Richiza (Historischer Roman) - August Sperl - E-Book

Richiza (Historischer Roman) E-Book

August Sperl

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Beschreibung

Diese Ausgabe von "Richiza" wurde mit einem funktionalen Layout erstellt und sorgfältig formatiert. Dieses eBook ist mit interaktiven Inhalt und Begleitinformationen versehen, einfach zu navigieren und gut gegliedert. August Sperl (1862-1926) war ein deutscher Archivar, Historiker und Schriftsteller. Sein Hauptwerk besteht aus historischen Romanen und Novellen, die meist auf der Grundlage realer historischer Gegebenheiten oder Personen entstanden, zum Beispiel dem Dreißigjährigen Krieg in Hans Georg Portner und die ersten Kreuzzüge in Richiza. Aus dem Buch: "Der rothaarige Riese strich etlichemal hastig über seinen Bart. Er stand breit und wuchtig in seinem abgeschabten Lederkoller vor dem sitzenden Herrn und regte sich nicht. Aber seine Äuglein fuhren unstet umher und seine Blicke strichen begehrlich über die bunten Wandteppiche des düsteren Gemaches und über die reichgeschnitzten, schwerbeschlagenen Truhen. Im Frühsonnenscheine blinkte draußen vor den offenen Fenstern die graue Mauer des Bergfrieds, und in leuchtenden Farben grüßte herüber auf den Herrn und den Mann der weißrot geviertete Schild des Hauses Castell. In tiefem Sinnen saß der alte blinde Graf. Zusammengezogen waren seine grauen buschigen Augenbrauen, und die dreifach geflochtenen Zöpfe des weißen Haupt- und Barthaares hingen ihm herab über Schultern und Brust auf den Gürtel. Zu seiner Linken aber kauerte auf niederm Schemel ein Mann in geistlichem Gewande. Der hielt eine Schiefertafel auf den Knien und schrieb gebückt von Zeit zu Zeit eine Zahl und ein Wort..."

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August Sperl

Richiza

(Historischer Roman)

Mittelalter-Roman, Die Zeit der Kreuzzüge

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-7583-139-2

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Einundzwanzigstes Kapitel
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Vierundzwanzigstes Kapitel
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Siebenundzwanzigstes Kapitel

Wachse wieder empor, hoch über dem Dörflein, wo du einstmals gestanden bist, Grafenburg, vieltürmige trotzige Landwehr Castell!

Sinke zurück in den Erdboden, weithin glänzendes Gotteshaus am Hange des Hügels, sinke zurück, schlanker Turm mit dem Kuppeldache. Komm wieder, kleine Kirche, kleine, uralte Taufkirche des Gaues, nistet in schmalen, rundbogigen Fenstern, ihr Schwalben, wie einstmals, blinket im Sonnenlichte wie ehedem, grausilberne Schindeln auf dem dicken, kurzen Satteldachturme. Klinget wieder, alte Glocken, klinget wie vordem hinaus über die dunkeln Weingärten, die hellen Auen, die wogenden Kornfelder, klinget hinaus ins Frankenland bis an den funkelnden Mainstrom – und klinget leise durch meine Geschichte.

Decket euch wieder mit Stroh, ihr Häuser und Hütten im Dorfe. Wachse wieder empor aus dem verfaulenden Strunke, grüne in alter Kraft, heilige Linde draußen vor dem Burgtor. Hauche den süßen Duft deiner Blüten hinab in den singenden, klingenden Grübertwald; decke die erhitzten Fahrenden mit deinem Schatten; streue goldene Blätter auf den Steinsitz – und rausche leise in mein Lied.

Schmettert eure Weisen in meinen Sang, ihr lustigen Finken, klage empor aus der Tiefe des Grübert, Frau Nachtigall, wenn die Schatten der Bäume länger werden und der Schatten des Bergfrieds sich hinlegt über die Wipfel der Eichen und Buchen wie ein schlafender Riese.

Öffnet eure kleinen Kelche, ihr weißen Maiglöckchen, hebt eure Häupter, ihr goldenen Tulpen zwischen den knospenden Reben an den Hängen hinter der Linde, ihr morgenländischen Fremdlinge. Feiner Duft aus den Blüten des Weinstocks, erhebe dich und durchziehe mein Gedicht. Schwellet, ihr Trauben auf dem sonnigen Hohnert und an der Glutseite des Herrenberges. Brause in tiefen Kellern wie ehedem, gärender Most, funkle in kunstvoll geschmiedeten Bechern, goldiger Wein! Ja, funkle, du goldiger Wein!

Geh auf, ewige Sonne, über den unermeßlichen Wäldern des Hügellandes, das sich ausdehnt gegen Morgen, sende deine Strahlen in die Kammern der Burg und vergiß nicht die Ecken, in denen es dunkel ist. Gieße gleitendes Licht über die kalten Steintafeln in der engen Dorfkirche und blicke freundlich auf die Wappenschilde der Tapfern, die friedlich ruhen in ihren Grüften.

Kommt wieder, Menschenkinder, kommt hervor unter die Sonne! Deine goldbraunen Haare sollen schimmern, wenn du aus dem finstern Tore trittst und leichten Fußes hinübergehst in den Schatten der Linde, kleine Richiza. Und spiele mitleidig über das weiße Haupt des Blinden, barmherzige Sonne, daß er die Wärme genieße, wenn er des Lichtes entbehrt. Wir tappen ja doch alle wie die Blinden in deinem Lichte, o Sonne.

Und du, Frau Sage, setze dich auf den steinernen Grafenstuhl unter die Linde, wenn der volle Mond langsam emporkommt über den schlafenden Buchen des Steigerwaldes, wenn kleine rote Lichter aufleuchten hinter den Fenstern aus Marienglas; wenn der Wächter drunten im Dorfe mit schwerem Schritte einhergeht zwischen den stillen Hütten bergauf und bergab und seinem Horn rauhe Töne entlockt im Wechsel der Stunden; wenn in den Schluchten der Berge die Käuzlein sich zurufen mit lockenden Stimmen, wenn die Grillen zirpen am staubigen Wegrain, wenn die Glühwürmchen fliegen drunten am Waldsaum des Grübert, wenn draußen auf den weißschimmernden Wiesen am unbewegten Wasserspiegel des Grundlosen Loches die sieben Frauen sitzen und schweigen und spinnen.

Ja, komm, Frau Sage, rühr uns an mit deinem Wunderstabe und erzähl uns im webenden Mondlicht unter der flüsternden Linde raunend die alte Geschichte!

