Romana Extra Band 27 - Kate Hewitt - E-Book

Romana Extra Band 27 E-Book

Kate Hewitt

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Beschreibung

RENDEZVOUS IM LAVENDELGARTEN von BLOOM, BELLA
Ein Château umgeben von Lavendel: Anna ist von dem Anwesen bezaubert - und fasziniert von David Lefleur, dem Besitzer. In seinen schönen Augen liest sie den gleichen Wunsch, den sie hat: noch einmal lieben. Aber kann sie das nach dem Verrat ihres Exfreundes überhaupt noch?

DAS UNMORALISCHE ANGEBOT DES MILLIARDÄRS von WEST, ANNIE
Von Liebe ist keine Rede, als Milliardär Rafe Benton der hinreißenden Antonia einen ungeheuerlichen Vorschlag macht: Er bietet ihr viel Geld, wenn sie ein halbes Jahr seine Geliebte spielt! An Gefühle denkt er nicht - bis er die selbstbewusste Schönheit zum ersten Mal küsst …

KÜSSE, DIE DAS HERZ ENTFLAMMEN von DONALD, ROBYN
Die traumhafte Bucht am Meer ist Mornas persönliches Paradies. Hier verbringt sie wundervolle Stunden mit dem attraktiven Hawke, dem neuen Mann in ihrem Leben. Doch plötzlich muss sie glauben, dass er nur einen Grund für seine Zärtlichkeit hat: Er will ihr Land für sich …

DREI KLEINE WORTE BIS ZUM GLÜCK von HEWITT, KATE
"Ich liebe dich." Alyse traut sich nicht, diese innigen Worte zu Prinz Leo Diomedi zu sagen. Denn trotz ihrer romantischen Hochzeit am Meer weiß sie, dass sie nur eine Vernunftehe führen. Aber eine zarte Hoffnung wächst in ihr: Wird er ihre tiefe Zuneigung doch noch erwidern?

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Seitenzahl: 690

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Bella Bloom, Annie West, Robyn Donald, Kate Hewitt

ROMANA EXTRA BAND 27

IMPRESSUM

ROMANA EXTRA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Christel BorgesGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANA EXTRABand 27 - 2015 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg

© 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg, für Bella Bloom: „Rendezvous im Lavendelgarten“

© 2008 by Annie West Originaltitel: „The Billionaire’s Bought Mistress“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: PRESENTS Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Sabine Robin

© 2013 by Kate Hewitt Originaltitel: „The Prince She Never Knew“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Dorothea Ghasemi Deutsche Erstausgabe by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg,in der Reihe ROMANA EXTRA, Band 27

© 2003 by Robyn Donald Originaltitel: „The Temptress of Tarika Bay“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Alexa Christ Deutsche Erstausgabe 2004 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA EXTRA, Band 227 Erste Neuauflage by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg, in der Reihe: ROMANA EXTRA, Band 27 (3) 2015

Fotos: 145 / Reggie Casagrande / Ocean / Corbis, raufmiski / Thinkstock, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 03/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733740474

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

BELLA BLOOM

Rendezvous im Lavendelgarten

David hat den duftenden Lavendelgarten in Erinnerung an seine Frau angelegt. Mit ihr ist für ihn auch die Liebe gestorben – bis unerwartet eine bezaubernde Fremde vor seinem Château in der Provence steht …

ANNIE WEST

Das unmoralische Angebot des Milliardärs

Wie hoch ist der Preis für das Glück? Der Milliardär Rafe Benton bittet Antonia, ein halbes Jahr seine Geliebte zu spielen. Sie sagt Ja – und ahnt nicht, dass sie ihr Herz verlieren wird …

ROBYN DONALD

Rendezvous im Lavendelgarten

1. KAPITEL

„Bitte, bitte, bitte – lass mich nicht im Stich!“

Nein, es war nicht der Mann ihrer Träume, dem Annas Flehen galt. Es war ihr Auto. Der klapprige rostbraune Blechhaufen, den die ominöse Autovermietung ihr nach ihrer Ankunft am Flughafen von Marseille angedreht hatte.

„Voilà, unser Ameisenpreisauto – perfekt für mademoiselle!“, hatte der schmierige Typ am Schalter sie mit augenscheinlich typisch französischem Charme übers Ohr gehauen.

Und nun? Aus der mit unzähligen Rostflecken übersäten Motorhaube des Ameisenpreisautos stiegen aus heiterem Himmel weiße Rauchschwaden auf, während Anna die Landstraße entlangruckelte, die sich durch gelbe Felder und sonnenverbrannte Wiesen schlängelte. Wieso nur mussten immer ihr solche Sachen passieren?

Und das gleich am Anfang, am allerersten Tag. Sie hatte ihre letzten Ersparnisse geopfert, um sich diese eine mickrige Woche zu gönnen. Nur raus aus allem, weg aus ihrem kleinen Dorf in Cornwall, vergessen, was zu Hause vorgefallen war. Allein bei dem Gedanken daran schnürte sich ihr Herz immer noch zusammen.

„Liebst du mich nicht mehr?“, hatte sie ihn gefragt. Es lag erst ein paar Tage zurück.

„Ehrlich gesagt: Ich weiß nicht, ob ich dich je geliebt habe.“

Wie konnte er nur so etwas zu ihr sagen!

Dieser … Mistkerl! Anna verstand die Welt nicht mehr. Sie brauchte dringend etwas Abstand. Eine Woche lang würde sie nichts anderes tun, als die hintersten Winkel der Provence zu erkunden und die hintersten Winkel ihrer Seele für ein Weilchen so gut es ging zu ignorieren. Sofern möglich, denn es war das erste Mal in ihrem Erwachsenenleben, dass sie ohne ihn unterwegs war. Ohne ihn – den Mann ihrer Träume: Tom. Diese Woche würde ihr zeigen, wer oder was noch von ihr übrig war, ohne ihre bessere Hälfte.

