Rock My World - Ein heißer Sommer - Christine Thomas - E-Book
SONDERANGEBOT

Rock My World - Ein heißer Sommer E-Book

Christine Thomas

4,8
8,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 8,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Als Jasmin (17) auf ihrer Geburtstagsparty ihren Freund Conall beim Fremdgehen mit ihrer besten Freundin erwischt, ist sie dankbar, nach L.A. flüchten zu können. Ihre Mutter hat beschlossen, dort als Schauspielerin neu durchzustarten. Während ihr bester Freund Leon ihren Rachesong »Sorry Ass« zum YouTube-Hit macht, jobbt Jasmin in L.A. bei Starbucks und verliebt sich dort in den geheimnisvollen Raoul. Doch mit dem Erfolg von »Sorry Ass« tritt Conall, der mit seiner Band ebenfalls immer bekannter wird, wieder auf den Plan. Wird Jasmin auf seine medienwirksamen Versöhnungsversuche eingehen oder sich für Raoul entscheiden?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 503

Bewertungen
4,8 (22 Bewertungen)
18
4
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



DIE AUTORIN

Foto: © A. Zeldler

Christine Thomas ist verrückt nach Latte Macchiato und American Football. Sie liebt Lakritz, lange Spaziergänge und das Meer. Eine Sache gibt es allerdings, die sie noch mehr mag, und das sind Happy Endings. Da es im wahren Leben oft zu wenig davon gibt, schreibt sie ihre eigenen. Ihre Romane handeln von Freundschaft, Leidenschaft, Familie und der großen Liebe. Zusammen mit ihrem Schatz und einem albernen Goldfisch lebt sie abwechselnd in Köln und Frankreich.

Von der Autorin ist außerdem bei cbt erschienen:

ROCK MY WORLD – Ein Typ zum Anbeißen (Band 2)

Christine Thomas

ROCK MY

WORLD

Ein heißer Sommer

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

2. Auflage

Originalausgabe Mai 2015

© 2015 by cbt Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Umschlagfoto: © shutterstock (Viorel Sima)

mi · Herstellung: kw

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-15871-2V002

www.cbt-buecher.de

Prolog

Könnt ihr euch an einen Tag in eurem Leben erinnern, der etwas ganz Besonderes war? Einen, der sich unvergessen in eure Festplatte gebrannt hat und an den ihr selbst Jahre später mit einem Lächeln auf den Lippen denken müsst?

Für mich war dieser Tag, als mein Bruder sein erstes großes Rennen gewonnen hat. Zugegeben, es war nicht die Formel 1, sondern Formel 10, und er saß auch nicht in einem Ferrari, sondern bloß in einem Kart. Aber für Lukas war es, als sei er Schuhmacher, der gerade den Grand Prix gewonnen hat.

Das schiefe Lächeln, mit dem er mich nach dem Rennen geblendet hat, werde ich wohl nie vergessen. Das feuchte Haar klebte an seiner Stirn, den Helm hatte er unter den Arm geklemmt, während er mit langen Schritten auf mich zukam. Im Gesicht dieses unverschämte Grinsen, als wüsste er, dass er mit seinen vierzehn Jahren nicht nur der beste Fahrer ist, sondern auch der bestaussehende.

Ich war unfassbar stolz auf ihn. Ich glaube, ich habe sogar geweint. Nicht weil er gewonnen hat, sondern weil es ihm so viel bedeutete. An diesem Tag vor fast drei Jahren sah Lukas aus, als sei er unbesiegbar – buchstäblich. Und es war das letzte Mal, dass ich ihn so glücklich gesehen habe.

In den vergangenen Monaten spielen mir meine Träume allerdings einen Streich. Sie vermischen diesen Tag mit einem anderen, dunklen Kapitel in meinem Leben. Ich sehe Lukas in seinem Wagen Kurve um Kurve nehmen, feuere ihn an und schreie mir die Seele aus dem Leib, obwohl ich weiß, dass er mich nicht hören kann. Nach einer Weile verändert sich der Traum. Pechschwarze Wolken schieben sich vor die Sonne und verdunkeln die Rennbahn. Plötzlich schüttet es aus Kübeln. Ein paarmal gerät Lukas’ Wagen ins Schlingern, doch er fängt ihn immer wieder ab, bis er von einem anderen Fahrzeug gerammt wird, das ihn aus der Bahn wirft. Lukas überschlägt sich, und mit einem Mal bin ich keine Zuschauerin mehr, sondern sitze neben ihm im Wagen. Ich höre Knochen brechen, als wir mit ungeheurer Kraft gegen Metallfässer geschleudert werden. Ihr Inhalt ergießt sich über das Fahrzeug, das sofort Feuer fängt.

An dieser Stelle fahre ich normalerweise aus meinem Albtraum hoch und versuche mich daran zu erinnern, was an diesem Tag wirklich geschehen ist. Doch selbst in wachem Zustand fange ich mehr und mehr an, die beiden Tage zu vermischen – den schönsten und den schrecklichsten in meinem Leben. Vor meinem inneren Auge sehe ich Lukas, gleichzeitig hängt der beißende Geruch verbrannter Haare in meiner Nase. Ich spüre den Schmerz in der Brust, meine Hilflosigkeit und die wachsende Panik.

Je öfter der Traum wiederkehrt, desto mehr Details von Lukas’ großem Tag entfallen mir. Seine Bärenumarmung nach dem Sieg ist mir in klarer Erinnerung geblieben. Das Strahlen seiner blauen Augen. Aber wonach roch er, und was hat er mir ins Ohr geflüstert? Worüber haben wir gelacht?

Nach dem Rennen gab es eine Feier in unserem Garten. Zumindest glaube ich, dass sie dort stattfand. Haben wir gegrillt? Oder hat es an diesem Tag irgendwann doch zu regnen begonnen, sodass wir ins Haus gehen mussten? Ich weiß es nicht mehr.

Jedes Mal nach dem Aufwachen wünschte ich, dass ich meinen Bruder nach der Siegerehrung ein bisschen länger umarmt hätte. Dass ich ihn gehalten und nie wieder losgelassen hätte. Ich meine, er wusste, wie sehr ich ihn geliebt habe, so wie ich immer wusste, dass er mich liebt.

Aber verdammt noch mal, warum habe ich es ihm nie gesagt?

01

Die schrille Melodie von Chris Browns »Don’t Wake Me Up« reißt mich wie ein Kübel Eiswasser aus meinem Schlummer. Normalerweise braucht es einen Vorschlaghammer von einem Wecker, um mich aus dem Bett zu treiben, doch das Gejaule von Rihannas Ex hat die gleiche Wirkung auf mich. Allerdings hat mich nicht mein Wecker in die Vertikale befördert, es ist ein Anruf, war ja klar. Ein Blick auf die Nummer lässt mich stöhnend zurück in die Kissen sinken.