Erstes Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Der rothaarige Riese strich etlichemal hastig über seinen Bart. Er stand breit und wuchtig in seinem abgeschabten Lederkoller vor dem sitzenden Herrn und regte sich nicht. Aber seine Äuglein fuhren unstet umher und seine Blicke strichen begehrlich über die bunten Wandteppiche des düsteren Gemaches und über die reichgeschnitzten, schwerbeschlagenen Truhen. Im Frühsonnenscheine blinkte draußen vor den offenen Fenstern die graue Mauer des Bergfrieds, und in leuchtenden Farben grüßte herüber auf den Herrn und den Mann der weißrot geviertete Schild des Hauses Castell.

In tiefem Sinnen saß der alte blinde Graf. Zusammengezogen waren seine grauen buschigen Augenbrauen, und die dreifach geflochtenen Zöpfe des weißen Haupt- und Barthaares hingen ihm herab über Schultern und Brust auf den Gürtel. Zu seiner Linken aber kauerte auf niederm Schemel ein Mann in geistlichem Gewande. Der hielt eine Schiefertafel auf den Knien und schrieb gebückt von Zeit zu Zeit eine Zahl und ein Wort.

»Ich bin ein alter Kerl, Eure Gnaden,« begann der Rote nach einer Weile aufs neue. »Ein alter Kerl und weiß nicht, was mir blüht auf dieser Fahrt.«

Unwillig räusperte sich der Blinde.

»Ich habe fünfzehn Kinder in dem engen Wasserhause,« fuhr der Rote fort. »Der Älteste ist sechzehnjährig, kaum laufen kann die Kleinste.«

Abermals räusperte sich der Alte.

»Ich bringe sie durch,« sagte der Rote, »schlecht und recht, weiß aber manchen Bauern, der die seinen stattlicher hält. Und jetzt, Herr Graf –« Der Riese sank lautlos auf das Knie und hob flehend die gefalteten Hände, als könnte ihn der Greis erblicken in seiner Demut.

»Ich muß dich loben,« sagte der Graf und streichelte den Samt seines Gewandes. »Du hast deine Pflicht getan.«

Der Rote neigte höfisch das Haupt.

»Aber« – nun hob der Alte die Stimme – »es ist nicht Brauch, daß der Mann als Lohn heischt, was immer Gnade des Herrn bleibt nach Lehnrecht.«

Zornig funkelten die Äuglein des Riesen. Aber nur der stille Kleriker sah das verzerrte Gesicht; der Alte hörte eine geschmeidige Stimme und höfische Worte.

»Vergebt, Herr, das Lehn ist klein –«

»Also fünfzig Reiter und dreißig Sarjanten?« unterbrach ihn der Alte.

»Sie sind bereit, Herr Graf,« antwortete der Rote und erhob sich.

»Es ist ein großes Beginnen und kostet schweres Geld,« murmelte der Blinde und stützte das Haupt mit der Rechten. »Aber ich denke, es wird gelingen und meinem Hause zur Aufnahme gereichen.«

»Das denke ich auch,« sagte der Rote mühsam und kratzte zum Zeichen der Unterwürfigkeit mit dem schweren Reiterstiefel über den dicken Fußteppich, beugte das Knie und ging aus der Tür.

Schweigend saß der Kleriker, der alte Mann, und verglich Zahlen und Worte.

Wuchtig und klirrend stampfte der Rote über den Burghof und durch die Ställe, wo die Rosse des Grafen standen in langen Reihen. Ehrerbietig grüßten die Knechte den Mann mit dem weißen Rittergurte. Der aber nickte hochmütigen Dank.

Er trat unter das offene Tor, sah hinüber zur Grafenlinde und murmelte grimmige Worte in seinen Bart. Dann ging er langsam hinab auf den Fahrweg und wieder hinaus in den Schatten des uralt-heiligen Baumes.

Auf der Steinlehne des Grafenstuhles hockte ein schlankes Ding, nicht Kind und noch nicht Jungfrau, und stickte mit Eifer im Rahmen. Ein weißes Gewand umhüllte die zarten Glieder; zierliche rotlederne Schuhe lugten unter seinem Saume hervor. Nackt schimmerten die langen hageren Arme, ein Rosenkränzlein blinkte auf dem goldbraunen Scheitel, und die Fülle der aufgelösten Locken wallte über schmale, eckige Schultern herab. Tief gebückt saß das holde Kind auf der Steinlehne am dunkeln Stamme, und seine Wangen glühten im Eifer der Arbeit.

Ein Schmunzeln ging über das breite Gesicht des Riesen, und mit dröhnender Stimme sagte er: »Das Mägdlein sitzt hier wie Frau Holle unter dem Baume.«

»Mägdlein –?« Die Kleine hob das Antlitz, warf den Kopf zurück und sprach in verweisendem Tone: »Die Jungfrau – Demoiselle –!«

»Potz Blitz!« murmelte der Rote und griff unschlüssig an seine Lederkappe. »Jungfrau –Demoiselle –? Ich habe Euch für das Kind des Vogtes gehalten.«

Spöttisch zog sich die Oberlippe zum feinen Näschen empor, und überlegen sahen die dunkeln Augen herab auf den Kriegsmann.

»Um Vergebung,« sagte dieser zum zweitenmal und lachte ein wenig. »Ich bin schon öfter bei meinem Herrn Grafen gewesen, aber eine Demoiselle habe ich noch niemals gesehen im Schlosse.«

»Dann seht Ihr halt heut eine Demoiselle,« meinte die Kleine, schlug ein Bein über das andere, legte den Stickrahmen in den Schoß und wippte das Füßlein. »Und guckt's Euch nur genau an, das Fräulein Richiza!« setzte sie trotzig mit Lachen hinzu.

Der Kriegsmann strich mit der Linken über seine Lederkappe und sagte: »Um Vergebung, aber mein gnädiger Graf hat doch nur Söhne –?« Er hielt inne und blickte fragend auf das lachende Gesichtchen.

Da blitzte es lustig empor in den großen Augen: »Heiliger Kilian, Ihr wohnt mir gewiß weit hinten im Steigerwalde, Herr Ritter?«

»Warum denn?« murmelte der Rote.

»Weil doch in aller Welt der Ritter seinen Namen der Dame zuerst nennt!« lachte das Fräulein, sprang mit einem unhöfischen Satze vom ehrwürdigen Steinstuhl, legte den Stickrahmen auf den Sitz, trat nahe an den Kriegsmann und sagte: »Gelt, Ihr möchtet nun gar zu gerne wissen, wer ich bin?«

Er nickte und beugte sich ein wenig herab. Sie aber streckte sich auf den Fußspitzen und raunte ein paar Wörtlein in sein großes Ohr.

