Ravenhurst - Sandra Bäumler - E-Book

Ravenhurst E-Book

Sandra Bäumler

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Beschreibung

Nach dem Freitod ihres Vaters, der die Last seiner hohen Spielschulden nicht mehr ertragen konnte, steht Lady Eleonore Warrington mittellos auf der Straße. Dorian Graves, der ihr unbekannte neue Besitzer ihres Londoner Stadthauses, lässt Eleonore über einen Anwalt ein Angebot unterbreiten, das sie kaum ablehnen kann. Wenn sie ihn ehelicht, darf sie das Haus behalten. Sie willigt ein. Als sie auf Ravenhurst, Graves Landsitz, eintrifft, scheint zunächst alles perfekt. Ihr zukünftiger Ehemann erweist sich als wohlhabend und äußerst attraktiv. Eine gute Partie. Doch nichts ist wie es scheint und Dorian hat ein Herz aus Stein …

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SANDRA BÄUMLER

RAVENHURST

GOTHIC NOVEL

Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

1. KAPITEL

An einem Januarmorgen, noch bevor die Sonne aus ihrem Schlaf erwacht war, hallte ein lauter Knall, gleich einem explodierenden Feuerwerkskörper, durch Warrington House, der mich aus dem Schlaf riss. Aufgeregt schlüpfte ich in meine Pantoffeln, zog den Morgenrock über und trat vor mein Zimmer auf den Gang. Dort empfingen mich helle Beleuchtung sowie Cummings, unser Butler, und Josef, ein Diener. Wir alle dachten ein Tunichtgut hätte diesen Krawall verursacht, um uns zu erschrecken. Was ihm zweifelsohne gelungen war.

Der schrille Schrei von Bessie, dem Küchenmädchen, ließ uns zusammenfahren und in mir eine böse Vorahnung wachsen. Mit hämmerndem Herzen rannte ich hinter Cummings die Treppen hinunter in die Richtung aus welcher der Schrei gekommen war. Wir fanden das Mädchen völlig hysterisch vor dem Büro meines Vaters. Cummings wollte mich davon abhalten hineinzugehen, aber er schaffte es nicht. Der Anblick, der mich erwartete, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Meines Vaters Kopf lag auf dem Schreibtisch, als wäre er über einer Abrechnung eingenickt. Doch das Loch in der Stirn, aus dem Blut über sein fahles Gesicht rann und sich in einer rotglänzenden Pfütze auf der Tischplatte sammelte, sowie die weitaufgerissenen leeren Augen widersprachen dem friedlichen Bild eines Schlafenden. Die Pistole, mit der er seinem Leben ein Ende gesetzt hatte, lag neben ihm auf dem Boden und auf dem Schreibtisch das Medaillon, in dem er stets eine Locke von mir bei sich trug. Bessie war gerade dabei gewesen, wie jeden Morgen im Erdgeschoss beginnend, die Kamine zu säubern sowie neue Feuer zu entfachen, und hatte ihn daher nach dem Schuss als erste erreicht. Wäre das Mädchen mit dem Kamin im Salon nur eine Minute früher fertig gewesen und hätte sich anschließend, wie sie es immer tat, den Kamin im Arbeitszimmer vorgenommen, wäre sie unfreiwillige Zeugin des Freitodes meines Vaters geworden.

Noch heute, drei Wochen nach diesem schrecklichen Ereignis, träumte das arme Kind von den leeren Augen meines Vaters, die sie leblos angestarrt hatten. Ich hingegen konnte nichts empfinden. Warum sollte ich Mitgefühl für jemanden hegen, der sich feige aus dem Leben gestohlen und mich allein gelassen hatte?

Nein, ich belog mich selbst, dass ich nichts zu fühlen vermochte, entsprach keinesfalls der Wahrheit, ich verspürte doch etwas. Tief in mir kochte ohnmächtige Wut, ihn für immer verloren zu haben. Ich ballte meine Hände zu Fäusten, starrte die Frau im Spiegel an, die ein schlichtes schwarzes Kleid trug, das sie noch blasser wirken ließ, als ihr Teint schon von Natur aus war. Einst gab mir mein Vater das Versprechen, mich niemals zu verlassen und doch hatte er es gebrochen. Ein Umstand, den ich ihm nur schwerlich verzeihen konnte. Auch wenn ich wusste, dass es dem Allmächtigen nicht gefiel, wenn die Lebenden den Toten etwas nachtrugen.

»Warum nur hast du das getan? Du selbst hast gesagt, dass es aus jeder noch so hoffnungslosen Situation einen Ausweg geben würde. Du hast mich Zuversicht gelehrt. Wie konntest du nur?«, flüsterte ich.

»Haben Sie etwas gesagt, Lady Eleonore?«, rissen mich Annes Worte aus meinen finsteren Gedanken. Auf meinen Wangen spürte ich feuchtwarme Tränen. Schmerz, den ich unter meinem Zorn zu begraben versuchte, fraß sich wie eine fette Raupe durch meine Eingeweide. Ich wollte diesen unsäglichen Schmerz nicht fühlen, wandte mein Gesicht vom Spiegel ab und blickte zu Anne. Auch meine Zofe trug schwarz. Bei ihr war es jedoch die übliche Kleidung. Sie strich meinen Rock glatt, die Seide raschelte unter ihren Fingern. Bald würde ich mich von seidener Kleidung verabschieden müssen. Nicht, dass mich das Tragen einfacherer Kleidung über die Maßen erschreckte oder die Tatsache mein luxuriöses Leben aufgeben zu müssen. Dies alles war nur mehr Schein als Sein gewesen, wie ich nach dem Tod meines Vaters erfahren hatte. Aber es bedrückte mich sehr, dass ich mich auch von allen liebgewonnen Bediensteten verabschieden musste und der Gedanke dieses Haus, das ich bis heute mein Heim genannt hatte, für immer zu verlieren, schmerzte unendlich. Ich konnte bei diesem Gedanken kaum atmen. Cummings, der Butler, unsere Hausdame Mrs Smith und die Köchin Mrs Ross waren meine Familie, sie hatten mein Aufwachsen in diesem Haus erlebt.