»Hast du sie noch alle?« Für gewöhnlich begrüße ich meinen besten Freund nicht so, aber um diese Uhrzeit mache ich eine Ausnahme.

»Dir auch einen sonnigen Morgen, Süße – und alles Gute zum Geburtstag!«

»Leon, du bist zwei Jahre jünger als ich. Du kannst mich nicht Süße nennen.« Pause. »Und, ähm, danke.«

Ich kann sein Lächeln eher fühlen als hören und muss ebenfalls schmunzeln. Leon und ich sind beste Freunde, seit er und seine Eltern vor sieben Jahren ins Nebenhaus gezogen sind. Trotz des Altersunterschieds haben wir uns auf Anhieb verstanden, wobei Leon den Jungs unserer Schule weit voraus ist. Aus diesem Grund hat er zuerst eine Klasse, ein Jahr später eine weitere übersprungen, sodass wir nun in die gleiche Stufe gehen. Wie ihr euch denken könnt, macht ihn das bei unseren Mitschülern nicht gerade beliebt. Es hilft auch nicht, dass er wie ein Nerd aussieht und sich wie einer kleidet. Zum Teufel, er ist ein Nerd. Gebt dem Typen ein Notebook und einen Internetzugang, und er zeigt euch, was man damit machen kann. Oft genug ist das nicht legal.

»Ich nenne dich so, seit wir uns kennen, warum sollte ich jetzt damit aufhören?«

»Weil dich meine Freunde für meinen perversen Nachbarn halten werden, wenn du heute Abend auf meiner Party aufkreuzt und mich Süße nennst.«

»Ich bin dein perverser Nachbar, wo ist das Problem?«

Typisch Leonard. Er schafft es immer, mich zum Lachen zu bringen, und heute ist keine Ausnahme.

»Ah, das ist mein Lieblingsgeräusch«, zieht er mich auf, was mich einmal mehr auflachen lässt.

»Chris Brown?«, frage ich, um das Thema zu wechseln. »Wann hast du dir diesen Klingelton verpasst?«

»Ich wollte sichergehen, dass du rangehst«, sagt er, ohne auf meine Frage einzugehen, was eine Macke von ihm ist. »Hast du Zeit, vor deiner Shoppingtour bei mir vorbeizukommen?«

»Frag mich noch mal, wenn ich meinen Kaffee intus habe«, gebe ich zurück und unterdrücke ein Gähnen.

»Aus dir wird nie ein Morgenmensch.«

»Wie scharfsinnig du bist, Sherlock.«

Darauf schnaubt er. »Dann bis heute Abend?«

»Jep, bis heute Abend, Leon.«

Schmunzelnd lege ich auf und schwinge die Beine aus dem Bett.

Ich habe ein Morgenritual, an dem ich seit zwei Jahren eisern festhalte. Zu der Zeit war ich ziemlich durch den Wind und auf dem besten Weg in eine faustdicke Depression. Kaum zu glauben, aber ich stand kurz davor, Antidepressiva einzuwerfen. Um das zu vermeiden, ist dieses Ritual so wichtig für mich, eine emotionale Krücke, die mir Halt gibt. Dazu setze ich mich im Schneidersitz auf die Dielen, schließe die Augen und atme tief ein. Dann halte ich den Atem einen Moment an und lasse ihn mit einem langen Zug aus. Das wiederhole ich ein paarmal, fühle dabei in meinen Körper und sage mein Mantra auf: Ich bin noch hier. Ich bin noch hier. Ich bin hier. Das hilft nebenbei bemerkt auch bei Panikattacken und Angstzuständen. Nicht dass ich in letzter Zeit so etwas gehabt hätte. Zumindest nicht oft.

Ich bin übrigens Jasmin Winter und bis vor zwei Jahren war ich eine lebenshungrige Partymaus. Ich liebte es, zu lachen, zu trinken, und ich mochte Jungs. Und sie mochten mich. Meine Jungfräulichkeit habe ich mit vierzehn verloren, und gegen den allgemeinen Trend – von wegen das erste Mal ist für die Tonne und so – hatte ich eine tolle Zeit. Sex hat mir eine ganz neue Welt eröffnet, und, oh Mann, das wollte ich keine Minute länger versäumen.

Dann kam der Tag, der mein Leben, und das meiner Familie, unwiderruflich verändern sollte, denn nach einem verheerenden Unfall war nichts mehr wie vorher.

Obwohl es uns allen dreckig ging, hat es meine Mutter am schlimmsten getroffen. Ich kann nicht sagen, dass ich es nicht verstehe, dennoch ist es beängstigend, wie sie sich in den Wochen und Monaten danach vor meinen Augen aufgelöst hat und zu etwas Monströsem geworden ist. Ich erkenne sie nicht wieder, und allmählich habe ich Schwierigkeiten, mich an die Frau zu erinnern, die sie einmal war. Die mich großgezogen hat und trotz ihres zeitraubenden Jobs für mich da war.

»Jas-min!«

Das ist der Grund, warum ich eine halbe Stunde früher als nötig aufstehe. Ich brauche die Ruhe, bevor der Tag starten kann. Bevor ich meiner Mutter gegenübertreten kann, um genau zu sein.

Ein letztes Mal atme ich tief aus, lasse die Beklommenheit raus, die mich beim Klang der schrillen Stimme meiner Mutter befällt, und stehe auf.

»JASMIN!«

»Ich bin wach!«

»Frühstück ist fertig.«

Na toll, dem entkomme ich heute wohl nicht. Normalerweise schaue ich morgens im Coffeeshop vorbei, bestelle einen extra starken Latte inklusive Muffin und nehme mit Leon den Bus zur Schule. Heute ist allerdings Samstag, von daher muss ich mich mit meiner Mutter rumschlagen.

Ich mache das Dusch-Ding, das Anzieh-Ding und das Schmink-Ding, ein bisschen Mascara und Lipgloss. Dann gehe ich in die Höhle des Löwen alias unsere Küche, in der meine Mutter im seidenen Bademantel auf mich wartet. Und Max, der Mann, der mich großgezogen hat.

Als ich die Küche betrete, schweigen beide gleichzeitig, was bedeutet, dass sie über mich geredet haben. Keine große Sache, immerhin habe ich heute Geburtstag. Allerdings hasse ich meinen Geburtstag, und beide wissen das. Nichtsdestotrotz hat mich meine Mutter gezwungen, eine Riesenparty im »Mandala« zu schmeißen, einem überkandidelten Designerhotel am Potsdamer Platz. Und alles nur weil wir in knapp vier Wochen in die Staaten ziehen und ich mich in großem Stil von meinen Freunden verabschieden soll. Dass ich kaum noch Freunde habe, ist meiner Mutter dabei entgangen. Die Umzugsbombe hat sie am Weihnachtsabend losgelassen. In ihrer unnachahmlichen Art hat sie sogar ein Geschenk daraus gemacht – als ob ich mich darüber freuen würde. Mittlerweile habe ich mich an den Gedanken gewöhnt, aber ein bisschen gruselig ist die Vorstellung immer noch.

