Ready Player Two - Ernest Cline - E-Book
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Ready Player Two E-Book

Ernest Cline

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Beschreibung

Die lang erwartete Fortsetzung des Bestsellers "Ready Player One", die Vorlage zu Steven Spielbergs Blockbuster. Einige Tage nachdem er das Easter Egg von James Halliday gefunden und den Wettbewerb um die OASIS für sich entschieden hat, macht Wade Watts eine Entdeckung, die alles verändern könnte. In einem seiner Tresorräume hat Halliday eine Technologie für ihn versteckt, die die OASIS noch wundervoller und suchterzeugender macht, als es sich Wade je hätte träumen lassen. Doch gleichzeitig wird er vor ein Rätsel gestellt und muss ein weiteres Abenteuer bestehen. Es gilt ein letztes Easter Egg zu finden, das Halliday in der Oasis versteckt hat. Und diesmal hat Wade einen Konkurrenten, der über Leichen geht. Er merkt bald, dass nicht nur sein eigenes Leben auf dem Spiel steht, sondern das von Millionen anderer Menschen, und vielleicht sogar das Schicksal der gesamten Welt. Ein originelles und actionreiches Abenteuer durch die virtuelle Welt der OASIS, wie es sich nur Ernest Cline ausdenken kann.

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Seitenzahl: 632

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Ernest Cline

Ready Player Two

Roman

 

Aus dem amerikanischen Englisch von Sara Riffel, Alexandra Jordan und Alexander Weber

 

 

 

Über dieses Buch

 

 

Einige Tage nachdem er das Easter Egg von James Halliday gefunden und den Wettbewerb um die OASIS für sich entschieden hat, macht Wade Watts eine Entdeckung, die alles verändern könnte. Denn tief verborgen im Code der virtuellen Welt liegt ein weiteres Geheimnis – eine Technologie, die die OASIS noch wundervoller und suchterzeugender macht, als es sich Wade je hätte träumen lassen.

Um das Geheimnis zu lüften, muss er jedoch ein letztes Rätsel lösen, ein letztes Abenteuer bestehen. Und diesmal hat er einen Konkurrenten, der über Leichen geht. Wade merkt bald, dass nicht nur sein eigenes Leben auf dem Spiel steht, sondern das von Millionen anderer Menschen, und vielleicht sogar das Schicksal der gesamten Welt.

Ein originelles und actionreiches Abenteuer durch die virtuelle Welt der OASIS, wie es sich nur Ernest Cline ausdenken kann.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Ernest Cline ist international erfolgreicher Roman- und Drehbuchautor, Vater und Vollzeit-Geek. Er ist Verfasser der Romane »Ready Player One« und »Armada« und hat am Drehbuch für Steven Spielbergs Verfilmung von »Ready Player One« mitgearbeitet. Seine Bücher wurden in über 50 Ländern veröffentlicht und standen mehr als 100 Wochen auf der »New York Times«-Bestsellerliste. Zusammen mit seiner Familie – sowie einer großen Sammlung klassischer Videospiele und einem zeitreisenden DeLorean – lebt er in Austin, Texas.

Für Maureen O’Keefe Cline

und ihre Namensschwester

Maureen O’Keefe Aptowicz

Zwischensequenz

Nachdem ich Hallidays Wettbewerb gewonnen hatte, blieb ich ganze neun Tage lang offline – ein persönlicher Rekord.

Als ich mich schließlich wieder in meinen OASIS-Account einloggte, saß ich in meinem neuen Eckbüro im obersten Stockwerk des GSS-Wolkenkratzers im Zentrum von Columbus, Ohio, bereit, meinen Job als Miteigentümer der Firma anzutreten. Die anderen drei waren noch quer über den Globus verteilt: Shoto war in seine Heimat Japan zurückgekehrt, um dort die Zweigstelle von GSS in Hokkaido zu übernehmen. Aech befand sich auf einem längeren Urlaub im Senegal – das Land ihrer Vorfahren, das sie schon ihr ganzes Leben lang hatte besuchen wollen. Und Samantha war nach Vancouver geflogen, um ihre Sachen zu packen und sich von ihrer Großmutter Evelyn zu verabschieden. Sie würde erst in etwa vier Tagen hier in Columbus eintreffen, was mir wie eine Ewigkeit vorkam. Um mich abzulenken, loggte ich mich wieder in die OASIS ein und probierte ein paar der Superuserfähigkeiten aus, die mein Avatar jetzt besaß.

Ich kletterte in meine brandneue, topmoderne OASIS-Immersionsanlage, eine Habashaw OIR-9400, setzte meine Videobrille auf, zog haptische Handschuhe an und startete den Log-in-Vorgang. Mein Avatar tauchte an genau derselben Stelle wieder auf, an der ich mich zuletzt ausgeloggt hatte, auf dem Planeten Chthonia, vor dem Eingangstor von Burg Anorak. Wie ich mir schon gedacht hatte, waren dort bereits Tausende andere Avatare versammelt, die alle geduldig auf meine Rückkehr warteten. Den Schlagzeilen der Newsfeeds zufolge kampierten viele von ihnen schon hier, seit ich sie nach unserer epischen Schlacht gegen die Sechser wiederauferstehen ließ.

In meiner ersten Amtshandlung als neuer Besitzer von GSS, ein paar Stunden nach Ende des Kampfs, hatte ich unseren Admins die Anweisung erteilt, alle Gegenstände, Credits und Powerlevel, die diese heldenhaften User verloren hatten, zusammen mit ihren Avataren wiederherzustellen. Das war meiner Ansicht nach das Mindeste, was wir tun konnten, um uns für ihre Hilfe zu revanchieren, und Samantha, Aech und Shoto sahen es genauso. Es war die erste Entscheidung, die wir als Eigentümer gemeinsam trafen.

Sobald die Avatare in meiner Nähe mich bemerkten, kamen sie von allen Seiten gleichzeitig heran. Um dem Gedränge zu entgehen, teleportierte ich mich ins Innere der Burg, in Anoraks Bibliothek – ein Raum im höchsten Turm, den ich, dank Anoraks Umhang, als Einziger betreten konnte. Das obsidianschwarze Kleidungsstück stattete meinen Avatar mit den gottgleichen Kräften aus, die Hallidays eigener Avatar früher besessen hatte.

Ich schaute mich in der vollgestellten Bibliothek um. Hier hatte mich vor etwas über einer Woche Anorak zum Gewinner von Hallidays Wettbewerb erklärt und damit mein Leben für immer verändert.

Mein Blick fiel auf das Gemälde eines schwarzen Drachens an der Wand. Darunter befand sich ein reichverzierter kristallener Sockel, auf dem ein mit Edelsteinen geschmückter Kelch stand. Und in diesem Kelch ruhte der Gegenstand, nach dem ich so viele Jahre gesucht hatte: Hallidays silbernes Easter Egg.

Ich ging hinüber, um es mir noch einmal anzuschauen, und das war der Moment, als mir etwas Seltsames auffiel – eine Inschrift auf der ansonsten makellosen Oberfläche des Eis. Eine, die vor neun Tagen, als ich es zum letzten Mal gesehen hatte, definitiv noch nicht da gewesen war.

Kein anderer Avatar konnte diesen Raum betreten. Niemand konnte sich an dem Ei zu schaffen gemacht haben. Die Inschrift konnte also nur auf eine Weise dorthingelangt sein. Halliday selbst musste dafür gesorgt haben, dass sie auf der Oberfläche des Eis erschien. Womöglich war sie sofort, nachdem Anorak mir seinen Umhang gegeben hatte, aufgetaucht, und ich war einfach zu abgelenkt gewesen, um es zu bemerken.

Ich beugte mich vor, um die Inschrift zu lesen: GSS – 13. Stockwerk – Tresorraum #42–8675309.

Plötzlich hämmerte mein Puls in meinen Ohren. Ich loggte mich sofort aus der OASIS aus und kletterte aus der Anlage. Dann stürmte ich aus meinem neuen Büro, sprintete den Korridor entlang und sprang in den erstbesten Aufzug. Das halbe Dutzend GSS-Angestellte in der Kabine vermied es, Blickkontakt mit mir aufzunehmen. Ich konnte mir vorstellen, was sie alle dachten: Hier kommt der neue Boss, genauso schräg wie der alte.

Ich nickte ihnen höflich zu und drückte den Knopf für die »13«. Dem interaktiven Gebäudeverzeichnis auf meinem Handy zufolge befand sich im dreizehnten Stockwerk das Firmenarchiv. Natürlich hatte Halliday es dorthinverlegt. In einer seiner Lieblingsserien, Max Headroom, befand sich das verborgene Forschungs- und Entwicklungslabor von Network 23 im dreizehnten Stockwerk. Außerdem war The 13th Floor auch der Titel eines alten Science-Fiction-Films zum Thema virtuelle Realität, der 1999 herauskam, kurz nach Matrix und eXistenZ.

Als ich den Aufzug verließ, nahmen die bewaffneten Securityleute an der Wachstation Haltung an. Einer von ihnen scannte meine Netzhaut, um meine Identität zu bestätigen – eine reine Formalität. Dann führte er mich an der Station vorbei, durch ein Paar gepanzerter Türen in ein Labyrinth aus hell erleuchteten Korridoren. Schließlich erreichten wir einen großen Raum, an dessen Wänden sich Dutzende nummerierter Türen reihten, die wie überdimensionierte Schließfächer jeweils mit einer Zahl gekennzeichnet waren.

Ich bedankte mich bei dem Wachmann und sagte ihm, dass er gehen könne. Dann schritt ich die Türen ab. Da war sie: Nummer 42. Wieder einer von Hallidays Witzen – in einem seiner Lieblingsromane ist die Zahl 42 die »ultimative Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest«.

