Regency Angels - Die unwiderstehliche Spionin - Jane Feather - E-Book
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Regency Angels - Die unwiderstehliche Spionin E-Book

Jane Feather

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Beschreibung

Ein verlockendes Angebot: Der aufregende historische Liebesroman »Regency Angels – Die unwiderstehliche Spionin« von Jane Feather jetzt als eBook bei dotbooks. Seit sie als Kind viel zu früh ihre Eltern verlor, muss sich die junge Polly Wyatt allein im ebenso glanzvollen wie gefährlichen London durchschlagen. Früh hat sie gelernt, ihr hübsches Gesicht und ihr schauspielerisches Talent einzusetzen, um blasierten Gentlemen das Geld aus der Tasche zu schwindeln – doch ihr neuestes Opfer dreht den Spieß um: Lord Kinkaid sieht nicht nur unerhört gut aus, er ist auch unberechenbar. Bevor Polly weiß, wie ihr geschieht, lädt er sie auf sein Anwesen ein, beschenkt sie mit wunderschönen Kleidern und führt sie tatsächlich in die Welt des Londoner Adels ein! Polly kann ihr Glück kaum fassen – aber was für ein Spiel treibt Lord Kinkaid mit ihr? Sie weiß, sie muss unbedingt misstrauisch bleiben … gar nicht so leicht, wenn ein einziger Blick von ihm genügt, um ihr Herz schneller schlagen zu lassen! »Dieser Roman wird Sie mit seinem Charme, seinem Witz und seiner Sinnlichkeit völlig gefangen nehmen!« Romantic Times Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der romantische historische Roman »Regency Angels – Die unwiderstehliche Spionin« von New-York-Times-Bestsellerautorin Jane Feather ist Band 1 ihrer fesselnden Trilogie »Regency Angels« – ein Lesevergnügen für die Fans von Julia Quinn. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 687

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Über dieses Buch:

Seit sie als Kind viel zu früh ihre Eltern verlor, muss sich die junge Polly Wyatt allein im ebenso glanzvollen wie gefährlichen London durchschlagen. Früh hat sie gelernt, ihr hübsches Gesicht und ihr schauspielerisches Talent einzusetzen, um blasierten Gentlemen das Geld aus der Tasche zu schwindeln – doch ihr neuestes Opfer dreht den Spieß um: Lord Kinkaid sieht nicht nur unerhört gut aus, er ist auch unberechenbar. Bevor Polly weiß, wie ihr geschieht, bringt er sie auf sein Anwesen, beschenkt sie mit wunderschönen Kleidern und führt sie tatsächlich in die Welt des Londoner Adels ein! Polly kann ihr Glück kaum fassen – aber was für ein Spiel treibt Lord Kinkaid mit ihr? Sie weiß, sie muss unbedingt misstrauisch bleiben … gar nicht so leicht, wenn ein einziger Blick von ihm genügt, um ihr Herz schneller schlagen zu lassen!

»Dieser Roman wird Sie mit seinem Charme, seinem Witz und seiner Sinnlichkeit völlig gefangen nehmen!« Romantic Times

Über die Autorin:

Jane Feather ist in Kairo geboren, wuchs in Südengland auf und lebt derzeit mit ihrer Familie in Washington D.C. Sie studierte angewandte Sozialkunde und war als Psychologin tätig, bevor sie ihrer Leidenschaft für Bücher nachgab und zu schreiben begann. Ihre Bestseller verkaufen sich weltweit in Millionenhöhe.

Bei dotbooks erscheinen als weitere Bände der Reihe »Regency Angels«:

»Die verführerische Diebin – Band 2«

»Die verlockende Betrügerin – Band 3«

Außerdem ihre Reihe »Love Charms« mit den Bänden:

»Die gestohlene Braut – Band 1«

»Die geliebte Feindin – Band 2«

»Die falsche Lady – Band 3«

In der Reihe »Regency Nobles« erschienen:

»Das Geheimnis des Earls – Band 1«

»Das Begehren des Lords – Band 2«

»Der Kuss des Lords – Band 3«

Außerdem erscheinen in der Reihe »Die Ladys vom Cavendish Square«:

»Das Verlangen des Viscounts – Band 1«

»Die Leidenschaft des Prinzen – Band 2«

»Das Begehren des Spions – Band 3«

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eBook-Neuausgabe Juni 2022

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1988 unter dem Originaltitel »Heart’s Folly« und 1993 unter dem Titel »Venus« bei bei Bantam Books, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2005 unter dem Titel »Lockruf der Leidenschaft« bei Random House.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1988/2003

by Jane Feather

Published by Arrangement with Shelagh Jane Feather

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2005 by Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-98690-300-8

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Jane Feather

Regency Angels –Die unwiderstehliche Spionin

Roman

Aus dem Amerikanischen von Elke Bartels

dotbooks.

Kapitel 1

Nicholas Lord Kincaid war in reichlich verdrießlicher Stimmung – und seine derzeitige Umgebung war auch nicht unbedingt dazu angetan, sie zu bessern. Die Taverne »Zum Hund« lag in einer engen, stinkenden Gasse abseits der Botolph Lane, und die Kundschaft schien ausschließlich aus Ruderern, Skullern und Fährleuten zu bestehen, die Mehrzahl davon noch dazu recht unflätig und stark betrunken.

Es war ein Mittwochabend Ende Dezember im Jahre des Herrn 1664, und jenseits der Eingangstür wogte der dichte winterliche Nebel durch die Straßen Londons. Er lag wie ein Miasma über der Themse, die ein paar Schritte südlich der Botolph Lane träge dahinfloss. Kincaid konnte es den Fährleuten nicht verübeln, dass sie an einem solchen Abend ihre Arbeit vernachlässigten; die Zahl der Fahrgäste, die bei diesem Wetter zum anderen Flussufer übergesetzt werden wollten, konnte man höchstwahrscheinlich an einer Hand abzählen, und selbst der erfahrenste Fährmann hätte Angst davor, sich in der undurchdringlichen Düsterkeit zu verirren. Vermutlich hatte auch genau jener erbensuppendicke Nebel De Winter daran gehindert, sich an diesem sicheren, wenn auch unwirtlichen Treffpunkt einzufinden.

Das Meerkohlefeuer im Kamin ließ einen schmierigen, giftigen Rauch aufsteigen, und Nicholas hustete angewidert. Dieser Rauch, der in ganz London aus den Schornsteinen aufstieg, verband sich mit dem Nebel zu schweren grauen Schwaden, die wie ein Leichentuch über der Stadt lagen; doch wenn Holzknappheit herrschte und ein warmes Feuer unumgänglich war, verbrannte die Stadtbevölkerung alles, was verfügbar und erschwinglich war.

Der beißende Rauch löste sich langsam wieder auf, während sich die tränenden Augen Seiner Lordschaft in ungläubigem Erstaunen weiteten. Ein Traumgeschöpf hatte sich in dem schummrigen, schmutzigen Schankraum materialisiert. Verwirrt blickte Nicholas in seinen Humpen mit Glühwein. Zugegeben, er hatte reichlich genug getrunken in seinem Bemühen, sowohl die Kälte als auch die Niedergeschlagenheit zu vertreiben, aber bestimmt nicht so viel, dass er aus dieser dünnen, rauchgeschwängerten Luft nun schon Phantomgestalten erschuf.

Er schaute wieder auf. Die auf den ersten Blick so gespenstisch anmutende Erscheinung besaß eine ausgesprochen greifbare Form. Sie bewegte sich auf ihn zu, während sie mühelos ein voll beladenes Tablett über die Köpfe der Menschenmenge hinwegbalancierte. Haar wie Honig, dachte er bewundernd – schwerer, gehaltvoller, goldbrauner Honig, der über makellose Schultern sickerte und sich über die elfenbeinweißen Rundungen ihrer Brüste ergoss, die sich – von keinerlei Mieder eingeengt – aus dem schäbigen Spitzenbesatz am Ausschnitt ihres Kleides wölbten. Es waren ausnehmend hübsche, wohlgeformte Brüste, deren Schönheit nicht im Geringsten durch das grellbunte, geschmacklose Kleid geschmälert wurde, das sie trug – eine Tracht, die bewusst darauf angelegt war, jedermann ihre vielfältigen körperlichen Reize vor Augen zu führen. Ein schmuddeliger Unterrock lugte unter dem Saum ihres scharlachroten Rockes hervor, der ein Stück hochgerafft war, um die reizvolle Kurve von Knie und Wade zu enthüllen und eine Andeutung von Schenkel erkennen zu lassen. Die derben Holzpantinen vermochten nicht die Schlankheit ihrer Fesseln und die Zierlichkeit ihrer Füße zu verbergen.

Fasziniert ließ Nicholas seinen Blick wieder aufwärts wandern, um die elegante Linie ihres Halses und die Rundung ihres erhobenen Armes zu betrachten, ehe er wie gebannt an ihren Zügen hängen blieb. Ihr Gesicht war ein perfektes Oval, ihre Haut elfenbeinweiß, die Wangen von einem rosigen Schimmer überhaucht, die Stirn glatt und hoch, die Nase schmal, die Brauen schwungvoll gezeichnet über leuchtenden haselnussbraunen Augen, deren leichte Schrägstellung zu den geschwungenen Winkeln ihres herrlichen Mundes passte. Es war ein äußerst verführerischer Mund mit vollen roten Lippen, die auf eine so ausgeprägte Sinnlichkeit hoffen ließen, dass Nicholas beim bloßen Gedanken daran ein Schauer der Erregung über den Rücken rieselte.

