Romana Extra Band 97 - Kate Walker - E-Book

Romana Extra Band 97 E-Book

KATE WALKER

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Beschreibung

EIN TRAUM WIRD WAHR IN GRIECHENLAND von PENNY ROBERTS

Schon lange träumt Lydia heimlich von ihrem attraktiven Boss Stefanos Papadakis. Als sie ihn wegen einer Erbschaft auf eine Reise begleitet, kommen sie einander endlich näher! Dabei weiß Lydia genau, dass der griechische Playboy zwar an Leidenschaft, aber nicht an die Liebe glaubt …

LIEBESZAUBER AM MITTELMEER von MARION LENNOX

Unerwartet wird Anna nach einem Unfall von dem gut aussehenden Inselarzt Leo Aretino behandelt. Nie hat sie ihre himmlische Romanze vergessen! Jetzt gibt es nur eines, das Leo tun könnte, um auch ihr gebrochenes Herz zu heilen: sie so lieben wie damals.

FLUCHT IN DIE ARME EINES SCHÖNEN FREMDEN von Kate Walker

Kurz vor der Trauung erwischt Martha ihren Bräutigam beim Fremdgehen! Überstürzt ergreift sie die Flucht. Und läuft prompt in die Arme von Diablo, der tatsächlich verteufelt sexy ist. Mit ihm erlebt Martha eine höllisch heiße "Hochzeitsnacht" …

VERBOTEN SÜSSE KÜSSE von THERESE BEHARRIE

Vom Rivalen zum Verbündeten: Spontan spielt Benjamin Alexas Freund. Er besiegelt die vorgetäuschte Beziehung vor ihrer Familie sogar mit einem verboten süßen Kuss, der Alexa schwach macht. Aber kann sie ihm genug trauen, um ihm ihr größtes Geheimnis zu verraten?

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Seitenzahl: 693

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Penny Roberts, Marion Lennox, Kate Walker, Therese Beharrie

ROMANA EXTRA BAND 97

IMPRESSUM

ROMANA EXTRA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2020 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg für Penny Roberts: „Ein Traum wird wahr in Griechenland“

© 2019 by Marion Lennox Originaltitel: „Second Chance with Her Island Doc“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MEDICAL ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Susann Rauhaus

© 2020 by Therese Beharrie Originaltitel: „Her Twin Baby Secret“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Victoria Werner

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANA EXTRABand 97 - 2020 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

© 2012 by Kate Walker Originaltitel: „The Devil and Miss Jones“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: SAS Deutsche Erstausgabe 2012 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA EXTRA, Band 356

Erste Neuauflage by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg in der Reihe: ROMANA EXTRA, Band 97 (8) 2020

Abbildungen: Versta / Shutterstock, Ingus Kruklitis / Getty Images, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 08/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733747992

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, HISTORICAL, TIFFANY

PENNY ROBERTS

Ein Traum wird wahr in Griechenland

Lydia kündigt? Seine schöne Assistentin ist die einzige Frau, auf die Stefanos auf keinen Fall verzichten kann! Der Tycoon will unbedingt, dass sie bleibt – und hat eine verführerische Idee …

MARION LENNOX

Liebeszauber am Mittelmeer

Auch wenn Jahre vergangen sind: Noch immer ist Anna seine Traumfrau. Aber Leo darf sie nicht lieben! Wie eine Mauer steht zwischen ihnen, dass Annas Familie kaltherzig seine kleine Heimatinsel ruiniert hat …

KATE WALKER

Flucht in die Arme eines schönen Fremden

Eine Frau, die frierend im Brautkleid am Straßenrand steht? Da muss Carlos alias Diablo eingreifen und die hinreißende Dame retten! Schade, dass er sie nach einer gemeinsamen Nacht nie wiedersehen wird …

THERESE BEHARRIE

Verboten süße Küsse

Die Restaurantszene in Kapstadt steht Kopf: Alexa Moore und Benjamin Foster sind ein Liebespaar! Bis jetzt waren sie doch erbitterte Konkurrenten. Niemand ahnt, warum Alexa und Ben sich so heiß küssen …

Ein Traum wird wahr in Griechenland

1. KAPITEL

Die Aussicht über die Dächer Athens war einfach fantastisch. Lydia Jasper stand am Fenster des Penthouse im achtundzwanzigsten Stockwerk eines Wolkenkratzers und zog die Vorhänge auf, um Licht in das riesige Schlafzimmer zu lassen. Ringsum gab es keine anderen Gebäude von nennenswerter Höhe, die den Blick auf die Akropolis versperrten. Die Sonne ging gerade hinter dem Parthenon auf und tauchte die antike Tempelanlage in goldenen Glanz.

Vom Bett her hörte sie ein leises Seufzen, dann das Rascheln der Laken aus feinster ägyptischer Baumwolle.

„Stefanos …?“, erklang eine weibliche Stimme. „Wer … sind Sie?“

Lydia atmete tief durch und wandte sich dann vom Fenster ab und der Blondine zu, die inmitten besagter Laken lag und diese bei Lydias Anblick hastig bis zum Hals hochzog.

„Tut mir leid“, erklärte Lydia ungerührt, während sie die im Schlafzimmer verstreuten Kleidungsstücke der Blondine aufsammelte und ihr überreichte, „aber Stefanos ist geschäftlich leider unabkömmlich. Er bittet um Verzeihung, lässt Ihnen aber ausrichten, dass Sie herzlich eingeladen sind, in der Kantine von Abraxas Financial auf seine Kosten zu frühstücken.“

„Ich …“ Die junge Frau errötete und nahm mit gesenktem Blick ihr Kleid und ihre Unterwäsche entgegen. „Wie kann ich Stefanos erreichen?“

„Er wird Sie erreichen“, entgegnete Lydia, wohlwissend, dass er nichts dergleichen unternehmen würde. Im Berufsleben gehörten Loyalität und Zuverlässigkeit zu Stefanos Papadakis’ größten Stärken. Doch was sein Privatleben betraf, war er vor allem eines: ein unverbesserlicher Playboy.

Lydia musste es wissen. Nicht nur, weil sie seit fast fünf Jahren seine persönliche Assistentin war. Hätte sie von Anfang an gewusst, dass sie weit mehr würde organisieren müssen als nur seine Geschäftstermine, hätte sie den Job vielleicht gar nicht erst angenommen.

Allerdings war es da vermutlich bereits zu spät gewesen. Ein Blick in Stefanos’ Augen hatte genügt, und es war um Lydia geschehen gewesen – lange vor ihrem Vorstellungsgespräch bei Abraxas Financial.

Sie unterdrückte ein Seufzen, als die Erinnerungen über sie hereinbrachen. Es war nun mehr als fünf Jahre her, dass ihre Freundin sie in eine Bar mitgeschleppt hatte, um sie nach einer persönlichen und beruflichen Katastrophe auf andere Gedanken zu bringen.

Nun, das hatte in der Tat funktioniert dank des attraktiven Griechen, der sie zuerst auf einen Drink eingeladen und dann zum Tanzen aufgefordert hatte.

Lydia war eigentlich keine Frau, die beim ersten Treffen gleich mit einem Mann ins Bett ging. Doch Stefanos … Er hatte etwas an sich, das sie einfach in seinen Bann gezogen hatte. Und auch heute noch flatterte ihr Herz, wenn sie ihm gegenüberstand.

Es war ein Schock für sie gewesen, als sie sechs Monate später im Vorstandsbüro von Abraxas Financial Services ausgerechnet auf den Mann traf, der sie in jener Nacht so leidenschaftlich geliebt hatte. Und sie war nicht sicher gewesen, ob sie enttäuscht oder erleichtert darüber sein sollte, dass er sie nicht wiedererkannt zu haben schien.

Seither hatte sie nicht mehr aufhören können, an ihn zu denken.

Verliebt in den Chef – was für ein erbärmliches Klischee …

Trotz der unpassenden Gefühle, die Stefano in ihr hervorrief, verhielt sie sich jedoch nicht weniger professionell. Ganz im Gegenteil. Um sich selbst immer wieder zu beweisen, dass sie sich von ihrer albernen Verliebtheit nicht beeinflussen ließ, arbeitete sie doppelt so hart und beklagte sich auch dann nicht, wenn Stefanos’ Wünsche wieder weit über das normale Maß hinausgingen.

So wie heute.

Mit einem Seufzen schüttelte sie den Kopf und bedachte die Blondine, die gerade ihr Kleid überstreifte, mit einem halb mitleidigen Blick. Nur halb, weil ihr immerhin etwas zuteil geworden war, von dem Lydia seit Jahren lediglich träumen konnte.

Nicht, dass es ihr Wunsch war, so wie diese junge Frau hier zu enden. Als amüsanter Zeitvertreib in Stefanos’ Bett, den er am nächsten Morgen nicht schnell genug wieder loswerden konnte. Deshalb war sie damals in aller Früh, als er noch schlief, aus seinem Penthouse geschlichen. Sie hatte den Gedanken einfach nicht ertragen können, von ihm als lästige Verpflichtung empfunden zu werden.

Nein, daran hatte sie nun wirklich kein Interesse. Was nicht bedeutete, dass es ihr gefiel, als Frau praktisch unsichtbar für den großen Stefanos Papadakis zu sein. Damals hatte ihre Freundin sie zurechtgemacht, sodass sie sich im Spiegel selbst kaum wiedererkannt hatte.

