Robert Müllers Tropen - Robert Müller - E-Book

Robert Müllers Tropen E-Book

Robert Müller

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Beschreibung

Kein geringerer als Robert Musil (1880-1942; Der Mann ohne Eigenschaften, 1930 ff.) rühmte seine »animalische« Sprachkraft, und der große Alfred Döblin (1878-1957; Berge, Meere und Giganten, 1924; Berlin Alexanderplatz, 1929) bewunderte seinen »explosiven« Stil: »Auf einer Seite passiert so viel, wie früher in ganzen Büchern.« Robert Müllers (1887-1924) brillantes Hauptwerk. Drei Waghälse suchen im Amazonas-Gebiet einen Schatz, begegnen im Urwald den Eingeborenen und ihrem Schicksal am reißenden Strom. Expressionistisch, exotisch, visionär, modern und vor allem abenteuerlich tropisch! (siehe Joerg K. Sommermeyers Nachwort, S. 254 ff.)

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Über dieses Buch

Drei Glücksritter (Jack Slim, Amerikaner, alle Rassen in sich vereinigend, »eigentlich, was der Franzose déraciné nennt«; Hans Brandlberger, Johnny, deutscher Ingenieur; van den Dusen, Charlie, ein holländischer Kolonialist) suchen im Amazonas-Gebiet einen ominösen Schatz. Im tropischen Urwald erleben sie Abenteuer, begegnen Dschungelmenschen (darunter Zana, dem wilden Urweib, Erotik schlechthin), deren Existenzbedingungen und spezifischen Eigentümlichkeiten, sich selbst und ihrem Schicksal am reißenden Strom. [siehe auch Joerg K. Sommermeyer, Nachwort, S. 254 ff.]

Der Autor

Robert Müller, * 29. Oktober 1887, Wien - † 27. August 1924 ebenda; Suizid. Österreichischer Schriftsteller, Journalist und Verleger. Befreundet mit Otto Flake, Kurt Hiller, Robert Musil und Egon Schiele. Überragender expressionistischer Autor im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Kein geringerer als Robert Musil rühmte seine »animalische« Sprachkraft, und der große Alfred Döblin bewunderte seinen »explosiven« Stil: »Auf einer Seite passiert soviel, wie früher in ganzen Büchern.« [siehe auch Joerg K. Sommermeyer, Nachwort, S. 254 ff.]

Der Herausgeber

Joerg K. Sommermeyer (JS), * 14.10.1947 in Brackenheim, 4. Kind des Physikers Prof. Dr. Kurt Hans Sommermeyer (1906-1969, Physikalische Grundlagen der Medizin, Biophysik, Radiologie, Quantenbiologie, Korpuskularstrahlung; auch bekannt wegen seiner abenteuerlichen Schleichfahrt mit U-537 im September/Oktober 1943 nach Nordamerika und der Aufstellung einer Wetterstation in Labrador). Kindheit in Freiburg. Studierte Jura, Philosophie, Germanistik, Geschichte und Musikwissenschaft. Klassische Gitarre bei Viktor v. Hasselmann und Anton Stingl. Unterrichtete in den späten Sechzigern Gitarre am Kindergärtnerinnen-/Jugendleiterinnenseminar und in den Achtzigern Rechtsanwaltsgehilfinnen in spe an der Max-Weber-Schule in Freiburg. 1976 bis 2004 Rechtsanwalt in Freiburg. Setzte sich für eine Verstärkung des Rechtsschutzes bei Grundrechtseingriffen ein (Unterbringungsrecht, vgl. BVerfGE 58, 208; Untersuchungshaft; Durchsuchungsrecht, strafprozessuale Überholung, u. a., vgl. BVerfGE 96,27; BVerfGE 96,44; BGHSt 44, 265). Zahlreiche Veröffentlichungen in juristischen Fachzeitschriften sowie Artikel in Musikblättern. Gründer und Vorsitzender der Internationalen Gitarristischen Vereinigung, Organisator und Künstlerischer Leiter der Freiburger Gitarren- und Lautentage, Herausgeber und Redakteur der Zeitschrift Nova Giulianiad: Saitenblätter für die Gitarre und Laute (1983 ff.). Juror beim Schlesischen Gitarrenherbst in Tychy (Polen) 1988 und Internationalen Gitarrenkongress Freiburg/Basel/Straßburg 1987. Komponierte Songs, schrieb Liedtexte, Arrangements, Instrumentalmusik. 7 CDs, u. a.: Total Overdrive, Those Rocks & Lieders, Nel Cuore Romanzo Rock, Ergo, 7 Celebrities. Herausgabe des Lyrikbandes Leben Will Ich von Josefa Gerhäuser, 2002. Anton Unbekannt, Pathoaphysischer Antiroman, Tragigroteskenfragment, 2008/2009. Edition Nikunthas, König der Miami von Franz Treller in der Bearbeitung durch Georg J. Feurig-Sorgenfrei, 2009/2010. Edition Balleinrubin: Ball, Einstein, Rubiner, 2017. Vernimm mein Schreien (Anton Unbekannt, 2. durchgesehene, verbesserte und um einen Anhang erweiterte Auflage), 2017. Edition Lieblingsmärchen, 2017/2018. Edition Franz Kafkas Romane: Der Verschollene, Der Prozess, Das Schloss, 2017. Edition Franz Kafkas Erzählungen, 2018. Edition Heinrich von Kleists Erzählungen, Anekdoten und Essays, 2018. Edition Christian Morgensterns Galgenlieder und Palmström, 2018. Joerg K. Sommermeyer (JS) lebt in Berlin.

Orlando Syrg, Berlin, 4. April 2018

Inhalt

Über dieses Buch

Der Autor

Der Herausgeber

Vorwort des Autors

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

XVII

XVIII

XIX

XX

XXI

XXII

XXIII

XXIV

XXV

XXVI

XXVII

XXVIII

XXIX

XXX

XXXI

XXXII

Nachwort des Herausgebers

Robert Müllers Porträt (Egon Schiele, 1890-1918)

Henri Rousseau, Le Rêve, 1910

Vorwort

Im Jahre 1907 war an der Grenze zwischen Brasilien und Venezuelas im Quellgebiet des Rio Taquado ein Indianeraufstand ausgebrochen. Die europäischen und nordamerikanischen Reisenden, die sich innerhalb der Aufstandszone herumtrieben, waren Angriffen und Misshandlungen ausgesetzt und konnten von den anrückenden venezolanischen Regierungstruppen mit knapper Mühe vor einem Massaker bewahrt werden. An der Spitze der Stämme, die sich gegen die immer merkbarer übergreifende Zivilisation auf den Kriegspfad begeben hatten, stand eine Priesterin namens Zaona. Sie hatte durch geheimnisvolle Weissagungen den Sieg der indianischen Sache verkündigt und die wilden Triebe der Urwaldnationen geweckt. Man hätte in San Franzisko, Kalifornien, wo ich mich damals aufhielt, wie überhaupt an den fortgeschrittenen Punkten der Welt von diesen Ereignissen, die in den genannten Landstrichen keine Ausnahme vom gewöhnlichen Jahresablauf darstellen, kaum Notiz genommen, wenn nicht der bedeutende Umfang der Erregung, gleichwie der Umstand, dass ihr weißhäutige Ausländer zum Opfer gefallen waren, die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätten. Eine Expedition von sieben Nordamerikanern und drei Deutschen, die in der Absicht, eine sogenannte Freelandkolonie zu begründen, ausgezogen war und von den Regierungen der in Betracht kommenden Republiken militärischen Schutz erhalten hatte, war schließlich mitsamt ihrer Bedeckungsmannschaft aufgerieben worden. Die Kolonisationspläne dieser kleinen Gesellschaft stammten von dem deutschen Ingenieur Hans Brandlberger, der mit amerikanischem Kapital den großzügigen Vorsatz verwirklichen wollte, fruchtbare Gebiete des inneren Südamerika, die heute noch von unendlichem Urwald überzogen sind, weißen Farmern zugänglich zu machen und auf kommunistischer Grundlage eine ideale Verwaltung der kultivierten Gebiete durchzuführen. Brandlberger hatte das Schicksal seiner Begleiter geteilt.

Die Zeitungen brachten das Ereignis in Extraausgaben mit großen roten Lettern. Zuerst las ich an dem Namen Brandlbergers, der als Führer genannt war, vorbei. Dann, als ich mit der Ungeheuerlichkeit der ausgiebig geschilderten Greuel vertraut war, fesselte die immerhin bemerkenswerte Tatsache mein Gemüt, dass ein Deutscher die großen und interessanten Pläne des von den Zeitungen ausführlich behandelten Freelandunternehmens ausgearbeitet hatte. Mein Gedächtnis beschwerte sich mit dem Namen Brandlbergers. Es war nicht eben ein heroischer oder auch nur charakteristischer Name, und kein blendendes Schicksal von Heldentum eines Forschers war in ihm vorgesehen. Er mochte häufig genug sein und klang eher nach behaglichem Lebensgeschmacke denn nach eifernder Tatenlust. Aber ich fühlte eine Verbindung zu diesem Namen. Hatte nicht einer meiner Schulkameraden ihn getragen? Mein Gedächtnis quälte sich wie über eine seiner bösesten Sünden. Ach nein, ich hatte niemals einen Träger dieses Namens gekannt! Was mich quälte, war der Bleistift, den ich soeben verlegt hatte und inzwischen mechanisch suchte. Ich suchte ihn über und unter dem Schreibtisch, ich durchstöberte den Papierkorb, ich schaute, im vorhinein hoffnungslos, ins Gestänge der Schreibmaschine; ich riss endlich die Schubladen auf, in denen sich die Manuskripte häuften – – – da schoss mir, von dieser Bewegung zitiert, eine Erinnerung durch den Kopf, und ich verschmähte den Bleistift. Nach ein paar tastenden Griffen zwischen staubiges Papier hielt ich das umfangreiche maschingeschriebene Manuskript in Händen, das Hans Brandlberger mir vor langer Zeit persönlich übergeben hatte.

