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August Sperl

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Beschreibung

Dieses eBook wurde mit einem funktionalen Layout erstellt und sorgfältig formatiert. Die Ausgabe ist mit interaktiven Inhalt und Begleitinformationen versehen, einfach zu navigieren und gut gegliedert. Aus dem Buch: "Sie hatten ihn vor einer Weile gefragt, ob er nicht wolle, daß man ihn auf ein Ruhebett lege. Er aber hatte befohlen, man solle ihm vielmehr das Fenster öffnen, und hatte gesagt, er wolle hier sitzen, wo er seit vierzig Jahren jeden Morgen und jeden Abend gesessen sei, er wolle hier sitzen, wo er die Berge und die Wälder zu sehen vermöchte und das Kreuz seiner Kirche drunten im Dorf. Man hatte seinen Willen geehrt und seine Glieder gestützt, so gut es ging." August Sperl (1862-1926) war ein deutscher Archivar, Historiker und Schriftsteller.

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August Sperl

Die Fahrt nach der alten Urkunde: Historischer Roman

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- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung [email protected]   2017 OK Publishing

Inhaltsverzeichnis

Entweder – oder.
Kinder und Kindeskinder.
Die Moosburg.
Aus meiner Kindheit.
Der kalte Baum.
Ubi sunt, qui ante nos?
Der Grabstein in der Mühle.
Das Handgemal.
Die Herren vom Walde.
Über fünf Treppen.
Carriere.
Beim Geschlechtsältesten.
Der Eisenhammer.
Das Schloß in der Mark.
Maria hilf!
Im Pfarrhaus meines Oheims.
Was in der alten Chronik zu lesen war.
Summa summarum

Das Kerdernhaus war einsam gelegen; denn es stand mitten auf der Heide. Nur wenn ich auf den kleinen, dicken Turm stieg, der an seiner Südostseite Wache hielt, dann sah ich weit hinten über dem dunkeln Föhrenwald, ganz draußen am Horizont, die Kirche vom nächsten Ort.

Ob es heute noch so steht, wie damals, ich weiß es nicht. In zehn Jahren kann sich viel verändern; und seit zehn Jahren habe ich es nicht mehr gesehen – seit Kerderns frühem Tode.

Dies Heidehaus war mir lieb. Ich freute mich, so oft ich wieder auf der breiten Landstraße heranfuhr, ich freute mich, wie es so ruhig mit seinen grauen Mauern und Türmchen, seinen grünen Fensterläden und seinem roten Giebeldache dalag vor den rauschenden, vielhundertjährigen Lindenbäumen. Ich habe schöne Zeiten verlebt in dem Heidehause.

Dorthin sollst Du mit mir im Geiste gehen, lieber Leser! Denke Dir, Du kämest mit mir an einem Sommerabend auf der Straße über die braune Heide hergegangen. Denke Dir, wir wären alte Freunde und wollten ihn besuchen in seiner Einsamkeit. Wir bögen von der Straße ab in sein kühles Haus, unter seine kühlen Linden. Magst Du Dir das alles so recht lebendig vorstellen in Deinem Sinn?

Gut. Dann denke weiter: Es kommt der Abend; wir sitzen mit ihm hoch oben im Wipfel der größten Linde, in der lustigen Laube, die er in das Geäste zimmern ließ – unter uns liegt das Haus, vor uns, so weit wir schauen, dehnt sich die Heide, rotglühend im Abendsonnenschein. Und denke Dir: Es ist ein heißer Tag, der draußen zur Rüste gehen will, so heiß, daß nicht einmal die Heidelerche mehr singen mag. Wir aber sitzen im Schatten, und ein kühles Lüftlein spielt mit den Blättern über uns, um uns und unter uns. Jetzt wird es allmählich dunkel, und man bringt uns Licht in einer schönen, weißen Ampel. Das Licht kämpft mit den Schatten, die immer mächtiger von der Heide herübergreifen, es leuchtet flackernd hinauf in das grüne Dach und läßt den Wein in unsern Gläsern erglühen.