Meine Mutter ist Elisabeth Winter – die Elisabeth Winter. Schauspielerin und Gewinnerin der Goldenen Palme in Cannes. Das ist allerdings zweieinhalb Jahre her, seitdem stagniert ihre Karriere. Sie bildet sich ein, dass sie in den Staaten mehr Erfolg haben wird als in Deutschland. Als Mittdreißigerin werden ihr hier nur noch Rollen frustrierter Tatortkommissarinnen angeboten. Oder sie soll die betrogene Ehefrau spielen, die durch eine jüngere Geliebte ersetzt wird. Wenn man eine Leinwandkarriere anstrebt kommt das nicht gut.

»Alles Gute zum Geburtstag, Liebes!« Max nimmt mich in den Arm und drückt mich fest an sich. Ich finde, er sieht traurig aus, aber vielleicht bilde ich mir das auch ein. Von wegen Übertragung und so. Möglicherweise haben die beiden wieder gestritten, was keine Überraschung wäre. Es gab eine Zeit, da lagen sie sich ständig in den Haaren, doch in den letzten Monaten ist es besser geworden.

Ich schmelze in Max’ Umarmung und atme seinen sauberen Seifengeruch ein. Max alias Maximilian Brenning ist Drehbuchautor und schreibt Serien für ARD, ZDF, Sat.1 & Co. Er und meine Mutter haben sich bei einem Dreh kennengelernt, als ich fünf Jahre alt war. Mein richtiger Vater hatte sich zu dem Zeitpunkt schon lange vom Acker gemacht, hatte nicht mal den Anstand, meine Geburt abzuwarten. Keine Ahnung wie meine Mutter das Leben als alleinerziehende Schauspielerin auf die Reihe bekommen hat, denn ihr Job hält sie ständig auf Trab. An einem Tag dreht sie in Budapest, am nächsten in Italien. Seltsamerweise habe ich nur wenige Erinnerungen an die Zeit vor Max, doch mit ihm kam Ordnung in unser bis dahin chaotisches Leben.

»Geht’s dir gut?«, flüstert er mir ins Ohr.

Eher nicht, aber das behalte ich für mich. Habe ich schon erwähnt, dass ich meinen Geburtstag hasse? Um der Antwort zu entgehen, zucke ich mit den Schultern, doch Max kennt mich und drückt mich noch einmal an sich. Genau das brauche ich, ich wünschte meine Mutter würde das verstehen. Statt mich zu umarmen, stellt sie eine gigantische Schokotorte mit siebzehn brennenden Kerzen auf den Esstisch.

Das hier wird immer besser. Ich kann Kuchen nicht ausstehen, erst recht keine Schokolade. Wer ist diese Frau und was hat sie mit meiner Mutter gemacht?

Max ist meinem Blick gefolgt. Er seufzt und küsst meine Stirn.

»Blas die Kerzen aus, du musst nichts davon essen«, flüstert er, bevor er mir mit einem Zwinkern einen prall gefüllten Umschlag zusteckt. »Viel Spaß beim Shoppen.«

Mein dankbarer Blick spricht Bände. Ich brauche ein Kleid für die Feier heute Abend, und da ich zusammen mit meiner Freundin Alex losziehe, wird das vermutlich ein teurer Spaß.

Einmal tief Luft geholt, dann puste ich die tanzenden Flammen aus. Innerhalb weniger Sekunden liegt Kerzenrauch in der Luft.

»Happy Birthday, Liebes!«, trällert meine Mutter und zückt ein Tortenmesser.

Die Türklingel rettet mich davor, mich diesem Theater weiter aussetzen zu müssen.

»Ich muss los!«, rufe ich über die Schulter und stürme aus der Küche. Bevor ich aus dem Haus fliehe, schnappe ich mir meine Handtasche, die Schlüssel und einen dünnen Kurzmantel. Für Juni ist es ungewöhnlich kalt in Berlin. Außerdem nervt der ständige Regen. Dennoch weigere ich mich, einen Schirm einzupacken. Dafür ist Alex zuständig, Miss Ich-bin-auf-alles-vorbereitet, ein Kontrollfreak, der zudem meine beste Freundin ist. Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob wir wirklich Freundinnen sind. Nach meinem Zusammenbruch vor zwei Jahren haben sie und Nicci so getan, als würden sie mich nicht kennen. Ich kann es ihnen nicht verübeln, vermutlich hätte ich mich auch nicht zurückgerufen, ich war in keiner guten Verfassung.

Vor ein paar Monaten standen die zwei wieder bei mir auf der Matte, um unsere Freundschaft zu erneuern. Möglicherweise hatte das etwas mit Conall Davis zu tun, dem Neuzugang am Amalienhof. Das ist meine Schule, eine internationale Streberanstalt, an der Englisch gesprochen wird. Ideale Voraussetzungen für Conall, der aus der Nähe von London stammt und für ein halbes Jahr seinen Vater in Berlin besucht.

Irgendwie hat Conall mich aus meiner Schockstarre geholt. In seiner Nähe konnte ich seit Monaten wieder durchatmen, vermutlich auch weil er die Sache mit dem Unfall nicht wusste. Außerdem sieht er hammermäßig aus und hat eine Stimme zum Niederknien. Wenn er mir etwas vorsingt, schmilzt etwas Hartes in meiner Brust. Ich bekomme wieder Luft und kann mich sogar entspannen. Kein Wunder, denn er ist Leadsänger von »Nightmares«, einer Londoner Indie-Band. Ursprünglich haben sie als Schülerband angefangen, doch das ist Conalls Abschlussjahr, von daher war’s das mit Schule für ihn. Dass er seine Stücke selbst schreibt, finde ich ziemlich cool, denn ich schreibe ebenfalls Songs, aber das ist eine andere Geschichte.

Fragt mich nicht, was er in mir gesehen hat, denn ich bin nicht gerade ein Sonnenschein. Trotzdem hat er ein Auge auf mich geworfen und in den ersten Wochen nach seiner Ankunft hemmungslos mit mir geflirtet. Vielleicht lag es auch daran, dass ich mich ihm nicht an den Hals geworfen habe, wie der Rest der weiblichen Schülerschaft.

Irgendwann habe ich seinem sexy Lächeln nachgegeben, denn es ist verdammt schwer, Conall Davis zu widerstehen. Der Typ weiß, was er will, und er weiß auch, wie er es bekommt.

Jedenfalls gab es uns danach nur noch im Doppelpack, bis wir auf Stufe zwei unserer Beziehung angekommen sind. Und jetzt ratet mal, was heute ist? Genau, der Abend, an dem es passiert! In vier Wochen fliege ich über den großen Teich, ich weiß sowieso nicht, worauf ich so lange gewartet habe.

