Vampir in Untermiete - Sylvia Seyboth - E-Book

Vampir in Untermiete E-Book

Sylvia Seyboth

5,0

Beschreibung

Der Traum vom eigenen Haus wird für Kathleen Ensworthy endlich wahr. Doch bereits kurz nach dem Einzug, muss sie feststellen, dass dieses Haus ihr so schnell nicht alleine gehören würde. Ein unerwünschter Untermieter, der gar nicht daran denkt seinen Unterschlupf aufzugeben, bewohnt seit langer Zeit das einsam gelegene Gebäude auf dem Land. Der irische Vampir Aengus O’Donaghue, schuf in der Vergangenheit mit viel Mühe den Mythos des „Unheimlichen Hauses“, um störende Besucher fernzuhalten. Doch mit den Jahren entwickelte sich dies zu einem Nachteil, da sich die Geschichten verselbstständigten. Er ist ebenfalls nicht unbedingt begeistert von der Vorstellung, sein Heim von nun an mit einem Menschen teilen zu müssen. Doch er erkennt sehr schnell die nützlichen Seiten dieses Arrangements.

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Seitenzahl: 720

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Die 1971 in München geborene Autorin widmete sich von Jugend an demSchreiben. Nach einer Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau wechselte sie alsAngestellte in den öffentlichen Dienst über. Der Drang zu schreiben hielt jedoch injeder Lebensphase an.Weitere Informationen zur Autorin und ihren Projekten unterwww.sylviaseyboth.cms4people.de

Von Sylvia Seyboth außerdem bei Books on Demand lieferbar:

2010 –Tod unter der MönchsweideRoman2010 - Katzenaugen können Herzen raubenTiergeschichten2014 – Vampir in UntermieteRoman

Dieses Buch widme ich all jenen, die es ebenso wie ich lieben, den Schauder des Übersinnlichen zu verspüren und keine Angst davor haben in eine fremde Welt einzutauchen, um sie kennenzulernen. Doch ganz besonders ist dieser Roman meiner Mama gewidmet, die aufgrund ihrer schweren Krankheit vor ihrem Tod nicht mehr dazu kam ihn zu lesen und doch im Gedanken immer bei mir war.

Danke für all Deine grenzenlose Liebe.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

Oktober 1648

1649

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

Prolog

Verworren ist er, der Traum, der sie seit vielen Jahren durch ihr Leben begleitet. Ein Haus ragt vor ihr auf, sie betrachtet es mit sehr gemischten Gefühlen. Dunkel und abweisend steht es vor ihr, scheint sie durch seinen Anblick verjagen zu wollen und erreicht geradewegs das Gegenteil damit. Es fasziniert sie, zieht sie magisch an, bindet sie an sich.

Bis der rätselhafte Fremde in ihrem Blickfeld auftaucht. Sie kann sein Gesicht nicht klar erkennen, es ist undeutlich und verschwommen, doch alles an ihm ist ebenso dunkel und abweisend, wie das Haus. Seltsamerweise fürchtet sie sich auch vor ihm nicht, sie geht auf ihn zu, streckt die Hände nach ihm aus, scheint ihn um etwas zu bitten.

Dunkle Wolken ziehen über dem geheimnisvollen Gebäude auf, der Fremde scheint sich langsam vor ihren Augen aufzulösen, verschmilzt mit den Wolken zu einer grauen Einheit. Ein Blitz zerreißt die Dunkelheit, taucht das unheimliche Haus in ein unwirkliches Licht, schlägt direkt in den Dachstuhl ein. Feuer lodert auf, das Dach beginnt zu brennen.

Sie geht langsam weiter auf das Haus zu. Es ist wie ein innerer Zwang, nichts kann sie aufhalten. Sie öffnet die Haustür und betritt das alte Gebäude.

Ein Seufzen geht durch die Mauern. Das Haus ist zufrieden, es hat bekommen, was es wollte, sein Wille ist geschehen.

Die Tür fällt hinter ihr ins Schloss. Ein ungutes Gefühl breitet sich in ihr aus. Es ist nicht so, wie es sein sollte. Sie wird sich bewusst, dass sie gefangen ist. Das Haus ist das Gefängnis, der Fremde der Wärter.

Entsetzen breitet sich in ihr aus. Sie rennt zurück zu der Tür, durch die sie das Haus betreten hat. Ihre Hand ergreift die Klinke, drückt sie herunter. Nichts rührt sich, die Tür ist verschlossen. Mit den Fäusten schlägt sie auf das Holz ein, schreit um Hilfe, kratzt sich die Fingerspitzen blutig.

Hitze erfasst sie. Überall diese alles verzehrende Hitze. Sie lehnt sich dagegen auf, aber die Hitze ist stärker, lässt nicht von ihr ab, erstickt ihre Hilferufe.

1. Kapitel

Es war einer dieser nebelverhangenen Tage, die zu Irlands alltäglichen Leben gehören wie das Meer, die saftigen grünen Wiesen und Wälder, die diesem Land vor langer Zeit seinen Namen gegeben haben: die grüne Insel.

Und das ist sie wirklich, grün. Von einem unbeschreiblichen, intensiven Grün, das jeden in seinen Bann zieht, der es einmal gesehen hat. Die sanften Hügel, die ausgedehnten Moore, die lang gestreckten Küstenlandstriche und über all dem der graublaue Himmel, der so typisch ist für dieses einzigartige Land.

Nur wenige können sich dem Zauber dieser Insel im Atlantik entziehen und die, die einmal dort waren, kommen immer wieder. Doch kein Fremder empfindet die Liebe zu diesem Land so tief wie ein Ire.

Niemand kann die Intensität der Heimatliebe der Iren nachfühlen. Keiner versteht den unüberwindlichen Wunsch nach Rückkehr, nach immerwährender Anwesenheit in der Heimat. Nur der Tod kann einen Iren von der Sehnsucht nach seinem Land, seiner Heimat, seiner Kultur trennen. Doch auch nach dem Tode ist er weiterhin mit dem was er am meisten liebt verbunden mit der Erde Irlands.

Einigen Wenigen ist es jedoch gelungen, auch nach dem Tod ein Dasein in ihrer Heimat zu führen. Heimlich und vor den Augen der Lebenden verborgen, nisten sie sich in alten Ruinen und unbewohnten Häusern ein und führen ein einsames, fremdartiges Leben.

Aengus O’Donaghue ist eines dieser Wesen. Kein lebender Mensch, kein Toter, ein Vampir.

Seit über 350 Jahren fristete er ein Unleben als Blutsauger. Die letzten sechzehn Jahre dieses Daseins verbrachte er in einem alten seit langem unbewohnten Haus. Sein jetziges Leben bot ihm kaum Abwechslung und er sehnte sich nach etwas Neuem in seiner einseitig, tristen Existenz. Aus diesem Grund stellten Bücher die größte Herausforderung für ihn dar. Wenn er ein Buch zu lesen begann, konnte er in eine andere Rolle schlüpfen, Gefühle erleben, die ihm bisher fremd waren, eine neue Identität annehmen.

Auch an jenem ereignisreichen Tag ging er seiner Lieblingsbeschäftigung nach und saß kurz vor Einbruch der Dämmerung, in einen alten Klassiker vertieft, in einem Ohrensessel im Keller. Er las seit mehreren Stunden ohne Unterbrechung, doch seine Augen wurden nicht müde, sein Geist blieb unbegrenzt bei der Sache. Erschöpfung kannte er nicht.

Um ihn herum herrschte Totenstille, kein noch so kleines Geräusch durchbrach diese einzigartige Stille. Das Haus lag weit ab vom nächsten Ort, nur eine kleine, selten befahrene Straße, führte nahe daran vorbei.

Hin und wieder wurde die Einsamkeit des Vampirs von einem vorbeifahrenden Auto unterbrochen, doch er kümmerte sich nicht weiter um die Geräusche der Fahrzeuge. Sie stellten für ihn keine Bedrohung dar und seine Beute suchte er sich anderen Orts.

Aus diesem Grund ignorierte er auch den Wagen, der sich gerade dem Haus näherte. Der Fahrer würde, wie so viele vor ihm, an seinem Haus vorbeifahren und es nicht weiter beachten. Kaum einer würdigte das alte Gebäude eines Blickes, geschweige denn einer eingehenden Betrachtung. Der graue Stein, aus dem es erbaut war, wirkte dunkel und trostlos auf den Betrachter. Seine massive, klobige Form verführte ebenfalls nicht zu einer längeren Besichtigung. Von dem insgesamt heruntergekommenen Äußeren ganz zu schweigen.

Der perfekte Wohnort für ein Wesen wie Aengus O’Donaghue und er war froh, diesen Zufluchtsort gefunden zu haben. Hier konnte er seine Neigungen vollkommen ungestört ausleben und war trotzdem nicht gezwungen das, seiner Meinung nach, unwürdige Leben eines, nach menschlichem Ermessen, blutrünstigen Monsters zu führen. Lange hatte er nach einem derart geeigneten Ort als Unterschlupf gesucht und war nun nicht geneigt, ihn wieder zu verlassen.

Darum schreckte er auch aus seiner stoischen Ruhe auf, als er bemerkte, dass der Wagen nicht wie gewohnt an dem Haus vorbeifuhr, sondern langsam auf dem Grundstück davor ausrollte.

Wachsam geworden, lauschte er auf die Geräusche, die zu ihm herunter drangen.

