Resilienz im Kita-Alltag - Prof. Maike Rönnau-Böse - E-Book

Resilienz im Kita-Alltag E-Book

Prof. Maike Rönnau-Böse

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Beschreibung

Resilienz hat einen immer größeren Stellenwert im pädagogischen Alltag. Das Buch unterstützt Pädagogische Fachkräfte dabei, die seelische Widerstandsfähigkeit von Kindern gezielt zu fördern. Eine Kita als resilienzförderlicher Lernort bedeutet mehr als die direkte Arbeit mit den Kindern. Die renommierten Autoren nehmen auch die Arbeit mit den Eltern und die Netzwerke der Kita in den Blick. Ein Buch das praxisnah aufzeigt, wie Kinder gestärkt werden können.

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Überarbeitete Neuausgabe 2020(3. Gesamtauflage)

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014Alle Rechte vorbehaltenwww.herder.de

Umschlagkonzeption und -gestaltung:Röser MEDIA GmbH & Co. KG, KarlsruheUmschlagfoto: © Varvara Gorbash/123RFFotos: S. 11: © RABE/AdobeStock; S. 22: © seventyfour/AdobeStock;S. 31: © contrastwerkstatt/AdobeStock; S. 83: © Dron/AdobeStock;S. 95: © kristall/AdobeStock

E-Book-Konvertierung: Newgen Publishing Europe

ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-81919-3

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-81920-9

ISBN Print 978-3-451-38661-9

Inhalt

Vorwort

Einleitung

1.Einführung des Resilienzbegriffs

1.1Bedeutung des Resilienzbegriffs

1.2Resilienzforschung

1.3Risiko- und Schutzfaktoren

1.4Resilienzfaktoren

2.Kitas als Sozialisationsinstanzen und gesundheitsförderliche Orte für Kinder und Eltern

2.1(Neue) Anforderungen an pädagogische Fachkräfte

Verhaltensauffällige und gesundheitlich belastete Kinder

Überforderte Eltern

Sozial benachteiligte Kinder

Kinder mit Behinderungen

Kinder aus unterschiedlichen Kulturen

Kita als Sozialisationsinstanz

Kita als gesundheitsförderlicher Ort

2.2Prävention und Präventionsprogramme

3.Bausteine zur Förderung von Resilienz

3.1Baustein 1: Leitbildentwicklung einer resilienzförderlichen Kita

Leitbildentwicklung als Prozess der Organisationsentwicklung

Leitbildentwicklung und seine Ziele

Leitbildgestützte Teamentwicklung

Evaluation des Leitbildes

3.2Baustein 2: Förderung der seelischen Gesundheit und Resilienz von Kindern im Alltag und mithilfe von speziellen Programmen

Die positive Beziehung zum Kind als Basis der Resilienzförderung

Präventions- und Resilienzförderprogramme im Vorschulalter

3.3Baustein 3: Zusammenarbeit mit Bezugspersonen unter Berücksichtigung der Resilienzperspektive

Die positive Eltern-Kind-Beziehung als Basis einer entwicklungsfördernden Erziehung

Schritte zur Zusammenarbeit mit Eltern

Erreichbarkeit von Eltern

Methoden der Elternbildung

3.4Baustein 4: Netzwerkbildung

Typen von Netzwerken

Allgemeine Anforderungen für die Netzwerkbildung

Zielgruppenspezifische Netzwerkbildung

Beispiele für eine Netzwerkbildung

3.5Baustein 5: Evaluation eigener Maßnahmen und Angebote

Evaluation eines Kinderkurses zur Resilienzförderung

Evaluation der Zusammenarbeit mit Eltern

4.Förderung von Resilienz und seelischer Gesundheit im Fachkräfte-Team

Körperliche und seelische Gesundheit

Daten zu Belastungen und zur Zufriedenheitvon pädagogischen Fachkräften in Kitas

Verarbeitung von Belastungen

Gesundheitsförderung

5.Zusammenfassende Schlussfolgerung

Kopiervorlagen

Literaturverzeichnis

Vorwort

Dieses Buch hat das Ziel, Fachkräfte im Bereich der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung zu ermutigen, gezielt die seelische Widerstandskraft (Resilienz) bei Kindern in der Institution Kindertageseinrichtung zu fördern. Dazu werden viele wissenschaftlich abgesicherte Hinweise gegeben, und es wird aufgezeigt, wie auch eine resilienzförderliche Zusammenarbeit mit Eltern und anderen Netzwerkpartnern gestaltet werden kann.

