Raum der Angst - Marc Meller - E-Book
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Raum der Angst E-Book

Marc Meller

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Beschreibung

Der Thriller für alle Fans von Escape und Exit Games Ein geheimes Experiment. Acht Teilnehmer. Sieben verschlossene Räume. Und ein Killer in Spiellaune Er nennt sich Janus. Nach dem römischen Gott der Ein- und Ausgänge. Und er kommt in der Nacht. Still, heimlich. In dein Zuhause. Er betäubt dich, nimmt dich mit und schließt dich ein, in einen kalten, dunklen Raum. Um mit dir ein Spiel zu spielen. Sein Spiel. Ein Spiel voller Rätsel. Du hast nur eine Chance diesem Albtraum lebend zu entkommen: Du musst Janus' Spiel spielen – und gewinnen. Zum Glück bist du nicht allein. Du hast Mitspieler. Noch denkst du, dass das ein Vorteil wäre. Bis du begreifst: Dieses Spiel erlaubt nur einen Sieger, nicht mehrere, und die Verlierer werden sterben.

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Seitenzahl: 406

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Raum der Angst

Der Autor

MARC MELLER ist das Pseudonym eines erfolgreichen Roman- und Drehbuchautors. Am liebsten schreibt er Thriller, in denen das Thema »Angst« in all seinen Ausformungen eine zentrale Rolle spielt. Marc Meller lebt in Köln und Hannover.

Das Buch

Ein geheimes Experiment. Acht Teilnehmer. Sieben verschlossene Räume. Und ein Killer in Spiellaune

Sie sind Teil eines psychologischen Experiments, in dem es um das menschliche Verhalten in Escape Rooms geht – zumindest glauben sie das. Nur Hannah nicht, sie wurde entführt und ist nicht freiwillig hier. Als der Erste von ihnen ums Leben kommt und das Experiment weitergeht, ahnen auch die anderen, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt. Und bald haben sie Gewissheit: Dies ist kein wissenschaftliches Experiment, dies ist ein grausames Spiel, bei dem einer nach dem anderen sterben wird. Jeder neue Escape Room bringt den Tod – es sei denn, Hannah löst das ultimative Rätsel: Wer ist Janus?

Ein hochspannender Escape-Room-Thriller zum Mitfiebern und Miträtseln

Marc Meller

Raum der Angst

Ein Escape-Room-Thriller

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-buchverlage.de

Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage September 2020© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020

Titelabbildung: © FinePic®, MünchenAutorenfoto: © Celina Fiene E-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-548-2411-1

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Inhalt

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

KAPITEL 25

KAPITEL 26

KAPITEL 27

KAPITEL 28

KAPITEL 29

KAPITEL 30

KAPITEL 31

KAPITEL 32

KAPITEL 33

KAPITEL 34

KAPITEL 35

KAPITEL 36

KAPITEL 37

KAPITEL 38

KAPITEL 39

KAPITEL 40

KAPITEL 41

KAPITEL 42

KAPITEL 43

KAPITEL 44

KAPITEL 45

KAPITEL 46

KAPITEL 47

KAPITEL 48

KAPITEL 49

KAPITEL 50

KAPITEL 51

KAPITEL 52

KAPITEL 53

KAPITEL 54

VIER WOCHEN SPÄTER

DANKSAGUNG

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

KAPITEL 1

Widmung

Der beste Spieler ist der, der nicht gewinnen will – sondern gewinnt.

KAPITEL 1

Hannah sah zu, wie das Wasser in den Ausguss lief und dabei die Schaumkronen mit sich nahm. Sie war in Gedanken schon bei ihrem Referat, das sie morgen zusammen mit einem Kommilitonen halten würde. Kognitive Dissonanz – ein Thema, das sie faszinierte. Die Fähigkeit des Gehirns, Scheuklappen aufzusetzen und nur die Informationen zuzulassen, die der eigenen Haltung entsprachen und das positive Empfinden förderten. Oder anders gesagt: wie der Mensch es schafft, sich immer wieder selbst zu betrügen. Hannah hatte viel Zeit und Herzblut in ihre Arbeit investiert. Das einzige Ärgernis bei dem Referat war ihr Kommilitone Anton, der so gut wie nichts zum Ergebnis beigetragen hatte.

Hannah füllte ein weiteres Weizenglas mit Wasser, schüttete es mit Schwung über die gesamte Theke, um die letzten Reste des Spülmittels zu beseitigen. Dann legte sie das Gitter wieder ein. Heute würde kein Bier mehr gezapft werden.

Noch eine halbe Stunde etwa, dann wäre der Laden so weit auf Vordermann gebracht, dass die Putzfrau morgen früh durchwischen konnte. Der Koch hatte längst Feierabend gemacht. Noch drei Gäste waren in der Bar, ein Pärchen an einem Tisch, das schon bezahlt hatte, aber sich immer noch an seinen Cocktails festhielt, und ein Lonesome Cowboy am Ende der Theke, der die ganze Zeit auf sein Handy starrte. Er passte ganz gut in das Ambiente einer Mexican Bar, fand Hannah, mit seinen Bluejeans, den Cowboystiefeln und dem Cowboyhut auf dem Kopf. Die Tür hatte sie bereits abgeschlossen, um sicherzugehen, dass nicht kurz vor Feierabend noch jemand meinte, den Abend hier ausklingen lassen zu müssen. Pablo, ihr Chef, bestand darauf, dass kein Gast je weggeschickt werden dürfe. Daran hielt Hannah sich, aber ab dem Moment, wenn sie die einzige Mitarbeiterin war, gab sie niemandem mehr die Möglichkeit, ihre Arbeitszeit ungebeten zu verlängern.

Das Pärchen am Tisch stand auf. Endlich! Hannah lächelte, während die beiden ihre Jacken anzogen. Der Lonesome Cowboy schien davon keine Notiz zu nehmen, wie eine unbewegliche Statue saß er auf seinem Hocker an der Theke und starrte auf sein Handy.

Hannah trocknete sich die Hände, ging zur Tür, drehte den Schlüssel um und verabschiedete sich besonders laut von den vorletzten Gästen. In der Hoffnung, der Cowboy würde es mitbekommen und den Wink mit dem Zaunpfahl verstehen. Sie schloss die Tür wieder ab, drehte sich herum – und erschrak fürchterlich. Der Cowboy stand direkt vor ihr. So nah, dass sie sein Aftershave roch. Sie mochte den süßlichen Geruch ganz und gar nicht.

Instinktiv wich sie einen Schritt zurück, während er den Kopf senkte und lässig die rechte Hand hob. Zwischen Zeige- und Mittelfinger hielt er einen Zehneuroschein.

