Räuber und Räuberbanden im deutschsprachigen Raum - Horst-Dieter Radke - E-Book

Räuber und Räuberbanden im deutschsprachigen Raum E-Book

Horst-Dieter Radke

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Vom Schinderhannes, dem Räuber Heigl und dem Schwarzen Veri Vor allem in der Zeit vom Spätmittelalter bis zum 19. Jahrhundert waren sie unterwegs, Räuber und Räuberbanden, deren Namen und Taten heutzutage in manchen Regionen fast hochgeachtet und in Museen, Spielen und Literatur in Erinnerung gehalten werden. Tatsächlich gab es einige Räuberbanden à la Robin Hood, deren Ehre es gebot, nur »die Reichen, Pfaffen und Fürsten« zu bestehlen und nicht den Armen noch ihren kläglichen Rest zu nehmen. Doch dies waren Ausnahmen. Dieses neue Werk entmystifiziert viele Räuber und Räuberbanden, die in Wahrheit rücksichtslos und brutal dem »gemeinen Volk« auf den Straßen auflauerten. Lernen Sie Räuber in allen Regionen Deutschlands kennen, zum Beispiel »Schinderhannes« Johannes Bückler, Michael Heigl (»Räuber Heigl«), Johann Baptist Herrenberger (»Konstanzer Hans«), Matthias Klostermayr (»Bayerische Hiesel«), Franz Xaver Hohenleiter (»Der Schwarze Veri«), die Straßenräuber der »Großen Siechenbande«, Franz Troglauer und seine »Große Fränkische Diebes- und Räuberbande« und viele andere.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 294

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Räuber und Räuberbanden im deutschsprachigen Raum