Mit einer Kniebeuge trat der Rote zurück. »Potz Blitz, da seid Ihr die reiche Erbtochter, von der sie so viel reden in fränkischen Landen? Es ist ein hochberühmter Name, den man weithin kennt im heiligen römischen Reiche, Demoiselle.«

»Gelt?« lachte die Jungfrau ganz vergnügt. Dann aber setzte sie seufzend hinzu: »'s ist doch nicht eitel Annehmlichkeit, solch einen Namen zu führen, könnt mir's glauben. Beim Essen und beim Trinken, beim Gehen und beim Sitzen muß ich den Namen hören von früh bis nacht, und immer soll ich tun, was meinem Namen wohl ansteht, und lassen, was ich gerne täte.« Sie stampfte. »Besonders die Frau Patin!« setzte sie hinzu, seufzte ein wenig, wandte sich ab und zupfte schmollend an ihrem Gewande.

»Die Frau Patin ist wohl recht streng gegen die edle, verwaiste Jungfrau?« meinte der Rote lauernd.

Wiederum warf das Kind seinen Lockenkopf zurück, ernsthaft maßen die dunkeln Augen den Fremden, und mit Zurückhaltung sprach es: »Was kümmert's Euch? Meine Frau Patin ist schon recht, und ich habe sie sehr lieb.« Sie hielt inne und blickte herausfordernd auf den Roten hinüber. Doch dieser machte keine Miene, zu widersprechen. »Und wer seid also Ihr?« sagte sie nach einer Weile vorwurfsvoll.

»Ich bin halt der Tannhauser,« antwortete der Rote leichthin.

Entsetzt trat die Jungfrau zurück: »Der – Tannhauser –? Der grobe Sünder, der?«

Nun war die Reihe zum Lachen am Roten, und er tat es mit dröhnendem Nachdruck, daß seine Äuglein zuletzt im Wasser schwammen. »Der – grobe Sünder?« rief er und wischte die Tränen von den Wangen. »I, Demoiselle, so gradaus ins Gesicht hat mir das doch bis auf diese Stunde nur dann und wann ein Pfäfflein gesagt!«

Glührot wurde das Kind und schlug die Händchen vors Antlitz, wandte sich jählings, raffte den Stickrahmen vom Stuhle und stieß hervor: »Zu dumm – der wirkliche Tannhauser ist ja schon lange gestorben!« Sie hob das weißschimmernde Gewand und sprang in unhöfischen Sätzen hinab auf die Burgstraße und den Fußpfad empor zum Pförtlein des Schlosses.

»Der grobe Sünder!« murmelte der Tannhauser, lachte und wischte seine Äuglein. Dann setzte er sich auf den verlassenen Steinstuhl unter der Grafenlinde und gedachte zu warten auf das Zeichen der Mittagsglocke.

Höher stieg die Sonne, und aus den Gärten der Burg kamen Wohlgerüche von Blumen und blühenden Sträuchern. Zusammengesunken saß der Rote auf dem ehrwürdigen Grafenstuhl und schlief.

Als er endlich erwachte, stand ein Jüngling im Schatten der Linde und besah ihn mit großen Augen.

Mit zwinkernden Lidern blickte der Rote auf das Antlitz des Jägers, besann sich, sprang auf und bog schwerfällig das Knie zu höfischem Gruße. »Ulrich von Tannhausen,« sagte er in unterwürfigem Tone.

Ein feines Rot stieg in das Gesicht des Knaben, und mit rascher Bewegung streckte er dem Alten die Hand entgegen. Der griff gebückt danach und wollte sie küssen. Aber das mochte der Knabe nicht leiden. Ganz erregt klang seine Stimme, als er sprach: »Ich weiß wohl, wer Ihr seid, und ich sollte das Knie beugen vor Euch, nicht aber Ihr vor mir!«

»Vor dem Sohne des Herrn geziemt dem Knechte Kniebeuge und Handkuß,« murmelte der Rote.

»Sohn eines Herrn kann jeder sein,« rief der andre hastig. »Aber nicht jeder heißt Ulrich der Tannhauser, und nicht jeder hat den Schrecken unter die Ungläubigen getragen, und nicht von jedem singen die Fahrenden auf den Märkten, Herr.«

»Herr?« wiederholte der Rote in verweisendem Tone. »Knecht!« setzte er nach einer Weile bei und verzog bitter lächelnd sein Gesicht. »Tannhauser, der Knecht des Grafen Castell.«

»Ein Knecht, von dem die Fahrenden singen unter dem blühenden Lindenbaum, ein Knecht, von dem sie sagen beim prasselnden Kienspan?« rief der Knabe. »Ei, Herr, da wollt' ich doch auf der Stelle auch solch ein Knecht meines Vaters werden!«

Der Rote lächelte trübe: »Ihr wißt Eure Worte zu setzen wie ein Sänger, Jungherr. Aber Ihr redet von Geschichten, die man längst schon vergessen hat in den Burgen des Iffgaus –«

Der Knabe hob abwehrend die Hand.

»– dort vergessen hat, wo sie mir nützen könnten,« vollendete der Rote.

»Ihr irrt!« rief der Knabe. »Unsre Frau Mutter weiß zwei, nein, drei Lieder, die vom Tannhauser sagen, und hat sie gar oft schon zur Laute gesungen. Und auch der Herr Vater ist stolz, daß Ihr sein Mann seid, ich weiß,« setzte er eifrig hinzu.

Der Rote starrte auf den blonden Herrensohn. Seine Fäuste preßten die alte Lederkappe, er leckte seine trockenen Lippen und stieß unhöfisch heraus: »Die Frau Mutter? Ei, dann gehet doch hin und sagt ihr: Frau Mutter, der Tannhauser von ehedem ist alt geworden und soll sich in seinen alten Tagen noch raufen für seinen Herrn. O ja, er will's auch tun als ein ehrlicher Kerl. Aber ist's etwa unrecht, wenn er ans Sterben denkt in dieser geschwinden Zeit? Und wißt Ihr denn nicht? Zehn Buben hat er und fünf Mädels dazu – sind fünfzehn. Und alle fünfzehn wollen im Ritterstand bleiben und können doch nit nagen und beißen von den Tannhauserliedern unterm Lindenbaum, und der Alte kann sie nit kleiden in morgenländische Sagen. Ei, gehet doch hin, Jungherr, und Eure Frau Mutter soll ihn bitten, den gestrengen Herrn, daß er dem Alten leihe zu dem geringen, auf dem er sitzt, ein andres, lediges Gut für Leben und Sterben!«

Mit gesenkten Augen stand der Knabe und spielte verlegen mit dem Griffe seiner Seitenwehre.

»O, tut's!« bettelte der Tannhauser mit bebenden Lippen und hob die gefalteten Hände samt der Lederkappe. »Erbarmt Euch über meine Armutei!«

»Ihr seid arm? O weh!« sagte der Knabe mit ehrlichem Mitleid. Und hastig, mit niedergeschlagenen Augen fragte er: »Wie lange bleibt Ihr bei uns?«

»Bis morgen,« murmelte der Rote. Und mit abgewandtem Gesichte, halb trotzig und halb verlegen, setzte er hinzu: »Gelt, davon haben Euch die Fahrenden kein Lied gesungen?«

Mit leichtem Kopfnicken wandte sich der Herrensohn. »Wir sehen uns bei Tische!« sprach er über die Schulter zurück.

