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Die re:publica 2015 steht ganz im Zeichen Europas. 450 Speaker sprechen unter dem Motto "Finding Europe" zu den neuesten Entwicklungen in der digitalen Gesellschaft und decken die Trends von morgen auf. Dabei werden neue Impulse für fast alle Bereiche des digitalen Lebens diskutiert. Die Agenda reicht von Gesundheit über Medien bis hin zu Wissenschaft und Mobilität. Im re:publica Reader findest du brandaktuell Zusammenfassungen der spannendsten Talks, Interviews mit den Speakern sowie informative Hintergrundtexte zur diesjährigen re:publica.
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Seitenzahl: 142
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Manchmal kann es so richtig blöd werden, wenn viele Leuten zusammenkommen: Stress, Ärger, Langeweile. „Schwarmdummheit“, so hat Gunter Dueck das in seinem genialen Vortrag während der re:publica genannt. Es geht aber auch anders mit krassneuen Erkenntnissen, spannenden Vorträgen und coole Diskussionen beim Bier. Das ist dann Schwarmintelligenz auf höchstem Niveau wie auf dem Station-Gelände in Kreuzberg. Der Sammelband des Readers, dem schnellsten Buch der Welt, erinnert an die Höhepunkte der drei Tage re:publica. Und damit das hier das kürzeste Vorwort aller Zeiten wird, ist schon Schluss. Viel Vergnügen beim Lesen, Stöbern und Erinnern.
Jörg Hunke @joerghunke, Michaela Pfisterer @PfistererLive, Melanie Reinsch @M_Reinsch,www.berliner-zeitung.de
Die Show beginnt mit Nerds, Netzpolitik und dem Neuesten aus der Internetwelt. Seit Dienstagmorgen diskutieren zum neunten Mal mehr als 450 Redner auf der re:publica in Berlin über netzrelevante Themen. Das Motto dieses Jahr: Finding Europe. Erste Stimmen und Bilder bei uns im Video.
Text: Jonas Rest @JonasRest
Die Konferenz beginnt mit Zombies. Mit den Themen, die wie Untote immer wieder hochpoppen seit die re:publica vor neun Jahren als Bloggertreffen mit einigen hundert Gleichgesinnten gestartet ist. Inzwischen ist sie zur wichtigste digitale Gesellschaftskonferenz in Deutschland geworden. Die immergleichen Zombie-Themen verfolgen die re:publica aber weiterhin. „Es ist ein bisschen wie bei bei Täglich grüßt das Miurmeltier“, sagte der Re:publica-Mitgründer und Netzaktivist Markus Beckedahl bei der Eröffnung.
Da ist etwa die anlasslose Massenüberwachung durch die Vorratsdatenspeicherung. Über die wurde schon auf der ersten re:publica diskutiert, erinnert Beckedahl. Das Bundesverfassungsgericht stoppte sie schließlich. Nun versucht die Bundesregierung sie unter neuem Namen wieder einzuführen - obwohl jeder Beleg der Wirksamkeit bei der Terror-Abwehr fehlt. „Unsere Eltern würden nicht akzeptieren, dass viele Wochen gespeichert wird, mit wem sie wann am Zaun geredet haben, wem sie beim Einkaufen getroffen haben oder mit wem sie beim Kaffeekränzchen zusammensaßen. Aber in der digitalen Welt soll das alles gespeichert und protokolliert werden.“ Beckedahl bekommt tosenden Beifall, als er fordert: „Wir brauchen einen Ausstieg aus der Totalüberwachung.“
Der nächste Zombie: Die Abschaffung der so genannten Netzneutraliät: So nennt man das Prinzip, nach dem alle Datenpakete gleichberechtigt durch das Internet geleitet werden. Ein Verbot von Überholspuren im Internet also, damit nicht alle gedrosselt werden, die sich die Maut-Spuren nicht leisten können. Gerade mal ein Jahr ist es her, dass es Netzaktivisten gelungen war, eine Kampagne aufzubauen, die letztlich das Europäische Parlament dazu brachte, mit überwältigender Mehrheit für klare Regeln zur Netzneutralität zu stimmen. Doch nun ist die Gefahr der Drosselung schon wieder auf dem Tisch. Die Bundesregierung hat auf Druck der Telekom-Konzerne beim EU-Rat durchgesetzt, dass über die Befürwortung der Netzneutralität durch das Europäische Parlamentes noch einmal verhandelt wird.