Oder doch. Ich schätze, dass ich die Zeit mit ihm gebraucht habe. Nachdem ich eine Ewigkeit unter dem Radar geflogen bin, war es nicht gerade leicht, wieder jemanden in meine Nähe zu lassen. Mich zu öffnen. Ich meine, Vertrauen ist schließlich nichts, was man auf Bestellung bekommt, oder? Deswegen bleibt uns bloß ein lausiger Monat, die neue Nähe zu genießen. Mitte Juli bin ich in Los Angeles und Conall muss zurück nach London. Aus diesem Grund habe ich beschlossen, dass wir es heute tun, ich hoffe ich muss nicht deutlicher werden.

»Erde an Jasmin!« Alex schnippt mit zwei Fingern vor meiner Nase und reißt mich aus meinen Gedanken. Sie sieht sauer aus.

»Also ehrlich, ich hab dir gerade zum Geburtstag gratuliert, was ist los mit dir? Brauchst du ein neues Antidepressivum oder was?«

O-kay, manchmal bin ich mir nicht sicher, ob wir überhaupt Freundinnen sind. Wahrscheinlich meint sie es nicht so … oder doch. Keine Ahnung. Im Grunde weiß ich bei Alex nicht, woran ich bin, aber weiß sie das bei mir? Davon abgesehen, dass ich mich anderthalb Jahre mental abgemeldet habe, bin ich seit dem Unfall nicht mehr dieselbe.

Alex wartet meine Antwort nicht ab. Sie packt mich am Mantel und zieht mich in den kühlen Berliner Junimorgen. Von der Haltestelle Heerstraße sind es gut zehn Minuten mit der Bahn zum Kurfürstendamm. Eigentlich bin ich eher der Kastanienallee-Typ, aber Alex hat eine Shopping-Allergie gegen die alternativen Boutiquen am Prenzlauer Berg. Da die Fahrt dahin eine Dreiviertelstunde dauert, lasse ich mich von ihr zur überteuerten Edelmeile im Zentrum schleppen. Dank Max’ Geburtstagskohle sollte ich mir ein Kleid leisten können. Und Schuhe, und, ähm, vermutlich auch eine Handtasche. Und neue Ohrringe … So viel zu meinem Vorsatz, sparsam zu sein.

»Oh mein Gott, was sagst du zu diesen Heels?«

Im Gegensatz zu mir lässt Alex es richtig krachen. Vor dem Gucci-Schaufenster kriegt sie praktisch einen Orgasmus. Und ja, ich sehe die Pumps. Sie sind aus rotem Lack mit einem zwölf Zentimeter hohen Absatz. Zu was soll man bitteschön korallenrote Plateauschuhe tragen, außer zu einem Kleid in der gleichen Signalfarbe? Was mich betrifft habe ich nicht vor, im Schlampen-Look zu meiner Geburtstagsfeier zu erscheinen. Alex anscheinend schon. Unsere Partykleider haben wir bei Miu Miu im KaDeWe bekommen, wer hätte gedacht, dass das so einfach wird? Während ich dort meine gesamte Montur erstanden habe, bestand Alex darauf, zu Gucci am Kurfürstendamm zu marschieren, die angeblich eine bessere Auswahl an Schuhen haben als der Schwesternshop im Kaufhaus des Westens. Aber klar doch.

»Brezelst du dich für jemand Bestimmten auf?«, frage ich, während wir das Geschäft betreten.

»Ja. Das heißt nein. Das heißt … was meinst du mit aufbrezeln?«

Super, sie versucht das Thema zu wechseln. »Damit meine ich, dass du drei Kleider und zwei Paar Schuhe gekauft hast.« Nicht zu vergessen den Schal von Kenzo, der mehr gekostet hat als mein Abendkleid, oder die Roberto-Cavalli-Abendtasche, die fast doppelt so teuer war.

»Manchmal muss man kurzfristig umdisponieren. Was soll ich deiner Meinung nach tun, wenn ich nichts zum Anziehen habe?«

Alex und nichts zum Anziehen? Ihr Schrank ist größer als mein Zimmer. Das sage ich jedoch nicht laut, sonst darf ich mir einen Vortrag darüber anhören, dass man nie genug Klamotten haben kann und dass meine Garderobe dringend aufgemotzt werden muss. Nein danke. Davon abgesehen ist Alex bildhübsch und würde selbst in einem ausgebeulten Trainingsanzug sexy aussehen. Das Haar muss sie nicht mal glätten, so ist es von Natur aus. Dank ihrer mandelförmigen Augen wirkt sie exotisch, kein Wunder wenn die Eltern aus Singapur stammen. Die beiden sind Botschaftsangestellte, mit wenig Zeit und viel Geld.

»Raus mit der Sprache, wer ist der Glückliche?« Etwas unmotiviert probiere ich ebenfalls ein Paar Schuhe, obschon ich nicht vorhabe sie zu kaufen. Aber die Frage soll beiläufig rüberkommen, ich möchte wissen, wen sie sich angeln will.

Alex bewundert die feuerroten Heels an ihren Füßen, dann sieht sie auf und seufzt theatralisch.

»Also schön, da wäre jemand, und ich hoffe heute Abend den Sack zuzumachen.«

»Reden wir von Sex?« Dann hätten wir endlich etwas gemeinsam. Doch sie rollt mit den Augen.

»Den hatten wir schon. Ich will, dass er seiner Freundin den Laufpass gibt. Wenn ich ihn heute Nacht nicht dazu bringe, wird es vermutlich nie passieren.«

»Wer ist es?«

»Das kann ich dir nicht sagen.«

Als ich fragend die Brauen hebe, verdreht sie abermals die Augen.

»Falls es nicht klappen sollte, stehe ich wie eine Idiotin da. Und wenn er anbeißt, wirst du es als Erste erfahren.«

Etwas an ihrem Lächeln gefällt mir nicht, obwohl ich nicht sagen kann, was.

Zum Essen treffen wir uns mit Nicci im Faustus, einer Edelkneipe am Wittenbergplatz. Unser dritter Musketier hat den Vormittag in einem Spa verbracht, um auf der Party zu glänzen. Wenigstens eine, die sich auf den Abend freut. Jedenfalls müssen wir die zwei Kilometer zum KaDeWe zurückwandern – keine schöne Aussicht. Allein bei dem Gedanken an den Marsch spüre ich Blasen an den Füßen.

Glücklicherweise ist Alex hungrig und macht es kurz. Sie kauft die Pumps und eine weitere Handtasche, dann machen wir uns, beladen wie zwei Mulis, auf den Rückweg.

Kaum haben wir das Faustus betreten, kreischt Nicci wie eine Besessene, als sie unsere Lacktüten entdeckt.