Wir aber reden von diesem und von jenem, vom heißen Wetter und von der kommenden Ernte, von den Menschen draußen im Lande und von den Tieren auf der Heide. Du fragst ihn, wie alt wohl das Heideschlößlein sei, und er sagt Dir, daß es vor zweihundert Jahren gebaut worden ist, daß aber der eine von den dicken Türmen noch um ein gut Stück älter ist. »Türme und Schlösser«, setzt er leise hinzu, »sind fest und bleiben immer auf ihrem Platze, bis sie zerfallen; aber die Geschlechter der Menschen werden umhergeworfen.« Dann steht er auf, steigt die gewundene Holztreppe hinab und holt aus dem Hause eine kleine, alte Truhe, trägt sie herauf und erschließt sie, und das Licht der hängenden Ampel fällt auf graue Papiere. Er nimmt eine Rolle heraus und öffnet sie; es ist ein großer Stammbaum mit vielen Namen und Schilden. Jetzt flackert das Licht über uns, und ein Teil des alten Papiers liegt im Dunkeln da, ein anderer ist hell beleuchtet, je nachdem sich die Blätter unter der Ampel bewegen.

Er fängt an und erzählt uns eine Reihe von Geschichten.

Hast Du die Stimmung? Gut; halte sie fest! Saitenspiel sei mein Erzählen – Dein Herz der Resonanzboden.

So höre denn, was mir Hans Georg Kerdern oft erzählt hat in dem Geäste der alten Linde.

Entweder – oder.

Inhaltsverzeichnis

Es war ein freundliches, großes Gemach mit blankem Fußboden, mit schweren Büchergestellen und gebräunten Ölbildern an den hohen Wänden; die Decke war kunstvoll getäfelt, die Thüren waren reich geschnitzt, und an jeder zeigte sich ein geistliches Wappen mit Krummstab und Bischofshut. Alle diese prächtigen Dinge waren sehr sauber gehalten, aber es schien doch, als ob sie vergrämt und mißgünstig aus weiter Vergangenheit hereinschauten in eine Zeit, die sie nicht mehr verstanden und auch nicht mehr verstehen mochten, und die nüchternen, hellen, geschweiften Geräte des Gemaches nahmen sich aus auf diesem Hintergrunde wie kindisches Gekritzel in dem Buche eines alten Weisen.

Das Gemach hatte drei hohe Fenster, von denen zwei verhüllt waren; das dritte stand offen und ließ die warme Sommerluft hereinströmen.

Die Sonne war schon tief gegen die Waldberge geneigt, aber das unverhüllte Fenster wurde nicht von ihren Strahlen getroffen; denn sie war schon hinter dem westlichen Turm des alten Klostergebäudes verschwunden.

An dieses Fenster hatte man einen Ruhesessel gerückt, und in ihm lehnte ein Mann mit silberweißem Haupthaar, mit vielen Falten im ehrwürdigen Antlitz und mit mageren Händen, an denen die blauen Adern zu sehen waren.

Der Greis hatte seine Augen geschlossen und seine Hände gefaltet, sein Haupt war ihm in das weiche Kissen zurückgesunken.

Sie hatten ihn vor einer Weile gefragt, ob er nicht wolle, daß man ihn auf ein Ruhebett lege. Er aber hatte befohlen, man solle ihm vielmehr das Fenster öffnen, und hatte gesagt, er wolle hier sitzen, wo er seit vierzig Jahren jeden Morgen und jeden Abend gesessen sei, er wolle hier sitzen, wo er die Berge und die Wälder zu sehen vermöchte und das Kreuz seiner Kirche drunten im Dorf. Man hatte seinen Willen geehrt und seine Glieder gestützt, so gut es ging.

Jetzt war er müde geworden und schlummerte und hörte es nicht, wie ein Wagen vorfuhr, wie sich leise Tritte seinem Gemache näherten, wie das ernste Mädchen von seiner Seite, an der es gesessen war, aufstand, die Thüre öffnete und mit stummem Gruße drei junge Männer bewillkommnete.

Diese Drei gingen an den Greis heran, und das Mädchen setzte sich wieder auf ihren Schemel dicht neben den Ruhesessel. Die sinkende Sonne draußen war schön, und ihre Strahlen fielen auf die Wälder und Felder. Aber wärmer waren ihre Strahlen nicht als die Strahlen, die aus den umflorten Augen seiner Kinder auf den schlummernden weißhaarigen Alten in der stillen Stube fielen.