Teufel auch! Was hatte ein solches Juwel in dieser stinkenden Bruchbude unter Rüpeln, Saufbolden und Flussratten zu schaffen? Nicholas öffnete gerade den Mund, um diesen Gedanken laut auszusprechen, da lächelte das Traumgeschöpf – ein einladendes Lächeln, das ihm für einen Moment förmlich den Atem raubte. Ihr Arm streifte seinen Ärmel, als sie an seinem Tisch vorbeiging und sich einen Weg durch das Gedränge zu der langen Tafel in der Mitte des Schankraumes bahnte. Die lärmende Gruppe von Zechern begrüßte sie mit lauten, obszönen Sprüchen und betätschelte sie ungeniert, als sie sich vorbeugte, um das schwere Tablett abzustellen, bevor sie die schäumenden hölzernen Alekrüge verteilte.

Nicholas beobachtete die Szene angewidert. Das Mädchen erfuhr eine Behandlung, wie sie Dirnen und Schankkellnerinnen gewöhnlich zuteil wurde. Normalerweise hätte er kaum Notiz davon genommen; schließlich lud sie durch ihre aufreizende Kleidung förmlich dazu ein. Doch beim Anblick der schmutzigen, derben Pranken, die unter ihren Unterröcken herumfummelten und diese unvergleichlichen Brüste betatschten, drehte sich ihm der Magen um. Überdies konnte er über die kurze Entfernung, die sie voneinander trennte, den unverkennbaren Ekel des Mädchens spüren.

Polly rang wie gewohnt krampfhaft um Selbstbeherrschung, um das widerwärtige Kneifen und Tätscheln über sich ergehen zu lassen und den Drang zu unterdrücken, um sich zu treten, zu spucken und sich mit Zähnen und Klauen gegen ihre Peiniger zu wehren, obwohl sie vor Ekel eine Gänsehaut hatte. Sie musste lächeln, kokett den Kopf zurückwerfen und die Obszönitäten mit nicht minder unanständigen Bemerkungen quittieren, sonst würde Josh wieder mit dem gewohnten Nachdruck seinen mit Nieten beschlagenen Gürtel schwingen. Sie konnte die Augen des Gentlemans auf sich spüren, was dem gewohnten Elend eine andere Dimension zu verleihen schien – als ob die Anwesenheit eines Zeugen diese entwürdigende Situation tatsächlich noch schlimmer machen könnte, dachte Polly bitter.

»Polly! Komm gefälligst her, du faule Schlampe!« Das Gebrüll des Tavernenwirts ließ die Dachbalken erzittern und schallte wie ein Trompetenstoß durch die feuchtfröhliche Kakophonie von erhobenen Stimmen und lautem Gelächter. Es verschaffte dem Mädchen die Möglichkeit, den grabschenden Händen zu entwischen und sich aus dem Staub zu machen. Hastig griff sie nach dem inzwischen leeren Tablett und machte sich auf den Weg zurück zu der mit Aleflecken übersäten Theke im hinteren Teil des Raumes. Der Gentleman starrte sie noch immer mit zermürbender Durchdringlichkeit an. Polly warf den Kopf in den Nacken und schenkte ihm abermals ein Lächeln, nur für den Fall, dass Josh ein wachsames Auge auf sie hatte und ihr womöglich vorwarf, sie versäume die Gelegenheit, einen so offensichtlich gut betuchten Gast um das eine oder andere zusätzliche Geldstück zu erleichtern.

Josh trank seinen Humpen mit Porter aus und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. In seinen kleinen, blutunterlaufenen Augen lag ein Ausdruck der Befriedigung. Ihm war keineswegs entgangen, wie hingerissen der Gentleman von dem Mädchen war. Dieser faszinierte Gesichtsausdruck, dieser von Verlangen erfüllte Blick waren untrügliche Anzeichen, die er schon bei so manch einem jungen Edelmann beobachtet hatte, dessen Blick auf Polly gefallen war. Und Josh konnte diese Reaktion nur allzu gut verstehen. In seinen eigenen Lenden regte sich ebenfalls die Wollust mit schmerzhafter Hartnäckigkeit, wann immer er an das Mädchen dachte, sich ausmalte, wie sie in dem kleinen Verschlag unter der Treppe schlief, ihr dünnes Hemd hochgerutscht bis zu ihren ... Verdammte Pest! Wäre Prue nicht so ein kleinkariertes, sauertöpfisches Weibsstück, hätte er das Mädchen schon längst flachgelegt! Schließlich war sie ja nicht seine Blutsverwandte.

Beim frustrierenden Gedanken daran, wie sehr ihm die Hände gebunden waren, erschien ein hinterhältiger Zug um Joshs Mund, und in seinen Augen glomm ein böser Funke auf. Wenn er diese Reize schon nicht für sich genießen konnte, würde er verdammt noch mal dafür sorgen, dass sie wenigstens nutzbringend eingesetzt wurden! »Geh zu deiner Tante in die Küche und sag ihr, sie soll noch einen Humpen von dem Glühwein zubereiten«, wies er das Mädchen an. »Und zwar mit den speziellen Zutaten, verstanden?« Polly verstand nur zu gut und fühlte wieder das vertraute Grauen in sich aufkeimen, als sie an die scheußliche Aufgabe dachte, die ihr bevorstand. »Und dann servierst du den Glühwein dem Gentleman dort drüben und siehst zu, dass er ihn bis auf den letzten Tropfen austrinkt, bevor du ihn mit nach oben nimmst. Er wird ’ne prall gefüllte Geldbörse haben, darauf gehe ich jede Wette ein, von den Klunkern an seinen Fingern ganz zu schweigen.« Das obszöne Grinsen wurde noch eine Spur breiter. »Mach ihm einfach die richtigen Versprechungen, Mädchen, und sorg dafür, dass du ihn ins Bett kriegst.«

»Nicht schon wieder, Josh«, bettelte Polly, obwohl sie wusste, dass es unklug war. »Das ist nun schon das zweite Mal in dieser Woche.«

Joshs Hand schoss blitzschnell vor und versetzte ihr eine schallende Ohrfeige. Polly unterdrückte einen Aufschrei und rieb sich ihr schmerzendes Ohr, während sie um die Theke herum in die Küche stolperte, wo eine wahre Amazone von einer Frau mit fleischigen Unterarmen und knotigen, mit Leberflecken übersäten Händen über eine Armee brodelnder Kessel und Töpfe herrschte. Die heiße, feuchte Luft war von durchdringenden Düften erfüllt, Dampf wand sich in Spiralen von den Töpfen empor und waberte nebelgleich um die rauchgeschwärzten Balken unter der niedrigen Zimmerdecke. Die Frau musterte das Mädchen mit abschätzendem Blick und entdeckte prompt den Tränenschleier in den haselnussbraunen Augen.

»Hast du schon wieder deinen Onkel geärgert?«

»Er ist nicht mein Onkel!«, fauchte Polly, während sie einen leeren Krug von einem Haken an der Wand nahm.

»Sieh dich ja vor, mein Mädchen! Wenn er nicht wäre, hättest du kein Bett zum Schlafen und nichts zu essen im Magen«, erklärte Prue. »Hat er sich um dich gekümmert und für dich gesorgt? Jawohl, das hat er, so als wärst du sein eigen Fleisch und Blut und nicht ein dahergelaufenes Balg aus Newgate«, fügte sie mit gedämpfter Stimme hinzu.

Polly hörte es zwar trotzdem, aber sie hatte diese unschöne Bezeichnung in ihren siebzehn Lebensjahren schon so viele Male gehört, dass sie sie mittlerweile nicht mehr zu verletzen vermochte, falls sie es überhaupt jemals gekonnt hatte. »Josh will eine Spezialmischung«, sagte sie teilnahmslos. »Aufgefüllt mit Glühwein.« Sie reichte Prue den Krug.

Ihre Tante nickte. »Der Gentleman in der Ecke, nehme ich an. Ich hab zuerst gedacht, er wartet auf jemanden, aber wenn er allein ist, dann kann uns wohl nichts passieren.« Sie tauchte eine Schöpfkelle in einen der Kessel und füllte den Krug, ehe sie verschiedene Gewürze aus einer Ansammlung kleiner Keramikgefäße zu dem erhitzten Wein hinzufügte. Polly schaute schweigend zu. Eines dieser Gefäße enthielt ein Pulver, das alles andere als harmlos war, und als sie ihrer Tante – angetan mit fleckenübersäter Schürze und schmuddeliger Haube – zusah, wie sie das heimtückische Gebräu mischte und umrührte, erschien Polly der brodelnde, von Dampfschwaden durchzogene Raum plötzlich wie die Giftküche einer Hexe.

Schweißperlen standen auf ihrer Stirn, und Polly neigte den Kopf, um sich mit ihrer eigenen, ebenfalls alles andere als sauberen Schürze das Gesicht abzuwischen. Es musste doch eine Welt jenseits dieser Mauern geben; es musste doch irgendwie möglich sein, das Ziel zu erreichen, das in den langen, schlaflosen Stunden der Nacht stets so verheißungsvoll glitzernd vor ihrem geistigen Auge stand. Eines Tages würde sie all das hinter sich lassen und in eine ganz andere Rolle schlüpfen als diejenige, die ihr in diesem schäbigen, verkommenen, beengten Dasein zugewiesen worden war, wo alles Denken und Handeln von den Nöten der Armut bestimmt wurde und die Schlinge des Henkers die einzige gefürchtete Konsequenz war. Sie brauchte nur einen Gönner, irgendeinen reichen Gentleman, den sie von ihrem Talent überzeugen könnte und der sie den Leuten vorstellte, die die Theater leiteten. Das Problem war nur, dass Gentlemen mit dicken Brieftaschen und großem Einfluss eher selten in der Taverne verkehrten, und wenn doch, so wie es bei ihrem nächsten Opfer der Fall war, dann hatte Josh bereits ein anderes Schicksal für sie geplant – und zwar eines, das sie daran hinderte, Polly in irgendeiner Form ihre Hilfe anzubieten.