Dabei sind die Erfahrungen aus verschiedenen Praxisforschungsprojekten des Zentrums für Kinder- und Jugendforschung (ZfKJ) im Forschungsverbund FIVE e.V. an der Evangelischen Hochschule Freiburg eingeflossen, die in den letzten 14 Jahren durchgeführt wurden. Die positiven Erfahrungen und Evaluationsergebnisse haben dazu geführt, dass das Prinzip der Resilienzförderung mittlerweile in vielen Kindertageseinrichtungen Eingang gefunden hat, wissenschaftlich begründete sowie praktisch erprobte Materialen entwickelt wurden (Fröhlich-Gildhoff, Dörner & Rönnau 2019) und mittlerweile Multiplikatorinnen und Multiplikatoren zur Unterstützung der Organisationsentwicklung resilienzförderlicher Kitas geschult werden.

Durch die große Resonanz aus der Praxis, aber auch von Fachberatungen, Trägern, (Gesundheits-) Ämtern und wissenschaftlichen Kolleginnen und Kollegen, wurde das Resilienz-konzept weiterentwickelt für den U3-Bereich (Kaiser, 2019), Grundschule und für weiterführende Schulen. Darüber hinaus gibt es Anpassungen an spezifische Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel Bildungsinstitutionen in Quartieren mit besonderen sozialen Problemlagen (zfkj.de/index.php/forschungsaktivitaeten/resilienz).

Die vierte Auflage dieses Buches wurde deshalb an einigen Stellen ergänzt und vor allem durch neue Studien und Literatur aktualisiert.

Wir möchten uns bei allen bedanken, die uns in den vergangenen Jahren in der freudvollen Arbeit am Resilienzthema begleitet und unterstützt haben. Dies sind neben den Kolleginnen und Kollegen im ZfKJ insbesondere auch die vielen pädagogischen Fachkräfte, deren Engagement und Kompetenz die Ideen haben lebendig werden lassen.

Maike Rönnau-BöseKlaus Fröhlich-Gildhoff

Einleitung

Resilienz ist für viele pädagogische Fachkräfte kein Fremdwort mehr und hat einen immer größeren Stellenwert im pädagogischen Alltag. Das zeigt sich in der wachsenden Zahl der Publikationen, Vorträge und Fortbildungen zur Thematik, und auch die Bildungspläne der verschiedenen Bundesländer beziehen sich immer mehr auf die Förderung von Resilienz. So wird in 10 von 16 Bildungsplänen Resilienz explizit benannt, in zwei weiteren Bildungsplänen werden personale Fähigkeiten oder Ich-Kompetenzen als Bildungsziele beschrieben. In Bayern und Hessen wird Resilienz sogar als eine der Basiskompetenzen der Kinder aufgenommen und die Förderung näher beschrieben. Sieben andere Bundesländer (Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Saarland, Thüringen, Hamburg und Berlin) nehmen Resilienz als Querschnittsthema auf. Sie wird hier als personale (Kern-)Kompetenz und Fähigkeit, Ich-Kompetenz oder Selbstkompetenz bezeichnet. In Baden-Württemberg, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Bremen wird Resilienz bzw. werden personale Fähigkeiten erwähnt, aber nicht als Querschnittsthematik oder in Form eines eigenen Bereichs thematisiert.