„Wünschen Sie, dass ich Sie zu unserer Kantine geleite?“, fragte Lydia, als die Blondine gerade den zweiten ihrer halsbrecherisch hohen Manolo Blahniks überstreifte.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, danke. Kann ich mich wenigstens noch rasch frischmachen?“

„Natürlich.“ Lydia deutete in Richtung der Tür, die zum Ensuite-Badezimmer führte. „Nehmen Sie sich ruhig so viel Zeit, wie Sie brauchen. Ein Mitarbeiter wird draußen im Wohnzimmer auf Sie warten und Sie zum Ausgang begleiten.“

Sie verließ den Raum und gab dem Sicherheitsmann noch ein paar Anweisungen, ehe sie selbst in den Lift trat und zwei Stockwerke nach unten in die Vorstandsetage fuhr.

„Ist er inzwischen da?“, fragte sie Peter, ihren Assistenten, als sie ihr Büro betrat.

Er schüttelte den Kopf. „Nein, tut mir leid. Aber ich habe ein wenig herumtelefoniert. Anscheinend hält er sich noch immer im Fitnessbereich auf.“

Es war absurd, dass sie als persönliche Assistentin des Geschäftsführers selbst einen Assistenten brauchte. Doch die Dinge, die sie für Stefanos erledigte, gingen weit über die üblichen Aufgaben einer PA hinaus. Peter war für all das zuständig, was sie selbst aus Zeitmangel nicht schaffen konnte. Denn auch ihr Tag hatte nur vierundzwanzig Stunden, und die meisten von ihnen widmete sie bereits Stefanos Papadakis.

Das würde sich allerdings bald ändern.

Seufzend strich sie sich eine blonde Haarsträhne zurück hinters Ohr, die sich aus dem akkurat gebundenen Knoten gelöst hatte. „Also schön“, wandte sie sich dann an Peter, „sorgen Sie bitte dafür, dass das Meeting mit Valerian Andrimidou um zwei Stunden verlegt wird. Wenn ich jetzt gleich runtergehe, ihn mir schnappe und unter die Dusche befördere, könnten wir es schaffen. Wenn nicht, dann muss Andrimidou eben ein paar Minuten warten.“

Peter nickte und setzte sich sofort hinter seinen Schreibtisch, um die notwendigen Anrufe zu führen. Wenigstens ein Mann in meinem Leben, der nicht alles unnötig kompliziert macht, dachte Lydia.

Sie kehrte wieder zum Aufzug zurück und fuhr fünf Stockwerke nach unten, wo sich der Freizeitbereich für die Angestellten der Bank befand. Das Fitnesscenter, der Pool und der Saunabereich standen allen Mitarbeitern nach Feierabend zur Verfügung, und in den Mittagspausen wurden kostenlose Massagen angeboten. Ein wahres Paradies, sofern man über Freizeit verfügte.

Was für Lydia nicht zutraf.

Sie durchquerte den lang gestreckten Korridor, an dem zu beiden Seiten die Umkleideräume lagen, und trat dann durch die Glastür in das zu dieser Tageszeit nur schwach beleuchtete Fitnesscenter.

In der hintersten Ecke trainierte ein Mitarbeiter auf dem Laufband, doch Lydias Aufmerksamkeit richtete sich auf den Mann, der gerade, ihr den Rücken zugewandt, am Reck Klimmzüge machte.

Er trug schwarze Shorts und ein schwarzes Muskelshirt, sodass sie bei jeder Aufwärtsbewegung sehen konnte, wie sich sein eindrucksvoller Bizeps anspannte. Seine olivfarbene Haut war mit einem dünnen Schweißfilm überzogen, der im Schein der Deckenbeleuchtung schimmerte.

Lydia schluckte hart, dann strich sie glättend über ihren knielangen Bleistiftrock, straffte die Schultern und räusperte sich vernehmlich.

Er ließ sich auf die Gymnastikmatte unter dem Reck fallen und federte den Schwung mit den Knien ab. Dann drehte er sich um und schenkte Lydia ein Strahlen, das ihr Herz einen Moment lang aussetzen ließ.

„Lydia!“, rief er und kam mit energischen Schritten auf sie zu. „Ist sie weg?“

„Ich möchte Sie darüber in Kenntnis setzen, dass es nicht zu meinem Aufgabenbereich gehört, Ihre One-Night-Stands vor die Tür zu setzen“, entgegnete sie steif. „Aber um Ihre Frage zu beantworten, Stefanos: Ja, sie ist fort. Und Sie müssen sich jetzt auf der Stelle fertig machen – Andrimidou wird in weniger als anderthalb Stunden hier sein, und bis dahin müssen Sie geduscht, angezogen und gebrieft sein. Ich schlage also vor, dass Sie sich in Bewegung setzen.“

„Wenn Sie mich so freundlich bitten …“, entgegnete er mit einem leicht spöttischen Grinsen. „Dann muss ich mich jetzt leider entschuldigen – die Dusche ruft.“ Er hob eine Braue. „Es sei denn, Sie wollen mich begleiten? Ich könnte jemanden brauchen, der mir den Rücken einseift …“

Obwohl das Angebot absolut unangebracht und zudem nicht ernst gemeint war, brachte die Vorstellung Lydias Blut zum Kochen. Verflixt, es wurde wirklich Zeit, dass sie die Kündigung einreichte. Lange würde sie diese Tortur nicht mehr durchstehen.

„Es erstaunt mich zwar immer wieder, dass es noch Dinge gibt, beiden denen Sie nicht meine Hilfe benötigen“, entgegnete sie trocken und mit einer Gelassenheit, die sie bedauerlicherweise nicht empfand, „aber ich bin recht zuversichtlich, dass Duschen in diese Kategorie fällt.“

Mit diesen Worten wandte sie sich ab und ließ ihn einfach stehen. Und sie verspürte keineswegs den Drang, sich noch einmal umzudrehen, um einen letzten Blick auf seinen halb entblößten Oberkörper zu erhaschen.

Nein, ganz und gar nicht!

Das Lunch-Meeting mit Valerian Andrimidou verlief ganz nach Stefanos’ Erwartungen. Der Mann war reich, aber nicht besonders clever. Auf sich allein gestellt hätte er das Erbe seines Vaters sicher schon vor langer Zeit bei irgendeiner waghalsigen Geschäftstransaktion verloren. Stattdessen hatte sich sein Vermögen inzwischen mehr als verdoppelt – und das verdankte er ausschließlich den klugen Köpfen bei Abraxas Financial.

Es waren solche Männer, mit denen Stefanos zumeist zu tun hatte. Dabei ging es weniger darum, sie wirklich in Finanzangelegenheiten zu beraten, als darum, ihnen ein bisschen Honig ums Maul zu schmieren. Sie bei Laune zu halten und dafür zu sorgen, dass sie gar nicht erst auf den dummen Gedanken kamen, sich eine andere Bank zu suchen.

Nicht unbedingt der Teil seines Jobs, der Stefanos der liebste war – aber jemand musste ihn schließlich machen. Und er war nun einmal derjenige, von dem diese Leute hofiert werden wollten. Für die nackten Zahlen waren andere verantwortlich. Hier ging es um Prestige, um Einfluss und darum, sich wichtig und wertgeschätzt zu fühlen.

Letzten Endes waren auch reiche Männer einfach nur Männer. Und sie wollten die gleichen Dinge wie alle anderen – nur in vollkommen anderen Dimensionen.

Andrimidou erzählte gerade stolz von seinem neuesten Spielzeug, einer zwanzig Meter langen Motorjacht, die er vermutlich ebenso dringend brauchte wie eine weitere Villa. Aber er wurde selbst dann noch nicht müde, sich darüber auszulassen, als das Dessert abgeräumt wurde.

Stefanos beschwerte sich nicht. Andrimidous Monolog kam ihm gerade recht, denn so musste er sich nicht auf das konzentrieren, was sein Kunde redete, und konnte sich seinen eigenen Gedanken widmen. Das Telefonat, das er am vergangenen Abend mit seinem Bruder geführt hatte, wollte ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen.

Nikolaos und ihn verband keine sonderlich enge geschwisterliche Beziehung. Sie hatten sich nie gut verstanden, waren einfach zu unterschiedlich gewesen – oder vielleicht auch zu ähnlich, wer konnte das schon so genau sagen?

Und ihr Vater Grigorios hatte das Seine dazu beigetragen, einen Keil zwischen seine drei Söhne zu treiben.

Was war bloß aus ihnen geworden? Nikolaos, der Älteste, Stefanos selbst – und Ioannis, das Nesthäkchen. Nikos war immer der goldene Junge gewesen, den sein Vater zu seinem Nachfolger herangezogen hatte. Stefanos war für Grigorios nur Luft gewesen. Egal, was er auch tat, wie sehr er sich auch bemühte, die Anerkennung seines Vaters zu gewinnen, es war vergeblich gewesen.

Der alte Mann hatte überhaupt nur einen zweiten Sohn gezeugt, um auf Nummer sicher zu gehen. Man musste schließlich immer einen Plan B in der Hinterhand haben, für den Fall, dass Plan A sich als Fehlschlag erwies.

Ioannis war mit fünf Jahren Abstand zu Stefanos geboren worden, und als Nachzügler hatten seine Chancen, jemals der Erbe des Firmenimperiums zu werden, von Anfang an denkbar schlecht gestanden. Vielleicht war das der Grund gewesen, warum er der einzige Sohn war, den Grigorios wirklich gern gehabt hatte.

Vielleicht lag es auch daran, dass Ioannis als Einziger zu ihrem Vater aufgeblickt hatte wie zu einem Helden.

