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CATHERINE GEORGE

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Beschreibung

HEISSE TAGE IN VENEZUELA von KAY THORPE

Tropische Träume werden für Nicole wahr, als sie nach Venezuela zur Hochzeit ihrer Stiefmutter reist. Die hat ihr neues Glück gefunden. Und Nicole selbst? Die lernt erst auf dem luxuriösen Landsitz Las Veridas ihre Stiefbrüder kennen. Und ausgerechnet in den heißblütigen Marcos Peraza, der sie für eine Erbschleicherin hält, verliebt sie sich unsterblich!

HAZIENDA DER ORCHIDEEN von NATALIE FOX

Was macht ihr Ex-Geliebter auf einer exotischen Plantage im Dschungel? Entgeistert starrt Gina den unwiderstehlichen Herzensbrecher an, der sie statt ihres Auftraggebers in der märchenhaften Villa Verde begrüßt. Hat Felipe sie hier in eine raffinierte Liebesfalle gelockt?

EWIGER SOMMER BRASILIENS von Catherine George

Als Antónia erfährt, dass ihre leibliche Mutter in Brasilien wohnt, nimmt sie Kontakt auf. Schon kurz darauf sitzt sie im Flugzeug - und ist Stunden später in einer anderen Welt. Der gutaussehende Brasilianer Jaime de Almeida beginnt sofort, mit ihr zu flirten …

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Seitenzahl: 593

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Kay Thorpe, Natalie Fox, Catherine George

ROMANA GOLD BAND 61

IMPRESSUM

ROMANA GOLD erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

Neuauflage in der Reihe ROMANA GOLDBand 61 - 2021 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

© 2000 by Kay Thorpe Originaltitel: „A Mistress Worth Marrying“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Dorothea Ghasemi Deutsche Erstausgabe 2002 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe ROMANA, Band 1431

© 1992 by Natalie Fox Originaltitel: „Love in Torment“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Barbara Slawig Deutsche Erstausgabe 1993 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe ROMANA, Band 955

© 1987 by Catherine George Originaltitel: „Man of Iron“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Ralf-Michael Hofer Deutsche Erstausgabe 1989 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA EXTRA, Band 39

Abbildungen: evenfh / Shutterstock, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 01/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751503273

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, HISTORICAL, TIFFANY

Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

Heiße Tage in Venezuela

1. KAPITEL

Der Flug hatte Verspätung gehabt. Bis wir auf Las Veridas sind, ist es dunkel, überlegte Nicole, während sie sich auf der Fahrt in Richtung der Berge an der Küste entspannt auf dem Ledersitz der Limousine zurücklehnte.

„Ich freue mich so darauf, Luis zu sehen“, sagte sie. „Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass so etwas passiert.“

„Zuerst war es ein Schock für uns beide“, bestätigte Eduardo. „Aber im positiven Sinne! Ich hätte nie damit gerechnet, in meinem Alter noch einmal ein eigenes Kind in den Armen zu halten!“

„Und ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet“, erklärte seine Frau. „Mit fünfunddreißig das erste Kind zu bekommen ist wirklich kein Spaziergang. Ich kämpfe immer noch mit meinem Gewicht.“

„Du bist sogar noch schöner als an dem Tag, an dem wir uns zum ersten Mal begegnet sind“, versicherte er galant.

Auch wenn es bei Leonora zuerst keine Liebe war, so ist es jetzt der Fall, überlegte Nicole, als sie den Blick bemerkte, den die beiden tauschten. Noch vor einem Jahr hätte sie gesagt, dass die Chancen gering waren, doch damals war ihre Stiefmutter auch ein ganz anderer Mensch gewesen.

Vor einem Jahr war ich auch ein anderer Mensch, sagte Nicole sich ironisch. Nicht, dass Marcos irgendwelche Zugeständnisse machen würde. Es würde nicht leicht sein, ihm wieder gegenüberzutreten, doch sie hatte keine andere Wahl, denn sie wollte bei der Taufe unbedingt dabei sein.

„Wer kümmert sich jetzt um Luis?“, erkundigte sie sich.

„Wir haben ein hervorragendes Kindermädchen“, erwiderte Leonora. „Sie ist ganz vernarrt in ihn. Ihr Name ist Juanita. Natürlich ist sie Venezolanerin, aber sie spricht sehr gut Englisch, sodass Luis hoffentlich zweisprachig aufwachsen wird. Ich bin gespannt, in welcher Sprache er sein erstes Wort sagt.“

„‚Mamá‘ und ‚Papá‘ ist in beiden Sprachen dasselbe“, meinte Eduardo, während er einen Lastwagen überholte.

Nicole fragte sich, wie Marcos wohl auf die Nachricht reagiert hatte, dass er jetzt einen kleinen Bruder hatte. Sicher war er nicht allzu erfreut gewesen. Ein Altersunterschied von vierunddreißig Jahren zwischen Geschwistern machte es unwahrscheinlich, dass sich ein enges Verhältnis zwischen ihnen entwickelte.

Für ihn war es schon schwer genug gewesen, sich mit der Heirat abzufinden. Er hatte allen Grund zu der Annahme gehabt, dass Leonora das Ganze eingefädelt hatte. Und er war damals nicht der Einzige, gestand Nicole sich ein. Doch die Ehe der beiden war offenbar glücklich. Und nur das zählte.

Tatsächlich war es dunkel, als sie von der Autobahn abbogen. Seine Fahrweise bewies, dass Eduardo mit den Straßenverhältnissen in den Bergen vertraut war. Nachdem sie den Pass hinter sich gelassen hatten, kamen sie in das weite, baumbestandene Tal, das zum Anwesen Las Veridas gehörte. Das Dorf war an den funkelnden Lichtern zu erkennen, und weiter hinten, am bewaldeten Hang, lag die hell erleuchtete casa.