»Stimmt so«, brummte er.

Hannah nahm den Schein. »Danke«, sagte sie und wunderte sich insgeheim, denn er hatte nur eine Flasche Corona getrunken.

Sie öffnete ihm die Tür. Stumm ging er an ihr vorbei nach draußen. Über dem Holzfällerhemd trug er eine gefütterte Jeansjacke, auf dem Kopf den dunklen Cowboyhut mit breiter Krempe. Seine Schultern waren breit, die Taille schmal. Was für ein komischer Aufzug, ging es ihr durch den Kopf. Wie ein Rodeoreiter.

Dann schloss Hannah wieder von innen ab. Sie kehrte hinter die Theke zurück, griff zu einer Flasche Rum im Regal und machte aus ihrer Cola einen Cuba Libre. Endspurt, dachte sie.

Etwa eine Dreiviertelstunde später fiel die Wohnungstür hinter ihr ins Schloss. Sie drehte wie gewohnt den Schlüssel um, ließ ihn von innen stecken. Vor etwa zwei Monaten hatte Hannah Einbruchsspuren am Türrahmen entdeckt. Dem Täter war es nicht gelungen, das Schloss aufzuhebeln, darum hatte er anscheinend von seinem Vorhaben abgelassen. Seitdem war sie alarmiert, achtete verstärkt auf kleine Details in ihrem Umfeld. Hannah war alles andere als ein ängstlicher Typ, aber die Vorstellung, dass jemand nachts unbemerkt in ihre Wohnung eindringen könnte, hatte sie einige Nächte lang nicht gut schlafen lassen.

Sie spürte eine Schwere in ihrem Kopf und bereute den Cuba Libre. Oder war es die Müdigkeit, die allmählich ihren Körper emporkroch? Plötzlich fühlte Hannah sich kraftlos wie lange nicht mehr.

Sie stellte ihre Handtasche auf den Wohnzimmertisch, legte ihren Mantel auf die rote Zweisitzercouch von Ikea. Die Wohnung war etwas über vierzig Quadratmeter groß. Hannah konnte sie sich nur leisten, weil sie ihrem Vater gehörte. Zwei Zimmer, ein Wohn- und Essbereich mit einer kleinen Küchenzeile, Schlafzimmer, Diele, Bad. Und ein Abstellraum.

In diesem Moment nahm Hannah den eigentümlichen Geruch wahr. Es roch fremd. Nach etwas, das sie nicht einordnen konnte. Eine Mischung aus schwerem Parfüm und verwelkenden Blumen. Sie ging zum Mülleimer, der am Rande der Küchenzeile stand. Hatte sie etwas Verderbliches hineingeschmissen? Doch bis auf eine zerknüllte Zalando-Rechnung war der Mülleimer leer. Hannah kippte das Fenster, dann ging sie aus dem Wohnzimmer. In der Diele war der Geruch kaum wahrzunehmen. Im Schlafzimmer, in das gerade mal ein Bett und ein kleiner Schrank passten, roch es ungelüftet, aber normal. Oder kam der Geruch womöglich aus dem Abstellraum? Sie ging darauf zu, betätigte die Klinke und machte die Tür auf. Bügelbrett, Konservendosen, Staubsauger. Sie schloss die Tür wieder.

Als Hannah ins Wohnzimmer zurückkehrte, hatte der Geruch eindeutig nachgelassen. Ein geöffnetes Fenster vertreibt Gestank und Sorgen, dachte Hannah.

Nur dass es nicht geöffnet war.

Der Hebel zeigte nach unten. Um sich zu vergewissern, rüttelte Hannah daran. Kein Zweifel, das Fenster war geschlossen.

Verblüfft starrte sie auf den Fensterhebel. Was war mit ihrem Verstand los? Lag es an der Müdigkeit? Den Kopfschmerzen? Sie hätte schwören können, das Fenster gekippt zu haben, und holte dies sofort nach. Dann kramte sie in ihrer Handtasche nach Tabletten gegen die zunehmenden Kopfschmerzen. Vorboten einer Migräne. Sie warf zwei Ibuprofen ein, spülte mit einem großen Schluck Wasser aus der Flasche nach.

Als sie ihr verschwommenes Spiegelbild auf der ansonsten dunklen Scheibe betrachtete, war Hannah sich mit einem Mal sicher, das Fenster geöffnet zu haben. Heute. Vor weniger als einer Minute.

Sie fuhr herum.

Jetzt wusste sie, an was sie dieser Geruch erinnerte – Aftershave.

Es ist jemand hier, schoss es ihr durch den Kopf. Ihr Puls raste mit einem Mal. Sie atmete tief ein und hielt die Luft an, manchmal half dies, um nicht in Panik zu geraten. Zum Beispiel im Flugzeug, wenn die Maschine in ein Luftloch fiel.

Aber das hier war eine andere Art von Bedrohung. Vorsichtig setzte Hannah einen Fuß vor den anderen, ging leise in die halbdunkle Diele, schaute kurz nach rechts und links. Der Weg zur Tür war frei. Sie schlich weiter, tastete mit der Hand nach dem Schlüssel im Schloss …

 … und griff ins Leere.

Dort steckte kein Schlüssel. Jetzt überkam sie die nackte Panik. Sie lief ins Wohnzimmer zurück, schnappte sich ihre Handtasche, drehte sie um, damit alles herausfiel. Der Lippenstift. Das Portemonnaie. Tampons.

Aber kein Handy. Kein Schlüsselbund.

Sie sah wieder zum Fenster.

Es war geschlossen.

Hannahs Knie fühlten sich plötzlich weich wie Gummi an. Sie versuchte, sich irgendwo festzuhalten – vergeblich. Ihre Beine gaben nach, und sie sackte auf den Boden. Der Raum um sie herum fing an, sich zu drehen, drehte sich immer schneller, als ihr Kopf und Oberkörper einigermaßen sanft auf dem Teppich vor dem Sofa zum Liegen kamen.

Hannah war bewegungsunfähig. Sie spürte, dass ihr Körper da war, aber er gehorchte ihr nicht mehr. Verweigerte den Dienst, als wären die Nervenbahnen unterbrochen worden. Der freie Wille, der ihrem Kopf entsprang, wurde nicht mehr weitergeleitet. Verschwommen nahm sie das Wohnzimmer aus ihrer ungewohnten Perspektive wahr, versuchte zu begreifen, was passierte, als zwei Beine in ihr Sichtfeld traten.

Beine mit Jeans – und Cowboystiefeln.