Trotzdem war es kaum möglich, Ioannis zu hassen. Ebenso wenig, wie man Sonnenschein oder Hundebabys hassen konnte. Jahrelang hatte er die Familie noch bis zu einem gewissen Grad zusammengehalten.

Doch nach dem großen Bruch zwischen Nikos und ihrem Vater war am Ende alles den Bach hinuntergegangen. Stefanos hatte seinen älteren Bruder auf der Testamentseröffnung ihres Vaters zum ersten Mal seit Langem wiedergesehen. Ihr jüngster Bruder schien hingegen wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Er war nicht zu dem Notartermin erschienen, und auch jeder Versuch, mit ihm in Kontakt zu treten, war bisher im Sande verlaufen.

Ioannis war fort.

Und genau da lag das Problem.

Sie brauchten ihn, um das Erbe ihres Vaters antreten zu können. Denn der hatte – vermutlich als letztes Zeichen seiner Überlegenheit – eine Klausel in seinen letzten Willen eingebaut, die regelte, wie mit Patroklos, der Privatinsel, die sich schon seit mehr als Hundert Jahren im Besitz der Papadakis’ befand, verfahren werden würde.

Sie alle drei – Nikos, Stefanos und Ioannis – würden den Sommer gemeinsam auf der Insel verbringen müssen, um die Bedingungen des Testaments zu erfüllen. Dann, und nur dann, würde die Insel in ihren Besitz übergehen.

Unter normalen Umständen hätte Stefanos dieser Felsbrocken im Meer herzlich wenig interessiert.

Es waren einfach zu viele Erinnerungen mit der Insel verknüpft. Erinnerungen, sowohl an gute als auch an weniger gute Zeiten. Und Stefanos war nicht im Geringsten erpicht darauf, diese wieder aufleben zu lassen.

Doch wie das Schicksal es wollte, war vor ein paar Monaten ein großes Tantal-Vorkommen auf der Insel entdeckt worden. Bei der Herstellung moderner Elektrogeräte spielte dieses Mineral eine bedeutende Rolle. Das wiederum hatte zur Folge, dass sich nun gleich mehrere große Minengesellschaften um die Abbaurechte bemühten.

Der Wert des Felsbrockens war also praktisch über Nacht in astronomische Höhen geschnellt.

Stefanos war es relativ egal, was aus Patroklos wurde. Sein älterer Bruder Nikos war zuerst regelrecht besessen von dem Gedanken gewesen, die Insel zu zerstören. Nun schien er einen Sinneswandel erlebt zu haben und wollte sie stattdessen retten.

Beide Optionen waren Stefanos nur recht. Ob er sein Geld nun von einem Bergbauunternehmen bekam oder ob einer seiner Brüder ihn auszahlte – fest stand, dass er am Ende mit einem satten Gewinn aus dieser Sache hervorgehen würde.

Sofern es ihnen gelang, Ioannis aufzutreiben.

Von ihm hing alles ab, und bisher waren sowohl Nikos’ als auch seine eigenen Bemühungen in dieser Hinsicht erfolglos geblieben.

Dabei hatte er sogar die Experten von Abraxas Financial nach Ioannis suchen lassen – und die trugen diesen Namen nicht umsonst. Ihre Spezialität war das Ausfindigmachen säumiger Gläubiger, die versuchten, ihren Verpflichtungen zu entgehen, indem sie irgendwo untertauchten.

Man mochte es kaum glauben, aber das war auch unter Millionären und Milliardären durchaus an der Tagesordnung.

Doch nichts.

Zum letzten Mal war Ioannis gesehen worden, als er auf Patroklos die Fähre bestieg. Das lag nun mittlerweile mehr als zehn Jahre zurück. Ioannis war damals gerade achtzehn gewesen und konnte sich inzwischen überall aufhalten.

Stefanos fragte sich manchmal, ob er seinen Bruder erkennen würde, wenn er in der Athener Metro neben ihm stünde. Nicht, dass Stefanos jemals öffentliche Verkehrsmittel benutzte. Aber darum ging es nicht. Mittlerweile war über ein Jahrzehnt vergangen, seit er Ioannis das letzte Mal gesehen hatte. Menschen veränderten sich. Verdammt, sie wussten ja nicht einmal mit Sicherheit, ob er überhaupt noch am Leben war. Doch irgendwie glaubte Stefanos, dass er es gespürt hätte, wäre seinem Bruder etwas zugestoßen …

Ein Vibrieren in der Innentasche seiner Anzugjacke riss ihn aus seinen Gedanken. „Entschuldigen Sie bitte, Valerian“, sagte er und zückte sein Handy. „Ich muss da kurz rangehen.“

Der Kunde nickte, und Stefanos erhob sich. Normalerweise ließ er Anrufer auf die Mailbox sprechen, während er bei einem Geschäftstermin war. Doch ihm kam die Unterbrechung ganz gelegen. Vielleicht konnte er sich danach wieder auf das konzentrieren, wofür er bezahlt wurde.

Durch die offen stehende Terrassentür trat er ins Freie. Das Gespräch war mittlerweile automatisch an die Mailbox weitergeleitet worden, doch er machte sich nicht die Mühe, die Aufzeichnung abzuspielen. Stattdessen rief er direkt zurück.

„Ja, was gibt es, Lydia?“

Er konnte förmlich hören, wie seine Assistentin am anderen Ende der Leitung die Stirn runzelte. „Ist das Lunch-Meeting mit Andrimidou schon zu Ende?“

„Nein“, entgegnete er.

„Aber … warum rufen Sie dann zurück? Das tun Sie sonst nie! Wissen Sie eigentlich, wie schwierig es war, diesen Kunden für uns zu gewinnen? Er war seit Jahrzehnten mit seinem Vermögen bei einer anderen Bank und dort auch zufrieden. Drei Jahre hat Wallace aus der Akquise gebraucht, um ihn weichzukochen. Sie sollten sich also vielleicht ein bisschen mehr Mühe geben, ihn bei Laune zu halten.“

Stefanos runzelte die Stirn. „Wenn Sie nicht wollen, dass ich Sie zurückrufe, sollten Sie vielleicht nicht während eines Lunch-Meetings, das Sie selbst organisiert haben, anrufen.“

„Aber Sie rufen mich nie zurück. Ach, wissen Sie was? Vergessen Sie es. Ich wollte Ihnen bloß mitteilen, dass ich Mr. Caruthers ausfindig gemacht habe. Er hält sich aktuell auf den Seychellen auf, wo er sich eine Motorjacht gemietet hat.“

„Caruthers? Wirklich?“ Verblüfft hob er eine Braue. „Ist der nicht schon vor mehr als drei Monaten von der Bildfläche verschwunden?“

„So ist es. Aber ich habe ein paar meiner Verbindungen spielen lassen, und siehe da …“

„Das ist wirklich beeindruckend“, sagte Stefanos. „Haben Sie nicht auch letztes Jahr diesen … Constantinou aufgetrieben? Wie machen Sie das nur immer?“

„Falls es Ihnen noch nicht aufgefallen sein sollte, ich bin verdammt gut in meinem Job.“

Klang sie verärgert? Ja, sie klang definitiv verärgert, auch wenn er nicht recht nachvollziehen konnte, warum.

„Allerdings sind Sie das“, entgegnete er daher. „Der Anzug, den Sie mir für die Spendengala vergangene Woche ausgesucht haben, ist großartig angekommen. Und das thailändische Restaurant, das Sie mir kürzlich empfohlen haben, war wirklich einsame Spitze.“

„Sie meinen das Restaurant, weswegen Sie mich sonntagnachts um halb zwei aus dem Bett geklingelt haben? Ich weiß nicht, ob es Ihnen überhaupt klar ist, aber es ist nicht unbedingt üblich, seinem Vorgesetzten rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen. Es gibt so etwas wie Bürozeiten, doch davon haben Sie vermutlich noch nie gehört. Aber was rede ich eigentlich? Gehen Sie zurück zu Ihrem Termin. Wir können auch später immer noch über alles reden.“

Mit diesen Worten beendete sie einfach das Gespräch, ehe Stefanos noch etwas erwidern konnte.

Kopfschüttelnd, aber mit einem amüsierten Schmunzeln auf den Lippen, schob er das Handy zurück in seine Innentasche. Offenbar hatte er Lydia auf dem falschen Fuß erwischt, denn sie war sonst eigentlich sehr verträglich. Sicher, sie beschwerte sich hin und wieder über die Sonderaufgaben, mit denen er sie betraute. Und vermutlich hatte sie recht damit, dass die meisten eigentlich gar nicht zu ihrem Aufgabengebiet gehörten. Aber sie war eben wirklich verdammt gut in dem, was sie tat. Sie organisierte seinen ganzen Tagesablauf – und mehr. Seit sie vor fünf Jahren angefangen hatte, für ihn zu arbeiten, war sie aus seinem Leben nicht mehr wegzudenken.

Vielleicht war es an der Zeit, dass er ihr wieder einmal zeigte, wie froh er darüber war, sie zu haben. Ein kleines Zeichen der Anerkennung und …

Oh …

Aber natürlich, warum war er da nur nicht gleich drauf gekommen?

Lydia hatte bisher noch jeden säumigen Kunden von Abraxas Financial ausfindig machen können. Sie besaß neben hervorragenden Verbindungen auch ein Talent dafür, sich in die Menschen, nach denen sie suchte, hineinzuversetzen. Darüber hinaus war sie unglaublich clever – so clever, dass er sich manchmal fragte, warum sie immer noch für ihn arbeitete.

Wenn also jemand geradezu prädestiniert war, eine vermisste Person ausfindig zu machen, dann Lydia.