Vom Dorf war es etwa noch eine halbe Meile, bis sie das große schmiedeeiserne Tor durchquerten. Nicole stieg aus und blieb einen Moment stehen, um den Familiensitz der Perazas zu betrachten. Soweit sie sehen konnte, hatte sich nichts verändert. Allerdings war ein Jahr nichts, wenn man bedachte, dass das Gebäude sich im Besitz mehrerer Generationen befunden hatte.

Den Mann, der aus dem Haus kam, um ihren Koffer zu holen, kannte sie nicht. Doch sie war beim ersten Mal auch nicht lange genug hier gewesen, um alle Angestellten kennenzulernen. Nur eine Woche. Innerhalb dieser kurzen Zeit hatte sich ihr Leben von Grund auf verändert. Aber es hat keinen Sinn, darüber nachzudenken, entschied Nicole. Was vorbei war, war vorbei. Hoffentlich sah Marcos es auch so.

Die große Eingangshalle mit dem dunklen, polierten Holzfußboden, auf dem ein exquisiter Perserteppich lag, war so beeindruckend wie damals. An den Wänden hingen zahlreiche Gemälde, die meisten davon Familienporträts. Die Holztreppe mit dem geschnitzten Geländer passte zu den schweren Türen.

Die große, sehr schlanke Frau, die ganz in Schwarz gekleidet war, hatte damals noch nicht hier gearbeitet. Offenbar ist sie die Haushälterin, die Leonora eingestellt hat, dachte Nicole, während sie ihrem undurchdringlichen Blick begegnete.

„Das ist Inéz“, bestätigte ihre Stiefmutter ihre Vermutung. „Sie hat die Verantwortung für alle Hausangestellten. Wenn du etwas brauchst, kannst du es ihr sagen.“

„Buenas noches, Inéz“, sagte Nicole und erntete dafür lediglich ein kurzes Nicken.

„Señorita.“

„Du hast wieder dasselbe Zimmer“, erklärte Leonora. „Bestimmt möchtest du erst mal nach oben gehen und dich frisch machen.“

„Wenn es geht, würde ich gern erst Luis sehen“, meinte Nicole spontan. „Ist er zu dieser Zeit wach?“

„Er ist eigentlich immer wach“, antwortete Leonora amüsiert. „Noch ein Grund dafür, ihn Juanitas Obhut anzuvertrauen. Ich brauche meinen Schönheitsschlaf. Komm, ich bringe dich zu ihm.“

Die Babysuite lag gegenüber von ihrem Zimmer auf der anderen Seite des Innenhofs. Dort befand sich auch Marcos’ Suite.

Juanita war etwa Mitte zwanzig, dunkelhaarig und eher unscheinbar. Nachdem sie sie respektvoll begrüßt hatte, führte sie sie von dem freundlich eingerichteten Spielzimmer in einen abgedunkelten Raum. Dort lag der Kleine in einer wunderschönen alten Holzwiege, in der vermutlich schon viele Babys vorheriger Generationen die ersten Monate verbracht hatten.

„Er ist wunderschön!“, flüsterte Nicole und verspürte einen Anflug von Neid, als sie das kleine Gesicht betrachtete. „Aber das ist bei Eltern wie dir und Eduardo auch kein Wunder. Anscheinend hat er Eduardos dunkles Haar geerbt.“

„Und seinen dunklen Teint.“ Leonora lächelte. Offenbar machte es ihr nichts aus, dass ihr Sohn nicht blond war wie sie. „Ich hatte mir ja ein Mädchen gewünscht, aber es sollte nicht sein. Trotzdem möchte ich ihn nicht mehr eintauschen.“ Liebevoll steckte sie die Decke fest.

„Ihr könnt es ja noch mal probieren“, scherzte Nicole.

Ihre Stiefmutter warf ihr einen strengen Blick zu. „Einmal reicht, danke! Wenn mir die Pille in den Flitterwochen nicht ausgegangen wäre, hätte ich überhaupt kein Baby bekommen. Leider gibt es auf diesen kleinen Inseln im Pazifik nicht viele Apotheken.“

Juanita war ins andere Zimmer gegangen. „Es gibt auch andere Verhütungsmittel“, meinte Nicole leise.

„Die man Eduardos Meinung nach nur benutzt, um sich vor Aids zu schützen.“ Lächelnd zuckte Leonora die Schultern. „Außerdem dachte ich, es würde nichts passieren, wenn ich die Pille ein paar Tage nicht nehme.“

„Na, ein Gutes hat es ja gehabt“, bemerkte Nicole, während sie das schlafende Baby betrachtete.

„Erzähl das mal Marcos“, erwiderte Leonora trocken. „Er glaubt anscheinend, dass es Teil meines Plans war, mir einen Platz im Familienstammbaum zu sichern.“

„Ich habe nicht vor, Marcos überhaupt etwas zu erzählen. Diesmal nicht. Ich bin nur wegen der Taufe hier.“

„Natürlich“, sagte Leonora ausdruckslos. „Es ist sicher nicht leicht für dich, ihn wiederzusehen, aber du bist schon mit Schlimmerem fertig geworden.“

Ja, das stimmt, dachte Nicole. Niemals würde sie jene letzte Szene vergessen. Wenn sie von Anfang an ehrlich zu ihm gewesen wäre, dann wäre es vielleicht nie so weit gekommen. Wahrscheinlich wäre alles nicht passiert.