Zumindest ihre zweite große Liebe konnte nicht davonlaufen: Südfrankreich. Anna sprach fließend Französisch, und als kleines Mädchen hatte sie davon geträumt, eines Tages hier zu leben, unter der Sonne des Südens. Jeden Tag barfuß über den Rasen zu laufen. Den Duft der seidig warmen Luft einzuatmen. Einfach glücklich zu sein. Auch das: Träume eben. Nun, zumindest für eine Woche hatten ihre Ersparnisse noch gereicht. Das war besser als gar nichts, dachte sie.

Ein hartes Jahr lag hinter ihr.

Beruflich – eine Katastrophe.

Privat – ein Desaster.

Vor wenigen Tagen war das Schuljahr zu Ende gegangen. Und mit diesem ein weiteres unwiederbringliches Kapitel ihres Lebens: Das Kapitel ihres heiß geliebten Traumjobs, das sie doch erst vor wenigen Jahren voller Glückseligkeit und Zuversicht aufgeschlagen hatte. Wegrationalisiert, einfach so, der englische Staat musste sparen in der Krise. Und was nun? Was machte eine siebenundzwanzigjährige Ex-Grundschullehrerin mit Leib und Seele in einem kleinen Dorf in Cornwall, wenn nicht unterrichten? Nun, vielleicht bekam sie eigene Kinder? Das wäre noch eine Alternative gewesen.

Aber Tom hatte es vermasselt. Und zwar gründlich.

Kawumm! Ein lauter Knall riss Anna aus ihren Gedanken. Sie hatte nicht ihr ganzes Budget in einen Mietwagen investieren wollen und sich deshalb für einen bezahlbaren fahrbaren Untersatz entschieden. Bis zu diesem denkwürdigen Moment hatte ihr Hauptaugenmerk dabei eindeutig auf dem Wort bezahlbar gelegen, aber nun wanderte es panisch hinüber zu fahrbar.

„Oh Gott, nein – nicht hier, nicht jetzt!“, flüsterte sie, um daraufhin ein ohrenbetäubend lautes Zischen zu vernehmen, während der weiße Rauch vor ihr dichter und dichter wurde und nunmehr wie aus einem Schornstein hinauf in den wolkenlosen Himmel Südfrankreichs quoll.

Aus einem fahrenden Schornstein, um genau zu sein.

Anna betete, dass der Wagen nicht zu brennen anfing oder gar wie in einem Action-Film explodierte. Hektisch würgte sie den Motor ab und stoppte am Rande eines Feldes. Nun: Im Grunde war alles hier Feld – weit und breit. Keine Menschen, keine Häuser, nichts außer endloser Natur und zwitschernden Vögeln, die fröhlich über dem Pulverfass kreisten, in dem sie immer noch angeschnallt hinter dem Steuer klemmte.

„Wenigstens sind es keine Aasgeier“, sinnierte sie laut vor sich hin, ihren angeborenen schwarzen Humor reaktivierend. Zu allem entschlossen ergriff sie ihre Tasche, die auf dem Beifahrersitz lag, riss die Fahrertür auf und sprang filmreif ins Freie. Um sich daraufhin ein paar Meter vom Auto zu entfernen, nur um auf Nummer sicher zu gehen.

Wenn doch nur Tom jetzt hier wäre! Schon wieder wanderten ihre Gedanken verbotenerweise zu ihm, der in diesem Moment zu Hause in Cornwall möglicherweise mit ihr, deren Namen auszusprechen Anna sich verboten hatte, den Strand entlangspazierte, Arm in Arm.

„Keine Angst, Schatz. Das ist nur ein bisschen heiße Luft – nichts weiter“, hätte er gesagt. Er hätte die Motorhaube geöffnet und mit gerunzelter Stirn fachmännisch auf das qualmende Interieur gestarrt. So als verstünde er etwas von Motoren. Dann hätte er sie in den Arm genommen und sie geküsst. So als würde alles gut werden.

Ja, wenn … Wenn das Wörtchen wenn nicht wär’ …

„Anna! Hör auf damit!“, ermahnte sie sich. Sie hatte sich vorgenommen, in dieser Woche nicht ein Mal an ihn zu denken. Doch kaum war sie in Südfrankreich angekommen und – schusselig und unbeholfen wie sie nun mal war – augenblicklich auf dem Boden der Tatsachen gelandet, schlich er sich schon wieder in ihre Gedanken. Der Mann ihrer Träume, in dessen Träumen kein Platz mehr für sie war.

Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und ließ ihren Blick für einen Moment über die Landschaft wandern. Oben auf dem Berg konnte sie das kleine, bezaubernde Künstlerdorf Gordes sehen. Dorthin wollte sie.

Dort oben befand sich ihr Hotel. Nun ja, Hotel war übertrieben. Genau genommen war es eine kleine Pension. Die Auberge du Ciel, wie es in ihrer Buchungsbestätigung stand – die Herberge des Himmels. Hoffentlich würde sich nicht auch noch diese angeblich charmante kleine Herberge über den Wolken als höllische Absteige entpuppen. Doch erst mal musste sie dort hinkommen. Ratlos verharrte sie auf dem flirrenden Asphalt, beinahe wie festgewachsen, inmitten von sich gelb im Sommerwind wiegenden Feldern irgendwo im Nirgendwo am Fuße des Berges. Es war heiß. Das Thermometer im Innern des Autos hatte vierzig Grad angezeigt und gleich, sollte der alte Citroen tatsächlich in Flammen aufgehen, würde es noch deutlich heißer werden.

Nun, wenigstens ihr Humor funktionierte noch einwandfrei. Um ein Haar wäre es ihr sogar gelungen, ein kleines Grinsen zu produzieren, doch dafür wiederum war die Situation wirklich zu brenzlig. Vielleicht später, wenn ich in meinem Hotelzimmer angekommen bin und alles Revue passieren lasse, dachte sie.