Eine vermisste Person wie Ioannis.

Stefanos kehrte wieder an seinen Tisch zurück. Nach dem Telefonat mit Lydia konnte er sich nun jedoch noch weniger konzentrieren.

Kurze Zeit später entschuldigte er sich bei Andrimidou und machte sich auf den Rückweg ins Büro.

Er musste auf der Stelle mit Lydia sprechen.

Persönliche Assistenz der Geschäftsleitung mit Erfahrungen im Terminmanagement und ausgezeichnetem Organisationstalent. Reisebereitschaft wird vorausgesetzt. Die Aufgaben der Position umfassen unter anderem die Vor- und Nachbereitung von Meetings, das Erstellen von Besprechungsprotokollen, die Vorbereitung von Verträgen und die Aufbereitung und Analyse von Statistiken.

Lydia markierte die Seite mit dem Stellenangebot einer großen Online-Jobbörse mit einem Lesezeichen.

Ihr Gehalt wäre zwar nicht so hoch wie bei Abraxas Financial, aber dafür waren ihre Aufgaben klar umrissen. Kein Abwimmeln lästiger One-Night-Stands für den Boss, keine mitternächtlichen Anrufe, um zu klären, welche Krawatte besser zu diesem oder jenem Anzug passte.

Einfach nur ein ganz normaler Job, vorzugsweise für einen Vorgesetzten, in den sie nicht schon seit Jahren heimlich verliebt war und der sie nicht wie eine Leibeigene behandelte.

Sie mochte Stefanos. Ja, das tat sie wirklich. Aber sie konnte nicht mehr länger so weitermachen wie bisher. In all den Jahren, die sie nun schon für ihn arbeitete, waren ihre Gefühle für ihn nicht schwächer geworden. Und es machte sie unglücklich, ständig mitanzusehen, wie er eine Frau nach der nächsten mit in sein Bett nahm, und sich immerzu zu fragen, ob es dieses Mal wohl die Eine war, die es schaffte, den ewigen Womanizer zu zähmen.

Da sie die Hoffnung, dass er irgendwann einmal nicht nur eine Angestellte in ihr sehen würde, inzwischen aufgegeben hatte, war es an der Zeit, die Konsequenzen zu ziehen.

Ein neuer Job musste her – und zwar schnell.

Hastig klickte sie die Anzeige weg, als die Tür zu ihrem Büro, das zugleich das Vorzimmer von Stefanos war, geöffnet wurde.

Stefanos trat ein.

Wie immer, wenn sie ihn sah, flatterte es kurz in ihrem Bauch, bis sie sich zur Ordnung rief und daran erinnerte, dass er ihr Vorgesetzter war und sie seine Angestellte.

Noch.

„Nanu“, sagte sie. „Ist das Meeting mit Andrimidou schon vorbei? Normalerweise gehört er doch zu den Kunden, die Ihre Zeit am längsten beanspruchen.“

„Stimmt.“ Er nickte. „Aber ich habe ihm erklärt, dass ich aus dringendem Anlass zurück in die Firma muss, und dafür hatte er natürlich Verständnis.“

Lydia konnte ihn nur ungläubig anstarren. „Sie haben … was? Was für ein dringender Anlass?“

„Habe ich erfunden.“ Mit einem Seufzen ließ er sich ihr gegenüber auf den Besucherstuhl fallen. „Aber ich muss tatsächlich etwas Dringendes mit Ihnen besprechen.“

„So ein Zufall“, entgegnete Lydia. „Ich auch mit Ihnen. Aber bitte, Sie zuerst.“

„Sie müssen mir helfen, meinen Bruder für mich zu finden.“

„Nikolaos? Aber haben Sie den nicht erst kürzlich bei der Eröffnung des Testaments Ihres Vaters gesehen?“

„Nein, nicht Nikolaos. Ioannis, meinen jüngeren Bruder. Er hat vor Jahren alle Brücken hinter sich abgebrochen, und niemand scheint zu wissen, wo er sich im Augenblick aufhält.“

„Und Sie sind nie auf den Gedanken gekommen, nach ihm zu suchen?“

„Ioannis ist erwachsen, und ich hatte meine eigenen Probleme. Davon abgesehen sind wir Papadakis nicht gerade eine Musterfamilie.“

Lydia runzelte die Stirn. „Und was hat sich geändert?“

„Eine Klausel im Testament meines Vaters besagt, dass wir Ioannis auftreiben müssen, wenn wir unser gesamtes Erbe antreten wollen. Und da zu seinem Nachlass eine kleine Insel in der Ägäis gehört, auf der vor Kurzem ein großes Tantal-Vorkommen entdeckt wurde, das uns alle zu noch reicheren Männern machen wird, als wir es ohnehin bereits sind, habe ich sehr wohl vor, diese Klausel zu erfüllen.“

„Das Glück ist immer mit denen, die ohnehin schon alles haben“, murmelte Lydia bitter.

„Wie war das?“

Sie winkte ab. „Ach, nichts. Und was Ihren Bruder betrifft – ich fürchte, den müssen Sie allein suchen, Stefanos.“ Sie war es leid, sich von ihm herumschubsen zu lassen. Wenn sie jetzt nicht den Absprung wagte, wann dann? Ein neuer Job würde sich schon finden bei ihren Qualifikationen. Sie atmete tief durch, dann ließ sie die Bombe platzen: „Ich kündige.“

2. KAPITEL

Stefanos konnte Lydia einen Moment lang nur fassungslos anstarren. Dann warf er den Kopf in den Nacken und lachte schallend.

„Der war gut, Lydia. Wirklich gut. Und beinahe hätten Sie mich gehabt. Aber nur beinahe.“

Doch sie lachte nicht.

„Ich meine das durchaus ernst“, entgegnete sie energisch. „Ich kündige, und nach Ablauf meiner zweiwöchigen Kündigungsfrist bin ich weg. Natürlich werde ich Ihnen gern dabei behilflich sein, eine neue PA zu finden, aber …“

„Nein.“ Er runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. „Nein, Lydia, das kann ich so nicht akzeptieren. Nicht ohne einen guten Grund für Ihre Entscheidung zu hören.“

„Ich bin Ihnen keine Erklärung schuldig“, entgegnete sie leise. „Sie können froh sein, dass ich nicht auf meinem Resturlaub bestehe. Ich werde gehen – und das ist mein letztes Wort.“

Stefanos fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen. Es war nicht leicht, ihn zu überraschen, denn er war gut darin, strategisch zu denken und verschiedene Szenarien bereits im Vorfeld durchzuspielen.

Doch niemals, in keinem Szenario der Welt, hatte er je das hier erwartet.

Wenn sie sich manchmal über die kleinen Dinge beschwerte, die sie für ihn erledigen sollte, hatte er das immer von der humorvollen Seite gesehen und die kleinen Wortgefechte mit ihr in gewisser Weise sogar genossen. Sie verstanden sich gut – hatte er zumindest gedacht. So gut, dass sie, wenn sie unter sich waren, durchaus recht unverblümt mit ihm reden konnte. Dafür ließ er sie im Gegenzug Dinge erledigen, mit denen er sonst niemandem betraute.

Und, ja, es war schon möglich, dass er sie mitunter zu allen möglichen Tages- und Nachtzeiten anrief, ohne dabei Rücksicht auf ihr Privatleben zu nehmen. Allerdings musste er zu seiner Verteidigung anfügen, dass sie so etwas eigentlich auch gar nicht besaß.

Sie hatte keinen Ehemann, keinen Verlobten oder auch nur einen Freund. Ihre Familie lebte in Bristol, und laut ihrer eigenen Aussage hatten sie keine besonders enge Verbindung und telefonierten nur hin und wieder miteinander.

Warum also machte sie plötzlich ein solches Gewese um ein paar kleine Zusatzdienste?

Er schüttelte den Kopf. „Sie können nicht gehen, Lydia. Ich brauche Sie hier.“

„Was Sie brauchen, ist jemand, der sein Leben komplett nach Ihnen ausrichtet, Stefanos. Und dieser Jemand werde nicht ich sein. Ich habe wirklich lange nach Ihrer Pfeife getanzt, aber damit ist jetzt Schluss.“

Seine Augen wurden schmal. „Wie viel?“

Sie blinzelte. „Wie viel was?“

„Wie viel hat man Ihnen geboten, damit Sie Ihre Loyalität mir gegenüber vergessen?“

Einen Moment lang starrte sie ihn einfach nur an, dann färbten sich ihre Wangen rot, was er als Zeichen dafür deutete, dass er ins Schwarze getroffen hatte.