„Es wäre sowieso nicht gut gegangen“, erklärte sie betont fröhlich. „Vielleicht mache ich noch ein Nickerchen. Es war ein langer Tag.“

Leonora verstand den Wink. „Gute Idee. Vor dem Abendessen hast du noch ein paar Stunden Zeit.“

Zusammen gingen sie den Flur entlang zur Galerie oberhalb der Eingangshalle. Nicole blieb stehen, als sie den Mann sah, der gerade die Treppe heraufkam. Sie hatte nicht damit gerechnet, ihm jetzt schon zu begegnen. Er sah immer noch genauso aus wie bei ihrer letzten Begegnung – dunkelhäutig, mit markanten Zügen, und seine Miene war genauso hart, als er sie nun musterte.

„Hallo, Marcos.“ Nicole schaffte es, ruhig zu sprechen.

Marcos nickte flüchtig. „Nicole.“

Seine Art erinnerte Nicole an die Haushälterin. Zweifellos waren alle außer Eduardo und Leonora ihr gegenüber feindselig eingestellt. Was sie getan hatte, würde man ihr nie verzeihen.

Marcos ging an ihnen vorbei zu seiner Suite.

„Diese Männer mit ihrem Stolz!“, bemerkte Leonora verächtlich, obwohl er noch in Hörweite war. „Beachte ihn einfach nicht, Liebes. Du bist hier, weil Eduardo und ich dich eingeladen haben.“

„Wann hast du ihm erzählt, dass ich komme?“, erkundigte Nicole sich argwöhnisch.

„Heute Morgen erst“, gestand Leonora. „Eduardo hatte gehofft, dass er die Vergangenheit ruhen lässt, aber Marcos ist noch schlimmer als er.“

Nicole lächelte schwach. „Ich glaube nicht, dass Eduardo dir verziehen hätte, wenn du ihn vor allen lächerlich gemacht hättest. Ich kann es Marcos nicht verdenken, denn ich habe mich ihm gegenüber wirklich mies verhalten.“

„Wenn überhaupt jemand die Schuld daran hat, dann ich. Schließlich habe ich es so hingestellt, als wärst du ungebunden“, meinte Leonora trocken. „Ich war so versessen darauf, dich mit einem Peraza zu verkuppeln, dass ich überhaupt nicht an die möglichen Komplikationen gedacht habe.“

„Und die gab es nur, weil ich den Mund gehalten habe.“ Nicole machte eine wegwerfende Geste. „Lassen wir die Vergangenheit ruhen. Jetzt brauche ich erst einmal eine Dusche.“

„Nimmst du vor dem Essen noch einen Drink mit uns?“

Nicole nickte nur. Marcos wieder zu begegnen hatte sie mehr mitgenommen als erwartet. Sein Anblick hatte gereicht, um die Erinnerungen wach werden zu lassen. Kein Mann hatte je solche Empfindungen in ihr geweckt, wie er es getan hatte – und noch immer tat. Es würde sie viel Kraft kosten, ihre Gefühle in den nächsten Tagen zu unterdrücken.

Ihren Koffer hatte man bereits ausgepackt. Da sie bis zum Abendessen noch Zeit hatte, konnte sie ein Nickerchen machen, doch momentan war daran nicht zu denken. In ihrem tiefsten Innern hatte sie gehofft, dass Marcos sie noch ein wenig achtete, wie sie sich nun eingestehen musste. Seinem Verhalten nach zu urteilen, brauchte sie sich allerdings keine Illusionen mehr zu machen. Für ihn war sie genau das, wofür er sie vor einem Jahr gehalten hatte, als er sie vom Flughafen abholte …

Während sie den Gepäckwagen vor sich herschob, hielt Nicole vergeblich nach einem vertrauten Gesicht unter den Wartenden Ausschau. Als sie die Ankunftshalle betrat, blieb sie unsicher stehen. Die Maschine war pünktlich gewesen. Leonora offenbar nicht. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als auf sie zu warten.

„Señorita Hunt?“, ließ sich ein Mann neben ihr vernehmen, und erschrocken drehte Nicole sich zu ihm um.

„Ja?“

„Ich bin Marcos Peraza“, sagte er. „Willkommen in Venezuela.“

Sein Tonfall war genauso kühl wie sein Blick. Sofort verspannte sie sich.

„Danke. Ich freue mich, dass ich hier bin.“ Sie machte eine Pause und blickte an ihm vorbei. „Ist Leonora nicht mitgekommen?“

„Ihre Stiefmutter ist bei meinem Vater“, informierte Marcos sie kühl. „Sie hat mich gebeten, Sie abzuholen.“ Er nahm den Gepäckwagen. „Ich bin mit dem Wagen da.“

Verwirrt folgte sie ihm zum Ausgang. Leonora hatte ihr den Eindruck vermittelt, dass ihre zukünftigen Stiefsöhne genauso gespannt darauf waren, sie kennenzulernen, wie Eduardo, doch allem Anschein nach war es nicht der Fall. Marcos war der ältere der beiden, wie Nicole bereits wusste. Er war dreiunddreißig.

Verstohlen betrachtete sie sein markantes Profil und bemerkte dabei den sinnlichen Zug um seinen Mund. Er konnte sehr leidenschaftlich sein, wenn er sich dazu hinreißen ließ – er war ein Mann, vor dem man sich in Acht nehmen musste, egal, in welcher Stimmung er war, das spürte sie.