Sie nahm den gefüllten Krug von ihrer Tante entgegen und kehrte wieder in den Schankraum zurück. Als Nächstes würde sie den Gentleman dazu bewegen müssen, mit ihr in die Schlafkammer im oberen Stockwerk hinaufzugehen, wo er dank Prues Spezialtrank bewusstlos werden würde, damit Josh und seine Kumpane ihn in aller Ruhe um sein Hab und Gut erleichtern konnten. Was danach mit ihm geschah, brauchte Polly nicht mehr zu kümmern. Nachdem ihre Aufgabe erfüllt war, würde man sie fortschicken, damit sie ihre Pritsche unter der Treppe aufsuchte und ihre Ohren vor den verdächtigen Geräuschen im Gang verschloss – vor den dumpfen Schlägen und dem Knarren, den gemurmelten Flüchen, dem Scharren und Poltern und Schlurfen.

Polly blickte zur anderen Seite des überfüllten Schankraums hinüber und überlegte, wie sie sich am besten an diesen Gentleman heranmachen könnte. Meistens waren die Gimpel so grobschlächtig und ungehobelt, so widerwärtig mit ihren obszönen Anspielungen und so beleidigend in ihrer Art, sie zu behandeln, als ob sie nichts weiter wäre als ein Stück Fleisch in der Auslage einer Metzgerei, dass jede raffinierte Form der Annäherung reine Zeitvergeudung war. Dieser junge Gentleman jedoch schien anders zu sein. Er war hoch gewachsen, mit breiten, kräftigen Schultern und muskulösen Schenkeln, die seinen samtenen Gehrock und die Kniehosen beinahe zu sprengen drohten. Der Degen an seiner Hüfte war von schlichter, zweckmäßiger Form, mehr Waffe als schmückendes Accessoire. In einem fairen Kampf, so entschied Polly, wäre er Josh und seinen Schlägerkumpanen gewiss haushoch überlegen.

Er trug keine Perücke. Sein Haar fiel ihm in üppigen Locken bis auf die Schultern und schimmerte im Licht der Kerzen in einem satten Kastanienbraun, und seine Augen waren von einem klaren Smaragdgrün. Polly erinnerte sich wieder an die Art, wie er sie vorhin angeblickt hatte, als die Feiernden sie am Mitteltisch begrabscht hatten. Allein beim Gedanken daran, welchen Eindruck sie ihm damit vermittelt haben mochte, überlief sie ein Schauder des Selbstekels. Andererseits durfte er nicht wissen, dass sie nur so getan hatte und sie notgedrungen bei dem schmutzigen Spiel mitmachen musste, wenn sie es sich mit Josh nicht völlig verderben wollte. Wieso sollte sie sich einbilden, dass er – so offensichtlich ein Mann von vornehmem Stand – an den Annäherungsversuchen einer Tavernenhure irgendetwas Verlockendes finden würde? Aber sie brauchte ja nicht unbedingt die Rolle eines billigen Tavernenflittchens zu spielen, oder? Sie konnte alles sein, was sie wollte, solange sie nur ihr Ziel erreichte.

Entschlossen reckte Polly das Kinn. Sie würde den Gimpel mit ihrem gekonnten Auftritt in Erstaunen versetzen – indem sie ihn mit der Ausdrucksweise und den Manieren einer vornehmen Dame faszinierte, während sie ihm das unzüchtige Angebot unterbreitete.

Nicholas beobachtete, wie sie auf ihn zukam. Als dieser kugelköpfige Rohling sie geschlagen hatte, hatte er sich selbst nur mit größter Mühe davon abhalten können, von seinem Platz aufzuspringen und ihr zu Hilfe zu eilen. Normalerweise hätte ihn ein solches Spektakel nicht im Geringsten interessiert – schließlich hatte ein Mann das gute Recht, in seinem Geschäft für Ordnung zu sorgen, und wenn das Mädchen nicht seine Tochter war, dann war sie gewiss bei ihm angestellt und somit ebenso sehr seiner Autorität unterworfen. Und dennoch – die Vorstellung, dass ein derartiger Kerl die Herrschaft über dieses zauberhafte Geschöpf hatte, war höchst widerwärtig – so widerwärtig wie der Anblick dieser Trunkenbolde, die das Mädchen vorhin so gierig betatscht hatten.

»Möchtet Ihr noch einen Krug Glühwein, Sir?«

Ihre Stimme klang überraschend lieblich und ließ keine Spur von der Härte oder Rauheit erkennen, die Nicholas erwartet hatte. Sie stellte den frischen Humpen neben Nicholas ab. »Darf ich Euch Gesellschaft leisten, Sir?« Dieses einladende Lächeln zog ihn magisch an, und er erhob sich halb von seinem Platz, während er mit einer auffordernden Handbewegung auf die Bank neben sich deutete.

»Ich fühle mich überaus geehrt.« Sowohl die Worte als auch die Geste waren gänzlich unangebracht, wenn ein Mann lediglich die Gesellschaft einer Tavernenmagd akzeptierte, die – wie man mit ziemlicher Sicherheit annehmen konnte – ebenso sehr Hure wie Serviermädchen war. Nicholas war sich der Absurdität seiner Höflichkeit durchaus bewusst ebenso wie des Schmutzes unter den Fingernägeln des Mädchens, der Schmuddeligkeit ihres Kleides und der Schürze, ihrer ungekämmten Haare und der rauen, rissigen Haut ihrer Hände. Und dennoch schien nichts davon eine Rolle zu spielen, wurden sie doch vollkommen von der erstaunlichen Schönheit des Mädchens und von ihrem geradezu würdevollen Auftreten überstrahlt, das all diese kleinen Makel augenblicklich vergessen ließ. Nicholas Kincaid war vollkommen bezaubert.

»Möchtet Ihr nicht ein Glas mit mir trinken?«, fragte er lächelnd. »Ich trinke nur sehr ungern allein.« Er legte ein Sixpence-Stück auf den Tisch.

Polly griff bereitwillig nach dem Geldstück. »Ich danke Euch, Sir.« Sie ging zur Theke und zapfte sich einen Krug Ale. Joshs scharfen Augen war das Aufblitzen der Münze keineswegs entgangen, und er schnippte gebieterisch mit den Fingern. Sie händigte ihm das Geldstück aus, ohne zu protestieren, obwohl sie innerlich dagegen rebellierte. Manchmal gelang es ihr, ein paar Münzen beiseite zu schaffen, wenn sie ihr im Gedränge heimlich von einem Gast zugesteckt wurden, doch leider geschah so etwas nur selten, und ihre Chancen, genug Geld zusammenzubekommen, um ohne fremde Unterstützung diesem anrüchigen Etablissement zu entkommen, waren verschwindend klein. Aber solch düstere Gedanken passten nicht zu der Rolle, die sie im Augenblick spielte.

Polly kehrte zu dem Gentleman zurück und setzte sich neben ihn. Ihre Augen strahlten einladend über den Rand ihres Humpens hinweg, während sie darauf wartete, dass er die Brüste streichelte, die sich so aufreizend gegen seinen in Samt gehüllten Arm drückten, dass er ihr eine Hand aufs Knie legte und ihren Rock hochschob, um an ihr weiches nacktes Fleisch heranzukommen. Für gewöhnlich ließen diese Annäherungsversuche nicht lange auf sich warten; dann würde der Vorschlag, dass sie doch vielleicht besser nach oben gehen sollten, um dort weiterzumachen, wie selbstverständlich folgen.

Was für eine himmelschreiende Verschwendung von solch vollendeter Schönheit, dachte Nicholas, als er einen großen Schluck von seinem Glühwein trank, und fragte sich trotz seiner Betörtheit, ob er wirklich das Risiko eingehen und es wagen sollte, die Einladung anzunehmen. So jung das Mädchen auch sein mochte – Krankheiten waren nun einmal die unausweichliche Begleiterscheinung des Lebens, das sie führte, und er verspürte weiß Gott nicht das Verlangen, sich die Syphilis einzuhandeln. Das berückende Geschöpf drängte sich auffordernd an ihn, und ihre Finger strichen zart über seinen Schenkel, während ihr wundervoller, sinnlicher Mund näher und näher kam, bis er sich schließlich zu dicht vor dem seinen befand, als dass er das Angebot noch hätte zurückweisen können. Mit einem winzigen Seufzer gab Nicholas schließlich nach. Er legte den Arm um sie, umfing ihren unvergleichlichen Körper, der sich bereitwillig an ihn schmiegte, und ihre vollen Lippen öffneten sich leicht in Erwartung seines Kusses. Damit war Nicholas’ Schicksal besiegelt, und von jeglichem Versuch, der Verlockung zu widerstehen, konnte nun keine Rede mehr sein.

»Wenn Ihr Wert auf ein wenig mehr Privatsphäre legt, Sir, könnten wir uns in ein Zimmer im oberen Stock zurückziehen«, flüsterte die Verführerin, während sich ein Hauch von Röte über ihren makellosen elfenbeinfarbenen Teint zog, als würde sie angesichts der Kühnheit, die sie dazu getrieben hatte, ihm einen solch unschicklichen Vorschlag zu machen, plötzlich von Verlegenheit und Scham überwältigt.