Ein Ablauf, der auch zeigt: Sobald es um was geht, wird es es kompliziert - und entschieden wird meist auf EU-Ebene. „Die Rahmenbedingungen für das digitale Leben werden vor allem in Brüssel gemacht“, sagt Beckedahl. Auch deshalb heißt die Konferenz in diesem Jahr „Finding Europe“ - es geht auch darum, auf europäischer Ebene Gegenstrategien zu entwickeln.
Dabei gehe es längst nicht mehr um die Mobilisierung der vielzitierte Netzgemeinde, sagt Beckedahl später bei einem Vortrag, den er „Die Netzgemeinde ist am Ende” genannt hat. Ins Internet zu schreiben, wie es hier viele nennen, definiert keine Szene mehr - die ganze Gesellschaft schreibt inzwischen ins Internet, wenn sie Facebook, Instagram oder Whatsapp nutzt. 80 Prozent der Bevölkerung sei im Internet, sagt Beckedahl. „Die Netzgemeinde ist die Gesellschaft.“
Dass somit auch die Re:publica zur Gesellschaftskonferenz geworden ist, macht bei der Eröffnung Blogger- und Re:publica-Mitgründer Johnny Häusler deutlich. Er vergleicht die deutsche Mauer mit der Abschottung der europäischen Grenzen und sagt: „Wir sind wieder von Mauern umgeben.“ Mauern, die sehr viel weitläufiger und sehr viel höher seien - und tödlicher: „An diese Mauern sind in den letzten wenigen Jahren mehr Menschen gestorben als in den 28 Jahren an der deutschen Mauer.“ Der Unterschied sei aber auch: „Bis heute warten wir vergeblich auf Politikerinnen und Politiker , die den Abriss dieser Mauer fordern.“
Text: Melanie Reinsch @M_Reinsch
Fast täglich erreichen uns Nachrichten von ertrunkenen Flüchtlingen, von gekenterten Booten im Mittelmeer. Eine der schlimmsten Flüchtlingskatastrophen vor der lybischen Küste liegt gerade mal zwei Wochen zurück: Rund 800 Flüchtlinge überlebten die Fahrt über das Mittelmeer nicht. In den ersten vier Monaten dieses Jahres kamen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge 1780 Flüchtlinge ums Leben. Das Thema ist aktueller denn je und daher auch für die re:publica Anlass, gleich nach der Eröffnungsveranstaltung über Migrationspolitik und Willkommenskultur zu diskutieren und der Frage nachzugehen, was der Staat tut - und was er eben nicht tut.
„Wir gewöhnen uns an solche Nachrichten, das beunruhigt mich“, sagt Vassilis Tsianos von der Uni Hamburg. Tsianos engagiert sich im Bereich Grenzforschung. Obwohl er die Situation am Mittelmeer als eine der größten humanitären Katastrophen einschätzt, erkennt er doch eine Entwicklung in der Politik. „Das europäische Parlament verlangt jetzt Lösungen, man sieht ein Aufwachen eines europäischen Gewissens, da ist Potential vorhanden.“ Trotzdem müsse im Sommer mit weiteren Katastrophen gerechnet werden, glaubt er. Die Lage bleibt brisant.
Ferda Atamann, Politikwissenschaftlerin und Journalistin erkennt ebenfalls die Gefahr eines „Abstumpfungsprozesses“. Sie glaubt, dass das Thema in vier Wochen wieder vom Tisch sein kann, wenn der öffentliche Druck nicht groß genug ist. Sie ärgert sich vor allem die Diskussion um die Schlepperbanden, die Vizekanzler Siegmar Gabriel (SPD) bekämpfen will. Ihr Prognose: „Das Thema wird wichtiger werden, es wird weiterhin Widerstand geben und es ist nicht unwahrscheinlich, dass es mehr Tote geben wird. Da kommt noch einiges auf uns zu.“
Mohamad Al Ashrafani kam vor elf Monaten aus Syrien über den Libanon und die Türkei nach Deutschland. Auch er stößt hier in Deutschland an seine Grenzen, vor allem bei den Behörden. In Syrien hat er als Zahntechniker gearbeitet, nun absolviert er im Juni ein zweites Praktikum in einem Zahnlabor, lernt Deutsch und versucht in Berlin Arbeit zu bekommen. „Vor allem die Wohnungssuche gestaltet sich als schwierig“, sagt er. Und auch beim Asylantrag gibt es Probleme: Obwohl Asylanträge von Flüchtlingen aus Syrien und anderen extrem unsicheren Ländern schneller bearbeitet werden sollen, wartet Al Ashrafani schon seit acht Monaten auf eine Anhörung. Zu lang.
