Reigen - Arthur Schnitzler - E-Book

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Arthur Schnitzler

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Beschreibung

Zehn Figuren, zehn erotische Begegnungen – von der Dirne bis zum Grafen. Schnitzlers Drama offenbart die Doppelmoral der Wiener Gesellschaft des Fin de siècle und löste einen großen Theaterskandal aus. Klassenlektüre und Textarbeit einfach gemacht: Die Reihe »Reclam XL – Text und Kontext« erfüllt alle Anforderungen an Schullektüre und Bedürfnisse des Deutschunterrichts: * Schwierige Wörter werden am Fuß jeder Seite erklärt, ausführlichere Wort- und Sacherläuterungen stehen im Anhang. * Ein Materialienteil mit Text- und Bilddokumenten erleichtert die Einordnung und Deutung des Werkes im Unterricht. * Natürlich passen auch weiterhin alle Lektüreschlüssel, Erläuterungsbände und Interpretationen dazu! E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

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Seitenzahl: 145

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Arthur Schnitzler

Reigen

Herausgegeben von Mario Leis und Natali-Eirini Petala-Weber

Reclam

2014, 2022 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Durchgesehene Ausgabe 2022

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2022

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-960460-2

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-016147-0

www.reclam.de

Inhalt

Reigen

Personen

Die Dirne und der Soldat

Der Soldat und das Stubenmädchen

Das Stubenmädchen und der junge Herr

Der junge Herr und die junge Frau

Die junge Frau und der Ehemann

Der Gatte und das süße Mädel

Das süße Mädel und der Dichter

Der Dichter und die Schauspielerin

Die Schauspielerin und der Graf

Der Graf und die Dirne

Anhang

1. Zur Textgestalt

2. Anmerkungen

3. Leben und Zeit

4. Sexualität im Kontext des Reigen

5. Entstehungsgeschichte: Schnitzler über seinen Reigen

6. Rezeptionsgeschichte

7. Die Verfilmung des Reigen durch Max Ophüls (1950)

8. Literaturhinweise

Fußnoten

[5]Reigen

[6]Personen

DIE DIRNE

DER SOLDAT

DAS STUBENMÄDCHEN

DER JUNGE HERR

DIE JUNGE FRAU

DER EHEGATTE

DAS SÜSSE MÄDEL

DER DICHTER

DIE SCHAUSPIELERIN

DER GRAF

[7]Die Dirne und der Soldat

Spätabends. An der Augartenbrücke.

SOLDAT

(kommt pfeifend, will nach Hause).

DIRNE.

Komm, mein schöner Engel.

SOLDAT

(wendet sich um und geht wieder weiter).

DIRNE.

Willst du nicht mit mir kommen?

SOLDAT.

Ah, ich bin der schöne Engel?

DIRNE.

Freilich, wer denn? Geh, komm zu mir.

Ich wohn gleich in der Näh.

SOLDAT.

Ich hab keine Zeit. Ich muss in die Kasern’!

DIRNE.

In die Kasern’ kommst immer noch zurecht.

Bei mir is besser.

SOLDAT

(ihr nahe). Das ist schon möglich.

DIRNE.

Pst. Jeden Moment kann ein Wachmann kommen.

SOLDAT.

Lächerlich! Wachmann! Ich hab auch mein Seiteng’wehr!

DIRNE.

Geh, komm mit.

SOLDAT.

Lass mich in Ruh. Geld hab ich eh keins.

DIRNE.

Ich brauch kein Geld.

SOLDAT

(bleibt stehen. Sie sind bei einer Laterne). Du brauchst kein Geld? Wer bist denn du nachher?

[8]DIRNE.

Zahlen tun mir die Zivilisten. So einer wie du, kann’s immer umsonst bei mir haben.

SOLDAT.

Du bist am End die, von der mir der Huber erzählt hat. –

DIRNE.

Ich kenn kein’ Huber nicht.

SOLDAT.

Du wirst schon die sein. Weißt – in dem Kaffeehaus in der Schiffgassen – von dort ist er mit dir z’ Haus gangen.

DIRNE.

Von dem Kaffeehaus bin ich schon mit gar vielen z’ Haus gangen … oh! oh! –

SOLDAT.

Also gehn wir, gehn wir.

DIRNE.