Ein paar Sekunden lang stand ich nur da und musste mich daran erinnern zu atmen. Dann tippte ich die Ziffern aus der Inschrift in das Tastenfeld neben der Tresortür ein: 8–6–7–5–3–0–9, eine Kombination, die sich jeder Jäger, der etwas auf sich hielt, problemlos merken könnte. Jenny, I’ve got your number. I need to make you mine …

Das Schloss schnappte zurück, und die Tür schwang auf. Dahinter kam das würfelförmige Innere des Tresors zum Vorschein – und ein großes silbernes Ei, das sich darin befand. Es sah genauso aus wie das virtuelle Ei in Anoraks Bibliothek, nur dass sich bei diesem hier keine Inschrift auf der Oberfläche befand.

Ich wischte meine verschwitzten Handflächen an meinen Oberschenkeln ab – ich wollte das Ding bloß nicht fallen lassen – und nahm das Ei an mich. Dann setzte ich es auf einem Stahltisch in der Mitte des Raums ab. Das untere Ende war etwas beschwert, deshalb wackelte es kurz und blieb dann aufrecht stehen wie ein Stehaufmännchen. Als ich mich vorbeugte, um das Ei genauer zu betrachten, entdeckte ich an der Oberseite ein kleines, ovales Daumen-Scanfeld, das nahtlos in die gewölbte Oberfläche eingelassen war. Ich drückte den Daumen darauf, und das Ei teilte sich in der Mitte und klappte auf.

Innen ruhte, auf blauen Samt gebettet, eine Art Headset.

Ich nahm es heraus und drehte es in den Händen. Das Gerät besaß in der Mitte einen segmentierten Dorn, der von der Stirn des Trägers bis zum Nacken reichte und an dem auf beiden Seiten jeweils fünf C-förmige Metallstreifen befestigt waren. Jeder dieser Streifen bestand aus mehreren ineinander schiebbaren Segmenten, an deren Unterseite sich kreisrunde Sensoren befanden. Dadurch ließen sich die Sensoren an verschiedene Kopfformen und -größen anpassen. Am unteren Ende des Headsets war ein langes Glasfaserkabel angebracht, das in einen gewöhnlichen OASIS-Konsolenstecker überging.

Hatte mein Herz zuvor schon gegen meine Rippen gehämmert, so blieb es jetzt beinahe stehen. Das musste irgendein neuartiges Peripheriegerät für die OASIS sein – eines, das ich noch nie gesehen hatte.

Das Ei gab ein kurzes elektronisches Piepen von sich, und ich schaute wieder dorthin. Ein roter Lichtblitz flammte auf, als ein winziger Netzhautscanner zum zweiten Mal meine Identität bestätigte. Dann schaltete sich ein kleiner Videobildschirm im offenen Deckel des Eis ein, und für ein paar Sekunden tauchte das GSS-Logo auf. Gleich darauf wich es dem runzligen Gesicht von James Donovan Halliday. Seine ausgemergelten Züge deuteten darauf hin, dass er die Videoaufzeichnung kurz vor seinem Tod gemacht hatte. Trotz seines Zustands hatte er bei der Aufnahme allerdings nicht seinen OASIS-Avatar benutzt wie bei Anoraks Einladung. Aus irgendeinem Grund hatte er diesmal beschlossen, persönlich aufzutreten, im brutalen, unerbittlichen Licht der Realität.

»Das Gerät, das du jetzt in Händen hältst, ist ein OASIS-Neuralinterface oder ONI.« Er sprach es O-En-Ei aus. »Es ist das erste voll funktionsfähige nichtinvasive Hirn-Computer-Interface der Welt. Damit können OASIS-User die virtuelle Umgebung ihrer Avatare sehen, hören, riechen, schmecken und spüren, mit Hilfe von Signalen, die direkt in die Großhirnrinde gesendet werden. Die Sensoren des Headsets überwachen und analysieren außerdem die Hirnaktivität der Träger, so dass sie ihren OASIS-Avatar genauso lenken können wie ihren realen Körper – einfach durch die Kraft ihrer Gedanken.«

»Ich fass es nicht«, hörte ich mich selbst flüstern.

»Und das ist erst der Anfang«, sagte Halliday, als wüsste er, was ich gerade gesagt hatte. »Ein ONI-Headset kann auch dafür verwendet werden, die Erlebnisse der Träger in der realen Welt aufzuzeichnen. Alle Sinneseindrücke, die ihr Gehirn empfängt, werden digitalisiert und als .oni-Datei auf einem externen Laufwerk an ihrem Headset gespeichert. Wird diese Datei in die OASIS hochgeladen, kann die Person, die sie aufgenommen hat, das gesamte Erlebnis noch einmal abspielen und neu durchleben oder es mit anderen ONI-Usern teilen.«

Halliday brachte ein dünnes Lächeln zustande.

»Anders ausgedrückt: Mit Hilfe des ONI kann man Momente im Leben anderer Menschen durchleben. Die Welt mit ihren Augen sehen, mit ihren Ohren hören, durch ihre Nase riechen, mit ihrer Zunge schmecken und mit ihrer Haut spüren.« Halliday nickte sachlich in die Kamera. »Das ONI ist das bedeutendste Kommunikationsmittel, das die Menschheit je erfunden hat. Und ich glaube, es wird wohl auch das letzte sein, das wir je erfinden müssen.« Er tippte sich gegen die Stirn. »Jetzt können wir unser Hirn direkt einstöpseln.«

Ich hörte seine Worte, aber ich begriff nicht, was er sagte. Meinte Halliday das ernst? Oder hatte er, als er diese Aufnahme gemacht hatte, unter Wahnvorstellungen gelitten? Vielleicht hatte er im Endstadium seiner Krankheit den Sinn für die Realität verloren? Die Technologie, die er beschrieb, war noch immer reine Science Fiction. Klar, Millionen körperlich eingeschränkter Menschen benutzten tagtäglich ein solches Interface zwischen Gehirn und Computer, um zu sehen, zu hören oder gelähmte Gliedmaßen zu bewegen. Aber das war bisher nur möglich, indem man ein Loch in die Schädel der Patienten bohrte und ihnen Implantate und Elektroden direkt ins Gehirn einpflanzte.

Die Idee eines Headsets als Hirn-Computer-Interface, mit dem man sämtliche Sinneseindrücke eines Menschen aufnehmen, abspielen und/oder simulieren konnte, tauchte in ziemlich vielen der Science-Fiction-Romane, Serien und Filmen auf, die Halliday gemocht hatte. Zum Beispiel als Simstim – die fiktive Technologie der simulierten Stimulationen, die sich William Gibson in Neuromancer ausgedacht hatte. Eine ähnliche Technologie, mit der sich Erlebnisse aufzeichnen ließen, kam auch in Projekt Brainstorm und Strange Days vor, zwei von Hallidays Lieblingsfilmen …

Wenn das ONI wirklich all das konnte, was Halliday behauptete, dann hatte er einmal mehr das Unmögliche geschafft. Aus Science Fiction wissenschaftliche Tatsachen gemacht, ohne sich um die Konsequenzen zu scheren.

Der Name, den Halliday seiner Erfindung gegeben hatte, warf ebenfalls Fragen auf. Ich hatte genügend Anime-Filme gesehen, um zu wissen, dass oni das japanische Wort für einen riesigen, gehörnten Höllendämon war.

»Software und Dokumentation für das ONI wurden bereits an deinen privaten OASIS-Account geschickt«, fuhr Halliday fort. »Zusammen mit den kompletten Bauplänen für das Headset und den 3D-Druckdateien, die man braucht, um mehr davon herzustellen.«

Halliday hielt inne und starrte einen Moment lang in die Kamera, bevor er fortfuhr.

»Wenn du das ONI erst einmal getestet hast, wird dir – genau wie mir – sicher schnell klar werden, dass diese Erfindung in der Lage ist, die menschliche Existenz drastisch zu verändern. Ich glaube, sie könnte der Menschheit helfen. Sie könnte aber auch alles noch schlimmer machen. Vermutlich kommt es auf das Timing an. Deshalb vertraue ich ihr Schicksal dir an, meinem Erben. Du musst entscheiden, wann – oder ob überhaupt – die Welt für diese Technologie bereit ist.«

Sein gebrechlicher Körper wurde von einem Hustenanfall geschüttelt. Dann holte er keuchend Luft und sprach noch ein paar letzte Worte.

»Nimm dir die Zeit, die du brauchst«, sagte er. »Lass dich von niemandem hetzen. Ist die Büchse der Pandora erst geöffnet, dann lässt sie sich nicht wieder schließen. Also … überleg’s dir gut.«

Er winkte kurz zum Abschied in die Kamera. Dann endete die Aufzeichnung, und eine Nachricht erschien auf dem Bildschirm, bevor dieser sich ausschaltete: Videodatei gelöscht.

Lange Zeit saß ich nur da. Konnte das womöglich ein posthumer Streich sein? Die Alternative ergab irgendwie keinen Sinn. Wenn das ONI wirklich all das konnte, was Halliday gesagt hatte, dann wäre es tatsächlich das bedeutendste Kommunikationsmittel, das je erfunden wurde. Aber warum hatte er es geheim gehalten? Warum hatte er es sich nicht einfach patentieren lassen und es auf den Markt gebracht?

Ich betrachtete noch einmal das Headset in meinen Händen. Acht Jahre lang war es in diesem Tresor eingeschlossen gewesen und hatte geduldig darauf gewartet, dass ich es entdeckte. Und jetzt, da ich es gefunden hatte, blieb für mich nur noch eins zu tun.

Ich legte das Headset wieder in das Ei zurück, drehte mich um und trug es aus dem Archiv. Eigentlich hatte ich vor, ruhigen, gemessenen Schrittes zum Aufzug zurückzukehren, aber um meine Selbstbeherrschung war es in null Komma nix geschehen, und irgendwann rannte ich, so schnell mich meine Beine trugen.