Dieser Vorgang spielte sich in den drei gut auf ihre Zwecke hin ausgestatteten Räumen ab, die sich Redaktion der »three worlds« nannten. »Three worlds«, für die ich damals die Lektüre einlaufender Manuskripte besorgte, waren eine internationale Monatsschrift, die philanthropischen Zwecken gewidmet war und in Peking, Frisko und Berlin, das heißt in den bedeutendsten und meistgesprochenen Sprachen der Welt erschien. Sie veröffentlichten Arbeiten jeder schriftstellerischen Art auf allgemein verständlicher Grundlage. Ein kurzer Blick in das Manuskript Hans Brandlbergers hatte dessen Unbrauchbarkeit für unsere Zwecke erwiesen. Der Gang der Erzählung wird durch langwierige Ausführungen unterbrochen, und die Technik des Vortrages ergeht sich streckenweise in so ungeheuerlichen philosophischen Abschweifungen, dass es fraglich erscheint, ob der Verfasser überhaupt je so etwas wie einen erzählenden Stil beabsichtigt habe. Aber dies war der ganze Grund nicht, wegen dem »three worlds« die Aufnahme und Veröffentlichung der Arbeit trotz aller aktuellen Beziehungen zurückwiesen. Der Herausgeber der Zeitschrift, ein hochstehender und vielvermögender protestantischer Missionsleiter, dem ich das Manuskript nunmehr nach eingehender Lektüre mit leidenschaftlicher Empfehlung übergab, wies es nach Einsicht in ein paar Stellen wegen inhaltlicher Bedenken zurück. Es widersprach mit seinen Ideen und Beweisführungen den philanthropischen Grundsätzen der von ausbeuterischen Millionären geförderten Zeitschrift.

Ich habe mich nun, angestachelt vielleicht durch die Leichtfertigkeit, mit der den Redaktionen dogmatische Einwände gegen oft wenig geprüfte Werke einer freien und unabhängigen Schöpfung geltend gemacht werden, entschlossen, das herrenlose Manuskript als Buch zu veröffentlichen. Ich bin mir vollständig darüber klar, dass ich durch diese Tat kaum die Literaturgeschichte, aber vielleicht die Geschichte der Menschheit um einen wertvollen Beitrag bereichere. Irgendwelche anderen künstlerischen Absichten, als scharf und umfassend zu beschreiben, treten darin nicht zutage, wie es von einem Mann, der naturwissenschaftliche und technische Studien betrieben hat, auch nicht anders zu erwarten ist. Wenn gleichwohl hier und da die Anstrengung deutlich wird, etwas zu schaffen, das ein Ergebnis von Kunst sein könnte, so möchte ich die Ermüdung des Verfassers im reinen Zeugenschaft ablegen darauf zurückführen, dass es ihm mitunter wohl auch darum zu tun war, sein Erlebnis so gegenständlich und gegenwärtig als möglich zu verdeutlichen. Es war keineswegs ein klarer und in seinen Absichten ausgesprochener Mensch; dies geht aus seinen Schriften nur allzu deutlich hervor; er wollte vielleicht, während er Zeugenschaft ablegte, zu vieles zugleich, denn er besaß eine einzige Tugend: er war gründlich! So dass man seiner Arbeit zwar nicht die eines Kunstwerkes, aber immerhin die eines Dokumentes zuweisen kann.

Er legt Zeugnis ab von einem Typus, und dies ist selten genug. Hans Brandlberger war ein junger Mann vom Beginn des 20. Jahrhunderts, und er war durchaus so, wie alle jungen Leute dieser alten Zeit. Ich erinnere mich seiner persönlichen Erscheinung jetzt deutlich genug. Er war klein, schmal, aber kompakt in den Schultern, und trug in dem länglichen, blassen Gesicht ein ziemlich starkes Augenglas. Sein Haar war sehr blond und auf der linken Seite gescheitelt. Über die rechte Wange lief ein zarter Mensurschmiss, und diese Narbe gab ihm jenes Charakteristikum, nach dem man ihn einschätzte. Er schien ein junger Durschnittsdeutscher zu sein. Diesen Eindruck jedoch straft die Durchsicht seines Buches ein wenig Lügen. Er war mehr als einer jener jungen deutschen Männer mit Überzeugungen, Mangel an Taschengeld und mehr oder weniger Aussichten auf eine bürgerliche oder staatliche Laufbahn; er war aber auch vielleicht weniger. Er war ein Grübler. Er war als der Typus des beginnenden 20. Jahrhunderts vor dem großen Kriege ein Mann ohne eigentliche Begabung und ohne Charakter, ja, kaum ein Mann von Geist – – wenn man unter Geist die harmonische Mischung von Freiheit und Gebundenheit des Urteils versteht. Und um Geist zu haben, war er zu frei und zuviel Wühltier. Aber er besaß die gewisse geistige Energie, die dieses Jahrhundert in seinem Beginne auszeichnete. Er war tief – – das heißt kleinlich, bei starkem, ethischem Interesse amoralisch und in mehr als einem Sinne liberal. Er war stets ein wenig böse und gereizt gegen sich. Er war analytisch.

Um sich einen Halt gegen seine Fehler zu schaffen, war er ehrlich. Es ist vielleicht die gewöhnlichste und heute nicht mehr verzeihlichste Art, seine Schwäche zu beschönigen. Und schon, glaube ich sagen zu dürfen, ahnte er dies. Sein Verhältnis zu Jack Slim, dem Amerikaner, wurde ihm zum Problem. Er geriet so außerordentlich unter den Einfluss dieses Mannes, arbeitete sich so gründlich an dieser ihm ganz entgegengesetzten und darum seiner Sehnsucht kaum fremden Natur zu einer Art Nachfolgerschaft durch, dass es beinahe scheinen möchte, als sei sie eine freie Erfindung seines spekulativen Dranges, seines heftig monologisierenden Innenlebens. Ja, ich würde, von der Lektüre seines Manuskriptes scharf, argwöhnisch und kombinationslustig gemacht, nicht anstehen, eine solche Behauptung einfach aufzustellen und aus gewissen Passagen zu belegen, wenn nicht Jack Slim eine historische Figur gewesen wäre, von der die meisten unter uns erfahren und sich ein Urteil gebildet haben.

Man weiß ja, wer Jack Slim war; der seltsamste Mensch vielleicht, der seit Cagliostro Europa zum Aufhorchen oder Lächeln veranlasst hat. Er war berüchtigt durch seine politische Exzentrizität, seine unmöglichen Prophezeiungen über die Entwicklung des menschlichen Geschlechts und seine theosophischen Bestrebungen. Er hatte Verbindungen an allen Ecken der Welt, war ein Freund Tolstois, kannte als Student Gauguin, saß in Wiener Kaffeehäusern an der Tafelrunde Altenbergs und beriet den deutschen Kaiser. Man weiß heute, dass er es war, der Kaiser Wilhelm II. beim Ausbruch des Burenkriegs zur Abgabe jener drohenden Depesche gegen E. veranlasste. Er war aus irgendeiner seiner vielen Paradoxien her ein politischer Gegner der Engländer; vielleicht auch nur darum, weil seine orientalische Herkunft, die sich gern mit Indien identifizierte, mächtiger war, als bekannt ist. Denn es ist in der Tat so ziemlich nachgewiesen, woher Slim, der Amerikaner, eigentlich kam. Sein Großvater, Selim Bukabra, ein Araber aus dem Hedjas, war gerade zur Zeit, als der preußische Hauptmann Helmut Moltke in türkischen Diensten weilte, Offizier des Sultans gewesen. Er war einer der intelligentesten und fähigsten Soldaten der Reorganisationsperiode und schloss sich dem Preußen in Freundschaft an, als dieser in seinen ursprünglichen Dienst zurückkehrte. Er heiratete eine deutsche Offizierstochter und begab sich später mit ihr nach Nordamerika, wo er sich in der Marine eine Laufbahn zu schaffen wusste. Er trug hier seinen verkürzten verstümmelten Vornamen als Familiennamen. Sein Sohn Jack, in der Kriegsmarine der Union erzogen, trat später in die Handelsmarine über und verlegte den Schwerpunkt seiner Tätigkeit nach Peru. Dies ist der Vater des historischen Jack Slim. Die Herkunft von Jack Slims Mutter war in jeder Beziehung dunkel. Man hat über sie nie etwas anderes in Erfahrung bringen können, als dass sie, ungebildet, aus der Hefe des eingeborenen Volkes stammte und niemals mit Jack Slim dem Älteren verheiratet war. Der junge Jack wurde gleich seinem Vater auf einem U. S. A. Schulschiff erzogen und ging später in die Welt hinaus.