Was, jetzt hast’s eilig?

SOLDAT.

Na, worauf soll’n wir noch warten? Und um zehn muss ich in der Kasern’ sein.

DIRNE.

Wie lang dienst denn schon?

SOLDAT.

Was geht denn das dich an? Wohnst weit?

DIRNE.

Zehn Minuten zum Gehn.

SOLDAT.

Das ist mir zu weit. Gib mir ein Pussel.

DIRNE

(küsst ihn). Das ist mir eh das liebste, wenn ich einen gern hab!

SOLDAT.

Mir nicht. Nein, ich geh nicht mit dir, es ist mir zu weit.

DIRNE.

Weißt was, komm morgen am Nachmittag.

SOLDAT.

Gut is. Gib mir deine Adresse.

[9]DIRNE.

Aber du kommst am End nicht.

SOLDAT.

Wenn ich dir’s sag!

DIRNE.

Du, weißt was – wenn’s dir zu weit ist heut abend zu mir – da … da … (weist auf die Donau).

SOLDAT.

Was ist das?

DIRNE.

Da ist auch schön ruhig … jetzt kommt kein Mensch.

SOLDAT.

Ah, das ist nicht das Rechte.

DIRNE.

Bei mir is immer das Rechte. Geh, bleib jetzt bei mir. Wer weiß, ob wir morgen noch’s Leben haben.

SOLDAT.

So komm – aber g’schwind.

DIRNE.

Gib Obacht, da ist so dunkel. Wennst ausrutschst, liegst in der Donau.

SOLDAT.

Wär eh das Beste.

DIRNE.

Pst, so wart nur ein bissel. Gleich kommen wir zu einer Bank.

SOLDAT.

Kennst dich da gut aus.

DIRNE.

So einen wie dich möcht ich zum Geliebten.

SOLDAT.

Ich tät dir zu viel eifern.

DIRNE.

Das möcht ich dir schon abgewöhnen.

SOLDAT.

Ha –

[10]DIRNE.

Nicht so laut. Manchmal is doch, dass sich ein Wachter herverirrt. Sollt man glauben, dass wir da mitten in der Wienerstadt sind?

SOLDAT.

Daher komm, daher.

DIRNE.

Aber was fällt dir denn ein, wenn wir da ausrutschen, liegen wir im Wasser unten.

SOLDAT

(hat sie gepackt). Ah, du –

DIRNE.

Halt dich nur fest an.

SOLDAT.

Hab kein’ Angst …

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

DIRNE.

Auf der Bank wär’s schon besser gewesen.

SOLDAT.

Da oder da … Na, krall aufi.

DIRNE.

Was laufst denn so –

SOLDAT.

Ich muß in die Kasern’, ich komm eh schon zu spät.

DIRNE.

Geh, du, wie heißt denn?

SOLDAT.

Was interessiert dich denn das, wie ich heiß?

DIRNE.

Ich heiß Leocadia.

SOLDAT.

Ha! – So an’ Namen hab ich auch noch nie gehört.

DIRNE.

Du!

SOLDAT.

Na, was willst denn?

[11]DIRNE.

Geh, ein Sechserl für’n Hausmeister gib mir wenigstens! –

SOLDAT.

Ha! … Glaubst, ich bin deine Wurzen … Servus! Leocadia …

DIRNE.

Strizzi! Fallot! –

(Er ist verschwunden.)

[12]Der Soldat und das Stubenmädchen

Prater. Sonntagabend. – Ein Weg, der vom Wurstelprater aus in die dunkeln Alleen führt. Hier hört man noch die wirre Musik aus dem Wurstelprater; auch die Klänge vom Fünfkreuzertanz, eine ordinäre Polka, von Bläsern gespielt.

Der Soldat. Das Stubenmädchen.

STUBENMÄDCHEN.

Jetzt sagen S’ mir aber, warum S’ durchaus schon haben fortgehen müssen.

SOLDAT

(lacht verlegen, dumm).

STUBENMÄDCHEN.

Es ist doch so schön gewesen. Ich tanz so gern.

SOLDAT

(fasst sie um die Taille).

STUBENMÄDCHEN

(lässt’s geschehen). Jetzt tanzen wir ja nimmer. Warum halten S’ mich so fest?

SOLDAT.

Wie heißen S’? Kathi?