Kindertageseinrichtungen, die sich zu einem resilienzförderlichen Bildungs- und Lebensort für Kinder weiterentwickeln möchten, müssen dabei verschiedene Aspekte berücksichtigen. Häufig wird unter Resilienzförderung lediglich die direkte Arbeit mit Kindern verstanden. Dies wäre aber zu kurz gegriffen und wenig nachhaltig. Verschiedene Studien zur Unterstützung der seelischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen verdeutlichen, dass ein multimodaler Ansatz – also die Berücksichtigung aller Ebenen um das Kind – wesentlich dazu beiträgt, langfristige Effekte zu gewährleisten (vgl. dazu z.B. Lösel et al. 2006). Aus diesem Grund sollte eine Einrichtung neben der direkten Förderung der Kinder die Eltern in ihre Arbeit mit einbeziehen und das soziale Netzwerk um die Kita ausbauen. Je mehr Anknüpfungspunkte es für die Kinder gibt und je stärker der Bezug zu ihrer Lebenswelt ist, desto besser gelingt eine nachhaltige Förderung ihrer seelischen Gesundheit. Deshalb stehen im Mittelpunkt dieses Buches fünf Bausteine (siehe Kapitel 3), die zentral sind für eine umfassende und nachhaltige Resilienzförderung. Diese Bausteine sollen im Sinne eines integrierten Konzepts Orientierung für die Praxis in Kindertageseinrichtungen bieten.

Im ersten Kapitel werden die Grundlagen von Resilienz beschrieben, über die pädagogische Fachkräfte als Basiswissen verfügen sollten. Die wichtigsten Forschungen zur Resilienz werden dargestellt sowie Schutz- und Risikofaktoren für die kindliche Entwicklung erläutert. Außerdem werden die Resilienzfaktoren näher beleuchtet, die für die Resilienzförderung der Kinder wesentlich sind.

Kapitel zwei greift die Bedeutung der Kindertageseinrichtung für die gesunde Entwicklung der Kinder auf. Es skizziert die Aufgaben und Herausforderungen der pädagogischen Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen und die Möglichkeiten von Präventionsprogrammen.

Im Mittelpunkt des dritten Kapitels stehen dann die fünf Bausteine, die zur Förderung der Resilienz wesentlich sind. Die Leserinnen und Leser erfahren, welche Aspekte zu berücksichtigen sind, um eine nachhaltige Resilienzförderung in ihrer Einrichtung zu gewährleisten. Sie erhalten für jeden der fünf Bausteine Handlungsorientierungen und Beispiele, die eine alltagspraktische Resilienzförderung in ihrer Einrichtung erleichtern:

Der erste Baustein beschäftigt sich mit der Leitbildentwicklung. Sie ist Voraussetzung, um eine Kita zielgerichtet zu einem resilienzförderlichen Lern- und Lebensort für Kinder gestalten zu können. Im zweiten Baustein werden konkrete Handlungsmöglichkeiten vermittelt, wie die pädagogischen Fachkräfte die Resilienz der Kinder im Alltag unterstützen können. Baustein drei widmet sich der Zusammenarbeit mit den Bezugspersonen der Kinder, in der Regel also den Eltern. Ihre Erziehungskompetenz ist ein wichtiger Faktor für eine gelingende Resilienzentwicklung der Kinder. Der vierte Baustein beschreibt das Vorgehen zur Bildung von Netzwerken. Die Leserinnen und Leser erfahren, mit welchen Instrumenten sie eine Netzwerkanalyse durchführen können und was bei der Netzwerkbildung bzw. -etablierung beachtet werden sollte. Im fünften Baustein werden Anregungen und Instrumente zur (Selbst-)Evaluation vorgestellt, mit denen Kindertageseinrichtungen ihre Angebote zur Resilienzförderung überprüfen können.