„Sicher waren Sie schockiert, als Ihr Vater mit Leonora im Schlepptau aufgetaucht ist“, sagte sie geradeheraus. „Ich weiß, wie es ist, wenn man plötzlich mit einer Stiefmutter konfrontiert wird. Als mein Vater wieder geheiratet hat – noch dazu eine Frau, die nur zehn Jahre älter war als ich –, war ich dagegen. Aber sie hat ihn sehr glücklich gemacht.“

„Es wäre besser, wenn wir uns über diese Dinge im Wagen unterhalten würden, wo niemand uns hören kann“, erklärte Marcos, ohne sie anzusehen.

Bei dem Geräuschpegel hier könnte uns sowieso niemand hören, dachte Nicole, schwieg jedoch. Obwohl sie sich den Empfang ganz anders vorgestellt hatte, würde sie nicht klein beigeben und nach Hause zurückkehren. Schließlich heiratete Leonora Eduardo Peraza und nicht seinen Sohn.

„Wie haben Sie mich eigentlich erkannt?“, wechselte Nicole daher das Thema.

Diesmal wandte Marcos sich ihr zu. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er ihr rotes Haar, ihr Gesicht und ihre schlanke Figur musterte. „Die Beschreibung, die Ihre Stiefmutter mir gegeben hat, traf auf keine andere Frau zu.“

Wie unnahbar er ist! dachte sie und beschloss, genauso einsilbig zu sein.

Beim Anblick der silberfarbenen Limousine, die im Parkverbot stand, stockte ihr einen Moment lang der Atem. Aber was hatte sie bei einer so reichen und mächtigen Familie wie den Perazas erwartet? Daher überraschte es sie nicht, als der uniformierte Beamte, der in der Nähe stand, auf sie zukam und ihren Koffer und ihre Reisetasche in dem geräumigen Kofferraum verstaute.

Marcos Perazas Kleidung, ein schwarzes Poloshirt und eine lässige cremefarbene Hose, ließ seine Herkunft nicht erkennen. Was ihn allerdings von der Menge abhob, waren sein athletischer Körperbau – breite Schultern, eine schmale Taille und lange, muskulöse Beine –, sein attraktives, sonnengebräuntes Gesicht und sein dichtes schwarzes Haar.

Er wandte sich ihr zu und zog spöttisch eine Augenbraue hoch. „Kommen Sie.“

Nicole nahm auf dem Beifahrersitz Platz und zog dabei automatisch ihren Rock hinunter. Nachdem Marcos die Tür geschlossen hatte, ging er um den Wagen herum, öffnete die Fahrertür und gab dem Beamten ein großzügiges Trinkgeld.

„Kein Chauffeur?“, erkundigte sie sich, als er sich neben sie setzte, und vergaß ganz ihren Vorsatz.

„Ich vertraue mein Leben niemandem außer mir selbst an“, erwiderte er lässig.

„Mir geht es genauso.“

Er antwortete nichts darauf, sondern verzog lediglich den Mund, während er den Motor anließ. Was er damit meinte, war klar: Momentan hatte sie keine andere Wahl.

Die mehrspurige Autobahn in Richtung Caracas war stark befahren. Nicole blickte aus dem Seitenfenster und bedauerte allmählich, dass sie sich zu dieser Reise hatte überreden lassen. Marcos Peraza ließ keinen Zweifel daran, dass er gegen die bevorstehende Heirat war. Dies war allerdings verständlich.

Leonora hatte Eduardo auf einer Kreuzfahrt in der Karibik kennengelernt. Dass die beiden beschlossen hatten zu heiraten war ein Schock für sie, Nicole, gewesen. Da sie ihre einzige Angehörige war, hatte Leonora darauf bestanden, dass sie zur Hochzeit kam, und trotz aller Vorbehalte hatte sie ihr die Bitte nicht abschlagen können.

„Soweit ich weiß, arbeiten Sie in einem Reisebüro?“, riss Marcos Nicole aus ihren Gedanken.

„Richtig“, bestätigte sie. „Es ist international und hat auch eine Zweigstelle in Caracas.“

„Wollen Sie sie besuchen?“

„Wenn es möglich ist, ja. Ich hatte schon einige Male Kontakt mit einer Mitarbeiterin und würde sie gern mal persönlich kennenlernen.“ Sie machte eine Pause und suchte nach den richtigen Worten. „Señor Peraza, ich …“

„In Anbetracht der Umstände sollten wir nicht so förmlich sein“, meinte er ironisch. „Sie können Marcos zu mir sagen.“

Es fiel ihr schwer, ruhig zu bleiben. „Also dann … Ich bin Nicole.“

„Das weiß ich. Ich weiß außerdem, dass Sie vierundzwanzig sind und ledig, allerdings nicht aus Mangel an Gelegenheit. Ihre Stiefmutter war sehr auskunftsfreudig.“

„Sie wird bald Ihre Stiefmutter sein“, erinnerte sie ihn. „Wie wollen Sie sie dann nennen?“

Marcos richtete den Blick unverwandt auf die Straße, doch sie sah, dass er die Zähne zusammenbiss. „Noch hat mein Vater Zeit, zur Besinnung zu kommen – und zu erkennen, was sie wirklich ist!“

„Und was ist sie Ihrer Meinung nach?“

„Eine Frau, die sich einzig und allein für sich interessiert. Eine, die vor nichts zurückschreckt, um weiterzukommen.“

„Wie zum Beispiel, sich vor den Wagen eines Mannes zu werfen, den sie unmöglich kennen kann?“, ergänzte Nicole mit einem sarkastischen Unterton. „Soweit ich weiß, hatte sie ihre Gruppe verloren und wollte ein Taxi anhalten, das sie zum Schiff zurückbringen sollte, als Ihr Vater sie beinah überfahren hätte. Das war wohl vielmehr Schicksal.“