STUBENMÄDCHEN.

Ihnen ist immer eine Kathi im Kopf.

SOLDAT.

Ich weiß, ich weiß schon … Marie.

STUBENMÄDCHEN.

Sie, da ist aber dunkel. Ich krieg so eine Angst.

SOLDAT.

Wenn ich bei Ihnen bin, brauchen S’ Ihnen nicht zu fürchten. Gott sei Dank, mir sein mir!

STUBENMÄDCHEN.

Aber wohin kommen wir denn da? Da ist ja kein Mensch mehr. Kommen S’, gehn wir zurück! – Und so dunkel!

SOLDAT

(zieht an seiner Virginierzigarre, dass das rote Ende leuchtet). ’s wird schon lichter. Haha! Oh, du Schatzerl!

[13]STUBENMÄDCHEN.

Ah, was machen S’ denn? Wenn ich das gewusst hätt!

SOLDAT.

Also der Teufel soll mich holen, wenn eine heut beim Swobodamollerter gewesen ist als Sie, Fräul’n Marie.

STUBENMÄDCHEN.

Haben S’ denn bei allen so probiert?

SOLDAT.

Was man so merkt, beim Tanzen. Da merkt man gar viel! Ha!

STUBENMÄDCHEN.

Aber mit der Blonden mit dem schiefen Gesicht haben S’ doch mehr ’tanzt als mit mir.

SOLDAT.

Das ist eine alte Bekannte von einem meinigen Freund.

STUBENMÄDCHEN.

Von dem Korporal mit dem auf’drehten Schnurrbart?

SOLDAT.

Ah nein, das ist der Zivilist gewesen, wissen S’, der im Anfang am Tisch mit mir g’sessen ist, der so heisrig red’t.

STUBENMÄDCHEN.

Ah, ich weiß schon. Das ist ein kecker Mensch.

SOLDAT.

Hat er Ihnen was ’tan? Dem möcht ich’s zeigen! Was hat er Ihnen ’tan?

STUBENMÄDCHEN.

O nichts – ich hab nur gesehn, wie er mit die andern ist.

SOLDAT.

Sagen S’, Fräulein Marie …

STUBENMÄDCHEN.

Sie werden mich verbrennen mit Ihrer Zigarrn.

SOLDAT.

Pahdon! – Fräul’n Marie. Sagen wir uns du.

STUBENMÄDCHEN.

Wir sein noch nicht so gute Bekannte. –

[14]SOLDAT.

Es können sich gar viele nicht leiden und sagen doch du zueinander.

STUBENMÄDCHEN.

’s nächste Mal, wenn wir … Aber, Herr Franz –

SOLDAT.

Sie haben sich meinen Namen g’merkt?

STUBENMÄDCHEN.

Aber, Herr Franz …

SOLDAT.

Sagen S’ Franz, Fräulein Marie.

STUBENMÄDCHEN.

So sein S’ nicht so keck – aber pst, wenn wer kommen tät!

SOLDAT.

Und wenn schon einer kommen tät, man sieht ja nicht zwei Schritt weit.

STUBENMÄDCHEN.

Aber um Gottes willen, wohin kommen wir denn da?

SOLDAT.

Sehn S’, da sind zwei grad wie mir.

STUBENMÄDCHEN.

Wo denn? Ich seh gar nichts.

SOLDAT.

Da … vor uns.

STUBENMÄDCHEN.

Warum sagen S’ denn: zwei wie mir? –

SOLDAT.

Na, ich mein halt, die haben sich auch gern.

STUBENMÄDCHEN.

Aber geben S’ doch acht, was ist denn da, jetzt wär ich beinah g’fallen.

SOLDAT.

Ah, das ist das Gatter von der Wiesen.

STUBENMÄDCHEN.

Stoßen S’ doch nicht so, ich fall ja um.

[15]SOLDAT.

Pst, nicht so laut.

STUBENMÄDCHEN.

Sie, jetzt schrei ich aber wirklich. – Aber was machen S’ denn … aber –

SOLDAT.

Da ist jetzt weit und breit keine Seel.

STUBENMÄDCHEN.

So gehn wir zurück, wo Leut sein.

SOLDAT.

Wir brauchen keine Leut, was, Marie, wir brauchen … dazu … haha.