Bei der Resilienzförderung der Kinder im Kita-Alltag spielt auch die Resilienz der pädagogischen Fachkräfte selbst eine wesentliche Rolle. Eine Erzieherin, die sich überfordert fühlt, gestresst und übermüdet ist, hat wenig Möglichkeiten, sich intensiv der Begleitung und Unterstützung der Kinder und der Zusammenarbeit mit den Eltern zu widmen. Die Resilienz der Fachkräfte stellt deshalb die Basis für eine gelingende Unterstützung der Kinder dar. Ausgangspunkt für Resilienzförderung in Kindertageseinrichtungen ist somit die eigene Gesundheit der pädagogischen Fachkräfte, die im vierten Kapitel behandelt wird.

Kapitel fünf fasst abschließend die zentralen Schritte zusammen, die notwendig sind, um sich zu einer resilienzförderlichen Kita zu entwickeln.

1.

Einführung des Resilienzbegriffs

In diesem Kapitel erfahren Sie

•was Resilienz bedeutet

•welche Forschungen es zu Resilienz gibt

•welche Schutz- und Risikofaktoren für die Entwicklung des Kindes eine Rolle spielen

•was Resilienzfaktoren sind

1.1Bedeutung des Resilienzbegriffs

Der Begriff Resilienz stammt aus dem englischsprachigen Raum. Resilience bedeutet dort Widerstandsfähigkeit, Elastizität und Spannkraft. Resilienz ist die Fähigkeit, »erfolgreich mit belastenden Lebensumständen und negativen Stressfolgen« (Wustmann 2016, S. 18) umgehen zu können. Wenn also ein Mensch eine schwierige Situation, etwa den Verlust einer nahen Bezugsperson, angemessen bewältigt und sich trotz dieser Erfahrung gut entwickelt, wird von resilientem Verhalten gesprochen. Dementsprechend müssen immer zwei Bedingungen erfüllt sein, um von Resilienz zu sprechen:

Es besteht eine Risikosituation.

Diese Risikosituation wird von der betroffenen Person positiv bewältigt.

Wustmann (2004) definiert Resilienz als die »psychische Widerstandsfähigkeit gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken« (ebd.).

In den frühen Anfängen der Resilienzforschung beschrieben einige Forschungsergebnisse faszinierende Lebensverläufe von Menschen, die sich trotz schwierigster Bedingungen sehr gut entwickelten, was dazu führte, diese Menschen als »Wunderkinder« oder als »unbesiegbar« zu bezeichnen und ihnen herausragende Fähigkeiten zuzuschreiben. Man war der Ansicht, dass diese Fähigkeiten angeboren waren und sich nicht im Laufe der Zeit entwickeln können. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass man davon ausging, keinen Einfluss auf die Resilienzentwicklung nehmen zu können. Auch wurde Resilienz als Charakterzug dargestellt, was dazu führte, fehlende Resilienz als individuelles Charakterdefizit zu interpretieren. Gabriel (2005) warnt explizit vor dieser Betrachtungsweise und verdeutlicht den Einfluss und die Relevanz von Erziehung, Bildung und Familie sowie von sozialen Netzwerken auf die Ausbildung von Resilienz (S. 213).

Heute ist klar: Resilienz ist nicht angeboren und man kann sie auch nicht für immer erwerben. Sie verändert sich im Laufe des Lebens und muss immer wieder neu erlernt bzw. »aufgefrischt« werden. Dafür brauchen Kinder die Hilfe ihrer Bezugspersonen in der Familie und der pädagogischen Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen und Schulen. Resilienz ist deshalb auch keine Persönlichkeitseigenschaft, sondern »ein dynamischer Anpassungs- und Entwicklungsprozess … und wird im Verlauf der Entwicklung im Kontext der Kind-Umwelt-Interaktion erworben« (Wustmann 2016, S. 28). Damit wird deutlich, dass Resilienz nicht passiv übernommen wird, sondern dass das Kind aktiv am Prozess der Entwicklung und Ausformung seiner eigenen Stärken beteiligt ist.