Doch zu seiner Überraschung schüttelte sie den Kopf. „Ich kündige nicht, weil ich ein neues Jobangebot habe“, entgegnete sie energisch. „Ich kündige, weil ich es keinen Tag mehr länger aushalte, für Sie zu arbeiten. Sie sprechen von Loyalität, aber das, was Sie von mir erwarten, geht darüber weit hinaus.“

„Moment mal, Sie haben also noch gar keine neue Anstellung?“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich weiß zwar nicht, inwieweit Sie das etwas anginge, aber nein. Ich habe vor, mir in aller Ruhe etwas Angemessenes zu suchen.“

Er hob eine Augenbraue. „Weil Sie es – wie sagten Sie so schön?“ Er räusperte sich und ahmte ihren Tonfall nach: „Weil Sie es keinen Tag mehr länger aushalten, für mich zu arbeiten?“

Ärgerlich funkelte sie ihn an. „Nehmen Sie eigentlich jemals irgendetwas ernst? Aber was frage ich eigentlich? Ich kenne die Antwort doch schon längst!“

„Sie werden nicht kündigen, Lydia.“

Sie reckte das Kinn. „Ach, nein? Wollen Sie mich etwa daran hindern? Nun, versuchen Sie es gern – ich bin schon gespannt darauf, was Sie sich einfallen lassen, um mich zu überzeugen.“

„Ich muss mir überhaupt nichts einfallen lassen“, entgegnete er und funkelte sie herausfordernd an. „Es ist doch ganz einfach: Wenn Sie kündigen, werde ich dafür sorgen, dass Sie nicht einmal mehr einen Job als Bürokraft finden.“

Nun war sie es, die die Augen zusammenkniff. „Sie mögen einflussreich sein, Stefanos, aber auch Ihre Macht hat Grenzen. Ich werde einfach wieder nach England zurückkehren oder mich an irgendeinem anderen Ort in Europa niederlassen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Sie können mich nicht einschüchtern. Mein Entschluss steht fest.“

„Na, dann wünsche ich Ihnen viel Spaß bei der Suche nach einer neuen Anstellung. Mit dem Arbeitszeugnis, das ich Ihnen ausstellen werde, dürfte das allerdings kein Vergnügen werden.“

Lydia stockte der Atem.

„Das wagen Sie nicht“, stieß sie heiser vor Empörung hervor. „Nach allem, was ich für Sie getan habe, werden Sie mir nicht meine Zukunft verbauen. Ich werde mir einen Anwalt nehmen und Sie verklagen!“

Er zuckte lediglich mit den Schultern. „Versuchen Sie es ruhig. Aber ich würde an Ihrer Stelle darüber nachdenken, wer von uns beiden am längeren Hebel sitzt. Abraxas Financial verfügt über ein ganzes Heer an Anwälten. Wir können den Prozess problemlos über Monate, wenn nicht gar Jahre hinausziehen. Schon möglich, dass Sie am Ende recht bekommen. Aber fragen Sie sich mal, was Sie bis dahin machen wollen.“

Ungläubig starrte Lydia ihn an. Das war der Stefanos Papadakis, den sie bisher nur im Gespräch mit säumigen Schuldnern kennengelernt hatte. Kalt, rücksichtslos und ohne jedes Mitgefühl. Doch sie hätte niemals gedacht, dass sie diese Seite von ihm einmal gegen sich selbst gerichtet erleben würde.

Nun konnte sie sehr viel besser verstehen, warum so mancher Kunde kreidebleich und vollkommen eingeschüchtert aus einer Besprechung mit Stefanos gekommen war.

Kaum zu glauben, dass dies ein und derselbe Mann war, der während langweiligen Meetings kleine Zeichnungen auf Servietten kritzelte oder sie sonntags anrief, weil er Hilfe dabei brauchte, eine App auf seinem Smartphone einzurichten.

Der Mann, der ihr jetzt gegenübersaß, war Furcht einflößend. Doch Lydia würde sich von ihm nicht einschüchtern lassen. Zumindest sollte er ihr die Verunsicherung nicht anmerken. „Sie können mich nicht zwingen, für Sie zu arbeiten“, sagte sie schließlich doch kleinlaut. „Und ich glaube auch nicht, dass Sie das wollen.“ Seufzend fuhr sie sich durchs Haar. „Stefanos. Wollen Sie wirklich, dass es auf eine so unschöne Art und Weise zwischen uns zu Ende geht?“

Er zögerte kurz, dann schüttelte er den Kopf. „Ich will überhaupt nicht, dass es zwischen uns zu Ende geht.“ Er streckte über den Schreibtisch hinweg die Hand nach ihrer aus, und die Berührung – so harmlos und unschuldig sie auch war – brachte ihr Blut gleich wieder zum Kochen.

Ihr Herz pochte wie verrückt, und ihre Kehle schnürte sich zu. Warum war sie nur so machtlos gegen die Wirkung, die er auf sie hatte? Sie wollte sich nicht zu ihm hingezogen fühlen.

Jetzt noch weniger denn je.

Sie entzog ihm ihre Hand und atmete tief durch. Als sie wieder zu sprechen begann, war sie selbst überrascht darüber, wie ruhig sie klang. „Das ist überhaupt nicht Ihr Stil, Stefano“, sagte sie. „Aber schön, wenn Sie sicher sind, dass Sie das so durchziehen wollen … Was verlangen Sie von mir im Austausch für ein angemessenes Arbeitszeugnis?“

Erneut schüttelte er den Kopf. „Ich sagte es doch bereits: Ich will nicht, dass Sie gehen. Überlegen Sie es sich doch bitte noch einmal, Lydia. Wenn es Ihnen ums Geld geht – ich bin gerne bereit …“

„Es geht mir nicht ums Geld. Die Bezahlung ist fürstlich, selbst wenn man einkalkuliert, dass ich Ihnen praktisch vierundzwanzig Stunden am Tag auf Abruf zur Verfügung stehe. Aber genau das ist das Problem. Ich kann so nicht mehr weitermachen. Und ich will es auch gar nicht. Als ich hier angefangen habe, wusste ich nicht, dass Sie schon bald mehr oder minder mein ganzes Leben bestimmen würden. Sie verfügen über mich, wann und wie immer es Ihnen passt. Und selbst wenn Sie mir jetzt versprechen, dass Sie sich ändern werden, kann ich Ihnen das einfach nicht glauben. Also frage ich Sie jetzt: Was verlangen Sie von mir?“

Er schien sogleich wieder protestieren zu wollen, überlegte es sich dann aber anders. „Also schön“, sagte er. „Sie sind also wirklich fest entschlossen?“

Lydia nickte. „Ich werde in spätestens einem Monat nicht mehr Ihre Angestellte sein“, entgegnete sie bestimmt, obwohl sie sich alles andere als wohl dabei fühlte, ihn so herauszufordern.

Er hatte ja recht, mit dem, was er sagte. Er saß ganz eindeutig am längeren Hebel. Wenn er wollte, dann konnte er ihr ohne große Mühe die Karriere verbauen. Und auch wenn die Dinge zwischen Stefanos und ihr nicht immer optimal gelaufen waren – sie liebte ihren Job. Sie wollte nicht alles verlieren, nur weil Stefanos plötzlich seine Muskeln spielen lassen musste.

„Wenn es wirklich nichts gibt, was ich tun kann, damit Sie es sich noch einmal anders überlegen …“

Sie bedachte ihn mit einem festen Blick. „Gibt es nicht.“

„Gut, dann erledigen Sie noch diese eine Sache für mich, und ich lasse Sie in Frieden ziehen.“

Misstrauisch kniff sie die Augen zusammen. „Nicht, dass ich es mir nicht schon denken könnte, aber von welcher einen Sache sprechen wir genau?“

„Sie müssen meinen Bruder für mich ausfindig machen, Lydia. Finden Sie Ioannis.“

Als Lydia am Abend mit ihrem Laptop auf dem Schoß in ihrem Wohnzimmer saß, war ihre anfängliche Zuversicht vom Vormittag verflogen.

Sie hatte geglaubt, dass es ihr keine großen Schwierigkeiten bereiten würde, Ioannis Papadakis zu finden. Sie war gut darin, Leute aufzutreiben, die nicht gefunden werden wollten. Das war im Grunde nicht so schwer, wie man es sich vielleicht vorstellte.

Die meisten Menschen gaben sich zu Anfang große Mühe, jeden ihrer Schritte zu verschleiern. Sie hielten sich zurück, versuchten möglichst wenig aufzufallen. Doch nach einer Weile wurden eigentlich alle unvorsichtig. Sie wiegten sich in Sicherheit und fingen an, Fehler zu begehen. Kleine Fehler manchmal nur, wie zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein und auf einem Foto zu erscheinen, das von irgendjemandem ins Internet hochgeladen wurde. Oder größere, wie eine Kreditkarte zu verwenden, die auf den eigenen Namen von der eigenen Bank ausgestellt worden war.

Es war im Grunde gar nicht so schwer, wenn man wusste, wo man die Suche beginnen musste. Zudem war Lydia in ihrem ersten Job bei einem Privatermittler angestellt gewesen. Während der Arbeit für ihn hatte sie eine Menge Dinge aufgeschnappt, die ihr später zugutegekommen waren. Hinzu kamen die Dinge, die sie sich selbst angeeignet hatte.

Ioannis Papadakis schien ärgerlicherweise äußerst vorsichtig zu sein. Und nach allem, was sie von Stefanos wusste, war er seit mehr als zehn Jahren von der Bildfläche verschwunden.

Er war entweder äußerst geschickt darin, nicht aufzufallen, lebte an einem einsamen, verlassenen Ort – oder es gab einen anderen Grund, warum er nirgendwo Spuren hinterlassen zu haben schien. Aber den wollte sie vorerst lieber nicht in Betracht ziehen. Als jüngster der Papadakis-Brüder war Ioannis gerade einmal achtundzwanzig Jahre alt.

Seufzend klappte sie den Laptop zu und stellte das Gerät auf dem Couchtisch ab. Ihre Eigentumswohnung war nicht besonders groß, lag aber in einem der besseren Viertel Athens. Zwei Zimmer, von denen das Wohnzimmer das größere war, ein Duschbad und eine kleine Küche, deren minimalistisch gehaltene Einrichtung sie vom Vorbesitzer übernommen hatte.

Den Rest der Wohnung hatte sie mit viel Liebe zum Detail nach ihrem eigenen Geschmack gestaltet. Helle Farben herrschten vor, viel Holz und weiche Stoffe.