Wie von allein setzte sich das Puzzle in Hannahs Kopf zusammen. Er musste es getan haben, der Lonesome Cowboy! Als sie zur Tür gegangen war, um dem Pärchen aufzuschließen. Das Glas mit der Cola hatte hinter der Theke gestanden. Ein paar Tropfen der richtigen Substanz reichten. Hannah wusste dies, als angehende Psychologin musste sie sich mit menschlichen Abgründen auseinandersetzen, wozu auch die Vergewaltigung von Wehrlosen gehörte. Er hatte genau die richtige Dosierung gewählt, sodass sie nicht schon im Laden umkippte, sondern es noch bis nach Hause schaffte.

Aber woher wusste er, wo sie wohnte? Hannah kannte ihn nicht. Oder doch? Hätte sie ihn erkennen müssen? Oder war seine Aufmachung nur Verkleidung, der Hut, die Stiefel?

Während sie fieberhaft überlegte, setzte der Mann sich auf ihr rotes Sofa. Jetzt konnte Hannah auch den Rest von ihm sehen. Er war es tatsächlich, der Cowboy aus der Bar. Sein Gesicht blieb unter der Krempe des Hutes verborgen. Hannah sah nur die weißen AirPods in seinen Ohren. Sein rechter Fuß, nur einen Meter von ihrem Kopf entfernt, wippte unaufhörlich im Takt der Musik.

Was machte er da?, fragte sie sich. Warum schien er alle Zeit der Welt zu haben? Hannah lief es eiskalt den Rücken herunter, als die Erkenntnis einsetzte.

Er wartet ab, bis das Mittel seine Wirkung vollständig entfaltet!

Sie wollte etwas sagen, doch ihre Zunge lag bleischwer im Mund, ließ sich einfach nicht bewegen, sosehr sie sich auch anstrengte. Ein gequältes Stöhnen war alles, was sie herausbekam.

Da kehrte die Panik mit voller Wucht zurück, und ihr brach der Schweiß aus.

Ich bin ihm hilflos ausgeliefert!

Hannahs letzter Gedanke, bevor kalte Schwärze sie packte, war, ob sie das hier überleben würde. Und wie dieses Leben danach aussähe.

KAPITEL 2

Die Teilnehmer trugen Virtual-Reality-Brillen, die das Sichtfeld zu hundert Prozent einnahmen, sowie Kopfhörer, die keinen Schall mehr von außen ans Trommelfell ließen. Obwohl die sieben noch in einem komfortablen Reisebus saßen, waren sie bereits in eine andere Welt abgetaucht. Jeder von ihnen hatte zwei Sitzreihen für sich, wodurch niemand den anderen wahrnahm.

»Herzlich willkommen zum Escape-Room-Experiment«, ertönte die vertraute Stimme des Professors aus den Kopfhörern. Vor ihren Augen sahen die Teilnehmer eine Berglandschaft, die Farben waren greller und das Licht heller, als es wohl auf dem Mount Everest in Wirklichkeit aussah. Professor Andreas Zargert trat ins Bild. Er hatte seine grau melierten Haare nach hinten gekämmt, den Dreitagebart etwas gestutzt und trug wie immer einen schwarzen Anzug, mit weißem Hemd ohne Krawatte. Sein Abbild wich ein wenig von der Realität ab, er wirkte leicht künstlich, als wäre er geschminkt.

»Hinter mir sehen Sie den Mount Everest, den höchsten Berg der Welt. Warum steigen Menschen auf Berge hinauf? Die Antwort: Weil sie es können. Je höher ein Gipfel, desto größer der Wille, es zu schaffen. Sie, liebe Probanden dieses Experiments, befinden sich sinnbildlich auf dem Weg zu einem Gipfel. Auf Sie wartet eine große Herausforderung. Der Mount Everest lässt sich nicht allein besteigen. Das Gleiche gilt für die Räume, die wir speziell für Sie erdacht und konstruiert haben. Auch diese lassen sich nur im Team bewältigen.« Er machte eine rhetorische Pause und blickte direkt in die Kamera. »Sie kennen einander nicht. Sie werden Ihre Mitstreiter erst vor Ort zum ersten Mal sehen. Intuition, Intellekt, Empathie, Egoismus, Aggressivität, Gelassenheit und Logik.«

Die Worte, die der Professor mit Nachdruck aussprach, flogen in großen roten Buchstaben von den Bergen hinter ihm an seinem Kopf vorbei. »Jeder von Ihnen steht für eine dieser Charaktereigenschaften oder Wesensmerkmale. Die Kernfrage des Experiments lautet: Welche dieser Eigenschaften wird sich in welcher Situation am ehesten durchsetzen – und: Ist dies dienlich, oder verhindert der Dominanteste unter Ihnen am Ende die Lösung des Problems?«

Der Mount Everest verschwand und blendete über zu einem tibetanischen Kloster in einer Berglandschaft. Professor Zargert sprach weiter. »Der Dalai-Lama sagte, die Menschen folgten lieber der Mehrheit als der Wahrheit. Leider hat er damit recht! Beherzigen Sie diesen Satz. Um aus den Räumen zu entkommen, bedarf es keiner Abstimmung, keiner Mehrheit. Sie müssen nur die Lösung finden, den Schlüssel, um die jeweilige Tür zu öffnen.«

Im Hintergrund erschienen drei überdimensionale Bücher, auf deren Cover der Professor abgebildet war. »Sie kennen mich. Sie wissen, dass dies nicht nur ein Spiel ist. Es geht um seriöse wissenschaftliche Arbeit.«

Die Kamera näherte sich rasend schnell dem Kloster und flog hinein, aber statt in einem dunklen, holzvertäfelten Raum Mönchen in dunkelroter Kleidung gegenüberzustehen, befanden sich die Teilnehmer auf einmal in einem Gefängnis. Der Professor näherte sich vom Ende eines scheinbar endlos langen Ganges, von dem rechts und links vergitterte Zellen abgingen wie in einem Hochsicherheitstrakt.

»Das Stanford-Prison-Experiment im Jahre 1971 ist eines der berühmtesten psychologischen Experimente, die es gab. Probanden ließen sich freiwillig in ein Gefängnis einschließen, die einen waren die Wärter, die anderen Gefangene. Leider musste der Versuch vorzeitig abgebrochen werden.« Der Professor atmete tief ein und seufzte dann laut. »Was war passiert? Nun, meine Kollegen hatten die menschliche Natur unterschätzt – oder sollte ich besser sagen: völlig ignoriert. Bei genauerer Betrachtung hätte man das Desaster vorhersehen können.«

Das Bild änderte sich erneut, aus dem Gefängnis wurde ein Labor, mit weißen Wänden, Monitoren, Schreibtischen und Mitarbeitern in hellblauen Kitteln.