Nun schlug er die Lider auf, und ein Lächeln ging über sein ernstes Gesicht. Dann hob er seine Hand, und die Söhne traten nach einander herzu, beugten sich herab, küßten sie und traten wieder zurück. Dem Mädchen aber rannen perlende Thränen aus den Augen, schossen die Wangen herab und fielen in ihren Schoß und auf ihre gefalteten Hände.

Da hub der Vater mit gut vernehmbarer Stimme an: »Ich habe euch rufen lassen, meine Söhne, weil ich sterben werde, und möchte noch einmal mit euch reden, ehe wir von einander gehen. Und du, meine gute Martha, gib mir deine Hand, denn ich will auch mit dir reden.« Dem Mädchen flossen die Thränen stärker, und es legte seine warmen Hände in die zitternden Hände des Vaters.

Jetzt trat der Älteste von den drei Söhnen, ein hochgewachsener Mann, vor seine Brüder, und seine leuchtenden Augen sahen traurig auf den Vater hernieder, während er mit stockender Stimme sagte:

»Vater! Wir alle wünschten, daß Sie Gott noch eine Zeit hier ließe; denn wir können uns nicht vorstellen, wie es uns hernach zu Mute sein wird. Ich weiß ja, daß wir alle sterben müssen, daß wir aus Kindern heranwachsen und zu Jahren kommen, nur damit wir sterben müssen – und Sie haben uns immer gelehrt, daß der Tod nicht das Ende sei, sondern der Anfang. Aber jetzt, wo Sie von uns gehen wollen, erscheint es mir eben doch als das bittere Ende einer friedlichen Zeit. O Vater, noch nicht gehen!«

Der Greis schüttelte leise das Haupt und erwiderte ruhig: »Was thust du mit deinem Korn, mein Hans, wenn es reif geworden ist und schwer die Ähren ihre Häupter neigen?«

Hans schwieg.

»Nun, du sammelst es in deine Scheune,« sagte der Vater gütig. »Darum laß dich's nicht anfechten, wenn auch mich der himmlische Hausvater in seine Scheune nehmen will, und sei gesegnet von mir.«

Da beugte Hans die Kniee, der alte Mann legte die Hände auf sein Haupt und bewegte leise die Lippen. Dann sagte er mit lauter Stimme:

»Baue deine Äcker, und der Herr segne deine Arbeit; baue aber vor allen andern Dingen dein Herz – denn es hülfe dir nichts, wenn du die ganze Welt gewönnest und nähmest Schaden an deiner Seele. Gott führe dich und dein Geschlecht nach dir. Amen.«

Haus stand auf und ging zu seinen Brüdern.

Da trat der zweite von den jungen Männern heran und ließ sich vor dem Vater nieder. Der segnete ihn und sprach:

»Du trägst, mein lieber Georg, für einen guten Fürsten den Degen – trage ihn zur Ehre deiner Ahnen; aber vergiß über dem guten Fürsten nie den großen Fürsten des Lichts, und vergiß nie in den Kämpfen dieser Zeit den großen Kampf, den Licht und Finsternis mit einander kämpfen bis ans Ende der Tage. Und der Friede des Herrn sei mit dir im Kriege wie im Frieden.«

Der junge Offizier küßte die faltige Hand und erhob sich.

Als der Dritte seiner Söhne vor ihm kniete, da konnte man sehen, daß er des Vaters Ebenbild war. Der sprach zu ihm: »Ich segne dich, Friedrich. Vergiß niemals, daß du ein Diener des Worts bist, und lasse dir nie dünken, daß du sein Herr seiest; dein heiliges Amt ist, Menschen zum Lichte emporzuführen – denke immer daran, daß auch du im Finstern tappest, sowie die Leuchte in deinen Händen verlischt.«

Nun wandte der Vater das Haupt und sah in das schöne Antlitz an seiner Seite, das von Thränen überströmt war. Dann sagte er:

»Weine nur immerhin, mein gutes Kind, wenn es dir dadurch leichter im Herzen wird. Lebe wohl, meine Martha; du warst das Licht meines Alters, und ich segne dich, wie ich deine Brüder segne. Ihr aber, meine Söhne, waret immer gut gegen Martha, und sie war immer gut gegen euch. Jetzt übergebe ich euch die Martha; schützt sie als eure Schwester, so lange sie dieses Schutzes bedarf. Reichet ihr die Hände, wenn ihr das alles erfüllen wollt.«