Seine Vorliebe für das deutsche Volk ist bekannt. Alle seine politischen Projekte beschäftigen sich mit der Zukunft des Deutschtums. Er hatte drei Ideen, die er immer wieder vertrat. Er befürwortete die Gründung eines großen deutschen Kolonialreiches in dem noch unerforschten Arabien. Er, der nächst Palgrave der größte Arabienreisende gewesen ist, pflegte zu beteuern, dass Arabien reichlich so vielversprechend sei wie Kanada oder Sibirien; und dass die deutsche Nation hier ein Kulturwerk schaffen könnte, das selbst Indien hinter sich lassen würde. Seine zweite Idee hängt mit den mystischen Neigungen seines Temperaments zusammen. Er war Katholik und wusste sogar auf den deutschen Kaiser eine Zeitlang einen starken Einfluss in dieser Richtung geltend zu machen; Katholizismus und Weltmannstum schienen ihm identisch. Seine Broschüre über die Zukunft des österreichischen Staates gipfelte in der Aufforderung, dem Papsttum dadurch seine Unzukömmlichkeit für die nördlicheren Nationen, Deutsche und Slawen, zu nehmen, dass man seinen Sitz in eine österreichische Provinz, nach Steiermark oder Tirol, verlegte. Er erhoffte sich von dieser staatsmännischen Tat eine vollständige Umwälzung der geistigen Richtung; worauf es nach seiner Meinung in dem vom Liberalismus zersetzten Österreich ankam. Im Zusammenhang damit mochte seine Idee über die Schöpfung eines jüdischen Reiches am Schwarzen Meer stehen. Es war als Reservoir für das die übrige Welt mit auflösenden Tendenzen speisende jüdische Volk und als Pufferstaat gegen die asiatischen Gebilde der Zukunft im Tibet und in Kaukasien gedacht. Vielleicht war hier übrigens nicht nur die Sympathie für den reinen Typus des Westariers, sondern auch jene für das semitische Element, von dem er einen guten Teil in sich trug, ausschlaggebend. Solchen Einflüssen entzieht sich auch der freieste Geist nur schwer. Und Slim wollte sich ihnen gar nicht entziehen: er sah in ihnen im Gegenteil die Werte für jede Kulturbildung. Es geschieht das Eigentümliche, dass wir hier einen Mann, dessen geistige Erfahrung, Blutzusammensetzung und Bildung ihn zu einem Nihilisten bestimmen, als konservativen Typus wirken sehen. Es ist, als ob die Natur in ihm nach Kämpfen, Mischungen und Versetzungen einen wirklich reifen Typus hätte schaffen wollen.

Immer wieder hat es Männer, die dieses interessante Leben verfolgten, beschäftigt, warum trotz alledem Slims Pläne, die eine Welt hätten neu aufbauen können, scheiterten. Nichts von seinen Ideen ist bis heute verwirklicht; vielleicht nicht einmal er selbst. Nun, nachdem ich das Manuskript des deutschen Ingenieurs gelesen habe, glaube ich es zu wissen. Er war zu langschrittig; er ließ die allgemeine und naturgemäße Entwicklung nie an sich herankommen; die Folge davon war, dass Menschen, die weniger begabt waren als er und ihm nicht folgen konnten, es im allgemeinen weiter brachten. Was sich niemand bei seinem Anblick, der einen sachlichen, lebhaften und waghalsigen Blutmenschen enthüllte, hätte einfallen lassen, wird aus einer Bemerkung deutlich, die er über sich selbst dem Ingenieur gegenüber fällt: er war ein durchaus theoretischer Mensch, für den auch die höchste und brutalste Aktivität nur ein geistiges Entwicklungssymbol war. In dieser Offenbarung aber eines historischen Menschen, der uns alle durch sein reiches und groteskes Leben beschäftigt hat, suche ich den Wert des vorliegenden Buches, das ein alltägliches und unrühmliches Ende erzählt. Es ist kein Zweifel, dass der Jack Slim des Buchs und jener Jack Slim eine Person sind. Wenn ich ganz ehrlich bin, muss ich gestehen, dass diese Überraschung der letzte und wirksamste Anstoß zur Veröffentlichung des vorliegenden mangelhaften Manuskripts geworden ist. Slim wurde das Opfer einer Eifersucht. Man denke sich drei weiße Männer, die mit der Glut der Tropen im Blute um eine Indianerin werben – da fällt mir ein, sie hieß Zana. Ob die Trägerin dieses Namens mit jener Priesterin Zaona identisch ist, die Jahre nach den Geschehnissen, die hier erzählt sind, den großen Indianeraufstand entfesselte, war nicht zu erweisen. Vielleicht war sie es wirklich, dann lag nur eine individuelle Lautauffassung ihres Namens vor. Und dann hätten wir wieder einen der seltsamen Züge über die Beziehungen der Menschen in der Wirklichkeit vor uns, einen jener Züge, an denen dieses geheimnisvolle Buch so reich ist.

Und geheimnisvoll ist es, dieses Buch. Es vermeidet die Aussprache von gewissen tiefen und bösen Dingen und verhütet so, dass sie zu moralistischen Dingen werden. Es hat ersichtlich das Bestreben, ehrlich zu sein, und ist darum ersichtlich unaufrichtig und indirekt. Die Absicht des Verfassers, die Brutalität des Tiefsten der Ergänzung statt der Erzählung zu überlassen, scheint sein leitender Gedanke und seine heikelste Scham gewesen zu sein. Wie also Slim und der Holländer starben – ich erwarte da mit dem Verfasser vieles von dem Verständnis und dem Takt der Leser.

Dies nun ist die Geschichte eines deutschen Ingenieurs.

I

Mädchen und Frauen aller Länder und Rassen habe ich gesehen, farbige Schönheiten von verschiedenstem Reiz, aber die übernatürliche seltsame Wirkung, die von Zana ausging, habe ich nie mehr erfahren. Und doch war Zana nur eine armselige Indianerin und urwüchsig vom kostbaren Gürtel, der ihre sonst nackten Lenden umgab, bis zu den kräftigen Fingerspitzen, die mitleidslos in die Wunden von Männern greifen mochten.

Dann war da jener Mensch, Slim, der Amerikaner. Er besaß Mut und doch Gewissen, und war wie der unzeitgemäße Mensch einer mittelalterlichen Abenteurerlust, ein verspäteter Nachkomme eines Konquistadorengeschlechts, kühl und hitzig, baumlang, stark und furchterregend. Von seinem Vater, einem amerikanischen Seemann, hatte er die Vernunft und Willenskraft des Nordens, von seiner farbigen Mutter die Launen des Blutes geerbt. Diese eigentümliche Zusammenstellung in Slims Begabung machten ihn zu einer charakteristischen Persönlichkeit jener mittel- und südamerikanischen Zone, die noch heute den Sammelplatz für brutale Herrennaturen und Flibustiertypen darstellt.

Das Jahr 19.. fand mich in Curaçao, wohin mich eine technische Mission für die Vereinigten Staaten des Nordens verschlagen hatte. Man hatte mich schon im vorhinein mit den Abenteuern und den ausgefallenen Situationen jener Halbzivilisation vertraut gemacht, und begierig harrte ich kommender Dinge. Da lernte ich einen Holländer namens Van den Dusen kennen. Er war ursprünglich Offizier der Kolonialtruppe auf Java, dann Kaufmann von Beruf, mit jener gar nicht unmodernen Beimischung von Landsknechttum, das in fremdem Dienste seine Energie und Erfindungsgabe an die verwegensten Aufgaben wagt. Er führte auch diesmal eine ganze Liste von Unternehmungen im Kopfe, die er mir nicht vorenthielt und mit denen seiner Meinung nach Sensationen und Reichtümer bis ans Lebensende zu gewinnen wären.

Ich verhielt mich zweifelnd. Er war nahezu beleidigt, er nannte, er rückte mit Vorschlägen heraus. »Zwei Jahre sind es her«, sagte er nachrechnend, »und ich war damals in Cartagena. Da hatte ich mit einem Manne namens Slim zu tun. Er schleppte den unerhörtesten Gedanken mit sich herum, mit dem ich jemals Bekanntschaft machte. Alles, was man zu tun hätte, war, verstehen Sie mich recht, war wörtlich, das Gold dort wegzunehmen, wo es lag – Millionen Goldes, sage ich Ihnen!«

»Schön«, erwiderte ich, »und warum geht er nicht hin und nimmt es weg, wie Sie sagen – – –?«

»Ja«, antwortete der Holländer, aus seiner Begeisterung plötzlich in eine fremde kühle Logik verfallend, und musste, als Kenner, diese Möglichkeit nun plötzlich ein für alle Mal durch ein Achselzucken ablehnen, »er selber kann's nicht schleppen, und die Geschichte flüssig machen, das kostet Geld, Geld, – und er hat schlecht gespielt in den letzten Zeiten«, setzte er bedauernd hinzu.

»Hm. Tja, und wo soll denn dieses Gold liegen«, frug ich mit nur halbem Interesse. Soviel wusste ich schon, die Schatzlegenden waren in Südamerika und in jener Weltgegend so zahlreich wie die Moskitos.

Der Flämische machte ein schlaues Gesicht und sah mich belustigt an: »Geheimnis!« warf er hin. Wir ließen das Thema fallen.

Vierzehn Tage später bekam ich Slim zu Gesicht. Auf einem holländischen Postdampfer kam er an. Van den Dusen begrüßte ihn vertraulich und frag nach dem Stand seiner Geschäfte, mit bedeutungsvoll gehobener Stimme. Nun, Slim schien nicht gerade angeregt. Es war mir aufgefallen, dass er alle Menschen, die ihn, eine pittoreske Erscheinung selbst nach romanischen Begriffen, einen Augenblick lang ihrer Neugier für würdig hielten, finster betrachtete. Und da kam's auch schon heraus. Er sei, so sagte er, von Spionen umgeben, und jede freie Aktion sei ihm dergestalt verwehrt. Ich sah jene aufdringlichen Fremden unter seinem Blick schüchtern werden, sie gingen verwirrt weiter, und kein einziger hat es mehr gewagt, sich umzudrehen. Das geierhafte Gesicht mit den stechenden schwarzen Augen wurde mir interessant. Er war entweder ein Spitzbube oder ein lebenstüchtiger, durchaus eindeutiger Mann, der wusste, was er wollte, und in aller Preisgabe seiner selbst noch ein einsamer Tuer blieb. Die Notizen, die er, mehr unterrichtend als erzählend, von der Geschichte des Schatzes gab, flüssig und präzise und anerkennenswert disponiert, brachten mich ihm zum ersten Male näher und gaben für die sympathische Alternative meiner unentschlossenen Freundschaft den Ausschlag.