Genau solchen Menschen hilft Katharina Mühlbeyer. Sie arbeitet bei „Moabit hilft! Willkommensinitiative für Geflüchtete in Berlin-Moabit“, eine ehrenamtliche Kontakt- und Lotsengruppe für Flüchtlinge aus Syrien. Sie hilft Migranten durch das Behördenwirrwarr zu finden, unterstützt bei Arztterminen und setzt sich für die Rechte der Flüchtlinge ein. „Viele wissen über ihre Rechte nicht Bescheid. Die Behörden versagen, Menschen werden obdachlos, sie erhalten keine Grundversorgung, obwohl es einen Anspruch auf medizinischen Versorgung und sogar auf Taschengeld gibt.“
Text: Johannes Kirchmeier @jokirchmeier
Man ahnt es schon an der altertümlichen Sprache: Martin Fischer, Cornelis Kater und Sven Sedivy haben die re:publica gerade um gute 200 Jahre in die Vergangenheit katapultiert. “Wir haben uns einfach mal überlegt, wie es bei uns ohne Europa aussehen würde”, sagt der Grafiker Sedivy. Das bedeutet: Kleinstaaterei statt Zusammenschluss, Unterdrückung durch Lehnsherrn statt Freiheit, dauerhafte Einschränkung.
Herausgekommen ist der Vortrag “Mein Lehnsherr liest meine E-Mails - zu Besuch in einem anderen Europa”: drei kleine Monologe der Speaker, die Kritik üben sollen - an der Mentalität der Menschen und der Politik in der Jetzt-Zeit. Immer wieder blicken die drei Redner, die aus mehreren fiktiven deutschen Kleinstaaten nach Berlin gereist sind, auf “Groß-Groningen”, ein Synonym für den perfekten Staat ohne Grenzen und Barrieren.
Diese Retrospektive ist ein Trick, um aktuelle Missstände in Deutschland anzuprangern. Anders als die deutsche Regierung macht sich etwa die niederländische für ein offenes und freies Internet stark. “Vielleicht erleben wir ja mal ein kabelfreies Netz - so wie drüben in Groß-Groningen. Dann hätte ich sogar Internet in meiner Backstube”, schwärmt Sedivy und meint damit sein Lieblingscafe, in dem er von der digitalen Welt abgeschnitten ist.
Er und seine Kollegen üben zudem Kritik am wenig innovativen deutschen Städtebaukonzept, den Handelsschranken und Reisebeschränkungen. Reisefreiheit und Handel funktionieren inzwischen zwar besser als zu Kleinstaatenzeiten. Eine Welt der unbegrenzten Möglichkeiten existiert jedoch auch heute noch nicht.
Am Ende aber gaben sie sich versöhnlich: “Europa ist zwar noch nicht perfekt, aber immerhin schon einen Schritt weiter als vor 200 Jahren.”
Mohamad Al Ashrafani lebt in Berlin. Er ist ein Flüchtling aus Syrien und wartet gerade auf sein Asylanerkennungsverfahren. Ein Interview, bei dem drei Fotos mehr sagen als tausend Worte.
Wie fühlst Du Dich, wenn Du an Deine Zukunft in Europa denkst?
Wie geht es Dir, wenn Du an Deine Heimat Syrien denkst?
Du kommuniziert über Whats App mit Deiner Familie, die Du zurücklassen musstest. Was bedeutet für Dich die digitale Kommunikation?
Johannes Kirchmeier @jokirchmeier
Pegida - patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes. Dieser Name spaltet die Nation. Neben erbitterten Gegnern mobilisierte die Bewegung an Montagabenden mehrere Zehntausend Menschen - von Facebook aus. Knapp 160.000 Likes hat die Seite inzwischen.
Pegida ist der Höhepunkt rechter Hetze im Netz - aber kein Einzelfall. Bereits seit den 1990er Jahren ist das Internet für rechte Gruppen ein wichtiges Medium für Mobilisierung und Rekrutierung. “Zudem ist es auch ein Sprachrohr für rechte Gesinnung und Anschauungen”, sagt die Politikwissenschaftlerin Julia Schramm.
Oft nähern sich Pegida und andere rechte Seiten ihren potenziellen Anhängern mit sehr weichen Themen. Tierschutz, Heimatschutz und der Schutz von Frauen vor Vergewaltigungen spielen eine Rolle. Schlachtrufe wie “Zurück zur D-Mark” oder Fackelläufe sollen die gewonnene Bindung verstärken. Und Pegida wurde nicht nur in Deutschland, sondern überall in Europa zu einem Schlager. Zumindest im Netz.
Unmittelbarkeit, Anonymität und versteckte Foren im Internet befeuern rechte Parolen. Oft tarnen sich Rechte hinter Ironie und Satire. “Dabei werden nach Aussagen gegen Minderheiten einfach ‘Zwinkersmileys’ eingebaut“, sagt Schramm. Die Auslassungen treffen trotzdem.