Die Angestellten, denen ich auf dem Weg zurück nach oben begegnete, bekamen einen Boss zu sehen, der mit wildem Blick durch die heiligen Hallen von Gregarious Simulation Systems sprintete und dabei ein großes silbernes Ei an sich drückte.

 

Wieder zurück in meinem Büro verriegelte ich die Tür, ließ die Jalousien herunter und setzte mich an meinen Computer, um mir die ONI-Dokumentation durchzulesen, die Halliday mir per E-Mail geschickt hatte.

Ich war dankbar dafür, dass Samantha nicht hier war. Ich wollte ihr keine Gelegenheit geben, mir auszureden, das ONI zu testen. Denn genau das würde sie tun – und zwar erfolgreich. (Ich hatte gerade erst eine Sache festgestellt: Wenn man in jemanden verliebt war, dann konnte der- oder diejenige einen zu so ziemlich allem überreden.)

Eine solch historische Gelegenheit durfte ich aber auf keinen Fall ungenutzt lassen. Das wäre so, als würde man die Chance ausschlagen, als erster Mensch den Mond zu betreten. Außerdem hatte ich keine Angst davor, dass das ONI irgendwie gefährlich sein könnte. Wenn der Gebrauch des Headsets schädlich wäre, dann hätte Halliday mich gewarnt. Schließlich hatte ich gerade den Wettbewerb gewonnen, und es war eher unwahrscheinlich, dass er seinen Erben umbringen wollte.

Das sagte ich mir immer wieder, während ich das ONI-Headset in meine OASIS-Konsole einstöpselte und es mir vorsichtig auf den Kopf setzte. Die ineinander schiebbaren Metallstreifen wurden automatisch eingezogen, worauf sich die Sensorflächen an die Konturen meines Schädels anlegten. Dann rasteten die Metallgelenke ein, und das ganze spinnenähnliche Gerät saß fest auf meinem Kopf, so dass die Sensoren weder durchgerüttelt noch entfernt werden konnten, während es eine Verbindung zu meinem Gehirn herstellte. In der Dokumentation zum ONI stand, dass das Headset während der Benutzung nicht gewaltsam entfernt werden durfte, weil sonst das Gehirn ernste Schäden davontragen und/oder die Träger in ein dauerhaftes Koma fallen könnten. Titanverstärkte Sicherheitsbänder sorgten deshalb dafür, dass das nicht passierte. Dieses kleine Detail fand ich eher beruhigend als bedenklich. Autofahren ohne Sicherheitsgurt war schließlich auch gefährlich …

In der Dokumentation zum ONI war außerdem vermerkt, dass ein plötzlicher Stromausfall am Headset dem Gehirn des Trägers Schaden zufügen konnte, deshalb besaß es eine Ersatzbatterie im Inneren, die das Gerät lange genug am Laufen hielt, dass es einen Not-Logout durchführen und die Träger sicher aus dem künstlich erzeugten schlafähnlichen Zustand wecken konnte, in den es sie während der Benutzung versetzt hatte.

Ich hatte also nichts zu befürchten. Überhaupt nichts. Es war ja nur eine riesige Metallspinne, die auf meinem Schädel saß und sich gleich mit meinem Gehirn verbinden würde.

Ich legte mich auf die blaue Samtcouch in der Ecke meines Büros und nahm eine bequeme Schlafhaltung ein, wie es in der Anleitung stand. Dann holte ich tief Luft und fuhr das Gerät hoch.

Ich spürte ein leichtes Kribbeln auf meiner Kopfhaut. Aus der Dokumentation für das ONI wusste ich, dass das Headset einen Scan meines Gehirns durchführte, um seine einzigartige Topographie zu erfassen. Dieser Scan wurde dann in meinem Account gespeichert, um damit in Zukunft meine Identität zu bestätigen. Eine synthetische Frauenstimme forderte mich auf, meine Passphrase zu sprechen. Ich formulierte sie langsam und deutlich: Everybody wants to rule the world.

Nachdem sie bestätigt war, fuhr aus der Vorderseite des Headsets ein winziger Augmented-Reality-Bildschirm aus und setzte sich wie ein Monokel vor mein linkes Auge. In der Luft vor mir erschienen mehrere Textabschnitte, die über mein Blickfeld gelegt waren:

Warnung! Aus Sicherheitsgründen darf das OASIS-Neuralinterface nur für eine Zeitdauer von maximal zwölf Stunden hintereinander benutzt werden. Wenn dieses Limit erreicht ist, werden Sie automatisch aus Ihrem Account ausgeloggt und können Ihr ONI-Headset erst nach Ablauf von zwölf Stunden Ruhepause wieder benutzen. Während dieser Pflichtpause dürfen Sie die OASIS weiterhin mit konventioneller Immersionshardware betreten. Manipulationen oder das Ausschalten der eingebauten Schutzvorrichtungen Ihres ONI-Headsets zum Zweck der Verlängerung der täglichen Nutzungsdauer kann zu einem synaptischen Overload-Syndrom mit dauerhafter Schädigung des Nervengewebes führen. Gregarious Simulation Systems haftet nicht für Schäden, die durch unsachgemäße Verwendung des OASIS-Neuralinterface entstehen.

Diese Sicherheitswarnung hatte ich auch schon in der Dokumentation des Headsets gesehen, aber ich war überrascht, dass Halliday sie in den Log-in-Vorgang eingebettet hatte. Anscheinend hatte er schon vor über acht Jahren alle notwendigen Vorbereitungen getroffen, um das ONI auf den Markt zu bringen. Dennoch hatte er es nicht getan. Stattdessen hatte er das Geheimnis der Existenz des ONI mit ins Grab genommen. Und jetzt hatte ich dieses Geheimnis geerbt.

Ich las die Warnung noch ein paarmal durch, um Mut zu sammeln. Zugegeben, der Teil über die dauerhaften Hirnschäden klang nicht gut, aber es war nicht so, dass ich hier als Versuchskaninchen diente. In der Dokumentation hieß es, GSS hätte das ONI-Headset bereits vor mehr als zehn Jahren einer Reihe unabhängiger Sicherheitsprüfungen unterzogen. Und sie alle hatten ergeben, dass die Nutzung für Menschen unbedenklich war, solange man sich an das tägliche Limit von zwölf Stunden hielt. Wofür die eingebauten Schutzfunktionen der Headset-Firmware sorgten. Ich hatte also absolut nichts zu befürchten, wie ich mir ein weiteres Mal versicherte …

Ich streckte die Hand aus und drückte auf den Zustimmen-Knopf unter der Sicherheitswarnung. Das System loggte mich ein, und in der Mitte meines Blickfelds leuchtete Text auf:

Identifikationsüberprüfung erfolgreich.

Willkommen in der OASIS, Parzival!

Log-in beendet: 11:07:18 OST-25.1.2046

Als der Zeitstempel verblasste, erschien an seiner Stelle eine kurze Nachricht, nur drei Wörter – das Letzte, was ich sah, bevor ich die reale Welt verließ und in die virtuelle eintrat.

Aber es waren nicht die drei Wörter, die ich sonst immer gesehen hatte. Ich – so wie jeder weitere zukünftige ONI-User – wurde von einer neuen Botschaft begrüßt, die Halliday sich ausgedacht hatte, um die Nutzer seiner neuen Technologie willkommen zu heißen:

READY PLAYER TWO

0000

Mein Blickfeld wurde einen Moment lang schwarz, während das Headset meinem Gehirn den Befehl gab, mich in einen harmlosen schlafähnlichen Zustand zu versetzen. Mein Bewusstsein blieb dabei aktiv, im Grunde handelte es sich um einen computergesteuerten Wachtraum. Dann nahm langsam die OASIS um mich herum Gestalt an, und ich stand wieder in Anoraks Bibliothek, wo ich mich als Letztes ausgeloggt hatte.

Alles sah genauso aus wie sonst, aber es fühlte sich komplett anders an. Ich befand mich tatsächlich körperlich hier, in der OASIS. Ich hatte nicht länger das Gefühl, einen Avatar zu benutzen. Vielmehr hatte ich den Eindruck, mein Avatar zu sein. Ich trug keine Videobrille und spürte auch nicht die leichte Taubheit und die Beengtheit eines haptischen Anzugs oder von Handschuhen. Nicht einmal das ONI-Headset, das mein echter Körper trug, spürte ich. Als ich die Hand hob, um mich am Kopf zu kratzen, war das Gerät nicht da.

Durch das offene Fenster der Bibliothek wehte eine leichte Brise herein, und ich nahm sie auf meiner Haut wahr, in meinem Gesicht und auf den Haaren.

Ich spürte meine Füße auf dem Steinboden, die in den bequemen Stiefeln meines Avatars steckten.

Mir wurde bewusst, dass ich meine Umgebung auch riechen konnte. Ich atmete den muffigen Geruch der alten Zauberbücher ein, die an den Wänden aufgereiht standen, vermischt mit dem Rauch der brennenden Kerzen.

Ich streckte die Hand aus und berührte einen Arbeitstisch in der Nähe. Die Rillen der Holzmaserung waren deutlich zu spüren, als ich mit den Fingerspitzen darüberfuhr. Dann entdeckte ich eine große Schüssel mit Obst auf dem Tisch, die bisher noch nicht da gewesen war. Ich nahm einen Apfel und spürte das Gewicht in meiner Hand und die harte, glatte Schale. Ich presste ihn mit allen fünf Fingern zusammen und nahm wahr, wie sich an den Druckstellen winzige Matschkrater unter der Schale bildeten.

Die Nachbildung all der miteinander verbundenen Sinneseindrücke war atemberaubend perfekt. Es handelte sich um subtile, nuancenreiche Empfindungen, die von haptischen Handschuhen niemals auf diese Weise simuliert werden konnten.