Er warf ihr einen finsteren Blick zu. „Selbst wenn die Begegnung Schicksal war, hat Ihre Stiefmutter die Situation ausgenutzt, nachdem sie den Namen Peraza gehört hatte.“

„Hier bedeutet der Name vielleicht viel“, konterte sie kühl, „aber ich glaube nicht, dass sie mehr damit anfangen konnte als ich, als ich zum ersten Mal davon gehört habe. Sie stand unter Schock, und Ihr Vater hat sie in ein Hotel eingeladen, damit sie sich bei einem Drink davon erholt. Dabei sind sie ins Gespräch gekommen, und …“ Sie machte eine Pause und lächelte schwach. „… der Rest ist, wie man sagt, Geschichte.“

„Das ist noch offen“, entgegnete Marcos angespannt. „Ich werde mich durch Ihre Anwesenheit nicht von meinem Ziel abbringen lassen.“

Überrascht sah sie ihn an. „Sollte es denn so sein?“

„Ich glaube, dass Ihre Stiefmutter genau das bezweckt. Allerdings finde ich die Vorstellung gar nicht so schlimm. Sie sind nicht gerade unansehnlich.“

„Sie arroganter …“ Nicole verstummte, als er erneut den Mund verzog, und wünschte, ihr würde eine passende Antwort einfallen. „Nachdem ich mit Ihrem Vater gesprochen habe, glaube ich nicht, dass Sie ihn von seinem Entschluss abbringen können“, fuhr sie beherrscht fort. „Er hat seine Gefühle deutlich zum Ausdruck gebracht, als er mit mir telefoniert hat. Wenn Sie auch nur ein bisschen Achtung vor ihm haben, lassen Sie ihn in Ruhe.“

Er verstärkte seinen Griff ums Lenkrad, sodass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. „Sie wagen es, mir vorzuwerfen, dass ich keine Achtung vor meinem Vater habe!“

„Ich werfe Ihnen gar nichts vor.“ Sie wollte sich von seinem Tonfall nicht einschüchtern lassen. „Sie sollen es ihm nur gönnen. Er hat eine Frau gefunden, die er liebt, und zwar zu einem Zeitpunkt, als er sich schon jenseits von Gut und Böse wähnte.“

„Wollen Sie damit behaupten, dass sie ihn auch aus Liebe heiratet?“

„Warum nicht?“

„Sie zögern, weil Sie genau wissen, dass es nicht der Fall ist“, erklärte er. „Denn Sie kennen ihren wahren Charakter ebenso wie ich. Sie ködert die Männer mit ihrem Aussehen.“

„Und so etwas würde Ihnen natürlich nie passieren. Sie wissen ja so gut Bescheid!“

„Sie schulden mir noch eine Antwort“, lenkte Marcos vom Thema ab. „Glauben Sie, dass Leonora sich nur von ihren Gefühlen leiten lässt?“

„Ich glaube nicht, dass sie einen Mann heiraten würde, für den sie überhaupt nichts empfindet, egal, wie reich er ist“, konterte sie. „Und ich glaube auch nicht, dass Ihr Vater so naiv ist, auf eine Frau hereinzufallen, die es nur auf sein Geld abgesehen hat. Sicher, mir ist klar, dass er wesentlich älter sein muss als sie, aber …“

„Der Altersunterschied beträgt weniger als zwanzig Jahre.“

Nicole schwieg einen Moment, denn sie war überrascht. „Er muss sehr jung gewesen sein, als er Ihre Mutter geheiratet hat. Wann haben Sie sie verloren?“

Marcos warf ihr einen wütenden Blick zu. „Wir sind nicht hier, um über meine Mutter zu sprechen!“

„Wir sind gleich gar nicht mehr hier, wenn Sie nicht nach vorn schauen“, sagte sie scharf, als jemand laut hupte. „Beinah wären Sie mit dem Lastwagen zusammengestoßen! Ich wollte Sie nicht aufregen“, fuhr sie fort. „Es scheint nur das Einzige zu sein, was wir gemeinsam haben.“

Es dauerte eine Weile, bis Marcos antwortete. Diesmal waren sowohl seine Miene als auch seine Stimme ausdruckslos. „Sie ist vor zehn Jahren an Malaria gestorben.“

„Dann war Eduardo sehr lange allein.“

„Er hätte nicht allein sein müssen. Es gibt viele Frauen, die ihn gern getröstet hätten.“

„Offenbar war keine dabei, mit der er eine Beziehung eingehen wollte. Ich behaupte ja nicht, dass Leonora den Platz Ihrer Mutter einnehmen könnte – genauso wenig wie sie den meiner Mutter eingenommen hatte –, aber durch sie hat Ihr Vater vielleicht wieder Spaß am Leben.“

„Und zu welchem Preis?“

„Das bereitet Ihnen also Kopfzerbrechen, stimmt’s?“, fragte Nicole vorwurfsvoll. „Sie haben Angst davor, dass sie Sie um Ihr Erbe bringen könnte.“

„Das reicht!“ Er presste die Lippen zusammen. „Sie gehen zu weit.“

Er hat recht, dachte sie. Damit tat sie Leonora keinen Gefallen. Eigentlich hätte sie sich bei ihm entschuldigen müssen, doch sie brachte es nicht über sich. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, würde er die Entschuldigung vermutlich ohnehin nicht annehmen.