Da traten die Söhne herzu und nahmen die Hand des Mädchens, das sein Haupt auf den Schoß des Vaters gelegt hatte. Der alte Mann strich mit den zitternden Händen immer wieder über ihr lichtes Haar, und sie weinte bitterlich. –

»Meine Söhne,« sagte nun der alte Mann, »die Zeit ist gar kurz, und ich habe noch wichtige Dinge mit euch zu besprechen. Martha, schließe das Pult auf und gib mir den Brief mit dem großen Siegel, der neulich gekommen ist.«

Martha erhob sich, schloß das Pult auf und brachte dem Vater einen großen Brief mit einem erbrochenen Siegel. Der gab ihn seinem jüngsten Sohn und sagte: »Lies ihn, Friedrich, deinen Brüdern und deiner Schwester vor; denn er geht euch an. Er ist, wie du siehst, in lateinischer Sprache abgefaßt, und so wirst du ihn am besten sehr langsam lesen und gleich übersetzen, damit auch deine Schwester den Inhalt kennen lerne.«

Und Friedrich las:

»Edelgeborener Freiherr von Kerdern, ehrwürdiger Herr Pfarrer! Nach langwierigen Bemühungen ist es mir gelungen, Sie ausfindig zu machen, und jetzt will ich eine heilige Pflicht erfüllen. Sie haben die Ihnen zustehenden Adelsprädikate fallen lassen und führen nur den einfachen Geschlechtsnamen. So habe ich erst nach vielen Mühseligkeiten und ziemlichem Kostenaufwande alles ausfindig gemacht und trage Ihnen nunmehr folgendes an:

Im Jahre 1430 haben, wie Ihnen wohl bekannt ist, die Hussiten Ihren Vorfahren Hans von seinen Gütern verjagt, weil er deutschen Herkommens war und sich unbeugsam weigerte, seinen katholischen Glauben abzulegen. Die eingezogenen Güter aber bestanden einerseits aus königlichen Lehen, anderseits aus Eigengütern. Die königlichen Lehen verfielen und wurden an Fremde verliehen, die Eigengüter aber kamen an einen Agnaten, der es verstanden hatte, sich in die Zeit zu schicken, und ohnedem durch seine Mutter czechischen Ursprungs war.

Dieser – mein Vorfahr – hat nun kurz vor seinem im Jahre 1471 erfolgten Tode ein Testament gemacht, in dem er sich mit harten Worten der Schwachheit und noch schlimmerer Dinge beschuldigte und seinen Sohn beschwor, auf irgend eine Weise den Nachkommen des Vertriebenen wieder zu ihren Gütern zu verhelfen. Ob dieser sein Sohn bestrebt war, den Willen des Vaters zu thun, kann ich nicht wissen. Aber auch sein Testament enthält den Befehl, nach den Verwandten zu suchen, die er trotz vieler Mühe nicht habe finden können. »Der größte Teil unserer Güter,« heißt es dort, »gehört dem verjagten Geschlechte, und meine Erben sind verpflichtet, ihn sofort zurückzuerstatten, sowie sich jemand von ihnen zeigt.« Das war im Jahre 1530, und seit dieser Zeit, also seit 190 Jahren, ist diese Bestimmung in allen Testamenten meiner Vorfahren enthalten.

Schwere Unglücksfälle in meinem Geschlechte haben mich mit ernstem Winke an die alte Schuld gemahnt. Ich teile Ihnen mit, daß ich nach dem frühzeitigen Hintritt meiner zwei Söhne der Letzte meines Stammes bin. Unser Besitz ist derzeit ein sehr großer in Böhmen und Ungarn; denn zu jenen alten Gütern sind allmählich noch bedeutende Erwerbungen gekommen. Diese werden nach meinem Tode an meine Töchter übergehen, die alten Güter aber sollen nach meinem festen Willen noch zu meinen Lebzeiten in Ihre Hände gelangen, oder – in die Hand der Gesellschaft Jesu.