Ich hob den Apfel an die Lippen meines Avatars, die sich jetzt wie meine eigenen anfühlten, und biss mit etwas hinein, das mir wie meine wirklichen Zähne vorkam. Er schmeckte wie ein echter Apfel. Der reifste, leckerste Apfel, den ich je gegessen hatte.

Als OASIS-User hatte man mit seinem Avatar schon immer essen und trinken können. Aber ein Nahrungspowerup oder einen Heiltrank zu sich zu nehmen war bisher stets reine Pantomime mit den haptischen Handschuhen gewesen, ohne dass man dabei etwas empfand. Man hatte nicht das Gefühl, etwas im Mund zu haben, und schmeckte definitiv nichts auf der Zunge.

Dank des ONI konnte ich das jetzt. Und ich tat es auch.

Nach und nach kostete ich die anderen Früchte in der Schüssel. Orange, Banane, Weintrauben und Papaya schmeckten genauso lecker, und wenn ich einen Bissen nahm, spürte ich, wie er meine Speiseröhre hinunterwanderte und in meinem Magen landete. Ich hatte sogar das Gefühl, langsam satt zu werden.

»O mein Gott!«, rief ich. »Das ist ja der blanke Wahnsinn!« Meine Worte klangen undeutlich, weil ich den Mund voller Papaya hatte. Ich spürte, wie mir der Saft übers Kinn lief. Ich wischte ihn mit dem Ärmel ab. Dann rannte ich im Raum hin und her. Ich platzte schier vor Aufregung, während ich die unterschiedlichen Oberflächen und Gegenstände berührte, um zu spüren, wie sie sich anfühlten. Und wie fühlten sie sich an? Verflucht echt! Alles fühlte sich echt an.

Als sich meine anfängliche Euphorie etwas gelegt hatte, fragte ich mich, ob das ONI wohl auch Schmerz simulierte. Wenn sich der Schmerz genauso echt anfühlte, wie das Obst schmeckte, dann würde es weh tun. Und zwar mächtig.

Probehalber biss ich mir leicht auf die Zunge. Ich spürte den Druck der Zähne auf der Oberfläche und das Raspeln der Geschmacksknospen, als ich mit den Schneidezähnen darüberfuhr. Aber ich spürte nicht den geringsten Schmerz, egal wie fest ich zubiss. Wie ich schon vermutet hatte, musste Halliday irgendeinen Schutz vor Schmerzen eingebaut haben.

Ich zog einen meiner Blaster und schoss mir in den rechten Fuß. Zwar trug ich mehrere Schadenspunkte davon und verspürte einen leichten Ruck, aber es kam mir eher wie ein festes Zwicken als eine Schussverletzung vor.

Ein aufgeregtes Kichern rutschte mir heraus, als ich den Blaster wieder wegsteckte. Dann rannte ich drei Schritte bis zum Fenster, sprang hinaus und flog in Superman-Manier los. Während ich in die Wolken hochschoss, flatterte mein Umhang wie ein Cape im Wind. Ich hatte das Gefühl, wirklich zu fliegen.

Plötzlich kam es mir so vor, als sei alles möglich. Und das war es auch.

Dies war der letzte, unvermeidliche Schritt in der Entwicklung von Videospielen und virtueller Realität. Die Simulation war nun vom echten Leben nicht mehr zu unterscheiden.

Samantha würde das nicht gefallen, das wusste ich. Aber ich wollte mehr. Und das ONI konnte mir mehr bieten. Sehr viel mehr.

Ich flog zu Anoraks Bibliothek zurück und experimentierte weiter mit den Fähigkeiten des ONI. Dabei entdeckte ich ein neues Drop-down-Menü im HUD meines Avatars, das die Bezeichnung ONI trug. Als ich es anwählte, sah ich eine Liste von etwa einem Dutzend großer Dateien, die bereits in meinen Account heruntergeladen worden waren. Sie alle besaßen das Anhängsel .oni und einfache Dateinamen wie RENNEN, SURFEN, FALLSCHIRMSPRINGEN und KUNG-FU, die mich sofort ansprachen.

Ich wählte SURFEN aus und fand mich unvermittelt auf einem Surfbrett wieder, mit dem ich gekonnt auf der riesigen Welle vor der Küste irgendeiner tropischen Insel ritt. Als ich mich jedoch reflexartig bewegen wollte, um das Gleichgewicht zu halten, stellte ich fest, dass ich keine Kontrolle über meinen Körper hatte. Es war eine rein passive Erfahrung. Ich war einfach nur der Beifahrer. Und irgendwie fühlte es sich auch anders an als das, was ich in Anoraks Bibliothek erlebt hatte. War diese Erfahrung gespenstisch glatt und präzise gewesen, so fühlte sich das hier intensiver, aber auch holprig und ungelenk an.

Als ich an meinem Körper hinabschaute, stellte ich fest, dass ich nicht mehr Parzival, sondern jemand anderes war. Jemand Kleineres, Dünneres mit dunkler Haut und Strähnen schwarzen Haars, die vor den Augen hingen. Jemand, der einen Bikini trug. Jemand mit Brüsten. Ich war eine Frau! Und eine Profi-Surferin. Kein Avatar. Eine echte Person hatte dieses Erlebnis aufgezeichnet. Ich durchlebte einen Teil des Lebens eines anderen Menschen.

Ich hatte keine Kontrolle über meine Bewegungen, aber ich konnte alles sehen, hören, riechen und spüren – jede Empfindung, die die Frau, von der diese Aufzeichnung stammte, erlebt hatte. Ich nahm sogar das ONI-Headset auf meinem – ihrem – Kopf wahr, und ich sah den damit verbundenen tragbaren Datenspeicher, der in einer wasserfesten Hülle am rechten Arm der Frau festgeschnallt war.

Das erklärte auch den Unterschied in den Empfindungen. Ich erlebte keine von den OASIS-Servern erzeugte Simulation, sondern nahm die Welt durch die Sinne dieser Surferin wahr, Moment für Moment, aufgezeichnet von ihren Synapsen. Sinneseindrücke, direkt aus einem Gehirn, das nicht mein eigenes war.

Als die Welle ein paar Sekunden später über mich hinwegspülte, endete der Erlebnisclip, und ich befand mich wieder in der Haut meines Avatars in Anoraks Bibliothek.

Ich rief den nächsten Clip auf und dann den nächsten. Ich fuhr ein Rennauto, sprang mit einem Fallschirm, kämpfte Kung-Fu, tauchte in der Tiefsee und ritt auf einem Pferd – und das alles in nur einer halben Stunde.

Nacheinander spielte ich sämtliche .oni-Dateien in der Liste ab, sprang von Ort zu Ort, von Körper zu Körper, von einem Erlebnis zum nächsten.

Ich hielt erst an, als ich eine Reihe von Dateien mit Bezeichnungen wie SEX-M-F.oni, SEX-F-F.oni und SEX-nichtbinär.oni fand. Dafür war ich noch nicht bereit. Ich war immer noch wahnsinnig und schrecklich verliebt in Samantha. Und nicht ganz über die Tatsache hinweg, dass ich erst vor ein paar Tagen mit ihr meine Unschuld verloren hatte. Ich wollte ihr nicht untreu sein. Fremdgehen war Fremdgehen, ob nun live oder auf Memorex. Jedenfalls fand ich das.

Ich loggte mich aus der OASIS aus und übernahm wieder die Kontrolle über meinen Körper. Das Ganze dauerte ein paar Minuten. Dann nahm ich das ONI-Headset ab und öffnete die Augen. Ich schaute mich in meinem Büro um und blickte auf die Uhr. Über eine Stunde war vergangen, was in etwa zu stimmen schien.

Ich packte die Lehne der Couch und betastete mein Gesicht. Die Realität kam mir nicht im Mindesten realer vor als das, was ich eben in der OASIS erlebt hatte. Meine Sinne konnten zwischen beidem nicht unterscheiden.

Halliday hatte recht. Das ONI würde die Welt verändern.

Wie zum Teufel war ihm das gelungen? Wie hatte er es geschafft, im Geheimen ein solch komplexes Gerät zu erfinden? Hardware war nicht einmal sein Spezialgebiet.

Die Dokumentation, die er mir geschickt hatte, enthielt die Antwort darauf. Als ich den Rest durchlas, erfuhr ich, dass Halliday über fünfundzwanzig Jahre lang an dieser Erfindung gearbeitet hatte, mit einem ganzen Labor voller Neurowissenschaftler. Er hatte sein Geheimnis vor aller Augen versteckt.

Ein paar Monate, nachdem GSS die OASIS auf den Markt gebracht hatte, gründete Halliday eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung mit dem Namen Accessibility Research Lab. Vordergründig ging es darum, eine neue Produktlinie zu kreieren – neuroprothetische Hardware, die Menschen mit schweren körperlichen Behinderungen die Nutzung der OASIS erleichtern sollte. Für das ARL stellte Halliday nur die besten und klügsten Köpfe auf dem Gebiet der Neurowissenschaft ein und gab ihnen alle finanziellen Mittel, die sie für ihre Forschung brauchten.

Die Arbeit des ARL im Verlauf der nächsten Jahrzehnte war keinesfalls ein Geheimnis. Im Gegenteil, sie erschufen dort eine neue Produktlinie aus medizinischen Implantaten, die breite Verwendung fanden. Einige davon wurden sogar in meinen Lehrbüchern an der Highschool erwähnt. Als Erstes entwickelten sie einen neuen Typ Cochlea-Implantat, mit dem Hörgeschädigte Geräusche absolut klar hören konnten, sowohl in der realen Welt als auch in der OASIS. Ein paar Jahre später führten sie ein neues Retina-Implantat ein, das Blinden in der OASIS perfekte Sicht verschaffte. Und wenn man zwei am Kopf befestigte Mini-Kameras mit dem Implantat verband, konnte auch das Sehvermögen in der realen Welt wiederhergestellt werden.