Tief beugte der Tannhauser das Knie und biß sich auf die Lippe. Dann aber sprach er grimmig in den Bart: »So helf, was helfen mag!«

Auch der Knabe murmelte etwas, als er zum Tor hinanstieg. Aber es verwehte im Lufthauche des Mittags.

Der Knabe ging über den Schloßhof und sprang die steinerne Freitreppe zum Palas hinauf, stieß die Tür zurück und lief den Laubengang hinunter, pochte an die Kemenate der Mutter und schlüpfte hinein.

Schrägher fielen die Strahlen der Abendsonne und gossen über die Mauern des Bergschlosses ihr rosiges Licht. Die Vögel sangen im Grübertwalde, und die Bienen summten in den Blüten des Burggartens. Im Turme der Dorfkirche erklang die Abendglocke, und droben im dämmerigen Gemache saß wie gestern der alte blinde Graf in seinem Stuhle, und plump und wuchtig stand wie gestern vor ihm sein Mann.

Beim Klange der Glocke entblößte der Blinde das Haupt und schlug das Kreuz, und gleich ihm fuhr auch der Rote mit der schweren Hand über sein verzerrtes Antlitz. Und es war still in dem großen Gemache, bis das Gebimmel verklang.

Dann setzte der alte Herr die Samtmütze wieder auf den Schädel und fuhr fort in seiner Rede:

»Jawohl, Tannhauser, auf krummen Wegen –«

»Herr!« brachte der Rote mühsam heraus.

»Schäme dich, Tannhauser, durch den Sohn und durch die Frau hast du's erbetteln wollen, was doch freie Gnade des Herrn ist. Hörst du, freie Gnade!«

Die Augen des Roten waren mit Blut unterlaufen, und ein häßlicher Blick streifte über den blinden Herrn.

»Nun erst recht nicht, Tannhauser!« schloß der Graf seine Rede. »Geh nach Hause und tu deine Pflicht! Das andre wird sich finden hernach.«

Höfisch beugte der Rote das Knie. Nachlässig streckte ihm der Greis die Rechte entgegen, und die bärtigen Lippen des Mannes berührten die schmale weiße Hand.

Die Tür öffnete und schloß sich. Sporenklirrend schritt der Lehnsträger durch den Laubengang, die Freitreppe hinab in den Hof, schwang sich auf seinen Klepper und ritt aus dem Tore. Vor ihm und hinter ihm liefen schweigend seine Leute mit geschulterten Hellebarden.

Draußen vor den Palisaden, weit drüben am Saum des Bergwaldes hielt er an, ließ alle seine Leute voraus, wandte das Roß und blickte aus halbgeöffneten Augen zurück auf die Grafenburg, deren Zinnen glänzten im Abendscheine. Er ballte die Faust und stieß einen Pfiff durch die Zähne.

Mit gefalteten Händen saß die Gräfin auf dem Schemel vor ihrem Gemahl. Ihr freundliches Antlitz war bleich, und nachdenklich blickte sie auf den Teppich des Fußbodens.

»Ist's klug gehandelt?« fragte sie leise.

»Klug – was klug?« murrte der Greis.

»Karg wird er dich nennen, mein Herr,« flüsterte die Gräfin und wagte nicht, die Augen zu erheben.

Der Blinde fuhr empor: »Karg?« Dann aber lachte er.

»Und warum erhältst du dir seinen guten Willen nicht, gerade jetzt in der geschwinden, gefährlichen Zeit?« fragte die Herrin.

»Seinen guten Willen?« Der Blinde stand auf und ging langsam, mit vorgehaltenem Arme die Truhen entlang in die Tiefe des Gemaches. »Hier gibt's keinen guten Willen – hier gibt's nur Recht und Pflicht von alters her. Wenn ich die Boten laufen lasse, dann reiten hunderteinundzwanzig Lehnsleute mit ihren Knechten herauf und keiner fragt, warum. Und der eine« – die Stimme des Blinden klang hoch und zornig und überschlug sich – »der eine feilscht mit mir um seinen Lohn!«

»Der eine ist dein bester Mann,« sagte die Gräfin. »Und er hat zum Fürchten ausgesehen.«

»Zum Fürchten?« grollte der Graf. »Mag sich fürchten, wer will. Hab's nicht gelernt in der Jugend, kann's also auch nicht im Alter.«

»Schick ihm einen Boten nach, versprich ihm den Lohn,« flehte die Gräfin.

»Wenn alles vorbei ist, wird er ein Lehn empfangen.«

Hastig rief sie: »Darf ich ihn das wissen lassen, ganz im geheimen?«

»Nein!« sagte der Alte drohend.

Sie preßte die Hand auf die Brust und flüsterte: »Ich fürchte mich.«

Der Blinde gab keine Antwort.

Tränen rollten über die schmalen Wangen der Herrin, mit gefalteten Händen saß sie schweigend aus ihrem Schemel.

»Ruf mir den Pfaffen,« sagte der Graf nach einer Weile.

Desselbigen Abends saß der Kaplan in seiner Turmstube und schrieb auf gutes Pergament eine schwarzglitzernde Zeile unter die andre. Da war zuletzt in holprigem Latein zu lesen, daß der Graf dem ehrbaren und festen Ulrich von Tannhausen und seinen Erben für alle Zeiten zu rechtem Mannslehn versprochen habe die zweite Burg im Walde samt zwanzig Huben.

Der Schreiber zog den pergamentenen Streifen durch den Fuß des Briefes, erhitzte über dem Flämmchen seiner Kerze gelbes Wachs und goß ein weniges davon in ein Kupferschälchen, legte den Streifen darein und goß das Schälchen voll bis zum Rande, nahm das eiserne Petschaft und drückte das Wappenbild seines Herrn tief in das weiche Wachs. Dann ließ er das Ganze erkalten, hob es heraus und ging zum Grafen hinab.

Tastend fuhr die Hand des Blinden über Schrift und Siegel. Eintönig klang die Stimme des Pfaffen, als er den Brief las.

»Setze das heutige Datum ein!« befahl der Greis. Schweigend schraubte der Kleriker den Deckel vom Tintenhorn, nahm die Feder und schrieb.

»Und nun leg den Brief in die zweite Truhe dort hinten!« sagte der alte Mann. »Da liegt er gut.«

Der Kleriker tat nach seinem Befehle. Zornig aber murmelte der Graf: »Nur fordern hätt' er nicht sollen, was ich ihm längst schon zugedacht hatte aus Gnaden!«

Zweites Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Er lag nicht gut in der Truhe, der Brief. –

Bis in die sinkende Nacht ritt der Tannhauser und blieb zur Herberge in einem Dorfe des Waldes. Am andern Tage ritt er seines Weges fürbaß und kam zu früher Stunde nach Hause zurück.

