Rebellion der Vampire - Sylvia Seyboth - E-Book

Rebellion der Vampire E-Book

Sylvia Seyboth

5,0

Beschreibung

Zu viel ist in der Vergangenheit geschehen, als dass Aengus O’Donaghue die Bevormundung durch die Gilde der Vampire weiter hinnehmen kann. Bela, Narziß MacDevlin und er beschließen, sich gegen die Gesetze der Vampire zu wenden und an der Vampirgilde Rache zu nehmen. Doch ihr Vorhaben erweist sich schwieriger, als erwartet …

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Die 1971 in München geborene Autorin widmete sich von Jugend an dem

Schreiben. Nach einer Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau wechselte sie als Angestellte in den öffentlichen Dienst über. Der Drang zum Schreiben hielt jedoch in jeder Lebensphase an.

Weitere Informationen zur Autorin und ihren Projekten unter

www.sylviaseyboth.cms4people.de

Von Sylvia Seyboth außerdem bei Books on Demand lieferbar:

2010 –Tod unter der Mönchsweide    Roman

2010 - Katzenaugen können Herzen rauben    Tiergeschichten

2014 – Vampir in Untermiete    Roman

2014 – Rebellion der Vampire    Roman

Goodbye is the saddest Word, dies sagt eine Liedzeile.

Diese Worte begleiten mich seit dem frühen Tod meiner Mutter und ich verdanke es der zauberhaften Gegenwart Aengus O’Donaghues, dass ich in dieser schweren Zeit Ablenkung in der Entstehung des zweiten Teils der O’Donaghue Chroniken fand. Seine unvergleichliche Art durch meine Romane zu wandeln, lenkte mich von manch großem Kummer ab.

Ich werde dich niemals vergessen, Maus!

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

1. Kapitel

Irgendwo auf diesem Erdenrund.

Schummriges Licht fiel zwischen dem porösen Gestein einer alten Ruine hindurch, erhellte die Nacht, um das verfallene Gemäuer herum gespenstisch. Schatten tanzten durch das fahle Licht, das gerade genug Erhellung mit sich brachte, um im Inneren des vor langer Zeit zerstörten Gebäudes, die Atmosphäre eines zwar abstrakten, dennoch real anmutenden Kongresssaales entstehen zu lassen.

Anstelle eines großen Tisches stand eine riesige Steinplatte, gestützt von mehreren Granitquadern, im Zentrum der unwirklichen Szenerie. Die zu erwartenden Bürostühle wurden durch Steinblöcke ersetzt. Auf ihnen saßen schattenhafte Gestalten, elf an der Zahl, um den scheinbaren Konferenztisch. Schweigen! Stille!

Geräusche der Nacht bildeten die einzige Untermalung der seltsamen Zusammenkunft. Der Ruf einer einsamen Eule erklang im Hintergrund, dass Wehen des Windes betonte die gespenstische Szenerie, es wurde nur vom Rauschen der Blätter in den Baumwipfeln begleitet.

Keine kalten, trostlosen Neonröhren erhellten die unheimliche Gemeinschaft, sondern vereinzelte auf der Steintischplatte durch Wachs verankerte Kerzen warfen ihren warmen, lebendig flackernden Schein auf die ungewöhnlich blassen Gesichter der Kongressteilnehmer.

Die unterschiedlichsten Nationalitäten hatten sich versammelt und saßen in einmütigem Schweigen um den ungewöhnlichen Tisch. Über ihnen entfaltete sich der nächtliche Himmel mit Sternen übersät, vom abnehmenden Mond beschienen. Um sie herum umklammerten sie die Mauern des Verfalls, in ihrem Kreis Tod und Verdammnis.

Kein teuflischer Zirkel, der sich hier zusammengefunden hatte, um grausamen Höllenriten zu frönen oder nach hilflosen Opfern Ausschau zu halten. Nein! An diesem, für Menschen befremdlich anmutenden Ort fand ein Kongress der Vampire statt. Nicht irgendwelcher Allerweltsblutsauger. Hier saß die Creme de la Creme der Untoten. Die Gilde der Vampire!

Elf Mitglieder, nicht mehr und nicht weniger, von unterschiedlichstem Äußeren, verschiedenster Herkunft, Stand und Bildung. Und doch der verschworene Kern einer Art, die einsamer nicht sein könnte.

Durch ihre eigenen Gesetze dazu verdammt, in Einsamkeit ein Leben der Finsternis zu führen, allem Menschlichen abzuschwören und fortan nur noch den Regeln der Gilde zu gehorchen.

Hier saßen sie, die Auserwählten, die obersten Führer ihrer Art. Elf Wesen, die sich dazu aufgeschwungen hatten, die Höhen des Vampirismus zu erklimmen. Die auf jeden schwächeren, unerfahrenen Blutsauger herabsahen und über sein Schicksal Gericht hielten.

In früheren Zeiten bestand die Gilde aus zwölf Mitgliedern, doch einer der Erwählten starb vor vielen Jahren einen grausamen, bis zum heutigen Tag ungeklärten Tod. Nach althergebrachter Regel hätte der freie Platz durch einen neuen Teilnehmer besetzt werden müssen, doch der dafür infrage kommende Kandidat weigerte sich vehement, diesem grausamen Zirkel beizutreten.

Es wäre ein Leichtes gewesen, einen anderen, willigeren Anwärter auf diesen Posten zu setzen. Doch nach einstimmiger Übereinkunft hielten die Gildenmitglieder den Platz frei, für den einzigen, den sie unbedingt in ihrer Mitte wissen wollten. Dieser Vampir verfügte über Fähigkeiten, die den meisten von ihnen fehlten und er hätte ihnen gute Dienste als Lehrer leisten können, doch bisher versagte jedes Mittel kläglich, das ihn zum Eintritt bewegen sollte.

Unter den elf gefürchteten Mitgliedern der Gilde befand sich kein einziger, dessen Alter nicht mindestens 50 Vampirjahre aufwies. Fest aufeinander eingeschworen bildeten diese elf Wesen den Kern der Vampire aller Länder. Der erwünschte Zwölfte hätte die meisten von ihnen nicht nur an Fähigkeiten übertroffen, sondern auch durch sein fortgeschrittenes Alter. Er zählte bereits an die 400 Jahre und stand in der Reihe der Ältesten an dritter Stelle. Nur zwei Blutsauger aus dem Kreis der Gilde konnten ein noch höheres Alter aufweisen.

In stiller Eintracht saß die unheimliche Gruppe um den Tisch aus eiskaltem Material, die Hände vor sich auf der Steinplatte abgelegt, für alle anderen gut sichtbar.

Außer den Kerzen befand sich nur ein einziger, weiterer Gegenstand auf dem Gestein. Er stand unmittelbar vor dem am Kopfende sitzenden Vampir. Eine alte, glänzende Schiffsglocke, gehalten von zwei kupfernen Stützen.

Die Hände, des vor der Glocke sitzenden Blutsaugers, lagen ebenso unbeweglich auf der Platte, wie die der anderen Anwesenden. Trotzdem ging plötzlich ein Ruck durch die Schiffsglocke und sie geriet in Schwingung. Zuerst fast unmerklich, dann immer deutlicher sichtbar, bis ein erster dunkler Ton durch die Nacht drang.

Ohne eine Regung saßen die Teilnehmer des seltsamen Zirkels um den Tisch. Nur einer konnte den Schauder, der ihm über den Rücken rieselte, nicht unterdrücken und Bilder stiegen vor seinem geistigen Auge auf, die lange in der Vergangenheit zurücklagen. Bilder, die er kaum ertragen konnte, die ihm seelischen Schmerz zufügten, unter denen er zu zerbrechen drohte. Es war einzig seinem eisernen Willen und seinen unfassbaren Rachegelüsten zu verdanken, dass er seine Mimik in Zaum halten konnte und keiner der anderen von seinem bewegten Innenleben etwas mitbekam.

Bela lernte in all den vergangenen Jahren, dass er der Gilde niemals seine wahren Gefühle offenbaren durfte. Es hätte sowohl sein, als auch gleichzeitig das Ende seiner Pläne bedeutet. Um das zu verhindern, spielte er seine Rolle als folgsames Mitglied der Gilde, wohnte ihren Treffen bei und teilte notfalls die Schuld am Tod Unschuldiger. Nichts und niemand würde ihn davon abhalten, Rache zu nehmen für das, was ihm die Gilde vor unglaublich langer Zeit angetan hatte. Und er stand nicht alleine mit seinem Hass. An seiner Seite wusste er zwei Vampire, die ebenso wie er, nur ein Ziel vor Augen hatten. Die Vernichtung der Gilde und ihrer Glaubensformeln.

Aengus O’Donaghue, der Auserkorene, dem der Platz des zwölften Mitgliedes zugedacht war und Narziß MacDevlin, von dessen Existenz die Gilde niemals etwas erfahren durfte, da er nach ihrem Willen bereits seit über hundert Jahren hätte tot sein müssen.

Diese beiden Vampire waren seine Verbündeten im Kampf gegen Unterdrückung und Grausamkeit. Doch sie mussten sich verstecken, um einer Bestrafung durch die Gilde zu entgehen. Dem Iren O’Donaghue drohte für sein eigenständiges Handeln abgestraft zu werden. Der Waliser MacDevlin lebte, obwohl die Gilde ihm ein anderes Schicksal zugedacht hatte. Diesen Fehler würden sie mit Sicherheit endgültig ausmerzen wollen, was unzweifelhaft Narziß Vernichtung nach sich zog.

Einzig Bela konnte offen in Erscheinung treten. Er gehörte der Gilde als festes Mitglied an, wenn auch nur, um sie und ihre Vorhaben auszuspionieren und notfalls seine Freunde warnen zu können. Bisher schöpften die restlichen Zehn keinen Verdacht und vertrauten ihm als einem der Ihren. Solange dieser Zustand bestehen blieb, hielten die drei Kameraden einen Trumpf in der Hand, den sie erst in letzter Sekunde auszuspielen gedachten.