Der Professor fuhr fort. »Wir haben uns viel Zeit genommen, die besten Teilnehmer auszuwählen. Nach streng wissenschaftlichen Kriterien.« Der Professor hob seinen rechten Arm, an dem sich ein Fitnesstracker befand, so voluminös wie eine Taucheruhr. »Aus Gründen der Sorgfaltspflicht trägt jeder von Ihnen so ein Gerät. Sie können es nicht nach Belieben abnehmen, denn: Sollte es Ihnen unwohl sein, der Puls oder Ihr Blutdruck steigen, erfahren wir das, bevor Sie etwas merken.«

Der Professor stellte sich in die Bildmitte, und die Kamera zoomte schrittweise näher heran. Jedem einzelnen Teilnehmer kam es vor, als würde er oder sie langsam auf ihn zugehen.

»Kommen wir zum letzten Punkt.Jeder von Ihnen hat eine eigene Agenda – eine eigene Motivation, hier mitzumachen. Als Belohnung winkt Ihnen das vertraglich vereinbarte Honorar von dreitausend Euro. Für jeden von Ihnen.« Er lächelte. »Ich möchte Ihnen nun ein weiteres Angebot machen. Ich erhöhe das Honorar um das x-Fache. Das ›x‹ steht für die Anzahl der Teilnehmer, die bis zum Schluss dabeibleiben. Jeder von Ihnen darf abbrechen, jederzeit. Aber: Wenn alle sieben den letzten Raum gemeinsam verlassen, bekommt jeder von Ihnen das siebenfache Honorar.« Er lächelte wieder. »Einundzwanzigtausend Euro. Bei nur noch sechs Teilnehmern sind es achtzehntausend und so weiter. Dies soll eine weitere Motivation für Sie sein, die Wissenschaft zu unterstützen. Denn dieses Experiment ist sehr, sehr wichtig. Dass Sie bis heute nichts von dem Escape-Room-Experiment gehört haben, hat einzig und allein damit zu tun, dass es auch in meiner Zunft Spione gibt, vor denen ich mich schützen möchte. Wenn alles vorbei ist, werden wir an die Öffentlichkeit gehen. Ich garantiere Ihnen, Sie werden berühmt werden.«

Der Professor winkte zum Abschied. »Meine Damen, meine Herren. Ich überlasse Sie nun Ihren kognitiven und charakterlichen Fähigkeiten. Weitere Informationen erhalten Sie vor Ort. Lassen Sie die Brille auf, bis Sie das Ziel erreicht haben. Erst wenn das Bild erlischt, dürfen Sie die Brille absetzen. Viel Erfolg! Wir sehen uns bald.«

Der Professor und das Labor verschwanden. Es folgte eine Lasershow mit meditativer Musik, die einen vergessen lassen sollte, dass man in einem Bus saß.

Sepan Akyol, der in der ersten Reihe des Busses direkt hinter dem Fahrer Platz genommen hatte, war voller Vorfreude. Der Professor sprach von Damen und Herren. Es würden also nicht nur Männer dabei sein. Er war gespannt.

Melissa Ahrendt, die wie bei den Klassenfahrten früher in der letzten Reihe saß, ließ sich das Angebot durch den Kopf gehen. Die Vorstellung, in Kürze um zwanzigtausend Euro reicher zu sein, erzeugte ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie brauchte das Geld dringend.

Sophie Dräger, in Reihe vier, vermisste schon jetzt ihr Handy, das sie vor der Abfahrt hatte abgeben müssen. Aber wenn sie es wieder in Händen hielte, würde sie ihren neuntausenddreihundert Followern auf Instagram etwas zu berichten haben. Dann wären es bald über zehntausend.

Der Bus bremste ab, wurde langsamer und fuhr um eine scharfe Kurve. Die Musik blendete aus. Auf den Brillen sahen sie nun ein Livebild, ihre Umgebung. Es wirkte zumindest wie ein Bus. Die anderen Teilnehmer trugen dunkle Gewänder mit schwarzen Kapuzen. Der Bus war zum Stehen gekommen. Alle standen auf und traten aus den Sitzreihen.

Die Stimme des Professors aus ihren Kopfhörern ertönte wieder: »Steigen Sie nun aus, und folgen Sie den Markierungen am Boden.«

Vor ihnen auf dem Boden waren Pfeile zu sehen, die aus dem Bus führten. Die sieben wurden mehrere Minuten lang durch einen virtuellen Korridor geleitet, der aus einem Star Wars-Film abgekupfert war. Als wären sie auf dem Todesstern. Die dunklen Wände und der Boden glänzten metallisch.

Melissa kam das komisch vor, sie meinte zu spüren, dass sie auf einem Untergrund ging, der etwas nachgab. Sie fasste an ihr rechtes Ohr, um den Kopfhörer ein Stück wegzunehmen, und vernahm das Knarren von Holzbohlen unter ihren Füßen. In der Realität befanden sie sich also in einem alten Gebäude. Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, endete der virtuelle Korridor in einem Raum mit weißen, glatten Wänden. So weiß wie die Uniformen der Sturmtruppen. Die Teilnehmer bildeten einen Halbkreis, die Gesichter einander zugewandt.

Dann erfolgte das Kommando durch die Kopfhörer: »Sie sind am Ziel angekommen. Nehmen Sie nun bitte Ihre Brillen ab.«

Jeder tat es, entfernte die Brille, nahm die Kopfhörer ab. Sie sahen sich an, keiner kannte den anderen. In der Realität trugen sie keine Einheitsuniform, sondern jeder war individuell gekleidet.

Sepan hatte sich für sportliche Kleidung entschieden, einen Trainingsanzug von Adidas. Er schaute zu Melissa, einem alternden Gothic Girl mit langen schwarz gefärbten Haaren, schwarzer Jeans und schwarzem Kapuzenshirt. Sie schien ein wenig nervös zu sein, nahm Sepan an, weil sie mit den Fingern an der Kordel ihrer Kapuze herumspielte. Unter dem Rand eines Ärmels schaute eine Tätowierung hervor. Solche Frauen waren gar nicht sein Fall. Sie schien seinen Blick richtig zu interpretieren, hörte auf, an der Kordel zu spielen, und zeigte ihm galant den Mittelfinger. Er sah zu Sophie, die schlank war und eine enge Jeans und einen engen Pulli trug. Sie hatte blondes Haar, das ihr locker über die Schultern fiel. Jackpot, sie war genau sein Typ.

