Rettung für Tanja - Patricia Vandenberg - E-Book

Rettung für Tanja E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Aktuell Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. Tanja und Katja Kürten waren Zwillingsschwestern und einander so ähnlich, wie nur eineiige Zwillinge sein konnten. Sie hatten gerade gemeinsam mit ihren Pflegeeltern Sepp und Bertine Keller ihren zwanzigsten Geburtstag gefeiert, und aus diesem Anlass hielt sich Tanja mal wieder zu Hause auf. So ähnlich sich die beiden äußerlich waren, so unterschiedlich waren sie im Wesen, und daher kam es auch, dass Katja von Sepp und Bertine mehr geliebt wurde als Tanja, wenngleich das nicht deutlich gezeigt wurde. Tanja war temperamentvoll und kontaktfreudig, und sie liebte das Leben in der Großstadt, seit ihre wirklich hübsche Stimme entdeckt worden war und man ihr eine große Karriere als Schlagersängerin prophezeite. Sie hatte auch schon beträchtliche Erfolge zu verzeichnen. Katjas Stimme war nicht weniger hübsch, aber sie zog es vor, als Kunstgewerblerin in aller Stille zu arbeiten, wenn auch mit beträchtlichem Talent. Sepp Keller war Kunstschreiner. Als er und seine Frau die verwaisten Zwillinge, mit deren Eltern sie befreundet gewesen waren, zu sich nahmen, ging es ihnen bei Weitem nicht so gut wie jetzt. Den richtigen Aufschwung hatte Sepp Keller eigentlich Katja zu verdanken, die ihm geradezu geniale Entwürfe machte. Stolz konnten die Kellers auf beide Mädchen sein, denn auch Tanja dankte es ihnen, dass sie so liebevoll aufgezogen worden waren. Dass Katja bei ihnen blieb, machte sie aber doch besonders glücklich, und als Tanja an diesem Morgen wieder in ihrem hübschen kleinen Wagen nach München fuhr, nahm Bertine, die von ihrem Mann und auch von den Zwillingen Berti genannt wurde, Katja herzlich in die Arme. »Ich finde, dass Tanja sehr blass aussieht«, sagte sie besorgt. »Sie lebt halt nicht auf dem Lande, Berti«, erwiderte Katja, »und will ja nun auch Urlaub machen.« »Aber anstatt sich richtig auszuruhen, wird sie wieder durch die Welt kutschieren«, sagte Berti. »Jeder Mensch muss nach seiner Fasson selig werden«, brummte Sepp Keller. »Sie ist anständig, und ich hoffe, dass sie das auch bleibt.«

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Dr. Norden Aktuell – 16 –

Rettung für Tanja

Patricia Vandenberg

Tanja und Katja Kürten waren Zwillingsschwestern und einander so ähnlich, wie nur eineiige Zwillinge sein konnten. Sie hatten gerade gemeinsam mit ihren Pflegeeltern Sepp und Bertine Keller ihren zwanzigsten Geburtstag gefeiert, und aus diesem Anlass hielt sich Tanja mal wieder zu Hause auf.

So ähnlich sich die beiden äußerlich waren, so unterschiedlich waren sie im Wesen, und daher kam es auch, dass Katja von Sepp und Bertine mehr geliebt wurde als Tanja, wenngleich das nicht deutlich gezeigt wurde.

Tanja war temperamentvoll und kontaktfreudig, und sie liebte das Leben in der Großstadt, seit ihre wirklich hübsche Stimme entdeckt worden war und man ihr eine große Karriere als Schlagersängerin prophezeite. Sie hatte auch schon beträchtliche Erfolge zu verzeichnen. Katjas Stimme war nicht weniger hübsch, aber sie zog es vor, als Kunstgewerblerin in aller Stille zu arbeiten, wenn auch mit beträchtlichem Talent.

Sepp Keller war Kunstschreiner. Als er und seine Frau die verwaisten Zwillinge, mit deren Eltern sie befreundet gewesen waren, zu sich nahmen, ging es ihnen bei Weitem nicht so gut wie jetzt. Den richtigen Aufschwung hatte Sepp Keller eigentlich Katja zu verdanken, die ihm geradezu geniale Entwürfe machte.

Stolz konnten die Kellers auf beide Mädchen sein, denn auch Tanja dankte es ihnen, dass sie so liebevoll aufgezogen worden waren.