Horst-Dieter Radke

Inhalt

Vorwort

I. Räuber und Banden im Laufe der Zeit

II. Raub und Mord im Mittelalter und der beginnenden Neuzeit

1. Räuber, Vaganten, Wegelagerer und Bettler

2. Raubritter

III. Die Situation im 17. Jahrhundert

1. Nicol List – der Mann, der durch Türen ging

2. Lips Tullian und seine schwarze Garde

3. Die alte Liesel

4. Die große Siechenbande

IV. Die große Zeit der Räuber und Banden im 18. und 19. Jahrhundert

1. Räuber und Räuberbanden in Norddeutschland

1.1 Die große Niederländische Räuberbande

1.2 Mathias Weber – der Fetzer

1.3 Christian Andreas Käsebier

1.4 Dolf Mohr

2. Räuber und Räuberbanden im Rheinland

2.1 Die Moselbande

2.2 Schinderhannes

2.3 Der alte Schwarzpeter (Johann Peter Petri)

2.4 Damian Hessel und Franz Josef Streitmatter

3. Räuber und Räuberbanden zwischen Rhein und Elbe

3.1 Wetterauer und Vogelsberger Bande

3.2 Die Hölzerlips-Bande

3.3 Karl Stülpner, der sächsische Robin Hood

3.4 Noch ein Räuber aus dem Erzgebirge: Karl May

4. Räuber und Räuberbanden beiderseits des Mains

4.1 Mannefriedrich (Philipp Friedrich Schütz)

4.2 Johann Adam Hasenstab, der Robin Hood des Spessart

4.3 Johann Adam Heusner

4.4 Die große Fränkische Diebes- und Räuberbande

5. Räuber und Räuberbanden in Süddeutschland

5.1 Das Sonnenwirtle aus Eberbach

5.2 Der Konstanzer Hans (Johann Baptist Herrenberger)

5.3 Der schlimme Hannikel und seine Bande (Jakob Reinhard)

5.4 Der Schwarze Veri

5.5 Elisabetha Gaßner, die Schwarze Lies

5.6 Der Malefizschenk

5.7 Die Schwarze Lies und der Malefizschenk

5.8 Franz Paul Seidel und seine Räubereyen

5.9 Franz Troglauer

5.10 Der bayerische Hiasel (Matthias Klostermayr)

5.11 Der Robin Hood des Bayerischen Waldes: Michael Heigl

5.12 Mathias Kneißl

6. Räuber und Räuberbanden in Österreich und der Schweiz

6.1 Räuber Grasel

6.2 Der Krapfenbäck Simerle (Simon Kramer)

6.3 Holzknechtseppl und die Stradafüßlerbande

6.4 Klara Wendel und der Gauner- und Kellerhandel (Schweiz)

V. Banditen des 20. Jahrhunderts

1. Karre Franz, der letzte Wilderer des Spessart

2. Auf Befehl des Führers erschossen: Die Brüder Sass

3. Der Al Capone von der Pfalz

VI. Über die Gaunersprache

VII. Räuber in Kunst und Literatur

VIII. Texte

1. Raubritter Caspar Gans von Putlitz

2. Götz von Berlichingen

3. Lips Tullians Ende

4. Käsebier und die Bauern

5. Carl Stülpner wird Wildschütz

6. Über das Ende des Räuberhauptmanns Holzknechtseppl

7. Gedichte des Mannefriedrich

8. Was mir die alte »Gehannese Bas« vom Schinderhannes erzählte

9. Der Konstanzer Hans

10. Des schwarzen Veris Tod

11. Elisabeth Gassner und Graf Schenk von Castell

12. Hinrichtung des Matthias Klostermayr, der Baierische Hiesel

13. Klara Wendel, oder der Schultheiß Keller’sche Mord in Luzern (1816–1826)

14. Räubermärchen und -sagen

14.1 Der Name Gans von Putlitz

14.2 Nickel List in der Lüneburger Heide

14.3 Die Räuber in der Klause des Eremiten

14.4 Der Räuberbräutigam

14.5 Das Mädchen von Schwarza

14.6 Der Schinderhannes

Bildtafeln

Anhang

1. Verwendete Literatur

2. Räuberorte (Museen u. a.)

Bildnachweis

Vorwort

Wer hat als Kind nicht Räuber und Gendarm gespielt? Nun gut, manchmal hieß es einfach nur »Verstecken«. Wie viel Wahrheit in Bezug auf Räuber aber schon in diesem so einfachen Begriff liegt, zeigt sich, wenn man sich näher mit dem Räuber(un)wesen in den deutschen Landen seit dem Mittelalter beschäftigt.

Gerne wird der Räuber romantisch stilisiert und zum Wohltäter der Besitzlosen ernannt. Wenngleich in nicht wenigen Fällen die Verhältnisse Ausgangspunkt und Ursache für Raub, Diebstahl und Wildererei waren, so ist doch in den wenigsten Fällen von Wohltaten auszugehen. Das Räuberleben selbst war in der Regel alles andere als romantisch. Man war auf der Flucht, musste sich verbergen und konnte selten für längere Zeit am selben Ort verweilen.

Bücher über Räuber und Räuberbanden gibt es viele, insbesondere für die Zeit des 18. und 19. Jahrhunderts. Bei der Anfertigung dieser Arbeit wurden einige davon zu Hilfe genommen (siehe Quellenverzeichnis am Ende des Buches). Was aber bislang fehlt, ist eine Darstellung des Räuberlebens vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Dieses Buch ist ein Versuch, solch eine Übersicht zu geben, zumindest in groben Zügen, denn eine vollständige Beschreibung konnte bei dem vorgegebenen Umfang keineswegs auch nur angestrebt werden.

Teil I

Räuber und Banden im Laufe der Zeit

Kaum vergeht ein Tag, an dem in der Zeitung keine Notiz über Diebstahl oder Raub zu finden ist. Gelingt der Diebstahl auf spektakuläre Weise, berichten darüber auch die Medien, wie etwa über den Raub der 100 Kilogramm schweren Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum im Jahr 2017. Räuber, und Zusammenschlüsse mehrerer Räuber als Banden, sind jedoch kein Phänomen der heutigen Zeit. Es gab sie schon immer. Sie sind in der Antike dokumentiert und in Sagen und der Literatur verarbeitet, finden sich in der Bibel (an Stelle von Jesus wurde ein Räuber, Barrabas, zum Pessachfest freigelassen) und bilden sich indirekt in Gesetzen und Gerichtsordnungen ab. Es gab sie zu See und zu Lande. Seeräuberei und Piraterie werden in diesem Buch aber ausgeklammert. Es ist ein eigenes Thema, das den Rahmen sprengen und ein eigenes Buch erfordern würde. So ist es auch dem beschränkten Umfang geschuldet, dass ausschließlich die Räuber im deutschsprachigen Raum behandelt werden. Zu den Räubern gerechnet werden jedoch die Wilderer, zumal manche sich nicht nicht nur auf die Wilderei beschränkten und mancher sogar bis heute mit einer positiven Deutung belegt wird.