»Ihr wart bei Miu Miu?«

Da, und in zweihundert anderen Shops, zumindest fühlen sich meine Füße so an.

»This Love« von Maroon 5 trällert aus meiner Handtasche und erspart mir die Antwort. Das ist Conalls Klingelton. Lächelnd nehme ich das Gespräch entgegen und entferne mich von Alex und Nicci.

»Hi!«

Erst höre ich nichts, dann stimmt er mit der E-Gitarre einen Akkord an, eine rockige Version von »Happy Birthday«. Jetzt grinse ich, während ich den Hörer gegen das Ohr presse, um nichts zu verpassen. Seine rauchige Stimme geht mir durch Mark und Bein. Verzaubert schließe ich die Augen und halte mich an der Theke der Bar fest. Dieser Junge gehört mir. Er singt für mich. Vielleicht besteht ja doch noch Hoffnung auf ein bisschen Glück.

Als er fertig ist, muss ich tief durchatmen. Meine Knie sind weich, deswegen setze ich mich auf einen der Hocker.

»Alles Gute zum Geburtstag, Honey.«

Manchmal glaube ich, dass er mir das Berliner Telefonbuch vorlesen könnte, und ich wäre auch dann hin und weg. Seine Stimme, gepaart mit diesem süßen britischen Akzent, ist wie ein Geschenk, das nur mir gehört.

»Hi Conall.« Ich räuspere mich. »Äh, danke. Das war …« wundervoll, sexy, heiß, … »Cool.«

Das ist das Problem. Auf dem Papier bin ich eloquent, wenn ich den Mund aufmache … nicht. Conall lacht und mir laufen kleine Schauer über den Rücken.

»Ich meine …«, setze ich an, um zu retten, was zu retten ist.

»Cool klingt cool«, unterbricht er mich, und ich atme erleichtert auf.

»Hast du etwas Schönes zum Anziehen für deine Feier gefunden?«

»M-hm«, mache ich und nicke, obwohl er es nicht sehen kann.

»Ist es sexy?«

Oh ja. Ein praktisch nicht vorhandenes kleines Schwarzes. Klassisch, aber verdammt heiß. Zum Glück bin ich mit langen Beinen gesegnet, in dem Kleid sehen sie kilometerlang aus. Vermutlich auch, weil das Teil so kurz ist.

»Das musst du entscheiden.«

»Ich kann es kaum erwarten, dich darin zu bewundern.«

Wem sagst du das, denke ich und unterdrücke ein Seufzen. Ich meine, der einzige Sinn und Zweck des Fummels besteht darin, dass er ihn mir auszieht.

Als hätte er den Gedanken gehört, ergänzt er im nächsten Moment:

»Hast du auch sexy Wäsche gekauft?«

Oh, Shit! Warum habe ich nicht an Dessous gedacht? Ich weiß, dass Conall mich nur aufzieht, er hat keine Ahnung, was ich nach der Feier mit ihm vorhabe. Er deutet mein geschocktes Schweigen als Verlegenheit, und ich kann sein dunkles Lachen hören, obwohl er versucht, es zu unterdrücken.

Verdammt, ich muss gleich noch mal los in die Wäscheabteilung, aber bestimmt nicht mit Alex und Nicci im Kielwasser. Doch zuerst muss ein Themenwechsel her.

»Weißt du schon, wann du heute Abend kommst?«

»Ich muss vorher noch die Technik überprüfen, deswegen werde ich früh im Hotel sein.«

Stimmt, das hatte ich vergessen. Es fällt mir schwer, mich in seiner Gegenwart zu konzentrieren. Sein dunkler Bariton lullt mich ein, umfängt mich wie ein warmer Mantel.

Als ich auflege sind meine Wangen gerötet. Alex nimmt mich in Augenschein, dann werden ihre Lippen schmal.

»Meine Herren, Jasmin, heute Abend solltest du endlich Nägel mit Köpfen machen, du bist so was von überfällig«, sagt sie und verzieht den Mund zu einem spöttischen Lächeln.

Nicci kichert über den Scherz – ich nicht. In einem schwachen Moment habe ich Alex gestanden, dass Conall und ich noch keinen Sex hatten. Seitdem lässt sie keine Gelegenheit aus, mir diese Tatsache aufs Brot zu schmieren. Keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht habe. Vermutlich wollte ich ein bisschen Nähe zeigen, nachdem ich mich monatelang zurückgezogen habe. Ich würde allerdings eher Rasierklingen schlucken, als noch einmal intime Details meines nicht vorhandenen Liebeslebens mit ihr zu teilen.

Während Nicci vom Guerlain-Spa schwärmt, gehe ich in Gedanken meine Möglichkeiten durch. Erstens will ich allein sein, um in Ruhe Dessous auszusuchen. Das KaDeWe ist gleich um die Ecke, und meine Freundinnen sehen so aus, als könnten sie sich stundenlang über die Konsistenz von Schlämmkreide unterhalten.

Mich von den beiden zu trennen, ist einfacher als ich dachte. Nach dem Essen gebe ich vor, etwas Superwichtiges für die Party klären zu müssen, und verabschiede mich mit einem falschen Lächeln. Letzteres macht mich ein bisschen traurig, denn ich kann den beiden nicht schnell genug entkommen, was mir einmal mehr zeigt, wie kaputt ich bin. Als ob ich daran erinnert werden müsste.

Das Drehbuch für die Stunden nach der Party im Kopf ziehe ich los und kaufe provozierend heiße Wäsche. Danach brauche ich einen Latte, um mich zu beruhigen, denn allmählich spüre ich das Gewicht meiner Entscheidung. Nähe zuzulassen, gehört nicht zu meinen Stärken. Vermutlich sollte ich auch etwas gegen den Schmerz in meiner Brust unternehmen, der sich wie ein glühender Bleiklumpen anfühlt. Heute ist es ganz besonders schlimm – klar, ist ja auch mein Geburtstag. Alle Jahre wieder.

Die Richtung meiner Gedanken gefällt mir nicht, deswegen stelle ich mir Conall vor, wie er mit mir tanzt, und sofort fühle ich mich besser. Einatmen. Ausatmen. Ich schaffe das.

Zu Hause angekommen, habe ich noch Stunden Zeit, bevor ich losmuss. Meine Mutter ist im Hotel, wo sie vermutlich mit letzten Änderungswünschen das Personal in den Wahnsinn treibt. Max hat sich wie immer in seinem Arbeitszimmer eingeschlossen. Kurz überlege ich zu Leon rüberzugehen, doch ich verwerfe den Gedanken. Stattdessen breite ich meine Beute auf dem Bett aus und lächle.