»Wie lange stehen Sie nun schon in unseren Diensten?«, fragte ich Anne ruhig, obwohl ich am liebsten wie ein Kind laut gezetert und geweint hätte. Doch ich besann mich meiner Erziehung. Es war eine Unart, vor anderen seinen Tränen ungehemmt freien Lauf zu lassen und sie damit in Verlegenheit zu bringen. Für eine Frau aus gehobenen Kreisen galt es immer, Haltung zu bewahren.

»Ungefähr zehn Jahre, Lady Eleonore. Ich kam als einfaches Hausmädchen hierher und seit Ihrem achtzehnten Geburtstag darf ich mich Ihre Kammerzofe nennen, das ist jetzt sechs Jahre her. Dafür bin ich Ihnen und Ihrem Vater sehr dankbar«, erwiderte Anne. Ich reckte ihr meine Hände entgegen, über die sie schwarze Handschuhe streifte.

»Ich habe Ihnen ein hervorragendes Zeugnis ausgestellt, damit finden Sie sicherlich eine gute Anstellung«, sagte ich. Anne nahm ein seidenes Taschentuch vom kleinen Toilettentischchen, das reichverziert an Intarsien und sehr wertvoll war. Nicht einmal ein Möbelstück würde mir bleiben. Vorsichtig tupfte Anne meine Tränen von der Wange.

»Ich werde keinesfalls gehen«, widersprach sie.

»Aber ich kann Sie nicht mehr bezahlen?«

»Ich hab ein bisschen gespart, um eine Weile über die Runden zu kommen. Niemals werde ich Sie in der Welt da draußen allein lassen. Wir werden zusammen eine Anstellung finden. Sie als Gouvernante und ich als Hausmädchen oder Zofe.« Entschlossen hob mir Anne das Kinn entgegen, betrachtete mich mit ihren warmen braunen Augen. Soviel Loyalität erfüllte mein Herz mit Hoffnung, ich nahm ihre Hände in meine.

»Das kann ich nicht von Ihnen verlangen.«

»Ich möchte das tun.« Anne drückte meine Finger.

»Dann wollen wir das Unvermeidliche nicht länger herausschieben«, sagte ich und hoffte meine Stimme klang so entschlossen, wie beabsichtigt.

»Einen Moment noch.« Sie befestigte eine Strähne, die sich aus meiner Hochsteckfrisur gelöst hatte, mittels einer Haarnadel, so dass sie sich wieder akkurat zwischen den anderen einreihte.

»Jetzt sind Sie soweit«, meinte sie. Ich nickte, ging zu der Kommode, um die Schmuckschatulle an mich zu nehmen.

»Bitte folgen Sie mir mit den Zeugnissen«, trug ich Anne auf.

»Natürlich.« Sie ergriff das Bündel zusammengefalteter Schreiben, nur das an sie gerichtete ließ sie liegen.

Nun stand mir ein schwerer Gang bevor, beinahe so schwer, wie das Geleit meines Vaters zu seiner letzten Ruhestätte. Nervös strich ich über meinen Bauch, spürte das Mieder darunter, es kam mir so eng vor. Ich atmete tief durch und ging zur Tür. Langsam schritt ich die Treppen hinunter, Anne war hinter mir. Ihre Nähe und das Wissen, dass sie an meiner Seite bleiben wollte, machte mir die Aufgabe, die ich gleich zu tun hatte, etwas leichter. Vor zwei Wochen hatte Mister Spauldings, der Anwalt meines Vaters und nun Verwalter meiner Belange, dem Personal die Kündigung ausgesprochen, damit die Bediensteten ihre Angelegenheiten regeln konnten. Nun war der Tag gekommen, an dem sie mich verlassen würden.

In der Halle am Fuße der Treppe erwarteten mich alle von der Hausdame bis zum Küchenmädchen. Cummings hatte sie in einer Reihe aufstellen lassen als stünden sie Spalier, um einen hochrangingen Gast zu empfangen. Eine Ehre, die mir nicht gebührte, denn ich stand jetzt eigentlich unter ihnen. Jeder von diesen Menschen hatte seine Aufgabe, war in der Lage selbst dafür zu sorgen, dass Brot auf den Tisch kam. Ich hingegen war ohne jegliche sinnvolle Ausbildung, hatte nur gelernt, mich in adligen Kreisen zu bewegen, zu singen und Klavier zu spielen. Zudem sprach ich Französisch und war in der Lage mit einem Mann eine anspruchsvolle Konversation zu führen, falls er es von mir wünschte. Alles Dinge, die eine Dame von Rang als ihr Tagwerk bezeichnen würde, doch nun erkannte ich die verschwendete Zeit darin. Wenn ich wenigsten kochen könnte oder nähen. Ein leises Seufzen entkam mir, als ich die letzte Treppenstufe hinter mich brachte. Die wartenden Menschen sahen mich aufmerksam an. Ich trat zu unserem Butler, der das Spalier anführte. Wie immer wartete er mit stoischer Miene auf das Kommende, doch in seinen wasserblauen Augen sah ich Schmerz. Über fünfundzwanzig Jahre hatte er diesem Haus gedient, länger als ich lebte. Er war wie ein zweiter Vater für mich gewesen, hatte stets mein Wohlergehen im Sinn gehabt, wenn mein eigener Vater auf Reisen gewesen war. Mein Gegenüber zog die graumelierten Brauen nachdenklich zusammen. Er hätte gerne etwas gesagt, das sah ich ihm an, doch er wartete bis ich das Wort an ihn richtete.