Momentan werden verschiedene Definitionen von Resilienz diskutiert. Ein Standpunkt vertritt eine eher enge Auslegung des Begriffs und spricht nur dann von Resilienz, wenn eine Hochrisikosituation besser bewältigt wird als erwartet bzw. erwartbar ist (vgl. Diskussionen in Zander 2011). In einer weitergefassten Definition wird Resilienz als eine Kompetenz verstanden, die sich aus verschiedenen Einzelfähigkeiten zusammensetzt (vgl. z.B. Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff 2019). Diese Kompetenzen sind nicht nur wichtig für Krisensituationen, sondern auch notwendig, um zum Beispiel Entwicklungsaufgaben und weniger kritische Alltagssituationen zu bewältigen. Die Einzelkompetenzen entwickeln sich in verschiedensten Situationen, werden unter Belastung aktiviert und zeigen sich dann als Resilienz.

Die Erfahrungen und Erlebnisse eines Menschen spielen bei der Entwicklung seiner Resilienz eine wichtige Rolle. Die Resilienz ist also nicht zu jeder Lebenszeit und bei jedem Menschen gleich, sondern eine variable Größe. So kann es sein, dass Kinder ebenso wie Erwachsene zu einem bestimmten Zeitpunkt ihres Lebens resilient sind, zu anderen Zeitpunkten mit anderen Risikolagen jedoch mehr Schwierigkeiten haben, die Belastungen zu bewältigen (Opp & Fingerle 2007). Außerdem ist Resilienz nicht auf alle Lebensbereiche eines Menschen übertragbar. So können Kinder, die in ihrer Freizeit resilient sind, im Kindergarten oder in der Schule Schwierigkeiten haben, Beziehungen einzugehen und sich dort als sozial wenig kompetent erweisen. Deshalb spricht man auch von situationsspezifischer Resilienz (Petermann & Schmidt 2006). Es geht bei Resilienz somit vor allem um den »Erwerb bzw. Erhalt altersangemessener Fähigkeiten und Kompetenzen« und die »erfolgreiche Bewältigung von altersspezifischen Entwicklungsaufgaben« (Wustmann 2016, S. 20).

Wichtiges im Überblick

Merkmale von Resilienz

Resilienz ist ein dynamischer Anpassungs- und Entwicklungsprozess.

Resilienz ist eine variable Größe.

Resilienz ist situationsspezifisch und multidimensional.

1.2Resilienzforschung

Parallel zu den Anfängen der Resilienzforschung wurde schon in den 1970er-Jahren der Blick der Entwicklungspsychologie und der Klinischen Psychologie vermehrt auf die positiven Fähigkeiten von Kindern gerichtet, die sich trotz andauerndem, hohem Risikostatus (z.B. Armut oder psychische Erkrankung der Eltern) gut entwickelten. Damit wurde ein Paradigmenwechsel, also eine Änderung der Blickrichtung, eingeläutet. Nachdem bis dahin hauptsächlich Studien zu den Risikoeinflüssen auf die kindliche Entwicklung durchgeführt wurden und der Blick maßgeblich auf den Defiziten und Schwierigkeiten lag, wurde jetzt die Aufmerksamkeit vermehrt auf die Ressourcen und Schutzfaktoren von Kindern gerichtet.

In der Resilienzforschung lassen sich drei Phasen identifizieren: In der ersten Phase entstand die empirische Grundlage, d.h. die Identifikation von Schutzfaktoren und Schlüsselkonzepten in Bezug auf Resilienz. In der zweiten Phase wurden vor allem die Prozesse und Wirkmechanismen der verschiedenen Faktoren untersucht und ihre Wechselwirkungen in den Fokus gestellt. Diese Forschungen unterstrichen die Bedeutung des Kontextes. In der parallel entstandenen dritten Phase wurden resilienzfördernde Maßnahmen und Präventionsprogramme entwickelt. Hier ging es weniger um Grundlagenforschung, sondern vielmehr um die Umsetzung der Erkenntnisse in den Alltag (vgl. O’Dougherty Wright & Masten 2006 in Bengel et al. 2009, S. 15ff.).