Ihre Pläne nahmen in den letzten zwei Jahren konkrete Formen an, die Durchführung ihres Vorhabens stand kurz bevor. Was sich als sehr günstig erwies, da die beiden Jüngeren ihre Ungeduld kaum noch bezähmen konnten. Zu stark waren die Wut und die Trauer um das Verlorene.

Aengus wagte es vor knapp zwei Jahren, gegen die Gesetze der Gilde zu handeln und eine Allianz mit einer Sterblichen einzugehen, die ihm anfangs unter Druck, später freiwillig, Unterschlupf in ihrem Haus gewährt hatte. Es entstand eine Art Freundschaft zwischen ihnen, die sich jedoch schnell in ein stärkeres Gefühl wandelte und den Iren auf den Gedanken brachte, seine Menschenfrau zur blutsaugenden Gefährtin zu machen. Sein Vorhaben wurde allerdings durch die Gilde vereitelt und aufs Grausamste zerstörten sie das Leben der Auserkorenen.

Aus diesen und vielen anderen, längst vergangenen Gründen kannte der Ire nur ein Ziel. Rache zu nehmen an der verhassten Gilde, für all das, was man ihm im Laufe der Jahre angetan hatte.

Bela hingegen wartete bereits solange auf seine Rache, dass ein paar Jahrzehnte mehr oder weniger nicht mehr ins Gewicht fielen. Trotzdem verspürte er eine gewisse Erleichterung, dass der Kampf sich langsam seinem Ende zuneigte.

Die Gedanken des alten Rumänen wanderten zu Narziß MacDevlin. Vor vielen Jahren beschloss der Anführer der Gilde, ein kleinwüchsiger Asiate, dass es eine Gefahr für die Oberhäupter der Vampire darstellte, wenn zu viele Anwärter ausgebildet wurden. Daher erließ die Gilde beinahe einstimmig den Beschluss, die derzeitigen Jungvampire ihrem Schicksal zu überlassen. Jeder Vampir, der sein fünfzigstes Jahr als Untoter noch nicht erreicht hatte, wurde ohne weitere Ausbildung von seinem Schöpfer fallen gelassen.

Auch Narziß MacDevlin war von diesem Tag an, auf Gedeih und Verderb auf seine wenigen, bis dahin erlernten Fähigkeiten angewiesen. Mit Sicherheit hätte er das Schicksal der anderen Anwärter geteilt und wäre elend zugrunde gegangen, wäre nicht Bela als sein rettender Engel in Erscheinung getreten.

Lange Jahre hatte der alte Rumäne mit dem schulterlangen, weißen Haar den äußerst fähigen Jungvampir beobachtet. Er zählte nicht zu seinen Schützlingen und erweckte doch ein Gefühl der Zugehörigkeit bei dem erfahrenen Lehrmeister.

Der Gedanke, einen geschickten Jungvampir wie Narziß ohne Grund aufzugeben, widerstrebte Bela ungemein und so beschloss er, gegen den Willen der Gilde, ganz im Geheimen, den Waliser weiter auszubilden.

MacDevlin blieb kaum eine andere Wahl, als diesen Vorschlag zu akzeptieren. Auf sich alleine gestellt, wäre er mit Sicherheit innerhalb kürzester Zeit ein Opfer seiner Unwissenheit geworden.

Es gehörte mehr dazu, als nur der Biss eines Vampirs, um einen neuen Blutsauger zu erschaffen. Es folgten viele Lehrjahre, welche notwendig waren, um die Fähigkeiten, die dieser Rasse zur Verfügung standen, zu verfeinern. Ohne diese Ausbildung gelang es keinem der Jungvampire, länger als ein paar Wochen zu überstehen.

Normalerweise übernahm der Schöpfer eines Anwärters auch seine Ausbildung, dementsprechend entwickelte sich ein Lehrling ganz nach den vorhandenen Fähigkeiten seines Meisters. Je gebildeter der Lehrer, desto ausgezeichneter der Schüler.

Bela begann die geheime Ausbildung des Walisers mit hohen Erwartungen, da sich dieser bereits in der Vergangenheit als sehr wissbegierig erwies und einen äußerst fähigen Schöpfer sein Eigen nannte.

Und er täuschte sich nicht in dem jungen Vampir. Innerhalb weniger Jahre verfügte er über einen Wissensstand, den nur ein einziger von Belas ehemaligen Schützlingen übertraf.

Der Ire O’Donaghue war Belas ureigenste Schöpfung und er konnte mit Stolz von sich behaupten, den Lehrling nahezu perfekt ausgebildet zu haben. Nach Aengus nahm sich der alte Rumäne nie wieder einen eigenen Lehrling. Keiner hätte diesem Vorgänger gerecht werden können. Einzig der Umstand, dass MacDevlin ohne seine Hilfe zugrunde gegangen wäre, brachte ihn erneut in die Situation, als Lehrmeister fungieren zu müssen.

Die Beziehung zu dem störrischen Blutsauger O’Donaghue glich eher einem Vater-Sohn-Verhältnis als dem eines Lehrmeister zu seinem Schüler, was den Umgang miteinander erschwerte, da Aengus, ganz der unbezähmbare Wildfang, immer nur nach seiner eigenen Fasson zu leben gedachte und sich auch von seinem Schöpfer nicht dreinreden ließ.

In dieser Hinsicht war Narziß leichter zu Händeln. Er verehrte den alten Vampir und bemühte sich seinen Wünschen und Vorstellungen gerecht zu werden. Erst als Bela ihm in einer schwachen Stunde von seinem ehemaligen Schützling erzählte, erwachte ein geradezu ungesundes Interesse an dem früheren Lehrling. Der Waliser löcherte seinen Lehrer mit Fragen und war letztendlich nicht mehr davon abzuhalten, den Kontakt zu dem Iren aufzunehmen.

Zuerst begnügte sich Narziß damit, sein Vorbild aus der Entfernung zu beobachten, doch alsbald gewann die Neugier endgültig die Oberhand und er suchte Aengus ausgerechnet in der Nacht in seiner Unterkunft auf, als die Gilde beschloss, die menschliche Gefährtin des Abtrünnigen zu vernichten.

Ein Denkzettel, der O’Donaghue dazu veranlassen sollte, sich endgültig den Regeln der Gilde zu unterwerfen und seinen Platz an ihrer Seite einzunehmen. Doch das glatte Gegenteil erreichten sie damit. Der Ire zog sich endgültig aus ihrem Bannkreis zurück, führte nunmehr seit zwei Jahren ein Leben als Ausgestoßener und musste sich verstecken, um der Strafe der Gilde zu entgehen.

In dieser Zeit wuchs sein Hass auf die Unterdrücker im nicht unerheblichen Maß an und er begann, die Vernichtung der gesamten Gilde zu planen.

Des Nachts erforschte er die Lebensgewohnheiten der anderen Vampire, sammelte Informationen über ihre Verstecke, ihre Fähigkeiten und Verbindungen. Narziß trug seinen Teil zur Konkretisierung ihrer Rachepläne ebenso bei, wie der Undercovervampir Bela. Dadurch verfügten die Rebellen inzwischen über einen Wissensstand, der es ihnen ermöglichte, in absehbarer Zeit das Ende der Gilde einzuleiten. Nach und nach wollten sie sich ein Gildemitglied nach dem anderen holen, bis nur noch Bela übrig bleiben würde. Diesen kostbaren Moment sehnte sie alle in gleicher Weise herbei, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven.

In Belas Vorstellung entstand nach Vollendung ihres Rachefeldzuges eine neue, tolerantere Gesellschaft der Vampire, deren hauptsächlicher Sinn darin bestand, Neulingen Bildung und Anstand zu vermitteln. Allein der Genuss von Blut bedeutete nicht, dass es sich bei ihnen um wilde, hirnlose Bestien handeln musste. Eine Schule wollte Bela gründen, Fähigkeiten vermitteln und den Stolz der Rasse „Vampir“ neu aus der Asche der vernichteten Gilde aufsteigen lassen.

Unbewusst zog ein sanftes Lächeln auf seinem, von Falten durchzogenen Gesicht auf.

Die Träume seiner Verbündeten kannte der alte Rumäne nicht. Aengus neigte zu einer geradezu ungesunden Form von Schweigsamkeit, seit man ihm seine Beinahegefährtin geraubt hatte. Narziß hingegen schwieg niemals, er schien von dem unseligen Zwang besessen zu sein, all seine Gedanken, und seien sie noch so wirr, an den nächsten zur Verfügung stehenden Zuhörer weitergeben zu müssen. Nur in einer Beziehung äußerte er sich niemals zu seinen Ansichten. Hinsichtlich seiner Zukunftswünsche schwieg er sich, gleich seinem großen Vorbild, vollkommen aus.

Die leise, schneidende Stimme ihres Anführers riss Bela aus seinen Gedanken.

„Ihr wisst, aus welchem Grund wir hier und heute zusammengekommen sind. Zwei Jahre sind heute auf den Tag genau vergangen, seit sich die Gilde gezwungen sah, dem abtrünnigen Aengus O’Donaghue eine Lehre zu erteilen. Und eben seit diesem ereignisreichen Tag hat besagter Aengus O’Donaghue unserem Kreis endgültig den Rücken gekehrt.“

Ein Raunen ging durch die Gruppe.

Belas Knurren wurde als Zustimmung gewertet und nicht weiter beachtet. Er drückte damit jedoch seine Wut über das Geschehene aus, wohl wissend, dass die anderen den Unterschied nicht bemerken würden. Er strich sich eine Strähne seines langen weißen Haares aus dem Gesicht, doch der stetig wehende Wind beförderte sie zurück in sein Sichtfeld.