»Mister Cummings, Sie waren diesem Hause stets treu ergeben gewesen und das seit vielen Jahren. Ich muss Ihnen mit Sicherheit nicht sagen, wie es mich schmerzt Sie entlassen zu müssen, nehmen Sie dies als meinen Dank und Lohn für ihre Arbeit.« Ich öffnete die Schatulle und holte einen goldenen mit Brillanten besetzten Anhänger hervor, den ich ihm reichte. Cummings ließ seine Hände an den Seiten herabhängen.

»Lady Eleonore, der Schmuck ist alles, was Sie noch besitzen. Ich käme mir wie ein Unhold vor, wenn ich diesen Anhänger annehmen würde. Sie werden ihn noch brauchen.«

»Lieber Mister Cummings, ich insistiere. Wenn Sie diesen Schmuck nicht annehmen würden, dann käme ich mir wie eine schändliche Person vor. Ich weiß, dass mein Vater seine Pflichten als Arbeitgeber vernachlässigt hat und ihnen Ihren Lohn schuldig geblieben ist. Dieser Schmuck ist, wie Sie so folgerichtig festgestellt haben, alles was ich noch mein Eigen nennen kann und bei Gott, ich gebe ihn lieber Ihnen, bevor ich in noch diesen Geiern in den Rachen werfen muss, die auf dem Grabe meines Vaters tanzen«, erwiderte ich. Grenzenlose Wut wallte durch meine Adern, drohte aus mir herauszubrechen wie Dampf aus einem Kessel. Ich holte tief Luft, es brachte nichts, wenn Zorn mein Handeln übernahm. »Bitte, Sie würden mich beleidigen, wenn Sie mein Geschenk weiter ablehnten«, fügte ich hinzu, achtete dabei darauf, dass meine Stimme nun sanfter klang und hielt Cummings den Anhänger entgegen. Mit einem Seufzer nahm er ihn.

»Es liegt mir nichts ferner, als sie zu beleidigen Lady Eleonore. Sie haben schon genug zu ertragen, ich möchte Ihnen auf keinen Fall zusätzlichen Kummer bereiten.«

»Danke Mister Cummings. Anne.« Ich wandte mich kurz meiner Zofe zu, sie reichte mir das Zeugnis, das ich für Cummings vorbereitet hatte, und übergab es ihm. Er nickte dankbar.

Anschließend trat ich zu Mrs Smith. Ihre Augen waren rot, sie hatte offensichtlich geweint. Mitleidvoll gepaart mit mütterlicher Güte sah sie mich an.

»Sie waren immer die Seele unseres Hauses. Ihr neuer Arbeitgeber darf sich sehr glücklich schätzen. Ich habe versucht in Worte zu fassen, wie wichtig Sie für meinen Vater und mich gewesen waren, aber ich glaube, mein Schreiben wird Ihren Fähigkeiten bei weitem nicht gerecht.« Anne gab mir das Zeugnis, das ich Mrs Smith weiterreichte, dann nahm ich eine mit Rubinen und Diamanten besetzte Brosche aus der Schatulle. »Auch dieses Schmuckstück wird Ihnen nicht gerecht, aber es kommt von Herzen.«

Mrs Smith räusperte sich, Tränen liefen über ihre rosigen Wangen. »Verzeihen Sie mir meine Ungebührlichkeit, aber dürfte ich Sie in meine Arme nehmen, wie ich es immer tat, als Sie noch ein Kind gewesen waren?«, fragte sie mit rauer Stimme.

»Nein das ist nicht ungebührlich, ich bitte darum.« Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, presste sie mich an ihren weichen Körper. Wie ein kleines Kind sank ich in ihre Arme, schloss meine Augen, um die Tränen auszubremsen, die aus mir herausbrechen wollten. Zum letzten Mal inhalierte ich ihren Duft nach Veilchen, ein Geruch, der mich immer an Wärme, Mütterlichkeit und mein Zuhause erinnern würde. Ich wollte ihn mir fest einprägen, denn wenn die kommenden Zeiten rau werden sollten, würde ich einzig in meiner Erinnerung Trost finden.

»Sei stark kleine Ela«, flüsterte Mrs Smith in mein Ohr. Ela, so hatten mich die Bediensteten genannt, bevor ich Lady Eleonore wurde. Ein großer Klumpen verklebte meine Kehle, den auch mehrmaliges Schlucken nicht beseitigen konnte und mich am freien Atmen hinderte. Schweren Herzens befreite ich mich aus der Umarmung, denn am liebsten hätte ich sie niemals losgelassen. Als nächstes war Mrs Ross an der Reihe, auch sie hatte gerötete Augen, dazu schniefte sie leise.