Das Wetter wollte sich ändern. Schwere Wolken hatten den Himmel überzogen; jeden Augenblick konnte es regnen.

Mit finsterm Antlitz hielt der Reiter hoch droben am Waldrande, derweil seine Leute voraus über die Steine des aufgerissenen Hohlweges zu Tale liefen.

Mit scharfen Augen sah er hinab ins enge Tal, hinüber auf seine Burg, die klein und grau und moosgrün in dem großen eirunden Teiche lag und ihre dicken Türmchen in dem bleifarbigen Wasser spiegelte.

Und in den scharfen Augen des Tannhausers spiegelte sich das Storchennest des Dachfirstes, und ganz genau sah er die kleinen Köpfe vor dem alten Storch, der auf dem Nestrande stand und die hungrigen Schnäbel äzte. Er sah das schadhafte Schindeldach der armseligen Wasserburg, er sah die elenden Hütten des Dorfes. Er hatte das alles noch nie so scharf gesehen wie heute. Und er gedachte der landbeherrschenden Grafenburg, auf deren Frieden er gestern geritten war, er seufzte tief auf und lenkte den Klepper in den Hohlweg.

Der Brief lag nicht gut in der Truhe des Blinden.

Kein Lüftlein regte sich, und es begann leise zu tröpfeln. Vorsichtig, schrittweise tastend, trug das starkknochige Pferd den schweren Mann zu Tal. Im Trabe durchritt er das Dorf, schreiend flogen die Gänse zur Rechten und Linken zwischen die Hütten, und manch ein Antlitz fuhr beim Klang der Hufe vom Fensterloche zurück.

Der Tannhauser hielt den Klepper an, und seine finsteren Züge hellten sich auf. Vom Waldrande zur Linken hinter der Burg kam ein Haufe Gewappneter getrabt und machte halt am Ufer des Weihers.

Der Tannhauser winkte, hob ein kleines Horn an die Lippen und stieß hinein. Da rückten die gewappneten Reiter zum Keile zusammen. Abermals erscholl der Hornruf, und der Keil setzte sich in Bewegung.

Der Klepper des Roten spitzte die Ohren, stampfte den Rasen und wieherte hellauf. Im Trab, im Galopp, im gestreckten Laufe brauste die Schar schräg über den Hutwasen. Dumpf dröhnte der ausgetrocknete Erdboden unter der Wucht der Hufe.

Zum drittenmal entlockte der Rote dem Horn die durchdringenden Töne.

Weit drüben beim alten Birnbaum hielten die Reiter und wandten die schnaubenden Rosse. Im Galopp aber sprengte ihr Führer zum Roten heran.

Schrittweise kamen die beiden nebeneinander zur Wasserburg.

Über die Holzbohlen der langgestreckten Brücke rumpelte eine Schar Buben.

»Sachte, sachte!« rief der Tannhauser mit dröhnender Stimme hinunter in den Knäuel. Aber schreiend und jauchzend hängten sie sich an Roß und Reiter.

Schwerfällig schwang sich der Alte aus dem Sattel, und zu acht führten seine Jungen den müden Klepper über die Brücke. Hohl klang sein Hufschlag auf den eichenen Bohlen.

Noch ein paar Worte sprach der Tannhauser mit dem Führer der Schar. Dann sprengte dieser zurück. Der Tannhauser aber ging langsam über die Brücke.

Stärker fielen die Tropfen und klatschten in den Weiher. Zahllose Ringe fuhren auseinander und verschwanden spurlos auf der grauen Fläche.

Der Tannhauser trat ins Tor seiner Burg, ging über das enge, dumpfige Höflein und kam durch die rundbogige Tür in den düsteren Wohnbau.

Aus der Küche quoll beißender Herdrauch. Eine hohe schmale Gestalt löste sich aus dem Qualm, zwei rotgeränderte Augen suchten den heimkehrenden Herrn, eine zerarbeitete Hand streckte sich ihm entgegen, eine heisere Stimme bot ihm den Willkommgruß.

Hüstelnd zog sich das Weib in die Küche zurück.

Mit einem tiefen Seufzer stieg der Rote die enge Wendeltreppe hinan, trat in sein Schlafgemach und schlug die Tür ins Schloß.

Er trat an das offene Fenster und blickte hinaus auf den Hutwasen. Noch immer tummelten sich die Söldlinge, trotz dem linden Regen, der nun herniederrauschte.

Tief herab hingen die Wolken an den waldbedeckten Hügeln, und mit finsterem Antlitze stand der Burgherr im Fenster.

So scharf wie heute hatten seine Augen noch niemals gesehen: nicht bloß das bösgeflickte Schindeldach seines Hauses und die armseligen Lehmhütten seiner Eigenleute drüben am Rande des Hutwasens, sondern auch die zermürbten Wämser seiner rotwangigen Buben und das vergrämte Gesicht seines hüstelnden Weibes – noch niemals hatten seine Augen das alles so klar gesehen wie heute. Er stand mit finsterem Antlitz und halbgeschlossenen Augen, und es war ihm, als hörte er die seidene Schleppe der Gräfin über Teppiche rauschen, als sähe er den blinden Grafen hochaufgerichtet sitzen zwischen den kostbaren Truhen im halbdunkeln, vertäfelten Gemache.

»Eng – eng – alles zu eng!« sagte er und wandte sich ab.

Langsam und in regellosem Haufen ritten die Söldlinge über den Hutwasen, ritten im Bogen um den Burgweiher zurück in das Hüttenlager am Waldsaume. Der Tannhauser aber streckte sich in den Kleidern auf sein Bett und schloß die Augen.

Der Brief lag nicht gut in der Truhe des Blinden.

Vom Dörflein tönte das Gebimmel der Mittagsglocke herüber.

Etliche Buben stürmten die Wendeltreppe empor. Die Tür ward aufgerissen, und mit Gepolter drang es herein. »Herr Vater, Herr Vater, kommen sollt Ihr!« keuchte der Älteste.

»Wohin?«

»'runterkommen sollt Ihr, 's ist einer draußen auf der Brücke.«

»Hat ein schwarzes Aug' in sei'm Gesicht,« piepste der Jüngste.

»Du Ochs, einäugig ist er und trägt überm andern Aug' einen schwarzen Tuchfleck!«

»Drei sind's. Führen Saumrösser, zwei Saumrösser mit sich. Kaufleut' sind's.

»Brauch' nichts.«

»Haben Schwerter und Kübel und Schild', Herr Vater.«

»Kramschwerter!« sagte der Rote verächtlich und streckte die Glieder.

»Schilde mit Kokodrillenhaut!« bemerkte der Älteste und machte ein geheimnisvolles Gesicht.

»Mit Kokodrillenhaut? Solche sind gut,« meinte der Tannhauser.