„Wir wissen alle, dass uns dieser Mann sehr wohl gefährlich werden könnte. Er stellt eine Gefahr für unsere Existenz und unsere heiligen Gesetze dar. Und wir wissen, dass er über Möglichkeiten verfügt, die nicht nur an die unseren heranreichen, sondern sie zum Teil sogar übertreffen. Insbesondere seine Fähigkeit, sich unserem Zugriff zu entziehen, scheint bedauerlicherweise sehr ausgeprägt“, wieder pausierte der Anführer der Gilde und ließ seine wässrig grauen Augen prüfend über die Gruppe gleiten.

Betroffenes Schweigen war die Antwort.

Plötzlich drosch die Faust des Sprechers donnernd auf die Steinplatte und er erhob sich von seinem Platz. Was seine Größe nicht erheblich verbesserte. Er musste sich nicht einmal vornüber beugen, um sich mit den Handflächen auf dem Tisch abzustützen.

Allein seine Stimme spie all den Hass aus, den er dem gefährlichen Feind entgegenbrachte: „Mir scheint, ich bin der Einzige, der diesen Mann nicht unterschätzt. Wenn ich mir eure Bemühungen seiner habhaft zu werden so ansehe, möchte ich in tiefste Verzweiflung verfallen. Innerhalb von zwei Jahren war es keinem von uns möglich, auch nur den Ansatz eines Hinweises auf seinen derzeitigen Aufenthaltsort zu finden. Wie ist das möglich, frage ich euch?“

Das Murmeln brandete erneut auf. Jeder der Zehn versuchte, sich auf seine Weise zu verteidigen. Doch der Ankläger wischte ihre Einwände mit einer wütenden Handbewegung beiseite.

„Es ist nicht nötig, dass ihr euch verteidigt. Auch meinen Bemühungen war kein Erfolg beschieden. Das ist ja das Verdammenswerte!“, entfuhr es dem Sprecher genervt.

Anerkennende Stille für das ungewollte Bekenntnis breitete sich aus.

Ihr Anführer beugte sich ein Stück nach vorne und sein Gesicht wurde zum ersten Mal vom Schein der Kerzen voll erfasst. Es war ein asiatisches Gesicht, alt und zerfurcht, mit einem dünnen, weißen Haarkranz und kleinen, gehässigen Augen.

„Aber ich, Sien Hao, habe mir geschworen, nicht eher aufzugeben, als dass der Abtrünnige seiner gerechten Strafe zugeführt wird“, zischte der Asiat.

Bela musste ein herzhaftes Auflachen unterdrücken. Der Ausdruck „gerechte Strafe“ war in diesem Zusammenhang wirklich pervers.

Der Rest der Gilde schien das anders zu sehen. Beifall wurde laut.

Zur Tarnung klatschte auch Bela einmal lustlos in die knochigen Hände, beobachtete dann jedoch den kleinen Asiaten aufmerksam weiter. Der Wicht war trotz seiner geringen Körpergröße nicht zu unterschätzen. Er machte seine 1,46m durch besondere Grausamkeit und ein fast unglaubliches Durchhaltevermögen wett. Noch war keiner seiner Rache entgangen, wenn er ihn erst einmal aufs Korn genommen hatte.

Wie zum Beweis erklang die leise, unsympathische Stimme und tönte: „Ich werde keine Anstrengung scheuen und keiner Gefahr aus dem Weg gehen, um Aengus O’Donaghue zu stellen und für sein anmaßendes Verhalten zu bestrafen.“

Bela wusste nur zu gut, dass Sien Haos Anstrengungen darin ausuferten, den anderen den Befehl zur Suche nach Aengus zu erteilen und die einzige Gefahr in seinem Leben darin bestand, dass ihm einmal die ekel erregenden Ideen für seine Gräueltaten ausgingen. Im Grunde bestand seine Gefährlichkeit in seinem Hang zum Sadismus und der Fähigkeit, andere mit dieser Eigenschaft zu infizieren wie eine lästige Bazille.

Und eben diese Fähigkeit stellte er wieder einmal nachhaltig unter Beweis: „Steht auf, Brüder, Freunde, Genossen und reicht euch die Hände, sodass wir einen Kreis bilden, der jedes Übel abweist, das von außen auf uns einzudringen versucht. Gemeinsam sind wir unschlagbar! Lasst uns das nie vergessen.“

Nur widerwillig folgte Bela den Befehlen des Asiaten. Im Stillen hoffte er, dass es ihm persönlich beschieden sein mochte, dem unwürdigen Leben dieses zurückgebliebenen Halbaffen ein Ende zu bereiten. In diesem speziellen Fall war er sich sicher, dass seine sadistische Ader, der von Sien Hao in nichts nachstehen würde.

„Setzt euch wieder, meine Verbündeten“, befahl der Weißhaarige nach vollzogener Handlung energisch.

Er selbst blieb allerdings stehen, um nicht restlos unter der Tischkante zu verschwinden. Der Makel seiner kaum vorhandenen Größe war ihm sehr wohl bewusst und er versuchte dieses Defizit, bei jeder Gelegenheit durch kleine Tricks zu verringern. Mit leidlichem Erfolg. Hohe Absätze hatten zu mehreren Beinbrüchen geführt, sodass er von dieser Methode abgekommen war. Nun lenkte er durch geschäftige Bewegungen seiner Hände von den fehlenden Zentimetern ab und trug einen wallenden Umhang, um wenigstens an Breite zu gewinnen. Aber er wusste ganz genau, worin sein As im Ärmel bestand. Es war seine harte, unnachgiebige Durchsetzungskraft. Allein ihr hatte er es zu verdanken, dass er nicht sang- und klanglos in der Welt der Vampire untergegangen war. Durch sie hatte er sich bis an die Spitze durchgebissen und wich nun auch keinen Millimeter von dieser Linie ab.

„Wir müssen Aengus O’Donaghue finden!“, teilte er seinen dringendsten Gedanken der Außenwelt mit.

Seiner Einschätzung nach war der Ire ein Feind, dem er auf keinen Fall alleine in die Hände fallen wollte. Im Schutz der Gilde fühlte sich der Asiate sicher. Doch die Vorstellung niemanden an seiner Seite zu haben, der seinen Befehlen Folge leistete und ungefragt in seinem Sinne handelte, war erschreckend für ihn.

Bisher musste er sich über diesen Umstand keine Sorgen machen. Zehn Vampire gehorchten seinen Wünschen und setzten seine Vorgaben in die Tat um. Sie waren eine neue chinesische Mauer, die er um sich herum errichtet hatte, um sein eigenes jämmerliches Leben zu schützen. Dieser Schutzwall durfte keinesfalls zu bröckeln beginnen. Darum war es unabdingbar, dass er Aengus O’Donaghue aus der Welt schaffen ließ. Zu viel hatte er dem Iren angetan, zu wenig stand er ihm in der Vergangenheit zu, nun war das Maß voll.

Sien Hao wusste, dass O’Donaghue auf Rache sann, er konnte es fühlen. Tief in seinem Innersten malte er sich schreckliche Szenen aus und sie alle zeigten am Ende ein Bild: einen toten asiatischen Vampir! Er konnte sich gewiss sein, dass wo immer sich der Ire jetzt aufhielt, er nur auf den geeigneten Augenblick wartete, um mit tödlicher Sicherheit in Erscheinung zu treten und ihn zu beseitigen, geradeso wie er es mit seiner menschlichen Gefährtin getan hatte.

Die Hoffnung, dass der Ire jemals ein Mitglied der Gilde werden würde, hatte der Asiat längst aufgegeben. Wahrscheinlich würde er sich lieber selbst bis auf den letzten Tropfen Blut aussaugen, als diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen.

„Sein Versteck muss ausfindig gemacht werden, koste es, was es wolle! Hört ihr?“, bekräftigte er nochmals.

Es amüsierte Bela, dass der großmächtige Anführer der Gilde dem Einzelgänger und extravaganten Aengus so viel Respekt, oder besser gesagt Furcht entgegen brachte. Da stand der kleine, große Mann und forderte seine Gefolgschaft auf, für ihn die Dreckarbeit zu übernehmen, da er selbst weder körperlich noch geistig dazu fähig war.

Trotzdem unterschätzte Bela die Gefahr nicht, die von dem asiatischen Blutsauger ausging. In seinen Gedanken verglich er den unscheinbaren Vampir mit einem Adolf Hitler der Blutfürsten. Auch Sien Hao hatte es seiner Redegewandtheit zu verdanken, dass er zu derart hohem Amt und Würden gelangt war. Und ebenso wie dieser Despot, löschte er alles aus, was nicht seinem Sinn von Perfektion und Gehorsam entsprach, obwohl er selbst am wenigsten diesem Bild von Vollkommenheit glich.

Die restlichen neun Mitglieder der Gilde hatten gelernt, dass es besser war, sich dem Kleinwüchsigen zu unterwerfen, um keinen unnötigen Ärger heraufzubeschwören. Einzig Aengus und er handelten den Gesetzen immer aufs Neue zuwider, dabei vermied Bela seit Jahrhunderten nahezu perfekt, dass sein Ungehorsam ans Licht kam. Ganz im Gegensatz zu Aengus, der keineswegs vorhatte im geheimen sein abwegiges Leben zu führen, bis der geeignete Zeitpunkt gekommen war, um sein Vorhaben in die Tat umzusetzen.

Erst die grausame Rache an der unschuldigen Sterblichen belehrte den Iren eines Besseren. Sein Plan, die Frau ohne Zustimmung der Gilde zu seiner Gefährtin zu machen, überschritt den Grad des Möglichen. Diesen Affront gegen sich, als den Führer der Vampire, konnte sich Sien Hao nicht bieten lassen, wenn er nicht riskieren wollte, sein Gesicht vor den Gefährten zu verlieren.