Auf einer seiner vielen Irrfahrten hatte er während einer kolumbianischen Revolution einem indianischen Soldaten, der von irgendwoher aus dem Innern kam und gewaltsam den friedlichen Hütten seines Stammes entrissen worden war, das Leben gerettet. Unter den freibeuterischen Zufallsarmeen befehdeter südamerikanischer Parteigeneräle befinden sich genug solcher Individuen, die sich erst weigern, durch die Peitsche, vielleicht auch durch Todesdrohungen zum Dienst gezwungen werden und später von selbst mitlaufen, weil sie wissen, dass sie am nächsten Baum gehenkt werden, wenn ihr unbürgerlicher Beruf sie einmal irgendwo allein in einer Ansiedlung oder unter dem allzeit unruhigen Mob einer feindlichen Stadt verrät. Aus Dankbarkeit gab der braune Bursche, der seinem Schicksal später doch nicht entging, seinem Offizier einen kuriosen Scheck auf das Glück, eine gebackene Sandmasse, eine Art Ziegel, auf der eine Menge indianischer Buchstaben geheimnisvoll durcheinander tanzten. Die Geschichte, die er dazu erzählte, klang gefabelt, aber Slim schwor, dass er schon Ärgeres in seinem Leben bestätigt gefunden habe. Die Hieroglyphen waren seiner Aussage nach das Faksimile einer Inschrift, die ein Felsen im Innern Guyanas trug. Ein Wasserfall zerschellte dort am aufragenden Steinklotz und die tosenden Wasser schossen in winklig zueinanderstehenden Silberbändern in ein braun lasiertes Becken zwischen dichtestem Urwald hinab. Hinter dem unaufhörlich rollenden Silberfilm aber lagen gehäuft die Schätze einer Karawane, deren weiße Begleiter die indianischen Pfadfinder und Arbeiter, nachdem sie überflüssig geworden waren, an dieser Stelle vor Jahrhunderten dem Schwerte preisgegeben hatten und schließlich der Blutrache des überlebenden Stammes, dem auch jener kolumbianische Söldling später entspross, bis auf den letzten Mann erlegen waren.

Slim, dessen Pathos mich fortzureißen begann, erzählte, dass zwei fruchtlose Versuche, die Lokalität des Schatzes zu finden, hinter ihm lägen. Eine Schwierigkeit bestand in der Entdeckung jenes Stammes, dessen Medizinmänner und Priester das Geheimnis noch heute hüten mussten.

Die Geschichte des Felsens mit den Meißelzeichen klang nicht unannehmbar. Allenthalben ragten die primitiven Denkmäler indianischer Raufereien, Duelle und mysteriöser politischer Stammesereignisse an Flüssen und bewohnbaren Oasen im Dschungel des inneren Südamerika auf. Mochte ich auch dem Ausgang und der Erfüllung des letzten Zweckes einer solchen Expedition zweifelnd gegenüberstehen, so hatte meine Unternehmungslust doch einen Antrieb erhalten, ich wurde nervös, schien ungesättigt, mein Gehirn kam ins Spekulieren, und die Kaffeehäuser der venezolanischen Provinzstädte, in denen wir uns jetzt zu dritt herumtrieben, wurden mir bald die lästigsten Gefängnisse der Welt. Eines Tages aber begannen wir zu rüsten, mein Tätigkeitsdrang erhielt ein Feld, es dauerte einen Monat, und da ward es plötzlich stille um uns, unheimlich stille, der Urwald schlug über uns zusammen, und die Welt der Maschinen und der Konversation da hinten blieb ein Traum unserer hartnäckig arbeitenden Phantasie, die einen Strom von Gold in jene Kulturen zurückführte.

II

Wir befanden uns in diesen Tagen auf den braunen klein gewellten Wassern des Rio Taquado. Vier Indianer, geübte Flussleute und Pfadfinder durch den Dschungel, ruderten uns in zwei Booten. Die Breite des Wassers, das saumselig gegen unseren stromaufwärts gekehrten Kiel spülte, war nirgends bestimmt festzustellen. Lagunen fielen ins Land und fingen im braunglasigen Spiegel die träge dampfende Ruhe eines schweigenden Urwalds, den kilometerlange Systeme von Schlinggewächsen zu einem einzigen quirligen Laubfilz zusammenspannen. Inseln und Halbinseln krochen vor und trugen sichtbar die Knoten verschlungener Riesenpflanzen und Bäume, sie stellten eine gefahrvolle Barre dar und zwangen uns zur Steuerung in Mäandern. Wenn wir aber vorbei waren, und die Wellen unserer flinken Kähne sie erreichten, begann, was massiv geschienen hatte, zu schaukeln. Schleimige, schwarz glänzende Bildungen tauchten auf und nieder, wurmartige Äste, die im klaren Wasser wie Spieße gedroht hatten, begannen rhythmisch zu bändern und zuckend zu greifen. Der Flusslauf war eine aufgereihte, in weiten Schlingen sich schlängelnde Schnur von kleineren und größeren Seen, ein ununterbrochenes Szenarium von Buchten. Bald verflachten sie zu morastigen Untiefen, aus denen die herzblattförmigen Stechruder Blasen und lehmige Wirbel auflöffelten, bald zwängten sie sich zu laubüberschatteten Tunnels, in denen das Wasser stillzustehen schien, schwarz, ungesund und fettig, wie es uns da fühlbar trug. Denn das war das Erregende an solchen Stellen, dass sie plötzlich das eigene Schwergewicht ins Bewusstsein riefen. Man empfand den zähen breiten Widerstand der brodemhaften Wassermassen gegen die Bootswände. Während im harmlosen Gleiten des Fahrzeugs die Wasserfläche das Letzte und Sicherste schien, wie die Oberfläche der festen Erde, entstand hier die Beobachtung einer im Mittel schwebenden Situation; das gewohnte Gefühl, am äußersten Grund aller Dinge zu sein, das man gegenüber dem unendlichen All des Himmels auch noch auf den höchsten Bergen in sich weiß, dieses Gefühl fehlte hier; es war ein Schweben über unreiner Tiefe, und eine Distanz, die nur nach der einen Seite gewohnt war, stellte sich nun nach einer zweiten hin ein.

An seichten Stellen schwammen warzige Eidechsen und Alligatorenfamilien, ineinander verschränkt, von ferne karstigen Klippen ähnelnd. Der Schlag der Ruder versprengte sie wimmelnd ins kreiselnde Wasser, Perlen schossen aus Luftminen auf und setzten sich zu weißen und rosigen Schaumaugen an. Zur Rechten und Linken, vorne und hinten hielt der Wald sein Schweigen, nur das Tropfen reifer Früchte und der drahtige Klang vom Fallen knuspriger abgestorbener Zweige störte das Brüten. Wo ein Ende schien, öffnete sich plötzlich die graue Laubwand auf lautlose Zauberformel hin, glitt im Vorschießen des Kahns täuschend wie ein Vorhang zurück und gab ein neues Stück der Flusslandschaft blendend frei. Im Rücken schlugen die Ufer wie für immer zusammen, böse, erregt, anders, als wir sie fanden, verstört über die unheimliche Kraft: Menschen, die hier ihre gewohnte Glätte in schaudernde Vibrationen und alpschwer empfundene Störungen ihres Traumes brachte ...

Halt; was war das? Einen Augenblick lang rafften sich die eingeschläferten Geisteskräfte auf, die Lethargie platzte wie eine der Fruchtkapseln im brütendstillen Walde, sechs Sekunden lang fühlte ich mich so frisch und hell, als ginge ich auf dem Sonntagspflaster einer hübschen mitteleuropäischen Stadt und dächte einen unbekannten Gedanken. Ich hatte eine blitzartige vorüberhuschende Erkenntnis, eine Erinnerung wollte sich formen, ein paar Vorstellungen liefen vage zu einem Urteil zusammen ... und da wurde das weiße Licht des Tages grau vor Weiße, es türmte sich zu einer sinnlichen Mauer von Widerstand, an der das Denken zerbrach. Ich nahm mich in Zucht, quälte mich zu einer höchsten Verengung zusammen, aber die graue Masse meiner Gedanken, die sich der Monotonie der Außenwelt angeglichen zu haben schien, rührte sich nicht. Meine Spannung wurde weich, sie löste sich wieder in jene einförmige dicke Empfindung auf, in ein üppiges Dahinsein, eine gierige Benommenheit. Aber die Wollust der Öde war durch ein lauerndes Interesse getrübt. Ich konnte unter diesen Verhältnissen die angemessene Lebensfreude nicht mehr zurückgewinnen, inmitten des süßen Stumpfsinns quälte eine Plumpheit, ein Rest, eine unbequeme Originalität, am Grunde meines Bewusstseins hing ein Ballast und machte Schwierigkeiten. Der Gedanke, der meinen entwöhnten Kräften entglitt, bevor er unter dieser sengenden Hitze reif ward, er kam wieder, er machte sich lästig: plötzlich summten mir die Ohren von ihm, als hätte ihn einer ausgesprochen. Der Gedanke war: All dies hatte ich schon einmal erlebt. Diese milden müden Wasser hatten um mich gespült. Dieses scheinhafte Licht, diese Süße, diese Laune, dieses Dämmern im Unausgesprochenen war nicht neu, es traf auf Erinnerung im Menschen, es war eine – Wiederholung. Wo aber, wo hatte ich diesen Zustand der Tropen, diese Szene willenlosen Wachsens durchgemacht, wo, wo?