»Was ist ein Kodadrill?« fragte der Zwölfjährige.

»Kokodrill ist ein großer Wasserwurm, lebt im Morgenland. Nicht, Herr Vater?« belehrte der Älteste.

Der Rote gab keine Antwort, erhob sich schwerfällig vom Lager und ging aus der Tür. Um die Wette sprangen seine Buben vor ihm her die Wendeltreppe hinunter.

Es regnete nicht mehr; da und dort lugte sogar schon wieder ein Stücklein blauen Himmels hervor. Jenseits des Weihers hielten die fremden Knechte mit den starken Saumrossen. Mitten auf der Brücke aber stand der Kaufmann, spuckte von Zeit zu Zeit ins Wasser und sah dem Treiben der wimmelnden Fischlein zu.

Die Buben rannten aus dem Tor und polterten auf die Brücke: »Er kommt, er kommt!«

Nachlässig wandte sich der Fremde und sah dem Herrn entgegen. Langsam griff er zum Gruß an die Lederkappe, fast unmerklich beugte er das linke Knie. Dann stand er wieder steif und gerade, und die Linke stützte sich auf den Knauf des Dolches im Gürtel.

»Waffen?« fragte der Burgherr.

»Waffen,« nickte der Fremde und musterte den Roten mit dem einen glotzenden Auge.

»Welcherlei?«

»Allerlei,« kam die Antwort zurück. »Schwerter aus Bayerland, Bernhardshauser Hüte, hessische Platten.«

»Potz!« rief der Rote und wandte die Äuglein begehrlich hinüber zu den Saumrossen.

Der Kaufmann winkte. Der Tannhauser ging voran ins Tor hinein. Händler und Knechte folgten mit den schwerbeladenen Rossen.

Drei Tage schon weilte der Fremde in der Wasserburg. Seine Knechte hatten eine Feldschmiede aufgeschlagen, und vom Frühlichte bis zur sinkenden Sonne erklang das Hämmern im Tale. Urväterische Kübel und zerstoßene Schilde, schartige, verrostete Schwerter wurden aus der Waffenkammer auf den grünen Wasen geschleppt, und auch die Söldlinge trugen ihre zerbrochenen Wehren herbei. Unermüdlich standen die Buben des Tannhausers um den Amboß, freuten sich, wenn das glühende Eisen wachsweich wurde und wenn die Funken sprühten, bestaunten das kunstfertige Treiben der Fremden und taten Handreichung. Und sie waren von unerhörter Billigkeit, diese fahrenden Leute. Wohl zehnmal des Tages ging der Tannhauser in seine Waffenkammer, klopfte prüfend auf den Bernhardshauser Kübel, den er um ein Spottgeld erworben hatte, und strich liebkosend über ein neues Ringelhemd, das auf dem Holzgestell funkelte. Sein Ältester aber folgte dem Waffenhändler wie ein treues Hündlein auf Schritt und Tritt, seit ihm dieser das kleine Schwert am schwarzen Ledergurt um die Schulter gehängt hatte. Und es gab nur einen einzigen Menschen im Tale, der feindlich gesinnt war gegen die Fremden: der alte halbblinde Dorfschmied sprach mit Verachtung von dem hergelaufenen Volke. –

»Und wann hebt also der Tanz an?« fragte der Einäugige am vierten Nachmittage wie von ungefähr den Burgherrn, als sie beide dem Buhurd der Söldner auf dem Hutwasen zusahen.

»Was für 'n Tanz?« gab der Tannhauser mürrisch zurück und ließ die Lider halb über die Äuglein sinken nach seiner Gewohnheit.

»Nu, für die Kirchweih werden die achtzig Wänste ja doch nit gefüttert,« lachte der andre.

»Für meinen Grafen und Herrn,« murrte der Tannhauser und wandte sich der Burg zu.

Hart neben ihm ging der Händler und sagte leichthin: »Ihr wollt Blindekuh spielen mit dem Einäugigen. Weiß aber doch jedermann drunten in Franken, wem's gilt.«

»Was kümmert's mich? Sollen sie schwätzen, was sie wollen, drunten in Franken und hier oben im Steigerwald!« sagte der Burgherr in barschem Ton.

»Ja, wenn einer halt fünfzig Reiter und dreißig Sarjanten sechs Wochen lang mit Tarnkappen über den Kübeln im Buhurd üben könnt'!« lachte der Händler. »Aber recht habt Ihr, Euch kann's einerlei sein, ob's nun gegen den Bischof geht oder gegen den Burggrafen oder gegen eine Stadt –«

»Ganz einerlei,« versicherte der Rote im gleichen patzigen Ton.

»– denn Ihr werdet ja doch immer Euer Schäflein scheren, so oder so,« vollendete der Fremde seine Rede.

»Schäflein scheren? Jawohl, hat sich was!« entschlüpfte es dem Roten. Doch alsogleich biß er sich auf die Lippe und schwieg.

Ein lauernder Blick streifte von der Seite her sein Gesicht, das noch tiefer gerötet war als sonst, und vertraulich fuhr der Händler fort: »Will's Euch offen sagen, Herr. Bitt' aber, nehmt mir's nicht krumm, 's ist gut gemeint.«

»Was?« stieß der Tannhauser hervor.

»Ihr müßt auch an die Zukunft denken und sorgen für Eure zwanzig Kinder!«

»Fünfzehn!« murrte der Rote, während sie über die Holzbrücke schritten.

»Fünfzehn,« entschuldigte sich der Händler. »Eure Buben können doch kein Handwerk lernen?«

»Handwerk? Daß mich vorher dieser und jener holte!« rief der Tannhauser, blieb stehen im dunkeln Tor und reckte sich, pustete und schlug an seine Wehr.

»Oder Handel treiben?« hetzte der Fremde.

»Mit Kramkörben durchs Land ziehen – die Urenkel der edeln Landherren?« schrie der Rote, daß es hallte im Höflein.

»Ich weiß, ich weiß,« beeilte sich der Händler zu sagen. »Ihr habt mir's ja gestern alles erzählt.«

»Und erzähl's jedem, wem's not tut, heut und morgen!« rief der Burgherr, griff nach dem Wamse des Fremden und zog ihn zurück auf die Brücke. Er stand hoch aufgerichtet, streckte die Rechte aus und wies empor zu dem kahlen Hügel, den der zerfallene Wachtturm krönte. »Kommt mit, jetzt auf der Stelle kommt mit, und ich will's Euch zeigen, wie weit unser Blutbann gereicht hat im Waldland. Ich will's versuchen. Aber man sieht gar nicht so weit von dem Hügel, und er ist doch der höchste im Umkreis.«

Lächelnd nickte der andre: »Ich glaub's Euch, ich glaub's Euch. Man darf Euch ja nur ansehen, Euch und Eure Buben, und man weiß es, ohne viele Worte weiß man's – Herrenleut' sind's.«

Der Rote machte ein hochmütiges Gesicht und wandte sich dem Tor zu.