Kathleens Todestag war zugleich der Tag, an dem sich Aengus endgültig dem Zugriff der Gilde entzog. Keiner bekam ihn seitdem noch einmal zu Gesicht. Nur Bela kannte das Versteck von Narziß und ihm und hielt den Kontakt mit den beiden Verstoßenen im geheimen aufrecht.

Von Narziß Existenz durfte die Gilde niemals etwas erfahren, denn das wäre gleichbedeutend mit der Vernichtung ihres Rachefeldzuges gewesen, bevor er überhaupt begonnen hatte. Nachdem er vor über einem Jahrhundert als Anwärter abgelehnt wurde und die Gilde ihn seinem Schicksal überließ, tauchte er unter. Keiner zweifelte daran, dass Narziß ebenso, wie all die anderen Anwärter, den Tod gefunden hatte.

Stattdessen erfreute sich der Waliser bester Gesundheit und eignete sich Fähigkeiten an, über die nicht einmal manches Gildemitglied verfügte. Durch diesen geschickten Schachzug gewann Bela den dritten Rebellen für den Kampf gegen die Unterdrückung durch die Gilde hinzu.

„Welche Neuigkeiten habt ihr mir zu diesem Problem zu melden?“, durchschnitt Sien Haos Stimme den Faden von Belas Gedanken.

Erneut strich der Rumäne die lästige, vom Winde verwehte Haarsträhne aus seinem faltigen Gesicht. Er zog seine wallende Kutte ein wenig enger um seinen Körper, eine für Vampire untypische Kälte hatte Besitz von ihm ergriffen.

Das zurückhaltende, leise Murmeln der Angesprochenen zeugte von ihren Misserfolgen, die sie lieber nicht vor ihrem gefürchteten Anführer aussprechen wollten.

Doch dieser duldete keine falsche Scheu: „Schlimmer als das Nichts, das ihr bisher herausgefunden habt, kann es doch diesmal auch nicht sein. Also ziert euch nicht so!“

Wagemutig erhob sich Bela von seinem Platz, der Sien Haos direkt gegenüberlag und ergriff als Erster das Wort. Er hatte nichts zu verlieren und konnte die unangenehme Seite dieses Treffens genauso gut gleich hinter sich bringen. „Zu meinem Bedauern ist mir nichts zu Ohren gekommen, was einen Anhaltspunkt für den derzeitigen Aufenthaltsort des Iren aufzeigt“, sprach er und setzte sich wieder.

„Gerade von dir hätte ich mehr erwartet. Schließlich warst du sein Lehrer und über lange Jahre sein Beschützer, der immer wieder ein gutes Wort für ihn vor dem Rat einlegte. Man könnte erwarten, dass er dir mehr Vertrauen als uns anderen entgegenbringen würde“, äußerte der Asiat seine Meinung anklagend.

Der Rumäne spürte instinktiv, dass es diesmal nötig war, stärker in den Vordergrund zu treten, um keinen Verdacht gegen seine Person aufkommen zu lassen. Es fiel ihm nicht schwer, ein wutentbranntes Gesicht aufzusetzen, und mit einem Ruck von seinem Sitz aufzustehen.

„Sien Hao, ich habe es satt, bei jedem unserer Treffen den Vorwurf hören zu müssen, dass ich derjenige war, der diesen Verräter in unsere Kreise eingeführt hat. Unterdrücke diese Anspielung demnächst, oder ich sehe mich gezwungen, eine öffentliche Entschuldigung von dir zu verlangen. Und du kennst meine Möglichkeiten“, wirkungsvoll ließ er die Drohung in der Luft stehen.

Die Mitglieder der Gilde hielten den Atem in angespannter Haltung an.

Für einen Augenblick sah es aus, als wollte sich der alte Asiate diese Behandlung nicht gefallen lassen, aber er wusste nur zu gut, dass die anderen Vampire den hageren Rumänen sehr verehrten und eine zu harte Maßregelung nicht akzeptieren würden. Darum äußerte er scheinheilig, in versöhnlichem Tonfall: „Verzeih, wenn meine Worte für dich wie eine Beschuldigung klangen. Natürlich zweifelte ich keinen Moment an deiner uneingeschränkten Loyalität.“

„Fragt sich, wem meine Loyalität gehört!“, dachte Bela insgeheim bissig. Laut sagte er dazu nur, „Ich nehme deine Entschuldigung an“, und setzte sich.

Das Wort „Entschuldigung“, passte Sien Hao in diesem Zusammenhang überhaupt nicht, aber er schluckte die aufsteigende Wut hinunter, um den Vorfall nicht unnötig heraufzuspielen.

Durch Belas tapferes Auftreten bestärkt, erhob sich nun ein weiterer mutiger Versager und stellte sich den Vorwürfen ihres Anführers. Der jugoslawische Blutsauger hatte in der Vergangenheit keinen seiner allzeit behandschuhten Finger gerührt, um den gesuchten Iren zu finden. Für ihn zählte nur seine eigene Bequemlichkeit und die versuchte er, sich mit allen Mitteln zu erhalten. Dabei stellte es bereits eine unermessliche Störung dar, dass er seit zwei Jahren gezwungen wurde, für das Auffinden des Abtrünnigen, in England Unterschlupf zu suchen. Er liebte seine Heimat Bosnien, nur dort konnte er unter seinesgleichen leben, den ganzen Tag mit Faulenzen verbringen und für jede noch so kleine Anstrengung seinen Preis in Blut fordern. Dort befand er sich weitab der Gilde und konnte mühseligen Aufträgen aus dem Weg gehen.

Allein der Zwang an den regelmäßigen Treffen teilzunehmen, nur um sich all die Probleme anzuhören, die mit nichts als unangenehmer, absolut vermeidbarer Arbeit zu tun hatten, war ihm lästig. Eben in diesem Augenblick könnte er in Bosnien vor seinem abgelegenen Haus sitzen, die Füße hoch legen und seinen Gedanken nachhängen.

Stattdessen die anstrengende Pflicht, hier in Erscheinung zu treten und eine weitere Ausrede zu erfinden, warum seine Suche nicht von Erfolg gekrönt war. Hätte er über die Fähigkeit der Gedankenreise verfügt, wäre es nicht nötig gewesen, in der Nähe ihres rituellen Treffpunktes ein Versteck für sich ausfindig zu machen. Als schlecht ausgebildeter Vampir blieb ihm jedoch nichts anderes übrig, als sich auf reichlich menschliche Weise fortzubewegen. Zu Fuß! Damit verbunden konnte er sich keine lange Anreise leisten. Zu oft erfolgte ihn in letzter Zeit die Aufforderung Sien Haos, sich an den vereinbarten Ort zu begeben und die Ergebnisse seiner Suche offen auf den Tisch zu legen.

Den Ruf seines Meisters zu vernehmen, gehörte zu den ersten Dingen, die ein Anwärter während seiner langwierigen Ausbildung lernte. Dabei hörte man im Grunde keinen Ton, es gestaltete sich eher derart, dass ein unbestimmtes Gefühl von seinem Körper Besitz ergriff, ihn dazu nötigte, dem Ruf zu folgen.

In letzter Zeit bedeutete der Ruf zu einer Zusammenkunft immer nur das Eine, die unausweichliche Frage nach ihren Erfolgen auf der Suche nach dem Iren. Somit musste sich Mecir jedes Mal eine neue Ausrede einfallen lassen, die sein Versagen herunterspielte und ihn nicht als nutzlosen Blutsauger offenbarte.

Überanstrengt von all den nie ausgeführten Taten, fuhr er sich durch das fetttriefende, schwarze Haar und rückte die ebenfalls schwarze Lederjacke zurecht. Ein überfordertes Stöhnen leitete seine Worte ein: „Ihr wisst ja, wie es zurzeit in meiner Heimat zugeht. Die Schwierigkeiten nach dem Ende des Krieges, da bleibt nicht viel Zeit. Ich habe kaum Gelegenheit an Informationen heranzukommen. Zu viel zu tun und mein Bewegungsfreiraum ist reichlich eingeschränkt! Keiner versteht die Probleme, vor denen wir in unserem Land stehen. Alles kaputt und der nächste Winter kommt auch irgendwann, dann wird alles noch schwerer.“

Er unterbrach seinen klagenden Redefluss für ein weiteres Stöhnen, dann plapperte er ungeniert weiter: „Und die Politik macht es einem auch nicht gerade leichter. Es geht drunter und drüber. Überall diese Soldaten. Die sind keinesfalls zu unterschätzen und stellen eine echte Gefahr für mich dar. Da ist man als anständiger Vampir ja seines untoten Lebens nicht mehr sicher. Dazu kommt dann auch noch, dass es seit dem Krieg komplizierter ist, an Nahrung zu kommen.“

„Warum, haben sie dir keine Blutkonserven zugeteilt, Mecir?“, unterbrach ein Spötter mit englischem Akzent den jammernden Jugoslawen. „Außerdem nahm ich an, dass du dich mittlerweile in England niedergelassen hast. Wie kommt es, dass du trotzdem den gesamten Wiederaufbau deines zerstörten Landes alleine betreibst?“

Der Bosnier fühlte den Zorn wie eine heiße Woge von sich Besitz ergreifen. Er zischte den Schalk wütend an: „Verdammter englischer Kriecher, du bist mit deinem schwarzen Humor auf der Suche nach O’Donaghue auch nicht weitergekommen, also halt dich lieber zurück, bevor ich dir zeige, wozu wir Jugoslawen fähig sind. Ein silberner Dolch würde sich bestimmt gut in deinem Herz machen.“