Es war heiß, ha, heiß, und der Fluss mochte vielleicht eben den Äquator schneiden; diese lächerliche Versicherung, lächerlich, weil ich sie mir geben musste, durfte ich mir geben: dass ich hier noch nicht gewesen bin. Aber nun beginne ich zu zweifeln, ich lache dabei innerlich, aber ich beginne regelrecht zu zweifeln. Ob ich mich nicht vielleicht doch irre? Es ist mir nun einfach unmöglich, zu verzichten. Ich kann meinem Extragedanken nicht unrecht geben, ich bin bereits einmal unter sengenden brütenden lichtbeflissenen Umständen dagewesen. Dagewesen ... hm. Ich habe eine heftige aber umrisslose Erinnerung. Ja, ich bin hier Bürger, hier stehe ich und falle ich, ich brauche mir vom Bewusstsein nichts vorschreiben lassen. Donnerwetter, wie ist das nun, wenn, sagen wir, jemand verrückt ist? Ich bin ein wenig gelähmt vor Schreck, ich rühre mich nicht, um nicht an den drohenden Wahnsinn zu stoßen, es ist in diesem Augenblicke alles ungewiss und vielleicht bin ich gar nicht vorhanden. Vielleicht bin ich nur eine von den Flechten, die hier merkwürdig im Wasser rotieren, eine mit einem Gehirn, mit einem kranken bösen Gehirn ... Aber gleichzeitig reckt sich eine Art Schadenfreude in mir, hehe, ich bin tralalla, tralalla – – ffst – peinlich genug, ich glaube, nun habe ich wirklich gesungen, so geflötet à la süße Ophelia, hm, hm, hm, hm, – eine sachte, aufrichtige Freude beherrscht mich. Ist es nicht unglaublich ... und ich bin doch dagewesen. Dagewesen, dagewesen – ich möchte es singen, ich möchte es kauen und essen vor Vergnügen. Dies alles sollte ich nicht kennen, diesen trägen Lass der Wasserpflanzen, die schwimmen, schaukeln und in dem Brodel vergehen möchten, alle diese fleischigen aufgelösten Körper von Blumen, Getieren und Wasserwesen, all dies Gelefze und dies Schlampampen, das so anschaulich ist, das ich mit der Haut erfasse, mit dem ganzen Leib erlebe – dies alles sollte ich nicht kennen?

Vor Vergnügen lief es mir kalt über den Rücken. Mitten in dieser rasenden Sonnenglut? Hatte ich Fieber? Augenblicklich focht es mich nicht an. Die Hauptsache war, dass ich das Wiedersehen feierte. Dieses träge dumpfe Glück war mir ein alter lieber Freund, mir, der ich aus einer nervösen, in jeder Minute fatalen, aus einer so unbeschaulichen Stadt kam! Ich strengte meine Augen an, um die Bekanntschaft mit den Einzelheiten der Szenerie zu erneuern. Ich schaute und schaute den plötzlich vertrauten Dingen die Seele aus; aber leider wollte sich noch nichts Bestimmtes im Gedächtnis einstellen. Statt dessen bekamen die Konturen des Laubes rote Säume und die Luft begann wie ein überzartes Netz vor den Augen zu rieseln. Meine Gewaltsamkeit führte nur dazu, dass ich eine Art Spektrum in diese grellweiße Luft hineinsah.

Wie es dann endlich geschah, dass ich meinen Extragedanken voll erblüht zu Gesicht bekam, das entzieht sich beinahe meiner Kontrolle. Nachdem ich mich zwei Tage lang appetitlos durch diese Misere hindurchgeschleppt hatte, wurde die Geschichte auf eins, zwei, drei erledigt. Nach wie vor schlängelten wir uns den Fluss entlang, dessen Ufer, so unausgesprochen wie die eines Sumpfes, sich nie und niemals zu einer schönen Parallelität bequemen wollten. Aus dem Reich des Waldes gelockert, standen immer ein paar der Bäume im Wasser. Milde wie fließender Honig trieb die unmerkliche Strömung dazwischen hin, mehr eine Überschwemmung denn ein Flussbett. Immer noch barg die Tiefe ihre Rätsel, noch hatte ich mich nicht mit ihr ausgesöhnt. Inseln von Wasserlilien drehten sich um ihre Achsen, schoben dabei sich langsam fort, vielleicht in eine nahrhaftere Wassergegend, vielleicht in die Sonne, vielleicht in den Schatten, dann machten sie in ihrer weilsamen Drehung halt und begannen sich, wie von einer Feder getrieben, in der entgegengesetzten Richtung aufzurollen. Feiste Lianenarme halsten die überhängenden Bäume und nährten ein Gefolge von lasziv blickenden Blüten. Orchideen spreizten ihre kleinen dicken Rüssel mitten durch die Laubknoten, saftig und geschwellt bogen sich die Schenkel ungewöhnlich geformter Blumen auf handgroße behaarte Blätter herab. Im Wasser trieb eine Welt des kleinen Grauens. Graugrüne Knorpel, wuchernde Blütennarben, Köpfe, die begonnen hatten sich zu spalten und aus deren klaffenden Hirnen es in winzigen spitzen Zungen starrte. Umgekrempelte Lappen, die sich faserten, Finger, zwischen denen Schwimmhäute wuchsen, regungslos lebende Leiber, Leiber von einem unheimlichen, unbeurteilbaren Leben, mit Spuren von Menschenähnlichkeit und Zügen, die nach Entwicklung drängten. Wie im Traum sah ich Dinge, die im Näherkommen gewöhnlicher wurden. Der Umstand, dass ich sie ergreifen konnte, gab mir etwas von meiner Kühle zurück ... aber dann lagen sie wieder hinten und plusterten aus vollen Backen, wenn die Wellen unserer Boote sie auf und nieder schaukelten. Sie drehten sich, hundert Augen sahen uns gespenstisch nach, und in diesen kalten Augen lag ein Vorwurf. Diese Augen sprachen ein Todesurteil, einen Racheschrei. Ihre Ruhe, die Majestät ihres Grauens ward verstört, sie blickten böse und begannen lächerlich auszusehen, wie der entweihte Nimbus einer Angstpuppe, einer kompromittierten Angstpuppe, haha, einer dummen starren Panoptikumsfigur – diese Fötusse, die halb geistreich und fähig, wissend und werdend, halb verlassen und zurückgeblieben, satt und seelenlos ein gestopptes Dasein von Möglichkeiten führten, träumerisch, träge, willenlos gedreht und von Nachgiebigkeit und Wohlsein trunken –

Ahh! Was war das – – –

– – – als es auch schon licht in mir wurde, ja, geradezu überirdisch zu tagen begann. Das also war es! Das also war das Geheimnis, das ich mit diesen unlauteren, trügerischen Nährwassern der Tiefe gemeinsam hatte! Das also feierte ein Wiedersehen von Morgen und Abend des Lebens! Im Schacht meines Bewusstseins, im Berg meiner Herkunft schlummerte eine Stimmung aus der Vorzeit von Millionen Wesen, das mütterliche Säugen und Tränken des Stromes, die brütende Wärme der Zone, die hilfreiche Ruhe des Müßiggangs hatten meinem simplen Trieb geschmeichelt. Wie lange war es her: ... dreiundzwanzig Jahre und neun Monate hatte ich zurückzugehen, dann hatte ich die Lebenshöhe eines dieser knorpeligen Zellenstöcke erreicht. Meine Identität mit diesem Zustand war festgestellt. In diesen seimigen Tiefen hausten Wesen, denen ich einmal ein lieber Kollege gewesen war. Vorzeiten siedelte sich die stammhaltende Zelle in diesen Urwaldpfützen umher, kugelte sich an den Rändern fremder Pflanzen schmarotzerisch entlang, ließ ihre wimpeligen Fühler unter den wenigen Stößen sich mischender Wasser flattern und ihre gefiederten Muskelfäden nach anderen Organismen angeln, strangulierte ein Pflänzchen, ein Mikröbchen, ein Flöhchen und sog ihm alles Mark aus der einen Pore, aus der es vielleicht nur bestand. Oder war selbst ein so wundervoll kompaktes Knöspchen mit einem prall sitzenden Mieder von Blumenblättern, ein Kelch, der langsam die Fächer seiner bunten Schönheit entfaltete und Nahrung und Genuss bürgerlich durch ein Domestikensystem von Wurzeln bezog, die in der Fäulnis eines Brackwassers oder eines schwammig gewordenen Holzklotzes häuslich ihren Herd eingerichtet hatten und mittels der einfachen Kost der zart zubereiteten Stickstoffe jenen Appetit stillten, der notwendig mit der Schönheit eines glutigen Rots oder wellig verblassenden Violetts verbunden sein muss. Alle diese Lebewesen, all dies Generelle um mich her war einmal ich. Nun lag es da, von meinem Reinlichkeitstriebe verabscheut, die Schlangenhaut auf meinem Entwicklungspfad!