Der Blick aller wanderte durch den Raum, der nichts mehr mit einem Star Wars-Film zu tun hatte. Im Gegenteil. Sie waren in der Vergangenheit gelandet. Der Raum, quadratisch mit schätzungsweise zehn Metern Kantenlänge, wurde ausschließlich von Kerzen erhellt. Die Mauern aus Stein wirkten wie die einer mittelalterlichen Burg, an der Decke aus dunklem Holz, fünf Meter über ihnen, prangte ein riesiger Kronleuchter, in dem Kerzen brannten. Die Ausstattung des Zimmers erinnerte an ein Labor, ein Physiklabor. An einer Wandseite befand sich ein riesiges Regal mit alten, ledergebundenen Büchern, an den anderen Wänden hingen Tafeln, auf die mit Kreide Formeln und Zeichnungen geschrieben worden waren. Davor standen Schreibtische, und in der Mitte des Raumes war ein Labortisch mit seltsam anmutenden Geräten.

Eine Tür, durch die sie hineingekommen waren und wieder hinausgehen konnten, gab es nicht.

Sie waren eingesperrt.

Alles klar, dachte Sepan. Gameon!

KAPITEL 3

Der tonnenschwere Kranwagen hatte Mühe, um die letzte Kurve zu kommen. Die Straße war für den Verkehr komplett gesperrt.

Bernd Kappler trat hart auf die Bremse, als er das Ungetüm vor sich sah. Die gesamte Fahrbahn war blockiert, ein Weiterkommen unmöglich. Kappler lenkte seinen Dienstwagen an den Straßenrand und blickte zu seiner Kollegin auf dem Beifahrersitz.

»Welch ein Glück, dass du heute auf deine Stöckelschuhe verzichtet hast.«

»Ich trage zur Arbeit nie Stöckelschuhe«, erwiderte Eva Dahlhaus mit einem Kopfschütteln. »Männer.«

Die beiden stiegen aus. Der Wagen parkte halb im Graben, neben ihnen war eine Böschung.

»Und was war das neulich?«, führte Kappler das Gespräch über die Schuhe fort.

»Das waren Schuhe mit Absätzen. Schon mal von gehört?«

Er grinste, weil sie ihm wieder auf den Leim gegangen war. Die beiden arbeiteten noch nicht sehr lange zusammen, und so gut kannte Eva ihren Kollegen noch nicht, um zu wissen, dass er sie mit chauvinistischen Kommentaren nur ärgern wollte. Kappler kannte sehr wohl den Unterschied zwischen einem Absatz und einem Stöckelschuh.

Eva war einen Meter fünfundsechzig groß, ihre blonden Haare trug sie schulterlang und offen. Vor zwei Monaten hatte sie ihren dreißigsten Geburtstag gehabt und sich zu diesem Anlass selbst das größte Geschenk gemacht, wie sie stolz erzählt hatte: Die Waage zeigte nur noch siebzig Kilo an.

Kappler fand nicht, dass Eva zu dick sei, und ihr Verlobter schien auch keine Probleme mit ihrer Figur zu haben. Trotzdem ließ sie sich das Intervall-Fasten von niemandem ausreden und verzichtete sechzehn Stunden am Tag aufs Essen. Zum Leidwesen ihres Kollegen, der gerne essen ging, und das ungern allein.

Der Kranwagen rangierte, die Kommissare machten einen weiten Bogen um ihn herum und schritten an den Polizeiwagen und Feuerwehrfahrzeugen vorbei. Ein paar Schaulustige hatten sich durch den Wald geschlagen, um das Geschehen aus der Ferne zu beobachten. Einige machten Fotos, von einem verunfallten Reisebus, der auf einer kurvenreichen Straße von der Fahrbahn abgekommen, geradeaus in den Wald gefahren, dort umgekippt und einen kleinen Abhang heruntergekullert war. So sah es zumindest aus. Zurückgeblieben war ein Wrack, das nun von dem Kranwagen geborgen werden musste.

Bernd Kappler und Eva Dahlhaus hatten bereits weiterreichende Informationen, sonst wären sie nicht aus Hannover angereist. Verkehrsunfälle gehörten nicht in ihr Ressort. Beim LKA Niedersachsen war Kappler für Kapitaldelikte zuständig und galt als Experte für Geiselnahmen und Entführungen. Mit Kommissarin Dahlhaus arbeitete er seit vier Wochen zusammen. Sie hatte sich der Liebe wegen nach Hannover versetzen lassen.

Nein, dies war kein normaler Verkehrsunfall, denn der Reisebus war, abgesehen vom Fahrer, leer gewesen. Seine Leiche hatten die Polizisten nicht hinter dem Steuer gefunden, sondern im Gepäckraum, mit durchgeschnittener Kehle.

Kappler und Dahlhaus gingen zu dem Gerichtsmediziner, der unweit des Busses stand und in ein Diktiergerät sprach. Der tote Busfahrer lag auf einer Trage, das Tuch bis über das Gesicht gezogen. Kappler kannte den Arzt nicht, weil er aus Hildesheim kam. Sie gaben einander die Hand und stellten sich vor.

»Wollen Sie einmal sehen?« Der Rechtsmediziner wartete die Antwort nicht ab und zog das Tuch weg. Ein sauberer Schnitt verlief oberhalb des Kehlkopfes über den ganzen Hals vom linken bis zum rechten Ohr. Es sah aus, als hätte man bereits vor Ort mit der Obduktion begonnen.

»Eine erstklassige Rasur«, befand der Arzt. »Beide Halsschlagadern durchtrennt. Fachmännisch, würde ich sagen.«

»Wann ist es passiert?«, wollte Eva wissen.

»Ich schätze, vor etwa drei Stunden.«

»Und der Unfall geschah wann?«

»Das müssen Sie Ihre Kollegen fragen. Das Opfer hat den Bus auf jeden Fall nicht in die Rabatte gefahren, da war er schon tot.«

»Danke!« Kappler wandte sich unvermittelt ab, Eva folgte ihm. Er blieb stehen, damit sie aufholen konnte. Kappler war einen Meter neunzig groß und hatte stets einen zügigen Schritt drauf. Walken gehörte zu seinen Hobbys. Manchmal vergaß er, dass er wieder eine Partnerin an seiner Seite hatte, und dachte nicht immer daran, sie mit einzubeziehen. Des Öfteren musste Eva ihm hinterherlaufen. Sie hatte das Studium vor zwei Jahren beendet – mit Bestnoten. Das verleitete ihn dazu, ihr die Schreibarbeit zuzuschustern, unter dem Vorwand, sie würde sich besser mit Computern und der Bürokratie auskennen. Im Moment spielte Eva noch mit, aber Kappler wusste, dass sie irgendwann protestieren würde. Zu Recht. Eva repräsentierte die neue Generation von Polizistinnen, während er im Team der weise alte Mann war, auch wenn noch kein langer grauer Bart sein Gesicht zierte. Man sah Kappler seine neunundvierzig Jahre deutlich an, obwohl er das grau melierte Haar raspelkurz trug und ein Dreitagebart die tiefsten Falten verbarg.