Obwohl das schwarze Etuikleid kurz ist, strahlt es eine schlichte Eleganz aus. Klassisch mit genügend Sexappeal. Schuhe und Clutch sind ebenfalls ohne Schnickschnack, perfekt. Zufrieden gehe ich in die Küche, wo ich mich mit Koffein versorge, um mich danach meinem Haar zu widmen. Ich entscheide mich, es zu glätten, da ich es offen tragen werde. Es ist kastanienbraun mit natürlichen Highlights, die es im Sonnenlicht mal goldbraun, mal rotbraun schimmern lassen.

Während des Glättens stelle ich mir vor, meine Haare wären meine Nerven, und tatsächlich werde ich ruhiger. Vermutlich hätte ich den Espresso nicht trinken sollen, doch ich liebe den Duft gemahlener Bohnen. Irgendeine Zauberformel darin bewirkt, dass ich mich sofort besser fühle, sobald ich das Aroma frisch aufgebrühten Kaffees rieche.

Was ich im Moment allerdings am dringendsten brauche, ist Ordnung. Also sortiere ich meine Gedanken und versuche mein emotionales Durcheinander einzudämmen.

Vor ein paar Monaten hatte die Aussicht, Berlin und den Erinnerungen zu entkommen, etwas Erlösendes. Von wegen Neustart und so. Ich bin mir nicht sicher, wie lange es dauern wird, bis meine Mutter durchdreht. Allein dafür, dass sie mir diese Party aufgezwungen hat, könnte ich sie erwürgen. Nur weil sie der Ansicht ist, dass ich mich angemessen von meinen Freunden verabschieden soll, muss gefeiert werden. Sie hat die ganze verdammte Stufe eingeladen, also die Leute, die mich nach dem Unfall wie eine Aussätzige behandelt haben. Dass sie kommen, wundert mich nicht, immerhin wird Conall da sein. Das macht diese Zwangsparty für mich jedoch nicht schmackhafter.

Versteht mich nicht falsch, meine Mutter hat die besten Absichten. Allerdings hat sie keine Ahnung, was ich brauche. Und das ist das Traurige daran, denn meine Mutter ist kein schlechter Mensch. Sie glaubt, mir einen Gefallen zu tun, dabei rammt sie das Messer bloß tiefer in die Wunde.

Was mich daran so wütend macht, ist die Tatsache, dass ich nichts dagegen tun kann. Wenn ich ihr sage, wie ich mich fühle, bricht sie in Tränen aus, dann komme ich mir wie ein Monster vor. Mache ich ihr Vorwürfe, bricht sie zusammen, das hatten wir schon. Einmal habe ich sie angeschrien – das war keine Sternstunde unserer Beziehung, das könnt ihr mir glauben. Deswegen hatte der Gedanke, woanders noch einmal von vorn anzufangen, sogar etwas für sich.

Das war allerdings, bevor mir Conall über den Weg gelaufen ist. Jetzt habe ich Angst, den einzigen Menschen zu verlieren, der mich gesehen hat, als ich am Boden war, und der sich nicht von mir abgewandt hat wie der Rest meiner Freunde. Also abgesehen von Leon.

Auf der anderen Seite wäre Conall ohnehin diesen Sommer zurück nach London gegangen. Allerdings würden uns nicht zehntausend Kilometer und ein gigantischer Ozean trennen, sondern bloß ein Zwei-Stunden-Flug und der Kanal. Zumindest wäre es machbar gewesen. Aber jetzt?

Nachdem ich meine Mähne gezähmt habe, verputze ich eine Fertigpizza, danach kommt das Make-up.

Passend zu meiner Garderobe entscheide ich mich für einen schlichten Look, mit Ausnahme der Smokey Eyes. Hier klotze ich ein bisschen, schließlich kenne ich meine Stärken, und das sind neben meinen Beinen definitiv meine großen grünen Augen.

Als ich das nächste Mal auf die Uhr sehe, muss ich feststellen, dass die Schonzeit vorbei ist. Showtime.

02

Das Mandala ist ein Designerhotel im Bauhausstil. Mir ist das minimalistische Styling zu ungemütlich, aber mich hat schließlich niemand gefragt, wo ich feiern möchte. Oder ob mir nach Feiern zumute ist, wo wir schon dabei sind.

Als ich ankomme, ist die angemietete Bar bereits rappelvoll, was mich ein bisschen wundert. Normalerweise läuft das so, dass die ersten Gäste mindestens eine halbe Stunde nach offiziellem Partybeginn aufkreuzen. Wer sich für wichtig hält, erscheint sogar noch später, nach dem Motto: »Ich hatte keine Ahnung, dass es so früh losgeht!« Ja, klar.

Dann begreife ich, was die Meute so zeitig auf meinen Geburtstag treibt beziehungsweise wer. Er ist eins fünfundachtzig groß, hat dunkelblondes, struppiges Haar, blaue Augen und eine Stimme die uns Weiber dazu bringt, Stringtangas auf die Bühne zu werfen. Darf ich vorstellen, mein Freund Conall Davis. Als er mich sieht, zwinkert er mir zu und gibt den Bandmitgliedern ein Zeichen. Mein Herz macht einen Salto rückwärts. Er hat Mitch und Paul einfliegen lassen, seinen Bassisten und Drummer. Die »Nightmares« sind hier, und sie spielen nur für mich, ist das zu fassen?

Als Conall mit der E-Gitarre eine soulige Happy-Birthday-Version anstimmt, drehen sich einige Köpfe in meine Richtung. Kurz darauf steigen Bass und Drum mit ein. Der Song klingt jetzt mehr nach Linkin Park und nimmt rasch an Fahrt auf, bis die Band die komplette Bar rockt.

Während ich mir einen Weg zur Bühne bahne, schlägt mein Herz bis zum Hals. Am Podium angekommen, reicht Conall mir die Hand und zieht mich zu sich auf die Empore. Das schwarze Hemd klebt an seinem Oberkörper, anscheinend spielen sie schon eine Weile. Unter den aufgekrempelten Ärmeln kriechen polynesische Tattoos seine muskulösen Arme entlang, ineinander verschlungene Muster und Zeichen, die ich schon oft mit den Fingern nachgezeichnet habe. Dann drückt er mich an sich und küsst mich, und wie durch Zauberhand fällt die Anspannung des Tages von meinen Schultern. Als sei das ihr Stichwort, springen Nicci und Alex zu uns auf die Bühne. Letztere hat sich für das rote Kleid entschieden, das so eng sitzt, dass es aufgesprüht wirkt. Sie schenkt Mitch, Conalls Bassisten, ein verführerisches Lächeln während ihre Hand seine Schulter entlangfährt. Schmunzelnd zwinkert er ihr zu. Mehr braucht es nicht, denn einen Moment später klebt sie wie eine Briefmarke an ihm. Wie er dabei spielen kann, ist mir ein Rätsel.