Zwei Autotüren wurden geöffnet und wieder zugeschlagen. Stille. Schritte näherten sich dem Gebäude, hielten inne, Stimmen wurden laut.

Obwohl sich der Vampir im Keller des Hauses befand, konnte er jedes Wort deutlich verstehen. Sein Gehör war sehr fein und um vieles besser, als das eines Menschen.

„Nun sehen Sie sich dieses Prachtstück an. Läge es nicht so abgelegen, hätte ich es mit Sicherheit schon lange an den Mann gebracht. Das erklärt auch den geringen Preis. Die Bausubstanz ist übrigens bestens, die Renovierung dürfte nicht sehr viel kosten. Eine Kleinigkeit hier, eine Kleinigkeit dort und schon ist es wieder wie neu. Am besten sehen wir uns das Goldstück gleich mal von innen an. Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass die Inneneinrichtung des Vorbesitzers ebenfalls im Kaufpreis enthalten ist?“, pries eine männliche Stimme das Haus an.

Aengus setzte sich in seinem Sessel kerzengerade auf, legte das Buch auf den Tisch neben sich und lauschte der Dinge, die da kamen.

„Ich weiß nicht. Es sieht nicht gerade aus, als wäre es mit einer kleinen Renovierung getan. Wie steht es zum Beispiel um das Dach?“, erwiderte eine weibliche Stimme.

Aengus geübtes Gehör erkannte sofort, dass diese Stimme einer jungen Frau gehörte. Belustigt über die unerwartete Abwechslung, lehnte er sich wieder in seinem Sessel zurück und genoss das Geschehen. Hier drohte ihm keine Gefahr und er konnte unbemerkt die Vorgänge dort oben verfolgen. Es bestand mit Sicherheit nicht die Gefahr, dass die Frau das Haus kaufen würde. Sie würde sich eine Weile von dem Makler beschwatzen lassen, doch spätestens, wenn sie sich das völlig heruntergekommene Innere des Hauses ansah, würde sie auf dem Absatz kehrt machen und auf nimmer Wiedersehen verschwinden.

„Das Dach ist in tadellosen Zustand, da kommen in den nächsten Jahren keine zusätzlichen Kosten auf Sie zu. Wie ich schon erwähnte, gehört das Mobiliar ebenfalls zum Kaufpreis. Also bleiben Ihnen auch in dieser Beziehung sämtliche Nebenkosten erspart. Genau genommen müssen Sie nur eine unerhebliche Summe in die Reinigung der Räume investieren. Vielleicht noch ein paar kleine Anschaffungen und das wäre es dann auch schon. Wenn das kein Angebot ist!“

„Ich werde mir auf alle Fälle das Haus auch von innen ansehen, dann können wir noch einmal über den Kaufpreis reden. Falls ich dann überhaupt noch zu einem Kauf bereit bin“, entgegnete die Frau selbstbewusst.

Sehr gut, sie ließ sich wenigstens nicht sofort von dem Kerl beschwatzen. Vielleicht bot sie ihm noch etwas mehr Unterhaltung an diesem Tag. Fast wünschte er sich, er könnte ihr Gesicht sehen, wenn sie den ersten Blick auf die völlig verdreckte Halle warf.

Ein schelmisches Lächeln breitete sich auf seinem schmalen Gesicht aus. „Nun, man kann nicht alles haben.“

Er hörte, wie jemand einen Schlüssel ins Schloss steckte und ihn herumdrehte. Das Quietschen der mittlerweile rostigen Angeln verriet Aengus, dass die Türe geöffnet wurde.

Es würde nun noch eine Weile dauern, bis jemand die Fensterläden öffnete, um das letzte Licht des Tages in die Halle zu lassen. Darauf würden mit Sicherheit ein entsetzter Aufschrei und das Gezeter einer aufgelösten Frau folgen. Ja, in dieser Reihenfolge sah er es kommen.

Schmunzelnd legte er die Handinnenseiten aneinander und wartete ab, ob seine Vorhersage eintraf.

„Kommen Sie nur herein und sehen Sie sich um. Ist diese Halle nicht einfach überwältigend? Ein paar hübsche Bilder an den Wänden, eine nette Garderobe und Sie fühlen sich sofort willkommen geheißen.“

Die junge Frau schien nicht derselben Meinung zu sein und äußerte ihre Zweifel sehr nachdrücklich: „Bei dieser Finsternis kann kein Mensch die Halle beurteilen. Sie müssen schon ein wenig Licht hereinlassen, oder die Beleuchtung einschalten.“

„Mit Elektrizität kann ich im Moment nicht dienen, Miss Ensworthy. Da dieses Gebäude schon eine Weile leer steht, wurde der Strom natürlich abgestellt“, erklärte der Makler. „Wenn Sie es jedoch wünschen, ist es mir ein Vergnügen, die Fensterläden für Sie zu öffnen.“

Und schon vernahm der Vampir im Keller das Knarren der widerspenstigen Läden. „Gleich wird die Frau ...!“

„Stimmt, in die Reinigung werde ich Geld investieren müssen und zwar verdammt viel, so wie es hier aussieht. Ich kann nur hoffen, dass die Halle nicht der ordentlichste Aufenthaltsort im Haus ist“, kam sie sofort zur Sache. „Sie sagten, die Einrichtung gehört zum Kaufpreis?“, erklang ruhig und gelassen die angenehme Stimme der Frau.

Erstaunt ließ der Vampir die Hände sinken.

„Ja, das ist richtig.“

„Ich sehe hier allerdings keine Einrichtung. Nicht einmal die Garderobe, die mich willkommen heißt“, entgegnete sie schlagfertig.

„Gut pariert!“

„Ich muss gestehen, hier in der Halle ist nicht viel übrig geblieben. Allerdings bei den restlichen Räumen ist das etwas anderes. Kommen Sie, sehen wir uns das Wohnzimmer an“, forderte der Makler die Frau eifrig auf.

Aengus konnte hören, wie sich die Schritte der Beiden auf das Wohnzimmer zu bewegten.

„Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, sich die restlichen Räumlichkeiten mit einer Taschenlampe anzusehen? Ich kann nicht wegen jedes Interessenten die Fensterläden öffnen und schließen. Sie verstehen?“

„Ein kleiner, mieser Trick, mein Freund. Mal sehen, ob sie darauf hereinfällt.“

„Es tut mir wirklich leid, aber das kann ich nicht verstehen. Entweder ich kann mir alles bei dem wenigen verbleibenden Tageslicht ansehen, oder wir vergessen die Sache!“, kam scharf die Erwiderung.

„Mm, eine Frau, die sich durchzusetzen weiß.“

„Nun gut, ich werde für Sie eine Ausnahme machen. Es ist zwar nicht üblich, da es doch ziemlich anstrengend ist, jedes Mal die großen Fensterläden zu öffnen und wieder zu schließen, aber wenn Sie darauf bestehen.“

Schritte bewegten sich durch das Zimmer. Angestrengtes Stöhnen und Ächzen drangen zu Aengus herunter. Der Vampir konnte sich lebhaft vorstellen, welchen Kraftaufwand es dem Makler abverlangte. Er kannte die riesigen Fensterläden im geräumigen Wohnraum aus eigener mühseliger Erfahrung. Schließlich hatte er sie vor Jahren zugezogen, um das Tageslicht auszusperren.

„Ich habe in den letzten Wochen zehn Interessenten dieses Haus gezeigt und keiner hielt es für nötig, dazu die Fensterläden zu öffnen“, schimpfte der Mann leise vor sich hin.

Aengus konnte sich nicht erinnern, dass er auch nur einmal in den letzten Jahren, einen Makler oder etwaige Kauflustige hier gesehen hatte. „Offensichtlich ist die junge Dame an einen gerissenen Geschäftemacher geraten.“ Obwohl er dem Mann zugestehen musste, dass dieses Haus tatsächlich in einem allgemein guten Zustand war. Im Grunde waren wirklich nur unerhebliche Reparaturen zu verrichten. Wenn man mal davon absah, dass ein unerwünschter Untermieter im Kaufpreis inbegriffen war. Doch dieses Problem würde sich der jungen Frau nicht stellen. Mit Sicherheit lag ihr das Gebäude zu abgelegen, war der hässliche Kasten ihr das Geld nicht wert. Es gab viele Gründe, aus denen sie das Haus nicht kaufen würde. Er brauchte sich also nicht die Mühe machen, sie davonzujagen. Sein Leben erfuhr heute etwas Abwechslung, das war alles.

Ein Rumpeln riss den Vampir aus seinen Gedanken und veranlasste ihn dazu seinen Kopf zu heben und interessiert in Richtung Decke zu sehen.

Anscheinend waren die Fensterläden nun offen. Hoffentlich war noch etwas von ihnen übrig geblieben.

„Ich hoffe, die werden nicht immer so schwierig zu öffnen sein!“, meinte die Frau mit schelmischem Unterton in der Stimme.

„Keineswegs, Miss Ensworthy! Ein wenig Öl und das geht wieder wie geschmiert. Sie werden sehen, es handelt sich immer nur um kleinere Schäden, die leicht zu beheben sind“, versicherte der Makler atemlos von der Anstrengung.