Diese Drohung ließ den englischen Blutsauger kalt. Ungerührt rückte er seine Fliege über dem blütenweißen Hemd zurecht. In gewohnt überheblicher Art, mit einem Unterton, der für die gehobene Klasse seines Landes typisch war, versetzte er dem Bosnier die nächste Spitze: „Lass mich raten! Eure größte Fähigkeit besteht darin, dass ihr die grauenhafte Seuche der Dummheit und Unfähigkeit über die ganze Welt verbreitet, wenn ihr nicht gerade dabei seit, euch gegenseitig umzubringen.“

Mecir war kurz davor, für diese Beleidigungen zur Blutrache zu schreiten, hielt sich angesichts der blutgierigen Übermacht der restlichen Vampire dann allerdings doch lieber zurück. In betont ruhigem Tonfall versuchte er sich aus der Angelegenheit herauszuwinden: „Große Teile der bosnischen Bevölkerung suchten während des Krieges in fremden Ländern Schutz, sie haben die Vorteile dieser Länder sehr schnell erkannt. Nun wollen sie nicht mehr nach Hause kommen und weigern sich ihr eigenes Land neu aufzubauen. Das ist ihnen auf einmal zu anstrengend. Wo bleibe da ich, frage ich euch? Die Alten, die zurückgeblieben sind, geben nicht genug her und sind ehrlich gesagt auch nicht nach meinem Geschmack. Wovon soll ich leben? Habt ihr…“

„Schluss mit diesem haltlosen Unsinn!“, fuhr Bela auf. „Denkst du, wir haben keine anderen Probleme, als über die Behäbigkeit deines Volkes zu diskutieren. Wäret ihr etwas toleranter gewesen, hätte dieser ganze unsinnige Krieg vermieden werden können. Aber deine Leute greifen lieber schnell zu einer Waffe, als…“

Der Angriff des Jugoslawen kam für Bela nicht überraschend, er rechnete mit dieser Reaktion, da er sie gezielt heraufbeschwor. Es stellte für den erfahrenen Vampir kein Problem dar, den untalentierten, faulen Blutsauger durch die Macht seines Geistes zu stoppen.

Gerade, als er mit einem Messer, das er aus einer Tasche seiner dicken Lederjacke hervorgezaubert hatte, zustechen wollte, verharrte er zwangsweise mitten in der Bewegung und sah erstaunt zu dem weißhaarigen Bela auf.

„Lass mich meinen Satz vollenden“, sagte dieser ganz ruhig und redete weiter, als wäre nichts geschehen: „…, dass sie ihr Gehirn einschalten und nach einer friedlichen Methode suchen.“

Der dickliche Jugoslawe konnte nicht fassen, dass er hier vor allen Augen zum Narren deklassiert wurde. Und das von einem alten, klapprigen Mann, der ihm rein körperlich weit unterlegen war. Zu dumm, dass er seine geistigen Fähigkeiten nicht in Betracht gezogen hatte.

„Mein ungestümer Freund, ich würde vorschlagen, dass du zurück an deinen Platz gehst und uns den wahren Grund deiner Unfähigkeit mitteilst“, setzte Bela in freundlichem Tonfall hinzu.

Mecir erkannte, dass hier Zurückhaltung angebracht war. Darum ließ er seinen ständigen Begleiter und wahrscheinlich besten Freund auf dieser Welt, das silberne Messer, wieder in seiner Jackentasche verschwinden. Dort konnte es ihm keinen Schaden zufügen, da es durch das Leder der Jacke von ihm ferngehalten wurde. Leise murrend ging er zu seinem angestammten Platz zurück.

Sien Hao konnte indes seine Begeisterung über das amüsante Zwischenspiel nicht verbergen. Mit beiden Händen schlug er sich kräftig auf die dürren Schenkel und stieß ein herzhaft meckerndes Lachen aus.

„Eine Eigenschaft, die ich schon immer an dir bewundert habe, Bela. Du nennst die Sache beim Namen, ohne Rücksicht auf Gefühle oder Verluste“, fasste der Asiate seine Gedanken in Worte, nachdem er sich wieder beruhigt hatte.

Mit ungehaltener Stimme wandte Sien Hao sich anschließend an den Jugoslawen: „Nun zu dir, Mecir. Ich verlange eine klare Antwort von dir. Hattest du auf deiner Suche nach Aengus O’Donaghue Erfolg? Ja, oder nein? Mehr will ich nicht hören.“

Zerknirscht sah der dicke Balkanese seinen Anführer über den Tisch hinweg an. „Nein“, flüsterte er zurückhaltend.

„Ihr Kapitalisten wart von jeher unfähig eure Untergebenen zu kontrollieren. In meinem Land wäre es unmöglich, dass ein Mensch einfach untertaucht. Mit dem Reichtum und dem freien Denken kam auch die Selbstbestimmung über eure Bevölkerung. Und das niedere Volk ist nicht fähig mit Macht und Selbstständigkeit umzugehen. Der Kommunismus ist die einzig dankbare Regierungsform. Solange es ihn in meinem Land gab, waren wir glücklich und mit dem zufrieden, was uns Mutter Erde und Genosse Gorbatschow zugestanden. Mit Einzug der Demokratie kamen die Gewaltverbrechen und das Besitzstreben. Kein guter Ausgangspunkt für ein friedliches Zusammenleben“, meldete sich der große, breitschultrige Russe zu Wort. Sein Bart zitterte, während er sprach, vor unterdrückter Energie, während sein Körper in strammer Soldatenhaltung erstarrt zu sein schien. Sogar seine Kleidung legte Zeugnis über seine Gesinnung ab, stolz trug er die traditionelle Kleidung der Kosaken.

Alle Blicke richteten sich auf den Hünen mit dem langen, zu einem Zopf zusammengefassten braunen Haar, der sich vor seinem Sitzplatz postiert hatte. Die Mundwinkel, wie zur Demonstration seiner Härte nach unten gezogen, dafür den Kopf hoch erhoben. Die Arme vor der Brust verschränkt, blickte er auf den Rest der Runde hinunter.

Für kurze Zeit verschlug es den anderen die Sprache. Keinen der Anwesenden interessierte seine Einstellung zur Politik, darüber waren Vampire schließlich erhaben. Für sie war nur eines relevant, ihre eigene Gesetzgebung und um deren Durchführung ging es bei diesem Treffen letztendlich.

„Ivan“, sprach Sien Hao den Russen mit sanfter Stimme an.

„Ja, Genosse Hao“, kam prompt die russisch korrekte Erwiderung.

Mit messerscharfem Ton fauchte der Asiate plötzlich: „Wer glaubst du will diesen Mist hören?“

Die Schultern des Hünen sanken für einen Moment nach unten, doch er richtete sich sofort wieder zu seiner vollen Größe auf und warf dem Winzling einen kühlen, emotionslosen Blick zu. „Niemand“, stieß er im Kasernenton heraus.

„Da wir das geklärt haben, wenden wir uns lieber unseren eigenen, nicht zu unterschätzenden Problemen zu. Was hast du zu unserem Treffen beizutragen?“, versuchte der alte Hao zum Kern der Sache vorzustoßen.

Kurz und prägnant erklang die Antwort: „Nichts!“, und der Russe sank auf seinen Stein zurück.

„Ivan Galenkiow…“, der Asiate legte eine bedeutsame Pause ein, bevor er seine Meinung offen kundtat: „… und für dieses „Nichts“ hältst du uns einen Vortrag über die Sitten und Gebräuche deines Landes? Manchmal habe ich das Gefühl, das ich, bis auf ein paar rühmliche Ausnahmen, nur von Spinnern umgeben bin.“

Diesmal ließ Bela seinen Gesichtsmuskeln freien Lauf und ein breites Grinsen erhellte seine Züge. Zum ersten Mal seit Langem war er mit Sien Hao einer Meinung und das Zufriedenstellende an dieser Erkenntnis war der Umstand, dass er ihn zu seinem Vorteil nutzen konnte. Jedes Mitglied der Gilde besaß seinen ganz persönlichen Schwachpunkt, mit dessen Hilfe es den Rebellen vereinfacht wurde, ihre Aufgabe zu erfüllen. Sie mussten nur gezielt nach diesen Schwächen suchen und sie gnadenlos für ihre Zwecke in Anspruch nehmen.

Eine Windböe zerrte an Belas schlohweißen, offen getragenen Haaren und verstärkte den Eindruck, er wäre einer längst vergangenen Epoche entsprungen.

„Auch auf die Gefahr hin, dass ich gleich sehr enttäuscht werde, muss ich euch doch eine Frage stellen“, setzte der alte Anführer an. „Hat mir einer von euch etwas Positives zu melden?“

Stille trat ein. Das Rauschen des Windes wurde hörbar, sogar das Knistern der Kerzenflammen konnte man auf einmal ganz deutlich vernehmen. Keiner rührte sich.

Plötzlich kam Bewegung in eine der im Dunkel sitzenden Gestalten. Der große, hagere Schatten erhob sich und trat in den Schein der Kerzen. Das indianische Gesicht mit der auffälligen Adlernase zeigte keinerlei Emotionen. Nur seine schwarzen Augen sprühten vor Stolz und Herablassung. Die ungewöhnliche Kleidung, bestehend aus einem blutroten Seidenhemd, schwarzen Jeans und braunen Wildlederstiefeln, mutete an dem Mann unpassend an.

„Das Nahe liegende scheint ihr alle zu übersehen“, schwang seine leise, angenehme Stimme, die an das Wehen des Windes erinnerte, durch die Nacht und zog damit die gesammelte Aufmerksamkeit auf sich. In einer ähnlichen Geste wie zuvor der Russe verschränkte auch er die Arme vor der Brust. Doch in seinem Fall war es nicht ein Zeichen militärischer Haltung, sondern Ausdruck seiner Entspanntheit.