Inzwischen können 19 Längsschnittstudien, also Forschungen, die über mehrere Jahre bzw. Jahrzehnte gehen, verzeichnet werden, die sich mit dem Phänomen der Resilienz beschäftigen (Zusammenstellung bei Rönnau-Böse 2013).

Die wohl bekannteste und auch älteste Studie in der Resilienzforschung ist die Kauai-Studie von Werner und Smith (1982). Die Amerikanerin Emmy Werner und ihre Forschergruppe haben die Entwicklung des gesamten Geburtsjahrgangs von 1955 der hawaiianischen Insel Kauai über einen Zeitraum von über 40 Jahren dokumentiert. Von 698 Menschen wurden mit 1, 2, 10, 18, 32 und 40 Jahren Daten zu ihrer Lebens- und Gesundheitssituation erhoben. Dabei wurde deutlich, dass ein Drittel dieser Menschen mit einer Vielzahl von Risiken konfrontiert war, wie zum Beispiel chronische Armut oder psychische Erkrankungen der Eltern. Trotzdem entwickelten sich nicht alle betroffenen Kinder wie anfangs erwartet weniger gut, sondern ein Drittel bewältigte die schwierigen Anforderungen (Werner 2000). Das zeigte sich zum Beispiel daran, dass sie Beziehungen eingehen konnten, optimistisch waren oder einer erfüllenden Arbeit nachgingen. Im Laufe ihres Lebens zeigten sich bei ihnen im Vergleich zu den anderen Kindern derselben Risikogruppe weniger chronische Krankheiten und Scheidungen, und auch die Todesrate war geringer (Wustmann 2016). Worin unterschieden sich diese Menschen von den anderen?

Werner beschrieb eine »Kette schützender Faktoren«, die sich zusammensetzt aus Schutzfaktoren, die das Individuum selbst mitbringt, und Faktoren innerhalb der Familie und im sozialen Umfeld des Menschen. Diese Schutzfaktoren bedingen sich gegenseitig und führen zu einem positiven Zusammenspiel (Werner 2007).

Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch andere Längsschnittstudien, obwohl sie ganz unterschiedliche Zielgruppen untersuchten und in verschiedenen Settings stattfanden. So untersuchte die Mannheimer Risikokinderstudie die Entwicklung von Kindern, die zum Zeitpunkt ihrer Geburt verschiedenen Belastungen ausgesetzt waren. Die Bielefelder Invulnerabilitätsstudie dagegen befasste sich mit Jugendlichen, die in einem Heim aufwuchsen.

Wichtiges im Überblick

Studien zur Resilienz

Die Anfänge der Resilienzforschung liegen in den 1970er-Jahren und führten zu einem Paradigmenwechsel, d.h. die Forschung interessierte sich zunehmend für die Kompetenzen und Ressourcen der Menschen und nicht nur für ihre Schwierigkeiten und Risiken.

Insgesamt gibt es 19 Längsschnittstudien zur Resilienz, wovon die meisten in den USA durchgeführt wurden.

Die bekannteste Studie ist die Kauai-Studie von Emmy Werner und ihrem Forscherteam, die 1955 begann.

Die zwei größten Studien in Deutschland sind die Mannheimer Risikokinderstudie und die Bielefelder Invulnerabilitätsstudie.

Es lassen sich drei Phasen der Resilienzforschung identifizieren:

1.Grundlagenforschung

2.Untersuchung der Prozesse und Wirkmechanismen

3.Entwicklung von Präventions- und Resilienzförderprogrammen

Zusammengetragen aus allen Studien ergeben sich eine Reihe von Risiko- und Schutzfaktoren, die im Folgenden erläutert werden sollen.