Ein kurzer Augenblick der Stille trat ein. Sie schien sich den Raum zu betrachten. Wenn sie einen geübten Blick besaß, würde sie sehr schnell feststellen, dass die Bücher in den Regalen von einigem Wert waren. Die Regale selbst konnte man mit ein bisschen Arbeit und Möbelpolitur schon bald wieder auf Hochglanz bringen. Einige der Einrichtungsgegenstände jedoch waren so sehr vom Lauf der Jahre gezeichnet, dass sie nur noch dem Sperrmüll zugeführt werden konnten. An all den Staub und Verfall in diesem, sonst sehr gemütlichen Raum, mochte Aengus gar nicht erst denken. Wie würde sie auf den nicht sehr erfreulichen Anblick reagieren, der sich ihr nun bot?

„Ich schätze, es wird ein Vermögen für Putzmittel draufgehen. Aber das Zimmer scheint die Mühe wert zu sein. Mal sehen, wie es im Rest des Hauses aussieht. Wohin führt die Schwingtür?“, erklang die ruhige Stimme der Frau.

„In die Küche. Ich muss zugeben, sie ist nicht gerade auf dem neuesten technischen Stand. Jedoch sehr praktisch und absolut benutzbar.“

Die Türe quietschte leise in den Angeln.

„Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie auch hier Tageslicht wünschen?“, fragte der Makler vorsichtig.

„Die Küche ist einer der Räume, in denen man die meiste Zeit des Tages verbringt, folgerichtig ist anzunehmen, dass ich gerade sie genau in Augenschein nehmen möchte. Also bitte, machen Sie sich die Mühe und öffnen Sie die Fensterläden!“, forderte sie streng.

Wenigstens musste sich der Makler diesmal nicht so anstrengen. Die Fensterläden waren um einiges kleiner als die im Wohnzimmer und bei Weitem besser erhalten. Es dauerte nur einen Moment und Aengus konnte hören, wie sie gegen die Hausmauer schlugen.

„Na ja, mal abgesehen davon, dass die Küche nur einen alten Gasherd besitzt, scheint doch alles in Ordnung zu sein. Den übrigen Komfort kann man nach und nach selbst hinzufügen. Wie viele Zimmer hat dieses Haus eigentlich?“

„Im Erdgeschoss haben wir den Wohnraum und die Küche und im 1.Stock befinden sich das Schlafzimmer sowie Bad und Toilette. Und dann haben wir da noch den Keller. Er ist ein echtes Juwel an Geräumigkeit. Drei Zimmer, jedes etwa so groß wie die Küche, sogar mit Heizung. Aus diesem Keller muss man geradezu etwas machen, es ist als hätte man drei zusätzliche Zimmer. Der einzige Nachteil besteht darin, dass der Keller nicht über Fenster verfügt. Aber ich denke, wir sehen uns sowieso zuerst die Zimmer im 1.Stock an“, schlug der Makler der jungen Frau vor.

„Was ich bisher gesehen habe, scheint dem geringen Kaufpreis angemessen. Wenn die oberen Räume sich in keinem wesentlich schlechteren Zustand befinden, denke ich, können wir über einen eventuellen Kauf des Gebäudes sprechen.“

Das passte keineswegs in die Pläne von Aengus O’Donaghue.

„Nun, dann sollten wir nicht lange zögern“, trieb der Makler begeistert zur Eile. „Gehen wir nach oben.“

Schritte wanderten durch den Wohnraum, betraten die Halle und erklommen die Treppe zum 1. Stock.

„Gleich hier haben wir das Badezimmer. Sie werden sogar beim Licht der Taschenlampe zugeben müssen, dass es in einem Top Zustand ist. Sicher ist es nicht nötig, dass wir auch hier die Fensterläden öffnen.“

„Sie haben recht, das Bad ist nicht nur in einem guten Zustand, es wirkt bei dieser Beleuchtung sogar als wäre es erst kürzlich geputzt worden. Erstaunlich, da die unteren Räume keineswegs in einer derartigen Verfassung sind. Wieso ist dieser Raum so erstaunlich sauber?“, fragte die Frau interessiert nach.

Auf die Antwort war auch Aengus gespannt. Der Makler konnte schließlich nicht wissen, dass er das Bad in der Vergangenheit des Öfteren benutzt hatte.

„Nun ich denke, das ist leicht zu erklären. In einem durchgehend gefliesten Raum, der nur mit den nötigsten Möbeln bestückt ist, fängt sich der Staub nicht so leicht und lässt ihn darum nicht so heruntergekommen wirken.“ versuchte der Makler, den seltsamen Sachverhalt zu erklären. Und das schien er wirklich gut gemacht zu haben.

„Sie haben recht, das könnte eine Erklärung für dieses Phänomen sein. Nun gut, besser so, als wenn es wie unten aussehen würde. Dann nehmen wir uns jetzt wohl am besten noch das Schlafzimmer und den Keller vor. Ich denke es wird nicht nötig sein, im Schlafzimmer extra die Fensterläden zu öffnen. Soviel anders als in den restlichen Zimmern wird es dort auch nicht aussehen.“

„Sehr gut! Na, dann wollen wir mal. Hier entlang, bitte.“

Aengus kannte den Zustand des Zimmers nur zu gut. Mit putzen alleine war es hier nicht getan. Er durfte gar nicht an das Bett denken, oder besser an das, was sich auf dem Bett befand. Aber das würde der jungen Frau wohl entgehen, da sie ausgerechnet bei diesem Zimmer nicht darauf bestand, die Fensterläden zu öffnen.

Auch begann Aengus, sich langsam Sorgen über das Verhalten der Frau zu machen. Sie schien einem Kauf keineswegs abgeneigt zu sein. Bisher hatte er nicht angenommen, dass sich jemand finden würde, der dieses Gebäude freiwillig übernahm. Er glaubte bis zum Abriss des Hauses seine Ruhe zu haben, doch nun war da eine unerwartete Gefahrenquelle aufgetaucht. Der Gedanke an einen Verkauf seines Heims war ihm keineswegs recht, er musste etwas dagegen unternehmen. Es handelte sich bei diesem Gebäude nicht nur um seinen Unterschlupf, von hier aus plante er sein Vorgehen gegen die verhasste Gilde. Diese kleine Gruppe von auserwählten Vampiren maßte sich an, die Gesetze der Wesen der Nacht zu erstellen und für ihre strikte Einhaltung zu sorgen, was vollkommen gegen Aengus Einstellung dem Leben gegenüber sprach. Er war ein Verfechter seiner uneingeschränkten Freiheit und ließ sich keine Vorschriften machen. Von niemandem! Was wiederum dazu führte, dass die Gilde in ihm so etwas wie einen Außenseiter sah, der ihnen zur Gefahr werden konnte.

Nervös geworden, begann er in dem Kellerraum auf und ab zu laufen. Er versuchte eine Möglichkeit zu finden, die Frau von einem Kauf abzuhalten. Doch so sehr er auch sein Gehirn zermarterte, es wollte ihm kein Geistesblitz kommen.

Plötzlich stockte er in der Bewegung.

Weshalb sollte er die Frau vertreiben? Unter Umständen war der Kauf seines Hauses das Beste, was ihm passieren konnte. Ein Mensch, der ein altes, verrufenes Gebäude übernahm und sogar dort wohnte, wie jeder normale Mensch war ein Aushängeschild. Es würde das Gerede mit der Zeit verstummen lassen. Solange sie gesund und munter in dem Haus lebte, würde kaum jemand auf die Idee kommen, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Nun gut, er würde sich mit ihr arrangieren müssen, aber was war diese kleine Einschränkung schon gegen das heimliche Flüstern, das immer mehr Leute im Dorf gegen ihn aufhetzte. Das Problem mit der Gilde konnte er trotz ihrer Anwesenheit in diesem Haus auf seine ganz spezielle Weise angehen. Dessen war er sich sicher. Er hatte nicht vor, in den nächsten Jahren seinen Plan in die Tat umzusetzen, dafür war die Zeit noch nicht reif. Was hielt ihn also davon ab, die Frau als Schutzschild gegen die Abneigung der Dorfbewohner zu benutzen?

Ein zufriedenes Lächeln glitt über seine hageren Gesichtszüge und in seinen Augen glomm ein satanisches Feuer.

Auch in anderer Beziehung sollte er recht behalten. Sie begutachtete das Schlafzimmer zwar noch, bemerkte jedoch die Schäden nicht.

„Jetzt bleiben nur noch die Kellerräume, dann haben wir das ganze Haus besichtigt“, ertönte die geschäftsmäßige Stimme des Maklers.

Dem musste Aengus einen Riegel vorschieben. Das Letzte, was er im Moment brauchen konnte, waren zwei unerwünschte Besucher in seinen heiligen Gefilden. Der Vampir wusste, dass es ein schweres Stück Arbeit werden würde, ohne Augenkontakt den Willen der Frau zu manipulieren, aber er war sich seiner weitreichenden Fähigkeiten voll bewusst und gedachte sie einzusetzen.

Mit einer geschmeidigen Bewegung legte er Zeigefinger und Mittelfinger beider Hände an seine Schläfen und konzentrierte sich angespannt auf die weibliche Person in den oberen Räumen. Er benötigte ein paar Sekunden, bis er ihren Geist zu fassen bekam, dann lenkte er ihn in die gewünschte Richtung.

„Wir sparen uns den Keller. Ich denke, dass es dort schon nicht so schlimm aussehen wird“, sagte sie folgsam.

Der Blutsauger spürte den Unwillen, der bei diesen aufgezwungenen Worten über sie kam, und musste einen Augenblick mit ihrem Geist um die nächsten Sätze ringen.