Dass Katja bei ihnen blieb, machte sie aber doch besonders glücklich, und als Tanja an diesem Morgen wieder in ihrem hübschen kleinen Wagen nach München fuhr, nahm Bertine, die von ihrem Mann und auch von den Zwillingen Berti genannt wurde, Katja herzlich in die Arme.

»Ich finde, dass Tanja sehr blass aussieht«, sagte sie besorgt.

»Sie lebt halt nicht auf dem Lande, Berti«, erwiderte Katja, »und will ja nun auch Urlaub machen.«

»Aber anstatt sich richtig auszuruhen, wird sie wieder durch die Welt kutschieren«, sagte Berti.

»Jeder Mensch muss nach seiner Fasson selig werden«, brummte Sepp Keller. »Sie ist anständig, und ich hoffe, dass sie das auch bleibt.«

»Daran braucht ihr wirklich nicht zu zweifeln«, nahm Katja ihre Zwillingsschwester sogleich in Schutz. »Machen wir uns wieder an die Arbeit, Sepp. Der Schachtisch muss bis zum Wochenende fertig sein. Frau Dr. Behnisch will ihn als Geburtstagsgeschenk für ihren Mann.«

»Weiß ich doch. Er wird schon fertig, Katinka«, sagte Sepp Keller. »Aber unsere Kinder werden ja nur einmal zwanzig Jahre, und da muss man auch mal einen Feiertag einlegen.«

Er bekam einen Kuss von Katja auf seine bärtige Wange.

»Wir sind sehr dankbar, dass wir solche Eltern bekommen haben, die auch unsere besten Freunde sind«, sagte sie weich.

»Und wir sind dankbar, dass du bei uns geblieben bist.«

Katja konnte sich ein Leben in der Stadt gar nicht vorstellen. Sie war glücklich in diesem hübschen Haus, in dem jedes Möbel von Sepp Keller selbst gefertigt worden und vieles Beiwerk ihren geschickten Händen und ihrem künstlerischen Geschmack zu verdanken war. Gingen die Zwillingsschwestern auch verschiedene Wege, Talent konnte man keiner absprechen.

Nur schien es so, was jedoch noch niemand wusste, dass das Großstadtleben Tanjas Gesundheit nicht zuträglich war.

Sie hatte es nicht deshalb so eilig gehabt, wieder nach München zu kommen, weil sie berufliche Termine hatte, sondern weil sie Dr. Daniel Norden aufsuchen wollte.

Er hatte sie schon mehrmals bei Erkältungen, die ihrer Stimme schädlich waren, erfolgreich behandelt. Diesmal ging es jedoch nicht um eine Erkältung. Tanja hatte ganz andere Beschwerden, die ihr Sorgen bereiteten. Aber sie hatte keine Ahnung, was der eigentliche Grund war, dass sie sich oft so abgeschlagen und erschöpft fühlte.

*

Dr. Norden kannte Tanja als Katja Kürten. Sie bedauerte diesen kleinen Schwindel längst, hatte aber doch nicht den Mut, ihn einzugestehen.

Als sie Dr. Norden das erste Mal aufsuchte und in ihm einen sehr attraktiven Mann kennenlernte, hatte sie Sorge, dass er ihr das Singen verbieten würde, wenn er in ihr die Schlagersängerin Tanja erkannte.

Aber Dr. Norden interessierte sich nur für klassische Musik, der Name Tanja Kürten wäre ihm gar nicht bekannt gewesen.

So eitel war Tanja nun auch wieder nicht, dass sie ihm das übel nahm, aber beiläufig erzählte sie doch, dass sie die Zwillingsschwester von Tanja Kürten sei.

»Na, hoffentlich leidet Ihre Zwillingsschwester nicht auch so oft unter Erkältungen wie Sie«, hatte er dann beim dritten Mal bemerkt. »Es kann leicht zu einer Kehlkopfentzündung kommen, wenn man so anfällig ist.«

Es kam zu keiner Kehlkopfentzündung, denn er verschrieb ihr so gute Vorbeugungsmittel, dass sie ihn schon drei Monate nicht mehr aufsuchen musste.

Als sie nun diesmal zu ihm kam, betrachtete er sie forschend.

»Wir sind ja gar nicht erkältet«, sagte er.