1.3Risiko- und Schutzfaktoren

Eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Resilienz spielen Risiko- und Schutzfaktoren. Lange Zeit standen vor allem die Risikofaktoren im Fokus der Forschung. Diese beschäftigten sich mit der Frage, welche Risiken die Entwicklung von Kindern beeinflussen. Damit verbunden ist eine pathogenetische Sichtweise, d.h. im Mittelpunkt der Betrachtung stehen Faktoren und Lebensbedingungen, die die kindliche Entwicklung gefährden, beeinträchtigen und zu seelischen Störungen und Erkrankungen führen können (Holtmann & Schmidt 2004). Unterschieden wird dabei zwischen kindheitsbezogenen Merkmalen, den Vulnerabilitätsfaktoren (biologische und psychologische Faktoren) und den eigentlichen Risikofaktoren, den Stressoren, die sich aus der psychosozialen Umwelt des Kindes ergeben (Petermann et al. 2004). Letztere sind am häufigsten dafür verantwortlich, dass die Entwicklung eines Kindes ungünstig verläuft, und beeinträchtigen vor allem die kognitive und sozial-emotionale Entwicklung.

Wichtiges im Überblick

Risikofaktoren (vgl. Wustmann 2016, S. 38f.)

Vulnerabilitätsfaktoren

Prä-, peri- und postnatale Faktoren, zum Beispiel Frühgeburt, Geburtskomplikationen, niedriges Geburtsgewicht, Ernährungsdefizite, Erkrankung des Säuglings

Neuropsychologische Defizite, zum Beispiel Teilleistungsstörungen im Bereich der Wahrnehmungsverarbeitung

Psychophysiologische Faktoren, zum Beispiel ein sehr niedriges Aktivitätsniveau

Genetische Faktoren wie Chromosomenanomalien

Chronische Erkrankungen, zum Beispiel Asthma, Neurodermitis, Krebs, schwere Herzfehler, hirnorganische Schädigungen

Schwierige Temperamentsmerkmale, wie zum Beispiel frühes impulsives Verhalten, hohe Ablenkbarkeit, Schwierigkeiten in den Schlaf zu finden

Unsichere Bindungsorganisation

Geringe kognitive Fähigkeiten: niedriger Intelligenzquotient, Defizite in der Wahrnehmung und sozial-kognitiven Informationsverarbeitung

Geringe Fähigkeiten zur Selbstregulation von Anspannung und Entspannung

Stressoren

Niedriger sozioökonomischer Status, chronische Armut

Unsicheres Wohnumfeld, zum Beispiel in Wohngegenden mit hohem Kriminalitätsanteil

Chronische familiäre Disharmonie

Elterliche Trennung und Scheidung

Alkohol-/Drogenmissbrauch der Eltern

Psychische Störungen oder Erkrankungen eines bzw. beider Elternteile

Kriminalität der Eltern

Obdachlosigkeit

Niedriges Bildungsniveau der Eltern

Abwesenheit eines Elternteils/alleinerziehender Elternteil

Erziehungsdefizite/ungünstige Erziehungspraktiken der Eltern, zum Beispiel inkonsequentes, zurückweisendes oder inkonsistentes Erziehungsverhalten, Uneinigkeit der Eltern in Erziehungsmethoden, körperliche Strafen, zu geringes Beaufsichtigungsverhalten, Desinteresse/Gleichgültigkeit gegenüber dem Kind, mangelnde Feinfühligkeit und ein zu geringes Eingehen auf die Interaktions- und Kommunikationsversuche der Kinder (Responsivität)

Sehr junge Elternschaft (vor dem 18. Lebensjahr)

Unerwünschte Schwangerschaft

Häufige Umzüge, Schulwechsel

Außerfamiliäre Unterbringung

Migrationshintergrund in Verbindung mit niedrigem sozioökonomischem Status

Soziale Isolation der Familie

Verlust eines Geschwisters oder engen Freundes

Geschwister mit einer Behinderung, Lern- oder Verhaltensstörung

Mehr als vier Geschwister

Mobbing/Ablehnung durch Gleichaltrige

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