verlor jeden harten Zug. Sie sah so jung und freundlich aus, dass meine Angst fast sofort verging. So, wie jetzt sah sie nicht viel älter aus als ich, wie ein Mädchen, das man in eine Disco oder ins Kino einladen konnte.
Ran stand hinter ihr und schmunzelte ebenfalls etwas. Ihr Lachen hatte mit ihm zu tun, nicht mit mir, aber warum, war für mich nicht zu erkennen.
»Wenn Ran dich so genannt und du nichts dagegen hast, dann soll dies dein Name sein«, meinte sie jetzt und führte mich zu dem großen Tisch. Höflich wartete ich, bis sie sich gesetzt hatte, ›Richtig, Ranji‹dachte Ran und nahm dann selbst Platz. Das Lachen hatte einiges gelöst und ich fühlte mich jetzt viel besser in der Lage, ein Kennenlerngespräch auf höchster Ebene zu führen.
Aber die Schwierigkeiten für mich sollten noch nicht zu Ende sein.
»Meine Königin, ich danke Euch für Eure Zeit«, meinte Ran und ging. Es sah phantastisch aus, wie er würdevoll und schnell auf eine Wand zuging, wie zufällig seinen Stock hob und sich noch einmal umdrehte. Er verbeugte sich höflich und war verschwunden.
Ich kannte diese Tür, ich selbst hatte den Mechanismus repariert und geölt und die schwarze Samtdecke, die herabfiel und die Person in der Tür augenblicklich verdeckte, genau auf Risse und verräterische Stellen untersucht. Aber zu sehen, wie es gelang, in der dunklen Nische einfach unsichtbar zu werden, war noch etwas anderes.
Weniger phantastisch war, dass ich mich auf Ran verlassen hatte. Er konnte mich doch nicht einfach mit der Herrscherin der Stadt alleine lassen und denken, dass ich schon alles richtig machen würde. Tat er aber.
»Er ist schon ein großer Zauberer, nicht wahr, Ranji?«
Ich sah ihr Lächeln und spürte, dass sie viel von der Wahrheit über den ganzen Hokuspokus wusste.
»Dort ging er schon lange nicht mehr hinaus, Ranji. Es schien ihm auch immer schwerer zu fallen, hierher zu kommen und zu gehen. Hast du ihm jetzt dabei geholfen?«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Sie schien so genau Bescheid zu wissen, auch wenn sie keine Ahnung von der Mechanik der Türen haben konnte.
Natürlich hatte ich Ran geholfen, er selbst war einfach körperlich nicht mehr in der Lage, die schweren Kurbeln und Hebel zu bedienen.
Aber das konnte ich schlecht der Königin sagen. Bei einem solchen Erscheinen und Verschwinden musste Zauberei dabei sein und da hatte ich als Lehrling zur Zeit wohl wenig Möglichkeiten, dem mächtigen Ran zu helfen.