»Nein, diesmal ist es etwas anderes.« Sie erzählte ihm von ihren Beschwerden. Dr. Norden wurde sehr nachdenklich. Er untersuchte sie gründlich und stellte fest, dass sie in der Nierengegend äußerst druckempfindlich war.

»Das kann doch nicht plötzlich gekommen sein«, sagte er. »Hatten Sie schon mal etwas mit den Nieren?«

»Vor drei Jahren, als Folge einer Mandelentzündung«, erwiderte Tanja.

»Ja, da werden wir Ihnen erst mal ein bisschen Blut abzapfen müssen, und die Nierenfunktion muss auch geprüft werden. Ich hätte es lieber, wenn das in einer Klinik geschehen würde.«

Erschrocken sah ihn Tanja an. »So schlimm kann es doch nicht sein. Ich muss jetzt meine Termine einhalten«, erwiderte sie.

»Welche Termine denn?«

Tanja geriet in Verlegenheit, denn fast hätte sie vergessen, dass sie hier doch Katja war. Sie fühlte sich versucht, Dr. Norden jetzt doch die Wahrheit zu sagen, aber dann fand sie wieder nicht den Mut dazu.

Er war so sympathisch, so zuverlässig, ein ganz toller Arzt, wie sie gesagt hatte, und was sollte er nun von ihr denken?

»Ich bin Kunstgewerblerin«, sagte sie. »Ich muss einige Arbeiten termingerecht abliefern.«

»Aber Ihre Gesundheit geht doch vor«, sagte Daniel Norden. »Ich bin mit Dr. Behnisch befreundet. Er würde Sie bestimmt schnellstens untersuchen.«

Der Name Behnisch versetzte Tanja in Erregung. Sie hatte diesen Namen doch erst gestern vernommen und zwar von Katja.

Der wundervolle Schachtisch, an dem sie mit Sepp arbeitete, war für einen Dr. Behnisch als Geburtstagsgeschenk bestimmt.

Ihr wurde es heiß und kalt. Sie nahm sich zusammen.

»Ich gewöhne mich so schlecht um«, sagte sie. »Zu Ihnen habe ich wirklich vollstes Vertrauen, Herr Dr. Norden. Machen Sie doch bitte die Untersuchungen. Es kann doch gar nicht so schlimm sein. Und außerdem hasse ich Krankenhäuser.«

»Es ist aber eine sehr angenehme Privatklinik«, erwiderte er.

»Darauf kann ich immer noch zurückkommen«, sagte Tanja. »Ich bin halt ein bisschen komisch.«

Aber nett war sie, und Dr. Norden mochte sie. Dass er sehr glücklich mit seiner Frau Fee verheiratet war, hinderte ihn nicht, seine Augen vor der Anmut schöner weiblicher Wesen nicht zu verschließen, sofern sie nicht ihm schöne Augen machten.

Gefährlich konnte ihm keine werden, aber Tanja, oder Katja, wie er sie kannte, legte es nicht auf einen Flirt an. Sie war ein bezauberndes Mädchen, so richtig appetitlich, und nicht immer waren seine Patientinnen so.

Er nahm ihr das Blut ab. Sie zuckte mit keiner Wimper. Er machte sich weitere Notizen über den Blutdruck, den Puls, und sagte dann: »Bitte kommen Sie übermorgen wieder. Dann kann ich Ihnen Bescheid geben.«

»Aber genau und ganz ehrlich«, erwiderte Tanja.

»Aber gewiß. Ich will doch, dass Sie wieder gesund werden.«

Tanja verabschiedete sich mit einem Lächeln von Loni, die im Vorzimmer an ihrem Schreibtisch saß.

»Übermorgen bin ich wieder zur Stelle«, sagte sie.

»Es freut mich«, erwiderte Loni. »Ich habe neulich übrigens Ihre Schwester im Radio gehört. Sie hat eine sehr hübsche Stimme, und es war auch nicht so ein einfältiger Text, wie man sonst so hört.«

Tanja blies sich eine vorwitzige Haarsträhne aus der Stirn. Wieder war sie in Verlegenheit gebracht worden.

»Es ist meine Zwillingsschwester«, erwiderte sie, »und wir sind uns so ähnlich, dass eine für die andere einspringen könnte.«

»Können Sie auch singen?«, fragte Loni staunend.

»Sicher, also bis übermorgen, Loni.«

Schon war sie aus der Tür und gleich kam der nächste Patient. Das war Bernd Closner, Nachwuchsregisseur beim Fernsehen.