»Verzeihen Sie.« Sie zog ein Taschentuch unter ihrer Schürze hervor, drehte sich weg, um sich zu schnäuzten. Anschließend sah sie wieder zu mir, während sie das Tuch verstaute. »Das alles geht mir so nahe, Lady Eleonore«, sagte sie mit weinerlicher Stimme.

»Ist schon gut.« Ich streichelte tröstend ihren Arm. »Mrs Ross, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass Sie Londons beste Köchin sind und was für ein Glück wir hatten, Ihre Künste am Herd genießen zu dürfen. Diese Brosche soll eine Wertschätzung meinerseits sein.«

Mein Gegenüber wurde so rot wie ein gekochter Hummer, nahm nur zögerlich das Schmuckstück entgegen.

»Ich danke Ihnen, Lady Eleonore und wünsche Ihnen nur das Allerbeste. Jeden Abend vor dem Zubettgehen werde ich für Ihr Wohlergehen beten.«

Gerührt von Mrs Ross warmen Worten hatte ich alle Mühe damit, mich nicht doch ungehemmt meinen Tränen hinzugeben.

»Das ist lieb von Ihnen«, erwiderte ich, meine Stimme zitterte, zeugte davon, dass nur eine haardünne Wand die Tränenflut zurückhielt. Dennoch setzte ich mein Tun fort, bis ich allen Angestellten ihr Zeugnis und ein Schmuckstück ausgehändigt hatte. Nach der Verabschiedung verschwanden die Bediensteten durch die mit der Wandvertäflung verschmelzenden Tür unter der Treppe, die zum Angestelltentrakt sowie der Küche führte. Dort erwarteten sie ihre Koffer, die gepackt bereit standen. Ich blickte ihnen hinterher, verschränkte meine Finger ineinander, um meine Hände am Zittern zu hindern. Anne trat dicht zu mir, sagte jedoch nichts. An der Tür drehte sich Cummings zu mir, die anderen Bediensteten hatten die Halle bereits verlassen.

»Lady Eleonore, ich habe Anne einen Zettel gegeben, auf dem meine neue Adresse steht. Es würde mich freuen, wenn Sie mir schreiben könnten, um mich auf dem Laufenden zu halten. Das würde mich besser schlafen lassen«, sagte er.

»Ich verspreche es Ihnen, lieber Cummings«, erwiderte ich, konnte kaum noch die Tränen zurückhalten, die in meinen Augen brannten. Am liebsten wäre ich zu ihm gelaufen und hätte mich an ihn geklammert, um sein Fortgehen zu verhindern, doch stattdessen blieb ich stehen, angewurzelt wie eine knorrige, alte Eiche und bewahrte Haltung, wie man es von mir erwartete. »Leben Sie wohl, alter Freund.«

»Passen Sie auf sich auf Lady Eleonore. Sie können mich jederzeit kontaktieren. Meine Adresse hat Anne, wie schon erwähnt.« Damit verließ er ebenfalls die Halle. Als befände ich mich unter Hypnose, starrte ich zur Tür. Nun lebten nur noch Anne und ich in dem großen Haus, das wir in sieben Tagen ebenfalls verlassen mussten. Die Gläubiger meines Vaters hatten Mister Spaulding vier Wochen Zeit gegeben, alle Angelegenheit zu regeln. Achtundzwanzig Tage, um die Welt aufzulösen, die bisher mein Leben gewesen war. Laut Spaulding wollte eine Firma diese Räumlichkeiten anmieten, die keine Bediensteten brauchte. Der neue Besitzer plante hierfür bereits Umbauten im großen Stil. Schon die Vorstellung, dass in diesem Haus, in dem ich geboren wurde und meine Eltern gestorben waren, wildfremde Menschen herumliefen, es nicht wertschätzten, alles herausrissen und es zu weiß Gott was machten, ließ mich verzweifeln. Zu meinem Unterkunftsproblem kamen noch die beruflichen Aussichten, die nicht gerade rosig erschienen. Meine Annonce, mittels derer ich eine Stellung als Gouvernante suchte, war bisher unbeantwortet geblieben. Wer wollte schon einer verarmten Adligen, deren Vater das ganze Vermögen verspielt hatte, die Erziehung der wertvollen Nachkommen anvertrauen? Auch sämtliche Heiratswillige die mir den Hof gemacht hatten, bevor der Skandal publik wurde, waren wie vom Erdboden verschluckt, nachdem sie von meiner finanziellen Situation erfahren hatten. Die grausame Wahrheit lautete, in sieben Tagen würde ich kein Zuhause mehr haben. Mir wurde schlecht, ich wankte. Anne stützte mich.

»Sie sehen nicht gut aus. Vielleicht sollten Sie sich hinlegen«, schlug sie vor. In diesem Moment läutete jemand an der Vordertür.

»Geht es wieder?« Anne sah mich besorgt an, ich nickte. Sie nahm ihre Hände von mir. »Ich werde die Tür öffnen.«

»Nein, ich öffne selbst. Ich werde mich daran gewöhnen müssen.« Damit drückte ich ihr die Schatulle in die Hände und ging zur Tür, die ich aufmachte. Ein junger Mann stand davor, einfach gekleidet.

»Tut mir leid, dass ich hier geläutet habe, aber an der Dienstbotenpforte hat keiner geöffnet. Ich habe einen Brief.« Er reichte mir das Schreiben, sah mich dabei erwartungsvoll an. Sicherlich hoffte er auf eine kleine Entlohnung.