Als die beiden Kommissare zu dem Kollegen mit drei silbernen Sternen auf der Schulterklappe kamen, genügte ein kurzer Blick von Eva. Kappler sollte das Gespräch beginnen.

»Wer ist das Opfer?«, fragte er, nachdem sie sich vorgestellt hatten.

»Uwe Wagner, dreiundvierzig Jahre alt. Busfahrer. Laut seiner Firma sollte er eine Gruppe von sieben Personen abholen und zu einem ehemaligen Hochregallager in Lauenau bringen. Im Auftrag der Universität Hannover. Dort soll so etwas wie ein psychologisches Experiment stattfinden, haben wir erfahren.«

Kappler glaubte, sich verhört zu haben. »Ein Experiment?«

»Jepp. Schon mal von Professor Andreas Zargert gehört?«

»Nicht nur gehört«, warf Eva ein, »ich habe ihn einmal im Fernsehen gesehen. Das ist so ein aufgeblasener Typ, der Bücher schreibt, stimmt’s?«

»Genau der«, nickte der Kollege. »Psychologieprofessor und Bestsellerautor. Er veranstaltet wohl ein Experiment. Mehr dürfen Sie mich dazu nicht fragen.«

»Und was ist mit denen, die in dem Bus saßen?«, hakte Kappler nach.

»Wie ich schon sagte: Die sollten nach Lauenau gebracht werden, sind dort aber nicht angekommen. Von ihnen fehlt bisher jede Spur.«

»Gibt es Zeugen, die gesehen haben, wer den Bus in den Wald gesteuert hat?«

Der Kollege schüttelte den Kopf. »Nein. Keine Zeugen. Ein Autofahrer hat uns verständigt, aber da war es bereits geschehen.«

Kappler kratzte sich am Kinn. »Wo wurde der Busfahrer getötet?«

»Den Blutspuren nach zu urteilen, saß er hinter dem Lenkrad, als man ihn rasiert hat. Die Leiche fanden wir im Gepäckraum. Nachdem wir dann erfuhren, welchen Auftrag der Fahrer hatte und dass die Teilnehmer nicht am Zielort angekommen waren, haben wir das LKA verständigt.« Er machte eine Pause. »Was glauben Sie: Haben wir es mit einer Entführung zu tun?«

Kappler schwieg. Er mochte keine voreiligen Schlüsse ziehen, zumindest nicht laut, weil dies die Ermittlungen negativ beeinflussen konnte. Offensichtlich war es so: Jemand hatte die Businsassen verschleppt und den Busfahrer getötet. Mehr ließ sich im Moment noch nicht sagen. Fest stand nur, dass schleunigst eine Ermittlungsgruppe innerhalb der Mordkommission gebildet werden müsste.

»Wo finden wir diesen Professor?«, fragte Eva.

»In Lauenau, am Zielort. Ich gebe Ihnen die Adresse.«

Der Kollege ging vor zum Streifenwagen, reichte ihnen einen Zettel. Kappler und Eva verabschiedeten sich. Auf dem Weg zum Auto telefonierte Kappler mit seinem Vorgesetzten Kriminalrat Günther Schmidt, um ihn über den Vorfall zu unterrichten.

Sie waren noch ein paar Meter vom Auto entfernt, als Kappler unvermittelt stehen blieb. Eva blickte ihn fragend an.

»Immer wieder faszinierend«, sagte Kappler, die Augen auf den Autokran gerichtet. Dieser hatte in dem unwegsamen Gelände die richtige Position gefunden und fuhr nun den Ausleger in die Höhe, um den Bus an den Haken zu nehmen.

»Du willst dir das jetzt nicht wirklich anschauen, oder?« Eva hätte nicht ungläubiger klingen können.

Kapplers Mundwinkel zuckten. »Wieso nicht? Ich finde das spannend.«

»Wir haben einen Job zu erledigen«, sagte sie mit Nachdruck, bevor sie ihn am Arm fasste und mit sich zog. »Männer – ihr werdet nie erwachsen.«

Dem konnte er nicht widersprechen.

KAPITEL 4

Es war stockdunkel. Beinahe zumindest. Nur ein schwaches Licht anscheinend aus weiter Ferne glomm. Wie ein Stern in dunkler Nacht. Hannah hatte die Augen weit aufgerissen, aber außer dem grünlichen Licht sah sie nichts, nicht mal die Hand vor Augen. Es hätte auch Einbildung sein können, eine Art Reiz auf der Netzhaut.

»Ist da jemand?«

Ihr Ruf verhallte ungehört. Der Raum, in dem sie sich befand, klang, als wäre er kahl.

Sie lag. Auf einer Pritsche, die sich nicht sonderlich bequem anfühlte. Ihr Kopf dröhnte wie nach einem furchtbaren Besäufnis. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie in die Dunkelheit.

Schlaf bloß nicht wieder ein! Bleib wach!

Sie hatte keinen blassen Schimmer, wo sie war. Geschweige denn, wer sie hierhergebracht hatte.

Ein Krankenhaus? Nein. Kliniken hatten keine Dunkelkammern. Sie fühlte sich eher wie in einem Keller. Aber wieso?

Hannah bewegte die Beine, die Arme, ließ die Handgelenke kreisen. Dann richtete sie sich langsam auf, und ein stechender Schmerz in ihrem Kopf ließ sie aufstöhnen. In diesem Moment spürte sie, dass es noch ein Problem gab. Ihre Blase. Mist! Sie musste sie schleunigst leeren. Doch wie sollte sie in der Dunkelheit so etwas wie eine Toilette finden, wenn es denn überhaupt eine gab? Ihr Blick richtete sich auf das schwache grüne Licht, und sie fühlte sich an ihre Kindheit erinnert. Ihre Mutter hatte neben der Tür des Kinderzimmers ein Nachtlicht in die Steckdose getan, damit Hannah den Weg zur Toilette fand.

Sie schwang sich auf, ihre Füße berührten den Boden, sie hatte keine Schuhe an und spürte kalte Fliesen unter ihren Sohlen. Langsam kam sie auf die Beine, die sich noch etwas wackelig anfühlten. Sie strich mit der Hand über ihren Körper und betastete die Kleidung. Sie trug die Sachen, die sie nach Feierabend in der Bar angezogen hatte, eine Cargohose mit Seitentaschen an den Beinen, ein T-Shirt und darüber ihre Fleecejacke.