Durch die geöffnete Balkontür drang eine leichte Brise, die die weißen Vorhänge aufbauschte, als Lydia hinaustrat. Dahinter war die Sonne bereits am Horizont verschwunden und tauchte die Akropolis in der Ferne in einen glühend roten Schein.

Es war ein wundervoller Anblick, der sie jedes Mal aufs Neue mit einer gewissen Ehrfurcht erfüllte, und das, obwohl sie nun schon seit ein paar Jahren in dieser Wohnung mit diesem Panorama wohnte.

Die Luft war warm, die Stadt erfüllt von den Geräuschen des Lebens. Aus den Gassen drangen Stimmengewirr, Musik und Gelächter zu ihnen empor. Auf dem Bürgersteig vor ihrem Haus spielten ein paar Männer Xeri – ein griechisches Kartenspiel –, und die schwerhörige alte Dame in der Wohnung unter ihr hatte mal wieder den Fernseher so laut gestellt, dass die ganze Nachbarschaft mithören konnte.

Viele Menschen mochten das als störenden Lärm betrachten, doch für Lydia gehörte das zum Leben in der Großstadt dazu. Wenn sie Ruhe und Frieden wollte, dann konnte sie sich in ihr Auto setzen und an die Athener Riviera fahren, wo es malerische Dörfer und verborgen gelegene Buchten gab, wo man für sich sein und die Seele baumeln lassen konnte.

Wenn man denn Zeit für so etwas hatte.

Etwas, das bei ihr in den vergangenen Jahren stets Mangelware gewesen war. Aber damit würde ja nun bald Schluss sein.

Bei dem Gedanken zog sich etwas in ihrem Bauch schmerzhaft zusammen. Seufzend fuhr sie sich mit beiden Händen durchs Haar. Was stimmte eigentlich nicht mit ihr? Sie war doch schon lange nicht mehr glücklich als Stefanos’ persönliche Assistentin gewesen. Und das lag nur zum Teil daran, dass er sie wie seine Dienstbotin behandelte. So ungern sie es sich eingestehen wollte, es war vor allem die Tatsache, dass sie ihn nicht ansehen konnte, ohne Herzklopfen zu bekommen, die sie letzten Endes zu dieser Entscheidung gebracht hatte.

In all den Jahren war es ihr nie gelungen, diese alberne Verliebtheit abzuschütteln. Warum konnte sie nicht einfach nur ein professionelles Verhältnis zu ihm haben? Wieso musste sie alles unnötig mit Gefühlen verkomplizieren?

Sie wusste doch, dass das alles nie zu etwas führen würde. Stefanos war kein Mann, der sich fest band. Er mochte Sex, daran konnte kein Zweifel bestehen. Immerhin hatte sie nicht wenige seiner Bettgespielinnen persönlich vor die Tür setzen dürfen.

Aber genau da lag ja der Kern des Problems. Für ihn gab es nur bedeutungslose Affären. One-Night-Stands, die vergessen waren, kaum, dass am nächsten Morgen die Sonne aufging.

Und ganz gleich, was Lydia auch für Stefanos empfinden mochte, sie war auf keinen Fall bereit, sich ein weiteres Mal in die lange Reihe von namenlosen Verflossenen einzureihen. Nein, so verzweifelt konnte sie gar nicht sein.

Als es an der Tür klingelte, runzelte Lydia die Stirn. Wer mochte das sein? Sie bekam so gut wie nie Besuch, und wenn, dann immer nur angekündigt. So selten, wie sie zu Hause war, standen die Chancen ansonsten mehr als schlecht, sie anzutreffen.

Sie eilte durchs Wohnzimmer zur Tür, blickte durch den Spion und blinzelte überrascht.

Sie sah noch einmal hin, doch das Bild, das sich ihr bot, hatte sich nicht verändert. Im Flur vor ihrer Wohnung stand niemand anderes als Stefanos Papadakis.

Sofort hämmerte ihr das Herz bis zum Hals, und sie atmete zweimal tief durch, um sich zu beruhigen. Was wollte er wohl? Stefanos hatte üblicherweise keinerlei Skrupel, sich über sämtliche Grenzen des Anstands hinwegzusetzen. Doch bei ihr zu Hause war er bisher noch nie aufgetaucht.

Sie zuckte zusammen, als es erneut klingelte.

Wenn du wissen willst, was er möchte, solltest du vielleicht aufmachen.

„Ja, ja, ist ja schon gut“, murrte sie. „Sie müssen mir ja nicht gleich die Tür eintreten, Herrgott.“

Sie hatte die Tür kaum geöffnet, da stand er schon in ihrer Wohnung. „Sie sind da, gut“, sagte er. „Packen Sie Ihren Koffer, unser Flug geht in anderthalb Stunden.“

Lydia starrte ihn an. „Wovon reden Sie? Ich werde nirgendwo hinfliegen! Haben Sie jetzt komplett den Verstand verloren?“

„Ganz im Gegenteil. Ich habe nichts verloren, sondern gefunden. Oder vielmehr der Mitarbeiter, den ich auf meinen Bruder angesetzt habe. Es ist möglich, dass sich Ioannis vor gar nicht allzu langer Zeit in Rom aufgehalten hat. Zumindest hat es wohl einige Hinweise gegeben, die darauf hindeuten. Und genau deshalb fliegen wir jetzt nach Rom und …“

„Nein.“ Sie hob eine Hand und schüttelte den Kopf. „Ich werde mit Ihnen nirgendwo hinfliegen, Stefanos. Es ist schön und gut, dass ich Ihren Bruder ausfindig machen soll. Wenn das der Preis dafür ist, dass Sie mir ein anständiges und faires Zeugnis ausstellen, dann werde ich es auf jeden Fall versuchen. Aber Sie wissen genau, wie ich arbeite. Ich stelle meine Recherchen am Computer an und nutze meine Kontakte, um Hinweisen nachzugehen. Ich reise nicht auf Verdacht persönlich durch die Weltgeschichte, um vor Ort mehr herauszubekommen.“

„Normalerweise nicht, nein. Aber das hier ist eine besondere Situation. Immerhin geht es hier nicht um irgendeinen säumigen Schuldner, sondern um meinen Bruder, den ich seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen habe.“

Sie musterte ihn skeptisch. „Wollen Sie mir weismachen, dass Sie aus rein sentimentalen Gründen handeln? Wenn ich mich recht erinnere, ging es doch um diese Insel, oder nicht?“

„Schließt denn das eine das andere aus? Aber Sie haben schon recht, es geht mir vor allem darum, diese Klausel im Testament meines Vaters zu erfüllen und die Angelegenheit damit endgültig hinter mich zu bringen. Aber ich hätte auch nichts dagegen, Ioannis wiederzusehen. Er war zwar der kleine Liebling unseres Vaters …“ Er zuckte mit den Schultern. „Aber irgendwann scheint er ja doch begriffen zu haben, dass nicht alles, was unser werter Herr Erzeuger angefasst hat, sich in pures Gold verwandelt.“

„Das klingt, als wären Sie eifersüchtig auf ihn gewesen.“

Erneut hob er die Schultern. „Ich war in gewisser Weise auf meine beiden Brüder eifersüchtig. Auf Nikos, den älteren, weil mein Vater ihm alle Aufmerksamkeit geschenkt hat, während ich für ihn praktisch unsichtbar war. Und auf meinen kleinen Bruder Ioannis … nun, weil ihn einfach jeder gernhatte.“ Er lächelte selbstironisch. „Im Grunde ganz schön erbärmlich, aber so war es nun einmal. Es hat wohl keinen Sinn, es schönzureden. Ich war kein besonders liebenswerter Junge – und ich schätze, ich bin wohl auch kein besonders liebenswerter Mann. Warum sonst sollten Sie so unbedingt von mir fort wollen?“

Lydia schluckte und musste sich zwingen, nicht die Worte auszusprechen, die ihr auf der Zunge lagen. Nämlich, dass er sehr wohl liebenswert war. Viel zu liebenswert. Dass es sie natürlich nervte, wie er sich ihr gegenüber verhielt, aber sie vor allem nicht mehr damit umgehen konnte, ihn ständig mit irgendwelchen neuen Frauen zu sehen. Sich stets zu fragen, ob diese eine womöglich diejenige sein würde, die es schaffte, ihn an sich zu binden.

Oh, sie verstand sehr gut, wie es sich anfühlte, unsichtbar zu sein …

„Jetzt werden Sie mir bloß nicht sentimental“, entgegnete sie und wandte sich rasch ab, damit er ihr ihre wahren Gefühle nicht vom Gesicht ablesen konnte. „Und nur dass Sie es wissen: Das ändert alles nichts an meiner Antwort. Ich werde mich nicht auf eine wilde Jagd quer durch Europa von Ihnen mitschleppen lassen.“

Er neigte den Kopf zur Seite und setzte seinen besten Hundeblick auf. Großer Gott, wie schaffte er es nur, liebenswert und sexy zugleich auszusehen? Lydia spürte, wie üblich, dass sie sich von seinem Charme einlullen ließ.

„Bitte?“

Nun, das war ein kleines Novum. Zwar war das Wort „Bitte“ durchaus fester Bestandteil von Stefanos’ Wortschatz, denn er war stets höflich in seinen Anweisungen. Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass es sich um Anweisungen handelte, keine Bitten.

Das hier … war anders. Nur warum?