Neben Pegida sorgte im vergangenen Oktober die Gruppierung HoGeSa (“Hooligans gegen Salafisten”) für Schlagzeilen. Die verwüstete die Kölner Innenstadt, die Polizei bekam den Mob nicht in den Griff. Organisiert hat sich auch diese Gruppe auf Facebook. Inzwischen hat sie weitere Märsche veranstaltet, bis sie sich im Januar spaltete: “Die Hooligans gehen nicht mehr auf die Straße, sondern zurück ins Stadion”, sagt Laura Piotrowski, Redakteurin bei der Internet-Plattform “Fussball-gegen-Nazis.de”, und fügt an: “Was jetzt kommt, wird eine spannende Frage.”
Piotrowski und Schramm mahnen zur Vorsicht im Netz und empfehlen, bei den sozialen Medien Facebook und Twitter rechte Accounts zu melden. Dann sei ein erster Schritt gegen rechte Hetze im Netz getan.
Text: Moritz Stadler @Mc_Stadler
In Europa leben 80 Millionen Menschen mit Behinderung. Das Internet bietet ihnen die Möglichkeit, sich zu vernetzen und ihre Stimme zu erheben. Es entsteht eine immer stärkere Behindertenbewegung, der sich europaweit Aktivisten anschließen - mit und ohne Behinderung. Im Vergleich zur Frauenbewegung sei die Behindertenbewegung noch Jahre hinterher, sagt Raúl Aguayo-Krauthausen in dem Vortrag „Finding Inclusion in Europe“, den er gemeinsam mit Mareice Kaiser auf Stage 3 hält. Immer noch würden Inklusionsdiskurse hauptsächlich von Menschen geführt, die selbst keine Behinderung haben. Das Motto sollte lauten: „Nichts über uns, ohne uns“. Um eine möglichst breite Bewegung zu werden, müsse man auch jungen und unerfahrenen Aktivisten den Zugang zur Szene gewähren, sagt Aguayo-Krauthausen. Deswegen haben er und Mareice Kaiser unter dem Hashtag #FindingInclusion Online-Aktivisten gesucht, die mit unterschiedlichen Methoden in ganz Europa für die Rechte von Menschen mit Behinderung kämpfen. Über 200 „Graswurzelaktivisten“ habe man gefunden. Sie werden auf der Seite findinginclusion.eu aufgelistet. Ihre sechs „Lieblingsaktivisten“ stellten Aguayo-Krauthausen und Kaiser auf der re:publica vor. Zur Szene der Aktivisten stoßen auch immer mehr Menschen, die selbst keine Behinderung haben. Das Engagement von Nicht-Behinderten ist durchaus umstritten, das zeigt auch die Diskussion auf der re:publica. „Häufig lese ich in Artikeln über Menschen mit Behinderung Zitate von Therapeuten, Eltern und Ärzte, nur von behinderten Menschen selbst kein Wort”, sagt eine Teilnehmerin. Daher müsse man weiter zunächst dafür kämpfen, Behinderten eine Stimme zu geben. Die Frage ist: Wie inklusiv ist die Inklusionsdebatte? Das Problem sieht auch Aguayo-Krauthausen: „Es ist richtig, auch Nicht-Behinderten die Möglichkeit zu geben, für die Rechte von Behinderten zu kämpfen”, sagt Aguayo-Krauthausen, „denn auch ein Mann kann Feminist sein. Aber nicht an der Spitze der Bewegung“.
Text: Mirijam Trunk @miritrunk
Wenn das Lämpchen am Kopfhörer grün leuchtet, sind alle dabei. Engländer verstehen perfekt Deutsch, Deutsche verstehen problemlos Englisch, fließend und fehlerfrei. Sprache ist kein Hindernis mehr auf der re:publica, auch nicht für Gehörlose. Jeder soll die Informationen bekommen können, die er braucht – unabhängig von Muttersprache, Kultur oder Handicaps.
Seit 2012 sorgt das Social Start-Up VerbaVoice dafür, dass Menschen mit Hörbehinderung ebenso von einem Dolmetscher unterstützt werden, wie Besucher aus dem Ausland. Per Live-Untertitel können bei der re:publica alle Besucher auf der Stage 1 mitlesen, was gesprochen wird. Gleichzeitig übersetzt ein Dolmetscher in Gebärdensprache. Wer zu weit hinten sitzt oder schlechte Sicht auf die Leinwand hat, kann Text und Gebärdensprache per App oder im Internet mitverfolgen. „Barrierefreiheit ist eine Frage des Angebots“, sagt Lukas Gnettner von VerbaVoice.