Marcos bog von der Hauptstraße in eine schmalere Straße, die durch die Ausläufer der Berge führte. Kurz darauf kamen sie in ein weites, teilweise kultiviertes Tal, in dem ein malerisches kleines Dorf mit einer sehr schönen Kirche lag. Die Sonne stand schon niedrig am Himmel, als sie schließlich die casa erreichten, sodass die weißen Wände des Gebäudes rosafarben schimmerten.

Sobald Marcos den Wagen gestoppt hatte, löste Nicole den Gurt und stieg aus. Sie lächelte, als ihre Stiefmutter auf der breiten Veranda auf der Vorderseite des Hauses erschien.

Elegant wie immer, in einem violetten Seidenkostüm, kam Leonora mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. „Wie schön, dich wiederzusehen, Schatz!“, rief sie in ihrer übertriebenen Art. „Du siehst hinreißend aus!“

„Es ist schon ein Unterschied, ob man erster oder zweiter Klasse fliegt.“ Nicole umarmte sie ebenfalls. „Du hättest nicht so viel Geld für mein Flugticket ausgeben sollen.“

„Eduardo hat darauf bestanden, Schatz.“

Nicole blickte zu dem Mann, der Leonora aus dem Haus gefolgt war. Er sah seinem Sohn sehr ähnlich, obwohl er nicht ganz so athletisch gebaut und sein dichtes Haar an den Schläfen bereits ergraut war. Und seinem herzlichen Lächeln nach zu urteilen, schien er auch wesentlich liebenswürdiger zu sein.

„Danke“, erwiderte sie ein wenig verlegen, denn sie war sich sowohl Marcos’ Nähe als auch der Tatsache bewusst, dass sie die Kosten nicht zurückerstatten konnte. „Das ist wirklich großzügig von Ihnen.“ Sie streckte Eduardo die Hand entgegen. „Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Señor Peraza.“

„Sie müssen mich Eduardo nennen.“ Ohne auf ihre ausgestreckte Hand zu achten, zog er sie an sich, um sie auf beide Wangen zu küssen. Seine Augen funkelten amüsiert. „Engländerinnen sind bei der Begrüßung so reserviert!“

„Engländer auch“, meinte Leonora lachend. „Du wirst sehen, dass hier vieles anders ist, Nicole. Viel besser!“ Sie hakte sich bei ihr unter und führte sie zum Haus. „Komm rein. Marcos lässt dein Gepäck nach oben bringen. Wir essen erst um neun, aber wenn du Hunger hast, kannst du natürlich auch jetzt etwas bekommen. Wir haben uns so viel zu erzählen, stimmt’s, Schatz?“ Sie warf Eduardo, der neben ihnen herging, einen liebevollen Blick zu. „Ich muss es selbst erst mal verarbeiten.“

„Ich auch.“ Er lächelte nachsichtig. „Bitte betrachten Sie Las Veridas als Ihr zweites Zuhause, Nicole. Vielleicht wird es bald auch Ihr richtiges Zuhause. Leonora hat mir erzählt, dass Sie nichts an Ihr Heimatland bindet.“

Nicole wollte widersprechen, doch Leonora drückte ihren Arm und gab ihr damit zu verstehen, dass sie den Mund halten sollte. Was sie damit beabsichtigte, konnte Nicole sich beim besten Willen nicht vorstellen.

„Ihre Gastfreundschaft ist einmalig“, sagte sie. „Vor allem wenn man bedenkt, dass ich nicht Leonoras richtige Tochter bin.“

„Sie ist vielmehr wie eine Schwester für mich“, bestätigte Leonora fröhlich. „Und ohne sie wäre ich in den letzten Jahren verloren gewesen.“

Nicole beschloss, sich später den Kopf darüber zu zerbrechen, warum Leonora in diesem Punkt nicht die Wahrheit sagte. Sie wusste schließlich genau, dass sie mit Scott verlobt war.

2. KAPITEL

Das Haus war im alten spanischen Stil erbaut und hatte viele Torbögen, Nischen und große, dunkle Speisesäle, in denen der Anblick der Möbel den Betrachter zuerst überwältigte. Im Salon führten schwere Glastüren auf eine überdeckte Terrasse, von der aus man wiederum durch Torbögen in einen Innenhof mit einem Springbrunnen gelangte.

Wenn man bedenkt, dass Leonora es lieber hell und modern mag, ist sie hier wohl nicht hundertprozentig glücklich, dachte Nicole.

„Ich warte lieber bis zum Abendessen“, erwiderte sie, als Leonora ihr wieder anbot, dass sie vorher etwas haben könnte. „Erst einmal würde ich gern duschen, wenn es geht.“

„Natürlich, Schatz. Eine der Hausangestellten kann dir dein Zimmer zeigen.“

„Warum zeigst du es mir nicht?“, schlug Nicole vor. „Du hast doch gesagt, dass wir uns so viel zu erzählen haben. Also warum nicht gleich?“

Leonora blickte sie aus ihren blauen Augen mit unbewegter Miene an. „Ja, du hast recht. Eduardo, macht es dir etwas aus, wenn ich dich für eine Weile allein lasse?“

„Eine Minute ohne dich ist wie eine Ewigkeit!“, verkündete Eduardo, und sie musste lachen.

„Du bist wirklich ein Witzbold!“

„Ich sage nur die Wahrheit“, meinte er gespielt entrüstet.

Noch immer lächelnd ging Leonora voran in die Eingangshalle. Sie wirkte sehr selbstbewusst, ganz die neue Hausherrin.

„Deine Sachen hat man inzwischen nach oben gebracht und ausgepackt“, erklärte sie, während sie die Treppe hinaufgingen. „Solange du hier bist, brauchst du keinen Finger krumm zu machen. Vielleicht findest du die schweren, dunklen Möbel ein bisschen deprimierend. Aber ich verspreche dir, dass sich hier eine Menge ändern wird!“

„Glaubst du, Eduardo wird es dir erlauben?“, fragte Nicole.