»Ich danke Ihnen«, erwiderte ich höflich. Mehr als Höflichkeit konnte ich dem armen Mann nicht bieten. Ich schloss die Tür, besah nachdenklich das Kuvert. Der Brief kam von Spaulding. Sogleich öffnete ich den Umschlag, der eine kurze Nachricht enthielt. Er lud mich für den morgigen Tag um neun Uhr vormittags in seine Kanzlei ein, weil er eine wichtige Angelegenheit mit mir besprechen wollte, wie er sich in dem Schreiben wage ausdrückte. Wahrscheinlich ging es wieder darum, wo ich in Zukunft leben sollte. Wenn ich ihm nicht bald einen Arbeitgeber präsentierte, würde ich zu meinem einzigen in Frage kommenden Verwandten, einem Vetter fünften Grades, der in Bristol lebte, ziehen müssen. Dort wäre ich dann die unliebsame Verwandte, die er mit durchfüttern musste, weil sie nicht in der Lage war selbst für sich zu sorgen.

2. KAPITEL

Anne begleitete mich zur Kanzlei. Ich hatte mich dazu entschlossen zu Fuß zu gehen. Mittels einer Droschke wäre der Weg leichter zu bewältigen gewesen, vor allem bei den eisigen Temperaturen, die London fest im Griff hatten. Aber wenn Geld knapp war, hieß die Devise laufen. Es lag nicht in meiner Natur, Spaulding um mehr Geld zu bitten als zwingend notwendig war. Daher brachen wir zeitig auf. In London waren um diese Stunde und Jahreszeit mehr Menschen unterwegs als ich gedacht hatte. Der Schnee knirschte unter meinen Schuhen. Neben uns holperte lautstark ein Fuhrwerk über das schneematschbedeckte Kopfsteinpflaster.

»Er hat nur etwas von einer wichtigen Angelegenheit geschrieben, mehr nicht«, erklärte ich Anne. Kleine Wölkchen kondensierten Atems verließen meinen Mund. Obwohl ich den dicksten Mantel angezogen hatte, musste ich unaufhörlich zittern. Nur mit Mühe konnte ich meine Zähne daran hindern zu klappern, und mein Hut war zwar modisch, bedeckte aber die Ohren nicht, in welchen ich jetzt schon kein Gefühl mehr besaß. Auf einen Schleier, wie man ihn üblicherweise aus Trauergründen vor dem Gesicht trug, hatte ich verzichtet.

»Es zeugt nicht unbedingt von Höflichkeit, sein Gegenüber so im Unklaren zu lassen«, meinte Anne.

»Er ist Anwalt, die sind in den seltensten Fällen höflich, wie ich in letzter Zeit feststellen musste«, erwiderte ich bitter. Der Geruch von frisch Gebackenem umwehte meine Nase, erinnerte mich an mein karges Frühstück. Mein Magen gab ein undamenhaftes Knurren von sich.

»Sie haben zu wenig gegessen, wir sollten eine Kleinigkeit kaufen, bevor wir weitergehen.« Die immer freundliche und gutmütige Anne sprach mit einer Strenge in der Stimme, die ich ihr niemals zugetraut hatte.

»Auf dem Rückweg werden wir uns etwas mitnehmen, versprochen. Jetzt kann ich nichts essen.«

»Ich werde Sie daran erinnern. Wenn Sie mir umkippen, nützt das keinem etwas.«

Ich blieb stehen, drehte mich zu Anne und umrahmte ihr Gesicht mit beiden Händen.

»Meine liebe gute Anne, was würde ich nur ohne Sie tun?«, sagte ich. Sie umgriff meine Hände, zog sie von ihrem Kopf und hielt sie fest.

»Sie sind stark und zusammen sind wir noch stärker, vergessen Sie das niemals.«

»Niemals werde ich das vergessen, was Sie für mich getan haben.« Ich schluckte, Tränen quollen aus meinen Augen. Die eisige Luft kannte kein Erbarmen, biss sofort in meine feuchte Haut. Anne ließ meine Hände los, holte ein Tuch aus ihrem Mantelärmel und tupfte mein Gesicht trocken.

»Sie wollen doch nicht verheult bei dem Anwalt ankommen«, sagte sie.

»Nein das will ich nicht«, stimmte ich ihr zu und wir setzten den Weg fort.

Nach über einer halben Stunde erreichten wir die Kanzlei. Zumindest hatte das Laufen dafür gesorgt, dass mir etwas wärmer geworden war. Nur an den Füßen fror ich noch immer, meine Zehen waren schon ganz taub. Wirklich, ich brauchte unbedingt dickeres Schuhwerk.

Ich betätigte die Glocke, die sich neben dem Schild befand, auf dem der Schriftzug Kanzlei Spaulding, Forrester und Bowe in goldenen Lettern prangte. Ein junger Mann mit Habichtsnase öffnete uns. Er musterte die gefallene Adlige und ihre Zofe mit hochgezogenen Brauen und überheblichem Blick. Wenn ich mich richtig erinnerte, war seine Name Mason. Ich kannte ihn nur vom Sehen, hatte bisher noch nicht viel mit ihm gesprochen. Er war Spauldings Sekretär, Butler, eben Mädchen für alle Belange, so wie es schien.

»Guten Tag, ich habe einen Termin bei Mister Spaulding«, sagte ich, worauf er nickte und zurücktrat. »Bitte, Lady Warrington.« Er deutete in Richtung Empfangshalle.