Ein Weilchen harrte sie einfach nur so aus, auf der anderen Straßenseite, und starrte das qualmende Auto an. Auf ihrer Stirn bildeten sich Schweißtropfen. Weit und breit kein Baum oder eine Bushaltestelle, wo sie sich ein wenig in den Schatten hätte stellen können, bis der Ärger verraucht war – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Ihr Mund war staubtrocken, sie benötigte dringend etwas zu trinken. Anna fingerte die kleine Wasserflasche, die sie am Flughafen gekauft hatte, aus ihrer Tasche. Sie war fast leer, bis auf einen letzten lauwarmen Schluck am Flaschenboden. Erst jetzt bemerkte sie ihren Ausweis. Er lag neben der Tasche auf dem heißen Asphalt. Offensichtlich war er versehentlich herausgerutscht.

Verliere den auch noch und die Katastrophe ist perfekt, dachte sie bei sich und griff nach dem Pass.

Anna Ferguson, stand da. Geboren: 14.05.1987, Geburtsort: Devon. Größe: 1,63 m (nun ja, das war ein bisschen geschummelt, eigentlich maß sie nur einen Meter einundsechzig). Augenfarbe: grün. Haarfarbe: rot. Nun, sie bevorzugte den englischen Ausdruck strawberry blond – erdbeerblond. Fehlte nur noch ihr Gewicht. 48 Kilo hätte bei ihr unter dieser Rubrik gestanden. „Kind, du musst essen, sonst verhungerst du bei lebendigem Leib“, predigte ihre Mutter ihr ständig. Aber so viel sie auch aß, sie nahm einfach nicht zu. „Du Glückskind“, beneideten ihre Freundinnen sie genau um das, was ihrer Mutter schlaflose Nächte bereitete.

Es dauerte eine geschlagene Viertelstunde, bis sich der Qualm endlich verzogen hatte. Anna ging zurück zum Auto, setzte sich hinter das Steuer und startete den Motor.

Nichts.

Nicht das leiseste Geräusch.

Sie versuchte es ein zweites, ein drittes und ein viertes Mal. Doch wie es aussah, war ihr unansehnlicher französischer Reisebegleiter hinüber. Mit einem schweren Seufzer ließ Anna ihren Kopf auf das Lenkrad sinken.

Was sollte sie nun tun?

Sie griff nach ihrer Tasche, um ihr Handy hervorzuholen. Auch wenn sie nicht die leiseste Ahnung hatte, wen sie hier in der Fremde anrufen sollte. Der Notruf wäre möglicherweise ein bisschen übertrieben. Vielleicht die Polizei? Die Feuerwehr? Ein Taxiunternehmen? Die Mietwagenzentrale – ja genau! Doch Anna brauchte ihre Optionen nicht weiter durchzuspielen – ihr Handy wies ihr bereits den Weg: Kein Empfang, teilte ihr das Display so lapidar wie unbarmherzig mit.

Was nun?

Es war Sonntagmittag, und anscheinend schlugen sich sämtliche Einwohner der Gegend um diese Zeit die Mägen voll. Seit ihrer Ankunft am Ort des Infernos war nicht ein Auto vorbeigekommen, das sie hätte anhalten können. Anna sah sich suchend um. Weit und breit kein Haus.

Oder – was war das? Sie hatte sich getäuscht. Hinter einer der Sommerwiesen tat sich in der Ferne ein riesiges purpurnes Lavendelfeld auf, hinter welchem wiederum ein wenig versteckt ein Anwesen lag. Es hob sich kaum von den gelben Wiesen ab, die sich dahinter erstreckten, denn es war in exakt derselben Farbe angestrichen.

Anna überlegte. Wenn sie der Straße und dem von dort aus wahrscheinlich irgendwo abgehenden, zum Haus führenden Weg folgte, wäre sie vielleicht in zwanzig Minuten dort. Oder in einer halben Stunde. Wenn – ja, wenn sie vorher nicht einen Hitzschlag erlitt. Wenn sie jedoch die Abkürzung nahm und direkt über das Feld aus Sommerähren und danach durch den lila in der Mittagssonne schillernden Lavendelgarten auf das Haus zusteuerte, könnte sie den Weg möglicherweise in der Hälfte der Zeit bewältigen.

Sie blickte auf ihr Schuhwerk. Flip-Flops.

Nun, nicht gerade ideal für einen Querfeldeinmarsch, dachte sie, und marschierte los. Auf halber Strecke bemerkte sie, dass sie sich möglicherweise ein wenig verschätzt hatte, aber umzukehren war jetzt nicht mehr drin. Entschlossen stapfte sie voran, unter sich den staubigen Boden der Provence, über sich die gleißende Sonne. Der Schweiß rann ihr nun über den ganzen Körper. Auf ihrem einst weißen Kleid hatte er zusammen mit abgebrochenen Ähren, Lavendelblüten und dunkler Muttererde eine verhängnisvolle Mischung gebildet, als sie schließlich durch das scheinbar endlose Purpur auf den kurz wie einen Golfplatz geschorenen Rasen vor dem Château trat. Denn das war es – ein Château. Ein Anwesen, in dem sich sogar Marie Antoinette wohl gefühlt hätte. Offenbar handelte es sich um den hinteren Teil des Hauses, während die Eingangstür auf der anderen Seite lag. In das Herz der Grasfläche war ein himmelblauer Swimmingpool eingelassen. Das Wasser glitzerte verführerisch, während Anna den Blick über das kühle Nass hinweg durch die gläsernen Flügeltüren in das Haus schweifen ließ.

Wo sie, unmittelbar hinter dem Glas, jemanden erblickte.

Genauer gesagt: Einen Mann.

Anna erstarrte.

Es war nicht so sehr die Tatsache, dass es ein Mann war, was ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Sondern die Tatsache, dass er nackt war.

Er trug nichts außer einem weißen Handtuch um seine Hüften.