„Alles in allem gefällt mir das Haus ganz gut. Allerdings werden wir über den Kaufpreis noch einmal reden müssen. Die Arbeit, die ich in dieses Haus noch stecken muss, um es wirklich bewohnen zu können, dürfte doch bei Weitem größer als von Ihnen beschrieben sein. Sie werden also wohl oder übel noch ein gutes Stück mit dem Preis runtergehen müssen“, war das Letzte, was Aengus von der jungen Frau an diesem Tag vernahm.

Die Beiden verließen das Haus und machten sich wieder auf den Heimweg, wo immer sie dieser hinführen mochte. Und keiner von ihnen ahnte in diesem Moment, dass sich im Keller des Hauses ein Wesen befand, das sich zufrieden in einen Ohrensessel zurücklehnte und mit seinen Gedanken neue Wege suchte, um auf viele Jahre unauffällig und gesichert sein sonderbares Leben zu führen.

2. Kapitel

Vier Monate waren seit der Besichtigung des Hauses vergangen. Kathleens Nervosität kannte keine Grenzen. Heute würde sie das alte Haus zum zweiten Mal sehen, doch diesmal nicht als Kaufinteressentin, sondern als stolze Besitzerin.

Lange Jahre hatte sie auf diesen Moment hingearbeitet, nun wurde ihr Traum endlich wahr, sie war die Eigentümerin eines Hauses auf dem Lande. Es gehörte sogar ein kleines Grundstück zum Haus und sie hatte schon viele Pläne, wie sie es nützen konnte. Auf alle Fälle musste ein kleiner Kräutergarten angelegt werden, vielleicht auch ein wenig Gemüse und auf was sie auf keinen Fall verzichten wollte, Rosen. Die kleine Erbschaft, die sie kürzlich gemacht hatte, ermöglichte ihr den Kauf des ersehnten Heims. Ihren Lebensunterhalt konnte sie sich als Übersetzerin günstigerweise auch auf dem Lande verdienen. Ihr Arbeitgeber in Dublin stimmte dem Vorschlag, dass sie die Schriftstücke in ihrem Haus übersetzen und dann wieder an ihn zurückschicken würde, zum Glück sehr schnell zu. Damit wurde auch das letzte Hindernis, das ihrem neuen Leben im Weg stand, beiseite geräumt. Sie besaß nun ein eigenes Haus, eine gesicherte Zukunft und den Frieden, den sie sich immer so sehr herbeigesehnt hatte. Hier auf dem Lande konnte sie sich zurückziehen und ihr zerrüttetes Leben neu aufbauen.

All das lag nun in greifbarer Nähe, endlich kein Traum mehr, der auf unbestimmte Zeit vor sich hergeschoben wurde. In ihrer Handtasche befand sich die Kaufurkunde für das Grundstück und bewies aller Welt, dass sie von jetzt an hierher gehörte. Doch am wichtigsten war dieser handfeste Beweis für ihre berechtigten Besitzansprüche wohl für sie selbst. Immer wieder holte sie den Vertrag in den letzten Wochen hervor, um sich davon zu überzeugen, dass es nicht nur ein Traum war. In wenigen Minuten würde sie jedoch nie wieder Zweifel daran hegen müssen, dann kam die letzte Kurve in Sicht und dahinter stand es, ihr Haus.

Vielleicht konnte sie an diesem abgelegenen Ort ihre Vergangenheit hinter sich lassen und lernen, wieder Vertrauen zu den Menschen zu fassen. Kathleens Gedanken drifteten zu ihrer Kindheit ab. Sie sah ihren Vater vor sich, wie er des Nachts betrunken nach Hause kam, ein jammerndes Bündel Selbstmitleid. Trunken vom Alkohol, der ihn davon ablenken sollte, dass er unfähig war, für sein Leben einzustehen. Ein Leben, das von Misserfolgen gekennzeichnet war, die er sich zumeist selbst zuzuschreiben hatte. Sie konnte sich nicht erinnern, dass der Mann, der dem Namen nach ihr Vater war, jemals Rückgrat und Stärke bewiesen hatte. Er war ein Jasager, bis zur letzten Sekunde seines Lebens. Sogar auf seinem Totenbett ließ er sich noch die Verantwortung für den Unfall auf der Baustelle in die Schuhe schieben und unterschrieb ein Schuldbekenntnis. Was sie um den Erlös aus der Lebensversicherung brachte, der nun zur Tilgung der Kosten für die fehlerhafte Handhabung des Baggers verwendet wurde.

Wie immer stieg Wut bei diesem Gedanken in ihr auf. Wie konnte ein Mann ein derartiger Versager sein? Diese Frage stellte sie sich, seit sie im zarten Kindesalter erkannte, dass sie für ihren Vater nichts als Verachtung übrig hatte.

Jedes Mal regte sie sich bei der Erinnerung an ihren Vater auf. Das ließ sie für einen Moment unaufmerksam werden und der Wagen geriet leicht ins Schlingern. Sie bekam ihren alten Golf jedoch sofort wieder unter Kontrolle und konzentrierte sich das letzte Stück des Weges besonders auf die Straße vor sich. Sie verdrängte jeden Gedanken an den ungeliebten Vater und ihre traurige Vergangenheit. Für Kathleen begann ein ganz neuer Lebensabschnitt, da hatten alte Leiden keinen Platz mehr, sie wollte ihren eigenen Weg finden.

Und dann sah sie es in der Ferne vor sich auftauchen. Das alte, graue Gebäude mit dem Erker an der rechten Seite. Nein, wahrlich, es bot keinen besonders schönen Anblick. Dunkel und bedrohlich starrte es ihr entgegen. Fast erweckte es den Eindruck, als lauere es ihr auf, eine unbestimmte Bedrohung schien von dem Gebäude auszugehen und direkt auf sie zu zielen.

Erstaunt über die unerklärliche Abneigung, die sie mit einem Mal für ihr Haus empfand, ging sie vom Gas und ließ den Wagen am Straßenrand ausrollen. Sie brauchte einen Augenblick, um sich zu fassen. Woher kam dieses Gefühl von Angst und Bedrohung? War der seltsame Traum, der sie seit Jahren verfolgte, der Grund dafür? Unsinn! Es war zwar eindeutig dasselbe Haus, aber das konnte nur ein dummer Zufall sein.

Kathleen schüttelte energisch den Kopf und redete sich selbst gut zu: „Jetzt spinnst du aber wirklich. Seit Monaten freust du dich auf diesen Tag und den Moment, wo das Haus vor dir auftaucht und nun redest du dir so einen Blödsinn ein.“

Doch das schlechte Gefühl blieb. Vielleicht lag es nur an dem trostlosen Eindruck, den das Gebäude durch das dunkle Gestein erweckte, aus dem es erbaut war. Oder waren es die düsteren Wolken, die sich direkt über dem Haus, wie ein böses Vorzeichen zusammengebraut hatten. Es konnte viele Erklärungen für den abschreckenden Eindruck geben, den das Haus an diesem Tag auf sie machte, doch eines stand fest, ihre Vorfreude war eindeutig getrübt.

„So ein Unfug, nun lasse ich mich schon von ein paar Wolken einschüchtern. Da liegt es vor mir, mein neues, aufregendes Leben und wegen einer dunklen Wolke erschrecke ich. Fängt ja gut an, Kathleen. Und Selbstgespräche führe ich auch schon. Verrückt!“, redete sie laut auf sich ein.

Entschlossen, sich nicht weiter einschüchtern zu lassen, startete sie den Wagen wieder und fuhr ihrer Zukunft entgegen. Einer unbestimmten Zukunft, doch wie sie selbst glaubte, einer besseren. Und ein Zurück gab es nun auch nicht mehr. Sie hatte die alte Wohnung aufgelöst, einen neuen Geschäftsvertrag unterschrieben, alle Zelte abgebrochen.

Ihre Zukunft lag hinter der nächsten Kurve und genau darauf steuerte sie nun zu.

Groß und beklemmend ragte das Haus vor ihr auf, langsam fuhr sie die kurze Auffahrt hinauf und hielt direkt vor der Haustür. Sie würde heute noch eine Menge ausladen müssen, da war jeder Meter zu viel, den sie die Sachen mehr tragen musste.

Sie konnte nur hoffen, dass die von ihr beauftragte Spedition pünktlich die Umzugskartons mit ihrem Hab und Gut geliefert hatte, ansonsten stand sie heute ohne ein Stück von ihrem Hausrat da.

Die nötigsten Dinge befanden sich in ihrem Wagen, aber der ganze Rest war feinsäuberlich in die Umzugskartons verpackt und hierher geliefert worden.

Das Angebot des Maklers, die Speditionsleute hereinzulassen, hatte sie dankbar angenommen. Wenn das reibungslos vonstattengegangen war, konnte sie nichts mehr von ihrem Einzug in das neue Heim abhalten. Wieder etwas besser gelaunt stieg sie aus, warf das lange, rotbraune Haar nach hinten und blieb neben ihrem Auto stehen, um sich das Haus zum ersten Mal bei Tageslicht aus der Nähe anzusehen.

Doch während sie es genauer in Augenschein nahm, wanderten ihre Gedanken unbewusst in eine andere Richtung. Konnte sie ihre verhasste Vergangenheit einfach hinter sich lassen? Blieb die Erinnerung an ihre ungeliebte Kindheit und Jugend nicht immer an ihr haften? War es ihr möglich, einfach zu vergessen, dass sie von ihrer Mutter im Alter von gerade acht Jahren zurückgelassen wurde? Sie ging ohne Vorwarnung eines Tages aus ihrem Leben und tauchte nie mehr auf, ließ alles zurück. Hielt sie die niederdrückenden Lebensumstände nicht mehr aus, oder konnte sie den Anblick des Versagers, den sie in jungen Jahren übereilt geheiratet hatte, nicht länger ertragen?