Nach vielen Bemühungen also und nicht zum mindesten durch den Eifer der patres societatis Jesu in Prag, denen aber meine letzten Absichten noch nicht bekannt sind, und durch die Beziehungen, die sie in allen Ländern besitzen, habe ich Sie gefunden, habe mich über Ihre Verhältnisse unterrichtet und die Überzeugung gewonnen, daß Sie meines Geschlechtes sind. Hierauf bat ich den Gesandten des Kaisers am Hofe des Königs von Frankreichs, daß er Ihnen diesen Brief zustelle. Ich glaube nicht, daß Sie, ein Pfarrer, die Güter selbst in Besitz nehmen wollen; denn ich füge eine feste Bedingung bei: Weil ich der katholischen Kirche treu ergeben bin und überdies jener Vertriebene auch ein Katholik war, so ist es mein Wille, daß nur ein Katholik diese Güter antreten soll. Teilen Sie aber mein Anerbieten Ihren Söhnen mit und geben Sie mir innerhalb dreier Monate Antwort. Ich weiß, daß Sie zuweilen Ihren Bekannten von den alten Dokumenten erzählten, die Sie besitzen, und so hoffe ich, daß Sie die sehr notwendigen Zeugnisse Ihrer Abstammung in Händen haben.

Meine Linie hat von alten Zeiten her einen andern Namen und ein anderes Wappen als die Ihre geführt, ich kann mich aber, wie Sie einsehen werden, vor Ihrer Zusage nicht zu erkennen geben. Ihre Stammburg ist längst zerfallen, und nur wenige Menschen kennen die Ruinen, die keinen Namen mehr haben. Wohlan, ich besitze die Macht, Ihr Geschlecht wieder emporzuheben an den Ort, der ihm zusteht. Aber die Bedingung in dem Punkte der Religion ist eine feste und kann niemals geändert werden. Man hat mir gesagt, daß Sie rechtschaffen sind. Deshalb will ich nicht besonders aussprechen, daß Sie ohne Hinterhalt auf meine Bedingung eingehen müßten. –

Das auf diesen Brief gedrückte Siegel des Gesandten am französischen Hofe wird Ihnen für die Wahrheit meiner Worte genügenden Beweis geben.«

Friedrich faltete das Schreiben zusammen und besah sich das Siegel. Dann gab er es seinen Brüdern. Die besahen sich auch Schrift und Siegel, und keiner sagte ein Wort. Es war ganz stille in dem Gemach.

Da richtete der alte Mann im Ruhesessel das Haupt in die Höhe, schaute seine Söhne nach der Reihe an und fragte: »Was haben wir hier zu thun, Hans?«

Der kreuzte seine Arme über der Brust und sprach: »Die Güter sind reich und sind gewiß größer als mein kleines Pachtgut, und die Worte in dem Briefe sind sehr glänzend. Ich glaube nicht, daß der Brief ein unwahres Wort enthält. Aber der Kaufpreis ist zu hoch; mir brächte es, so schätze ich, wenig Gewinn, um des Geldes willen unsern lutherischen Glauben abzuschwören und danach ohne Ehre in einem Schlosse zu wohnen. Und so bleibe ich auf meinem Pachthofe.«

»Und was sagt ihr, Georg und Friedrich?« fragte der Greis.

Da besann sich der Offizier eine kurze Zeit; dann aber sah er den Vater an und erwiderte ihm mit fester Stimme:

»Das nämliche wie mein Bruder.«

»Und ich,« sagte Friedrich, »denke wie meine Brüder.«

Da faltete der Greis die Hände und schaute lange hinaus über die Strohdächer des Dorfes, über das abendliche Thal, hinüber zu den Waldhügeln, die im Glanze der untergehenden Sonne schwammen. Dann sprach er:

»Ihr habt gewählt, meine Söhne, ihr habt so gewählt, wie ich es von euch gedacht habe, als ich den Brief gelesen hatte, – nicht anders als ich mir gedacht habe. Und es ist gut so. Es ist mir nicht bekannt, daß noch irgendwo Leute unseres Geschlechtes wohnen, und so haben wir nur für uns zu sorgen. Schreibe daher, Hans, in der nächsten Zeit mit kurzen Worten an den Gesandten und teile ihm unsern Entschluß mit. Jetzt aber bitte ich euch, daß ihr das Werk mit mir vollendet. Tragt mir doch die kleine, braune Truhe aus meinem Schlafgemach, ihr kennt sie, die mit den Eisenbeschlägen.«

Hans ging und stellte die braune Truhe auf einen Sessel neben den Vater. Der Greis löste einen Schlüssel von seinem Halse und hieß Martha das kunstvolle Schloß öffnen. Sie that es, und er fuhr in seiner Rede fort:

»Diese Truhe, meine Kinder, enthält alle die Dokumente, die von jenem böhmischen Herrn gefordert werden. Es sind sowohl Urkunden auf Pergament und Papier, als auch sonstige Nachrichten, die von euch zurückreichen bis zu dem, der um seines Glaubens willen vertrieben worden ist. Alles befindet sich in bester Ordnung, so wie ich es von meinem Vater überkommen habe und wie ich es einst dir, Hans, zu hinterlassen gedachte.