III

Nach zwei Tagen Unzufriedenheit und Irrsinn durfte ich meine Vernunft rehabilitieren. Mein Glaube behielt recht wider mein besseres Wissen. Indien, das antipodische Tropenland, hat nach der Übung dieses Bewusstseins am Technischen seines Alltags eine Weltanschauung daraus geformt: Tatwamasi: das bist du! Nein, der große deutsche Philosoph hatte doch niemals so viel Wirklichkeit mit seiner Vergeistigung dieses Prinzips gedeckt wie jener alte Inderglaube. Zwischen mir und diesem Leben rings existiert nicht nur vielleicht eine metaphysische, es existiert sogar eine sehr hervorragende, ganz materielle Identität: In der Tat, diese Blume und ich sind weitläufige Vettern. Meine nähere Verwandtschaft hat es mittlerweile weit gebracht, dank der günstigen Umstände; jene hingegen hat Pech gehabt mit ihren Ureltern, und die Sünden der Väter werden bekanntlich gerochen an den Kindern. Gehe ich konsequent in meinem Gedächtnis zurück, lasse ich allmählich das Bewusstsein fallen, so gelange ich zu dieser einen Tatsache: Ich bin ein naschhaftes Zellenbündel und liege im Wasser. Sie bildet den Kern meiner Vertrautheit mit jedem somnolenten Zustand. Meine Lauheit und mein träger Sinn finden eine Erklärung. Arbeit ist mir noch heute zuwider, und ich liege noch heute hundertmal lieber auf dem Diwan und rauche Zigaretten, wenn es nicht gerade um vitale Interessen geht. Aber geht es einmal darum, dann zeigt sich mein vegetativer Selbsterhaltungstrieb und die robuste Kraft meiner Abstammung. Meine Nerven laufen und verzweigen sich so infam, so raffiniert, üben sich so unermüdlich im Suchen, Fassen und Drosseln wie die dünnen, reiherartigen Fänge von Wassertierchen, wie die empfindlichen, schleppenden Greifarme dieser blöden, nichts als eine ums tägliche Brot bekümmerte Blase darstellenden Quallchen. Die Lauheit des Wassers ist die meines Blutes. Mein Herz ist ein fleischiger Sack und pumpt eine rote, warme, nahrhafte Flüssigkeit durch sich hindurch. Schwimme ich nicht in meinem eigenen Blute, bin ich nicht ein architektonisches Inselchen in der Strömung dieses Blutes, ein halb daraus emportauchendes Schuppengebilde? Was tut es, dass die Benetzungsflächen nach innen liegen, es ist die höchst geistvolle Umstülpung eines Prinzips, die praktische Lösung einer nahrungsökonomischen Frage. Es ist eine maschinelle Erfindung ersten Ranges, eine Raum und Zeit sparende Methode. Das Prinzip des nahrungspendenden Stromes besteht, aber während ich früher mit allen in eine Schüssel langte, habe ich jetzt einen kleinen Strom zum Selbstgebrauch, der mir so viel Substanz liefert, dass ich mir diesen Strom sofort wieder künstlich erneuern kann. Die Vorteile dieses Instituts sind handgreiflich, außerdem hat jedermann es erlebt, dass man die verschiedensten Dinge verdrehen kann, und sie ergeben dennoch einen höchst produktiven Sinn. Das Gefühl, das ich jetzt gegenüber dieser Tropenlandschaft habe, ist ungefähr jene selbstgefällige Wehmut, die eine moderne Lokomotive beim Anblick eines James Wattschen Teekessels empfindet. Ich bin eine vielfach verbesserte Tropenlandschaft. Wo ich gehe und stehe, trage ich eine Normaltemperatur von sechsunddreißig Graden mit mir herum, ein üppiges Anschießen der Säfte, eine Vegetation von warmer Pracht. Habe ich es geahnt? Die ersten Träume meiner Kindheit waren die von Sonne, Fülle und Reichtum. Plagen, Krämpfe, Verzerrungen gingen mir wehleidig wider den Geschmack, das äußere Leben des Unterhalts schien mir selbsttätig und selbstverständlich geregelt. Es handelte sich um Genüsse, nicht um Arbeit, um ein Büfett von Erlebnissen, nicht um einen Teller Suppe. Noch saß meine tropische Verwöhntheit mir in den Gliedern. Die Geschichte erzählte mir von meinen Vorfahren, nordischen Barbaren, die mit Kälte in den blonden Haupt- und Barthaaren und quarzenem Frost in den gierigen, hungrigen, bösen Augen ungestüm nach dem Süden drangen, und ich fühlte mit ihnen. Immer hing meine Schwermut der Freundlichkeit eines solchen Daseins nach. Nun der erste starke Eindruck einer südländischen Szene mich noch frisch zur Aufnahme vorfindet, rührt sich meine eigene prähistorische Existenz in mir, gibt aus tiefen Gründen eine Art Antwort in Stimmungslauten.

Der in Adern zwischen den Waldvorposten sich durchzwängende Strom stellte ein großes Herz dar. Stille wie er ging, leise wie sein Gefälle gegen die vagen Ufer pochte, brachte und sammelte er Nahrung für eifrig vermittelnden Humus, der sich in den seltsamsten Zellkonfigurationen, Bäumen, Gewächsen, Tieren zur Sonne emporblähte. Die Stille rings war unheimlich und klebte im Ohr. Ein schmatzender Zuck, ein Gurgeln unterm zotteligen Vorhang in den Lehmhöhlen des Ufers, das Schlürfen verdächtiger Löcher, das hin und wieder wie Detonationen zwischen die fadenlang gesponnene Zeit trat, zeugte von der steten Monotonie des Vorgangs. Aus dem Walde selbst kam ein knisternder Rhythmus. Dort rumorte noch der große Pan.

Mein Puls ging überleise, ich fühlte das freudige Wachsen mit. Eine Woche lang fuhren wir so den Fluss hinauf, die Szene blieb dieselbe. Die Trägheit nahm vollends Besitz von mir. Es kam eine Zeit, da interessierte mich mein Spezialgedanke nicht mehr. Die Sonne stand jetzt über dem letzten Wirbel, wenn wir im Boote saßen. Die Dinge blieben süß und fuhren fort zu zaubern, aber die Beobachtung begann sich zu lässigen. Alles wurde dicker und banaler. Wohl, ich trug die Tropen in mir – aber war es nicht eine ungerechte Benachteiligung, eine unnatürliche Belastung, war ich nicht gerade dadurch einer doppelten Erhitzung ausgesetzt? Durch Generationen war mein Organismus an die Überwindung von Kältewiderständen gewöhnt. Sein Verbrennungsprozess war eigenmächtiger, seine Molekulartätigkeit eine regere. Die Exzesse meines Gehirns bewiesen es, diese krankhafte Schärfe des Stimmungsbewusstseins und der gedankliche Apparat, der dergestalt in Betrieb gesetzt wurde. Eine Weile mochte das angehen und ein Rekord an Selbsterkenntnis erzielt werden wie bei den alten Indern. Deren Vorfahren waren als eingewanderte Kaukasier in die Dschungel und in die Güte ihres heutigen Wohnsitzes zurückgekehrt und hatten dann jene merkwürdigen Systeme telepathisch-spiritistischer Kräfte, pure Erscheinungen eines exorbitanten Erinnerungsvermögens, geschaffen. Das Surrogat: Gehirn, das für das Original tropischer Hitze eingetreten war, war zurückgenommen; im Schuss und Schwung der Trägheit blieb es erhalten und steigerte den Lebensgrad, den es vorher nur kompensiert hatte. Eine Weile konnte das dauern und Kulturen schaffen; tropische Schwüle, die sich zu Gehirn verflüchtigt hatte, verdichtete sich, wo sie auf die Reserven ihrer eigenen früheren Form stieß, und nordische Innerlichkeit, in äquatoriale Äußerlichkeit gekommen, kristallisierte monströse Bildungen, Kultur genannt. Aber dann musste der Moment eintreten, wo die an harte Leistungen nach außen gewohnte Maschine den Dienst einstellte; der Mangel an Widerstand war unüberwindbar. Kamen nicht alle Eroberer und Schöpferrassen aus dem Norden, Chinesen, Inder, Hethiter und Juden, Hamiten, Türken, Germanen? Wurde der Mensch nicht hart, als er den Süden unfreiwillig zum Norden verließ, aber fing diese Härte nicht Funken und Feuer, wenn sie in den Süden zurückfiel? Entstanden nicht höchste Organisationen der Welt? Und brachen sie nicht zusammen? Auf die Dauer konnte die Maschine diesen Mangel an Arbeit nicht leisten; sie verausgabte sich. Sie war auf dieses bisschen Sonne mehr nicht angewiesen; aber es verdarb sie. Die Menschmaschine, die aus dem Norden kam, war das Dienern der Natur nicht wie der gegebene menschliche Organismus des Landstrichs gewohnt. Jene produzierte sich nicht nur ihr eigenes Bespülungsnetz, sondern auch ihre Beleuchtungs- und Ernährungsquelle. An ihrem Horizont ging die Sonne auf und unter. Das Sonnenkind, der agilste, tapferste, beste und tüchtigste Typus einer bis jetzt erfundenen Menschlichkeit, war ja das Geschöpf des fernsten aller fernen Norden. In seinem Scheitel brannte ewig der glühende Ball der Sehnsucht. Seine Phantasie erwärmte ihn.