Anna stand einfach nur da und starrte ihn fassungslos an, so wie eben noch ihr seine Lebensgeister aushauchendes Auto. Erst jetzt wurde ihr klar, wie die Situation auf ihn wirken musste: Sie stand hier – in seinem Garten, hinter seinem Haus –, schmutzig, schweißgebadet und offensichtlich darauf aus, bei ihm einzubrechen, während er soeben, die Sonntagsruhe genießend, dem Swimmingpool oder der Dusche entstiegen war. Ahnungslos und gänzlich unvorbereitet auf derartigen Besuch.

Wie, um Himmels willen, sollte sie das erklären?

Anna betete, dass er keine Hunde …

Doch Fehlanzeige. Wie sollte es auch anders sein, bei ihrem Glück? Schon vernahm sie lautes Gebell, und von der anderen Seite des Gartens stürmten zwei – oh nein! – ausgewachsene Rottweiler! – auf sie zu.

Anna fiel die Tasche aus der Hand. Zu Tode erschrocken presste sie ihre Augenlider fest zusammen, so als würde Wegsehen sie auf einen Schlag unsichtbar machen, während sie sich auf die Knie fallen ließ, die Arme schützend über dem Kopf verschränkt. Das also war es – ihr unrühmliches Ende. Jeden Moment würden die Hunde über sie herfallen. Sie hoffte nur, dass es schnell ging. Dass es nicht zu lange wehtat. Und nicht zu sehr.

Die Meute hatte sie erreicht. Sie spürte bereits ihren heißen Atem.

Doch was war das?

Sie … wurde zärtlich angestupst. Eine raue Zunge strich über ihren rechten Unterarm. „Bell! Ross!“, vernahm sie eine markante Stimme. „Ab ins Haus mit euch!“ Kaum war der Befehl erteilt, flitzten die zwei Hunde davon, während Anna in Zeitlupe ihre Augen einen Spalt weit öffnete.

Vor ihr – oder besser gesagt: über ihr – stand der nackte Mann aus dem Haus und blickte sie fragend an. Ihr Herz raste. Vor Aufregung, versteht sich. Er trug nun eine Jeans und ein weißes T-Shirt. Ein Meter achtzig, volles kaffeebraunes Haar, sonnengebräunt, 48-Stunden-Bart und Augen in der Farbe des Himmels über ihnen. Traurige Augen, das fiel ihr als erstes auf.

„Geht es Ihnen gut, mademoiselle?“, fragte er sie auf Französisch. In einem unerwartet freundlichen Ton, als wäre sie eine Besucherin und keine Einbrecherin.

Noch immer brachte sie keinen Ton heraus.

„Kommen Sie!“ Er reichte ihr seinen Arm. Sie wagte kaum, ihn anzusehen, während sie seine Hand ergriff und sich von ihm hochziehen ließ.

Wie entwürdigend! Annas Herz raste immer noch wie verrückt. Dabei schien die größte Gefahr fürs Erste gebannt. Ihr Gegenüber wirkte keineswegs wie ein klassischer Serienkiller, sondern im Gegenteil recht sympathisch. Ein bisschen erinnerte er sie an Patrick Dempsey aus Grey’s Anatomy, ihrer Lieblingsserie.

„Sind Sie überfallen worden?“, fragte Patrick Dempsey. „Hier sind Sie sicher, haben Sie keine Angst, vom Haus aus können wir die Polizei verständigen.“ Er musterte sie geradezu besorgt. „Oh, Entschuldigung, wo sind meine Manieren! Ich bin David“, stellte er sich vor. „David Lefleur. Ich lebe hier.“

„Anna“, stieß sie aus, unendlich leise und immer noch außer Atem.

Es schien ihr fast, als hätte sie ihrem Gegenüber mit der Nennung ihres Namens einen gehörigen Schreck eingejagt. Er wurde blass. Und starrte sie ungläubig an, als wäre sie eine Art übersinnliche Erscheinung. Diese unendlich traurigen Augen. Was hatte er nur?

Ohne ein weiteres Wort marschierte er in das Haus, während er sie im Garten zurückließ. Annas Pulsschlag beschleunigte sich erneut. Wollte er die Polizei rufen, oder was hatte er vor?

Sie atmete auf, als er kurz darauf mit einem Glas frisch gepresstem Orangensaft in der Hand zurückkehrte. Und sie damit schlagartig daran erinnerte, dass sie am Verdursten war.

„Für Sie“, sagte er wortkarg und reichte es ihr.

Wie aufmerksam, dachte sie erleichtert und leerte das Glas in einem Zug.

„Sind Sie hungrig?“, fragte er, als wäre sie nicht bei ihm eingedrungen, sondern er hätte sie eingeladen und wäre nun verantwortlich für ihr Wohlergehen. Erst langsam fand Anna die Sprache wieder.

„Nein, danke, das ist sehr lieb – aber ich … ich bin mit dem Auto liegen geblieben, vielleicht könnten Sie …“

Sie hielt inne, ohne den Satz zu beenden. Da war er wieder: Dieser Blick, als bräuchte sie nur den Mund aufzumachen, um ihn bis ins Mark zu erschüttern.

„Ja, kein Problem“, antwortete er nach einer kurzen, beklemmenden Pause.

Wenig später saß Anna auf dem weichen ledernen Beifahrersitz eines nagelneuen Range Rovers, auf dem Weg zu ihrem ausgebrannten Mietwagen. Er stand immer noch da wie vorhin.

„Kein schöner Anblick, oder?“, konstatierte sie. Zum ersten Mal meinte sie ein kleines, kaum merkliches Lächeln um die Mundwinkel des Franzosen zu erkennen.

Es dauerte ein Weilchen, bis sie in Gordes ankamen. Schließlich mussten sie den ganzen Berg hoch, der erbärmliche alte Mietwagen gezogen von Davids Luxusabschleppwagen.

Auberge du Ciel.