Die nächste Erfindung war ein Gehirn-Implantat, mit dessen Hilfe Querschnittsgelähmte die Bewegungen ihres OASIS-Avatars allein durch ihre Gedanken steuern konnten. Es funktionierte in Verbindung mit einem anderen Implantat, das sie in die Lage versetzte, simulierte Sinneseindrücke wahrzunehmen. Dieselben Implantate gaben ihnen auch die Kontrolle über ihre unteren Extremitäten zurück und stellten ihren Tastsinn wieder her. Amputierte konnten damit mechanische Prothesen steuern und Sinneseindrücke über sie empfangen.

Dafür entwickelten die Forscher und Forscherinnen eine Methode, um die Sinneseindrücke, die vom Nervensystem in Reaktion auf alle möglichen äußeren Reize an das menschliche Gehirn übermittelt werden, aufzuzeichnen. Diese Daten wurden in einer riesigen digitalen Bibliothek gesammelt, die man in der OASIS abspielen konnte, um alles, was ein Mensch durch seinen Tast-, Geschmacks- und Geruchssinn, sein Sehvermögen und sein Gefühl für Gleichgewicht, Temperatur, Vibration und so weiter wahrnehmen konnte, perfekt nachzuahmen.

GSS ließ sich sämtliche Erfindungen des Accessibilty Research Labs patentieren, aber Halliday versuchte nie, davon zu profitieren. Stattdessen startete er ein Programm, um die neuroprothetischen Implantate an alle OASIS-User, denen sie nützlich sein konnten, zu verschenken. GSS übernahm sogar einen Teil der Kosten für die chirurgische Implantation. Das Programm machte leistungsstarke neue Geräte für Menschen mit körperlichen Behinderungen verfügbar, und zugleich erhielt das ARL eine schier unerschöpfliche Zahl an menschlichen Versuchskaninchen, die sich freiwillig an den Experimenten beteiligten.

Ich war mit den Schlagzeilen in den Newsfeeds über die Durchbrüche des ARL bei Hirn-Implantaten aufgewachsen, aber wie die meisten Leute hatte ich ihnen wenig Beachtung geschenkt, denn die Technologie war nur etwas für Menschen, die schwere körperliche Behinderungen hatten und bereit waren, sich einer invasiven (und nicht ungefährlichen) Gehirn-OP zu unterziehen.

Während dem Accessibility Research Lab diese erstaunlichen Durchbrüche gelangen, arbeitete man dort aber im Geheimen auch noch an einer anderen Technologie, einer, die schließlich die größte Errungenschaft des Labors werden sollte – ein Computer-Hirn-Interface, das alles konnte, wozu auch die Implantate fähig waren, nur ohne chirurgischen Eingriff. Mit Hilfe der zahllosen Daten, die die Forscher und Forscherinnen über die Funktionsweise des menschlichen Geistes angehäuft hatten, und einer komplexen Verbindung aus EEG, fMRI und SQUID-Technologien entwickelte das Labor eine Möglichkeit, Gehirnwellen allein über Hautkontakt zu lesen und zu übertragen. Halliday hatte das Projekt in einzelne Bereiche unterteilt, so dass die Teams aus Wissenschaftlern und Ingenieuren unabhängig voneinander arbeiteten und er als Einziger wusste, wie das alles zusammenpasste.

Es kostete Milliarden von Dollar und jahrzehntelange Arbeit, bis es ihnen endlich gelang, einen voll funktionsfähigen Prototyp des OASIS-Neuralinterface-Headsets zu bauen. Aber nachdem das Gerät die letzte Runde der Sicherheitstests durchlaufen hatte, beendete Halliday das Projekt ONI und erklärte es zu einem Misserfolg. Ein paar Wochen später schloss er das Accessibility Research Lab und feuerte die gesamte Belegschaft. Die Angestellten erhielten großzügige Abfindungen, so dass sie nie wieder arbeiten mussten – unter der Bedingung, dass sie sich strikt an die Geheimhaltungsvereinbarung hielten, die sie bei Jobantritt unterzeichnet hatten.

So gelang es Halliday, das allererste nicht-invasive Hirn-Computer-Interface zu erschaffen, ohne dass die Welt davon erfuhr.

Und jetzt hatten meine Freunde und ich diese Erfindung geerbt. Sie gehörte uns, und wir konnten sie entweder begraben oder auf den Markt bringen.

 

Wir machten uns die Entscheidung nicht leicht, wogen sämtliche Vor- und Nachteile ab. Dann, nach einer hitzigen Debatte, stimmten wir zu viert ab. Die Mehrheit war dafür. Und so veränderten wir von einem Tag auf den anderen den Lauf der menschlichen Geschichte.

 

Nach einer weiteren Serie von Sicherheitsüberprüfungen ließ GSS sich die Technologie des OASIS-Neuralinterface patentieren und begann damit, die Headsets in Masse zu produzieren. Wir verkauften sie für einen äußerst erschwinglichen Preis, damit so viele Menschen wie möglich das OASIS-Neuralinterface ausprobieren konnten.

Schon am ersten Tag gingen eine Million Stück über die Ladentheken. Und als unsere Headsets erst in den Regalen lagen, wurde IOI’s komplette Produktlinie aus Videobrillen und haptischer Ausrüstung augenblicklich überflüssig. Zum ersten Mal in der Geschichte war GSS der weltgrößte Produzent von OASIS-Hardware. Als sich die Nachricht über die Fähigkeiten des ONI verbreitete, stiegen die Verkäufe weiter exponentiell an.

Und dann, ein paar Tage später, passierte es – das Ereignis, das der Ausgangspunkt dieser Geschichte ist.

Ein paar Sekunden, nachdem die OASIS-Server die Zahl von 7777777 ONI-Usern gleichzeitig registriert hatten, tauchte auf Hallidays lange Zeit ruhender Webseite eine Botschaft auf, genau an der Stelle, an der sich früher das Scoreboard für seinen Wettbewerb befunden hatte:

Die sieben Scherben der Sirenen Seele findet

Auf sieben Welten, die man mit ihr verbindet

Tribut zollt mein Erbe für jedes Teil

So wird die Sirene wieder heil

Es wurde als Scherbenrätsel bekannt, und erfahrenen Jägern fiel als Erstes die Tatsache ins Auge, dass Reimschema und Silbenanzahl identisch waren mit »Drei Schlüssel öffnen der Tore drei«, dem Vers, mit dem Halliday seine berühmte Easter Egg-Suche eingeläutet hatte.

Die Leute hielten das Scherbenrätsel für einen ausgefeilten Publicity Stunt, mit dem die neuen Inhaber von GSS den Verkauf der ONI-Headsets ankurbeln wollten. Und wir versuchten nie, diese Gerüchte zu leugnen oder zu zerstreuen, denn sie halfen uns, die Illusion aufrechtzuerhalten, die OASIS sei jetzt vollständig unter unserer Kontrolle. Wir vier kannten jedoch die beunruhigende Wahrheit. Wir hatten keine Ahnung, was zum Teufel da vor sich ging.

Das Scherbenrätsel schien auf die Existenz eines zweiten Easter Eggs hinzudeuten – eines weiteren Geheimnisses, das der exzentrische Erschaffer der OASIS irgendwann vor seinem Tod darin versteckt hatte. Und der Zeitpunkt des Auftauchens des Rätsels konnte auch kein Zufall sein. Auslöser war eindeutig unsere Entscheidung, das OASIS-Neuralinterface auf den Markt zu bringen.

Also was genau wollte Halliday uns mitteilen?

Die »Sirene« schien eine Anspielung auf Kira Morrow zu sein, Ogs verstorbene Frau, in die Halliday unglücklich verliebt gewesen war. Damals, als sie noch alle zusammen auf der Highschool in Ohio waren, hatte Kira ihren Dungeons & Dragons-Charakter Leucosia genannt, nach einer Sirene aus der griechischen Mythologie. Viele Jahre später hatte sie ihren OASIS-Avatar genauso getauft. Nach ihrem Tod hatte Halliday Leucosia als Computer-Passwort benutzt, was ich erraten musste, um die letzte Herausforderung seines Wettbewerbs zu gewinnen.

Es war nicht ganz klar, was passieren würde, wenn es jemandem gelang, die sieben Scherben zu sammeln und die Sirene »wieder heil« zu machen. Aber ich begann trotzdem damit, Nachforschungen anzustellen. Halliday hatte uns ein weiteres Mal ein Rätsel gestellt, dem ich einfach nicht widerstehen konnte.

Damit war ich nicht der Einzige. Das Auftauchen des Rätsels brachte eine ganz neue Generation von Jägern hervor, die die OASIS nach den sieben Scherben absuchten. Aber im Gegensatz zu Hallidays Easter Egg gab es diesmal keine Ankündigung, welche Belohnung uns erwartete, wenn wir die Seele der Sirene fanden. Deshalb wusste niemand so genau, wonach wir suchten oder warum.

 

Im Handumdrehen verging ein ganzes Jahr.

Wir kamen bei drei Milliarden verkauften Exemplaren an. Dann bei vier.

Schnell wurde offensichtlich, dass es für unser patentiertes und geschütztes Hirn-Computer-Interface-Headset auch allerhand andere Anwendungsmöglichkeiten gab, die nichts mit der OASIS zu tun hatten – in Wissenschaft, Medizin, Luftfahrt, der industriellen Produktion und bei der Kriegsführung.

Die Aktie von Innovative Online Industries befand sich weiter im freien Fall. Als sie tief genug sank, übernahmen wir die Firma. GSS schluckte IOI mit allem, was dazugehörte, und wurde zu einem unaufhaltsamen Mega-Unternehmen, mit einem globalen Monopol auf die beliebteste Unterhaltungs-, Bildungs- und Kommunikationsplattform der Welt. Um die Übernahme zu feiern, befreiten wir sämtliche Zwangsarbeiter und erließen ihnen ihre noch ausstehenden Schulden.