Was für ein raffiniertes Biest!, dachte Nicholas mit einem Anflug von Belustigung, die ihn für einen Moment wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Eine ausgebuffte kleine Hure, die ihm die Unschuld vom Lande vorspielte! Und dazu noch mit großem Geschick und unleugbarem Talent, wie er wohl oder übel zugeben musste, als eine kleine Hand ihren Weg in die seine fand und zaghaft seine Finger drückte. Dieser Anschein süßer Unschuld und Schamhaftigkeit verlieh der ganzen Sache noch einen zusätzlichen Zauber – sie war keine gewöhnliche Hure; weder von Gesicht und Gestalt her noch was Ausdrucksweise und Benehmen anbetraf.

Polly warf einen verstohlenen Blick in Nicholas’ Humpen, während sie sich von der Bank erhob und ihre Finger fest mit den seinen verflocht. Der Humpen war zwar noch nicht ganz leer, doch für Joshs Zwecke würde es bestimmt genügen. Prue pflegte die Menge des Pulvers, das sie in ihren Trank mischte, stets reichlich großzügig zu bemessen.

Nicholas dröhnte der Schädel, und er fragte sich besorgt, ob er von dem bisschen Wein so betrunken sein konnte, dass ihm schwindlig sein konnte. Im Schankraum schien es mit einem Mal so heiß zu sein, und das gerötete Gesicht des Tavernenwirts, das vor ihm auftauchte, war leicht verschwommen. Doch das Mädchen hielt energisch seine Hand fest, als es ihn zu einem schmalen Treppenaufgang im hinteren Teil des Raumes führte. Nicholas schüttelte den Kopf, als wollte er das Gefühl der Benommenheit vertreiben, und konzentrierte sich darauf, nicht den Halt zu verlieren.

Polly öffnete die Tür zu der kleinen Schlafkammer, die von dem winzigen Treppenabsatz abging. »Hier herein, wenn es Euch recht ist, Sir«, gurrte sie mit melodischer Stimme und machte einen Knicks, als führe sie Nicholas in irgendein Luxusgemach. Er trat an ihr vorbei in einen armseligen, spärlich möblierten Raum, wo ein winziges Kaminfeuer missmutig vor sich hin schwelte und der Wind durch die Ritzen des schlecht schließenden Flügelfensters pfiff. Der Überwurf auf dem Bett war zerknüllt und fleckig, und irgendetwas huschte unter eine wackelig aussehende Kommode, die an der gegenüberliegenden Wand lehnte. Nicholas war schrecklich schwindlig, und ihm wurde schlagartig klar, dass er sich nicht in der Lage sah, das hinter sich zu bringen, was ihm bevorstand – wie begehrenswert seine Gespielin auch immer sein mochte. Er griff in seine Tasche, um seine Geldbörse hervorzuziehen. Das Mädchen hatte schließlich Anspruch auf Bezahlung.

Doch mit einem Mal hielt er mitten in der Bewegung inne, und sein gesamter Körper verharrte in Reglosigkeit, während das Mädchen sachlich und scheinbar unbeteiligt das Oberteil seines Kleides aufzuschnüren begann. Mit einer vollkommen natürlich anmutenden Geste knöpfte Polly das Hemd auf, das sie unter dem Kleid trug, und entblößte die vollen, elfenbeinweiß schimmernden Rundungen ihrer Brüste, die von rosigen Spitzen gekrönt waren und stolz aufrecht standen. Nicholas ließ sich auf die Matratze aus Flockwolle auf dem schmalen Bett sinken, wobei die Bettfedern quietschend unter seinem Gewicht protestierten. Seine Augenlider waren ungeheuer schwer, dennoch konnte er einfach nicht den Blick von der Gestalt losreißen, als ihr geschmackloses rotes Kleid auf den Fußboden fiel, dicht gefolgt von ihrem verschmutzten Unterrock.

Polly stand stocksteif da und fragte sich verzweifelt, was sie als Nächstes tun sollte. Sie war noch nie zuvor gezwungen gewesen, auch noch ihr Hemd auszuziehen. Bisher waren ihre Opfer stets schon bewusstlos gewesen, bevor sie ihren Unterrock abgestreift hatte, doch dieser Gimpel hier blieb wach und wartete ganz offensichtlich darauf, dass sie auch noch die letzte Hülle fallen ließ. Besorgt forschte Polly in seinen Augen nach jener typischen Trübung der Pupillen, die darauf schließen ließ, dass der Trank demnächst Wirkung zeigte. Doch seine Augen waren noch immer klar und fest auf sie gerichtet. Damit blieb ihr also keine andere Wahl, als sich vollständig zu entkleiden. Sie hob die Hände, um das offene Unterhemd von ihren Schultern zu streifen.

Nicholas bemerkte, wie er unwillkürlich nach Atem rang, als sie das dünne Hemdchen langsam abstreifte, um vollkommen nackt in der kalten, schmutzigen Schlafkammer zu stehen. Der Gegensatz zwischen dieser höchst schäbigen Umgebung und jenem makellosen Körper, der fast opalartig im flackernden Licht der Öllampe schimmerte, war einfach unbeschreiblich.

»Komm her.« Die leise Aufforderung klang in der angespannten Stille geradezu schrill. Polly schluckte und trat zögernd Richtung Bett. Plötzlich begann sich der Raum mit Schwindel erregender Geschwindigkeit um Nicholas zu drehen, und die schreckliche Erkenntnis, dass die Dinge nicht so waren, wie sie sein sollten, durchfuhr ihn wie ein Blitz. Denn während sich dieses atemberaubende Geschöpf ihm langsam näherte, schien es plötzlich vor seinen Augen zu flimmern und zu verblassen. »In Gottes Namen!«, rief er aus und rieb sich die Augen, in der vergeblichen Hoffnung, den trüben Schleier zerreißen und wieder klar sehen zu können. »Was hast du mit mir gemacht?«

Zu Pollys Erleichterung und Bestürzung zugleich fiel der Gentleman auf die Bettstatt zurück und rührte sich nicht mehr. Vorsichtig trat sie an das Bett heran und blickte auf die reglos daliegende Gestalt hinunter. Ihre Aufgabe als Lockvogel war erfüllt. Sie würde sich wieder anziehen, in den Schankraum zurückkehren und den Rest Josh überlassen. Was würden er und seine Handlanger mit dem Gimpel wohl anstellen? Sie würden ihn doch nicht umbringen, oder? Doch ihr war klar, dass genau das passieren würde. Denn wenn sie ihn am Leben ließen, hetzte er ihnen die Schildwache auf den Hals, und dann würden sie alle am Galgen enden – einschließlich sie, Polly.

Nachdenklich kaute sie auf ihrer Unterlippe, als ihr das Gebet des Weisen in den Sinn kam: Verschone mich mit Armut, damit ich nicht stehlen muss. Aber sie hatte in dieser Welt mangelnder Gerechtigkeit nun einmal das Los der Armut gezogen, und sich der Reue hinzugeben oder auf die Stimme des Gewissens zu hören war ein Luxus, den sie sich beim besten Willen nicht leisten konnte. Brüllendes Gelächter aus dem Schankraum ließ die Eichenbohlen unter ihren Füßen erbeben. Es war eine Mahnung, die genau zur rechten Zeit kam. Josh wartete bestimmt schon auf sie, und wenn sie, nicht bald wieder unten auftauchte, würde er sich auf die Suche nach ihr machen und heraufkommen. Pollys Blick wanderte zu der Ausbuchtung in der Weste des Gentlemans, wo sich seine Brieftasche befand. Eine Guinea weniger würde Josh schon nicht wehtun. Er konnte ja nicht wissen, wie viel sich in der Brieftasche befunden hatte.

Verstohlen beugte sie sich über die reglose Gestalt und ließ ihre Finger in die Tasche der Samtweste gleiten.

»Aha, darauf also hast du’s abgesehen! Du diebisches Biest!«

Die Welt schien auf einmal zu kippen, und im nächsten Moment fand Polly sich auf dem Bett wieder, flach auf dem Rücken liegend, während sie entsetzt und verwirrt in zwei leicht glasige, aber unverkennbar wütend blitzende Augen blickte.

»Du kassierst deinen Lohn, bevor du den versprochenen Dienst leistest, sehe ich das richtig?« Sein Körper lag schwer auf ihr. Mit der einen Hand hielt er ihre Handgelenke über ihrem Kopf fest, mit der anderen umfasste er ihr Kinn mit einer Kraft, die so gar nicht zum Genuss von einem von Prues Spezialtränken passte.

»Ihr solltet doch tief und fest schlafen!«, stieß sie hervor.

»Und Gott steh mir bei, in Wahrheit hätte ich das auch verdient!«, murmelte Nicholas. »Wie konnte ich nur so ein leichtgläubiger Idiot sein! An einem Ort wie diesem auf einen so billigen Trick hereinzufallen!« Er hatte keine Ahnung, wieso das Gefühl der tastenden, suchenden Finger durch seine Betäubtheit gedrungen war, aber ihm war klar, dass er auf keinen Fall wieder in Apathie versinken durfte, sondern mit seinem letzten Quäntchen Kraft gegen die schleichende Bewusstlosigkeit ankämpfen musste. Zorn war ein mächtiger Verbündeter in diesem Kampf, als er das atemberaubend hübsche und doch so hinterlistige Gesicht seiner Widersacherin betrachtete – die großen, leuchtenden Augen, die ihn in ein grünlich braunes Land der Verheißung zu führen schienen. Der weiche Körper unter ihm bewegte sich, was das Bild ihrer Nacktheit nur noch umso lebendiger und reizvoller machte. Sinnliche Begierde war ebenfalls eine starke, nicht zu unterschätzende Kraft, insbesondere wenn sie mit Wut gepaart war. »Diesmal erbringst du erst die Leistung, und dann erfolgt die Bezahlung«, knurrte Nicholas und presste seinen Mund auf den ihren.