Sie hatten ihr Ziel erreicht.

Die kleine Herberge lag am Rand des Bergdorfs, nicht weit vom Marktplatz. Und direkt gegenüber einer kleinen Werkstatt.

„Hier wird man Ihr Auto reparieren, leider erst morgen“, sagte David. „Fragen Sie nach Bertrand und geben Sie ihm die Adresse der Autovermietung. Ach ja, und grüßen Sie ihn schön von mir.“

„Das mache ich“, versprach Anna.

Erneut blickte er sie an, traurig und irgendwie durcheinander – als hätte ihr Erscheinen irgendetwas Furchtbares in ihm ausgelöst. Dann drehte er sich um, ohne ein weiteres Wort. Stieg in seinen Range Rover. Startete den Motor. Und fuhr an.

„Aber …“, stieß Anna aus. Alles war so dermaßen schnell gegangen, dass sie nicht mal Zeit gefunden hatte, sich bei ihm zu bedanken.

Kein Au Revoir, kein Auf Wiedersehen, kein gar nichts.

Anna schaute dem Wagen wie in Trance nach, bis er schließlich und endlich hinter der nächsten Kurve verschwand.

Was für eine merkwürdige Begegnung, dachte Anna.

Moment mal. Erst jetzt bemerkte sie es. Wo war ihre Tasche? Mit ihrem Handy, ihrem Pass, ihrer Kreditkarte? Ihrem Leben?

„Nicht schon wieder, du Tollpatsch …“, stöhnte sie auf. Denn natürlich ahnte sie, wo ihre Tasche war. Wo sie sie in all der Aufregung vergessen hatte.

Auf dem Gartentisch eines prächtigen Anwesens, eingerahmt von einem sich sanft im Sommerwind wiegenden Meer aus duftendem Lavendel. Wo ein Mann wohnte, über den sie abgesehen von seinen Gastgeberqualitäten, seiner außerordentlichen Hilfsbereitschaft und seinen tieftraurigen Augen bislang lediglich eines in Erfahrung gebracht hatte:

Seinen Namen.

David.

2. KAPITEL

Sie klang genau wie Laura. Haargenau.

Hoffentlich hatte sie ihm den Schock nicht angemerkt.

David musste sich für einen Augenblick setzen. In der Küche. Mit einem randvoll eingeschenkten Glas seines selbst produzierten Hausweins – zur Beruhigung. Es stand vor ihm auf dem Tisch aus massivem Zedernholz, den er selbst entworfen hatte, und starrte ihn stumm an.

„So wirst du nie über sie hinwegkommen“, schien es ihm zurufen zu wollen. Natürlich wusste David, dass Trinken keine Lösung war. Tatsache jedoch war: Es linderte den Schmerz. Mit jedem Schluck ein bisschen mehr.

Es war erst Nachmittag, aber heute war Sonntag, da durfte man schon mal über die Stränge schlagen. Vor allem nach dem, was sich gerade zugetragen hatte. Soeben war er aus Gordes zurückgekehrt, wo er die kleine Engländerin abgesetzt hatte. Wie hieß sie noch …? Anna, ja, das war ihr Name.

Doch es waren weder ihre smaragdgrünen Augen noch die winzigen Sommersprossen, die sich um ihre fein geschnittene Nase verteilten, noch war es ihr rotblondes Haar oder ihre zierliche, mädchenhafte Figur, die ihn aus der Bahn geworfen hatten.

Nein, es war ihre Stimme. Sie war ihm durch Mark und Bein gegangen. Einen zuckersüßen Moment lang hatte er geglaubt, Laura wäre zu ihm zurückgekehrt. Mit geschlossenen Augen war sie nicht von ihr zu unterscheiden gewesen.

Von ihr, seiner großen Liebe, die ihn allein auf dieser Welt zurückgelassen hatte, vor nunmehr beinahe auf den Tag genau fünf Jahren, nur eine Woche nach seinem vierunddreißigsten Geburtstag. Schlaganfall, wie schon ihre Mutter. Ohne das kleinste Vorzeichen. Sie war einfach verschwunden, von einer Sekunde auf die nächste.

Er musste nur daran denken, und schon bildete sich ein dicker Kloß in seinem Hals. Er hatte alles mit ansehen müssen, bei einem Spaziergang vor dem Louvre in Paris. Laura war in seinen Armen gestorben.

„Komm, reiß dich zusammen, David!“, rief er sich zur Ordnung. „Wozu das Ganze, es bringt doch nichts!“ Es war ja nicht so, dass diese Anna irgendwelche Ähnlichkeit mit Laura aufwies. Nun, abgesehen von ihrer Stimme eben, die er bis zum heutigen Tag kein zweites Mal gehört hatte und die so hell und klar klang wie ein Silberglöckchen, das leise im Sommerwind läutete. Ergänzt um den Umstand, dass auch sie Engländerin war. Laura aber war der dunkle, sportliche Typ gewesen. Groß, schlank und mit einem erstaunlich mediterranen Teint für ein Kind von der Insel des ewigen Regens. Ihre gemeinsamen Freunde hatten oft gesagt, sie wäre nicht nur seine bessere Hälfte, sondern auch sein weibliches Gegenstück.

Und das betraf nicht nur ihr Aussehen. Sie hatten alles zusammen gemacht, genau wie er war sie Architektin gewesen. Sie hatte im selben Architekturbüro gearbeitet wie er, in Paris, wo sich die besten ihrer Zunft trafen – aus aller Welt, um gemeinsam Großprojekte zu planen und zu entwerfen. Museen, Opernhäuser, gläserne Wolkenkratzer. Das größte, aufregendste und mit Abstand schönste Projekt aber, an dem er und Laura im Team gearbeitet hatten, war ihre Liebe gewesen. Ihre einzigartige Beziehung, die alles in den Schatten stellte, was er je zuvor hatte erleben dürfen.