Ein weiteres Jahr verging. Die OASIS erreichte immer neue Größenordnungen – fünf Milliarden User loggten sich dort jeden Tag ein. Dann sechs. Zwei Drittel der Menschen auf unserem überbevölkerten, sich schnell erwärmenden kleinen Planeten. Und über 99 Prozent der Leute, die jetzt die OASIS betraten, benutzten dabei unser Neuralinterface-Headset.

 

Wie von Halliday vorhergesagt, hatte die neue Technologie starke Auswirkungen auf den Alltag der Menschen und auf die menschliche Zivilisation als Ganzes. Jeden Tag gab es neue Erlebnisse zum Herunterladen. Alles, was man sich nur vorstellen konnte. Man konnte überallhin gehen, alles tun und jeder sein. Es war ein Zeitvertreib, der absolut süchtig machte – mehr noch als die OASIS ohnehin schon, und das wollte etwas heißen.

Andere Firmen unternahmen den Versuch, das ONI-Headset nachzubauen und unsere Neuralinterface-Technologie zu stehlen –, aber Software und Rechenleistung, die gebraucht wurden, damit das Interface funktionierte, waren Teil der OASIS. Erlebnisse konnten zwar offline als .oni-Datei aufgezeichnet werden, selbst auf illegale Weise, aber abspielen konnte man sie nur, indem man sie in die OASIS hochlud. Dadurch konnten wir unschöne oder illegale Aufzeichnungen aussieben, bevor sie mit anderen Usern geteilt werden konnten. Und zugleich behielten wir das Monopol auf eine Unterhaltungsform, die sich schon bald zur beliebtesten in der Geschichte der Menschheit entwickelte.

GSS launchte das ONI-Net, eine Social-Media-Plattform zum Teilen von .oni-Dateien. Dort konnten User die ONI-Erlebnisse von Milliarden anderen Menschen auf der ganzen Welt durchsuchen, kaufen, herunterladen, bewerten und rezensieren. Außerdem konnte man seine eigenen Erlebnisse hochladen und sie an den Rest der OASIS verkaufen.

Als »Sims« wurden Erlebnisse bezeichnet, die in der OASIS aufgezeichnet wurden, und als »Recs« ONI-Aufnahmen in der Realität. Nur dass die Kids es nicht mehr als »Realität« bezeichneten. Stattdessen nannten sie es »Earl«. (Eine Bezeichnung, die sich von der Abkürzung IRL ableitete, »In Real Life«.) Und »Ito« war Slang für »in the OASIS«. Recs wurden also im Earl aufgezeichnet und Sims Ito geschaffen.

Anstatt ihren Lieblingsstars in den sozialen Medien zu folgen, konnten ONI-User jetzt für ein paar Minuten am Tag zu ihren Lieblingsstars werden. In deren Haut schlüpfen. Kurze, ausgewählte Momente eines weitaus glamouröseren Daseins durchleben.

Man schaute keine Filme oder Fernsehserien mehr – man lebte sie. Die Zuschauer befanden sich nicht länger im Publikum. Jetzt waren sie die Stars. Statt bei einem Rockkonzert vor der Bühne zu stehen, konnte man es nun durch die Augen jedes Mitglieds seiner Lieblingsband erleben und in ihre Haut schlüpfen, während man selbst das eigene Lieblingslied spielte.

Jeder mit einem ONI-Headset und einem leeren Datenspeicher konnte ein Real-Life-Erlebnis aufzeichnen, es in die OASIS hochladen und an Milliarden andere Menschen auf der ganzen Welt verkaufen. Bei jedem Download verdiente man ein paar Münzen, und GSS zog für das Bereitstellen der Plattform nur 20 Prozent von den Einnahmen ab. Ging einer der eigenen Clips viral, konnten die Gewinne einen über Nacht reich machen. Stars aus dem Filmgeschäft, der Rockmusik und der Porno-Industrie rissen sich förmlich darum, diese brandneue Einnahmequelle auszuschöpfen.

Für weniger als den Preis eines eisgekühlten Latte konnte man nun so ziemlich jede Erfahrung, die ein Mensch machen konnte, sicher durchleben. Man konnte jede Droge nehmen, jedes Essen probieren und jede Art von Sex haben, ohne sich über Sucht, Kalorien oder Schwangerschaften Gedanken machen zu müssen. Die Leute konnten ungeschnittene Real-Life-Erlebnisse abspielen oder bei interaktiven Abenteuern in der OASIS mitmachen. Dank des ONI fühlte sich alles komplett real an.

 

Das ONI machte auch das Leben der Armen überall auf der Welt erträglicher. Wie sich zeigte, kamen die Leute mit Trockenalgen und Sojaprotein klar, wenn sie sich jederzeit ins ONI-Net einloggen und ein leckeres Fünf-Gänge-Menü herunterladen konnten. Man konnte jede Küche aus allen Regionen des Globus probieren, zubereitet von den besten Köchen der Welt, und sich sein Essen in einer Villa, auf einem Berggipfel, in einem Aussichtsrestaurant oder in einem Autojet auf dem Weg nach Paris servieren lassen. Darüber hinaus konnte man sein Essen als Gourmet mit besonders feinen Geschmacksnerven genießen. Oder als Star, der mit anderen Stars dinierte und dabei von einem Haufen Ex-Stars bedient wurde. Wonach immer einem der Sinn stand.

Den ganzen usergenerierten Content zu moderieren war eine Herausforderung – und eine riesige Verantwortung. GSS setzte dazu CenSoft ein, unsere firmeneigene, KI-basierte Zensursoftware, die jede .oni-Aufzeichnung vor der Veröffentlichung scannte und verdächtige Inhalte markierte, damit sie von menschlichen Zensoren überprüft wurden. Zweifelhaftes Material wurde von GSS-Angestellten gesichtet, die dann entschieden, ob ein Clip veröffentlicht werden durfte oder nicht. Stießen sie dabei auf Aufzeichnungen von kriminellem Verhalten, leiteten sie diese an die Polizeibehörden des jeweiligen Landes oder der Region weiter, aus denen die User, die die Clips hochgeladen hatten, stammten.

Ständig traten neue Anwendungsmöglichkeiten für die ONI-Technologie zutage. Zum Beispiel war es bei jungen Müttern der letzte Schrei, eine ONI-Aufzeichnung von der Geburt ihres Kindes zu machen, damit es in ein paar Jahrzehnten die Aufzeichnung abspielen und erleben konnte, wie es sich selbst zur Welt bringt.

 

Und ich?

All meine Träume waren wahr geworden. Ich war unglaublich reich und absurd berühmt. Ich hatte mich in meine Traumfrau verliebt, und sie sich in mich. Eigentlich hätte ich also glücklich sein müssen, oder?

Aber so war es nicht. Quasi über Nacht fühlte ich mich privat und beruflich total überfordert, und es dauerte nicht lange, bis ich mein Leben komplett vor die Wand fuhr. Und als das passierte, holte ich mir Trost bei meinem ältesten Freund, der OASIS.

Mit meiner OASIS-Sucht hatte ich schon vor der Markteinführung des ONI zu kämpfen gehabt. Sich jetzt in die Simulation einzuloggen war so, als würde man sich eine Art synthetisch erzeugtes Superheroin spritzen. Ich wurde sofort davon abhängig. Wenn ich nicht gerade ONI-Aufzeichnungen abspielte, durchforstete ich das ONI-Net und fügte neue Aufzeichnungen zu meiner Playlist hinzu.

Gleichzeitig suchte ich auch weiter nach den sieben Scherben der Seele der Sirene. Ich konnte mich in der OASIS überallhin teleportieren, alles kaufen, was ich wollte, und jeden killen, der mir in die Quere kam. Aber trotzdem machte ich keine Fortschritte. Und ich verstand nicht, woran das lag.

 

Schließlich setzte ich in einer Mischung aus Frust und Verzweiflung eine Prämie von einer Milliarde Dollar aus für jeden, der mir einen Hinweis darauf liefern konnte, wo sich eine der sieben Scherben befand. Die Belohnung verkündete ich in einem stilisierten Kurzfilm, der an Anoraks Einladung angelehnt war. Ich hoffte, dass es wie eine witzige Anspielung auf Hallidays Wettbewerb rüberkommen würde und nicht wie ein verzweifelter Hilfeschrei. Es schien zu funktionieren.

Meine mit einer Milliarde Dollar dotierte Scherbensuche verursachte in der OASIS einen ziemlichen Wirbel. Die Zahl der Jäger, die nach den Scherben suchten, vervierfachte sich über Nacht. Aber niemandem gelang es, sich meine Belohnung abzuholen.

Ein weiteres Jahr verging.

Dann, ein paar Wochen nachdem sich die Einführung des ONI zum dritten Mal gejährt hatte, geschah es schließlich. Eine abenteuerlustige junge Jägerin führte mich zur ersten Scherbe. Und als ich sie mir holte, setzte ich damit eine Kette von Ereignissen in Gang, die das Schicksal der Menschheit drastisch veränderten.

Als einer der wenigen Augenzeugen dieser historischen Ereignisse sehe ich es als meine Pflicht an, schriftlich festzuhalten, was passiert ist. Damit zukünftige Generationen – sollte es denn welche geben – über sämtliche Fakten Bescheid wissen, wenn sie meine Taten beurteilen.