Polly wand und krümmte sich verzweifelt unter ihm. Die Knöpfe seiner Jacke gruben sich schmerzhaft in ihr weiches Fleisch, und Samt schien ihre Haut wund zu reiben. Unter ihre Panik mischte sich der schier unerträgliche Gedanke, dass Josh und seine Kumpane jeden Moment heraufkommen mussten ... dass sie sie, Polly, splitterfasernackt vorfinden würden, ihr vermeintliches Opfer noch hellwach und im Vollbesitz seiner Sinne ... Sie wusste nicht, welche Vorstellung schlimmer war. Sie hatte nicht gewartet, bis der Gentleman seinen Glühwein ausgetrunken hatte, und damit war sie für das Scheitern ihres Plans verantwortlich. Aber auch Prue musste sich diesmal verkalkuliert haben.

»Bitte!« Es gelang ihr, ihre Lippen von den seinen zu lösen. »Ihr versteht nicht!«

»Verstehen?« In seinem Lachen schwang beißender Hohn mit. »So wie ich das Ganze verstehe, bin ich gerade dabei, das zu kaufen, was du mir versprochen hast.«

»Aber ich habe doch gar nicht versprochen ...« Polly verstummte, als ihr klar wurde, wie sinnlos und unglaubwürdig ihre Verteidigungsversuche waren. Sie hatte schon immer gewusst, dass ihr Glück eines Tages ein Ende fände. Eines Tages würde sie sich nicht mehr schützen können. Eines Tages stünde sie dem unabwendbaren Angriff auf eine Jungfräulichkeit gegenüber, die sie sich bisher allen Widrigkeiten zum Trotz noch zu bewahren vermocht hatte, wohl wissend, dass ihre Unberührtheit das Einzige war, was sie von den Heerscharen stumpfäugiger Schlampen unterschied, die ihre Welt bevölkerten. Der Verlust der Jungfräulichkeit führte unweigerlich zu einem dicken Bauch, zur Syphilis, zum hoffnungslosen, nicht enden wollenden Kreislauf aus Vergewaltigung und Niederkunft, der nur durch den Tod unterbrochen wurde. Und wenn sie erst einmal auf diese Bahn geraten war, dann gäbe es kein Zurück mehr für sie, keine Hoffnung mehr, ihren Traum von Theatern und Bühnen und applaudierenden Zuschauern zu verwirklichen – keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Aber wenn der Zeitpunkt nun gekommen sein sollte, dann war es vielleicht immer noch besser, es geschah durch diesen Mann, der möglicherweise so etwas wie Feingefühl besaß, als für ein paar Pennys mit einem der groben, rücksichtslosen, unflätigen Trunkenbolde aus dem Schankraum. Polly gab ihre Versuche, sich zur Wehr zu setzen, endgültig auf. »Bitte tut mir nicht weh«, flüsterte sie flehend.

Nicholas musterte sie verdutzt. »Dir wehtun? Wie kommst du denn auf die Idee, dass ich so etwas tun würde?«

Zwei heiße Tränen kullerten ihre Wangen hinunter. »Es tut doch weh, das Jungfernhäutchen zu durchbrechen, nicht wahr?«, stieß sie leise hervor.

Nicholas holte tief Luft, während er verwirrt auf sie hinuntersah. Seit wann war eine Tavernenhure noch im Besitz ihrer Jungfräulichkeit? »Du willst mir allen Ernstes erzählen, dass du noch Jungfrau bist?«, fragte er ungläubig und ließ das Mädchen los. Er erhob sich vom Bett und stand vor ihr, während sie ausgestreckt auf dem Überwurf liegen blieb. Sie schien sich keinerlei Gedanken darum zu machen, dass sie vollkommen nackt war. Fast so, als hätte sie es vergessen, dachte Nicholas und schüttelte den Kopf, als könnte er sich auf diese Weise von dem lähmenden Gefühl der Verwirrung befreien.

Polly nickte und setzte sich auf. »Ich soll die Gentlemen nur hier herauflocken«, erklärte sie. »Sie schlafen immer ein, bevor sie jemals dazu kommen, mich –«

»Und dann raubst du sie aus?«, unterbrach er sie barsch. Es war zwar eine äußerst ungewöhnliche Vorstellung, dass es ihr bei all diesen Betrügereien gelungen war, sich ihre Unschuld zu bewahren, aber unter den Umständen, die sie gerade beschrieben und die er am eigenen Leibe erfahren hatte, erschien ihm dieses Kunststück keineswegs unmöglich.

»Nicht ich«, korrigierte sie ihn, als ändere das etwas am Ausmaß ihrer Schuld, »sondern Josh und seine Männer.«

»Und was passiert dann?« Nicholas begann in der kleinen Schlafkammer auf und ab zu gehen, in dem Bemühen, den Nebel der Benommenheit in Schach zu halten. Sie gab keine Antwort. Er fuhr zu ihr herum. »Und was passiert dann?«

Sie schüttelte den Kopf und blickte ihn flehend an. »Ich weiß es nicht.«

»Lügnerin!« Er packte ihr Kinn und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. »Du bist eine Lügnerin, eine Diebin und dazu noch eine Komplizin bei Mord und Totschlag!« Und all diese Schlechtigkeit und Niedertracht waren in einem Wesen vereint, das so bezaubernd schön war, dass es fast nicht zu glauben war. Zutiefst angewidert wandte Nicholas sich von ihr ab.

»Nein, Ihr könnt jetzt nicht nach unten gehen!« Das eindringliche Flüstern ließ ihn abrupt innehalten, als er eine Hand auf den Türriegel legte. »Sie werden Euch nicht lebend davonkommen lassen!« Hastig sprang Polly vom Bett und packte Nicholas am Arm. »Draußen auf dem Treppenabsatz steht ein Schrank. Wenn Ihr Euch so lange dort drin versteckt, bis sie heraufkommen, könnt Ihr ungesehen die Treppe hinunterlaufen, wenn sie hier hereinkommen.«

»Du erwartest also von mir, dass ich mich vor einer Horde gemeiner Kanalratten verstecke?«, rief Nicholas aufgebracht und zog mit einer raschen, geschmeidigen Bewegung seinen Degen.

»Sie sind zu sechst«, erklärte Polly. »Ihr mögt zwar so kühn und mutig wie ein Löwe sein, aber gegen eine solche Übermacht –« Sie zuckte die Achseln, wandte sich von ihm ab und bückte sich, um ihr Hemd aufzuheben.

Ihre Pobacken und Schenkel waren mit Blutergüssen übersät. Wieder sah Nicholas im Geist den brutalen Josh vor sich, wie er seine großen roten Pranken gegen das Mädchen erhob. Er sah das obszöne Glitzern in seinen kleinen Augen. Seine Wut verrauchte. Welches Recht hatte er, dieses Mädchen zu verurteilen, für das Gewalttätigkeit ein ständiger Begleiter ihres Lebens war? Sie tat nur, wozu man sie gezwungen hatte, und in diesen abgelegenen Elendsvierteln galt ein Menschenleben nicht viel.

»Und was passiert mit dir?«, fragte Nicholas ruhig. »Ich bezweifle, dass du nach den letzten Schlägen schon wieder eine neue Tracht Prügel verkraften könntest.«

Polly errötete heftig. An die Striemen und Blutergüsse auf ihrer Kehrseite hatte sie gar nicht mehr gedacht. Hastig zog sie ihr Hemd wieder an. »Er tut das nur, weil er eigentlich das andere mit mir tun möchte – Ihr wisst schon, was.« Zu seinem Erstaunen sah er plötzlich einen schelmischen Funken in ihren Augen aufblitzen. »Aber Prue lässt ihn nicht. Sie sagt, sie denkt nicht einmal daran, ihren Ehemann mit einem Fratz von einem Mädchen zu teilen, das sie von früher Kindheit an aufgezogen hat, und dass sie sofort dazwischengeht, falls er irgendwas bei mir versucht.« Ein Kichern entschlüpfte ihr. »Und ob sie das tun würde! Sie ist nämlich viel größer und stärker als er.«

Nicholas spürte, wie sich sein Gesicht ebenfalls zu einem Grinsen verzog. Sie hatte wirklich ein äußerst ansteckendes Lächeln, selbst wenn es, so wie jetzt, von reinem Schalk erfüllt war und keine Spur von der aufreizenden Art von vorhin mehr an sich hatte. Aber andererseits war jenes Lächeln ja auch dafür gedacht gewesen, ihn zu täuschen, während dieses hier ganz ohne Arglist zu sein schien.

Plötzlich ertönten schwere Schritte auf der Treppe, sodass ihm das Lachen schlagartig verging. Polly wurde kreidebleich, als Nicholas mit gezogenem Degen zur Tür herumwirbelte. Die Tür wurde so heftig aufgestoßen, dass sie krachend gegen die Wand schlug, und auf der Schwelle erschien Josh, begleitet von fünf stämmigen Männern, allesamt mit dicken Knüppeln bewaffnet.

Wozu brauchen sie eigentlich die Knüppel, wenn ihr Opfer eigentlich schon bewusstlos sein sollte?, fragte Nicholas sich nüchtern, während er ein Stück zurückwich, um mehr Spielraum zu haben. Wahrscheinlich fänden sie ihr Vergnügen daran, mich zu Tode zu prügeln, bevor sie meine Leiche im Fluss versenken, dachte er, noch immer ziemlich ungerührt.