Sie hatten alles miteinander geteilt. Auch den Traum, eines Tages in einem Haus in der Provence zu leben. In Gordes, wo Laura als Kind die Ferien mit ihren Eltern verbracht hatte. Nun aber war er allein hier, und seine Hoffnung, dass es ohne Laura, seine auf immer verlorene zweite Hälfte, zumindest halb so schön wäre wie mit ihr, hatte sich nicht erfüllt.

Glück ist das einzige, was sich verdoppelt, wenn man es teilt.

Genauso ist es, dachte David. Aber was, wenn man niemanden mehr hat, mit dem man es teilen kann? Wenn das Schicksal in all seiner unbarmherzigen Grausamkeit einem genau diesen einen Menschen, mit dem man sein Glück teilen wollte, gestohlen hat?

Dann, ja dann, war man verloren. Dann blieb einem nichts anderes übrig, als weiterhin in der Vergangenheit zu schwelgen. In Zeiten, in denen das Leben noch lebenswert war. Mit einem tiefen Seufzer blickte er hinaus auf den Lavendelgarten, der in seinem purpurnen Gewand friedlich hinter den weit geöffneten Flügeltüren schlummerte.

Erst das laute Schrillen des Telefons vermochte es, David aus seinen schwermütigen Gedanken zu wecken.

„Wie geht es meinem Lieblingssohn?“, flötete eine Stimme am anderen Ende der Leitung. Es war eine Stimme, die versuchte fröhlich zu klingen, obwohl sie in Wahrheit überaus besorgt war. Sie gehörte seiner Mutter. Und was den Lieblingssohn betraf, auch das war etwas dick aufgetragen – denn er war ihr einziger Sohn. Er hatte keine Geschwister. „Ist es bei euch auch so heiß?“

„Heißer“, erwiderte er.

„Und trinkst du auch ausreichend?“, wollte sie wissen.

„Ja, Maman – das tue ich“, antwortete David wahrheitsgemäß, auch wenn sie bei ihrer Frage sehr wahrscheinlich nicht an den ausgiebigen Genuss von Wein am helllichten Nachmittag gedacht hatte.

„Papa wollte zum Tennis, aber bei den Temperaturen – das ist Selbstmord“, fuhr sie fort.

Das waren sie, seine Eltern. Ludivine und Jacques. Sie waren mittlerweile in ihren Siebzigern, aber äußerst fit. Sie trieben Sport, sie reisten, sie schlemmten und genossen das Leben. In dem idyllisch gelegenen Landhaus am Rande von Paris, in dem David aufgewachsen war. Der Zahn der Zeit, der an so vielen Beziehungen nagte, bis sie endgültig ihren Biss verloren hatten, hatte ihnen nichts anhaben können. Nach all den Jahrzehnten waren sie immer noch glücklich miteinander. Sie waren füreinander gemacht. Nicht wie andere Paare, die zusammen waren, weil man sich im hohen Alter nicht mehr scheiden ließ, nicht mehr allein sein wollte oder schlicht und einfach niemand besseren gefunden hatte. Nein, seine Eltern lebten das vor, wovon David zeitlebens geträumt hatte: eine Liebe, die unzerstörbar war.

Seine eigene Liebe hingegen war zerstört worden. Von den Mächten des Schicksals. Sie hatten ihm Laura auf brutale Art entrissen.

„Gott sei Dank brauchst du zum Arbeiten nicht rauszugehen“, schnitt Ludivine ein anderes Thema an. Ein Thema, das nicht weniger leidig war: Seine Karriere. Obwohl auch sie Laura innig geliebt hatte, hatte sie dennoch nie verstanden, warum er seinen hochbezahlten Job als Architekt in Paris aufgegeben hatte und raus nach Gordes gezogen war. Ihrer Meinung nach löste das sein Problem nicht im Geringsten. Nun, möglicherweise hatte sie damit nicht ganz unrecht. Aber in Paris zu bleiben, dort, wo an jeder Ecke die Erinnerungen an Laura lauerten, ganz besonders in dem Büro, in dem sie zusammen gearbeitet hatten, wäre unerträglich gewesen.

Erst langsam, mit den Jahren, war seinen Eltern klar geworden, wie schwer ihn der Verlust getroffen hatte.

„Hast du denn momentan einen Auftrag?“, bohrte sie nach.

„Momentan nicht, aber ich … arbeite daran.“

Das war gelogen. Wenn er an etwas arbeitete, dann daran, sein in Paris schwer verdientes kleines Vermögen mit Nichtstun und sinnlosen Gedanken an Laura und ihre glückliche gemeinsame Vergangenheit zu verprassen.

„Oh, das klingt gut“, lobte seine Mutter. Um dann zum nächsten Tagesordnungspunkt zu kommen. „Bist du eigentlich im Internet angemeldet?“

Im Internet angemeldet? Was sollte das jetzt wieder? fragte sich David.

„Ja?“

„Da gibt es nämlich ganz spezielle Seiten.“

Sie raunte es auf eine Weise geheimnisvoll in den Hörer, als hätte sie eine illegale Glücksspielseite entdeckt, die sie ihm dringend empfehlen musste, auch wenn sie befürchtete, abgehört zu werden.

„Ganz spezielle Seiten?“

„Du weißt schon: Partnerschaftsseiten, nennt man sie, glaube ich. Da kannst du jemanden kennenlernen, und zwar ganz einfach. Wie in einem Katalog, sagt dein Vater immer. Du brauchst dafür nicht mal rauszugehen, das machen die jungen Leute heutzutage ja gar nicht mehr, sondern musst nur ganz bequem Seite für Seite durchblättern und suchst dir aus, was immer dir gefällt – voilà!“

Oh Gott, die alte Leier schon wieder!