Ich beschließe, Alex zu ignorieren, und konzentriere mich auf meinen Freund. Irgendwoher taucht eine Flasche Tequila auf, darum bittet Conall die aufgekratzte Menge um Zitrone und Salz, was die Leute in Gelächter ausbrechen lässt.

Für einen Moment halte ich inne und nehme die überschäumende Atmosphäre in mich auf. Früher hat es mir einen Riesenspaß bereitet, auf der Tanzfläche Dampf abzulassen. Zum Teufel, Alex, Nicci und ich haben auf Tischen getanzt. Heute brauche ich dazu Hochprozentiges, reichlich davon. In diesem Sinne kippe ich die ersten beiden Gläser ohne nachzudenken hinunter. Nach dem dritten Glas tanze ich mit Nicci, nach dem vierten werden wir ausgelassener. Die Arme in der Luft, hüpfen wir auf und ab und kicken unsere Heels in die grölende Menge. Schließlich schüttet sich Nicci Tequila ins Dekolleté, den Paul, Conalls Drummer, bereitwillig abschleckt.

Ähm, okay, für so was bin ich nicht besoffen genug. Das dunkle Glühen in Conalls Augen verrät mir allerdings, dass ihm die Show gefällt. Nach dem sechsten Glas werde ich mutiger, drücke meinen Rücken gegen sein Sixpack und rutsche provozierend seine Brust auf und ab. Conalls Grinsen ist unbezahlbar. Er reicht die Gitarre an Erik weiter, der zwar nicht zu den Nightmares gehört, dafür in unserer Schulband spielt.

Mein Rücken fährt Conalls Bauchmuskeln entlang und ich schließe die Augen und lächle. Genieße den Druck seiner Hände, als er mich von hinten umfängt und an sich zieht. Pfiffe werden laut, die Jungs auf der Tanzfläche johlen.

Als ich den Kopf drehe, um Conall zu küssen, verschlägt mir der Hunger in seinem Blick für einen Augenblick den Atem. Langsam fahren seine Hände die Außenseiten meiner Schenkel entlang, bis sie den Saum des Kleides erreichen. Seine Daumen bewegen sich kreisend auf meiner Haut, und ich muss mich an ihm festhalten, denn meine Knie werden mit einem Mal butterweich, während mein Puls in den Ohren hämmert.

Dieser heiße Typ gehört mir, und dass er mich will, ermuntert mich, mehr zu wagen. Also drehe ich mich um und knöpfe ihm im Zeitraffer das Hemd auf, woraufhin die Meute unter uns tobt. Dank meines Alkoholpegels habe ich Koordinationsschwierigkeiten, deswegen reiße ich das Hemd kurzerhand auf, sodass die Knöpfe wie Popcorn in alle Richtungen fliegen. Die Mädels in den ersten Reihen flippen beim Anblick von Conalls Waschbrettbauch aus, doch ich bin noch nicht fertig. Ich beuge mich vor und fahre mit der Zunge über seine skulptierte Brust. Dann setze ich die Flasche Tequila an meine Lippen, nehme einen großen Schluck und träufle anschließend Zitronensaft auf Conalls Lippen, bevor ich ihn küsse. Wenn die Leute schon vorher aufgepeitscht waren, drehen sie jetzt komplett durch. Der weibliche Teil meiner Gäste macht es mir nach, und in Nullkommanichts steht der männliche Teil oben ohne da – nicht dass sich jemand beschweren würde. Die Jungs lieben es, vor allem den Teil, als die Mädels ihnen das Salz von der Brust schlecken, Zitrone über ihre Lippen träufeln und sie nach einem kräftigen Schluck Tequila küssen.

Alex setzt noch einen drauf. Sie quetscht sich das Tequilaglas in ihren Ausschnitt und fordert Mitch auf, zu trinken. Kein Scherz. Da er dem anderen Geschlecht angehört, lässt er sich nicht zweimal bitten und vergräbt das Gesicht in ihrem Dekolleté.

Glücklicherweise komme ich nicht dazu, mir den Rest anzusehen, denn Conall wirbelt mich herum und presst seine Lippen gegen meine.

Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, doch als ich von der Bühne springe, um den Waschraum aufzusuchen, lande ich beinahe auf dem Hintern. Zu sagen, ich sei knülle, wäre die Untertreibung des Jahres. Irgendwo zwischen dem achten und zehnten Glas habe ich aufgehört zu zählen, zumal wir danach direkt aus der Flasche getrunken haben. Ich bedanke mich bei … keine Ahnung, wer mir auf die Beine geholfen hat, das Gesicht ist irgendwie verschwommen, und wanke Richtung Toilette. Kurz bevor ich mein Ziel erreiche, legt mir jemand den Arm um die Taille und ändert die Richtung. Ich wehre mich nicht, denn obwohl mein Blick verzerrt ist, würde ich den Geruch nach Minzkaugummi und gemähtem Gras überall wiedererkennen.

Leon hat sich an meiner Seite materialisiert und führt mich in den ruhigen Innenhof des Hotels.

Im ersten Moment bin ich dankbar, denn die frische Luft fühlt sich gut in meinen Lungen an. Ich ändere meine Meinung, als der Würgereiz einsetzt und ich mich lauthals übergebe. Ausgerechnet heute trage ich meine Haare offen, kann ich gerade noch denken, danach übernehmen die Instinkte.

Nach einer gefühlten Ewigkeit beruhigt sich mein Magen und ich nehme etwas anderes außer dem Brennen meiner Kehle wahr. Leon redet leise auf mich ein. Seine linke Hand streicht über meinen Rücken, während seine rechte – Gott segne ihn! – meine Mähne zurückhält. Ich knie auf dem Kiesboden und warte, dass es wieder losgeht, aber außer Schleim kommt nichts mehr.

Es dauert weitere Minuten, bis ich mich aufrichten und Leon in die Augen sehen kann. Oder auch nicht, denn ich komme mir wie ein Vollpfosten vor. Soweit ich mich erinnere, habe ich ihn nicht mal begrüßt. Bevor ich mich bei ihm entschuldigen kann, legt er mir sein Sakko um, und jetzt bemerke ich, dass meine Zähne wie Kastagnetten klappern. Kein Wunder, denn die Nacht ist kalt und ich bin schweißgebadet. Vermutlich haben sich meine Smokey Eyes über das ganze Gesicht verteilt, sodass ich wie ein Panda aussehe. Darum werde ich mich später kümmern, erst mal muss ich auf die Beine kommen.

Leon hilft mir auf, doch ich möchte einen Moment allein sein.

»Geh schon mal vor«, sage ich und deute mit dem Kinn zur Hoftür. »Ich brauch ’ne Minute.«

Er sieht nicht begeistert aus. »Bist du sicher?«

»Muss den Geschmack aus dem Mund bekommen.«

Darauf nickt er. »Ich besorg dir ein Glas Wasser.«

Ich versuche ein Lächeln, das wahrscheinlich wie eine Grimasse rüberkommt.