STUBENMÄDCHEN.

Aber, Herr Franz, bitt Sie, um Gottes willen, schaun S’, wenn ich das … gewusst … oh … oh … komm! …

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

SOLDAT

(selig). Herrgott noch einmal … ah …

STUBENMÄDCHEN.

… Ich kann dein G’sicht gar nicht sehn.

SOLDAT.

Ah was – G’sicht …

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

SOLDAT.

Ja, Sie, Fräul’n Marie, da im Gras können S’ nicht liegenbleiben.

STUBENMÄDCHEN.

Geh, Franz, hilf mir.

SOLDAT.

Na, komm zugi.

STUBENMÄDCHEN.

O Gott, Franz.

SOLDAT.

Na ja, was ist denn mit dem Franz?

STUBENMÄDCHEN.

Du bist ein schlechter Mensch, Franz.

[16]SOLDAT.

Ja, ja. Geh, wart ein bissel.

STUBENMÄDCHEN.

Was lasst mich denn aus?

SOLDAT.

Na, die Virginier werd ich mir doch anzünden dürfen.

STUBENMÄDCHEN.

Es ist so dunkel.

SOLDAT.

Morgen früh ist schon wieder licht.

STUBENMÄDCHEN.

Sag wenigstens, hast mich gern?

SOLDAT.

Na, das musst doch g’spürt haben, Fräul’n Marie, ha!

STUBENMÄDCHEN.

Wohin gehn wir denn?

SOLDAT.

Na, zurück.

STUBENMÄDCHEN.

Geh, bitt dich, nicht so schnell!

SOLDAT.

Na, was ist denn? Ich geh nicht gern in der Finstern.

STUBENMÄDCHEN.

Sag, Franz, hast mich gern?

SOLDAT.

Aber grad hab ich’s g’sagt, dass ich dich gern hab!

STUBENMÄDCHEN.

Geh, willst mir nicht ein Pussel geben?

SOLDAT

(gnädig). Da … Hörst, – jetzt kann man schon wieder die Musik hören.

STUBENMÄDCHEN.

Du möcht’st am End gar wieder tanzen gehn?

SOLDAT.

Na freilich, was denn?

[17]STUBENMÄDCHEN.

Ja, Franz, schau, ich muss zu Haus gehn. Sie werden eh schon schimpfen, mei Frau ist so eine … die möcht am liebsten, man ging gar nicht fort.

SOLDAT.

Na ja, geh halt zu Haus.

STUBENMÄDCHEN.

Ich hab halt ’dacht, Herr Franz, Sie werden mich z’ Haus führen.

SOLDAT.

Z’ Haus führen? Ah!

STUBENMÄDCHEN.

Gehn S’, es ist so traurig, allein z’ Haus gehn.

SOLDAT.

Wo wohnen S’ denn?

STUBENMÄDCHEN.

Es ist gar nicht so weit – in der Porzellangasse.

SOLDAT.

So? Ja, da haben wir ja einen Weg … aber jetzt ist’s mir zu früh … jetzt wird noch ’draht, heut hab ich über Zeit … vor zwölf brauch ich nicht in der Kasern’ zu sein. I geh noch tanzen.

STUBENMÄDCHEN.

Freilich, ich weiß schon, jetzt kommt die Blonde mit dem schiefen Gesicht dran!

SOLDAT.

Ha! – Der ihr G’sicht ist gar nicht so schief.

STUBENMÄDCHEN.

O Gott, sein die Männer schlecht. Was, Sie machen’s sicher mit einer jeden so.

SOLDAT.

Das wär z’viel! –

STUBENMÄDCHEN.

Franz, bitt schön, heut nimmer, – heut bleiben S’ mit mir, schaun S’ –

[18]SOLDAT.

Ja, ja, ist schon gut. Aber tanzen werd ich doch noch dürfen.

STUBENMÄDCHEN.

Ich tanz heut mit kein’ mehr!

SOLDAT.

Da ist er ja schon …

STUBENMÄDCHEN.

Wer denn?

SOLDAT.

Der Swoboda! Wie schnell wir wieder da sein. Noch immer spielen s’ das … tadarada tadarada (singt mit) … Also wannst auf mich warten willst, so führ ich dich z’ Haus … wenn nicht … Servas –

STUBENMÄDCHEN.