Während Räuber von der Justiz immer als etwas Auszusonderndes angesehen werden, betrachten Literaten und Wissenschaftler diese auch aus anderen Perspektiven. Walter Benjamin (1892–1940) sieht in der Geschichte der Räuberbanden einen Teil der Kulturgeschichte Deutschlands und Europas. »Wenn die Räuber nichts anderes vor den übrigen Verbrechern voraus hätten, so blieben sie immer noch die Vornehmsten unter allen, weil sie als einzige eine Geschichte haben.«1 Damit bezieht sich Benjamin auf die Räuberfamilien, die teilweise über mehrere Geschlechter gingen, die eigene Sitten und Gebräuche und sogar eine eigene Sprache – das Rotwelsch – hatten. Ob dies allein ausreicht, um die Räuberbanden von anderen »Verbrechern« abzugrenzen, lässt sich diskutieren, zumal die Grenzen nicht scharf waren. Mancher Räuber wurde auch zum Mörder.

Für das Entstehen der Räuberbanden zu gewissen Zeiten gab es gesellschaftliche Gründe – genau wie auch dafür, dass sie wieder verschwanden. Diesen Entwicklungen soll in diesem Buch nachgespürt werden. Dazu werden biografische Artikel einzelner Räuber und berühmter Banden vorgestellt. In einem gesonderten Kapitel wird den Spuren nachgegangen, die die Räuber in der Literatur hinterlassen haben.

1W. Benjamin (siehe Literaturverzeichnis im Anhang)

Teil II

Raub und Mord im Mittelalter und der beginnenden Neuzeit

Die Wege waren unsicher im frühen Mittelalter. Straßenraub durch einzelne Räuber, weniger durch Räuberbanden, war an der Tagesordnung. Feste Banden gab es ohnehin selten, meist war es der lose Zusammenschluss verschiedener Akteure. Man war gut »vernetzt«, würde man heute sagen. Die Rechtsprechung war darauf vorbereitet, nicht jedoch die Strafverfolgung. Räuber waren schwer zu fassen. Oft wurden sie in den Städten aufgegriffen, wo sie das Diebesgut veräußern wollten. Besser war es, sie auf frischer Tat zu erwischen. Das war allerdings nicht einfach.

Eine besondere Ausprägung waren die sogenannten Raubritter, die einerseits durch Schutzzahlungen Kaufleuten freien Durchzug durch ihre Gebiete gewährten und andererseits tatsächlich Überfälle tätigten und Raub vornahmen. Schutzgelderpressung hat also eine lange Tradition. Berühmtester Fall ist Richard Löwenherz, der im Dezember 1192 in Wien von Leopold V. gefangen genommen wurde, im März 1193 an den Kaiser Heinrich VI. übergeben und auf der Burg Trifels gefangen gehalten wurde. Gegen eine Lösegeldzahlung von 100.000 Mark in Silber wurde der englische König im Februar 1194 freigelassen.

1

Räuber, Vaganten, Wegelagerer und Bettler

Wer nun ein Räuber war und wer nicht, das ließ sich nicht immer eindeutig auseinanderhalten. So schrieb etwa Martin Luther (1483–1546) in einem Vorwort zum »Liber vagatorum«, dass zwischen den wandernden Bettlern (Vaganten) und Räubern der Unterschied so schwer zu finden sei wie zwischen vielen Handelsleuten und Räubern.