»Mach, dass du hier rauskommst, Mädchen!«, befahl Josh. »Zu dir komm ich später noch.« Er bewegte sich langsam auf Kincaid zu, während sich die anderen hinter ihm in der kleinen Kammer verteilten. Nicholas hatte keine Chance. Die Klinge seines Degens blitzte im Lichtschein auf und traf Josh am Arm, als dieser seinen Knüppel hob. Blut tropfte aus der Schnittwunde; der Tavernenwirt brüllte wie ein zorniger Bulle und ließ mit voller Wucht seinen Knüppel niedersausen. Mit einem blitzschnellen Sprung zur Seite wich Nicholas aus, und der Knüppel verfehlte sein Ziel, wenn auch nur um Haaresbreite. Doch Nicholas war jetzt fast bis an die Wand zurückgedrängt worden und saß damit in der Falle. Wenn sein Gegner das nächste Mal zuschlug, würde er nirgendwohin mehr ausweichen können.

Ein Schwall eiskalter Luft erfüllte den Raum, und die missmutig vor sich hin schwelenden Kohlen im Kamin begannen zu zischen und zu qualmen. Irgendjemand hatte das Flügelfenster hinter Nicholas geöffnet. »Schnell!« Pollys sorgenvoller Ausruf verriet ihm, wem er für diesen geistesgegenwärtigen Einfall zu danken hatte. Nicholas gab jeden großspurigen Gedanken daran, seinem Gegner einen Kampf auf Leben und Tod zu liefern, um die Ehre der Kincaids zu wahren, auf und entschloss sich zur Flucht. Mit dem Tod, der ihn hier erwartete – zu Brei geschlagen wie ein Kaninchen auf einem abgeernteten Feld –, konnte er ohnehin keine Ehre erringen. Mit einem Satz sprang er rückwärts auf den breiten steinernen Fenstersims, wobei es ihm gelang, seine Angreifer mit einigen raschen, gut gezielten Degenstößen für einen Augenblick in Schach zu halten. Dann sprang er rückwärts in die unbekannte Tiefe.

Er landete äußerst unsanft auf dem Erdreich, wofür er nur dankbar sein konnte. Die eiskalte Luft in Verbindung mit der ungeheuren Anspannung und Aufregung der letzten Minuten verschaffte ihm auf wundersame Weise wieder einen klaren Kopf. Er blinzelte ein paarmal, um seine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Die Männer würden wissen, wie sie ihn aufspüren konnten, und da er keine Ahnung hatte, wo er sich befand, wusste er nicht, wie er sich schleunigst aus diesem Viertel entfernen konnte, ohne ihnen direkt in die Arme zu laufen.

»Fangt mich auf!«, rief eine mittlerweile vertraute Stimme flehend. Nicholas hob den Kopf und blickte hinauf, wo Polly in ihrem weißen Hemd sprungbereit auf dem Fenstersims balancierte. Eine Hand versuchte sie an der Taille zu packen. Mit einem gellenden Aufschrei versetzte sie ihrem Angreifer einen Fußtritt und befreite sich aus seinem Griff, bevor sie – jäh aus dem Gleichgewicht gebracht – vom Sims stürzte. Nicholas schaffte es, Pollys Sturz abzufangen, obwohl sie ihn dabei mit sich zu Boden riss, und er vergeudete kostbare Sekunden mit dem Versuch, sich von ihren zappelnden Gliedern, ihrer fliegenden Mähne und den Falten ihres Hemds zu befreien.

Das wütende Gebrüll von oben verstummte abrupt. »Schnell!«, drängte Polly. »Sie kommen.« Sie packte Nicholas’ Hand und zog ihn hastig in die von Schatten erfüllte Dunkelheit. »Hier entlang!«

Nicholas öffnete den Mund, um zu protestieren, ehe er ihn dann wortlos wieder zuklappte. Also würde er an diesem nebeligen, bitterkalten Dezemberabend durch die Straßen Londons hetzen, und noch dazu in Begleitung einer barfüßigen Schankkellnerin, die nichts am Leibe trug außer ihrem Hemd! Aber irgendwie schien diese abenteuerliche Flucht ein durchaus passender Abschluss für diesen Abend zu sein.

Kapitel 2

Nicholas hatte keine Ahnung, wohin Polly ihn führte, aber sie war schnellfüßig und zeigte keinerlei Zögern oder Unschlüssigkeit, deshalb folgte er ihr, ohne Fragen zu stellen. Die Schritte ihrer Verfolger, zuerst erschreckend laut und dicht hinter ihnen, verhallten schließlich irgendwo in der Ferne. Die barfüßige Gestalt neben ihm flitzte um eine weitere Ecke in eine weitere schmale Gasse, ehe sie endlich keuchend und nach Luft ringend unter einem Torbogen stehen blieb.

»Jetzt werden sie uns nicht mehr finden.« Pollys Atem kam fast als ein Schluchzen über ihre Lippen; sie zitterte am ganzen Körper, als die durch das Laufen erzeugte Körperwärme nachließ und der eisige Wind das dünne Hemd an ihren Leib presste.

»Himmelherrgott noch mal!«, fluchte ihr Gefährte leise. »Bist du wahnsinnig geworden, Mädchen? In einem solchen Aufzug nach draußen zu laufen!«

»Hätte ich mich erst noch lange damit aufgehalten, meine Kleider einzusammeln und mich anzuziehen, wäre ich überhaupt nicht mehr aus dem Haus gekommen«, erwiderte sie bissig. »Und wäre ich nicht gekommen, dann hätten sie Euch mühelos geschnappt. Es gibt nur einen Weg aus diesem Garten, und den hättet Ihr im Dunkeln ohne meine Hilfe niemals gefunden.« Sie hüpfte unentwegt von einem Fuß auf den anderen. Die eisige Kälte hatte den Schlamm in der Gasse zu harten Furchen erstarren lassen, und Pollys bloße Füße wurden in Windeseile taub.

»Was genau hast du jetzt vor?«, fragte Nicholas, während er aus seiner Jacke schlüpfte. »Hier, zieh das an!«

»Mit Euch kommen«, erwiderte Polly, ehe sie ihm frohgemut erklärte, welche Rolle er von nun an in ihrem Leben spielen sollte. Die Idee war ihr ganz plötzlich gekommen, und sie war einfach perfekt: genau die Chance, auf die sie kaum noch zu hoffen gewagt hatte. Das Ganze erforderte natürlich ein gewisses Maß an Kooperation, aber ihr frisch ernannter Gönner würde gewiss mit Freuden annehmen, was sie ihm als Gegenleistung bieten konnte. Im Allgemeinen standen die Männer ihren Reizen keineswegs gleichgültig gegenüber, sondern zeigten ein Interesse, das zwar bisher stets nur eine Belastung für sie gewesen war, aus dem sich in diesem besonderen Fall jedoch beträchtliches Kapital schlagen ließe. Polly hüllte sich fröstelnd in die Jacke und strich staunend mit einer Hand über den Ärmel. »Ich habe noch nie zuvor Samt getragen.«

»Was soll das heißen, du kommst mit mir?« Nicholas blickte sie voller Unbehagen an.

»Nun ja, ich kann ja wohl kaum wieder zurückgehen, nicht?«, erwiderte Polly mit unanfechtbarer Logik. »Josh wird mich umbringen, falls Prue ihm nicht zuvorkommt.« Ihr Tanz auf dem gefrorenen Schlamm wurde zunehmend hektischer. »Außerdem habe ich Euch das Leben gerettet, deshalb könnt Ihr jetzt mein ... mein ...« Es dauerte einen Moment, bis sie das richtige Wort gefunden hatte. »... mein Beschützer sein«, schloss sie triumphierend. »Oder Mäzen? Schauspieler haben Mäzene, richtig? Aber ich nehme an, wenn ich Eure Mätresse sein sollte, dann wärt Ihr auch mein Beschützer. Wie dem auch sei, mir ist beides recht.«

»Beides ist völlig ausgeschlossen!« Nicholas, der sich auf diese reichlich anmaßende Erklärung beim besten Willen keinen Reim machen konnte, starrte die fröstelnde, in Samt gehüllte Gestalt an. »Darf ich dich daran erinnern, dass du es warst, die diese Lebensrettungsaktion überhaupt erst nötig gemacht hat? Wärst du nicht gewesen, wäre ich gar nicht erst in diese bedrohliche Situation geraten.«

»Na schön, zugegeben.« Polly kaute auf ihrer Unterlippe. »Das mag ja stimmen. Aber was soll ich denn tun? Ohne einen Mäzen kann ich nun mal nicht Schauspielerin werden. Und dabei warte ich schon seit einer Ewigkeit auf einen. Und nun seid Ihr ganz zufällig aufgetaucht –« Ein heftiger Niesanfall bereitete ihrem verwirrenden Vortrag ein jähes Ende und brachte Nicholas wieder zur Besinnung. Sie würde schlichtweg erfrieren, wenn er sie hier auf der Straße zurückließ – falls sie sich nicht ohnedies bereits eine Lungenentzündung eingehandelt hatte. Er wollte nicht für ihren Tod verantwortlich sein, deshalb war es wohl besser, sie suchten erst einmal Obdach; dann bliebe immer noch genug Zeit zu entscheiden, was er mit ihr tun sollte.

»Wo sind wir hier eigentlich?« Er spähte in das neblige Dunkel, konnte aber nichts entdecken, was ihm bekannt vorkam.

»In der Nähe der Gracechurch Street«, lautete die prompte Antwort. »Cornhill liegt da vorn.« Sie zeigte geradeaus.