Ich kam seiner Aufforderung nach, Anne folgte mir.

»Warten Sie bitte in der Bibliothek«, er führte uns in den angesprochenen Raum, dessen Wände mit Büchern gefüllte Regale einnahmen. Vor einem Kamin, in dem ein Feuer brannte, stand eine kleine Sitzgruppe.

»Dürfte ich Ihnen die Mäntel abnehmen«, sagte der Mann.

»Natürlich«, erwiderte ich. Er half mir beim Auskleiden, anschließend kümmerte er sich um Anne.

»Wünschen Sie Tee?«, fragte er, während er die Mäntel ordentlich über seinen Arm legte. Ich wollte ablehnen, aber Anne kam mir zuvor.

»Das wäre wundervoll«, sagte sie.

»Gerne. Bitte nehmen Sie doch Platz, Mister Spaulding wird bald hier sein.« Damit ging der Mann.

»Sie wollten den Tee ablehnen, ist es nicht so? Dabei brauchen Sie jetzt dringend etwas Warmes, Ihre Lippen sind schon ganz blau.« Anne betrachtete mich, als könnte sie in mein Innerstes sehen.

»Danke für Ihre Fürsorge. Nun lassen Sie uns im Sitzen warten, das wird uns auch nicht mehr kosten«, gab ich zurück und nahm vor dem Kamin Platz. Ich streifte die Handschuhe ab, die ich auf meinen Schoss legte, und hielt meine frostigen Finger den wärmenden Flammen entgegen. Nach einem kurzen Zögern entschied sich Anne für den Platz neben mir auf dem Sofa. Man merkte ihr an, dass es ihr als Bedienstete unangenehm war, in meiner Gegenwart zu sitzen. Schweigend starrten wir einige Augenblicke ins Feuer, doch plötzlich beugte sie sich zu mir.

»Sind Sie so gespannt wie ich, zu erfahren, was Mister Spaulding von Ihnen will?«, fragte sie mit gesenkter Stimme.

»Unglaublich sogar, aber eine Dame bewahrt immer die Contenance und lässt sich ihre Curiosité nicht anmerken, wie mein französisches Kindermädchen stets zu sagen pflegte«, erwiderte ich leise. »Wahrscheinlich will er nur wieder …«

Die Tür ging auf und Spaulding, ein Mann in den besten Jahren, betrat den Raum. Sein Oberlippenbart war wie immer sehr beeindruckend, das musste ich zugeben, auch wenn ich Gesichtsbehaarung jeglicher Art nicht mochte.

»Ich bitte zu entschuldigen, dass ich Sie habe warten lassen, meine Liebe.« Er kam auf mich zu, ich legte die Handschuhe auf die Armstütze und erhob mich.

»Meine Zofe Anne kennen Sie bestimmt«, erwiderte ich.

Anne stand ebenfalls auf.

»Vom Sehen, angenehm Ihre Bekanntschaft zu machen.« Er schüttelte kurz Annes Hand, dann nahm er meine.

»Es tut mir wirklich sehr leid, dass ich Sie hierher beordern musste. Aber es ist mir im Moment unmöglich mein Büro zu verlassen, wissen Sie, die Arbeit …«

»Keine Sorge, es hat mir nichts ausgemacht, Sie in Ihren Räumlichkeiten aufzusuchen«, unterbrach ich seinen Entschuldigungsschwall.

»Gut, ich denke, wir bleiben in der Bibliothek. Hier ist es gemütlicher, zudem ist es in meinem Büro wesentlich kühler. Nach Ihren eisigen Händen zu urteilen, müssen Sie sehr frieren.« Mister Spaulding ließ mich los und deutete einladend zu dem Sofa, auf dem ich vor seiner Ankunft schon gesessen hatte. Ich nahm Platz, Anne tat es mir gleich, Mister Spaulding entschied sich für den Sessel uns gegenüber. Er musterte uns einen Augenblick, räusperte sich dann.

»Vielleicht möchte Ihre Zofe in unserer Küche warten«, schlug er vor. »Ich hab doch recht intime Dinge mit Ihnen zu besprechen.«

»Oh, natürlich kann ich dort warten.« Anne stand hastig auf, ihre Wangen glühten, ich hielt sie fest.

»Es gibt nichts, dass Sie mir nicht auch in ihrer Gegenwart sagen könnten«, erwiderte ich entschlossen, Anne sank auf ihren Platz zurück.

»Wie Sie wünschen«, meinte Spaulding mit missbilligendem Gesichtsausdruck. Offensichtlich hielt er es für unangemessen, wenn eine Bedienstete bei einem solch intimen Gespräch anwesend war, wie er es mit mir zu führen beabsichtigte. Aber seine Meinung kümmerte mich nicht. Wenn eine weitere Hiobsbotschaft bezüglich meines Vaters auf mich wartete, wollte ich eine Vertraute an meiner Seite haben. In den letzten Wochen hatte er nur schlechte Nachrichten für mich gehabt. Eine Unmenge Gläubiger war mit ihm in Kontakt getreten. Wenn ich nur an die Schulden dachte, die mein Vater aufgehäuft hatte, wurde mir speiübel. Mason brachte den Tee. Er stellte das Tablett auf einer kleinen Konsole in der Nähe der Sitzgruppe ab. Schweigend sahen wir zu, wie er einschenkte. Anschließend trug er die Tasse, die er auf einen Unterteller gestellt hatte, zu mir, dann kam Anne an die Reihe. Zuletzt versorgte er seinen Arbeitgeber, danach zog er sich wieder zurück. Spaulding nahm einen Schluck, anschließend stellte er seine Tasse auf den kleinen Tisch neben sich. Ich hielt meine fest, trank jedoch nichts, obwohl mein Mundraum vor Anspannung trockener als eine Wüstenei war.