Das Liber vagatorum, auch Buch der Vaganten oder Buch über den Bettlerorden, war ein Bestseller der frühen Neuzeit. Es berichtete in drei Teilen über die unterschiedlichen Bettlertypen und führt eine Vokabelliste des Rotwelschen, der Gauner- und Vagabundensprache, auf. Erstmals erschien das Liber vagatorum um 1510, der Teil über das Rotwelsch der Gauner wurde aber aus dem bereits 1450 erschienenen »Basler Rathsmandat wider die Gilen und Lamen« übernommen. Martin Luther gab es im Jahr 1528 unter dem Titel »Von der falschen Bettler und Büberei« heraus und schrieb ein Vorwort dazu. Über die Autorschaft gibt es verschiedene Zuschreibungen und Vermutungen. Wer das Buch letztendlich geschrieben hat, kann mit Sicherheit nicht mehr bestimmt werden. Die Einleitung lautet: »Hienach volgt ein hübsches Büchlein genat Lieber vagatori dictiert von eim hochwirdigen maister nomine expertus in trusis dem Adone zu lob und ere-sibi in refrigeriu et solaciu / allen menschen zu einer vnderweisung vnd lere / vnnd denen die diße stück brauchen zu einer besserung vnd bekerung.«

Die Titelseite des Liber vagatorum.

Dr. Albert Depiny1 berichtet in seinem Oberösterreichischen Sagenbuch von einer Räuberbande, die im 14. und 15. Jahrhundert in der Gegend von Linz viel Unheil anrichtete. Einen der Räuber fing man und hängte ihn. Die Bande rächte sich, entführte die Tochter eines Ratsmitgliedes und mauerte sie in einer Höhle an der Steilwand des Freinberges an der Donau ein. Ein weiterer Räuber, den man fing, verriet das Versteck des Mädchens und man fand es noch lebend an. Eine Quelle in der Höhle hatte es am Leben gehalten. Man fasste die Quelle ein und leitete sie in eine neu errichtete Kapelle, die im 17. Jahrhundert erneuert wurde.

Eine andere Sage in der Sammlung von Depiny berichtet, dass sich um 1560 unter der Anführung des Lambacher Wirtes Höritzer viele Männer und Frauen aus der Gegend in der Eismannstaferne – die später ein Bauernhaus in der Gemeinde Neukirchen bei Lambach wurde – zusammenrotteten, das Land verheerten und viel Mutwillen trieben. Auch Welser Bürger sollen darunter gewesen sein. Während eines Gelages wurden sie jedoch überfallen und getötet. Drei Steinsäulen wurden errichtet, bei denen jeweils 500 Menschen begraben liegen sollen. 1777 haben die Säulen noch gestanden.

In der linksrheinischen Umgebung von Köln, insbesondere an der Straße nach Aachen, trieben Ludwig von Tetz und seine Räuberbande im frühen 16. Jahrhundert ihr Unwesen. Sie überfielen Bauern auf dem Feld, Kaufleute auf der Straße, vergewaltigten junge Mädchen, raubten Häuser aus und brachen auch in Kirchen ein. Tetz führte manche seiner Räubereien alleine aus, meist jedoch zu zweit oder zu dritt oder mit einer ganzen Bande, die sich je nach Umstand zusammenfand. Friedrich Boefeler, Johann Kaufmann und Johann Heckenlieger gehörten zu seinem engsten Kreis. Als einzige Frau ist Ludwigs Konkubine Anna von Gelsdorf als Täterin in den Verhörprotokollen genannt. Als man ihn 1527 endlich fasste, unterzog man ihn und einige seiner Gesellen einem Verhör, zu dem vermutlich auch die Folter gehörte. 17 Morde und manche andere Straftat gestand er. Nicht nur aus eigenem Antrieb hatte er gehandelt, sondern auch im Auftrag anderer. Am 9. Oktober des gleichen Jahres wurde er an der Hinrichtungsstätte Rabenstein bei Melaten vor den Toren Kölns gerichtet. Ihm wurden zunächst die Glieder mit einem eisenbeschlagenen Rad zerstoßen. Anschließend band man ihn an das aufgestellte Rad, an dem er hängen blieb, bis er nach einem halben Tag starb.