Er wusste doch, dass er sie vollkommen in der Hand hatte. Wenn er ihr ein Arbeitszeugnis verweigerte oder ihr eines ausstellte, das mangelhaft war, dann brauchte sie gar nicht erst zu versuchen, eine Anstellung in ihrer aktuellen Position zu bekommen. Natürlich war das nicht in Ordnung – weder rechtlich noch moralisch, und wenn sie ihn deswegen tatsächlich in einen Rechtsstreit verwickelte, würde sie am Ende zweifellos als Siegerin hervorgehen.

Doch das würde Zeit kosten. Zeit, die sie nicht hatte.

Eine PA war jemand, den man ständig um sich herum hatte. Eine Person, die nicht nur in die meisten Unternehmensgeheimnisse eingeweiht wurde, sondern auch eine Menge privater Dinge ihrer Vorgesetzten mitbekam.

Für eine solche Aufgabe zog man niemanden in Erwägung, dem man nicht tausendprozentig vertrauen konnte. Und Stefanos konnte eben dieses Vertrauen in sie mit ein paar wohldurchdachten Worten an ihren potenziellen neuen Arbeitgeber zerstören, ehe sie auch nur die geringste Chance hatte, sich zu erklären.

Letzten Endes musste er also eigentlich nur wieder das Thema Arbeitszeugnis vorbringen, und sie wäre gezwungen, auf sein Kommando hin durch jeden Reifen zu hüpfen wie ein dressierter Hund.

Aber das tat er nicht. Und vielleicht war das auch der eigentliche Grund, warum sie sich schließlich mit einem leisen Seufzen durchs Haar fuhr und sagte: „Ich nehme an, das Wetter in Rom ist zu dieser Jahreszeit nicht viel anders als hier? Nur, damit ich weiß, was ich einpacken muss …“

Ein Strahlen breitete sich auf Stefanos’ Gesicht aus, und so sehr Lydia auch versuchte, sich einzureden, dass es sie nicht berührte, es war vergeblich. Sie war noch nie besonders gut darin gewesen, sich selbst anzulügen.

3. KAPITEL

Der Himmel über dem Flugfeld von Rom strahlte genauso Blau wie vor wenigen Stunden in Athen, als sie den Privatjet bestiegen hatten, der Stefanos als CEO von Abraxas Financial zur Verfügung stand. Man hätte fast meinen können, dass sie im Kreis geflogen und wieder an ihren Ausgangsort zurückgekehrt waren.

Als der Fahrer der Limousine, die auf dem Rollfeld auf sie wartete, Stefanos mit einem „Buongiorno, Signor Papadakis“, begrüßte, verflüchtigte sich die Illusion jedoch.

Lydia atmete tief durch, straffte die Schultern und folgte ihrem Chef auf die Rückbank des Wagens, der ungewohnt gediegen für Stefanos’ Verhältnisse war. Normalerweise zog er schnelle Sportwagen einer Limousine vor. Letztere kamen vor allem dann zum Einsatz, wenn er einen älteren, eher traditionell eingestellten Kunden beeindrucken wollte.

„Die Agentur hatte auf die Schnelle nichts Besseres im Angebot“, erklärte er, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Es findet zurzeit sowohl eine internationale Handelskonferenz als auch eine Tagung zum Thema Charity und Entwicklungshilfe statt, sodass die Nachfrage größer war als üblich.“ Nachdenklich runzelte er die Stirn. „Wenn Sie diese Dinge organisieren, kommt so etwas nie vor. Wie machen Sie das nur?“

Lydia konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Ganz gleich, wie die Dinge zwischen Stefanos und ihr im Augenblick auch stehen mochten, es war ein gutes Gefühl, für ihre Arbeit wertgeschätzt zu werden.

Etwas, was in den vergangenen Jahren eher selten vorgekommen war. Die meiste Zeit über schien Stefanos es für selbstverständlich zu halten, dass alles um ihn herum stets reibungslos ablief.

Ob er überhaupt eine Ahnung hatte, wie viel davon ihrer unermüdlichen Arbeit und den zahllosen Kontakten zu verdanken war, die sie im Laufe der Zeit gesammelt hatte?

Vermutlich nicht, beantwortete sie sich ihre Frage selbst. Auf seine Art war Stefanos vermutlich immer dankbar für alles gewesen, was sie für ihn tat. Und sie erwartete ja nicht, von ihm mit Lob überschüttet zu werden. Immerhin wurde sie gut bezahlt, da verstand es sich von selbst, dass sie auch gute Arbeit leistete.

Und dennoch …

Während Stefanos in etwas auf seinem Smartphone vertieft war – eine geschäftliche E-Mail möglicherweise, so wie sie ihn kannte –, blickte Lydia zum Fenster hinaus.

Sie war als junges Mädchen einmal mit ihren Eltern in Rom gewesen, doch das war schon so lange her, dass sie sich nicht mehr wirklich daran erinnern konnte.

Es ging am Ufer des Tiber entlang, vorbei am Kolosseum und dem Circus Maximus, der größten Arena des antiken Rom, der mit seinen teilweise noch erhaltenen Türmen und Tribünen auch heute noch einen imposanten Anblick bot.

Vor einem hohen, modernen Glasbau, der zwischen den historischen Gebäuden so fehl am Platz wirkte wie ein E-Book in einer altehrwürdigen Bibliothek, hielt ihr Wagen. Der Fahrer stellte den Motor ab, stieg aus und öffnete ihnen die Tür.

Stefanos wechselte noch ein paar Worte mit dem Mann, der nickte, dann traten sie an dem livrierten Portier vorbei in die kühle Lobby des Hotels.

Auch hier war alles modern, beinahe schon futuristisch. Wände und Einrichtung waren in Weiß gehalten, im Kontrast dazu bestand der Fußboden aus glänzendem schwarzem Marmor, in dem man sich spiegeln konnte.

Zielstrebig ging Stefanos auf die Rezeption zu. Diese war sehr elegant – weiß natürlich und leicht gebogen, mit schwarzen Glasvasen, in denen exotische Blumen kunstvoll arrangiert waren, die auf den ersten Blick wie farbenfrohe Vögel aussahen.

„Stefanos Papadakis“, wandte er sich an die rothaarige Frau hinter dem Empfangstresen. „Ich hätte gern meine übliche Suite und ein weiteres Zimmer für meine Assistentin.“

Die Frau schenkte ihm ein professionelles Lächeln, das eine Spur zu zuvorkommend war. Nicht, dass Lydia es ihr verdenken konnte. Stefanos war ein äußerst attraktiver Mann – da konnte man schon einmal ein wenig die Fassung verlieren.

Sie tippte und klickte, und auf ihrer Stirn bildete sich eine kleine Sorgenfalte, die nichts Gutes verhieß. Schließlich blickte sie auf und erklärte in einem überaus bedauernden Tonfall: „Es tut mir wirklich leid, Signore, aber ich kann keine Buchung unter dem Namen Papadakis finden.“

Stefanos lächelte. „Oh, der Entschluss, nach Italien zu reisen, war relativ spontan. Aber ich steige immer hier ab, wenn ich mich in Rom aufhalte. Wenn meine übliche Suite nicht frei ist, bin ich auch gern bereit, mit einer anderen vorliebzunehmen.“

Lydia ahnte bereits, was als Nächstes kommen würde, doch sie hoffte nach wie vor, dass sie sich täuschte.

Selten war sie weniger erfreut darüber gewesen, recht zu behalten.

„Ich bedaure wirklich sehr, Signore, aber aufgrund der Handelskonferenz, die zurzeit in der Stadt stattfindet, habe ich leider kein einziges Zimmer frei.“

Stefanos’ Lächeln verblasste ein wenig. „Ein kleines Zimmer tut es auch“, sagte er dann mit einer Zuversicht, die Lydia nicht nachempfinden konnte. „Wenn es nicht anders geht, können meine Assistentin und ich uns auch ein Doppelzimmer teilen.“

Unter normalen Umständen hätte Lydia angesichts dieser Aussicht protestiert. Doch sie ahnte bereits, dass das nicht notwendig sein würde.

Abermals behielt sie recht.

Die Rezeptionistin schüttelte bedauernd den Kopf. „Wir sind vollkommen ausgebucht, Signore. Ich könnte Ihnen aktuell nicht einmal eine Besenkammer anbieten. Und ich fürchte, dass es bei den anderen Hotels unserer Preisklasse nicht viel anders aussehen wird.“

Lydia hatte es bereits geahnt, doch Stefanos sah aus, als hätte man ihm gerade erklärt, dass Wasser neuerdings bergauf floss. Und vermutlich war es für ihn tatsächlich eine Erkenntnis derselben Größenordnung, denn sie glaubte nicht, dass er in den vergangenen Jahren jemals erlebt hatte, dass ihm etwas verwehrt blieb.

Von ihrer Arbeitskraft einmal abgesehen. Ihr hatte er allerdings auch zu verdanken, dass stets alles reibungslos ablief. Hätte sie den Trip nach Rom organisiert, dann wäre sie mit Sicherheit über dieselben Schwierigkeiten gestolpert – doch sie zweifelte nicht daran, dass sie eine adäquate Alternative gefunden hätte.

Und das würde sie auch jetzt tun.

Seufzend zückte sie ihr Telefon und wählte eine Nummer aus ihrer Kontaktliste. Nach längerem Klingeln – Lydia befürchtete bereits, dass niemand abnehmen würde – meldete sich eine Männerstimme am anderen Ende der Leitung.