»Vielleicht finden wir dort eine Mietdroschke. Falls es denn einen Kutscher gibt, der bereit ist, in dieser scheußlichen Nacht seinem Gewerbe nachzugehen.« Er blickte auf ihre nackten Füße hinunter. »Kannst du noch so weit gehen?«

Polly zuckte die Achseln. »Das werde ich wohl müssen, nicht?« Sie ging eilig die Gasse hinauf – eine höchst merkwürdige Gestalt in einem schmuddeligen, fadenscheinigen Hemd und einem Herrenjackett, das zottelige, ungekämmte honigblonde Haar im Wind flatternd. Ich kann von Glück reden, wenn ich einen Droschkenkutscher finde, der bereit ist, solch ein buntscheckiges Geschöpf mitzunehmen, dachte Nicholas düster. Sie sah aus, als ob sie aus dem Tollhaus entflohen wäre! Nun, zugegeben, er selbst kam sich mittlerweile ebenfalls schon fast so vor. Schnellen Schrittes marschierte er hinter ihr her.

Es waren nur wenige Menschen unterwegs, doch Nicholas, stets auf der Hut vor Straßenräubern, behielt seine Hand auf seinem Degenheft. Nach einer Weile erreichten sie Cornhill, wo Polly stehen blieb. Mit einer abrupten Handbewegung strich sie sich über die Augen – eine Geste, die Nicholas nicht entging. Es war zu dunkel, als dass er das Ausmaß ihrer Erschöpfung hätte erkennen können, doch von ihrer Energie und Lässigkeit war inzwischen nichts mehr zu spüren. Besorgt blickte er die Straße hinauf und hinunter. Noch nicht einmal die Laterne eines Fackelträgers drang durch den Nebel.

»Verdammt, du hättest wohl wenigstens deine Schuhe mitnehmen können!« Das gereizte Gemurmel rief ein hartes Schlucken bei seiner Begleiterin hervor, doch Nicholas war zu sehr in Sorge um ihre körperliche Verfassung, um sich große Gedanken um ihre verletzten Gefühle zu machen. Plötzlich schallte das Trappeln von Pferdehufen durch die Nacht. Nicholas trat auf die Straße hinaus. Eine Kutschenlaterne flackerte in der Ferne, ein tanzendes Irrlicht in der neblig trüben Finsternis. Winkend und rufend lief Nicholas auf das Fahrzeug zu und betete inbrünstig, es möge eine öffentliche Mietdroschke sein, damit er nicht gezwungen wäre, sich auf Gnade oder Ungnade irgendeinem spätnächtlichen Reisenden auszuliefern, der einem offenbar völlig unbedarften, von der Nacht überraschten Gentleman und einem mehr als spärlich bekleideten weiblichen Wesen zu Recht misstrauisch gegenüberstünde.

»Was gibt’s, Sir? Was wollt Ihr?« Die dick vermummte Gestalt auf dem Kutschbock schwankte leicht, und die Stimme klang schleppend. »Is’ wirklich kein Vergnügen, in so ’ner Nacht draußen unterwegs zu sein.« Der Mann hob eine Flasche an die Lippen und trank einen kräftigen Zug, dann befiel ihn ein Schluckauf.

»Ich will Eure Dienste«, erwiderte Nicholas schroff und öffnete die Droschkentür. Er wandte sich um, um nach Polly zu rufen, bevor der Kutscher seine Pferde antreiben und ohne sie davonfahren konnte, doch Polly stand bereits neben ihm. Unsanft schob er sie in die Droschke. »Eine Guinea für Euch, wenn Ihr uns nach Charing Cross bringt, guter Mann.«

»Ich mach keine Tour mehr, ich will jetzt in mein Bett!«, protestierte der Kutscher trotz der in Aussicht gestellten großzügigen Entlohnung. »Falsche Richtung.«

Nicholas stellte einen Fuß auf das Trittbrett und schwang sich gewandt auf den Kutschbock. »Entweder Ihr fahrt uns, oder ich tue es!« Die Drohung in seiner Stimme war so unmissverständlich, dass der Kutscher notgedrungen nachgab und unter grimmigem Gebrummel seine Pferde wendete.

Polly saß im stockfinsteren, eisigen Inneren des Gefährts, wo sich der Geruch nach Zwiebeln und ungewaschenen Körpern mit dem von schalem, abgestandenem Bier und muffigem Leder zu einem Übelkeit erregenden Aroma vereinte. Sie rieb sich ihre wund gescheuerten, halb erfrorenen Füße, während die Droschke schaukelnd und ruckelnd über das Kopfsteinpflaster holperte. Einmal schlingerte das Fahrzeug sogar so heftig, dass Polly prompt auf den Boden fiel. Vom Kutschbock drang ein zorniger Aufschrei herüber, gefolgt von einem bezeichnenden dumpfen Schlag. Mühsam kämpfte Polly sich wieder auf die Sitzbank und zog den rissigen Ledervorhang beiseite, der die als Fenster dienende Öffnung verhüllte.

»Sir?« Ihre Stimme zitterte, als sie den Hals reckte, um zum Kutschbock hinaufzuspähen. »Ist alles in Ordnung?«

»Kommt ganz darauf an, was du unter ›in Ordnung‹ verstehst.« Nicholas’ Stimme drang durch die Dunkelheit an ihr Ohr. »Unser Freund hier hat sich endlich dazu überreden lassen, die Zügel herzugeben.«

Sein trockener Ton hatte etwas ungemein Beruhigendes an sich, und Polly zog ihren Kopf wieder zurück und fragte sich, wie diese Überredung wohl ausgesehen hatte. Zwar ruckelte die Kutsche nicht mehr ganz so über das Pflaster, doch der Schmerz in ihren Füßen – als die Taubheit nachließ und das Gefühl wieder zurückkehrte – trieb Polly die Tränen in die Augen. Sicher und unbeobachtet in der einsamen Dunkelheit, machte sie sich nicht die Mühe, ihre Tränen zurückzudrängen, sodass sie ungehindert über ihre Wangen strömten, als die Ereignisse des Abends ihren unabänderlichen Tribut forderten.

Nicholas bedachte die reglose Gestalt des Kutschers, der zusammengesunken neben ihm auf dem Kutschbock hockte, hin und wieder mit einem flüchtigen Blick, während er die Pferde von der Fleet Street Richtung The Strand lenkte. In Wahrheit war nur wenig mehr als ein Klaps nötig gewesen, um den Mann außer Gefecht zu setzen, und er würde für die erlittene Demütigung ordentlich entlohnt werden, sobald Lord Kincaid endlich wieder sicher und unbeschadet zu Hause war.

»Zu Hause« – das war ein großes, mit allem Komfort ausgestattetes Haus in einer ruhigen Straße unweit von Charing Cross. Ebenso wie bei den übrigen Gebäuden in der Gegend, so waren auch die Fenster des Kincaid’schen Hauses um diese späte Nachtstunde in Dunkelheit gehüllt, abgesehen von der an einem Eisenhaken baumelnden Laterne neben der Haustür. Margaret war gewiss schon vor gut zwei Stunden zu Bett gegangen, was unter diesen Umständen von Vorteil war. Er hatte nämlich nicht die geringste Lust, seiner sittenstrengen Schwägerin auseinander zu setzen, was es mit seiner unorthodoxen Begleiterin auf sich hatte – jedenfalls nicht jetzt, mitten in der Nacht. Leichtfüßig sprang er vom Kutschbock und öffnete den Verschlag.

»Bist du noch da?«

»Ich wüsste nicht, wo ich sonst sein sollte.« Obwohl Polly tapfer versuchte, eine lässige, unbekümmerte Antwort zustande zu bringen, hörte man ihrer Stimme an, dass sie geweint hatte. »Wo sind wir hier?«

»Bei mir zu Hause«, erwiderte er und hielt ihr die Tür auf. »Komm.«

Polly kletterte aus der Kutsche und vergaß für einen Moment ihre wunden, schmerzenden Füße, während sie fasziniert ihre Umgebung betrachtete. Dies war nicht das London, das sie kannte – ein Stadtbezirk mit engen, gewundenen Gassen, gesäumt von Häusern aus Putz und Lattenwerk, deren Giebel so weit über die unteren Stockwerke hinausragten, dass sie ein Dach über der Straße bildeten. Hier dagegen enthüllte das Licht der Straßenlaterne eine breite, gepflasterte Durchgangsstraße und ein herrschaftliches Wohnhaus aus Backstein und weißem Marmor. Polly glaubte nicht, dass sie je so viele Fenster in einem einzigen Gebäude gesehen hatte. Der Gentleman musste ein sehr bedeutender Mann sein und obendrein auch noch ziemlich reich, um ein Haus mit so vielen verglasten Fenstern zu besitzen. Ihr Schicksal war zweifellos an einem Wendepunkt angelangt, und ihr bot sich eine Chance, wie man sie nicht alle Tage bekam. Und eines schwor Polly sich – diese Gelegenheit würde sie sich unter keinen Umständen entgehen lassen. Sie würde diesem einflussreichen Gentleman nicht mehr von der Seite weichen, sondern sich noch enger an seine Fersen heften als sein Schatten, bis sie mit seiner Hilfe ihr Ziel erreicht hatte.