Der Rabenstein war eine Hinrichtungsstätte westlich von Köln, nahe dem »hoff to Malaten«, wo vom Ende des 13. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts öffentliche Exekutionen von Straftätern und Schwerverbrechern stattfanden. Heute ist sie im Stadtteil Lindenthal zu verorten. Vom Gefängnis am Kölner Dom wurden die Verurteilten in einem Armesünderkarren zum Rabenstein gebracht. Ein gemauertes Rondell diente der ehrenhaften Hinrichtung durch das Schwert. Unehrenhafte Exekutionen fanden am Galgen oder mit dem Rad statt. In einer Bodensenke – der sogenannten Kesselkuhle – wurden zum Feuertod Verurteilte verbrannt. Dies Urteil traf vor allem Ketzer, zu denen im 16. und 17. Jahrhundert auch Protestanten zählten.

Die Art und Weise der Hinrichtung des Ludwig von Tetz erweckt den Eindruck, dass Räuber im Mittelalter grundsätzlich nichts anderes zu erwarten hatten als den Tod. Das ist allerdings nicht so. Die Hinrichtung war im Grunde nur das letzte aller Mittel. In der Regel wurden zunächst andere Strafen verhängt: Kerker, für Totschlag Geldzahlungen und Bußwallfahrten, Stadt und Landverweis. Erst wenn jemand wiederholt straffällig geworden war oder ihm gleich eine ganze Reihe von Straftaten nachgewiesen werden konnten, musste er mit einer Hinrichtung rechnen. Der Nürnberger Scharfrichter Meister Franz bilanzierte für seine Tätigkeit 361 Hinrichtungen und 345 Delinquenten, die am Leib gestraft wurden; durch Rutenschläge oder das Abschneiden von Ohren und Fingern.

Hinrichtung auf dem Rondell von Rabenstein.

Geht man in Nürnberg vom Unschlittplatz aus über den hölzernen Henkersteg hinüber zur Pegnitzinsel, so gelangt man am Ende zum Henkerhaus. Ein Besuch lohnt sich allemal, denn man erfährt nicht nur viel über den Scharfrichter Franz Schmidt (um 1555–1634), sondern auch über sein Handwerk.

Geboren wurde Franz Schmidt in Hof als Sohn eines Scharfrichters. Er übernahm den Beruf seines Vaters und übte ihn zunächst im Bamberger Raum aus. Von Mai 1578 bis Ende 1617 war er in Nürnberg als Scharfrichter tätig. Schmidt nahm sein Handwerk ernst und bemühte sich, die mit seinem Beruf zusammenhängende gesellschaftliche Ächtung loszuwerden. Er heiratete 1579, erwarb 1593 das Bürgerrecht und betätigte sich, wie viele seiner Berufskollegen, auch auf medizinischem Gebiet. Er führte ein Tagebuch über die von ihm vollzogenen Strafen und bemühte sich, diese so zu vollstrecken, dass dem Delinquenten möglichst wenig Leid geschah. Auf seine Interventionen hin wurden die Strafen des Ertränkens für Kindesmord gnadenhalber in die Schwertstrafe verwandelt. 1617 gab er seinen Dienst als Scharfrichter auf. 1624 wurde er von Kaiser Ferdinand II. für »ehrlich« erklärt. Sein Grab ist auf dem Nürnberger Rochus-Friedhof zu finden.

Oftmals rekrutierten sich die Wegelagerer, Räuber und Banden aus Söldnern und ehemaligen Soldaten. Wurden ihre Dienste nicht mehr benötigt, da der Krieg vorbei war oder – was nicht selten vorkam –, sie nicht mehr von ihren Herren bezahlt werden konnten, zogen sie mittellos durch das Land und bedienten sich dort, wo sie etwas fanden. Zuerst traf es oftmals den nächstbesten Wanderer oder herumziehende Händler. Im weiteren Verlauf kam es dann gezielt zu Einbrüchen und Überfällen.