Plötzlich stutzte Kathleen. Bei der Betrachtung des Hauses war sie derart in ihre trüben Gedanken versunken gewesen, dass sie erst jetzt bemerkte, dass jemand die Fensterläden wieder zugezogen hatte. Sie nahm nicht an, dass der arbeitsscheue Makler sich die Mühe gemacht hatte. Die Leute von der Spedition vielleicht? Ausgeschlossen! Aber wer machte sich dann diese Arbeit?

Als der Makler und sie das Haus nach der ersten und einzigen Besichtigung verließen, standen die Läden auf. Keiner von ihnen hatte daran gedacht, sie wieder zu schließen. Wer übernahm das also für sie?

Eine Antwort auf diese Frage zu bekommen, schien im Moment nicht möglich, also verdrängte sie den Gedanken daran und richtete ihre Aufmerksamkeit auf die vor ihr liegende Arbeit.

Eine genaue Bestandsaufnahme der Möbel, die noch verwendbar waren, schien am Wichtigsten. Erst wenn sie die kaputten und unnötigen Stücke ausgemistet hatte, konnte sie mit den Putzarbeiten beginnen.

Das war die Aufgabe, die sie sich für diesen Tag gestellt hatte. Morgen konnte sie dann beginnen Pläne zu schmieden, wie sie das Gebäude wieder in einen ansehnlichen Zustand bringen konnte. Eine Menge Arbeit wartete auf sie. Putzen war da noch das geringste Übel. Die Wände mussten gestrichen werden, ebenso die Fensterläden, eigentlich konnte das gesamte Haus einen Außenanstrich vertragen. Einen Maler konnte sie sich nicht leisten, aber ein paar Freunde hatten sich angeboten, ihr in der nächsten Zeit einen mehrwöchigen Besuch abzustatten und dabei zu helfen. Bis dahin wollte sie das Haus wenigstens im Inneren häuslich hergerichtet haben. Ihr erstes Ziel war, es bewohnbar zu machen. Die brauchbaren Einrichtungsgegenstände mussten gesäubert, ihre eigenen Sachen ausgepackt werden und ihren festen Platz finden.

In ihrer Erinnerung sah sie immer noch den Staub, der sich in jeder einzelnen Ritze des Hauses zu befinden schien. Dieser Gedanke schreckte sie endgültig aus der Betrachtung des Hauses auf. Sie ging um das Auto herum, öffnete den Kofferraum und holte den Karton, mit der Aufschrift Putzmittel heraus. Mit dem Karton unterm Arm ging sie auf das graue Gebäude zu, blieb vor der Haustür stehen und zog aus einer der Taschen ihrer Lederjacke ihren Schlüssel.

„Ein denkwürdiger Augenblick! Kathleen Ensworthy steckt zum ersten Mal den Hausschlüssel in das Schloss ihres nunmehr eigenen Hauses. Dreht den Schlüssel herum und stößt die Tür zu ihrem neuen Heim auf. Ein gewagter Schritt bringt sie über die Schwelle in das Innere des Hauses. Was erwartet sie dort? Ist es ein besonderes Gefühl, den Fuß zum ersten Mal auf eigenen Grund und Boden zu setzen? Oh ja, das ist es!“, alberte sie übermütig herum und warf ihr dichtes, glattes Haar lachend nach hinten.

Aber wo sie recht hatte, hatte sie recht. Es war ein besonderes Gefühl etwas sein Eigen nennen zu können, zu wissen, dass man es nicht nur mietete, sondern besaß. Mit Brief und Siegel sozusagen.

Ein einmaliges Gefühl war es. Sie kam sich vor, wie ein unbekannter Sportler, der seinen ersten großen Sieg errungen hatte und sie kostete dieses Gefühl voll aus. Langsam drehte sie sich im Kreis und versuchte mit ihrem Blick die Dunkelheit in der Halle zu durchdringen. Ihre Halle. Es fehlte nicht viel und sie hätte die Arme ausgebreitet und wäre durch ihr Haus getanzt. Ein Siegestanz, wie man so schön sagt.

Doch mangelnder Beleuchtung wegen hielt sie sich zurück. Das ungute Gefühl, das sich in ihrer Magengegend breitgemacht hatte, verleugnete sie tunlichst. Es gab hier nichts, wovor sie sich fürchten musste. Allerdings war noch viel zu erledigen, sie konnte die Zeit besser nutzen, als zu tanzen oder sich unnötige Sorgen zu machen. Zuerst einmal musste Licht in diese Finsternis. Die Lamellen der Fensterläden hielten wirklich das meiste Licht zurück.

Sie stellte den Karton dort ab, wo sie stand und ging auf eines der beiden Fenster zu, die es zu beiden Seiten der Haustür in der Halle gab. Mit einem kräftigen Ruck zog sie das Erste auf, auch das zweite Fenster ließ sich mühelos öffnen. Sogar die Läden glitten problemlos zur Seite und ließen das ersehnte Licht hereinfluten.

Von der Besichtigung her konnte sie sich noch erinnern, dass es zwei weitere Räume in diesem Stockwerk gab. Den Wohnraum, der allerdings mehr an eine Bibliothek erinnerte, da die Wände fast vollständig mit Regalen verkleidet waren und die Küche, um einiges kleiner als das Wohnzimmer, aber ausgesprochen gemütlich.

Zu ihrem Bedauern entsann sie sich ebenfalls all des Staubs und Unrats, der sich auf den Regalen abgelagert hatte. Hoffentlich waren die Bücher unversehrt geblieben, sie schienen nicht nur von einigem materiellen Wert zu sein, sie besaßen auch einen emotionalen Wert für sie. Kathleen liebte Bücher über alles, konnte Stunden mit Lesen verbringen und schätzte nichts mehr, als das Werk eines Meisters, und wenn sie Glück hatte, würde sie einige davon in den Regalen vorfinden.

Sie warf einen letzten Blick auf die Halle, dann ging sie hinüber in die Bibliothek, wie sie den Raum großspurig nannte.

Das Zimmer besaß an der Vorderseite des Gebäudes einen Erker mit großen Fenstern, die sich verhältnismäßig leicht öffnen ließen. Nur die übergroßen Fensterläden wollten scheinbar ihren Bemühungen sie zu öffnen widerstehen. So kräftig sie auch nach außen drückte, sie gaben nicht nach.

Zu guter Letzt stieg Kathleen auf die Sitzbank, die der Form des Erkers folgend am Fenster entlang lief, und rammte ihre Schulter gegen das störrische Holz. Ein lautes Knacken erklang und die Fensterläden schwangen mit einem Ruck auf. Im letzten Moment konnte sie sich am Rahmen des Fensters festhalten, und vermied so einen Sturz nach draußen.

Als ihr Blick auf die Wiese vor dem Fenster fiel, wurde sie sich plötzlich bewusst, was das Klemmen verursacht hatte. Ein Holzbrett war vor die Fensterläden genagelt worden. Durch die Wucht des Stoßes zerbrach das morsche Brett einfach.

„Wer hatte das bloß angebracht? Nur gut, dass der Fensterladen noch in Ordnung ist, die Reparatur hätte mich eine ganze Stange Geld gekostet. Hoffentlich machen die anderen Fensterläden nicht ebensolche Schwierigkeiten“, schickte sie ein Stoßgebet gen Himmel.

Nach einem nachdenklichen Blick auf das Fenster drehte sie sich um und sprang von der Sitzbank. Zum zweiten Mal seit langer Zeit fiel Licht in diesen Raum und was sich ihr bei Tageslicht offenbarte, war sowohl angenehm, wie erschütternd. Wie sie schon bei ihrem ersten Kurzbesuch bemerkt hatte, war der Raum voller Bücher, die in einstmals sicher sehr schönen, eingebauten Regalen standen. Doch alles war von einer fingerdicken Staubschicht bedeckt. Selbst wenn sie sich Mühe gab, konnte sie keinen der Buchtitel entziffern. Um welche Holzart es sich bei den Regalen handelte, konnte sie bestenfalls raten.

Ihr Blick wanderte durch den Raum. Ein offener Kamin verlieh dem Zimmer etwas romantisch gemütliches. Sie freute sich bereits darauf, das erste Feuer in ihm zu entzünden und nur davor zu sitzen, um in die Flammen zu sehen. Bis dahin würden allerdings noch ein paar Tage vergehen. Wenn sie den vollkommen verdreckten Fußboden betrachtete, rechnete sie sogar mit ein paar Wochen.

Zum Glück schienen die beiden Ohrensessel gut erhalten zu sein. Sie benötigten eine gründliche Lederpflege, aber ansonsten wiesen sie absolut keine Schäden auf. Den kleinen Beistelltisch musste sie jedoch aus ihrer Inventarliste streichen. Er war zerbrochen und bestand nur noch aus Fragmenten.

Ihrem Plan folgend, sammelte sie die einzelnen Teile zusammen und trug sie in die Halle. Dort wollte sie alle unbrauchbaren Möbelstücke abstellen, bis sie die Sachen auf einmal in den Keller räumen konnte. Den Beistelltisch würde sie als Feuerholz verwenden, zu mehr war er nicht mehr nütze.