»Nun aber ist es besser, wenn ich dir diese Dinge nicht hinterlasse; denn ehedem waren in der Truhe nichts als unschuldige Pergamente und Papiere, die uns alte Geschichten von unsern Vorfahren zu erzählen vermochten. Jetzt aber sind es keine unschuldigen Dokumente mehr, weil aus ihnen für die Zukunft schwere Versuchungen entstehen können.

»Es geht eine alte Sage in unserm Geschlechte, daß die Jesuiten vor Zeiten einen der Unsern bethört hätten; niemand konnte mir etwas Genaues darüber mitteilen, nicht mein Vater, nicht mein Großvater. Nur das wußten sie, daß dieser Eine von den Unsern hernach in großes Unglück geraten ist.

»Auch hier haben diese Menschen wieder die Hände in der Sache, und das ist's, was mich sehr ängstigt. Ihr seht aus dem seltsamen Briefe, daß sie uns und unsere Geschicke wohl kennen, daß sie Verbindungen haben, die bis in meine nächste Umgebung reichen. Ihr habt euch ja ohne Zögern entschieden, was uns auf dieses lockende Anerbieten zu thun obliegt – aber mir graut nun dennoch vor den Pergamenten und Papieren in der Truhe; denn sie sind der Steg, auf dem zu euch, zu euern Kindern, ja vielleicht noch zu euern Kindeskindern die Versuchung heranzukommen vermöchte.

»Deshalb habe ich euch gebeten, das Werk mit mir zu vollenden und als entschlossene Leute diesen Steg hinter euch abzubrechen. Es ist das aber nur eine Bitte; ihr sollt völlig frei entscheiden.«

Da sagte der Älteste unter den Brüdern:

»Ich denke, Vater, wir verbrennen diese Dokumente noch jetzt zur Stunde.«

Und der Jüngste setzte hinzu: »Vater, ich denke auch so.«

»Und du, Georg?« fragte der Greis. »Sage frei alles, wie du es meinst.«

Der sprach langsam: »Ja, Vater, mir wird es sehr lieb sein, wenn diese Urkunden verbrannt werden; denn die Güter sind groß, und die Worte in dem Briefe sind glänzend.« – – »Die Güter sind sehr groß,« setzte er leise hinzu.

Martha stand auf und holte das Feuerzeug. Die Söhne aber trugen den Vater auf dem Ruhesessel behutsam in den Hintergrund des Gemaches und setzten ihn neben dem Ofen vor einem großen Kamin nieder, der noch aus den Zeiten des Klosters stammte und längst nicht mehr benutzt wurde.

Martha breitete ein Tuch vor den Kamin und kniete darauf. Das Feuerzeug stand neben ihr.

Der Greis aber nahm das erste Pergament aus der Truhe, entfaltete es und gab es ihr; sie legte es offen in den Kamin. Dann gab er ihr das zweite, an dem viele Siegel hingen, hernach das dritte und so fort, bis ein ziemliches Häufchen beisammenlag. Die Söhne standen hinter dem alten Manne, schauten über seine Schultern in jedes Pergament und sprachen leise über die alten Schriften.

Jetzt sah man nur noch eine starke Rolle auf dem Boden der Truhe. Der Vater befahl seinen Söhnen, sie herauszunehmen und zu öffnen. Es geschah, und Haus hielt sie mit seinem Bruder Georg ausgespannt in den Händen.