VerbaVoice will Technologien entwickeln, um die sprachliche Barrierefreiheit zu verbessern. Zum Beispiel in der Uni: Der Dozent bekommt ein Mikro, das mit dem Tablet oder Laptop des Studenten gekoppelt wird. Übers Internet laufen die Informationen der beiden Geräte auf einem Server zusammen. „Dort sitzt dann jemand, der das entweder live transkribiert oder durch einen Gebärdensprachendolmetscher übersetzt“, erklärt Gnettner. Die Dolmetscher sitzen teils in Europa, teils in den Bundesländern verteilt und werden über die Plattform in Paaren zusammengeschaltet. Online sprechen sie sich ab, wechseln nach Bedarf und kontrollieren sich gegenseitig. Gebucht und bezahlt wird nur so lange, wie der Dienst gebraucht wird – ohne Wartezeiten und ohne Kosten für Anreise oder Tagespauschalen.
„Wenn du in deiner Muttersprache übersetzt, ist die Leistung erheblich besser“, sagt Gnettner. Das Dolmetscher-Team besteht meistens aus einem gehörlosen Dolmetscher, der den transkribierten Text übersetzt und einem Muttersprachler. Bei englischsprachige Vorträgen schaltet sich also die Dolmetscherin aus London ein, bei deutschsprachigen ein Dolmetscher aus Deutschland.
VerbaVoice will in immer mehr Bereichen einen Zugang für Gehörlose schaffen. In drei deutschen Landtagen werden die Sitzungen übersetzt und per Internet übertragen. Gemeinsam mit dem Deutschen Fußball-Bund will VerbaVoice auch Fußballspiele kommentieren, beim Pokalfinale und beim Champions-League-Finale soll es per App Untertitel und Übersetzung in Gebärdensprache geben. In Zusammenarbeit mit Sony entwickelt VerbaVoice die „iCap“, eine Brille, die im Herbst 2015 auf den Markt kommen soll: „Das ist das Hörgeschädigten-Äquivalent zu Kopfhörern“, sagt Gnettner, „die Brille ist gekoppelt mit einem Smartphone und einer App, die wir entwickeln. Die Idee ist, dass ein Hörgeschädigter in einen Konferenzraum geht und dort mitbekommt, was ein Redner sagt, in dem ihm die Untertitel direkt vor seine Augen projiziert werden.“
Das Münchner Start-Up VerbaVoice ist dafür da, um „die Köpfe zu öffnen“, sagt Gnettner. „Es sollte nicht immer eine Frage der finanziellen Mittel sein, sondern einfach zur Verfügung gestellt werden. Der Bedarf wird sich dann zeigen, wenn das Angebot da ist.“
Text: Philipp Fritz @phil_ipp_fritz
Es gibt Konferenzen, auf denen werden Jutebeutel an nur wenige Besucher ausgegeben, zum Beispiel an akkreditierte Presseleute oder Redner, die sich Backstage zudem noch kostenfrei den Bauch mit Häppchen vollhauen können. In jedem Fall gehört man zu einem exklusiven Klub.
Auf der re:publica verhält es sich anders. Die Konferenz ist in Bezug auf den diesjährigen Jutebeutel ein egalitäres Happening. Jeder, wirklich jeder hat das gleiche uninspirierte Stück Stoff um die Schulter baumeln. Es zeigt das Logo der Konferenz, ein Piktogramm eines Megaphons und vier Unternehmensnamen. Was das Megaphon mit dem Titel "Finding Europe" zu tun hat, darüber gibt der Jutebeutel leider keine Auskunft.
Stattdessen findet man das Konferenzprogramm und weitere Zetteleien. Eine Pappbanane ist auch dabei. Warum? Es hat bestimmt etwas mit dem Megaphon zu tun oder Europa. Gibt es nicht eine Bananenverordnung? Europa ist eine Banane. Den Eindruck zumindest kann man bekommen, wenn man in der Veranstaltung "Die Vermessung der Medienwelt" war. In der nämlich wurde Europa vor dem Internetriesen USA sehr klein gemacht. Ohne Harald Welzer wäre das Leistungsprinzip auch hier total.
Aus einem hässlichen Jutebeutel lässt sich viel herauslesen - wenn man will. Wenn man nicht will, kann man ihn auch einfach an der Garderobe abgeben.
Der erste Tag der re:publica 2015 neigt sich dem Ende zu. Auch visuell war es ein Fest: die Individualität der Besucher kennt keine Grenzen. Das sind unsere Outfits des Tages.