Wieder in der Bibliothek, sah sie sich erneut um. Was sich sonst noch in diesem Zimmer befand, war verwendbar, sie konnte nur hoffen, dass sie in den anderen Räumen eben so viel Glück hatte.

Und wie es aussah, schien ihr das Glück treu zu bleiben. In der Küche war bis auf einen leicht beschädigten Fensterladen und einen Fleck auf dem Parkettboden alles in Ordnung. Zwar war die Küche nicht auf dem neuesten Stand, aber noch benutzbar.

„Tröstlich, also wird mich auch dieser Raum nicht allzu viel kosten“, ging es Kathleen durch den Kopf. Doch auch diese freudige Erkenntnis trug nicht dazu bei, ein Hochgefühl heraufzubeschwören, wie es im Moment des Einzuges in das eigene Heim vorhanden sein sollte.

Kathleen atmete tief die muffig abgestandene Luft des trostlosen Hauses ein. Erst jetzt fiel es ihr auf, wie dringend diese Räume einen Durchzug vertragen konnten und sie machte sich sofort daran, diesen Zustand zu beseitigen. Wenigstens diese kleine Verbesserung konnte sie ohne große Mühe augenblicklich in die Tat umsetzen.

Vielleicht würde die frische Luft auch ihre trüben Gedanken mit sich nehmen, ebenso wie den dumpfen Geruch des alten, verlassenen Gebäudes. Jedenfalls hoffte Kathleen, dass dies der Fall sein würde.

Erst als im Erdgeschoss alle Fenster geöffnet waren, entschloss sie sich dazu, sich die Räume im 1. Stock vorzunehmen. Schon auf dem Weg nach oben, musste sie schwer schlucken. Um diesem Geländer wieder seinen alten Glanz zu verleihen, musste sie mit Sicherheit mehrmals mit Holzpolitur darüber gehen.

Entsetzt schüttelte sie den Kopf. Hatte sie sich etwa zu viel vorgenommen? Wie sollte sie in nicht einmal ganz zwei Wochen das Haus soweit vorbereiten, dass man überhaupt an Malern und Tapezieren denken konnte? Mit fünf oder sechs Hilfen wäre das vielleicht zu schaffen, aber alleine?

Energisch richtete sie sich zu ihrer ganzen, nicht gerade eindrucksvollen Größe von 1,72 m auf. Die negativen Gedanken durften nicht von sich Besitz ergreifen, ebenso wenig, wie das schlechte Gefühl, das tief in ihr festsaß und nur auf den kleinsten Anlass wartete, um hervorzukommen, wie ein Kobold, der die Möglichkeit zu einem dreisten Streich sah.

„Das wäre doch gelacht. Jetzt habe ich fast meine gesamten Ersparnisse in dieses Gebäude gesteckt, nun werde ich auch diese Bewährungsprobe bestehen. Wenn ich hier allerdings noch lange herumstehe, werde ich es sicher nicht schaffen“, feuerte sie sich laut an.

Entschlossen stieg sie die letzten Stufen hinauf. Auch oben herrschte vollkommene Dunkelheit, aber sie war gerüstet. Vorsichtshalber hatte sie eine kleine Taschenlampe zwischen Gürtel und Hose gesteckt. Der Strom musste zwar schon seit ein paar Tagen angeschaltet sein, aber sie kannte sich noch nicht gut genug im Haus aus, um zu wissen, ob sich Glühbirnen in den Fassungen und wo sich die Lichtschalter befanden. Für den Notfall hatte Kathleen einen Vorrat an Glühbirnen gekauft und mitgebracht.

Vorerst reichte es jedoch, wenn sie alle Fenster öffnete und Tageslicht hereinließ. Bis zum Abend hatte sie die Lampen dann angebracht. Vorsichtig zog sie die Taschenlampe hervor und knipste sie an. Ihr spärliches Licht erhellte einen schmalen, kurzen Flur, von dem zwei Türen abzweigten. Am Ende des Gangs befand sich ein Fenster, auf das sie sofort zusteuerte. Lautes Quietschen ertönte, als sie es öffnete. Auch die Läden gaben widerstrebende Geräusche von sich, ließen sich aber doch verhältnismäßig leicht aufstoßen.

Einen Moment lang blendete sie das helle Licht, dann begannen sich, ihre Augen anzupassen. Ihr Blick fiel auf die allgegenwärtige grüne Farbe von Irlands Landschaft und sie erfreute sich an der gerade erwachenden Farbenpracht. Das Frühjahr war ihrer Meinung nach die schönste Jahreszeit. Nach den meist kurzen, dafür heftigen Schneefällen, trat das erste zarte Grün in Form von frischen, saftigen Grashalmen zutage und verhieß einen von Stürmen durchzogenen Frühling.

Nachdem sie die Taschenlampe ausgeschaltet hatte, sah sie sich im Gang genauer um. Eine Seite wurde von einem Holzgeländer eingerahmt, über das man in die Halle hinuntersehen konnte. Auf der gegenüberliegenden Seite befanden sich die beiden Türen, die wie sie wusste zum Schlafzimmer und Bad führten.

Beim besten Willen konnte Kathleen sich nicht mehr an das Schlafzimmer erinnern. Sie wusste nur noch, dass der Makler diesen Raum besonders schnell hinter sich gebracht hatte. Bei dem Gedanken an diesen ungünstigen Umstand wurde ihr ein wenig flau im Magen.

„Wahrscheinlich besteht der Raum nur noch aus Trümmern. Ich könnte mich für meine Unbesonnenheit verfluchen. Warum habe ich mir dieses Zimmer nicht genauer angesehen? Es war wohl die Begeisterung, ein Haus gefunden zu haben, das ich mir überhaupt leisten konnte. Jetzt bin ich die Besitzerin, nun muss ich damit leben.“

Ein Luftzug erfasste ihr Haar und strich erschreckend kühl über ihre rosige Haut. Sie atmete tief ein, bevor sie die Tür zum Schlafzimmer aufstieß. Noch fiel nur sehr spärlich Licht in den Raum. Außer dem schattenhaften Umriss eines sehr großen Bettes konnte sie nichts weiter erkennen.

Irgendwann musste sie sich auch dieses Zimmer ansehen, also lieber sofort, dann hatte sie es hinter sich. Der Kobold in ihrem Magen sollte sie nicht von der Erkundung ihres Hauses abhalten.

Auf dem Weg zum Fenster stieß sie mit dem Fuß gegen einen harten Gegenstand. Das unerwartete Aufeinandertreffen von Fuß und Hindernis brachte Kathleen zu Fall und sie stürzte schmerzhaft auf die Knie. Reaktionsschnell versuchte sie, den Sturz mit den Händen abzufangen. Ihre Finger gruben sich in ein weiches Etwas, das sich unangenehm anfühlte und sich noch dazu in Bewegung zu befinden schien. Ein kalter Schauer rieselte über ihren gekrümmten Rücken und Ekel ergriff von sich Besitz.

Hastig sprang sie wieder auf die Füße, um ihre Hände aus dem Ding zu befreien. Der Schmerz in ihren Knien war vergessen. Sie hoffte aufrichtig, dass es sich bei dem, was sie angefasst hatte nur um einen Teppich oder Bettvorleger handelte. Angewidert wischte sie sich die Hände, an ihrer alten, verwaschenen Jeans ab. Sie konnte es nicht unterdrücken, sich zu schütteln. Es begann sie haltlos an den Händen zu jucken und sie gab dem übermächtigen Drang nach, sich die Handflächen wechselweise mit den Fingernägeln zu kratzen. Doch sobald sie das Gefühl hatte, dass ihre Hände endlich nicht mehr der rüden Behandlung bedurften, fing ihre bisher intakte Kopfhaut zu jucken an.

„Wenn ich Glück habe, ist das alles nur Einbildung! Und wenn ich Pech habe, bekomme ich die Krätze oder etwas ähnlich unangenehmes“, dachte Kathleen ironisch.

Mittlerweile fand sie sich mit dem Gedanken ab, ein Chaos vorzufinden. Ihr einziger Wunsch bestand ihm Moment darin, die Fenster zu öffnen und sich zu vergewissern, dass sie nichts wirklich Widerliches berührt hatte. Licht war für Kathleen im Moment erstrebenswerter, als den Kobold aus ihrem Magen zu vertreiben. Vielleicht konnte das Tageslicht das kleine Wesen zusätzlich aus ihrem Inneren verjagen und ließ endlich die Freude über ihren Besitz aufkommen.

Sich vorsichtig mit den Füssen vortastend, schlich sie auf das Fenster zu und zog es auf. Ein Luftzug streifte sie, dann hatte sie auch die Fensterläden geöffnet. Sofort richtete sich ihr Blick auf ihre, vom Kratzen geröteten Handflächen. Erleichtert stieß Kathleen Luft zwischen ihren gespitzten Lippen aus, als sie erkannte, dass einzig eine graue Schmutzschicht ihre Hände bedeckte, nichts Besorgniserregendes also.