Ein schöngemalter Stammbaum war auf dem alten, festen Papier zu sehen. Im Vordergrund ruhte ein Ritter in voller Rüstung, und aus seiner Brust wuchs der Baum empor. Im Hintergrunde breitete sich eine Landschaft mit grünen Hügeln und dunklen Wäldern; auf dem höchsten Hügel aber stand eine brennende Burg. An dem mächtigen Stamme hing Schild an Schild, an den Ästen und Zweigen hing auch Schild an Schild, wie Äpfel in den Blättern eines Baumes, und auf jedem waren Namen und Jahreszahlen geschrieben, und der ganze Stammbaum von seinen Wurzeln bis in seine höchsten Äste trug auf diese Weise die Namen derer, die zu dem verjagten Geschlechte des alten Mannes und seiner Kinder gehört hatten. Auf der Rückseite dieses Kunstwerkes aber sah man große und kleine Siegel aufgedrückt, und daneben hatten Amtspersonen zum Zeugnis der Wahrheit ihre eigenhändigen Unterschriften gesetzt.

Da befahl der Vater, das untere Drittel des Bogens wegzuschneiden. Sie spannten das große Papier straff aus, und Friedrich führte den Schnitt, der allen ins Herz ging. Es fiel auf den Boden des Gemachs der ruhende Ritter mit dem Falkenschild, es fielen die grünen Hügel der fremden Landschaft samt der brennenden Burg, und es fielen die vier untersten Schilde, auf denen die Namen des Vertriebenen, seines Sohnes, seines Enkels und seines Urenkels zu lesen waren.

Alle schwiegen. Martha nahm den Streifen und legte ihn unter die Pergamente. Dann schlichtete sie rings umher viele harzige Späne und dürre Scheiter und griff zum Feuerzeug.

Der Greis ließ das größere Stück des zerschnittenen Stammbaums zusammenrollen und in die Truhe legen. Dann aber bat er Martha, sie möchte ihm doch die zuletzt in den Kamin geworfene Pergamenturkunde, an der drei Siegel hingen, heraufreichen. Sie gehorchte, und er barg das Stück wieder in der leeren Truhe neben dem Stammbaum, indem er sagte: »Das kann als eine Erinnerung bleiben; es ist zwar auch ein altes Kerdern-Dokument, ohne die andern aber hat es keine Beweiskraft. Und nun, mein Kind, entzünde das Ganze in Gottes Namen.«

Martha schlug Feuer, entzündete am glostenden Zunder einen Schwefelspan und hielt ihn mit den zarten Fingern an den Stammbaumstreifen, der zu unterst lag. Eine kleine Flamme schlug aus dem alten Papier, und der Widerschein erglühte auf ihrem Antlitz. Dann begannen die dürren Späne zu knistern und zu krachen, Funken sprühten, immer weiter leckten die Flammen, aus den Scheitern schlug prasselnd das rote Feuer, und zuletzt ging das feindselige Element an die Pergamente und fraß die vergilbten Zeugnisse mit ihrer geheimnisvollen Schrift und fraß die ehrwürdigen Siegel, daß ihr Wachs zerfloß, und die große Glut spiegelte sich jetzt auch auf dem faltigen Gesichte des alten Mannes, der sich in seinem Stuhle vorgebeugt hatte und sinnend auf die Zerstörung herabschaute.

Nach einiger Zeit wurde das Feuer kleiner und kleiner, der Haufe sank zusammen, die Flammen sanken herab, und zuletzt lagen schwarzgraue Aschenblätter da, über deren gerollte Flächen eilig die letzten Fünklein hinwegliefen. –

Jetzt war die Sonne untergegangen, und aus den Stubenecken kam die Dämmerung hervor. Draußen lag eine warme Luft über dem Dorf und über den Feldern und über den Waldhügeln. Pfeifend strichen die Schwalben an den Mauern des Klosters auf und nieder, drunten in den Gassen des Dorfes spielten die Kinder, und ihr Jauchzen klang zuweilen herauf – in der dämmerigen Stube aber war es ganz stille.

Kinder und Kindeskinder.

Inhaltsverzeichnis

Der weißhaarige Mann war der Großvater meines Urgroßvaters, und es ist fast merkwürdig, daß wir die alte Geschichte noch so gut wissen. Aber Friedrich hatte sie Wort für Wort auf die letzten Blätter seiner Bibel geschrieben, danach hatte sie einer dem andern erzählt, und so ist sie mit allen Einzelheiten herabgewandert bis auf unsere Tage.