1Depiny, S. 218

Teil III

Die Situation im 17. Jahrhundert

Als 1648 in Münster und Osnabrück der Westfälische Friede geschlossen wurde, beendete dies die seit drei Jahrzehnten andauernden Kriegshandlungen zwischen den verschiedenen Mächten in Europa, die überwiegend im Gebiet des Heiligen Römischen Reiches ausgefochten wurden. Ganze Landstriche waren verwüstet und entvölkert, wirtschaftlich und sozial war das Land verheert, die noch lebende Bevölkerung schwer traumatisiert. Keineswegs war nun wieder Ordnung im Land und Sicherheit für die Bürger gegeben. Wer vorher Soldat war, konnte keinesfalls mit einer guten Pension oder Abfindung zurück ins Privatleben gehen. Meist wurden die Soldaten einfach sich selbst überlassen. So schlossen sich ehemalige Söldner zu Banden zusammen und zogen – wie vorher auch – raubend und marodierend durch die Lande. Dass man sich nicht aller Soldaten auf diese Weise entledigte, lag daran, dass an anderen Stellen in Europa noch Kriege geführt wurden, für die Soldaten benötigt wurden.

Noch 1883 konnte man in einer Sammlung von Biografien lesen: »Zwar lag damals das Ende des 30jährigen Krieges fast 50 Jahre hinter dem lebenden Geschlechte, aber es lasteten auf letzterem die unseligen Folgen noch lange Zeit und es vergingen noch viele Jahre, ehe eine allgemeinere Gesittung jene Verwilderung der Sitten allmählich verdrängte, welche die entlassenen Soldaten und zum Theil die von Haus und Hof getriebenen Bauern, jedem friedlichen Berufe entfremdet, auch dem kommenden Geschlechte noch einzuimpfen bemüht waren. Darum waren gegen das Ende des 17. Jahrhunderts noch Raub, Mord, Brand und Diebstahl in Deutschland an der Tagesordnung und Freund Hämmerling war aller Orten ein vielbeschäftigter Mann, der die lustigen Dreifüße auf den Höhen und die Räder und Pfähle an den Heerstraßen gar anmuthig mit baumelnden Leichen und aufgenagelten grinsenden Köpfen zu schmücken verstand.«1

Problematisch war vor allem die Eindämmung der Kriminalität. Das deutsche Reichsgebiet bestand aus rund dreihundert Kleinst- und Kleinstaaten – Fürstentümer, die selten genug zusammenarbeiteten. Jeder Fürst war nur auf den eigenen Erhalt bedacht. Räuber und andere Kriminelle bedrohten zwar die Existenz des Fürstenhauses, indem sie die Einnahmequellen schädigten, doch grenzübergreifende Zusammenarbeit kam nur selten zustande. In einem Fall funktionierte es gegen Ende des Jahrhunderts aber doch. War es im Mittelalter noch üblich, an Leib und Leben zu strafen – durch öffentliche Züchtigung, den Verlust von Körperteilen oder durch den Tod –, so wandelte sich das in der frühen Neuzeit und danach zuerst langsam, später schneller zu Haft- und Arbeitsstrafen.

Namen von Räubern und Räuberbanden aus dieser Zeit sind kaum bekannt. Einer, der es zu zweifelhaftem Ruhm gebracht hat, war Nicol List.

1Allgemeine deutsche Biographie, S. 774

1

Nicol List – der Mann, der durch Türen ging

Nicol List nach einem alten Kupferstich.

Nicol List wurde als Sohn des Tagelöhners Hans List im sächsischen Waldenburg geboren. Wikipedia nennt das Taufdatum: 4. Dezember 1654. Ältere Quellen beziffern seine Geburt »ums Jahr 1656«. In einem biografischen Lexikon aus dem 19. Jahrhundert wiederum ist als Geburtsjahr 1650 angegeben. Da aber selbst die älteren Quellen auf das Jahr 1656 verweisen, dürfte eine Geburt vor 1654 eher unwahrscheinlich sein. Die Verhältnisse eines Tagelöhners waren zu der damaligen Zeit sicherlich nicht die besten. Trotzdem konnte Nicol List die Schule besuchen, »darin er wegen seines fähigen und scharffen Ingenii was hätte fortbringen können, wann ihn nicht seiner Eltern Armuth den von Gott verliehenen natürlichen Verstand auszuüben gehemmt hätte. Musste derohalben die Studia quitiren, und sich bey vornehmen Leuten in Dienst begeben«.1 Später kam er an einen gräflichen Hof und konnte sich zum Reitknecht ausbilden. 1679 heiratete er ein erstes Mal. Seine Braut war die aus Thierfeld stammende Maria Scherf, die bei der Geburt einer Tochter jedoch bereits im Jahr 1683 starb. Nicol List ließ sich von den Chur-Brandenburgischen Truppen anwerben, nahm an verschiedenen Schlachten teil – unter anderem bei Fehrbellin in der Ostprignitz unter dem Prinzen von Homburg, im Elsaß gegen die Franzosen und gegen die Türken in Ungarn. Er soll es bis zum Kürassier, also einem mit Brustpanzer ausgestattetem Soldaten der schweren Kavallerie, gebracht haben.