Die Menschen in der Nähe des Äquators aber sind nüchtern und sachlich, und seltsamerweise gleichwohl ohne die Tüchtigkeit des spintisierenden Nordländers. Sie sind nie Abenteurer im romantischen Verstande des Wortes, sondern entweder Poseure knallreicher Effekte oder bornierte Spießbürger mit zufälligen rücksichtslosen Geschäftsprinzipien. Jeder, der eine Erfahrung um des inneren Gehalts willen gesucht, seine Einsamkeit im Strudel des Lebens um ihrer selbst willen exportiert hätte, wäre gesellschaftsunfähig geworden. Die Frauen? Die Frauen der Gesellschaft waren so glänzend und falsch wie ihre Diademe und pfundschweren Geschmeide, sie waren kalt und ohne erotische Einbildungskraft und benutzten innerlich stets die Hängematte zu einem faden Geschaukel. Stellt nicht die bevorzugte Hängematte an und für sich mit ihrer halbmondförmigen Grazie die ganze fruchtlose, für den Temperamentsausbruch vollkommen ungeeignete leibliche und seelische Indisposition eines Frauentyps dar, dem das Symbol des schlagfertigen, ebenso soliden als in seinen Möglichkeiten reichen Kanapees gegenübergesetzt war? Dies aber ist die Hängematte, das Erlebnis der amerikanischen, der westlichen Orientalin, diese Pendelbewegung zwischen Laster und Kälte, diese unheroische Andeutung von süßesten und heftigsten Situationen, die nicht erschöpft, ausgekostet und genossen werden. Diese literarische Art von Liebe, die nicht bis zum letzten geht, sondern vor der Tat langsam in den Traum zurückgleitet. Diese korrupte und gehemmte Leidenschaft, diese Süßigkeit der Schwäche und diese Spießbürgerlichkeit der moralischen Kraft ist die Hängematte, die Toilette der Kreolin, ein Garn von schlechtem Blut, eine krankhafte Fläche aus bösen Mischungen am Leib einer Rasse. Die Hängematte war die enttäuschende Erfahrung des Nordländers. Was dann da von mehr oder weniger bürgerlichen Frauenschicksalen dem geübten Episodisten und forscherlustigen Chronikeur europäischer Zirkel erreichbar gewesen wäre, war so gut wie im Fusel ersoffen oder vom Heiratsgeschäft absorbiert. Der Glanz und Erfindungsgehalt mitteleuropäischer Liebesverhältnisse wurde umsonst irgendwo, und sei's auch mit Teilnahme am fremden Abenteuer, gesucht. Ich rechnete nach. Wie lange war's her, dass ich das Leben nach mondänen Genüssen gemessen hatte? Vor einer Woche hatten wir in einer kleinen Garnisonsstadt des holländischen Guyana die Zeit in Gesellschaft der paar anwesenden weißen Offiziere und einiger Negerdonnas verbracht. Vor drei Wochen hatte ich mit van den Dusen in Rio zum letzten Male einen Tanzsaal betreten. Und vor einem Monat, genau so viel vom heutigen Tag an zurück, war ich mit dem Manhattangirl, einem distinguiert verdorbenen Geschöpfchen, die große Schleifenbahn, das looping the loop, in Coney Island, immer und immer wieder abgefahren – hopp, da standen wir auf dem Kopf, hopp, da waren wir herum, hopp, da sausten wir die Vertikale hinunter und hatten den Magen zwischen den Zähnen, weil er oben bleiben wollte!

Hopp, wie meine Gedanken sprangen, wie mein Gehirn in rasend fallender Kurve die große Schleifenbahn des Lebens nahm! Nun saß ich also hier und fühlte, dass der Äquator tatsächlich ein glühender Reifen ist, der durch die Eingeweide hindurchgeht. Ich muss gestehen, ich saß mit einer leisen, satten Verliebtheit da. War es sonderbar, mein Verhältnis zu dieser Umgebung hatte einen erotischen Beigeschmack. In den ersten zwei Tagen war es eine Leidenschaft gewesen. Ich ahnte die Tiefe, ich suchte sie. Das mütterlich Nährsame der Landschaft, dämonisch an Urerinnerungen rührend, hatte den stechenden Zauber einer begehrten Frau, der goldene Tore vor himmelblauen Schicksalen aufspringen lässt. Die Natur war hier erkenntlich an dem Reiz der Gebärerin, in der ein Mann die ersten Anfänge und letzten Bedeutungen des Ichs sucht.

Erotik, wie sie von den klügsten und tiefsten Geistern einer Kultur, der das altruistische Empfinden eigentlicher Liebe verloren gegangen war, geübt wurde, war und wird noch lange ein Suchen des Ichs im andern sein. Was ist die moderne Liebe, wo sie am prächtigsten ist, die Liebe ohne und wider das Geschlecht? Ein ungeheurer, widernatürlicher, aber in seinem Verfall noch sittlicher und schöpferischer Eitelkeitsakt! Der Kraftaufwand gilt nicht dem Problem, wie zwei zusammen leben, sondern wie der eine durch das andere in den Genuss eines höheren und raffinierteren Bewusstseins gelangen könnte. Ist es statthaft? Es ist statthaft. Es ist vor allem besser als das Nichts, es ist, als Durchschnitt, besser als die Vereinzelung wirklich altruistischer Liebe. Je mehr man sich dieses goldhaltigen, seltenen, feiertäglichen Falles für fähig halten mag, desto begehrlicher wächst das Bestreben, die erotische Mappe zu füllen und die Mission zu Ende zu führen. Jener Fall ist so erhaben, er ist so sehr über jedes gewöhnliche Maß hinaus, dass er uninteressant ist; er ist der Gegenstand von Idyllen, die heute nicht mehr geschrieben werden und erst wieder auf eine heroische und absolute Zeit warten. Er ist vollständig, er ist erledigt, er benötigt keine Berichterstattung irgendwelcher Art, er benötigt weder Geständnisse noch Missionen. Aber die kleinen, die unvollkommenen Fälle sind es, die dem Menschengeschlecht die Mission hinterlassen haben, sie zu komplettieren, damit es sich wieder dem großen, uninteressanten Ernstfall zuwenden kann. In diesem Sinne habe auch ich eine erotische Mission auf mich genommen, ich bin bereit, zum Wohl der Allgemeinheit ein gut Teil ihrer Inferiorität zu tragen, sie zu erleben, zu erfühlen, vor allem aber, sie zu schildern und an ihrer Hand Lehren zu geben. Ich bin überzeugt, dass ich den Menschen mit schrankenloser Aufrichtigkeit über alles, was uns betrifft, einen wesentlichen Dienst leiste, und ich will mit meiner erotischen Naturgeschichte nicht zurückhalten; indes vermag ich mir auch vorzustellen, dass man in späteren Zeiten diese selbe Erotik, die uns heute noch so gründlich beschäftigt, vorsintflutlich finden wird.

Einen solchen lehrreichen Fall habe ich vor mir. Ich habe Beziehungen zu einer Natur, die ganz Weib ist. Geschlechtliches schwebt über den Wassern und Blutgesänge mische ich in einen Chor. Der Wald ist das große Herz, und das braune Wasser des Stroms ist mein heiligstes Herzblut. Liebe entsteht, wenn es fließt, eine Liebe, an der ich beteiligt bin; aber es ist nicht das große geistliche altruistische Gefühl, es ist eine rasende, eine wilde und begehrliche Liebe, es ist eine mondäne und grausame Liebe, niedrig, interessant und höchst lehrreich. Es ergeben sich in ihrem Umkreis, soweit ein Urwald, ein Strom und eine Sonne Herren sind, Zwischenfälle der schamlosesten Art, wie ich mir denken kann. Trübe Geheimnisse tauchen aus der Seele eines Mannes auf, und ich ahne Demütigendes, Verwirrendes, Sinnloses, poetische Kräfte, die demoralisieren, Leidenschaften, die Selbstachtung mit schärferen Zähnen stumpf machen, spüre im Schwanken schon jetzt Erstreckungen voraus, die nicht in Raum und Zeit, und was der Mensch der Städte davon weiß, gegeben sind. Ich atme, fiebernd, Welten, unsagbar wo hinter der meinen, links, rechts, oben, unten? ... und stürze in Existenzen hinab, die sich vor Urzeiten ereigneten. Das große Geschlecht der ursprünglichen Natur, Mutter und Hure zugleich, fordert meine Mannbarkeit heraus: ich enthülle mich, zeuge und reise.

Ich halte meine Selbstgespräche geflissentlich, weil sie über die Beschaffenheit meiner erotischen Art Anhaltspunkte geben. Diese könnten später einmal tauglich erscheinen. Denn in dieser Geschichte handelt es sich, wie bei allen richtigen Geschichten, um ein Weib. Ich denke dabei nicht einmal an Zana, in der vielleicht erst all dieses zur Auslösung kam; ich denke an den Wald, den Urwald, an die Sinnlichkeit dieser Natur, ihre Roheit, ihren ursprünglichen Elan, ihren schrecklichen, verwirrenden Trieb, ich denke an den Trieb, die Tropen im Gemüt des weißen Mannes. Die Frau nämlich ist ihrerseits nie aus den Tropen herausgekommen; und so gewiss der weiße Mann ein gänzlich verändertes System im Verhältnis zu seiner Urwaldherkunft darstellt, so gewiss ist es, dass Zana sich von keiner Boulevarddame wesentlich unterschieden hat. So gewiss ist es aber auch, dass die weibliche Natur der Tropen in jener weiblichen einer modernen Großstadt wiederkehrt, und der Schritt vom europäischsten Europa mitten in den Dschungel hinein nicht so abenteuerlich ausfällt, als man es sich erwartet hat. Denn was immer man erlebt, es ist stets dasselbe Abenteuer, es ist gleichgültig, ob man unter einen Panther oder einen Autobus gerät, das Gleichgültigste aber ist, ob sie Zana oder Fräulein Soundso heißt. Ich will jedoch nicht vorgreifen; es zu beweisen, bin ich gekommen.

So viel will ich verraten, ich trage mich mit einer löblichen Absicht; die Aufgabe ist, die Allmählichkeit einer Wirkung tropischer Zustände auf ein nordisches Nervenleben festzuhalten; oder als Frage gestellt: Wie kann man auf distinguierte Weise verrückt werden?

Ruhe! »Die seltsamen, tiefen Einblicke in mein Inneres, die mir während der verschiedenen Phasen der Reife gewährt werden, bringen mich gleich das erste Mal, damals als ich die Sprache des Waldes, die leben heißt, zu verstehen beginne, auf die Idee, dass es sich um eine Art erotischer Vertauschungen, eine Art etwas gescheiterer Hysterie handelte. Heute denke ich, dass Liebe und Erotik niemals Untergründe, sondern Folgen sind. Man hat die Entwicklung des Menschen auf sein Geschlechtsleben zurückgeführt und behauptet, dass der Mensch sich in eben jenem Augenblick mit sich zu beschäftigen beginne, da er liebe. Dies erscheint mir nunmehr unrichtig; in dem Augenblick, da der Mensch zur Selbstbeobachtung reif wird, wird er erotisch; er sieht sich nach einem Werkzeug um und entdeckt es in irgendeinem weiblichen Wesen, dessen passives Temperament ebenso stark ist, wie sein aktives. Sie studiert ihn auf diese Weise in sich; er studiert sich in ihr. Die erotischen Wettläufe des intellektuellen Mannes haben um so weniger mit der Weltreise: Liebe zu tun, je höher sein Intellekt steht« – werde ich schreiben. Ich bitte zu bemerken, dass ich referiere, die Gedanken eines von Hitze verbrannten und zu Asche gewordenen Hirnes wiedergebe; ich schildere einen Mann, der inmitten gesegneter, abenteuerlicher Umstände, wie er sich einbildet, das Buch schreibt, das er erst erleben wird. Dieser Mann war ich. Ich war mit visionärer Kraft meiner eigenen Zukunft vorangeeilt. Ich fuhr als Schreibtisch einen Strom hinauf und vermengte in der Geschwindigkeit ein wenig die Zeit. Mein Gehirn aber war, zu meiner Entschuldigung sei's gesagt, der Brennpunkt eines Dutzends ehrgeiziger Sonnen, die sich einander eine Schlacht um die Weltherrschaft lieferten.