Von den drei Söhnen des greisen Pfarrherrn war in drei Ästen eine große Nachkommenschaft erblüht. Auch Martha hatte sich einige Zeit nach des Vaters Tode an einen geliebten Mann verheiratet und einen andern Namen angenommen. Es kann wohl sein, daß auch von ihr noch Urenkel vorhanden sind; aber wir kennen sie nicht.

Es ging mit unserm Geschlechte jahraus jahrein wie es mit allen andern Geschlechtern auf Erden zu gehen pflegt: die Kindlein wurden geboren, sie wuchsen heran, und ihre Väter und Mütter alterten. Die Knaben wurden Jünglinge, die Jünglinge Männer, sie nahmen sich Frauen wie ihre Väter und Urväter, lebten ihrem Berufe, verjüngten den alten Stamm und fielen ab gleich dürren Blättern im Herbste, wenn ihre Pflicht gethan und ihre Zeit aus war. Viele von den Mädchen aber haben wie Martha unser Blut mit seinen guten und bösen Eigenschaften in fremde Geschlechter getragen, und wenn dort das Gute vorherrschte, dann ging ihre gute Mitgift auf, wenn aber das Böse stärker war, dann schlug wohl auch ihre böse Mitgift durch; denn es folgt so vieles auf Erden dem Unfreien, Argen, es folgt, wie unsere Altvordern sagten, »der böseren Hand«.

An den Zweigen aber, die aus den drei Ästen trieben, konnte man noch lange die Sinnesart jener drei jungen Männer erkennen.

Von dem Ältesten ging ein schaffensfreudiges Geschlecht aus. Er selbst vermochte sein kleines Pachtgut nach wenigen Jahren zu kaufen, baute sich in der abgelegenen Gegend ein festes Haus mit Wall und Graben, rings herum fiel der dunkle Wald, Saatfeld an Saatfeld breitete sich aus in dem großen, fruchtbaren, bergumschlossenen Thale, und auf ächzenden Wägen schickte er sein Korn in die Welt.

Weithin im Lande sprach man von dem reichen Herrn, man sprach von ihm im nächsten Städtlein, man sprach von ihm auf allen Straßen, auf denen seine Güter fuhren, man sprach zuletzt auch am Hofe des Kurfürsten von ihm, und die Räte des Kurfürsten traten zusammen.

Und bald brachte der Postreiter in das entlegene Waldthal ein großes Diplom auf Pergament, und in dieser Urkunde stand zu lesen, daß der Landesvater des Gutsherrn Fleiß, Biederkeit und Ehrbarkeit angesehen habe und ihn deshalb von nun an für einen Edelmann und seine vier Ahnen im Grabe für Edelgeborene erkläre. In der Mitte des Pergaments aber war ein Wappen gemalt, an seidenen Schnüren hing das Staatssiegel herab – und der Neugeadelte, der einst die Rückkehr in die Heimat seiner Väter und in die alte, glanzvolle Stellung seines Geschlechtes verschmäht hatte, – der durfte fortan drei Buchstaben vor seinen alten Namen schreiben.

Als aber auch seine Stunde kam, da standen vier Söhne an seinem Sterbebett, und jedem von ihnen konnte er ein großes Erbe geben und starb im Frieden. –

Von diesen vier Söhnen ging das Geschlecht aus, das bald das angesehenste in der Waldgegend wurde, das im Munde des Volks bald nur schlechthin den Namen »die Herren vom Walde« führte. –

Andere Wege machte Georg und seine Nachkommen. Als ein armer Offizier war er vom Vater gegangen, hatte bald darauf ein blühendes Weib heimgeführt, hatte sich in ein großes Unternehmen eingelassen und war zuletzt im Unglück gestorben. Viel hatte man sich von diesem seinem Unglück erzählt in unserem Geschlechte. Es hatte einen tiefen Eindruck auf alle gemacht.

Seine Nachkommen aber nahmen auch den Degen und wurden Soldaten wie der Vater. Sie gingen in fremde Dienste nach dem Norden des Reiches, brachten es dort zu hohen Ehren, und es kam durch ihre eigene Tüchtigkeit und durch ihre glücklichen Heiraten in angesehene Geschlechter dahin, daß auch dieser Zweig wieder in Schlösser einzog, ja sogar von dem Fürsten des Landes die Erlaubnis erhielt, das alte Wappen und die alten Auszeichnungen aufs neue zu führen. –