Ihr blieb kaum Zeit. Der Druck in der Blase schwoll schmerzlich an. Langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen, tastete sich in Richtung des Lichts vor. Mit Bedacht, um in der Dunkelheit nicht gegen ein Hindernis zu stoßen.

Verdammt!

Es ging nicht mehr, sie schaffte es nicht. Hannah öffnete die Hose, zog sie bis zu den Knien herunter und begab sich in die Hocke. Das Gefühl der Erleichterung siegte über die Scham, irgendwo auf den Boden zu pinkeln. Wenigstens blieben ihre Füße trocken.

Sie war fertig, kam wieder auf die Beine und zog die Hose hoch. Ein Problem hatte sie erst einmal gelöst. Die Kopfschmerzen dagegen ließen nicht nach. Sie tastete sich weiter vorwärts, einen Fuß vor den anderen setzend, immer dem schwachen grünen Licht entgegen. Der Boden war kalt. Ihre Augen hatten sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt, von Minute zu Minute schien das Licht immer heller zu werden.

Nach ein paar Schritten erkannte Hannah, dass das fluoreszierende Leuchten von einem Schalter herrührte. Jetzt nahm sie auch ein paar Objekte im Raum wahr. Sie glaubte, so etwas wie eine Tischplatte erkennen zu können. Und Stühle.

Gleich hast du es geschafft, dachte sie.

Langsam tasteten sich ihre nackten Füße vorwärts. Dann war der Schalter nur noch eine Armlänge entfernt.

Sie streckte die Hand aus.

Sie betätigte den Schalter.

Nichts.

Hannah verharrte in fast völliger Dunkelheit, biss sich auf die Lippen, um nicht zu verzweifeln. Sie betätigte den Schalter noch mal. Ein weiteres Mal. Es blieb dunkel.

Ganz ruhig. Nicht in Panik geraten.

Sie atmete ein paarmal tief ein und wieder aus. Wer tat ihr so etwas an? Warum war sie hier? Sie hatte keine Erinnerung mehr an letzte Nacht und wusste nur noch, dass sie gearbeitet hatte, in der Bar. Es war sehr viel los gewesen. Sie sah es vor sich, die Gäste, die Tabletts mit Gläsern und dann, wie sie zwei Enchiladas an einen Tisch brachte. Damit endete alles, wie ausgelöscht. Ihre Erinnerung an das Danach war so schwarz wie der Raum, in dem sie sich nun befand.

KAPITEL 5

Leon beäugte seine Mitstreiter kritisch. Als Soldat hatte er sein Leben oft einem anderen Kameraden anvertrauen müssen. Gegenüber Fremden verhielt er sich reserviert, hegte Misstrauen. Auch wenn er hier nicht im Kampfeinsatz war und es bei diesem Experiment nicht ums Überleben ging, müssten die anderen sein Vertrauen erst verdienen, so hatte er es auch deutlich im Vorstellungsgespräch gesagt. Genau das schien dem Professor besonders gefallen zu haben. Leon war ein Typ, der Menschen auf den ersten Blick abschreckte.

»Ist dasSteampunk?«, fragte Melissa, während ihr Blick durch den Raum schweifte.

»Nein«, antwortete Michael.

Michael war eindeutig der Älteste in der Runde, Leon schätzte ihn auf Ende vierzig, und trug eine dunkelblaue Jeans, ein kariertes Hemd und darüber eine schwarze Weste. Er sah in Leons Augen aus wie ein Lehrer und verhielt sich auch so.

»Steampunk ist moderner Kult", erklärte Michael nun. »Der Raum hier gibt eher die Abbildung eines Physiklabors aus dem 19. Jahrhundert wieder. Sehr detailgetreu, muss man sagen.«

»Und da überall Kerzen brennen, hat Edison die Glühbirne noch nicht erfunden«, fügte der Typ namens Phil hinzu. Er musste um die dreißig sein, war schlaksig und trug eine schlecht sitzende Jeans und einen verwaschenen Pulli.

Michael schenkte Phil ein herablassendes Lächeln. »Edison hat die Glühbirne nicht erfunden, auch wenn es in vielen Büchern so steht.«

»Ach ja? Und wer war es dann?«

Michael zuckte mit den Schultern. »Das weiß keiner so genau.«

»Sehr interessant«, sagte Sophie schnippisch. »Dann haben wir wenigstens herausgefunden, wer hier die Klugscheißer sind.«

Der Typ im Trainingsanzug – Sepan – grinste Sophie aufmunternd zu, was Leon nicht entging. Er vermutete, dass Sepan auf das Mädchen scharf war.

Sophie seufzte schwer. »Also, ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ich habe eure Namen schon wieder vergessen. Können wir uns noch einmal kurz vorstellen? Damit ich euch nicht dämliche Spitznamen verpassen muss? Ich bin Sophie Dräger. Neunzehn Jahre alt.«

Leon verdrehte die Augen. Er hatte keinen einzigen der Namen vergessen, sein Gedächtnis funktionierte einwandfrei.

»Michael Köhler. Siebenundvierzig«, antwortete nun der, der aussah wie ein Lehrer.

»Philip Schweickert, sagt einfach Phil. Dreiunddreißig.« Phil gab sich betont lässig, auch das entging Leon nicht.

Der Nächste, der sich vorstellte, war ein Kraftpaket namens Rick. »Ich bin Rick, also eigentlich Roderick, Roderick Schumann. Neunundzwanzig.« Rick schien Bodybuilding oder etwas Ähnliches zu machen. Er hatte ein kantiges Gesicht mit ausgeprägter Kiefermuskulatur. Das dunkelblaue Leinenhemd spannte sich um die Muskeln seines Oberkörpers, dazu trug er eine helle Anzughose und weiße Sneaker.

Ein in die Jahre gekommenes Gothic Girl namens Melissa nannte nur ihren Vornamen und fügte hinzu: »Wie alt ich bin, geht euch einen Scheiß an.«

Das brachte Sepan zum Grinsen. Wieder einmal. Leon wusste aus Erfahrung, dass Menschen, die ein Dauergrinsen im Gesicht trugen, damit meistens von irgendetwas ablenken wollten.

»Ich heiße Sepan, und mein Alter dürft ihr gerne wissen. Sechsundzwanzig.«

Rick musterte ihn. »Sepan Akyol? Der Fußballspieler?«

Sepan nickte und grinste schon wieder.

»Du bist der Elfmeterkiller, richtig?«, hakte Rick nach.

»Elfmeterkiller?«, fragte Phil. Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er mit Sport nicht viel am Hut hatte.

»Unser Freund hier hat mehr Elfmeter in seiner Karriere gehalten als jeder andere Torwart auf der Welt«, klärte Rick ihn auf.