Beruhigt wandte sie sich wieder dem geöffneten Fenster zu und warf einen interessierten Blick auf die Landschaft. Tief atmete sie die frische Luft ein und genoss die Aussicht auf die sanften, für Irland so typischen, Hügel. Einer schien in den Nächsten überzugehen, zusammen bildeten sie ein Band aus den verschiedensten Grüntönen. Hin und wieder unterbrochen durch vereinzelt wachsende Bäume und die allgegenwärtigen Steinwälle, die als Abgrenzung für Weiden und Felder dienten. Die Straße, die in der Nähe ihres Hauses vorbeiführte, schlängelte sich auf die Hügel zu und verschwand schließlich zwischen ihnen aus Kathleens Blickfeld. Ein Bild des Friedens, das sich ihren Augen bot und trotzdem setzte ihr der Kobold weiter zu. Etwas schien nicht zu stimmen. Oder woher kam dieses schlechte Gefühl, das über allem lag? Nichts war geschehen, was die Angst rechtfertigte, die Kathleen empfand, seit sie auf das Haus zufuhr.

Wütend über diesen unerklärlichen Zustand, wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Raum in ihrem Rücken zu. Sie drehte sich ganz langsam um, immer darauf vorbereitet einen Schock zu erleiden. Als Erstes fiel ihr Blick auf das überdimensional, große Himmelbett. Einen Vorhang gab es nicht mehr, nur die vier, mit Schnitzereien verzierten Holzpfosten, ragten von dem Bettrand auf. Der Baldachin war wohl ein Opfer der Motten geworden. Ebenso wie das Etwas mit der Furcht einflößenden Wirkung, das sich in Wahrheit als Teppich entpuppte. Bei seinem Anblick wunderte es Kathleen jedoch nicht mehr, dass er sich so seltsam angefühlt hatte. Es waren nur noch Fetzen von ihm übrig und auf diesen hatten sich Staub und tote Insekten um die Wette gestapelt. Zwischen den Überresten krabbelten allerdings auch lebende Kleintiere umher und suchten, durch die plötzliche Helligkeit verwirrt, nach einem schützenden Versteck.

Bei dem Gedanken daran, dass ihre Hände das Zeug berührt hatten, wallte nachträglich ein Gefühl der Übelkeit in ihr auf und sie wischte zum wiederholten Male ihre Handflächen an der Jeans ab.

„Und das Schlimmste steht mir noch bevor. Ich muss das Zeug irgendwie entsorgen.“

Angewidert schwor sie sich, die Überreste nur mit Handschuhen anzufassen.

Es fiel ihr nicht schwer, den Blick von dem Teppich zu lösen und sich auf etwas anderes zu konzentrieren. In einer Ecke des Raumes lagen die Reste eines Regals. Automatisch ordnete sie es unter der Rubrik „Brennholz“ ein. Auch das Nachtkästchen würde auf diesem Weg enden. Dafür war der Frisiertisch noch zu gebrauchen. Mit etwas Glück und Anstrengung würde sie sogar den Spiegel wieder zum Glänzen bringen. Es war ein besonders schönes Stück. Messingbeschläge umrahmten die blind gewordene Fläche in eleganten Schwingungen. Ein wahres Prachtstück.

Kathleen verliebte sich sofort in dieses Kleinod. Sie hatte eine Vorliebe für altmodische, verschnörkelte Möbelstücke. Bisher konnte sie es sich nicht leisten, sich nach ihrem Geschmack einzurichten, aber wie es aussah, kam sie durch den Kauf des Hauses von alleine zu einem Teil der gewünschten Einrichtungsgegenstände.

Fast ebenso begeistert wie von dem Spiegel, war sie von dem wuchtigen Kleiderschrank an der rechten Wandseite. Mit Reliefschnitzereien versehen, die ein wahrer Künstler gefertigt haben musste, war er sicher eine ganze Stange Geld wert. Derartige Meisterwerke wurden heutzutage nur noch zu einem fast unerschwinglichen Preis angeboten. Und dieser Schrank war bestimmt schon sehr alt. Keinesfalls wollte sie sich von ihm trennen. Das Bett, der Schrank und der Spiegel gehörten einfach zusammen, sie bildeten eine perfekte Einheit, die man nicht auseinanderreißen durfte.

Plötzlich erinnerte sie sich, dass sie auf ihrem Weg zum Fenster über etwas gestolpert war. Es war nicht schwer auszumachen, was die Ursache für ihren Sturz gewesen war. Die kläglichen Überreste eines kleinen Tisches lagen verstreut auf dem Boden.

Kathleen war enttäuscht, dass der Tisch nicht mehr zu retten war. Sie hätte ihn gut brauchen können.

Im Gedanken versunken sah sie auf die Tischplatte hinunter. Da wurde sie sich bewusst, dass auf der verstaubten Platte noch etwas lag. Der Schmutz der Zeit verbarg es im ersten Augenblick vor ihren Augen.

Neugierig geworden bückte sie sich und hob den in Mitleidenschaft gezogenen Gegenstand mit spitzen Fingern auf. Eine Staubwolke wirbelte auf. Zögernd pustete sie noch mehr Schmutz von dem Ding. Langsam konnte sie erkennen, um was es sich dabei handelte. Es war ein Buch. Nicht sehr groß, nicht sehr dick. Nachdem sie wusste, was sie in Händen hielt, wagte sie auch es richtig anzufassen. Sie wischte den Staub so gut es ging ab. Nun konnte sie die Goldlettern auf dem Einband entziffern. Es war ein Name: Aengus O’Donaghue.

Leise sprach sie den Namen aus.

Kein sehr häufiger Name. Wer war dieser Aengus O’Donaghue? Vielleicht ein Vorbesitzer des Hauses? Unter Umständen gab das Buch Auskunft über seinen Besitzer.

Fasziniert von dem Gedanken, mehr über ihn zu erfahren, schlug sie die erste Seite auf. Eine Jahreszahl stand anstelle einer Überschrift: 1648.

Nachdenklich blickte sie von dem Buch auf.

Es war unvorstellbar für Kathleen, aber sie hielt ein Tagebuch in Händen, das über 350 Jahre alt war. Dafür befand es sich noch in einem sehr guten Zustand. Sicher, das Papier war ein wenig vergilbt im Lauf der Jahre, die Tinte war verblasst, aber noch gut leserlich. Was sie besonders erfreute, denn sie hatte vor dieses Buch zu lesen. Gab es etwas Schöneres, als in der Vergangenheit lange Verstorbener zu graben und sich in ihr Leben hineinzuversetzen? Nicht für Kathleen. Die Verstorbenen störten sich nicht an der Neugier der Lebenden. Dieses bescheidene Vergnügen zog also keine Peinlichkeiten für den Schreiber nach sich. Allerdings fehlte ihr im Moment die nötige Ruhe für ein Lesestündchen. Die Aufräumarbeiten warteten bereits auf sie.

Vorsichtig legte sie das Buch auf dem Bett ab.

Innerhalb von Sekunden füllte sich das gesamte Zimmer mit schwirrenden, kleinen Tieren. Sie hatte Hunderte von Motten aufgeschreckt, die gerade dabei waren, die Matratze zu verspeisen.

Unter lauten „Igitt!“ Rufen lief sie aus dem Zimmer und warf die Tür hinter sich zu.

Hoffentlich flogen diese Biester freiwillig aus dem Fenster. Sie hatte keine Lust auf eine ausgedehnte Mottenjagd. „Ich gebe euch Widerlingen zehn Minuten, dann komme ich und räume auf! Wer dann noch da ist, wird kaltblütig ermordet! Haltet euch an das Ultimatum!“, rief sie durch die geschlossene Tür. Dabei musste sie selbst lachen.

Sie sollten die versprochenen zehn Minuten bekommen, schließlich musste sie sowieso noch das Bad besichtigen. Belustigt betrat sie das Badezimmer und war zum zweiten Mal angenehm überrascht von dem Anblick, der sich ihr bot.

Eine große, gut erhaltene Wanne, ein völlig intakter Schrank, ein ordentliches Waschbecken und eine altmodische Toilette füllten den Raum. Geschmackvolle Fliesen an der Wand waren der krönende Abschluss der Besichtigung. Und alles peinlich sauber. Kein Staub, keine Spinnweben, keine Kalkablagerungen, als wäre es in ständiger Benutzung.

Sie konnte sich diesen Umstand nicht erklären, doch sie nahm ihn dankbar hin. Wenigstens in diesem Raum musste sie nicht gleich putzen.

„Wenn nun auch noch das Wasser vorschriftsmäßig sprudelt, gibt es keinen Grund für eine Beschwerde.“

Langsam drehte sie am Wasserhahn und blickte gespannt in das Waschbecken.

Das Glück blieb ihr treu. Sauberes Wasser floss vor ihren Augen in das Waschbecken. Zufrieden drehte sie das Wasser wieder ab.

„Dann kann ich ja anfangen. Als Erstes muss ich das Schlafzimmer in Ordnung bringen“, ging es ihr durch den Kopf.

Kathleen schlüpfte aus ihrer Lederjacke und legte sie über den Rand der Badewanne, krempelte die Ärmel ihres alten Baumwollhemds hoch, zog einen Haargummi aus der Hosentasche und band sich das Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen. Mit wahrer Angriffswut ging sie ans Werk. Doch für den geplanten Angriff auf Schmutz und Verfall fehlten ihr noch die Putzmittel, Eimer und Lappen. Sie hatte die Sachen in der Halle abgestellt.

Dreimal musste sie hinunter und hinauf laufen, um alles was sie benötigte nach oben zu schaffen.

Ausgerüstet mit Eimer, Reinigungsmittel, Schrubber, Tüten, Lappen in jeder Größe und Handschuhen betrat sie dann das Schlachtfeld.

Ort: Schlafzimmer. Zeit: 11.00 Uhr vormittags.