Schließlich gab er das Kriegshandwerk im Jahr 1687 auf, heiratete erneut und ließ sich als Gastwirt in Ramsdorf bei Borna in Sachsen nieder. Der noch nicht dreißigjährige Gastwirt beschäftigte sich mit den Schriften des Theophrastus von Hohenheim, genannt Paracelsus, und begann auch als Arzt zu praktizieren, angeblich mit Erfolg, weshalb er in der Bevölkerung »Doctor« genannt wurde.2

Die Schankwirtschaft jedoch war sein Verhängnis. »Es war aber sein Unglück, daß er Wirthschafft trieb, massen er durch solche Gelegenheit zu böser Gesellschaft, und mit verschiedenen Gaudieben in Kundschaft kam, und dadurch den Ursprung zu seinem Verderben legte.« Als er in Geldnot war, überredeten ihn einige seiner zwielichtigen Gäste zur Teilnahme an einem Raubzug. Der Gewinn machte ihm nicht lange Freude, denn nun quartierte sich das Raubgesindel bei ihm ein, lebte auf seine Kosten, vergriff sich an seiner Frau und erpresste ihn mit dem Wissen dessen, was er getan hatte. Noch einmal versuchte er in Beutha, im sächsischen Erzgebirge, ein Wirtshaus zu führen. Doch er blieb glücklos. »Er führete aber nebst seinen anderen Unglücken eine ungerathene Ehe, und kam durch seiner Frauen Verthulichkeit und verdächtigen Umgang mit den Spitzbuben ferner gutentheils um das Seine.«3 Einer dieser Spitzbuben hieß Christian Müller und er wurde ihn zeitlebens nicht mehr los.

Nicol List als Freiherr von der Mosel.

List nahm nun immer öfter an Raubzügen teil, erwarb außerdem Fertigkeiten im Öffnen von Schlössern, so dass er bald überregional dafür bekannt war, jedes noch so komplizierte Schloss ohne Anwendung von Gewalt öffnen zu können. Das passende Werkzeug hatte er immer bei sich. »Daher dieselbigen, wenn es hauptsächlich auf Bereitung der Schlüssel ankam, sich seiner Hülfe gern gebrauchte, und ohne ihm nicht leicht in solchen Fällen was wichtiges vornahm. Hierzu war das Löthen nöthig, weil man nicht überall einem Schmiede das Werck vertrauen durfte. List ersann auch dazu seinen Handgriff, und hatte seine eigene kleine Maschine und Blasebalg bey sich, so er in den Wirthshäuern auf seiner Stuben gebrauchen konnte«.4

Im November 1694 war er an dem Einbruch in Schloss Braunsdorf im Fürstentum Sachsen-Zeitz beteiligt. Während seine Kumpanen größenteils gefasst wurden, blieb er zunächst noch unbehelligt. Ein Teil der Bande war inzwischen auch namentlich bekannt: »Artzhäusel war der Angeber davon der von einem Büttel Bey Mosebach die Kunde gekriegt. Ein gewisser Cammerdiener war auch mit interessiert. Schilling führte sie hin; der Fourier Christian Bremer blieb bey den Pferden, Hanß Mey, der lange Henning und noch ein Baur, Hans genandt, bewachten den Hoff, List aber und Schilling krochen zum Fenster hinein, traten in die offen gefundene Kammer, und raubten aus derselben nebst einer güldenen Uhr, deren oberster Deckel mit Diamanten und Smaragden versetzt gewesen, sehr viel Silber-Geschirr an Kannen, Schwengkesseln, Gußbecken, Leuchtern, Tellern, Löffeln etc. so man insgesamt an die 4000. Thl. aestimiret. Wovon List zu seinem Theil 8. Pfund Silber bekommen, welcher er das Pfund vor 15.Thl. wieder losgeschlagen, und also insgesamt 104. Thal. empfangen.«5