Tanja fiel ihm buchstäblich in die Arme. Er starrte sie an. »Tanja Kürten«, sagte er atemlos.

»Katja«, stieß sie hervor. »Ich bin nur die Zwillingsschwester.«

»Solche Ähnlichkeit«, wunderte er sich. »Ich bin sprachlos.«

»Na, so was«, murmelte Tanja. »Tschüs denn.«

Und schon eilte sie weiter.

Bernd Closner plumpste in den Stuhl vor Lonis Schreibtisch.

»Gibt es denn so was?«, ächzte er. »Ich bin einfach baff.«

»Ja, es soll Zwillinge geben, die man nicht auseinanderhalten kann, sofern sie gleichen Geschlechtes sind«, sagte Loni. »Wie geht es Ihrer Hand, Herr Closner?«

»Danke, viel besser. Ich werde nie wieder Steaks selbst in die Pfanne werfen.«

Dabei hatte er sich nämlich verbrannt, und wie.

»Man sollte sie auch lieber grillen«, sagte Loni mütterlich.

»Aber ein Grillgerät kostet einen Haufen Geld, und ich bin noch nicht so gut betucht. Loni, Sie sind doch ein Schatz. Könnten Sie mir sagen, wo diese Katja Kürten wohnt?«

Loni lachte leise auf. »Sie können doch im Telefonbuch nachschauen, Herr Closner«, erwiderte sie. »Aber nicht gleich. Der Doktor erwartet Sie.«

Bernd war gekommen, um seine Hand frisch verbinden zu lassen. Zum Glück heilte die Wunde gut aus.

»Da haben wir aber Glück gehabt«, sagte Dr. Norden. »Sie haben es schnell überstanden, Herr Closner.«

»Ich habe mir halt den besten Arzt ausgesucht«, sagte Bernd. »Prima haben Sie das hingekriegt. Sieht schon recht manierlich aus.«

»Und den Verband brauchen wir jetzt auch nicht mehr.«

»Darf ich noch was fragen?«

Dr. Norden lächelte. »Kochanweisungen kann ich Ihnen nicht geben«, erwiderte er.

»Darum geht’s doch nicht! Wann kommt Katja Kürten wieder zu Ihnen?«

»Übermorgen«, erwiderte Dr. Norden automatisch, ohne zu überlegen. »Warum wollen Sie das wissen?«

»Kann ich übermorgen auch noch mal zum Nachschauen kommen«, fragte Bernd.

Dr. Norden lachte auf. »Sie ist nicht die Schlagersängerin.«

»Umso besser. Sie ist –, na ja, ich habe kein berufliches Interesse.«

»Und ich bin Arzt, kein Vermittler«, erwiderte Daniel Norden hintergründig.

»Ist sie nicht bezaubernd?«, fragte Bernd.

Daniel Norden lachte leise auf. »Ich bin sehr glücklich verheiratet. Mir steht es nicht zu, Werturteile abzugeben. Fragen Sie Loni, wann sie übermorgen kommt.«

»Wird sie es mir sagen? Könnten Sie nicht ein gutes Wort für mich einlegen?«, fragte Bernd.

Er erfuhr dann, dass Katja übermorgen um elf Uhr kommen würde.

»Aber mehr tun wir nicht dazu, Loni!«, sagte Dr. Norden. »Die Initiative muss von ihm ausgehen.«

»Er war ja ganz weggetreten«, sagte Loni schmunzelnd. »Wenn er Erfolg bei ihr hat, wird er sich gar noch freuen, dass er sich die Hand verbrannt hat.«

Bernd Closner war ein sehr sympathischer junger Mann. Daniel mochte ihn. Er war keine Spur arrogant. Er war hochtalentiert, spielte sich selbst aber nicht auf.

Aber Katja Kürten, denn so kannte sie Dr. Norden noch immer, würde in naher Zukunft wohl andere Interessen haben, als sich mit einem Mann zu befassen, andere Sorgen. Das ging Dr. Norden kurz durch den Sinn, als er über ihren Gesundheitszustand nachdachte.