„Maman – ich will niemanden kennenlernen!“, erstickte David wie immer ihre Verkupplungsversuche im Keim. „Ich bin glücklich und zufrieden so wie ich bin!“

Nun, das war möglicherweise etwas übertrieben. Deutlich übertrieben, um der Wahrheit die Ehre zu geben. Aber das musste sie nicht wissen. Denn eine Frau aus dem Internetversandhauskatalog würde ihn ganz sicher nicht von seinen Schmerzen erlösen, soviel stand fest.

„Ich meinte ja nur“, erwiderte Ludivine. „Dein Vater und ich finden, dass es langsam an der Zeit ist, dass du mal wieder unter die Leute gehst. Du bist ein wunderbarer Junge, David. Und du hast es verdient, jemanden kennenzulernen. Glücklich zu sein. Oder willst du einsam und allein bis ans Ende deiner Tage da draußen in der Provence hausen?“

„Genau das habe ich vor, Maman“, bestätigte David genervt.

„Ach ja, bevor ich es vergesse“, fuhr ihm seine Mutter ins Wort. „Ich soll dich ganz lieb von Sandrine grüßen.“

Sandrine. Nicht auch noch das.

Zu sagen, ihren Eltern gehörte halb Paris, wäre übertrieben gewesen. Aber ein paar Straßenzüge waren es schon. Sie war unermesslich reich. Ludivine spielte einmal die Woche im Country Club Bridge mit ihrer Mutter. So hatten sie sich kennengelernt. Seither versuchten die beiden, ihre Kinder miteinander zu verkuppeln.

„Maman, ich muss jetzt Schluss machen“, fiel David ihr ins Wort. „Wir sprechen später, ja?“

Kaum hatte er aufgelegt, klingelte es an der Haustür.

„Himmel noch mal!“, fluchte David. „Was zum Teufel ist hier heute eigentlich los? Es ist Sonntag! Wer wagt es jetzt schon wieder, mich in meiner verdienten Wochenendruhe zu stören?“

Als er kurz darauf die massive, aus zweihundert Jahre altem Holz gearbeitete Eingangstür aufriss, wusste er, wer es wagte.

Es war die kleine Engländerin. Wie war ihr Name noch gleich? Hinter ihr auf der Kiesauffahrt wartete ein Taxi mit laufendem Motor. Was um Himmels willen wollte sie schon wieder hier? Er hatte sie doch eben erst in Gordes abgesetzt, mitsamt ihrem schrottreifen Mietwagen. Verfolgte sie ihn etwa? Die Hunde schienen seine Befürchtungen nicht zu teilen, sondern stürmten an ihm vorbei, um die Engländerin vor der Haustür zu begrüßen wie eine alte Bekannte. Sofort pfiff er die beiden zurück, denn sie schien von dem tierischen Begrüßungskomitee etwas eingeschüchtert zu sein.

„Entschuldigen Sie bitte … ich bin wirklich kein Stalker oder so etwas in der Art“, piepste sie ängstlich mit Lauras Stimme, als ahne sie bereits, dass weitere Eindringlinge an diesem Tag unerwünscht waren. „Aber ich muss meine Tasche in Ihrem Garten vergessen haben. Und ohne die kann ich weder meine Pension bezahlen noch das Taxi. Könnten Sie vielleicht einmal für mich nachsehen?“

David blickte sie fragend an. Er musste diese Frau so schnell wie möglich wieder loswerden, so viel stand fest. Ihre Stimme würde ihn noch verrückt machen.

„Kein Problem“, log er. „Folgen Sie mir bitte.“ Er ging ihr voraus in den Garten.

„Oh, da ist sie ja, Gott sei Dank“, rief seine Besucherin aus, kaum hatte sie ihr Eigentum auf dem Gartentisch entdeckt. Es war ihm gar nicht aufgefallen. Er hatte andere Dinge im Kopf. Wichtigere Dinge als das Handgepäck englischer Touristinnen.

„Tausend Dank!“, rief sie aus, kaum hatte sie sich ihre Tasche geschnappt. „Sie ahnen gar nicht, wie erleichtert ich bin.“

„Keine Ursache“, antwortete er knapp, um das Gespräch nicht unnötig in die Länge zu ziehen. „Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Urlaub.“

Doch ganz so schnell wurde er sie nicht los. Er sah es in ihren Augen. Dass sie vorhatte, ihn aus seiner selbstgewählten Lethargie zu wecken.

„Sie haben mir wirklich sehr geholfen, David“, setzte sie an. „Sie ahnen gar nicht, wie sehr. Ohne Sie wäre ich wirklich aufgeschmissen gewesen und würde wahrscheinlich in diesem Moment gerade zu Fuß den Berg hinauflaufen.“

„Aber nein, das war doch eine Selbstverständlichkeit“, beeilte er sich zu erwidern. Er wollte sie schnellstmöglich davon überzeugen, dass er keineswegs so edelmütig war, wie sie dachte. Dass jeder andere exakt genauso gehandelt hätte.

„Darf ich Sie vielleicht als kleines Dankeschön heute Abend auf dem Marktplatz in Gordes zum Essen einladen? Oder zu einem Glas Wein? Bitte tun Sie mir den Gefallen.“

„Das ist sehr nett von Ihnen, aber wirklich nicht nötig“, versuchte er sie abzuwimmeln. Es war ja nicht so, dass sie ihm nicht sympathisch war oder dass er sie verletzen wollte, aber wie gesagt: Er hatte momentan anderes um die Ohren. Die Geister der Vergangenheit waren so wach, dass sie ihm jede Zeit raubten, die er auf das Leben in der Gegenwart hätte verschwenden können.

„Ich bestehe darauf“, beharrte sie auf ihrer Einladung. „Sonst käme ich mir zutiefst undankbar vor. Das verstehen Sie doch, oder?“

David stieß einen tiefen Seufzer aus.

„Nun kommen Sie schon: Geben Sie sich einen kleinen Ruck“, forderte sie ihn lächelnd auf. „Wie gesagt: Ich bin kein Stalker oder so was.“

„Das wollte ich auch nicht behaupten“, stellte er klar.