Nicholas bemerkte nichts von dem berechnenden, entschlossenen Blick, mit dem Polly ihn in diesem Moment musterte. Er war zu sehr mit dem noch immer besinnungslosen Droschkenkutscher beschäftigt, der in tiefen, schnarchenden Schlaf versunken zu sein schien und zweifellos bitterlich frieren würde, wenn man ihn weiterhin dort auf seinem Kutschbock hocken ließ, bis er seinen Rausch ausgeschlafen hatte. Und den Pferden täte es ebenso wenig gut, sie bei diesen Temperaturen die ganze Nacht über reglos auf der Straße stehen zu lassen. Nach einigen vergeblichen Versuchen gelang es Nicholas endlich, den Mann wieder zur Besinnung zu bringen, wenngleich dieser sich allem Anschein nach nicht mehr erinnern konnte, was ihn so weit von seinem üblichen Revier weggeführt hatte. Wortlos steckte er die zwei Guineen ein, die der schuldbewusste Nicholas ihm in die Hand drückte, und schnalzte mit der Zunge, ehe er wieder auf seinem Kutschbock zusammensank, als die Pferde anzogen und die Droschke davonrumpelte. Im Vertrauen darauf, dass die Tiere den Rückweg zum heimischen Stall schon von allein finden würden, wandte Nicholas sich wieder seiner anderen, weitaus unbequemeren Verantwortung in Gestalt des Mädchens zu.

Sie hatte seine Jacke eng um ihren Leib gewickelt und stand zitternd vor Kälte da. Ihr Gesicht war bleich und tränenverschmiert, was ihrer Schönheit jedoch nicht den geringsten Abbruch zu tun schien, wie Nicholas flüchtig dachte. Ihr Anblick weckte lediglich das überwältigende Bedürfnis in ihm, sie in seine Arme zu nehmen. Sie rieb abwechselnd einen nackten Fuß am anderen Bein in dem vergeblichen Bemühen, die Berührung ihrer Fußsohlen mit dem vereisten Boden auf ein Minimum zu reduzieren. Also hob Nicholas Polly kurzerhand auf seine Arme, da dies schlicht und einfach die praktischste Lösung für ihr Problem war, sagte er sich.

»Oh!«, rief Polly verdutzt, obwohl es eine alles andere als unangenehme Überraschung für jemanden war, der noch nie zuvor in seinen siebzehn Lebensjahren den Beistand anderer erfahren hatte. »Bin ich denn nicht zu schwer?«

»Nicht übermäßig«, erklärte Nicholas mit glaubwürdiger Unbekümmertheit. »Nimm den Türklopfer und klopf an.«

Polly griff nach dem schweren Messingtürklopfer und schlug mehrmals energisch gegen die Tür. Wenige Augenblicke später war von drinnen das schabende Geräusch von Riegeln zu hören, ehe die Tür aufschwang und den Blick auf einen jungen Pagen freigab, dessen schlafverquollene Augen und zerknitterte Livree von seinem Unvermögen zeugten, wach zu bleiben und aufzupassen, während er auf die Rückkehr seines Herrn wartete.

»Du kannst jetzt zu Bett gehen, Tom«, sagte Nicholas und marschierte schnurstracks an dem Burschen vorbei in die Halle, ohne dem entgeisterten Blick, mit dem dieser das Bündel in seinen Armen anstarrte, Beachtung zu schenken.

»Ja, M’lord«, murmelte Tom, als Nicholas zur Treppe strebte.

»Seid Ihr etwa ein Lord?«, erkundigte sich Polly, als ihr zu ihrer Bestürzung klar wurde, dass sie trotz der Intimitäten, die sie und der Gentleman geteilt hatten, noch nicht einmal seinen Namen kannte. Wenn er tatsächlich ein Adliger war, würde er ihr noch mehr Hilfe bieten können, als sie ursprünglich gehofft hatte.

»Zufälligerweise, ja. Nicholas Lord Kincaid, zu Euren Diensten.«

Polly kicherte über die unter diesen Umständen geradezu lächerlich geschraubt klingende Vorstellung, während Nicholas in ihr Gesicht blickte und dasselbe ansteckende Lächeln erkannte, das ihn zuvor in der Taverne schon so bezaubert hatte. Eigentlich hatte er vorgehabt, sie ins Dachgeschoss zu schicken und bei den Dienstboten übernachten zu lassen, aber die schliefen um diese späte Stunde alle schon tief und fest, sodass dort oben alles stockfinster war. Überdies war das Mädchen noch immer durchgefroren bis auf die Knochen und damit wohl kaum in der geeigneten Verfassung, sich Fremden gegenüber zu erklären – gesetzt den Fall, dass sich überhaupt eine vernünftige Erklärung für ihr Auftauchen finden ließe. Mit einem Achselzucken trug Nicholas seine Last also in sein eigenes Schlafgemach, wo ein Feuer im Kamin prasselte und der sanfte Schein von hohen Wachskerzen in einem vielarmigen Kerzenleuchter ein warmes, anheimelndes Licht verbreitete.

Mit geradezu ehrfürchtigem Erstaunen starrte Polly auf das riesige, luxuriös anmutende Bett mit seinen mit Daunen gefüllten Kissen, den bestickten Vorhängen und den reich geschnitzten Bettpfosten. »Die Wände sind ja bemalt!«, rief sie, als Nicholas sie abstellte. Sie lief über den gewachsten, glänzend polierten Eichenfußboden, um die Szenen und Muster zu betrachten, die mit feinen, kunstvollen Pinselstrichen in Blau und Gold auf die Holzvertäfelung gemalt waren. »Wie hübsch!« Plötzlich schob sich das Bild ihres Strohlagers vor ihr geistiges Auge – jene armselige Pritsche in dem stickigen kleinen Verschlag unter der Treppe in der Taverne, die ihr so viele Nächte als Schlafstatt gedient hatte. Wie konnte es in ein und derselben Stadt so krasse Gegensätze geben? Die Freude und Erregung über ihre neue, ungewohnte Umgebung verflogen abrupt, und zurück kehrte das elende, niederdrückende Gefühl der Erschöpfung und des Durchgefrorenseins, das ihr schon in der Kutsche so zugesetzt hatte.

Nicholas sah, wie Polly ein Zittern überlief und wie sie hastig den Kopf abwandte, als ob sie etwas vor ihm verbergen wollte. Er ging zum Bett und bückte sich, um ein niedriges Rollbett darunter hervorzuziehen. »Du kannst heute Nacht hier schlafen. Und morgen früh wird sich Margaret um dich kümmern; sie wird wissen, was mit dir zu tun ist.«

Polly fuhr abrupt zu ihm herum. »Wer ist Margaret?«

»Die Dame des Hauses«, erwiderte er.

»Eure ... Eure Ehefrau.«

»Die Witwe meines Bruders. Sie führt den Haushalt.«

»Ich will nicht, dass sie irgendetwas mit mir tut, weder morgen noch sonst irgendwann«, erklärte sie. »Mit Euch als meinem Mäzen werde ich Master Killigrew am Königlichen Schauspielhaus vorgestellt werden, und er wird erkennen, was für eine gute Schauspielerin ich bin.« Sie setzte sich auf das Rollbett und massierte ihre schmerzenden Füße. »Und später, wenn ich erst einmal etabliert bin und Ihr nicht länger mein Mäzen sein wollt, werde ich eben jemand anderen finden. So ist das doch normalerweise, nicht wahr?«

Nicholas bemerkte, dass ihm vor Verblüffung der Mund offen stehen blieb. Dabei war ihre Vorstellung gar nicht so ungewöhnlich. Seit der König vor drei Jahren verfügt hatte, dass die weiblichen Rollen am Theater nur von Frauen gespielt werden sollten, hatten die jungen und schönen, die talentierten und weniger talentierten die Bühne gewählt, da sie im Grunde den kürzestmöglichen Weg zu einem adligen Ehemann oder einem reichen Beschützer und Ernährer darstellte. Es gab zahllose Männer, sowohl reich als auch adlig, die eifrig bemüht waren, jeden geforderten Preis zu zahlen – den Gang zum Traualtar nicht ausgenommen –, um in den Genuss der Aufmerksamkeiten eines dieser kapriziösen Geschöpfe zu kommen. Nicholas hegte kaum Zweifel daran, dass dieses hinreißende Mädchen, wenn sie erst einmal ein gewisses Maß an gesellschaftlichem Schliff erlangt hatte, nur einen Schritt auf die Bühne zu machen brauchte, und Thomas Killigrew würde nicht mehr danach fragen, ob sie eine ausgebildete Schauspielerin war oder nicht – ebenso wenig wie das Publikum. Es war sogar durchaus denkbar, dass diese ehemalige Wirtshausmagd aus Botolph’s Wharf – sofern sie ihre Karten geschickt ausspielte – auf dem Weg über das Bett irgendeines Edelmannes sogar bis in die engsten Kreise am Hofe von König Charles gelangen könnte.

In diesem Moment kam Nicholas die Idee – ein Plan, der in seiner Einfachheit geradezu genial war. Was, wenn das Mädchen in einen ganz besonderen Kreis eingeschleust werden könnte – in Buckinghams Kreis, um genau zu sein –, wo sie gewisse Dinge erfahren würde. Dinge, die sie, wenn man sie nur geschickt aushorchte, Nicholas und seinen Leuten enthüllen würde? Konnten sie eine ahnungslose Spionin aus diesem atemberaubenden Geschöpf machen, das durch einen glücklichen Zufall aus den stinkenden Sümpfen der finstersten Elendsviertel aufgetaucht war? Nachdenklich legte Nicholas die Stirn in Falten. Er würde auf jeden Fall mit äußerster Vorsicht vorgehen müssen. Das Mädchen musste erst einmal gründlich auf seine Rolle vorbereitet und danach durch geschickte Manöver in die richtige Richtung gelenkt werden. Er würde seine Idee so bald wie möglich De Winter und den anderen unterbreiten, doch in der Zwischenzeit durfte er unter keinen Umständen zulassen, dass Polly voreilige Schritte unternahm.