Der Taler, auch Thaler, war eine Silbermünze, die erstmals 1486 in Hall in Tirol geprägt wurde und bis 1901 gültig blieb. Diese Münze breitete sich über ganz Europa aus und war eine Art internationale Währungseinheit, so wie heute der Dollar. Vom Wert her entsprach sie einem Gulden, also einer goldenen Münze. In Sachsen war der Thaler ab etwa 1500 im Gebrauch (»Groschen so einen Gulden tut«). Auf dem Reichstag in Augsburg im Jahr 1566 erhob man den Taler zur Reichsmünze. Diese setzte sich schnell im ganzen Reich durch.

Die Aktivitäten Nicol Lists blieben nicht unbemerkt und so versuchte man, ihn in der Johannisnacht im Jahr 1696 zu verhaften. Bei dem Gerangel in seinem Haus erschoss List zwei beteiligte Landschöffen, konnte aber entkommen. Wegen zweifachen Mordes wurde er im folgenden Jahr in Abwesenheit verurteilt. Die Einwohner von Beutha hatten da bereits sein Haus zerstört. An der Stelle, an der es gestanden hatte, errichtete man eine Schandsäule. Für die beiden ermordeten Bürger wurden Gedenksteine angefertigt, die man heute noch an der Friedhofsmauer in Beutha sehen kann.

Von nun an war Nicol List auf der Flucht. Mit seiner Bande machte er nicht nur Sachsen, sondern auch andere Gebiete in Norddeutschland unsicher. Dabei trat er unter dem Namen Freiherr Johann Rudolph von der Mosel auf und stattete seine Räuberbande als seinen Hofstaat aus. Er trug eine langlockige Allongeperücke, die zu dieser Zeit in Mode war. Die Truppe benahm sich jedoch nicht so, wie man es von Adeligen erwartete und erregte entsprechend Aufmerksamkeit. Inzwischen war Andreas Schwartze zur Bande gestoßen, ein dem Nicol List ganz ergebener Miträuber. Da die Fähigkeiten »Nickels« im Öffnen von Schlössern weit über Sachsen hinaus bekannt geworden waren, rief man ihn 1697 nach Hamburg. »Er steckte also ein Viaticum von 200 Ducaten zu sich, tratt seine Reise nach Hamburg an, und nahm seinen Andreas Schwartze mit. Und um desto weniger davor erkandt zu werden, der er war, behielt er den Staat und Caracter eines Vornehmen von Adel, nandte sich überall den Herrn Heinrich Rudolph von der Mosel. Sein getreuer Mitdieb blieb gleichfalls bey dem Exempel seines Herren, und ließ sich Moritz Richter nennen, gab sich daneben auch in Nieder-Sachsen aus für einen bey seiner Herrschaft bestalten Jäger, richtete auch darnach seine Kleidung ein. Und in solcher Aufführung kam List nach Hamburg.«6 Dort lernte er Anna von Sien kennen, die sich bei den zwielichtigen Auftraggebern aufhielt. »… bald darauf aber gerieth er mit ihr in die allerhöchste Vertraulichkeit, da ihre Hertzen, durch Gleichheit der Gemühter und beyderseits Neigungen, sich durch eine geheime Sympathie mit einem solchen Bande verknüpfften, welches keiner als der Satan, der ein Anbläser aller wider das sechste Gebot aufsteigenden Flammen ist, gewircket hatte.« Der Einbruch, den die Hamburger von ihm verlangten, brachte aber nicht das Ergebnis, das Nicol sich erhofft hatte. So verübte er im norddeutschen Raum weitere Einbrüche und ließ sich auch von den Hamburgern immer wieder zu solchen verleiten. Da diese allerdings nie zum versprochenen Ergebnis führten, wollte er den norddeutschen Raum wieder verlassen und nach Sachsen zurückkehren. Genau in dem Moment wurde ihm der Einbruch in die Michaelskirche von Lüneburg schmackhaft gemacht.