Ohne auf eine Erwiderung zu warten, fuhr er fort: „Aengus O’Donaghue zeigte sowohl in seinem menschlichen wie auch in seinem Leben als Blutsauger eine herausragende Standfestigkeit in einer ganz bestimmten Beziehung.“ Sein wachsamer Blick glitt über die abwartenden Gildemitglieder und blieb schließlich an Belas Gesicht hängen.

Der Rumäne wusste, dass er sich in diesem Augenblick einem seiner mächtigsten Feinde gegenübersah. Kaum ein anderer aus dieser illustren Runde verfügte über einen derartigen Scharfsinn und vermochte es, durch Einsatz seines Verstandes, die meisten Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Bela hätte sich bei Weitem wohler gefühlt, wenn er Dancing Thunder als Verbündeten an seiner Seite gewusst hätte. Da dies aber nicht der Fall war, musste er sich seinem Feind mit Geschick stellen.

„Du spielst auf seine Heimatverbundenheit an. In diesem Punkt bin ich mit dir absolut einer Meinung“, wandte sich der rumänische Vampir an den Indianer.

„Könntet ihr uns Unwissende vielleicht in euer großes Geheimnis einweihen?“, ließ sich Sien Haos ungeduldige Stimme vernehmen.

Der kurze Blickwechsel zwischen den so unterschiedlichen Wesen bestätigte Belas Befürchtungen. Dancing Thunder hegte einen Verdacht. Die Frage war nur, gegen wenn oder was?

Der Indianer ergriff das Wort und führte seine Gedankengänge aus: „Wenn ihr euch die Lebensgeschichte von Aengus O’Donaghue anseht, dann sticht eines ganz besonders ins wachsame Auge. Solange er existiert, hat er niemals sein Land verlassen. Höchstens für die kurze Zeit, die er benötigte, um an einem unserer Treffen teilzunehmen. Ich schließe daraus, dass er auch in dieser Zwangslage keine Ausnahme machen wird. Darum werde ich mich von nun an bei meiner Suche auf die grüne Insel konzentrieren.“

Die Ansicht Dancing Thunders begeisterte Bela geradezu, doch er vermied es, diesen Gemütszustand auch nur durch ein Zucken eines Gesichtsmuskels zu verraten. Stattdessen äußerte er ernst: „Zu diesem Ergebnis bin ich bei meinen Überlegungen ebenfalls gekommen, doch es wird nicht einfach werden ihn aufzuspüren, denn er verfügt wie kein anderer über das Wissen, welche Orte in seiner Heimat am besten als Versteck geeignet sind.“

Anerkennung blitzte in den indianischen Augen auf, wurde jedoch sofort von dem offensichtlichen Zweifel ausgelöscht, der in ihm brannte, wie eine Kerze in den Tiefen der Nacht. „Seltsam, Bela, dass es gerade dir unmöglich sein soll, das Versteck des Iren zu finden. Schließlich lebst du sogar noch länger in Irland als deine Schöpfung Aengus.“

Diesen allzu deutlichen Verweis konnte der Rumäne nicht auf sich sitzen lassen. Darum bewegte er sich langsam auf die misstrauische Rothaut zu, bis seine gerade Nase fast die Spitze der Hakennase berührte. Das wütende Schnauben, das er ausstieß, musste er nicht einmal vortäuschen. Es kam aus den tiefsten Tiefen seiner hasserfüllten Seele.

Betont leise fauchte Bela den Feind an: „Lausche meinen Worten Freund. Dein Mut mag legendär sein, doch dieser Eigenschaft hinkt dein Verstand offenbar hinterher. Vergiss niemals darauf zu Achten, wen du dir zum Feind machst. Er könnte mächtiger sein, als du annimmst und nur zum Spaß dein elendes Leben beenden. Solltest du noch ein einziges Mal meine Loyalität in Zweifel ziehen, sehe ich mich gezwungen, ein Exempel an dir zu statuieren.“

Dancing Thunder war sich bewusst, dass er nur einen Bruchteil der Fähigkeiten des Rumänen kannte, und hatte nicht vor, ihn unnötig herauszufordern, darum neigte er den edlen Kopf in einer demütigen Geste, und hauchte wie der Wind in den Zweigen: „Es lag nicht in meiner Absicht, einen der unseren gegen mich aufzubringen. Verzeih, Bela, wenn es den Anschein erweckte, ich würde an deiner Aufrichtigkeit uns gegenüber zweifeln, es war ein simpler Einwurf, über den ich nicht groß nachgedacht habe. Trotzdem bleibe ich bei meiner Feststellung, dass es gerade dir als Kenner dieses Landes am ehesten möglich sein müsste, den Gesuchten ausfindig zu machen.“

Der alte Vampir war sich im Klaren darüber, dass der Indianer keineswegs von seinem Vorwurf Abstand nahm, sondern ihn nur in ungefährlichere Worte kleidete, doch er durfte nicht weiter darauf herumreiten, wollte er nicht riskieren, in den Mittelpunkt dieser Runde gerückt zu werden. Darum wechselte er diplomatisch zu einem ruhigen, freundlichen Ton über und bot dem gerissenen Feind sogar seine trügerische Unterstützung an: „Ich entnahm deinen Worten, dass es in deiner Absicht liegt, dich in meiner Wahlheimat nach Aengus O’Donaghue umzusehen. Wie du gerade sehr treffend feststelltest, kenne ich mich in Irland besser aus, als jeder von euch. Darum möchte ich dir vorschlagen, dass du mir mitteilst, wo du dich zu verstecken gedenkst. Damit vermeiden wir unliebsame Überraschungen, für den Fall, dass du plötzlich in Gefahr gerätst.“

Die hochgewachsene Rothaut musste sich fast auf die Zunge beißen, um dem alten Gauner nicht offen ins faltige Gesicht zu speien, was er von diesem Vorschlag in Wirklichkeit hielt. Doch die ihm angeborene Vorsicht siegte und er säuselte nur: „Noch habe ich mich nach keinem passenden Zufluchtsort umgesehen.“

„Dann bin ich gerne auf der Suche nach einer Unterkunft behilflich“, bot sich Bela an, wohl wissend, dass der Indianer mit dem klangvollen Namen ablehnen würde. Ein boshaftes Lächeln umspielte für alle sichtbar seine ausgezehrten Züge.

Dass zwischen Dancing Thunder und ihm nicht gerade ein freundschaftliches Verhältnis bestand, war sämtlichen Mitgliedern der Gilde bekannt. Sie durften also ruhig mitbekommen, was er von den ausweichenden Worten des Indianers hielt.

Für die anderen unbemerkt zuckte ein Muskel an Dancing Thunders Wange. Nur Bela erkannte die mit Mühe in Zaum gehaltenen Gefühle des Nordamerikaners und setzte dem Ganzen noch die Krone auf, mit der abwegigen Idee: „Warum ziehst du nicht einfach bei mir ein?“

Die nachtschwarzen Augen des Indianers wurden groß vor Staunen. Der durchtriebene Rumäne hatte wirklich immer wieder eine Überraschung auf Lager. Dieser Umstand bewies jedoch auch, woher der Ire O’Donaghue seine Fähigkeiten und die List nahm, mit der er seine absonderlichen Ziele voller Hartnäckigkeit verfolgte. Er hatte in der Vergangenheit einen guten Lehrer und wurde bewusst auf sämtliche Schwierigkeiten vorbereitet, die sich ihm einmal in den Weg stellen könnten. Dass er jenes Wissen nun gegen seine eigenen Artgenossen einsetzte, war zwar unvorhersehbar, doch offensichtlich kein Grund für Bela, die Ruhe zu verlieren.

Dancing Thunder spürte die abwartenden Blicke der Gildenmitglieder auf sich ruhen und wusste, dass er um eine Antwort auf dieses scheinheilige Angebot nicht herumkam, doch er hatte nicht im Entferntesten die Absicht, auf den dreisten Vorschlag einzugehen. Fast unmerklich schüttelte er den edel geformten Kopf und ließ die Stimme des Windes leise, aber unnachgiebig erklingen: „Getrennte Wege zu gehen gibt uns die Möglichkeit, ein größeres Gebiet nach dem Abtrünnigen abzusuchen.“

Gespannt hatten sich die restlichen Mitglieder der Gilde im Hintergrund gehalten und dem Gespräch gelauscht, doch nach der offenkundigen Ablehnung des Indianers ließen sich die unterschiedlich akzentuierten Stimmen deutlich vernehmen.

Im Befehlston gesprochene Worte erklangen hart aus dem Mund des Deutschen: „Mit dieser undisziplinierten Rothaut wird es noch ein schlimmes Ende nehmen. Es gibt schließlich Regeln, damit sie befolgt werden. Wenn einem ein erfahrener Vampir seine Hilfe anbietet, gibt es keinen Grund abzulehnen und auf die Möglichkeit zu verzichten, seine Fähigkeiten zu erweitern. Wissen ist Macht, das sagte schon… Verdammt, wer hat den Mist doch gleich verzapft? Ach, wen interessiert das schon!“

Die gemütlich, brummige Bassstimme eines abseitsstehenden Farbigen erklang beschwichtigend: „Brüder, es ist kein gutes Zeichen, das uns der Herr sendet, wenn wir beginnen auf die eigenen Verbündeten loszugehen. Zügelt euer Temperament und lasst uns vernünftig an das Problem Aengus O’Donaghue herangehen.“

„Rückgratloser, kriechender Wurm. Redest von einem Gott, der dich anscheinend gerade in dem Moment verlassen hat, da du ihn am dringendsten benötigt hättest. Wo war er denn, dein christlicher Herrscher, als die Hungersnot in deinem erbärmlichen, rückständigen Land um sich griff und die Menschen zu Tausenden dahinraffte? Wenn es einen Gott gibt, dann den des Blutes und der ewigen Verdammnis. Er hat dich als du bereits bis auf die Knochen abgemagert warst zu dem gemacht, was du nun bist und er ist es, der dich bis zum heutigen Tag am Leben erhält. Auch wenn ich nicht verstehe, warum er sich solche Mühe mit dir gibt, Ungläubiger“, fuhr ein in arabischer Landestracht gekleideter Vampir den mittlerweile wohlgenährten, ungewollten Bruder an.