Einstweilen aber hatte Tanja eine heftige Auseinandersetzung mit einem Mann, der nicht die geringste Ähnlichkeit mit Bernd Closner hatte, der genau das Gegenteil von ihm war: Arrogant, snobistisch, egoistisch, und der einen Ton an sich hatte, der Tanja schon lange missfiel. Sie kannte Pierre Montane zwar erst ein halbes Jahr, aber sie hatte ihn längst durchschaut, diesen Glücksritter. Loswerden konnte sie ihn bisher nicht. Pierre witterte, dass sie bald ganz oben sein würde, und es hätte ihm wirklich sehr gefallen, im Lichtschatten dieses reizenden, talentierten Geschöpfes dahinzusegeln.

Er wartete wieder einmal vor ihrer Wohnungstür. »Wo hast du so lange gesteckt?«, fragte er anstelle eines Grußes.

Ihre feinen Augenbrauen schoben sich zusammen. »Bin ich dir Rechenschaft schuldig?«, fragte sie. »Aber es wird mir doch gestattet sein, heimzufahren.«

»Was willst du denn in diesem Kaff?«, fragte er ungehalten.

»Meine Familie besuchen.«

»Sei doch nicht so sentimental, Tanja. Dir entgehen die besten Chancen. Ich hätte dich gestern dem großen Stansky vorstellen können.«

»Wozu?«

»Damit du zum Film kommst. Er ist an dir interessiert.«

Sie lächelte spöttisch. Das hatte sie schnell gelernt.

»Wie viel Provision würdest du da bekommen?«, fragte sie anzüglich.

Seine Augen blitzten zornig. »Wie kannst du nur so reden?«, fragte er empört.

»Ja, siehst du, diesen Ton habe ich von dir gelernt«, konterte sie. »Ich habe kein Interesse am Film.«

»Du bist blöd«, entfuhr es ihm.

»Ich komme ja auch vom Land«, erwiderte sie schlagfertig. »Und eines will ich dir sagen, Pierre, ich habe bereits gelernt, mich und mein Talent einzuschätzen. Ich weiß, wo meine Grenzen sind.«

»Müssen wir uns eigentlich im Treppenhaus unterhalten?«, fragte er.

»Ja, ich möchte jetzt allein sein. Und außerdem habe ich dir schon öfter gesagt, dass du mich in Ruhe lassen sollst.«

Das machte ihn noch zorniger. »Es gibt also einen anderen Mann«, stieß er hervor.

»Es gibt überhaupt keinen Mann, der mich interessieren könnte. Ich bin der friedfertigste Mensch, wenn ich in Ruhe gelassen werde. Du solltest dir keine Rechte anmaßen, nur weil ich ein paarmal mit dir ausgegangen bin. Es wäre nett, wenn du dir das endlich merken würdest.«

»Was bildest du dir eigentlich ein?«, fuhr er sie an. »Durch mich kommst du doch wenigstens in die High-Society.«

Tanja lachte auf. »Du lieber Himmel, die Typen. Auf die kann ich verzichten. Jetzt haben sie gerade wieder einen von deinen Freunden geschnappt, der andere aufs Kreuz gelegt hat. Besuchst du ihn eigentlich in Stadelheim?«

Er wurde blass. Das war schwer zu schlucken. Es glomm eine gefährliche Flamme in seinen Augen. Dann aber verzog sich sein Mund zu einem Lächeln.

»Meine liebe Tanja, ich gehöre auch zu den Geschädigten«, sagte er lässig. »Ich habe durch meine Gutgläubigkeit so viel verloren, dass ich mich jetzt nach der Decke strecken muss. Aber ich habe natürlich schon wieder andere Eisen im Feuer. Das bedingt meine Abwesenheit für einige Wochen. Deshalb könntest du ruhig ein bisschen netter zu mir sein.«

Sie glaubte ihm kein Wort. Er wollte nur nicht hinnehmen, dass sie ihm den Laufpass gab. Aber sie dachte nicht ans Nachgeben.

»Ich möchte jetzt allein sein. Ich muss mich ausruhen. Heute Nachmittag habe ich Aufnahmen«, sagte sie schroff.

»Ich könnte dich aber heute Abend mit Stansky zusammenbringen«, drängte er.

Sie lachte leise auf. »Was soll ein so berühmter Regisseur denn seine kostbare Zeit für eine Anfängerin opfern. Er hat mich doch noch nicht mal gesehen.«

»So unbekannt bist du nun auch wieder nicht«, sagte Pierre schmeichelnd. »Stansky ist mein Freund.«

Auch das glaubte sie ihm nicht. Er bezeichnete viele prominente Leute als seine Freunde, und sie hatte hin und wieder schon die Erfahrung gemacht, dass diese ganz erstaunt zurückgrüßten, wenn er ihnen ein »Hallo« zurief.