Gleich war der Fremde wieder an seiner Seite, und schmeichelnd und eindringlich fuhr er fort: »Was aber soll werden aus den wackeren Buben, dem edeln Blut?«

Einer von den Jungen rannte aus dem Stall über den Hof.

»Halt!« rief der Tannhauser. Und wie angewachsen stand das Kind. »Komm her!«

Eilig lief der Knabe heran und sah erwartungsvoll zum Vater empor.

»Was willst einmal werden, Rudilo?«

Der Knabe lachte:

»'n Reiter! Was sonst?«

»Geh!« befahl der Tannhauser, und leichtfüßig sprang der Knabe in die Kemenate.

»Da hört Ihr's,« lachte der Rote. »Fragt alle zehn, und alle zehn werden Euch das gleiche sagen.«

»'n Reiter – wohl,« murmelte der Händler. »'n Reiter,« wiederholte er. »Und der Herr Graf wird sie zu ihrer Zeit in Gnaden belehnen zu gesamter Hand alle zehn mit« – er hielt inne, drehte sich langsam, beschrieb mit der ausgestreckten Rechten einen Kreis und verzog das Gesicht – »mit diesem weitläufigen Wasserschlosse, und sie werden hausen zu zehnt als wackere Gauerben in diesen Palassen bis an ihr selig End' –«

»Fahrender?!« unterbrach ihn der Burgherr und schnappte nach Luft. »Händler, willst du mich zwischen meinen eignen Mauern verhöhnen?«

»Verhöhnen?« raunte der Fremde und glotzte dem Erregten mit dem einen Auge ins rote Antlitz. »Ei, Herr, jetzt ist die Reihe zu spotten an Euch. Ihr könnt mir sagen: Du Narr, meinst vielleicht, der Tannhauser hat nicht an die Seinen gedacht? Das wird nun meine letzte Kriegsfahrt sein« – der Händler hielt inne und bohrte den Blick auf den Burgherrn – »die Fahrt gegen den Bischof. Du Narr, meinst, ich diene mit allem, was ich gelernt hab' im Abendland und im Morgenland, einem kargen Herrn? Du Narr, mein Herr ist ein reicher Herr, und ich weiß, was ich will –«

Der Tannhauser wandte das dunkelrote Antlitz zur Seite.

»– weiß, was ich will,« sagte der Händler zum zweitenmal und verfolgte den Roten mit dem glotzenden Auge. »Sorg du für dich, Narr! Noch den einen Feldzug gilt's, dann aber werden meine Buben nimmer in geflickten Wämsern einherlaufen!«

Der Tannhauser ging mit geballten Fäusten und gesenktem Haupt in die Haustür. Auf den Fersen folgte ihm der Fremde und fuhr fort zu flüstern und zu zischeln: »Nimmer in geflickten Wämsern einherlaufen wie Armleutbuben – die Herrenkinder, und mein Weib wird sich nimmer am Waschtrog mühen wie eine Hörige, und ich werde nimmer –«

»Ich weiß nicht, warum ich dich nicht mit Hunden aus dem Burgfrieden hetze?« raunte der Tannhauser halb rückwärts und öffnete die Tür seiner Stube.

Der Fremde folgte ihm über die Schwelle, zog die Tür ins Schloß, spähte mit raschem Blick in alle Winkel, strich über sein Gesicht und zog die Binde vom Auge, nahm die Ledermütze ab, daß ein blanker Schädel sichtbar wurde, trat mit einem Schritt hinter den Roten, klopfte ihn auf die Schulter und sagte mit leisem Lachen: »Weil ich recht habe, Utz!«

Der Tannhauser fuhr herum, wich zurück und stand mit offenem Munde vor dem Verwandelten. Endlich brachte er heraus: »Du, Beringer Haberkorn?«

Lachend nickte der andre.

»Und was willst du von mir?«

»Jetzt nicht, Utz, aber heut nacht, wenn dir's recht ist,« sagte Beringer Haberkorn, legte sorgsam die Binde über das Auge und stülpte die Lederkappe über den blinkenden Schädel.

Nacht war's. Die Leute in der Burg, im Dorf und im Hüttenlager draußen am Waldrande schliefen. Nur in der Stube des Herrn brannte ein Licht.

Am schweren Eichentische in der Ecke des Gemaches saßen die beiden, und ihre Gesichter waren gerötet. Der Tannhauser hatte sich zurückgelehnt im hölzernen Armstuhl, blickte empor in den Lichtschein, den das Talglicht an die dunkeln Balken der Decke warf, und strich von Zeit zu Zeit über Gesicht und Bart, als wollte er etwas abwischen. Der Kaufmann aber hatte die Ellbogen auf die Tischplatte gestützt und die Fingerspitzen aneinander gelegt und sah unverwandt auf sein Opfer.

»Wir können ja reden wie vorzeiten im Lager, wenn uns der Schlaf in der Hitze verging. Was wird's schaden, wenn wir reden? Nur reden, weiter nichts. Das Wort springt von der Lippe und verweht in der Luft. Es ist ja wohl auch nichts mehr vorhanden von dem, was wir uns damals gesagt haben.«

Er nahm einen Schluck und stellte den Becher mit hartem Klang auf den Tisch, beugte sich zum Roten hinüber und fuhr halblaut fort: »Weißt noch, Utz, was wir geredet haben Anno dazumal hinter Akkon im Lager und von Pferd zu Pferd im Wüstensand?«

»Laß mich, wir sind zwei junge Kerle gewesen und haben nichts vom Leben gewußt,« grollte der Tannhauser.

»Je nun, wie man's anschaut,« flüsterte der Kaufmann. »Wir haben genug gewußt vom Leben, aber wir haben nicht zugegriffen zur rechten Zeit. Jawohl, wir zwei. An mich kommt's freilich nimmer. Bin des Bischofs Mann, reit' seine Rosse und trag' die Kleider, die er mir schenkt. Wär' auch lieber ein großer Herr, darfst's glauben. Knechtsbrot – hart Brot. Je nun, ich bin ein einschichtiger Schnapphahn, hab' für niemand zu sorgen als für mich. Du aber hast's noch einmal in der Hand, vielleicht, nein, gewiß zum letztenmal. Tannhauser, ich rat' dir gut.« Er hielt inne.

Der andre sagte kein Wort, und es war stille in dem großen, dumpfigen Gemache. Lange saßen die beiden wortlos voreinander, nachdenklich der Herr, lauernd der Gast. Und hinten in der Ecke begann ein Mäuslein vernehmlich zu nagen.