»Relativ betrachtet«, fügte Sepan hinzu. »Meine Karriere war zu kurz, um noch mehr zu halten.«

Er klärte die anderen auf. Mit gerade einmal fünfundzwanzig Jahren hatte er seine Karriere als Torwart vor einem Jahr an den Nagel hängen müssen. Grund war eine Krankheit mit unaussprechlichem Namen, über die nur wenig bekannt war. Seine Kondition reichte nicht mehr für Hochleistungssport, die roten Blutkörperchen transportierten zu wenig Sauerstoff, was auf Dauer zu Ausfallerscheinungen und massiven Schädigungen führen konnte. Professor Zargert hatte schon vor einem Jahr mit Sepan Kontakt aufgenommen, weil der Psychologe die Instinkte des Torwarts, seine intuitiven Reaktionen, erforschen wollte. Dann hatte Zargert ihm vorgeschlagen, an diesem Experiment teilzunehmen.

Sepan beendete seine Geschichte, schaute zu dem Mann neben sich – zu Leon. »Und wer bist du noch mal?«

»Leon«, antwortete er kurz. »Fünfunddreißig.«

»Du machst auch viel Sport«, stellte Sepan fest und nickte grinsend.

»Berufsbedingt«, antwortete Leon knapp. Sein athletischer Körper hatte weniger sichtbare Muskeln als der von Rick, dafür umso mehr Körperspannung, die ihn aufrecht hielt, als hätte er einen Stock im Kreuz.

»Sagst du uns auch, was du beruflich machst?«, hakte Michael nach.

Ganz schön neugierig, dachte Leon. Laut sagte er: »Ich bin Soldat.«

»Bundeswehr?«

»Pff!« Leon machte eine abfällige Handbewegung. Er würde diesen Leuten bestimmt nicht auf die Nase binden, womit genau er seine Brötchen verdiente.

»Aha«, sagte Rick. »Machst du auch Kampfsport?«

Leon nickte.

Melissa meldete sich zu Wort. »Bevor die Herren der Schöpfung sich noch länger gegenseitig bewundern, sollten wir uns überlegen, wie wir diesen Raum hier verlassen. Dazu sind wir wohl hier, oder?«

»Das wollte ich auch gerade vorschlagen«, sagte Leon, den das persönliche Gequatsche genauso nervte wie Melissa.

»Normalerweise gibt es eine Erklärung im ersten Raum«, sagte Phil. »Oder eine Person, die sagt, was wir tun sollen.«

»Brauchst du immer jemanden, der dir sagt, was du tun sollst?« Leons Tonfall war absichtlich provozierend. Mal sehen, wie weit er gehen konnte.

Rick räusperte sich und hob beschwichtigend die Hände. »Wenn ich den Professor richtig verstanden habe, sollen wir als Team funktionieren. Also bitte: Stellen wir die Eitelkeiten und Befindlichkeiten hintenan. Okay?«

»Kein Problem«, bemerkte Leon, während er ein Lächeln auflegte. »Wir wählen dich hiermit zum Klassensprecher.«

Die anderen warfen sich vielsagende Blicke zu, und Leon spürte, dass sein Verhalten einige von ihnen verunsicherte. Gut so.

»Ich habe schon zwei Dutzend Escape Rooms hinter mir«, brach Phil nach ein paar Sekunden das Schweigen. »Und da war es jedes Mal so, dass man einen Tipp oder eine Aufgabe gestellt bekam.«

»Aber wir sind Teil eines Experiments«, erwiderte Michael. »Hier geht es um mehr als ein Spiel.«

»Ja«, nickte Sophie. »Vielleicht sollen wir selbst nach dem Rätsel suchen.«

»Wir haben nicht allzu viel Zeit«, bemerkte Melissa. Alle Augenpaare waren auf sie gerichtet. Melissa zeigte zum Kronleuchter. »Die Kerzen brennen schnell ab.«

Leon blickte nach oben. Sie hatte recht. Die meisten Kerzen steckten in dem Kronleuchter über dem Labortisch, ein Dutzend weitere in sechs Haltern an den Wänden verteilt. Auf der einen Seite des Raumes befand sich die Regalwand mit den alten Büchern. Sie hatten alle exakt die gleiche Größe und sahen vom Buchrücken her identisch aus. Auf dem Labortisch in der Mitte des Raumes standen Experimentiergeräte. Eine Kugel aus Aluminium. Dicke, nicht isolierte Stromkabel aus Kupfer und Zink. Klemmen und Schrauben. Und eine große Glühlampe. Sie leuchtete nicht – noch nicht.

An den Wänden hingen die Tafeln, auf denen mit Kreide Formeln und Abbildungen geschrieben waren. Die schmalen Schreibtische darunter hatten viele kleine Schubladen mit Beschlägen aus Messing.

»Haben wir einen Physiker in der Runde?«, fragte Rick.

»Ich bin Elektroingenieur«, erwiderte Phil.

Michael deutete auf die Tafeln. »Als Ingenieur müsstest du doch mit dem Kram etwas anfangen können.«

Sophie zeigte zu der Glühlampe. »Vielleicht sollten wir die Glühbirne in Betrieb nehmen. Bevor die Kerzen erloschen sind.«

»Dann lasst uns nach einem Schalter suchen«, schlug Phil vor.

Sechs Personen schwärmten aus, nur Leon nicht, er blieb stehen, wo er war, und schaute nach oben zum Kronleuchter. Dann suchte sein Blick den Raum ab.

»Für alle, die es nicht wissen«, erklärte Phil laut, während er eine Wand abtastete. »In einem Escape Room sind die meisten Dinge ohne Bedeutung. Die Schwierigkeit liegt darin, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.«

»Hat jemand ein Streichholz oder ein Feuerzeug?«, fragte Leon.

Phil drehte sich zu ihm um und zog die rechte Augenbraue hoch. »Wozu?«

»Wir blasen die eine Hälfte der Kerzen aus und zünden sie wieder an, wenn die anderen abgebrannt sind. So verschaffen wir uns mehr Zeit.«

Rick nickte anerkennend. »Eine gute Idee. Und wie willst du sie ausblasen?«

Der Kronleuchter befand sich mindestens fünf Meter über ihnen. Selbst wenn man sich auf den Labortisch stellte, fehlte mehr als ein Meter, um sie wieder anzuzünden. Die Kerzenhalter an den Wänden hingen genauso hoch.

»Lass das mal meine Sorge sein«, sagte Leon. »Organisiert mir Streichhölzer.«

Zufrieden stellte er fest, dass sie seiner Anweisung folgten und begannen, die Schubladen der Schreibtische zu öffnen und zu durchwühlen. Einmal ein Anführer, immer ein Anführer, dachte er.