In gläubiger Überzeugung tönte der gedrungene Farbige: „Vor dem Allmächtigen sind alle Geschöpfe gleich, auch wenn sich Gott in vielen Gestalten präsentiert. Du nennst ihn Allah, aber es ist doch derselbe Schöpfer und Bewahrer, dem ich diene. Die Religionen mögen verschiedene Wege gehen, doch Gott ist für alle der gleiche.“

„Bei Allah! Verderbnis über dich und dein überlebensunfähiges Volk. Früher war der Glaube deiner Ahnen ein anderer, doch mit den weißen Eroberern kam auch das Christentum und ihr habt euch in den Sand vor ihre blassen Füße geworfen und fort an alles übernommen, was sie euch zeigten. Sohn einer läufigen Hündin, du solltest dich auf die alten Werte besinnen und endlich diesem Irrglauben abschwören!“

Die dicken Lippen des Christen wollten sich gerade öffnen, um einen Widerspruch loszuwerden, der ihm sehr am Herzen lag, doch Sien Hao schaltete sich in gewohnt ruppiger Art in das Gespräch ein: „Samuel! Karim! Schluss damit! Wir müssen uns auf Wichtigeres konzentrieren, als auf euren fanatischen Glaubenskrieg. Unsere Lebensform nennt keinen Gott sein Eigen, wir schwören mit unserem Übertritt allem Menschlichen ab, auch jeglicher Art von Religion. Wozu also die Aufregung über derart nebensächliche Dinge?“

„Sien ‘ao ‘at recht. Da zeigt es sich doch wieder einmal ganz deutlich, dass wir Franzosen dem Rest der Welt ein gutes Stück voraus sind. Unsere größte Passion ist das eigene Wohlbefinden. Essen, Trinken und dem Wunsch nach Entspannung nachgeben können, das sind die erstrebenswertesten Dinge im Leben. Wir praktizieren das in reinster Perfektion“, mischte sich eine vor Überzeugung triefende Stimme mit französischem Akzent in das Gespräch.

„Jean, Jean, Jean! Wie kann man nur von Wohlbefinden reden, wenn man gezwungen wird Schnecken und Frösche zu vertilgen, ganz zu schweigen von der Abartigkeit, kleine Singvögel zu verschlingen, die kaum einer Katze als Nahrung ausreichen. Nur weil ihr Franzosen dazu neigt, alles in den Mund zu nehmen, was andere erschauern lässt, haltet ihr euch für unschlagbare Gourmets. Aber was soll man schon von einem Mann halten der de la Kroxe heißt“, schaltete sich der Deutsche in das Streitgespräch ein.

Mit vor Wut gerötetem Gesicht fuhr ihn der Franzose an: „Das ‘eißt, Delacroix. Du musst ‘in ‘ören.“

„In was soll ich ören?“, spottete der Deutsche.

„Friedrich Wil’elm ‘inze, ‘ast du denn gar keinen Respekt vor fremden Kulturen?“, fragte Jean vorwurfsvoll. Sein Doppelkinn geriet gefährlich in Wallung.

„Wahrscheinlich sollte ich mich dazu nicht äußern, aber was die Deutschen meinem Volk angetan haben, sagt doch alles über ihre Einstellung“, mischte sich ein Vampir dezent in das Gespräch ein. Die den orthodoxen Juden preisgebenden Locken reichten bis auf seine dürren Schultern und wippten frenetisch auf und ab.

Der Deutsche schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn und stöhnte: „Himmel, muss ich mir jetzt etwa wieder diese ollen Kamellen anhören. Das Ganze ist über sechzig Jahre her, nimmt das denn nie ein Ende.“

„‘at man da noch Worte! Jetzt reitet der wieder auf seinem Lieblingsthema ‘erum. Wie kommt es nur, dass ihr Juden nicht fä’ig seit, das langsam zu vergessen?“, fragte der Franzose genervt.

Isaak Goldzahn ließ sich die Gelegenheit zu einer erneuten Aufrollung der geschichtlichen Ereignisse nicht entgehen: „Hier wurde versucht, ein ganzes Volk auszurotten!“

Lange Zeit hielt sich Dancing Thunder zurück, doch nun war seine Geduld am Ende. Er kam sich vor, als hätte man ihn in ein Terrarium voller Tanzmäuse gesteckt. Alle rotierten, sprangen ziellos herum und verrenkten sich bei ihren unnötigen Drehungen sämtliche Glieder, doch keiner konzentrierte sich auf das eigentlich Wichtigste, das Überleben.

„Was glaubst du Jude, wurde meinem Volk angetan? Aber wir jammern nicht bis auf den heutigen Tag und verlangen ständig Wiedergutmachung in Form von Geld. Mir reicht es!“, sagte er und bewies die Aufrichtigkeit seiner letzten Worte, indem er sich vor ihren Augen auflöste und die Runde ohne Erlaubnis von Sien Hao verließ.

Dieser regte sich sofort ungeheuerlich über den unglaublichen Verstoß gegen seine Macht auf und sprang mit sich überschlagender Stimme um den Tisch herum. Sein weiter Umhang wehte hinter ihm her, wie eine Fahne im Wind.

Bela nützte den Augenblick völliger Verwirrung und rempelte den Jugoslawen unsanft an, sodass dieser auf seinem Hinterteil hart zu sitzen kam. Um Entschuldigung heischende Worte ausstoßend, half er Mecir wieder auf die Beine und klopfte den Staub von dessen Kleidung ab.

„Ist ja schon gut! Ich werde es überleben, kann ja mal vorkommen“, wehrte der Bosnier die Hilfsdienste energisch ab.

Der Rumäne unterließ weitere Säuberungsaktionen, schlich um die als Tisch dienende Steinplatte herum, nicht ohne sich unauffällig in den Besitz der Schiffsglocke zu bringen, trat zu dem wutentbrannten Asiaten und hielt ihn am Ärmel seiner mönchsähnlichen Kutte fest. Seine besänftigende Stimme drang beruhigend an Sien Haos Ohren: „Kein Grund zur Aufregung. Die hilflose Situation, in der wir uns alle befinden, hat den Indianer vergessen lassen, dass er dir Hochachtung zu zollen hat. Vergib ihm!“

Seine Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Der Anführer der Gilde zog die Schultern hoch, richtete sich auf seine Zehenspitzen auf, um wenigstens annähernd an Belas Brust heranzureichen und nickte begütigend mit dem Gnomenkopf. In einer betont lässigen Bewegung zog er den Umhang fester um seine braune Kutte.

„Da wir heute Nacht offensichtlich nichts mehr erreichen werden, löse ich hiermit die Versammlung auf. Der Termin unseres nächsten Treffens wird euch früh genug übermittelt, aber ich warne euch, gebt euch diesmal etwas mehr Mühe!“

Hastig wurden alle Dinge beseitigt, die auf ihre Anwesenheit hätten hindeuten können. Die Kerzen wurden ausgeblasen und verschwanden in den Taschen der Blutsauger. Der Asiat beobachtete das peinlich genaue Vorgehen seiner Untergebenen, griff mit einer zielsicheren Bewegung nach der Glocke und erstarrte, als seine Hände ins Leere fassten. Nervös sah er auf den Platz, an dem er die Schiffsglocke, wie gewohnt, abgestellt hatte. Er war leer.

Noch ehe er auf den Verlust des rituellen Zubehöres hinweisen konnte, verschwanden die restlichen neun Anwesenden auf die gemäß ihren Möglichkeiten angemessene Art. Bela sowie der Araber lösten sich einfach in Luft auf. Deutscher, Engländer und Jugoslawe verließen zu Fuß den Ort ihrer Zusammenkunft. Die restlichen Anwesenden mussten für eine Weile in Meditation versinken, um ihre Kräfte zu sammeln, um sich schließlich ebenfalls in Nichts auflösen zu können.

Zurück blieb ein verstört dreinblickender und handlungsunfähiger Sien Hao. War es möglich, dass der Ire das Durcheinander genutzt hatte, um in den Besitz des Kleinods zu kommen? Eigentlich glaubte der Asiat nicht, dass Aengus O’Donaghue über derart ausgeprägte Fähigkeiten verfügte. Irgendeinem hätte seine Anwesenheit doch auffallen müssen! Oder etwa nicht?

Ein Gedanke der Hao nervös um sich blicken ließ, jetzt da seine Chinesische Mauer abgebaut war und er ganz allein inmitten der Überreste der Ruine stand. In diesem Augenblick hätte er viel darum gegeben, noch ein wenig kleiner und unauffälliger zu sein, nur um möglichst schnell Schutz in einem Mauseloch zu suchen. Stattdessen löste er sich hastig auf und suchte seinen hochherrschaftlichen Unterschlupf auf.

2. Kapitel

Ein Buch in den schlanken, mit langen, dünnen Fingern ausgestatteten Händen, saß der von der Gilde gesuchte Ire in einem gemütlichen Sessel und starrte angestrengt auf die Schrift vor sich. Seine Stirn lag in Falten, die Augen flogen von links nach rechts über die Zeilen, schienen die Worte nur so in sich aufzusaugen. Alles hätte ganz beschaulich gewirkt, hätten seine schwarzen Augen nicht hin und wieder über den Rand des Buches böse Blicke abgeschossen und wären seine Nägel nicht verkrampft in den Einband des Buches gekrallt gewesen.