IV

Dies ereignete sich, dies und nichts anderes, bloße Gedanken, die eine große majestätische Langeweile gebar, als ich eines Tages an einem südamerikanischen Fluss unter einem dem Äquator ziemlich nahen Breitengrad, inmitten des Urwaldes, jenen Vergleich zwischen der sich aufdrängenden Natur und dem Geheimnis der Mütter anstellte. Würde ich meinen Zustand von damals erschöpfend zusammenfassen, so möchte ich ihn dahin ausdrücken, dass er jeden Humors bar war. Mit dem sauersten Fleiße, mit dem kostspieligsten Ernst stürzte ich mich in logische Unternehmungen, die sich kaum rentierten, aber ich wartete die Befriedigung der Voraussetzungen nicht erst ab, sondern ging ungehemmt weiter. Es war nicht eine Spur von Humor mehr in meiner Seele. Denn der Humor ist ein Geschöpf des Nordens und braucht das schlechte Wetter, die Veränderlichkeit und die Laune. Die launenlose Schönheit des Lebens, diese unvariable Größe des Südens, sind ihm ungünstig. Nur so ist der humorlose Ernst aller morgenländischen Philosopheme, vom Talmud bis zur Mahabharata und bis zur arabischen Schnörkellogik zu verstehen. Ich erfand Sitzungen wie ein maurischer Theologe, unverdrossen mischte ich Begriffe und Symbole wie ein blumiger Poet aus Farsistan. Die Backen waren dick vom Schweigen und ich verzog sie nicht mehr zum Lächeln.

Schuld an dem trug die unerträgliche Hitze; die Hitze und das Schweigen. Dieses Schweigen, dieses fürchterliche Schweigen – einmal lenkte sich meine Aufmerksamkeit wie von selbst auf den Umstand, dass auch die andern verändert waren. Slim sprach so gut wie nichts. Van den Dusen hatte am ersten Tage Stichproben seines niederdeutschen Humors gegeben. Da aber niemand darauf einging, wurde er endlich seiner selbst müde und verblieb während dieser Zeit schweigsam. Er prahlte gern und war auch sonst kein Muster an Wahrheitsliebe, das hatte ich schon heraus; aber er war gutmütig und bis zu einem gewissen Grad Gentleman. Jetzt brütete er wie wir stumpf dahin, seufzte gähnend auf und blieb mürrisch gleich Slim. Unsere vier indianischen Scouts unterhielten sich gedämpft und trocken in ihrem unverständlichen Dialekt. Von ihnen war keine Auffrischung der Gesellschaft zu erwarten. Ihrer zwei ruderten uns in einem langen torpedoähnlichen Kanu, das aus einem massiven Baumstamm herausgehauen war, voraus; das beladene Proviantboot mit den beiden andern folgte nach. An breiten Stellen fuhren die Boote nebeneinander her. Ich spornte den Holländer zu einer kleinen Regatta an, und wir versuchten das Boot mit den herzblattförmigen Rudern fortzutauchen, wie wir es bei den Indianern sahen. Das Gewässer aber rebellierte in Schlammwolken, die sich unheimlich wie ein drohendes Gewitter von unten zusammenzogen, der Bootstamm begann zu rollen und Wasser zu fassen. Slim grunzte ein wenig missmutig, und wir gaben es auf. Dieses Gewitter, das sich unter uns gebildet hatte, erregte jedoch meine Phantasie. Plötzlich fühlte ich mich und meine Umgebung unwahrscheinlich; ich entäußerte mich spielend des Weltmittelpunktes, der in mir lag, ich begriff mit erkalteten Nerven die Gleichgültigkeit meiner Person und ihres Aufenthalts: denn unter mir gab es eine Welt, die auf eigenartige Weise eigene Gewitter und Elementarereignisse erzeugte, wenn ein Mensch außerhalb ihrer Grenze nicht rudern konnte und ihren Gang störte. Vielleicht entstanden auch meine Gewitter, wenn ein fremdes Wesen ungeschickt war – wer konnte in diesem Augenblick darauf schwören, darauf oder auf sein Gegenteil? Vielleicht konnte Gott nicht rudern? Aber wie gleichgültig war dann Gott, wie gleichgültig war jedes Ich, jeder Geist! Eine fröhliche somnolente Verlassenheit kam mich an, ich fühlte mein kniffliges altes Ich vergehen und löste mich in eine unendliche, von keiner bewussten Einheit zusammengehaltene Empfindlichkeit für das heftige selbstische Leben ringsherum auf. Weise wie ein alter Inder in die Einzelheit verloren, dem Ursein gewonnen, sah ich mit tausend Augen und verfing mich mit tausend Sinnen, die Gott besaß – und während all dieser Augenblicke wurde ich elend von Langeweile geplagt.

Der Müßiggang lag mir in allen Gliedern. Die Folge war, dass ich jämmerlich schlief. Wir landeten tagsüber nur, wenn es galt, Mahlzeit zu nehmen, oder wenn wir vom Boot aus einen Vogel, der sich nur sehr selten einmal auffällig dem Visier bot und dann starr und farbenprächtig wie ein uralter Giftschwamm zwischen dem Laub saß, geschossen hatten. Des bloßen wohltuenden Lärmes halber durften wir unsere Munition nicht vergeuden, denn vor uns lag noch die ganze ungewisse Expedition, vielleicht manches Zusammentreffen mit Mensch und Tier, deren gefälligen Benehmens wir nicht sicher waren. Darum sparten wir unsere Jagdlust und unser Pulver und verzichteten auf einen Grund, an Land zu gehen und uns Bewegung zu machen.

So wie die Sonne aber nicht mehr aufs Wasser selber schien, sondern die Waldspitzen in schrägem und scharfem Schnitt mit Kupferflammen entfachte, fingen wir an, die Ufer nach einem Lagerplatz abzusuchen. Der Instinkt der Indianer gab den Ausschlag. In diesen zehn Minuten, da die Sonne uns geradezu auf und davon lief, ging im Wald eine Veränderung vor sich. Hätten wir nicht selbst auf den flinken Einbruch der Nacht gewartet, die ozeangleiche Bewegung, die jetzt auf allen Seiten entstand, hätte uns allein als Signal dienen müssen. Im Laub rauschte es, das Rascheln pflanzte sich fort, siedendes Leben ergoss sich vom Tag zur Nacht, ein Heer von Schlangen schien auf dem Marsch; misstönende Vogelstimmen schrien wie weinende Hunde durcheinander, verehrten und befehdeten sich mit köterigen Lauten. Mit einem Male zeigte es sich, dass ein eminentes Leben da war, dass die trügerische Stille eine wimmelnde Fülle tierischer Wesen geborgen haben musste. Affennationen begannen zu hadern und zu keifen, brachen in die Haine eines fremden Stammes ein, zerknackten mutwillig die dürren Zweige. Vögel erhoben sich schlupfend zu einem kleinen Flug über den Laubozean, um sich einmal kräftig von den Anstrengungen der Diskretion, die tagsüber in ihrem Beginnen wartete, zu erholen; war es Hohn, eine Manier der Genugtuung, als sie jetzt in einen fürchterlichen Skandal zusammenstimmten: eins war sicher, aus dem ganzen Phantom von prächtigen intensiven Farben, aus dieser ganzen aufreizenden Explosion einer Malerpalette drang kein einziger sympathischer Laut. Unten am Boden aber zogen Echsen und Reptile los, ein widerliches Schleichen von tausend Leibern, die von warmen Sitzungen in Sonnenflecken sich zu vertrackten Löchern durchbohrten, behelligte das Ohr und wirkte bis in die Zähne: eine Vorstellung von kalten Muskelwesen, die an rissigem Holz entlang emporkrochen, bot sich an. – Da sank die Sonne, und schon hatte auch das Manöver geendet. Hin und wieder plumpste ein Katzenleib dumpf auf den Boden; hinter dem Feuerkranz, der uns gegen das Land und den Dschungel hin abschloss, fauchte es ärgerlich. Ein Puma krakeelte in langen Arien. Sonst war es still, wieder still, nicht ganz so still wie am Tage, aber doch still. Das Glucksen und Schluchzen des Wassers war deutlicher hörbar. Und zwischen dem Spalt überm Fluss stand der Himmel in weißer atmender Glut; eine Sternschnuppe fiel, sauste in der Nähe nieder, links da brach sie ein, man hält den Atem an – wird sie im tintenschwarzen Wasser verzischen?

Am Morgen, eine Viertelstunde vor Sonnenaufgang etwa, wird uns das gleiche Theater wecken; der ganze Wald schlägt dann Reveille. Bis dahin können wir ungestört schlafen. Zur Feuerwacht aber wechseln immer je drei ab während der zwölfstündigen Finsternis. Der, an dem gerade die Reihe ist, kann allerlei Beobachtungen machen. Er kann auf die Töne des Urwalds