„Eduardo wird mir alles erlauben“, antwortete Leonora ein wenig selbstgefällig. „Er ist bis über beide Ohren in mich verliebt. Das hast du bestimmt selbst gemerkt.“

Nicole betrachtete das schöne Gesicht ihrer Stiefmutter. „Und was empfindest du?“

„Ich bin glücklich. Er ist ein attraktiver Mann.“

„Ist das alles?“

Leonora zuckte die Schultern. „Es ist mehr, als ich mir erhofft hatte. Viel mehr sogar. In meinem Alter ist Liebe ein Luxus. Ich bin sehr zufrieden mit dem, was ich habe.“

„Vorausgesetzt, Eduardo glaubt weiterhin, dass er dir etwas bedeutet.“

„Das tut er auch. Es ist nur anders als mit deinem Vater.“

Die Kehle war ihr wie zugeschnürt, und Nicole schluckte. „Geld ist kein Ersatz.“

„Es hat seine Vorteile.“

Inzwischen standen sie oben auf der Galerie, und Leonora deutete auf einen der Flure. „Hier entlang.“

Es hat keinen Sinn, weiter darüber zu sprechen, dachte Nicole resigniert. Leonora ließ sich offenbar nicht beirren. Jedenfalls war Eduardo alt genug, um seine Interessen zu wahren. Vielleicht war ihm sogar bewusst, dass seine Gefühle tiefer waren als die seiner zukünftigen Braut, und er akzeptierte es.

Das Zimmer war sehr geräumig und die Ausstattung freundlicher als in den Räumen im Erdgeschoss. Ein dicker goldfarbener Teppich ließ es umso heller wirken.

„Du hast ein eigenes Bad.“ Leonora öffnete eine Tür an der Seite.

Nicole sah sich um. „Mein Gepäck ist anscheinend noch nicht da.“

Leonora ging zu dem großen Kleiderschrank und öffnete eine Tür. Ihre Sachen hingen bereits darin. „Da sind sie ja. Die Unterwäsche und so findest du wahrscheinlich in der Kommode da hinten. Man hat deine Taschen sicher weggeräumt. Die Angestellten hier sind sehr tüchtig.“

Und außergewöhnlich schnell, fügte Nicole im Stillen hinzu. Sie war allenfalls eine Viertelstunde hier!

„Ich hatte bisher noch keine Zeit, deine Sachen zu sichten“, meinte sie, während sie saubere Unterwäsche aus der Kommode nahm. „Zum Glück hattest du die Wohnung möbliert gemietet.“

Leonora hatte sich inzwischen aufs Bett gesetzt und die Beine übereinandergeschlagen. „Du kannst damit machen, was du willst.“

„Ein neues Leben, ein neuer Anfang?“, fragte Nicole mit einem ironischen Unterton.

„Genau. Eduardo ist unglaublich großzügig.“

Nicole behielt ihre Meinung für sich. „Wann lerne ich Patricio kennen?“, erkundigte sie sich wie nebenbei. „Er ist acht Jahre jünger als Marcos, stimmt’s?“

„Richtig. Hier in Venezuela ist ein so großer Altersunterschied zwischen Geschwistern ungewöhnlich, aber ihre Mutter hatte offenbar Probleme, schwanger zu werden.“

„Hat Eduardo dir das erzählt?“

„Vielmehr angedeutet. Ich glaube, es war eine arrangierte Ehe. So etwas gibt es hier sogar heute noch.“

„Aber offenbar nicht bei den Perazas.“

Leonora lachte. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Marcos sich zu einer Ehe zwingen lassen würde. Er ist eine starke Persönlichkeit.“

„Das kann man wohl sagen.“ Nicole betrachtete sie eindringlich. „Anscheinend denkt er, du hättest mich eingeladen, damit ich ihn ablenke.“

„Eher damit du mir hilfst“, verbesserte Leonora sie ungerührt und hob die Hände, was vermutlich Hilflosigkeit ausdrücken sollte. „Ich habe mir wirklich Mühe gegeben, damit er mich mag. Er könnte sich wenigstens für seinen Vater freuen!“

„Nicht wenn er davon überzeugt ist, dass du seinen Vater nur seines Geldes wegen heiratest.“ Nach einer Pause fügte Nicole hinzu: „Mir ist nicht klar, wie ich ihn von seiner Meinung abbringen könnte.“

„Du kannst mit ihm reden“, schmeichelte Leonora. „Sag ihm, wie glücklich ich seinen Vater mache. Das habe ich auch.“

„Ja, ich weiß. Ich habe es bereits versucht, aber es hat nichts gebracht. Wahrscheinlich, weil er uns beide über einen Kamm schert. Und dass du Eduardo erlaubt hast, mir ein Erste-Klasse-Ticket zu kaufen, war auch nicht besonders geschickt. Ich kann nicht einmal anbieten, ihm das Geld zurückzuzahlen.“

„Eduardo wäre gekränkt, wenn du es nur versuchen würdest“, versicherte Leonora. „Die Perazas gehören zu den reichsten Familien im Land. Allein ihre Beteiligungen müssen Millionen wert sein.“

„Diesmal bist du wirklich auf die Füße gefallen“, bemerkte Nicole.