Level 4

Meine Freundin Kira sagte immer, das Leben sei wie ein extrem schwieriges, furchtbar unausgewogenes Videospiel. Bei der Geburt erhält man einen zufällig generierten Charakter, dessen Name und Gesicht ebenso wie die kulturelle und gesellschaftliche Herkunft vom Zufall bestimmt werden. Dein Körper ist dein Avatar, und du spawnst an irgendeinem geographischen Ort, zu irgendeinem Zeitpunkt in der Geschichte der Menschheit, umgeben von irgendeiner Gruppe Menschen, und dann musst du versuchen, so lange wie möglich zu überleben. Manchmal kommt einem das Spiel leicht vor. Es kann sogar Spaß machen. Aber es kann auch so schwierig werden, dass man einfach nur aufgeben und alles hinschmeißen will. Leider hat man in diesem Spiel aber nur ein Leben. Ist dein Körper zu hungrig oder durstig, zu krank oder verletzt oder alt, dann geht die Lebensanzeige auf null runter, und es heißt Game Over. Manche Leute spielen das Spiel hundert Jahre lang, ohne zu merken, dass es ein Spiel ist oder dass es eine Möglichkeit gibt zu gewinnen. Um es zu gewinnen, muss man das einem aufgezwungene Spiel so angenehm wie möglich gestalten, für sich selbst und für alle anderen Spieler, denen man auf seinen Reisen begegnet. Kira sagt, wenn jeder versuchen würde, bei diesem Spiel zu gewinnen, dann würde es uns allen viel mehr Spaß machen.

Anoraks Almanach, Kapitel 77, Verse 11–20

0001

Wie Marty McFly erwachte ich genau um 10:28 Uhr zu dem Song »Back in Time« von Huey Lewis and the News.

Ich hatte meinen original Flip Clock-Radiowecker – einen Panasonic RC-6015, dasselbe Modell, das Marty im Film besitzt – so eingestellt, dass er immer denselben Song zu genau derselben Zeit abspielt, zu der Marty ihn hört, nachdem er es endlich zurück in die Zukunft geschafft hat.

Ich schlug die Seidenbettdecke meines breiten Doppelbetts zurück und setzte die Füße auf den vorgewärmten Marmorfußboden. Der Hauscomputer merkte, dass ich wach war, und zog automatisch die Vorhänge am Panoramafenster meines Schlafzimmers zurück, worauf sich mir eine atemberaubende 180-Grad-Aussicht auf mein weitläufiges Waldgrundstück bot und auf die gezackte Skyline von Columbus am Horizont.

Ich konnte es immer noch nicht ganz glauben. Jeden Tag in diesem Zimmer mit dieser Aussicht aufzuwachen! Bis vor kurzem hatte allein das schon ausgereicht, um mir ein Grinsen aufs Gesicht zu zaubern und mich beschwingt aufstehen zu lassen.

Aber heute half selbst das nicht. Heute war ich einfach nur allein in einem leeren Haus, in einer Welt, die kurz vor dem Kollaps stand. An solchen Tagen zogen sich die vier Stunden, die ich noch abwarten musste, bis ich wieder mein ONI-Headset aufsetzen und in die OASIS entkommen konnte, endlos in die Länge.

Mein Blick fiel auf das Gebäude von Gregarious Simulation Systems, eine glänzende Pfeilspitze aus verspiegeltem Glas, die mitten im Stadtzentrum aufragte. Das Hauptquartier von GSS befand sich nur wenige Straßenzüge vom alten IOI-Wolkenkratzerkomplex entfernt, wo ich einige Zeit als Zwangsarbeiter verbracht hatte. Jetzt gehörte auch er GSS. Wir hatten alle drei Gebäude in kostenlose Body-Locker-Hotels für Obdachlose verwandelt. Ihr erratet sicher, wer von uns vier hinter dieser Initiative stand.

Folgte ich der Skyline ein paar Zentimeter weiter nach rechts, konnte ich außerdem die Silhouette des umgebauten Hilton Hotels erkennen, in dem ich während des letzten Jahrs des Wettbewerbs ein Apartment gemietet hatte. Es war jetzt eine Touristenattraktion. Leute kauften tatsächlich Eintrittskarten, um meine zehn mal zehn Meter große Suite zu besichtigen, wo ich mich von der Welt abgeschottet hatte, um mich auf meine Suche nach Hallidays Easter Egg zu konzentrieren. Ich bin nicht sicher, ob den Leuten klar war, dass es sich dabei um die dunkelste, einsamste Zeit meines Lebens gehandelt hatte.

Seither hatte sich mein Dasein dem Anschein nach zum Besseren verändert. Nur dass ich jetzt hier mit hängendem Kopf vor dem Fenster stand und meiner nächsten Dosis ONI entgegenfieberte.

Die Portland Avenue Stacks in Oklahoma City, wo ich aufgewachsen war, hatte ich schon vor Jahren abreißen lassen und an der Stelle ein Denkmal für meine Mutter, meine Tante, Mrs. Gilmore und all die anderen Leute errichtet, die das Pech hatten, in diesem Drecksloch zu sterben. Die verbliebenen Bewohner konnten auf meine Kosten in einen neuen Gebäudekomplex umsiedeln, den ich am Stadtrand hatte bauen lassen. Mir wurde immer noch warm ums Herz bei dem Gedanken, dass alle ehemaligen Bewohner der Stacks, genau wie ich, nun etwas geworden waren, das sie sich nie hätten träumen lassen – Eigenheimbesitzer.

Auch wenn die Stacks meiner Kindheit in der realen Welt nicht mehr existierten, konnte ich sie dennoch jederzeit besuchen. In der OASIS gab es eine äußerst detailgetreue Nachbildung der Portland Avenue Stacks, genauso wie ich sie in Erinnerung hatte. Die Simulation wurde mit Hilfe von Fotos und Videoaufnahmen des realen Ortes vor der Zerstörung durch die Bomben geschaffen und war inzwischen eine beliebte Touristenattraktion in der OASIS und das Ziel zahlreicher Schulausflüge.

Manchmal ging ich sogar selbst dorthin, ließ mich in der akribisch genauen Nachbildung meines alten Verstecks nieder und staunte über die Reise, die mich von dort dahingeführt hatte, wo ich jetzt war. Der echte Lieferwagen, den ich als Versteck benutzt hatte, war aus dem Trümmerhaufen geborgen und auf dem Luftweg nach Columbus gebracht worden, um dort im GSS-Museum ausgestellt zu werden. Aber ich besuchte lieber die Simulation meines Verstecks, denn in der OASIS war es noch unter einem Haufen Schrott am Fuß der Portland Avenue Stacks verborgen, die genauso intakt waren wie damals, bevor Sorrentos Bomben sie einstürzen ließen und meine Kindheit beendeten.

Mitunter ging ich auch zu der Nachbildung des alten Wohnwagens meiner Tante Alice. Ich stieg die Stufen hoch, trat ein, rollte mich in der Ecke der Wäschekammer zusammen, wo mein ehemaliger Schlafplatz war, und entschuldigte mich bei meiner Mutter und meiner Tante dafür, dass ich indirekt ihren Tod verursacht hatte. Ich wusste nicht, wo ich sonst hingehen sollte, um mit ihnen zu reden. Keine von beiden hatte ein Grab oder einen Gedenkstein, den ich besuchen konnte. Und mein Vater ebenso wenig. Alle drei waren eingeäschert worden – meine Tante zum Zeitpunkt ihres Todes und meine Eltern später, dank des kostenlosen Einäscherungs- und Recyclingprogramms der Stadt. Jetzt waren sie nur noch Staub im Wind.

Bei diesen Besuchen begriff ich langsam, warum Halliday Middletown in so liebevollem Detail nachgestaltet hatte, obwohl es der Schauplatz vieler unangenehmer Kindheitserinnerungen für ihn war. Er wollte seine eigene Vergangenheit besuchen können, um sich darauf zu besinnen, was für ein Mensch er gewesen war, bevor die Welt ihn verändert hatte.

»Einen sch-sch-schönen guten Morgen, Wade!«, stotterte eine vertraute Stimme, als ich das Badezimmer betrat. Ich blickte zur Seite und sah Max, meine leidgeprüfte Systemagentensoftware, der mich von der Oberfläche des riesigen Smartmirror über dem Waschbecken aus anlächelte.

»Guten Morgen, Max«, brummte ich. »Was geht ab?«

»Die Post«, erwiderte er. »Das war einfach. Frag mich noch was, los!«

Als ich nicht antwortete, zog er eine Heavy-Metal-Grimasse, fing an, Luftgitarre zu spielen, und brüllte dabei: »Wade’s World! Wade’s World! Party Time! Jippieh yeah!«

Ich verdrehte die Augen und spülte vielsagend die Toilette von Hand.

»Mmh«, sagte Max. »Lahmes Publikum. Heute wieder falschrum im Sarg aufgewacht?«

»Ja, fühlt sich jedenfalls so an«, sagte ich. »Starte bitte die Morgen-Playlist.«

»This Must Be The Place (Naive Melody)« von Talking Heads begann, über die Hauslautsprecher zu spielen, und sofort entspannte ich mich.

»Gracias, Max.«

»De nada, mein kleiner Enchilada.«

Vor ein paar Monaten hatte ich MaxHeadroom v3.4.1 wieder als meine Systemagentensoftware installiert. Ich dachte, seine Gegenwart würde mir helfen, mich in den Geisteszustand zurückzuversetzen, den ich während Hallidays Wettbewerb hatte. Und ein Stück weit hatte es auch funktioniert. Es war so, als würde man einen alten Freund besuchen. Und ehrlich gesagt, kam mir seine Gesellschaft sehr gelegen. Obwohl ich im Hinterkopf natürlich wusste, dass es kaum weniger seltsam war, sich mit seiner Systemagentensoftware zu unterhalten, als Selbstgespräche zu führen.

Max las mir die Schlagzeilen des Tages vor, während ich mir meine Workout-Klamotten anzog. Ich ließ ihn alles überspringen, was sich um Krieg, Krankheiten oder Hungersnöte drehte. Also begann er mit dem Wetterbericht. Ich sagte ihm, dass er den auch noch weglassen könne, setzte dann meine nagelneue Okagami NexSpex Augmented-Reality-Brille auf und ging ins Erdgeschoss. Max begleitete mich und tauchte nacheinander auf einer Reihe antiker CRT-Monitore auf, die entlang meines Wegs an der Wand hingen.