Sein dunkelbraunes, welliges Haar fiel vom Licht der Leselampe in unwirklichen Glanz getaucht auf seine hageren, knochigen Schultern und verlieh ihm den Anschein eines Glorienscheines. Seine verkniffenen Gesichtszüge ließen die Anstrengung erahnen, die es den Vampir kostete, sich auf das Geschriebene zu konzentrieren. Auch seine Körperhaltung zeugte von innerer Anspannung und unterdrückter Wut. Jeden Muskel gestrafft, saß er stocksteif und aufrecht in dem Sessel und versuchte seine aufgewühlten Gedanken unter Kontrolle zu bekommen.

Um ihn herum herrschte ein heilloses Chaos. Zeitungen stapelten sich wild durcheinander geworfen, teils bis auf eine Höhe von einem Meter, auf dem Boden. Tageszeitungen, Boulevardpresse, Reiseberichte, Computerjournale, ein unüberschaubares Angebot an neumodischer Informationsfülle.

Kleidungsstücke jeder nur erdenklichen Stilrichtung verteilten sich über die wenigen Möbel, die dem beengten Dachboden einen wohnlichen Anstrich geben sollten.

Ein CD-Player plärrte im Hintergrund zum hundertsten Mal das gleiche Lied, das durch die Repeattaste fixiert war. Doch damit nicht genug, es lief auch ein Radio auf Volltouren und spie seine Werbebotschaften in regelmäßigen und eindeutig zu kurz aufeinanderfolgenden Zeitabständen aus.

In der hintersten Ecke des Raumes befand sich ein kleiner Fernseher, der durch sein unscharfes Bild nicht gerade zum Fernsehen verlockte. Auch er entledigte sich einer unermesslichen Informationsflut, die keinen der Anwesenden wirklich interessierte.

Eine Kaffeemaschine stieß ein heiseres Röcheln aus und wies damit zum wiederholten Male darauf hin, dass die braune Brühe bereits seit einer Stunde fertig durchgelaufen war und nur darauf wartete, von einem dankbaren Kaffeetrinker genossen zu werden.

Das Kassettendeck einer Stereoanlage spulte ein auf Kassette gebanntes Hörspiel ab. Immer und immer und immer und immer wieder, da das Gerät am Ende des Bandes automatisch auf die andere Seite wechselte und erneut von vorne begann.

Unterhalb einer von innen mit Brettern verrammelten Dachluke stand ein wackeliger, sehr instabil wirkender Schreibtisch. Auf der durch Farbkleckse verunstalteten Arbeitsplatte befand sich ein Computer, vor dem der walisische Blutsauger Narziß auf einem Ungetüm von Drehstuhl saß und sich auf die Ausführung eines Programms konzentrierte. Auch seine sonst so glatte, schöne Stirn war von Falten verunziert, wie die des Iren, doch wurden seine Runzeln von Ratlosigkeit in die samtene, bleiche Haut gefräst.

Seine sanften, haselnussbraunen Augen fixierten das Bild, das sich ihm auf dem Monitor bot, und gingen mit fanatischen Leuchten den Text durch, den er im Lauf von einigen Stunden eingegeben hatte. Die schlanke Gestalt saß zusammengesunken, mit entspannt hängenden Schultern auf dem Drehstuhl und ließ sich durch nichts von seiner Arbeit ablenken.

Die Technik übte eine Anziehungskraft auf ihn aus, der er sich mittlerweile bei aller Anstrengung nicht mehr entziehen konnte. Jeder neue Apparat, jede noch so kleine technische Neuerung musste von ihm erkundet und analysiert werden. Es sollte kein technisches Geheimnis geben, das er nicht lösen und für ihre Pläne nutzen konnte.

Die nervenaufreibende Geräuschkulisse um sich herum nahm er kaum wahr, da er sich in dieses rätselhafte, unverständliche Programm vertieft hatte und nach dem Schlüssel für die Ausführung einiger Befehle suchte.

Im Gegensatz zu dem Waliser hielt Aengus O’Donaghue nicht allzu viel von den modernen Hilfsmitteln der Technik. Er zog ein gutes Buch allemal einem Abend vor dem Bildschirm eines Computers vor und konnte beim besten Willen nicht verstehen, wie es ein Wesen zustande brachte, sämtliche Lärmmaschinen der Moderne gleichzeitig laufen zu lassen, ohne dabei restlos den Verstand zu verlieren.

Er hielt diesem Spektakel nun schon seit mehreren Stunden stand, versuchte krampfhaft sich in sein Buch zu vertiefen und die Geräuschkulisse, um sich herum geistig zu verdrängen. Doch nun war seine Geduld am Ende. Zermürbt von dem Getöse sprang er auf, warf seinen Schmöker in die weichen Polster des Sessels und stürzte auf das Radio zu, das gerade zum fünfzehnten Mal in dieser Nacht denselben Werbespot einer Bierfirma auskotzte, wie all die Trinker dieser Welt sich wohl zur gleichen Zeit des Inhaltes ihres Magens entledigten.

In seiner entnervten Hast übersah er einen Stapel Fachzeitschriften für Gärtner, stolperte darüber, hechtete auf einen kleinen Tisch zu und konnte sich gerade noch an der hilflos röchelnden Kaffeemaschine festhalten, was zur Folge hatte, dass der Apparat auf der glatten Unterfläche wegrutschte und mit Wucht an der Wand anschlug. Was wiederum dazu führte, dass der Inhalt der Kanne überschwappte und sich über die Tischplatte ergoss wie geronnenes Blut.

Aengus versuchte Haltung zu bewahren, richtete sich hastig auf und schaltete mit einer schnellen Bewegung die Kaffeemaschine aus. Diese quittierte die Unterbrechung der Stromzufuhr mit einem dankbaren Aufstöhnen und einem letzten absterbenden Laut der Zufriedenheit.

Dieses Gefühl konnte der Ire mit der gemarterten Apparatur nicht teilen, da der Lärm, der weiterhin von allen Seiten auf ihn eindrang, kaum geringer geworden war. Mit einem schnellen Blick erfasste er die Aufstellung der Folterinstrumente der Neuzeit, teilte seinen nächsten Angriff auf die von Narziß angeschleppten Monster planmäßiger ein und ging zum Kampf über. Diesmal sollte ihn „Der grüne Finger, eine Gärtnerfachzeitschrift, nicht aufhalten und auch kein andersgeartetes Sammelsurium. Hier musste Ruhe rein kommen!

Mit zwei gezielt, zwischen Zeitschriftenstapel und Computerdisketten gesetzten Schritten war er bei dem Radio angelangt und drehte dem Gerät gnadenlos den Saft ab. Eine geschickte Wendung auf den Zehenspitzen brachte ihn in die gewünschte Positur, um sein nächstes elektrisches Opfer in Angriff zu nehmen. Den plärrenden CD-Feind vor Augen wühlte er sich durch eine lose Blattsammlung, übersprang eine Wand aus Schachteln und Dosen, stand schließlich schwer atmend vor der Jammerbox seines Verbündeten und gab ihr durch einen gezielten Schlag auf die Stopptaste den Gnadenstoß.

Erregt und doch ob des fast unglaublichen Sieges befriedigt, sah er sich nach weiteren mechanischen Unholden um, und fand den gesuchten Gegner in Form der Stereoanlage, welche gerade erneut die Seite der Kassette wechselte, um ihn wie mit einem Dolchstoß die Anfangsmelodie des Hörspieles mitten ins Trommelfell zu jagen.

„Ha! Ha!“, rief er seinem Feind wagemutig entgegen, setzte über einen Haufen herumliegender CDs und hieb auf die erste Taste ein, die er mit seinen schlanken Fingern erreichte. Doch der Klang der monotonen Stimme des Erzählers schwang weiter Unheil verkündend durch den Raum. Aengus drosch auf eine zweite Taste ein, aber das ewige Plappermaul faselte unaufhaltsam weiter.

„Nicht mit mir, mein Freund!“, drohte er zischend und schlug auf einen Schalter nach dem anderen. Nichts konnte die verhasste Stimme aufhalten. Schließlich verlor der Ire die Nerven und griff zum grausamsten aller Mittel, die er im Kampf gegen die moderne Technik parat hatte. Er zog den Stecker aus der Steckdose.

Ein hämisches Grinsen überflutete seine asketischen Züge und es hätte fast ein Gefühl der Zufriedenheit von ihm Besitz ergriffen, wäre da nicht noch das Stimmengewirr aus dem Fernseher gewesen, das in seinem Rücken erklang und ihn zu neuen Schandtaten herausforderte.

Unvermittelt drehte er sich auf dem Absatz herum, vergaß seine bisher planmäßige Angriffsstrategie und stürzte auf den Fernseher zu. Sein Fuß verfing sich in dem Kabelgewirr, welches sich fast durch das gesamte Zimmer spannte und er fiel vornüber, ohne seinen Sturz abbremsen zu können.

Hart schlug er der Länge nach auf dem Boden auf, den erstaunten Blick auf den kriselnden Bildschirm geheftet. Wütend stemmte er sich mit den Händen vom Boden ab und zog die Beine unter den Körper, damit er in eine kniende Position kam. Seine aufgeschrammte Hand streckte sich nach dem Kabel des Fernsehers aus, er schlang seine Finger um das Plastik und war gerade im Begriff kräftig daran zu ziehen, als ein Satz aus dem Lautsprecher des Geräts ihn innehalten ließ: „Desensibilisierung ist eine Methode, die man bei den meisten Arten von Allergien anwenden kann.“

Der Ire entließ das Kabel aus seiner Umklammerung und richtete seinen Oberkörper kerzengerade auf.