„Sì, pronto?“

„Alberto, ich bin es, Lydia. Hör zu, ich würde mich gern länger unterhalten, und das müssen wir bei Gelegenheit unbedingt nachholen, aber gerade brauche ich dringend deine Hilfe.“

„Naturalmente, was kann ich für dich tun?“

Lydia erzählte ihm von der kleinen Zwangslage, in der Stefanos und sie steckten. Und wie nicht anders zu erwarten gewesen war, wusste Alberto Rat. Alles andere hätte sie auch sehr gewundert, denn der junge Mann war, wie sie selbst, PA. Sie hatten sich vor einiger Zeit bei einer Wohltätigkeitsgala kennengelernt, an der ihre beiden Arbeitgeber teilgenommen hatten. Albertos Boss war ein italienischer Süßwarenfabrikant, der seine Produkte international vermarktete. Da sich der Hauptsitz des Unternehmens in Rom befand, besaß Alberto hier natürlich beste Kontakte und Verbindungen.

Und er war mehr als einverstanden, diese für Lydia spielen zu lassen. In ihrer Branche gab es nichts Wertvolleres als einen geschuldeten Gefallen.

„Ich denke, ich weiß, wo ich euch unterbringen kann“, sagte er nach kurzem Überlegen. „Es ist nicht das Ritz, aber aufgrund der Tagungen sind sämtliche größeren Etablissements bis auf das letzte Zimmer ausgebucht.“

„Das ist vollkommen okay“, versicherte Lydia ihm sofort. „Im Notfall sind wir auch mit der Besenkammer einverstanden.“

Alberto lachte. „Nun, ich denke, das wird dann doch nicht notwendig sein. Ich schicke dir die Adresse auf dein Handy. Bestell der Wirtin einen schönen Gruß von mir. Sie ist nämlich meine Tante.“

Nachdem das Gespräch beendet war, wandte sich Lydia wieder an Stefanos. „Ich habe uns eine Unterkunft besorgt. Aber sie wird nicht Ihren üblichen Standards entsprechen, fürchte ich. Ist das ein Problem?“

Beinahe empört schüttelte er den Kopf. „Natürlich nicht. Wofür halten Sie mich?“

Das behielt Lydia dann doch lieber für sich.

Als sie draußen waren, stand ihr Gepäck auf dem Bürgersteig – sie konnten von Glück reden, dass sich niemand daran zu schaffen gemacht hatte! Aber vermutlich war weniger Glück dafür verantwortlich als vielmehr der freundliche Portier.

Lydia runzelte die Stirn. „Wo ist der Wagen?“

„Die Agentur hat ihn uns für den Weg vom Flughafen zum Hotel zur Verfügung gestellt. Danach musste der Fahrer gleich weiter, um einen anderen Kunden abzuholen“, entgegnete Stefanos und zuckte mit den Schultern. „Ich hatte ohnehin vor, mir einen etwas passenderen fahrbaren Untersatz zu besorgen. Was halten Sie von einem Lamborghini, Lydia? Ich meine, wo wir schon einmal in Italien sind …“

Mit einiger Mühe hielt sie ein Seufzen zurück. Sie nahm stark an, dass die Chauffeuragenturen, Fahrdienste und Autovermietungen durch die Konferenz ebenfalls am Rande ihrer Kapazitäten standen.

Zum dritten Mal an diesem Tag wünschte sie sich, sie hätte sich geirrt.

„Nein, ich verstehe“, sagte Lydia eine halbe Stunde später zu dem Mann von der Autovermietung, bei der sie es versucht hatte – der letzten auf ihrer Liste. „Da kann man nichts machen.“

„Und?“, fragte Stefanos, als sie aufgelegt hatte. „Glück gehabt?“

„Mache ich den Eindruck auf Sie?“ Sie schüttelte den Kopf. „Es ist beim besten Willen nichts zu kriegen. Nächste Woche, ja. Aber vor Sonntag ist da nichts zu machen. Und ich will doch stark hoffen, dass wir bis dahin wieder zurück in Athen sein werden.“

Stefanos runzelte die Stirn. „Was sollen wir denn jetzt machen, so ganz ohne Wagen?“

Lydia seufzte resigniert. „Ich schlage vor, wir nehmen uns jetzt erst einmal ein Taxi. Um alles andere können wir uns dann später immer noch kümmern.“

Die Fahrt mit dem nicht klimatisierten Taxi war unerfreulich. Zum Glück hatte Stefanos sein Sakko bereits ausgezogen, bevor er mit Lydia in den Wagen gestiegen war. Doch der Stoff seines blütenweißen Hemds klebte trotzdem an seinem Körper wie eine zweite Haut. Den Schneider in der Londoner Savile Row, der es eigens für ihn angefertigt hatte, würde bei dem Anblick vermutlich der Schlag treffen, doch das ließ sich jetzt nicht ändern. Zum Glück hatte Stefanos gleich ein halbes Dutzend solcher Hemden gekauft. Trotzdem war er froh, als ihr Taxifahrer etwa eine halbe Stunde später in einer kleinen Seitenstraße hielt.

Er stieg aus. Lydia wartete nicht darauf, dass er zu ihr herumkam, um ihr die Tür zu öffnen, sondern kletterte allein hinaus. Er schaute sich um. Nach der drückenden Hitze im Wagen war es hier draußen beinahe angenehm. Natürlich herrschten nach wie vor sommerliche Temperaturen, doch sie fühlten sich erträglicher an.

Die Frage war nur: Wo war das Hotel?

Als der Fahrer sich räusperte, stupste Lydia ihn mit dem Ellbogen an. Trotzdem brauchte er einen Moment, um zu begreifen, was die beiden von ihm wollten. Oh, ja, natürlich. Der Mann wollte bezahlt werden.

Stefanos zückte seine Brieftasche und reichte dem Mann seine Platinkreditkarte. Der schüttelte jedoch den Kopf und sagte etwas auf Italienisch, was Stefanos nicht verstand. Das war allerdings auch gar nicht notwendig, denn seine Geste zeigte unmissverständlich, dass er die Kreditkarte nicht als Zahlungsmittel akzeptierte.

Stefanos verzog das Gesicht. Er trug fast nie Bargeld bei sich, und das war auch jetzt nicht anders.

Hinter sich hörte er Lydia seufzen und dann ein paar Worte auf Italienisch mit dem Taxifahrer wechseln, ehe sie an ihm vorbeiging und dem Mann ein paar Scheine in die Hand drückte.

„Sie sprechen Italienisch?“

Lydia bedachte ihn mit einem pikierten Blick. „Stand alles in meinem Lebenslauf. Und nur dass Sie es wissen – das Geld für die Fahrt setze ich auf meine Spesenrechnung.“

„Natürlich“, sagte er. „Von mir aus gern. Hauptsache, wir können jetzt endlich unser Zimmer beziehen und uns auf die Suche nach Ioannis machen.“ Fragend schaute er Lydia an. „Wo ist das Hotel?“

„Sie stehen direkt davor“, entgegnete sie und deutete auf einen unscheinbaren Hauseingang. Erst auf den zweiten Blick bemerkte Stefanos das Schild, das über der Tür hing.

Camera libera – Zimmer frei.

Zwar sprach Stefanos kein Italienisch, aber das konnte sogar er verstehen. „Das hier?“, fragte er ungläubig. „Das soll ein Hotel sein?“

„Eine Pension“, entgegnete Lydia mit einem Schulterzucken. „Und ehe Sie etwas sagen: Nein, etwas Besseres war nicht zu bekommen. Gewöhnen Sie sich also lieber an den Gedanken.“

Stefanos runzelte die Stirn. „Sie halten mich wohl für einen ziemlichen Snob.“

„Nein“, entgegnete sie. „Ich weiß sogar, dass Sie einer sind.“

Lydia wandte sich ab und ging die Stufen zum Eingang der Pension hinauf. Sie wollte sich am liebsten für ihren Kommentar ohrfeigen, doch sie hatte ihn sich einfach nicht verkneifen können.

Stefanos konnte sagen, was er wollte, er war ein Snob. Und sie konnte es ihm nicht einmal verübeln. Er war privilegiert aufgewachsen und lebte das Leben der oberen Zehntausend. Dass ein Mensch unter solchen Umständen die Bodenhaftung verlor, war nicht wirklich verwunderlich.

Eine gehörige Portion Realität war vielleicht genau das Richtige für ihn. Nicht, dass sie sich dafür noch irgendwie verantwortlich fühlte. Wenn sie erst einmal seinen Bruder gefunden hatten, brauchte sie sich über so etwas endgültig keine Gedanken mehr zu machen. Dann fiel so etwas nicht mehr in ihren Aufgabenbereich. Und sie konnte es gar nicht mehr erwarten, dass es endlich so weit war.

Warum nur fühlte sie sich trotzdem kein bisschen enthusiastisch?

Sie stieß die Tür auf und trat in die kühle Dunkelheit der Pension. Der Korridor war schmal, die Tapeten vom Alter leicht vergilbt, aber alles wirkte sauber und ordentlich.

Eine ältere Dame mit grau meliertem Haar, das streng zurückgekämmt und am Hinterkopf zusammengebunden war, trat hinter einem Vorhang hervor und begrüßte sie mit einem freundlichen Lächeln.

„Sie müssen die beiden sein, die mein Neffe Alberto zu mir geschickt hat. Ich bin Grazia Valentini. Herzlich willkommen in meinem Haus. Das Zimmer ist schlicht und einfach und vermutlich nicht ganz das, was Sie gewohnt sind, aber …“

Lydia winkte ab. „Das ist überhaupt kein Problem. Wir sind Ihnen sehr dankbar, dass Sie uns so kurzfristig bei sich aufnehmen. Wirklich, Sie waren unsere letzte Rettung. Durch diese Konferenz hier in Rom lässt sich nur schwer ein freies Hotelzimmer auftreiben.“