Selbst mitten am Tag kam mir Hallidays alte Villa verlassen vor. Die Hausarbeit wurde von hochmodernen humanoiden Robotern erledigt, meistens während ich schlief. Ich hatte einen persönlichen Koch namens Demetri, aber der verließ seine Küche kaum. Das Team aus Securityleuten, die das Eingangstor bewachten und auf dem Anwesen patrouillierten, betraten das Haus nur, wenn irgendwo ein Alarm losging oder wenn ich sie hereinrief.

Die meiste Zeit war ich ganz allein, in einem riesigen Haus mit über fünfzig Zimmern, darunter zwei Küchen, vier Esszimmer, vierzehn Schlafzimmer und insgesamt einundzwanzig Bäder. Ich hatte keine Ahnung, warum es in dem Haus so viele Toiletten gab – oder wo sie sich alle befanden. Ich schrieb es der legendären Verschrobenheit des Vorbesitzers zu.

Noch in derselben Woche, nachdem ich James Hallidays Wettbewerb gewonnen hatte, war ich in sein altes Anwesen gezogen. Das Haus befand sich am Nordostrand von Columbus, und es stand damals komplett leer. Auf Hallidays Wunsch hin waren all seine Besitztümer nach seinem Tod vor fünf Jahren versteigert worden. Die Besitzurkunde für das Haus und die dreißig Hektar Land, auf denen es stand, waren jedoch Teil seines Nachlasses gewesen, den ich zusammen mit seinem restlichen Vermögen geerbt hatte. Samantha, Aech und Shoto waren so nett, mir ihre Anteile an der Immobilie zu verkaufen, so dass ich nun der alleinige Besitzer war. Jetzt wohnte ich in derselben abgeschiedenen Festung, in der sich auch der Held meiner Kindheit in der zweiten Hälfte seines Lebens eingeschlossen hatte. Der Ort, an dem er die drei Schlüssel und Tore geschaffen hatte …

Soweit ich wusste, hatte Halliday dem Anwesen nie einen Namen gegeben. Aber ich fand, dass es einen brauchte, deshalb hatte ich es Monsalvat getauft, nach der abgeschiedenen Burg, in der Sir Parzival in manchen Versionen der Artussage den Heiligen Gral entdeckt.

Inzwischen wohnte ich schon über drei Jahre in Monsalvat, aber ein Großteil des Hauses war immer noch leer und schmucklos. Für mich sah es allerdings anders aus, weil die AR-Brille das Haus automatisch verschönerte, wenn ich darin umherlief. Die kahlen Wände der Villa schmückte sie mit großen Wandteppichen, kostbaren Gemälden und gerahmten Filmpostern. Die leeren Räume füllten sich mit Möbeln und elegantem Dekor.

Zumindest bis ich meinem AR-System den Befehl gab, Platz für meinen Morgenlauf zu schaffen.

»Lade Tempel des Todes«, sagte ich, als ich den Fuß der großen Treppe erreicht hatte.

Der leere Eingangsbereich und die trübe erleuchteten Flure der Villa verwandelten sich augenblicklich in ein riesiges unterirdisches Labyrinth aus Höhlen und Gängen. Und wenn ich an mir hinabschaute, sah ich, dass die Workout-Klamotten einem perfekt nachgeahmten Indiana-Jones-Kostüm gewichen waren, komplett mit abgewetzter Lederjacke, Bullenpeitsche an der rechten Hüfte und zerfleddertem Filzhut.

Indys Titelmusik begann zu spielen, während ich den Gang entlangjoggte, und eine Vielzahl von Hindernissen und Gegnern tauchten vor mir auf, denen ich entweder ausweichen oder ihnen eins mit meiner imaginären Peitsche mitgeben musste. Für jedes Hindernis, das ich überwand, bekam ich Punkte und auch für jeden Gegner, den ich auslöschte. Außerdem gab es Bonuspunkte, wenn ich meine Herzfrequenz auf einem bestimmten Level hielt und wenn ich die Kinder, die im Tempel als Arbeitssklaven gehalten wurden, aus den Zellen befreite, die sich entlang meines Wegs befanden. So lief ich insgesamt acht Kilometer, von einem Ende meines Hauses zum anderen und wieder zurück. Es gelang mir sogar, meinen bisherigen Highscore zu brechen.

Ich beendete das Spielprogramm und nahm die AR-Brille ab. Dann rieb ich mich mit einem Handtuch ab und trank etwas Wasser, bevor ich zu meinem Workout-Raum ging. Auf dem Weg dorthin machte ich einen Zwischenstopp in der Garage, um meine Autosammlung zu bewundern. Von all meinen täglichen Ritualen brachte mich dieses eine immer noch zum Lächeln.

Die riesige Garage des Anwesens enthielt jetzt vier Kopien klassischer Filmautos – dieselben vier, die auch das aus verschiedenen Wagen zusammengesetzte Fahrzeug meines OASIS-Avatars, ECTO-88, inspiriert hatten. Ich besaß detailgetreue Nachbauten von Doc Browns 1982er DeLorean DMC-12 Zeitmaschine (vor der Umwandlung in ein Schwebefahrzeug); vom 1959er Cadillac Leichenwagen-Ectomobil, Ecto-1, der Ghostbusters; vom schwarzen 1982er Pontiac Firebird Trans-Am Knight Industries 2000, K.I.T. T. (mit Super-Verfolgungsmodus); und schließlich stand ganz hinten in der Garage noch ein Nachbau von Dr. Buckaroo Banzais Dimensionsgrenzen durchbrechendem Raketenauto, das aus einem stark modifizierten 1982er Pick-Up Truck der Serie F von Ford bestand, an dessen Karosserie die Air Scoops eines DC-3 Transportflugzeugs angeschraubt wurden. Darüber hinaus besaß er das Cockpit eines deutschen Kampfflugzeugs aus dem Zweiten Weltkrieg, ein turbinenbetriebenes Düsentriebwerk und Fallschirme zum schnellen Abbremsen.

Mit keinem dieser Autos war ich je gefahren. Ich ging einfach nur in die Garage, um sie zu bewundern. Manchmal setzte ich mich hinein, schaltete die Bildschirme und Anzeigen ein und lauschte alten Filmsoundtracks. Dabei ließ ich mir Ideen für den nächsten ECTO-88-Film einfallen – ein Projekt, das ich begonnen hatte, nachdem mein Therapeut mir dazu geraten hatte, mir eine kreative Beschäftigung zu suchen.

GSS besaß bereits die Medienfirmen, denen die Filmstudios gehörten, die die Rechte an Zurück in die Zukunft, Ghostbusters, Knight Rider und Buckaroo Banzai hatten, und nachdem ich heftige Lizenzgebühren an die Erben von Christopher Lloyd, David Hasselhoff, Peter Weller, Dan Aykroyd und Bill Murray bezahlt hatte, durfte ich computergenerierte FActors (Facsimile Actors) von ihnen in meinem Film auftreten lassen. Im Grunde waren das Nicht-Spieler-Charaktere, die mit künstlicher Intelligenz ausgestattet waren, so dass sie verbale Anweisungen verstehen konnten, nachdem ich sie in mein virtuelles Set der Cinemaster-Software von GSS eingefügt hatte.

Damit konnte ich mir endlich einen Fantraum meiner Jugend erfüllen: einen epischen Crossover-Film über Dr. Emmett Brown und Dr. Buckaroo Banzai, die sich mit Knight Industries zusammentun, um ein einzigartiges interdimensionales Zeitmaschinenfahrzeug für die Ghostbusters zu erfinden, mit dessen Hilfe diese alle zehn bekannten Dimensionen vor einem vierfachen Riss retten müssen, der das Gefüge des Raum-Zeit-Kontinuums zerstören könnte.

Ich hatte bereits zwei ECTO-88-Filme geschrieben, produziert und verfilmt. Beide hatten nach heutigen Maßstäben ein gutes Ergebnis eingespielt – inzwischen war es schwierig geworden, Leute überhaupt noch dazu zu bringen, für einen Film zu bezahlen oder ihn sich auch nur komplett anzuschauen. Es gab einfach zu viele andere preiswerte ONI-Net-Optionen. Im Grunde hatte ich noch nicht einmal meine exorbitanten Produktionskosten wieder eingespielt, aber darauf kam es auch gar nicht an. Was zählte, waren der Spaß an der Herstellung und die Freude der Fans. Zur Zeit arbeitete ich an ECTO-88 Teil III – dem letzten Kapitel meiner extrem nerdigen Trilogie.

Ich ging zu K.I.T. T., um ihm Hallo zu sagen, und er wünschte mir einen guten Morgen. Dann tauchte Max auf einem der Bildschirme auf dem Armaturenbrett auf und gratulierte K.I.T. T. zu seiner neuen Festplatte. K.I.T. T. bedankte sich bei ihm, und die beiden begannen, über die Eigenschaften der Festplatte zu fachsimpeln, wie zwei Hobbybastler, die sich für Motoren begeisterten. Sie redeten sogar dann noch weiter, als ich die Garage verließ.

Als Nächstes war es Zeit für mein Krafttraining, in dem unbenutzten Esszimmer, das ich in ein privates Fitnessstudio umgewandelt hatte. Max feuerte mich an oder kommentierte spöttisch, während ich die Eisen stemmte. Er gab einen ganz passablen Personal Trainer ab. Aber nach ein paar Minuten schaltete ich ihn auf stumm, um mir stattdessen eine Folge Doctor Who aus der Peter-Davidson-Ära anzuschauen. Es war eine von Kira Morrows Lieblingsserien gewesen, und Davidson war ihr drittliebster Doctor, nach Jodie Whittaker und David Tennant.

Recherche, erinnerte ich mich. Du musst mit deinen Recherchen weitermachen.