„Es ist nur ein kleines Dankeschön, kein Date oder so etwas, falls Sie das denken. Ich habe einen … Freund.“

Das letzte Wort betonte sie auf eine Art und Weise, als wäre sie nicht wirklich und hundertprozentig überzeugt davon.

„Wird er uns auch Gesellschaft leisten?“, hakte David nach, nur zur Sicherheit.

Sie wurde augenblicklich blass. „Nein, das … wird er nicht.“

Bildete er es sich nur ein oder klang ihre Stimme auf einmal trauriger als noch vor einer Sekunde?

„Nun gut, in Ordnung“, willigte David schließlich ein. Offensichtlich gab es keine andere Möglichkeit, sie loszuwerden.

„Dann so gegen sieben?“, verabschiedete sie sich und stieg in ihr Taxi. Während der Wagen über den leise unter den Reifen knirschenden Kies vom Hof fuhr, nickte sie ihm noch einmal freundlich durch das heruntergekurbelte Fenster zu.

Ihn einzuladen war eine nette Geste, das war ihm klar.

Genauso wie ihm klar war, dass er nicht hingehen würde.

Er wartete noch, bis das Taxi aus seinem Blickfeld verschwunden war und schloss dann die Tür hinter sich. In der inständigen Hoffnung, dass es für heute mit den Störungen seiner ihm heiligen Ruhe vorbei war.

Friedhofsruhe konnte man auch sagen. Aber so war das Leben nun mal. Das Leben selbst in seiner kalten Unbarmherzigkeit hatte ihm dieses Joch aufgezwungen. Aus freien Stücken jedenfalls hatte er sich diese bemitleidenswerte Existenz nicht ausgesucht. Und doch gab es nichts, was er dagegen unternehmen konnte.

Also tat er das, was er ohnehin vorgehabt hatte. Er folgte seinem immer gleichen Tagesablauf und legte eine DVD ein. Nicht irgendeine. Sondern eine ganz bestimmte – es war ihr Film. Und er sah ihn sich jeden Sonntagnachmittag an, obwohl er ihn in- und auswendig kannte und jedes einzelne Wort, das die Akteure von sich gaben, mitsprechen konnte. Vier Hochzeiten und ein Todesfall.

In ihrem gemeinsamen Leben hatte es nur eine Hochzeit gegeben. Und einen Todesfall.

Du warst mir Nord, mir Süd, mir Ost und West,

des Sonntags Ruh’ und der Woche Stress,

mein Tag, mein Gesang, meine Rede, meine Nacht,

ich dachte, Liebe währet ewig – falsch gedacht.

Hätte er bei Lauras Begräbnis auch nur ein Wort herausbringen können, er hätte dieses Gedicht von W.H. Auden gewählt, so wie es in ihrem Lieblingsfilm vorkam.

Aber er konnte nicht.

Er blieb stumm.

Stumm und starr.

Kein Wort kam über seine Lippen.

Doch seine Tränen sagten mehr als tausend Worte.

3. KAPITEL

Anna schwebte über den Wolken. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, denn ihre kleine Pension thronte wie ein Adlernest auf dem höchsten Punkt von Gordes, an einen mächtigen Felsen geschmiegt. Die Auberge du Ciel trug ihren Namen ohne jede Frage zu Recht, denn tatsächlich hatte man das Gefühl, sich im Himmel zu befinden. Und das betraf nicht nur den Ausblick. Annas Zimmer ging nicht nach vorne auf die kleine Straße hinaus, die in wenigen Gehminuten auf den idyllischen Marktplatz führte, sondern überblickte in himmlischer Ruhe und soweit das Auge reichte den atemberaubenden Naturpark des Luberon. Die Provence lag ihr zu Füßen.

Die Zimmerwände waren hellblau getüncht, die Fensterrahmen aus zartrosa lackiertem Holz gezimmert, und in der Mitte des Raums wartete ein strahlend weiß bezogenes Himmelbett auf sie. Kurz gesagt: Es war paradiesisch. Für einen Moment ließ Anna sich auf das Bett fallen– einfach nur, um zu Atem zu kommen. Nach all der Aufregung hatte sie das hier nicht erwartet.

Nachdem sie sich ein Viertelstündchen ausgeruht hatte, ließ sie erneut den Blick hinausschweifen. Jetzt erst erkannte sie es– was für ein Zufall! Von ihrem Zimmer aus blickte sie doch tatsächlich auf einen riesigen Lavendelgarten hinab, der vom Fuß des Berges durch die Spätnachmittagssonne zu ihr hinaufstrahlte wie ein violett leuchtendes Feuermeer: Das Anwesen von David Lefleur.

An der Rezeption war sie auf eine sympathische und darüber hinaus ungewöhnlich kommunikative Hotelmitarbeiterin getroffen, die ungefähr in ihrem Alter sein musste. Marion. Sie hatte eine interessante Unterhaltung mit ihr geführt. Eine überaus interessante Unterhaltung.

„Sie haben den Lavendelmann also schon kennengelernt“, hatte Marion ihr beim Einchecken zugeraunt. In perfektem, akzentfreien Englisch. Vater Engländer, Mutter Französin, aufgewachsen in Gordes und London, hatte sie Anna aufgeklärt. Nun führte sie die Pension, einen Familienbetrieb.

„Den Lavendelmann?“, hakte Anna nach.

„David Lefleur– der Gentleman, der Sie abgeschleppt hat …“ Marion betonte das Wort auf eine Weise, die keinen Zweifel daran ließ, dass ihr die Doppeldeutigkeit ihrer Aussage durchaus bewusst war. Um ihr daraufhin verschwörerisch zuzuzwinkern, so als wüsste sie bereits mehr als sie selbst. „Ich habe Sie vorhin vom Fenster aus gesehen. Machen Sie sich keine Hoffnungen: Der Mann ist eine Festung. Uneinnehmbar.“

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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