»Ach ja, ehe ich es vergesse, möchte ich Sie noch darüber informieren, dass ich den Bediensteten gestern zum Monatsletzten die Zeugnisse ausgehändigt habe. Es war sehr nett, dass ich die Schreiben verfassen durfte«, ergriff ich das Wort.

»Sie kannten diese Menschen besser als ich. Ich denke mit den von Ihnen ausgestellten Zeugnissen dürften sie keine Schwierigkeiten haben, eine neue Anstellung zu finden.« Sein Blick glitt zu Anne.

»Sie möchte bei mir bleiben und mir helfen, eine Anstellung zu finden«, erklärte ich ihm.

»Es wird dafür keinen Lohn geben«, sagte er zu meiner Begleitung.

»Dessen bin ich mir bewusst.« Anne hielt seinem durchdringenden Blick stand, reckte ihm kämpferisch ihr Kinn entgegen. Spaulding schenkte wieder mir seine Aufmerksamkeit.

»Dann will ich zur Sache kommen. Wie Sie wissen, hat Ihr Vater Ihnen ungeheuer hohe Spielschulden hinterlassen und unzählige Gläubiger sind involviert.«

»Wenn ich an diesem eisigen Morgen von Ihnen hierherbeordert wurde, nur damit Sie mir dies sagen können, hätte ich mir den Marsch durch die Kälte sparen können«, erwiderte ich ungeduldig. Eine meine eher undamenhaften Eigenschaften, die Worte purzelten manchmal schneller aus meinem Mund, als dass sie mein Verstand aufhalten konnte. Spaulding zog eine Braue hoch, schnaubte missbilligend und fuhr fort. »Dorian Graves hat mit mir vorgestern Kontakt aufgenommen. Er ist einer der Gläubiger Ihres Vaters und unter anderem der neue Besitzer von Warrington House, Ihr Londoner Stadthaus, das sollten Sie vielleicht wissen. In seinem Namen möchte ich Ihnen ein zugegebenermaßen ungewöhnliches Angebot unterbreiten.« Mein Gegenüber machte eine bedeutungsschwangere Pause. Nun nippte ich doch an meiner Tasse, um meinen Mund wenigstens etwas feucht zu bekommen.

»Er möchte Sie heiraten«, sagte Spaulding ohne weitere Vorreden und prompt geriet der Tee in den falschen Hals. Ich begann zu husten, Anne stellte ihre Tasse weg und nahm mir schnell meine ab, bevor ich alles über mein Kleid verschüttete.

»Kann ich Ihnen irgendwie helfen«, fragte Spaulding besorgt.

»Nein, es geht schon«, erwiderte ich, krächzte dabei wie eine alte Krähe. Meine Augen tränten, doch endlich bekam ich wieder Luft.

»Was möchte dieser Mrs Graves?«, fragte ich heiser, hoffte Mister Spaulding nicht richtig verstanden zu haben.

»Er möchte Sie heiraten«, wiederholte er. Ich riss ungläubig die Augen auf, neben mir schnappte Anne hörbar nach Luft.

»Lady Warrington, wie Sie wissen war ich jahrelang der Anwalt Ihres Vater und auch so etwas wie ein Freund, möchte ich meinen, sonst hätte er mich nicht gebeten, mich um Sie zu kümmern, falls ihm etwas zustößt. Keiner konnte auch nur ahnen, dass dieser Fall so schnell eintreten würde. Aber leider kann ich Ihnen keine allzu große finanzielle Unterstützung bieten. Das Stadthaus ist in einer Woche zu räumen und eigentlich hätten Sie schon sehr viel früher ausziehen müssen. Aber es kam mir grausam vor, Sie so kurz nach dem unerwarteten Ableben Ihres Vaters auch noch aus Ihrer gewohnten Umgebung zu reißen. Sie können mir glauben, wenn ich Ihnen sage, dass ich nur das Beste für Sie möchte. Eine Ehe mit diesem Mann ist meiner Meinung nach die einfachste Lösung, um Sie aus Ihrer misslichen Lage zu befreien. Ansonsten bliebe nur noch Ihr Vetter in Bristol. Ein einfacher Notar, der in einem Mietshaus lebt, das nicht einmal groß genug für seine Frau und fünf Kinder ist, oder Sie finden eine Arbeit als Gouvernante, die es Ihnen ermöglicht im Haushalt Ihres Arbeitgebers zu leben.«

Noch immer fehlten mir die Worte, ich spürte einen Druck in meinen Kopf, der von herannahenden Schmerzen kündete. Wie paralysiert starrte ich Spaulding an.

»Sagen Sie doch etwas«, forderte er mich auf.

»Dieser Mann möchte was?«, fragte ich ein drittes Mal, in der Hoffnung jetzt eine andere Antwort zu erhalten.

»Sie ehelichen.« Spaulding sprach ganz langsam, als müsste er einer Irrsinnigen die Angelegenheit erklären.