Sie hatte ihn durchschaut und wollte nichts mehr von ihm wissen. Damals, als sie ihn kennenlernte, hatte sie sich auch, wie so viele, durch sein Auftreten täuschen lassen. Mittlerweile hatte sie schon mehr Menschenkenntnis.

Pierre war erbost. »Du wirst es noch einmal bereuen, dass du mein Entgegenkommen nicht würdigst«, sagte er.

Tanja legte den Kopf in den Nacken. »Ich brauche keine Protektion«, erwiderte sie. »Deine Beziehungen sind mir zu undurchsichtig. Ich möchte meinen Weg allein gehen. Und außerdem bin ich nicht bereit, das zu geben, was du erwartest.«

»Du bist eine Landpomeranze«, sagte er spöttisch. »Und irgendwie wird dir das hängen bleiben.«

»Wie du meinst. Ich weiß ja, wo ich daheim bin, wenn ich keine Karriere mache.«

»Na, dann«, murmelte er, »überleg es dir noch mal, Tanja.«

Sie brauchte nichts zu überlegen. Sie hatte wieder Schmerzen und sehnte sich nach ihrem Bett. Die Schmerzen waren so groß, dass sie fürchtete, die Aufnahmen nicht durchzuhalten, doch die Tabletten, die ihr Dr. Norden verschrieben hatte, halfen ihr dann über den anstrengenden Tag hinweg.

Nach den Aufnahmen war sie jedoch so erschöpft, dass sie kaum noch ein Wort über die Lippen brachte. Es gab noch mehrere Männer, die gern mit Tanja ausgegangen wären, und sonst war sie einem fröhlichen Beisammensein auch nie abgeneigt gewesen, aber an diesem Abend sagte sie nein, und sie war froh, als sie wieder in ihrem Bett lag.

Ganz kalt war es ihr, dann nach einer Weile aber wurde es ihr glühend heiß.

Sie bekam Angstzustände. Ihre Gedanken gingen wirr durcheinander. Sie war jung, sie wollte gesund sein, sie hatte den großen Erfolg so greifbar nahe, und doch sehnte sie sich plötzlich nach der Ruhe und Geborgenheit, die Katja genoss.

Endlich, nachdem sie noch zwei Tabletten genommen hatte, konnte sie einschlafen.

*

Fee Norden hatte das Radio eingeschaltet gehabt, als ihr Mann kam. Sie hatte Nachrichten gehört, dann kam leichte Musik, die nach all den Hiobsbotschaften aus aller Welt doch aufmunternd war. Ab und zu hörte sie diese Musik ganz gern, wenn die Texte nicht so einfältig waren.

Die Kinder, Danny und Felix, waren schon im Bett. Wenn sie den ganzen Nachmittag an der frischen Luft gewesen waren, gab es beim Einschlafen kein großes Theater. Danny maulte dann nur ein bisschen, weil der Papi noch nicht zu Hause war, aber heute wurde es mal wieder ziemlich spät, weil Daniel viele Hausbesuche machen musste. Das war immer so, wenn ein Föhneinbruch kam, unter dem die Herz- und Kreislaufgeschädigten besonders litten.

»Na, was gibt es denn Neues?«, fragte Daniel, nachdem Fee einen langen, zärtlichen Kuss bekommen hatte, da nun schon wieder Nachrichten durchkamen.

»Nichts Gutes«, erwiderte Fee. »Erdbeben in aller Welt, Terroranschläge und wieder mal eine Flugzeugentführung. Es kann einem himmelangst und bange werden. Da hört man dann schon gern mal solch Tralala zur Abwechslung und Aufmunterung.«

Daniel war nicht so dafür, aber als die Sprecherin jetzt sagte: »Es singt Tanja ihr neues Lied: Adieu, mein Freund«, horchte er auf.

»Lass das an, Fee«, sagte er rasch, als Fee abstellen wollte.

Überrascht sah sie ihn an. »Du magst doch keine Schlager, Daniel.«

»Die Schwester von Tanja ist meine Patientin«, erwiderte er.

Sie lauschten dieser warmen Stimme, die einen wohltönenden Klang hatte.