Nach einer Weile verlegte sich der Bischöfliche aufs schmeicheln: »Ich seh's ja, du bist noch immer der Tannhauser von damals, der Gradan, der Draufgänger, der Biedermann –«

»Der bin ich,« murmelte der Riese, streifte mit einem scheuen Blick das lauernde Gesicht des andern, erhob sich und ging hinter in die Dunkelheit.

»Schaust nicht rechts und schaust nicht links und rennst in dein Verderben,« vollendete der Kaufmann. »Weißt noch, wie damals die Venediger die ganz alten, schlechten Schiffe genannt haben?«

»Totenkisten,« kam's aus der dunkeln Ecke.

»Totenkisten,« sagte der Gast, »ganz richtig, Totenkisten. Und schau, mit solch einer Totenkiste willst du nun in deinen alten Tagen die Fahrt machen. Hör mich ganz ruhig an, Utz! Was weißt denn du Biedermann von den Welthändeln? Dein Graf hat dir einen Boten geschickt und Geld – will hoffen, viel Geld –, hat dir wissen lassen: Heerfahrt gibt's, wirb mir achtzig und halt sie verborgen. Du hast nicht dies gefragt und hast nicht jenes erkundet, du hast getan, was dir befohlen war –«

»Nach Mannenpflicht!« kam es aus der finsteren Ecke.

»Mannenpflicht!« Der Gast lachte höhnisch.

»Es gibt auch ein Mannenrecht, nicht nur eine Mannenpflicht, und das Recht hat dort seinen Anfang, wo die Pflicht aufhört.« Er erhob sich, stemmte die Fäuste auf den Tisch und sprach nun, als wäre der andre gar nicht mehr vorhanden, über das flackernde Flämmlein der Kerze hinüber an die Wand: »Zwei Bischöfe sind zu viel für einen Stuhl. Also wird's drauf ankommen, wer von den zweien den andern hinausdrückt.«

Regungslos lauschte der Burgherr in der finsteren Ecke, und das Mäuslein nagte nicht mehr.

Der Bischöfliche aber fuhr fort: »Ja, die zwei! Der eine ist ein alter Mann und säße auch lieber daheim. Jetzt ist er Bischof worden, weil seine Brüder und dein Graf also gewollt haben. Und jetzt soll er in den Sattel steigen, soll sich seine Stadt erobern, mag er nun wollen oder nicht.« Der Bischöfliche wandte sich und fragte mit halblauter Stimme: »Wie viele schickt ihm dein Graf?«

Der Tannhauser schwieg.

»Brauch's nicht zu wissen von dir, weiß es selber,« lachte der Gast. »Willst du's hören? Dreihundert Rosse – wenn's hoch kommt –«

Der Tannhauser schwieg.

»Und weißt du, wie viel euer Bischof mit seinen Brüdern auf die Beine bringt? Du weißt's nicht, denn du bist ja der Biedermann, der nicht rechts schaut und nicht links, sondern geradaus ins Verderben rennt. Aber ich will dir's verraten: auch dreihundert, wenn's hoch kommt. Dagegen der unsrige Bischof – willst weiter hören?«

»Red weiter!« murmelte der Tannhauser und hustete ein wenig. »Weiter!« stieß er zum zweitenmal hervor, als hätte ihn der andre nicht verstanden.

Der Bischöfliche ging mit leisen Schritten bis in die Mitte der Stube und sagte: »Es kommt gar nimmer auf dich an, Utz. Der eurige hat verloren, ehe er anfängt. Die Domherren sind zwiespältig, so ist's. Aber was tut's? Der unsrige ist ein junger Herr und ein starker Held, und die Bürger von Würzburg sind samt und sonders auf seiner Seite. Tausend verdeckte Rosse stehen da, wenn er in die Hände patscht.«

»Wir achthundert werden fertig mit ihm!« rief der Tannhauser eifrig.

Ein Lächeln ging über das Gesicht des Fremden. »Achthundert?« murmelte er. Dann aber rief er leichthin: »Mag sein, daß ihr fertig werdet mit ihm. Doch was nutzt euch das alles zuletzt, wenn der Heilige Vater dem unsrigen hilft?«

»Der Heilige Vater?« fragte der Rote und kam aus seiner Ecke hervor. »Der Heilige Vater? An den hab' ich noch gar nicht gedacht.«

Der Bischöfliche ging ihm ein paar Schritte entgegen und raunte: »Der unsrige ist auf dem Weg nach Rom, und ehe zwei Monate vergehen –« Jetzt neigte er sich und flüsterte nahe am Ohr des andern etliche Worte.

Nachdenklich stand der Tannhauser inmitten der Stube; der Bischöfliche aber ging mit leisen Schritten zurück an den Tisch, setzte sich und nahm einen Schluck aus dem Becher.

»Das ist freilich schlimm,« murmelte der Tannhauser nach einer Weile, kam auch heran zum Tisch, setzte sich in den Armstuhl, verbarg das Haupt in den großen Händen und schwieg. »Das ist ja freilich eine Totenkiste,« meinte er nach einer Weile in tiefen Gedanken.

Das Mäuslein in der Ecke begann wieder zu nagen, der Bischöfliche aber griff in sein Wams, zog einen strotzenden Beutel hervor und warf ihn auf den Tisch.

Der Rote nahm die Hände vom Gesicht, der Kaufmann löste die Riemlein, stürzte den geöffneten Beutel und schüttete seinen klirrenden Inhalt auf die Platte.

Hastig schlang der Rote die Arme um die rollenden Silberstücke, und nachlässig wischte der Bischöfliche all das Geld mit der gekrümmten Rechten auf einen Haufen zusammen. Dann ballte er die Linke und hielt sie dem Burgherrn unter die Augen: »Schau, Utz, und schau du jetzt für dich und alle deine Kinder und Kindeskinder. Das ist deine Zukunft – das da und das da. Hier das Geld, das du siehst – und hier in der Faust das Elend, das du nit siehst. Und jetzt greif, was dir lieb ist!«

Der Burgherr räusperte sich, stand auf, ging zur Tür und schob den Riegel vor. »Still, still!« mahnte er mit heiserer Stimme. »Mein Weib hat einen leisen Schlaf.« Dann kam er an den Tisch zurück, schob die zitternden Hände in die Hosentaschen, senkte den Kopf, grub das Kinn tief ins Wams und sah stier auf den blinkenden Haufen. »Das – ist ein – großes – Dorf – das – da,« sagte er schweratmend.

»Das Drangeld ist's,« erwiderte der Bischöfliche gleichgültig, »das Handgeld, weiter nichts, und der Hauptlohn kommt nach.« Und er begann die Silberlinge einzeln und sehr umständlich in den Beutel zu legen.

»Laß!« rief der Rote nach einer Weile mit rauher Stimme. Und wieder überkam ihn das Hüsteln, während er zögernd hinzusetzte: »Und das – das mit dem Heiligen Vater hat seine Richtigkeit?«