„Auf in den Kampf!“, befahl sie sich selbst mangels eines höherrangigen Befehlshabers.

Zu ihrer übergroßen Erleichterung schienen die meisten Motten den Weg nach draußen gefunden zu haben. Jedenfalls flogen nur noch ein Paar auf, als sie mit dem Besen auf das Bett schlug. Mit denen würde sie auch noch fertig werden, wenn sie nicht freiwillig das Feld räumten. Doch bevor sie sich mit ihnen befassen würde, wollte sie den Teppich und die mottenzerfressene Matratze loswerden. Also stürzte sie sich voller Eifer darauf, die Überreste des Teppichs in Tüten zu stopfen und nach unten zu tragen.

Bevor sie sich der Matratze widmen konnte, musste sie sich dazu überwinden, das alte Tagebuch von ihr herunterzunehmen. Sie bot einen wahrlich abstoßenden Anblick und Kathleen brachte es erst über sich, sie zu berühren, um das Buch aufzuheben, als sie sich Putzhandschuhe angezogen hatte. Die Matratze verdiente diesen Namen nicht mehr. Sobald sie ihre Überreste berührte, zerfiel sie unter ihren Fingern. Aber das Tagebuch war gerettet. Es gestaltete sich als äußerst schwierig, die zerschlissenen Teile der Matratze in Tüten zu stopfen, bevor sie zerfielen.

Aber irgendwie schaffte sie es doch und trug schließlich die letzte Tüte mit Abfall aus dem Schlafzimmer hinunter vor das Haus.

Der Makler hatte ihr mitgeteilt, dass die Müllabfuhr hier auf dem Lande jeden zweiten Mittwoch kam. Heute war Donnerstag und Kathleen wusste nicht, ob die nächste Leerung in der folgenden Woche anstand. Die Vorstellung, dass die Tüten mit dem Abfall womöglich ganze zwei Wochen vor dem Haus standen, war ihr unangenehm. Sie entschloss sich, den Müll notfalls für ein paar Tage im Keller zwischenzulagern. Vorerst konnten sie allerdings auch im Freien auf ihre endgültige Beseitigung warten. Im Augenblick konnte sie keine unnötigen Dinge im Gebäude brauchen, sie hatte genug mit dem Hin- und Herräumen der wichtigen Sachen zu tun.

Nachdenklich fuhr sie sich mit dem Unterarm über die Stirn und verwischte den Schmutz, der sich auf ihrem Gesicht abgelagert hatte. Der Gedanke, dass sie die nächsten Tage nichts anderes tun würde, als aufräumen, war nicht gerade aufbauend. Ein wenig Musik würde die Arbeit sicher erleichtern. Sie hatte mehrere Steckdosen im Schlafzimmer gesehen, darum entschloss sie sich, ihren CD-Player aus dem Auto zu holen und mit nach oben zu nehmen.

Schon bald erklang die Stimme von Chris de Burgh und gab ihr neuen Aufschwung. Voller Elan begann sie die Möbel abzustauben, den Boden zu schrubben, die Fenster zu putzen.

Nach zwei Stunden konnte sie die ersten positiven Veränderungen wahrnehmen und war zufrieden mit dem, was sie sah. Bei diesem Tempo hatte sie das Zimmer in weiteren zwei Stunden in einen benutzbaren Zustand versetzt und konnte sich nun die Küche vornehmen.

Ein Gedanke beschäftigte sie jedoch die ganze Zeit über: Wo sollte sie heute Nacht schlafen? Auf dem bloßen Bettrost konnte sie unmöglich nächtigen, es blieb wohl nur der Fußboden. Keine allzu verlockende Aussicht, vor allem nicht, da sie wusste, dass dieser Zustand noch einige Tage anhalten würde. Eine Matratze dieser Größenordnung musste sie in einem Fachgeschäft bestellen und die Lieferung würde auch wieder ein paar Tage dauern.

Es blieb ihr nichts anderes übrig, als es hinzunehmen und das Beste daraus zu machen. Immerhin hatte sie genug Decken und Kissen im Haus. In der Halle stapelten sich die Umzugskartons und in zwei davon, befand sich ihr Bettzeug.

Nachdem sie auch dieses Problem gelöst hatte, ging sie wieder an ihre Arbeit. Immer begleitet von dem mulmigen Gefühl in ihrer Magengegend. Fast war es, als wäre sie nicht allein im Haus und jemand rede ihr diesen Zustand ein. Doch das war natürlich Unsinn! Wer sollte sich schon außer ihr in dem einsamen Haus aufhalten?

3. Kapitel

Der Tag neigte sich viel zu schnell dem Ende entgegen, es dämmerte bereits, als sie mit der Küche soweit fertig war, dass sie benutzt werden konnte. Das Mittagessen hatte Kathleen ganz ausfallen lassen, darum machte sich nun ihr Magen vermehrt bemerkbar. Sie konnte sich jedoch nicht aufraffen, nach diesem anstrengenden Tag auch noch zu kochen. Sie hätte dafür die Umzugskartons nach Töpfen, Tellern und Besteck durchwühlen müssen. Außerdem sah es um ihren Nahrungsmittelvorrat nicht besonders gut aus. Sie hatte einen Picknickkorb mit dem Nötigsten dabei, aber richtig einkaufen musste sie morgen, wenn sie die nächsten Tage nicht Hunger leiden wollte.

Also gab sie sich mit belegten Broten zufrieden. Auf ihren heiß geliebten Kaffee wollte sie jedoch nicht verzichten. Da sie schon viel früher damit gerechnet hatte, dass es so kommen würde, befanden sich die Kaffeemaschine, Tassen und Löffel im Auto. Das kam ihr nun zustatten. Schnell holte sie alles aus dem Kofferraum und innerhalb kürzester Zeit schwebte kräftiger Kaffeegeruch durch das gesamte Haus.

Das Küchenfenster hatte Kathleen mittlerweile verriegelt, da es am Abend zu dieser Jahreszeit recht kühl wurde. Wenn sie gegessen hatte, wollte sie alle Fenster schließen und als letzte Tat des Tages sich den Keller ansehen.

„Bei der Besichtigung haben wir die Kellerräume ausgelassen, das muss ich auf alle Fälle heute noch nachholen. Bin mal gespannt, in welchem Zustand die sich befinden! Seltsam, ich kann mich gar nicht erinnern, aus welchem Grund wir sie ausgelassen haben“, grübelte sie und biss herzhaft in ihr belegtes Brötchen.

„Hoffentlich sind sie nicht mit sinnlosem Plunder angefüllt, den Platz werde ich selbst sehr gut gebrauchen können. Die kaputten Möbel müssen hinunter, Dinge die in den Wohnräumen keinen Platz finden lagere ich ebenfalls im Keller und einen Raum möchte ich mir häuslich herrichten. Es soll so eine Art Hobbyraum werden. Na mal sehen!“, plante sie in Gedanken.

Sie überlegte noch einen Moment, ob sie zuerst in den Keller gehen oder vorher die Fenster schließen sollte, kam dann aber sehr schnell zu dem Ergebnis, dass es sinnvoller war, sich als Erstes den Fenstern zuzuwenden.

Nachdem ihr weiteres Vorgehen feststand, ging sie in die Bibliothek. Selbst im schummrigen Licht der untergehenden Sonne konnte sie all den Schmutz sehen, der morgen auf sie wartete. Dieser Raum würde ihr mit Sicherheit die meiste Arbeit machen. Seltsamerweise stellte Kathleen fest, dass sie sich darauf freute, jedes einzelne Buch zu säubern, die Regale wieder auf Hochglanz zu bringen und die Sessel mit Lederfett zu behandeln. Die Neugier, welche Buchtitel sich unter all dem Dreck verbargen, würde sie von ganz alleine vorantreiben und die Vorstellung ihren Lieblingsraum in seinem ursprünglichen Glanz erstrahlen zu sehen spornte ebenfalls an.

Bei dem Gedanken an den Rest des Hauses, der noch auf ihre reinigende Hand wartete, musste sie jedoch schwer schlucken. Es würde mehrere Tage in Anspruch nehmen, um die Bibliothek in den Zustand zu bringen, den sie erreichen wollte. Und doch, es war die Mühe wert. Sie konnte die ledergebundenen Kostbarkeiten schon vor sich sehen.

Glücklich sah sie sich um. Doch beim Anblick der Fenster wurde sie sofort wieder an all die Arbeit erinnert, die auf sie wartete. Sie atmete schwer ein, bei dem Gedanken, dass sie morgen auf der Leiter stehend die riesigen Fenster putzen würde. Für sie, mit ihren 1,72 m, waren sie bei Weiten zu hoch, selbst wenn sie auf die Sitzbank stieg, fehlte noch ein gutes Stück bis zum oberen Fensterrahmen.

Gedankenverloren schloss sie die hohen Fensterflügel. Die Läden wollte sie von außen zumachen, aber das konnte noch warten. Vielleicht tat sie es heute auch gar nicht mehr. Die Anstrengungen des Tages steckten ihr in den Knochen und sie freute sich darauf, schlafen zu gehen. Genüsslich streckte sie sich durch und spannte die Muskeln, löste die Anspannung wieder und sah nach draußen.

Das Licht der Sonne wurde immer spärlicher. Die Funktionstüchtigkeit der Glühbirnen hatte sie bereits überprüft, sie musste also nicht fürchten, unerwartet im Dunkeln zu stehen.