Als er die Tür erreicht, rufe ich seinen Namen.

»Leon?«

»Ja?«

»Danke.«

Wie dankbar ich bin, werde ich ihm später noch sagen. Jetzt muss ich mich erst mal einkriegen.

Er schenkt mir ein mattes Lächeln, nickt noch einmal und verschwindet über die Terrasse ins Hotel.

Mit wackligen Beinen schaffe ich es zu einem Korbsessel und krieche hinein. Abermals versuche ich zu rekonstruieren, wie viel ich getrunken habe, doch es ist zwecklos. Warum musste ich mich so volllaufen lassen? Okay, es ist mein Geburtstag, und der ganze Mist, der damit zusammenhängt. Aber heute sollte die Nacht der Nächte werden und im Moment fühle ich mich so sexy wie eine Nacktschnecke.

Als ich Schritte auf dem Kies höre, denke ich im ersten Moment, es ist Leon. Bis das Gekicher losgeht.

Oh nein, bitte nicht. Niemand darf mich in diesem Zustand sehen, sonst geht das Gerede wieder los.

Ich halte die Luft an und sinke tiefer in den Sessel. Vorsichtig ziehe ich die Beine an, bis mich der Korb vollständig umgibt. Als ich bekannte Stimmen höre, halte ich in meiner Bewegung inne.

»Mach schnell.«

»Immer diese Eile. Warum können wir uns nicht ein Mal Zeit nehmen?«

»C’mon, sie kann jeden Augenblick zurückkommen.«

Ich erstarre, das muss ein Traum sein.

»Ich hab gesehen, wie sie zum Waschraum gewankt ist, wo sie sich wahrscheinlich gerade die Seele aus dem Leib kotzt.«

»So viel hat sie auch wieder nicht getrunken.«

»Hallo? Sie hat fast eine halbe Flasche Tequila intus.«

»Bist du sicher?«

Ich bilde mir ein, Sorge in seiner Stimme zu hören, doch um ehrlich zu sein, fehlt mir für diese Feinheiten momentan der Sinn. Meine Gedanken laufen Amok – Alex und Conall?

»Selbst wenn sie wieder aufkreuzt, wird Nicci uns wie immer decken, wo ist das Problem?«

Hat sie gerade wie immer gesagt?

Als Nächstes höre ich Geräusche, die ich nicht sofort zuordnen kann, doch mein Kopfkino nimmt die Sache in die Hand. Küsse. Leidenschaftliche Küsse, um genau zu sein.

»Shit, du bist so heiß!«

Darauf kichert Alex und ich muss würgen.

Schräg hinter mir knarzt ein Korbsessel, als Conall sich stöhnend hineinfallen lässt. Dem Geräusch nach kniet Alex sich in den Kies. Ein Reißverschluss wird geöffnet und mir wird wieder schlecht.

»Honey, du machst mich fertig …«

Honey? So nennt er sonst nur mich. Mein Magen rebelliert, doch ich bringe meine ganze Willenskraft auf, den Würgreiz zu unterdrücken.

Das kann nicht sein, darf nicht sein. Ich will aufstehen und flüchten, aber meine Beine gehorchen mir nicht. Also mache ich mich ganz klein, rolle mich zu einem Ball ein und presse die Lider fest zusammen.

»Was zum Geier …«

Oh Mist, Leon hatte ich ganz vergessen.

Als ich die aufsteigende Magensäure spüre, springe ich aus meinem Versteck und übergebe mich ein weiteres Mal.

»Fuck!« Das kommt von Conall. Alex schreit. Warum schreit sie, sollte sie nicht lachen? Im nächsten Moment höre ich ein fürchterliches Knacken. Gegen meinen Willen wende ich mich um und sehe gerade noch, wie Conalls Kopf von Leons Faust getroffen zurückfliegt.

»Du schmieriger Wichser!«

Komischerweise schockiert mich der Anblick nicht. Alles was ich denke ist: Wow, klasse Schlag, was ein bisschen merkwürdig ist. Ich meine, das ist Leon, mein sanfter Freund. Normalerweise traktiert er nur seine Tastatur, aber gerade hat er Conall eine reingehauen.

Und dann werde ich ganz ruhig. Keine Ahnung, warum, aber das Zittern lässt nach, und ich kann wieder richtig atmen. Es ist verrückt. Mein schlimmster Albtraum ist wahr geworden, doch statt auszurasten, fühle ich mich seltsam erleichtert.

Ist das der Schock? Oder ich drehe gerade durch und das ist eine neue, unbekannte Form. Andererseits habe ich immer befürchtet, dass so etwas passieren würde. Ich meine, Conall ist Conall, und ich bin … ich. Alles an mir schreit Durchschnitt, während Conall der geborene Star ist.

Möglicherweise liegt es auch daran, dass ich schon einmal jemanden verloren und deswegen einen Teil von mir zurückgehalten habe. Etwas, das verhindert, dass ich beim nächsten Mal komplett abstürze und jeden Halt verliere.

In jedem Fall spüre ich neben dem Schock eine seltsame Entspannung. Verlustängste können verdammt anstrengend sein, ich weiß, wovon ich rede. Beim letzten Mal hätte es mich fast ruiniert. Ich meine, irgendwann werden wir alle verlassen, Menschen kommen und gehen. Manchmal sterben sie, dagegen ist man machtlos. Dann muss man sehen, wie man damit zurechtkommt, und ich bin nicht besonders gut darin, geliebte Menschen gehen zu lassen.

Ich weiß nicht, wie ich auf die Beine gekommen bin, aber plötzlich ist das Glas Wasser in meiner Hand, und ich kippe den Inhalt in Alex’ Gesicht.

»Du Miststück!«, brüllt sie.

Überrascht lache ich auf. Ich bin das Miststück? Ohne nachzudenken, hole ich aus und gebe ihr eine schallende Ohrfeige, die sie zurücktaumeln lässt. Mein Blick sucht Conall, der mit ausgestreckter Hand auf mich zukommt. Mit der anderen hält er sich das Kinn, anscheinend hat Leon einen Volltreffer gelandet. Bevor er etwas sagen kann, ergreift Leon meinen Ellbogen und führt mich durch den begrünten Innenhof der Hotelanlage zu einer Seitenstraße. Conalls verzweifelten Blick werde ich wohl nie vergessen. Als er meinen Namen ruft, stolpere ich, doch Leons Griff verstärkt sich, und ich widerstehe dem Drang, umzukehren und mich in seine Arme zu werfen. Denn obwohl ich diejenige bin, die verschwindet, hat er mich verlassen. Er hat unsere Beziehung verraten, und das schmerzt mehr, als ich sagen kann.

Ich hatte schon einige beschissene Geburtstage, aber der hier toppt alles.

03