Ja, ich werd warten.

(Sie treten in den Tanzsaal ein.)

SOLDAT.

Wissen S’, Fräul’n Marie, ein Glas Bier lassen S’ Ihnen geben. (Zu einer Blonden sich wendend, die eben mit einem Burschen vorbeitanzt, sehr hochdeutsch.) Mein Fräulein, darf ich bitten? –

[19]Das Stubenmädchen und der junge Herr

Heißer Sommernachmittag. – Die Eltern sind schon auf dem Lande. – Die Köchin hat Ausgang. – Das Stubenmädchen schreibt in der Küche einen Brief an den Soldaten, der ihr Geliebter ist. Es klingelt aus dem Zimmer des jungen Herrn. Sie steht auf und geht ins Zimmer des jungen Herrn.

Der junge Herr liegt auf dem Diwan, raucht, und liest einen französischen Roman.

DAS STUBENMÄDCHEN.

Bitt schön, junger Herr?

DER JUNGE HERR.

Ah ja, Marie, ah ja, ich hab geläutet, ja … was hab ich nur … ja richtig, die Rouletten lassen S’ herunter, Marie … Es ist kühler, wenn die Rouletten unten sind … ja … (Das Stubenmädchen geht zum Fenster und lässt die Rouletten herunter.)

DER JUNGE HERR

(liest weiter). Was machen S’ denn, Marie? Ah ja. Jetzt sieht man aber gar nichts zum Lesen.

DAS STUBENMÄDCHEN.

Der junge Herr ist halt immer so fleißig.

DER JUNGE HERR

(überhört das vornehm). So, ist gut.

(Marie geht.)

DER JUNGE HERR

(versucht weiter zu lesen; lässt bald das Buch fallen, klingelt wieder).

DAS STUBENMÄDCHEN

(erscheint).

DER JUNGE HERR.

Sie, Marie … ja, was ich habe sagen wollen … ja … ist vielleicht ein Kognak zu Haus?

DAS STUBENMÄDCHEN.

Ja, der wird eingesperrt sein.

[20]DER JUNGE HERR.

Na, wer hat denn die Schlüssel?

DAS STUBENMÄDCHEN.

Die Schlüssel hat die Lini.

DER JUNGE HERR.

Wer ist die Lini?

DAS STUBENMÄDCHEN.

Die Köchin, Herr Alfred.

DER JUNGE HERR.

Na, so sagen S’ es halt der Lini.

DAS STUBENMÄDCHEN.

Ja, die Lini hat heut Ausgang.

DER JUNGE HERR.

So …

DAS STUBENMÄDCHEN.

Soll ich dem jungen Herrn vielleicht aus dem Kaffeehaus …

DER JUNGE HERR.

Ah nein … es ist so heiß genug. Ich brauch keinen Kognak. Wissen S’, Marie, bringen Sie mir ein Glas Wasser. Pst, Marie – aber laufen lassen, dass es recht kalt ist. –

(Das Stubenmädchen ab.)

DER JUNGE HERR

(sieht ihr nach, bei der Tür wendet sich das Stubenmädchen nach ihm um; der junge Herr schaut in die Luft. – Das Stubenmädchen dreht den Hahn der Wasserleitung auf, lässt das Wasser laufen. Während dem geht sie in ihr kleines Kabinett, wäscht sich die Hände, richtet vor dem Spiegel ihre Schneckerln. Dann bringt sie dem jungen Herrn das Glas Wasser. Sie tritt zum Diwan).

DER JUNGE HERR

(richtet sich zur Hälfte auf, das Stubenmädchen gibt ihm das Glas in die Hand, ihre Finger berühren sich).

DER JUNGE HERR.

So, danke. – Na, was ist denn? – Geben Sie acht; stellen Sie das Glas wieder auf die Tasse … (Er legt sich hin und streckt sich aus.) Wie spät ist’s denn? –

[21]DAS STUBENMÄDCHEN.

Fünf Uhr, junger Herr.

DER JUNGE HERR.

So, fünf Uhr. – Ist gut. –

DAS STUBENMÄDCHEN

(geht; bei der Tür wendet sie sich um; der junge Herr hat ihr nachgeschaut; sie merkt es und lächelt).