»Er lässt über einen Anwalt den Heiratsantrag machen? Ein Mann, den ich noch nie in meinem Leben gesehen habe? Der es nicht für nötig erachtet, sich bei mir persönlich vorzustellen. Was bildet dieser Mensch sich ein?« Jetzt hatte ich meine Sprache wiedergefunden. »Sie können ihm ausrichten, dass ich es eher vorzöge ein Schwein zu ehelichen.« Ich sprang auf und nahm meine Handschuhe, die ich mir hastig überstreifte. Wie sollte es anders sein, vor Erregung rutschte ich mit den Fingern in die falsche Öffnung. Ungeduldig zupfte ich daran herum. »Warum hat er überhaupt ein Interesse an einer solchen Verbindung? Ich habe kein Geld mehr und auch keinen Titel, den erbt nur ein männlicher Nachkomme, eben besagter Vetter«, fuhr ich Spaulding an.

»Seine Vergangenheit ist recht nebulös. So viel ich in Erfahrung bringen konnte, ist er Geschäftsmann und hat keine Verbindungen zum Hochadel. Durch Sie erhofft er sich wohl Zutritt zu diesen Kreisen«, erklärte Spaulding.

»Es gibt genügend einsame adlige Jungfern mit Vermögen, die so einem Angebot gegenüber sicherlich nicht abgeneigt wären. Soll er einer dieser Damen einen Antrag machen. Ich möchte gehen.« Damit schritt ich in Richtung Tür. Spaulding läutete nach Mason, der einen Augenblick später im Zimmer stand.

»Bitte bringen Sie die Mäntel der Damen«, trug Spaulding ihm auf.

»Sofort Sire«, erwiderte Mason und verschwand wieder.

»Liebe Lady Warrington, überlegen Sie es sich. Mister Graves Angebot umfasst zudem, dass er Ihnen im Falle einer Ehe das Londoner Stadthaus überschreibt. Es würde Ihnen gehören. Ich weiß doch, wie sehr Sie an diesem Haus hängen.«

Ich schluckte und drehte mich zu meinem Anwalt. Er sprach die Wahrheit. Die meisten Verluste, die ich aufgrund der Spielschulden meines Vaters hatte hinnehmen müssen, schmerzten mich eigentlich nicht so sehr. Aber der Verlust des Londoner Stadthauses, des Hauses in dem ich aufwuchs, meine glücklichsten Stunden verbracht hatte, riss ein faustgroßes Loch in mein Herz.

»Er würde es mir überschreiben?«, fragte ich vorsichtig.

»Ja, so lautet sein Angebot. Sobald die Ehe rechtskräftig wäre«, bestätigte Spaulding.

»Ich würde dies gerne von ihm selbst hören. Wie kann ich ihn treffen?«, wollte ich wissen.

»Nicht bevor Sie dem Angebot zugestimmt haben, dann sollen Sie zu ihm reisen. Ich würde Mister Graves Ihre Antwort per Telegraf mitteilen und alles nach seinem Willen arrangieren.«

»Haben Sie diesen Mister Graves schon einmal persönlich getroffen?«

»Nein, wir korrespondierten bisher ausschließlich schriftlich. Er soll aber ein ansehnlicher Mann sein, wie man mir berichtete. Ich lasse Ihnen bis morgen Zeit, dann benötige ich eine Antwort für Mister Graves«, sagte Spaulding. Sein Sekretär brachte die Mäntel. Er half mir zuerst in meinen, dann ging er Anne zur Hand.

»Mason, organisieren Sie den Damen eine Droschke und entlohnen Sie den Kutscher gleich für seine Dienste«, befahl Spaulding seinem Angestellten, der sogleich aus dem Zimmer eilte. Mein Anwalt wand sich wieder mir zu.

»Bitte, Lady Warrington, lassen Sie sich nicht von Ihren Gefühlen leiten. Ich bin der festen Überzeugung Graves ist eine gute Partie, die Sie nicht ausschlagen sollten, denken Sie an die Alternativen.« Spaulding reichte mir die Hand, die ich nahm.

»Gut, ich werde darüber nachdenken. Morgen schicke ich einen Boten zu Ihnen, um meinen endgültigen Entschluss mitzuteilen. Ich danke für die Kutsche. Auf Wiedersehen, Mister Spaulding«, verabschiedete ich mich. Ich ließ ihn los und ging.

»Auf Wiedersehen«, sagte Anne, dann folgte sie mir hinaus.

3. KAPITEL

Endlich waren wir wieder Zuhause. Den ganzen Weg über hatte ich gezetert, wie unverschämt diese Mister Graves sei, dass ich gut allein zurechtkäme und Anne hatte mir geduldig zugehört. Ihre Ohren mussten bereits wie Holzscheite im Kamin glühen. Sie schloss uns die Tür auf, schweigende Kälte empfing uns. Keiner hatte Feuer oder die Lichter entfacht, niemand erwartete uns. Es war kaum ein Tag vergangen, seit die Bediensteten dieses Gebäude verlassen hatten und schon wirkte es wie ein Geisterhaus. Ich erschauderte, ging langsam in die Halle. Anne schloss die Tür hinter mir.

»Ich werde schnell Feuer im kleinen Salon machen. Geben Sie mir Ihren Mantel«, sagte sie.

»Ich sollte mich von nun an allein aus- und ankleiden. Eine Gouvernante hat keine Zofe«, lehnte ich ab.

»Dann mache ich Feuer.« Anne ging in Richtung Salon, ich blieb in der Halle zurück, betätigte den Lichtschalter, die Wandlampen sprangen an, den großen Kronleuchter ließ ich