DER JUNGE HERR

(bleibt eine Weile liegen, dann steht er plötzlich auf. Er geht bis zur Tür, wieder zurück, legt sich auf den Diwan. Er versucht wieder zu lesen. Nach ein paar Minuten klingelt er wieder).

DAS STUBENMÄDCHEN

(erscheint mit einem Lächeln, das sie nicht zu verbergen sucht).

DER JUNGE HERR.

Sie, Marie, was ich Sie hab fragen wollen. War heut vormittag nicht der Doktor Schüller da?

DAS STUBENMÄDCHEN.

Nein, heut vormittag war niemand da.

DER JUNGE HERR.

So, das ist merkwürdig. Also der Doktor Schüller war nicht da? Kennen Sie überhaupt den Doktor Schüller?

DAS STUBENMÄDCHEN.

Freilich. Das ist der große Herr mit dem schwarzen Vollbart.

DER JUNGE HERR.

Ja. War er vielleicht doch da?

DAS STUBENMÄDCHEN.

Nein, es war niemand da, junger Herr.

DER JUNGE HERR

(entschlossen). Kommen Sie her, Marie.

DAS STUBENMÄDCHEN

(tritt etwas näher). Bitt schön.

DER JUNGE HERR.

Näher … so … ah … ich hab nur geglaubt …

DAS STUBENMÄDCHEN.

Was haben der junge Herr?

[22]DER JUNGE HERR.

Geglaubt … geglaubt hab ich – Nur wegen Ihrer Blusen … Was ist das für eine … Na, kommen S’ nur näher. Ich beiß Sie ja nicht.

DAS STUBENMÄDCHEN

(kommt zu ihm). Was ist mit meiner Blusen? G’fallt sie dem jungen Herrn nicht?

DER JUNGE HERR

(fasst die Bluse an, wobei er das Stubenmädchen zu sich herabzieht). Blau? Das ist ganz ein schönes Blau. (Einfach.) Sie sind sehr nett angezogen, Marie.

DAS STUBENMÄDCHEN.

Aber junger Herr …

DER JUNGE HERR.

Na, was ist denn? … (er hat ihre Bluse geöffnet. Sachlich:) Sie haben eine schöne weiße Haut, Marie.

DAS STUBENMÄDCHEN.

Der junge Herr tut mir schmeicheln.

DER JUNGE HERR

(küsst sie auf die Brust). Das kann doch nicht weh tun.

DAS STUBENMÄDCHEN.

O nein.

DER JUNGE HERR.

Weil Sie so seufzen! Warum seufzen Sie denn?

DAS STUBENMÄDCHEN.

Oh, Herr Alfred …

DER JUNGE HERR.

Und was Sie für nette Pantoffeln haben …

DAS STUBENMÄDCHEN.

… Aber … junger Herr … wenn’s draußen läut’ –

DER JUNGE HERR.

Wer wird denn jetzt läuten?

DAS STUBENMÄDCHEN.

Aber junger Herr … schaun S’ … es ist so licht …

DER JUNGE HERR.

Vor mir brauchen Sie sich nicht zu genieren. Sie [23]brauchen sich überhaupt vor niemandem … wenn man so hübsch ist. Ja, meiner Seel; Marie, Sie sind … Wissen Sie, Ihre Haare riechen sogar angenehm.

DAS STUBENMÄDCHEN.

Herr Alfred …

DER JUNGE HERR.

Machen Sie keine solchen Geschichten, Marie … ich hab Sie schon anders auch gesehn. Wie ich neulich in der Nacht nach Haus gekommen bin und mir Wasser geholt hab; da ist die Tür zu Ihrem Zimmer offen gewesen … na …

DAS STUBENMÄDCHEN

(verbirgt ihr Gesicht). O Gott, aber das hab ich gar nicht gewusst, dass der Herr Alfred so schlimm sein kann.

DER JUNGE HERR.

Da hab ich sehr viel gesehen … das … und das … und das … und –

DAS STUBENMÄDCHEN.

Aber, Herr Alfred!

DER JUNGE HERR.

Komm, komm … daher … so, ja so …

DAS STUBENMÄDCHEN.

Aber wenn jetzt wer läutet –

DER JUNGE HERR.

Jetzt hören Sie schon einmal auf … macht man höchstens nicht auf …

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

(Es klingelt.)

DER JUNGE HERR.