Ihre Stiefmutter lachte. „Stimmt!“ Sie legte eine Kunstpause ein. „Und du könntest es auch, wenn du geschickt vorgehst. Du hast alles, was eine Frau braucht, um einem Mann den Kopf zu verdrehen.“

„Und auf wen sollte ich mich deiner Ansicht nach konzentrieren?“

„Auf den, der am empfänglichsten ist. Patricio sieht seinem Bruder vielleicht sehr ähnlich, hat allerdings einen ganz anderen Charakter.“

Nicole gab auf. Leonora war ein hoffnungsloser Fall. „Ich bin nicht daran interessiert, in die Familie Peraza einzuheiraten. Du hast anscheinend vergessen, dass ich mit Scott verlobt bin.“

„Scott!“, wiederholte Leonora verächtlich. „Aus dem wird doch nie etwas.“

„Aus ihm ist schon etwas geworden.“

„Stellvertretender Filialleiter eines Kaufhauses! Du liebst ihn ja nicht einmal.“

Nicole schluckte ihren Protest hinunter und fragte stattdessen sanft: „Und warum sollte ich ihn dann heiraten?“

„Weil er dich dazu überredet hat“, erklärte Leonora ungerührt. „Du weißt es, ich weiß es, und er weiß es vermutlich auch. Mit deinem Aussehen musst du dich nicht mit zweiter Wahl begnügen.“

„Und die erste Wahl wäre natürlich der Mann mit dem meisten Geld!“

„Es geht nicht nur ums Geld, Schatz. Wie ich sehe, ist Scott noch nicht dazu gekommen, dir einen Ring zu kaufen“, fügte Leonora hinzu.

„Wir haben uns darauf geeinigt, dass es nicht nötig ist“, erwiderte Nicole ruhig.

„Du meinst, er hat es beschlossen. Aber das überrascht mich nicht. Dieser Geizhals!“

Nicole kam zu dem Ergebnis, dass es Zeitverschwendung war, böse auf Leonora zu sein. Leonora mochte zwar ihre Fehler haben, doch sie war nicht falsch. Aus ihrer Meinung über Scott hatte sie noch nie einen Hehl gemacht.

Scott war gegen diese Reise gewesen. Und selbst jetzt gestand Nicole sich nur widerstrebend ein, dass sie das dringende Bedürfnis verspürt hatte wegzufahren, weil sie Zeit und Abstand brauchte, um sich über gewisse Dinge klar zu werden. Leonora hatte recht, wenn sie ihre Gefühle für Scott anzweifelte, denn sie war sich ihrer selbst nicht so sicher.

„Geh erst mal duschen“, erklärte Leonora. „Und wenn du gern ein Nickerchen machen möchtest, hast du genug Zeit.“

„Ja, vielleicht tue ich das“, meinte Nicole, obwohl sie eigentlich nicht die Absicht hatte. „Wir essen also um neun?“

„Ja. Bei offiziellen Angelegenheiten ist das Abendessen allerdings immer erst um zehn oder noch später. Aber komm vorher in den Salon, damit wir einen Drink nehmen können.“

Als Leonora die Tür hinter sich schloss, war Nicole erleichtert, denn sie musste unbedingt nachdenken. Scott hin oder her, sie fand die Vorstellung, sich einen der beiden Söhne zu angeln, einfach lächerlich. Und selbst wenn sie es vorgehabt hätte, dann hätte sie spätestens beim Gedanken, Marcos Peraza als Ehemann oder Schwager zu bekommen, ihre Meinung geändert.

Das Bad war mit der eingelassenen Wanne und den goldenen Armaturen sehr luxuriös ausgestattet. Als sie wieder herauskam, war es immer noch etwas zu früh, um sich zum Essen umzuziehen. Sie zog ihren Satinmorgenmantel über und trat auf den überdachten Balkon, der zum Innenhof hinaus lag.

Die Nachtluft war angenehm kühl. Der Hof war durch mehrere Lichtquellen erleuchtet. Von unten waren Stimmen zu hören. Ihr Spanisch war gut genug, dass Nicole alles verstehen konnte, und sie erkannte Marcos’ Stimme.

„Ich traue keiner von ihnen“, erklärte Marcos.

„Du traust sowieso kaum jemandem“, erwiderte der andere Mann, der eine etwas hellere Stimme hatte. „Willst du Vater etwa zumuten, dass er bis zu seinem Lebensende allein bleibt?“

„Es ist besser, als wenn er betrogen wird. Er sieht nur das hübsche Gesicht und den verführerischen Körper.“

„Und du interessierst dich natürlich nicht für solche Dinge!“

„Ein Mann kann sein Verlangen stillen, ohne den Verstand zu verlieren“, meinte Marcos ungerührt. „Ich gebe zu, dass die Kleine mein Blut in Wallung versetzt, aber wenn ich mit ihr schlafen würde, wäre es ohne Verpflichtungen.“

Nicole kochte vor Wut und musste an sich halten, um sich nicht über das geschnitzte Geländer zu beugen und ihm ihre Meinung zu sagen. Allerdings würde Gleichgültigkeit bei ihm wahrscheinlich eher wirken, denn das war er nicht gewohnt.

Nicole entschied sich für ein Georgettekleid in dezentem Grün, das die Farbe ihrer Augen und den Rotton ihres Haars besonders zur Geltung brachte, und Riemchensandaletten mit hohen Absätzen, denn sie war nur einen Meter achtundsechzig groß. Der wird sich wundern, dachte sie, während sie sich in dem Standspiegel betrachtete. Sie konnte genauso arrogant sein!

Um halb acht ging sie nach unten und blieb einen Moment in der Eingangshalle stehen, um sich zu sammeln, bevor sie den Salon betrat. Von den vier Personen, die sich bereits in dem Raum befanden, begrüßten sie nur drei. Marcos stand gerade vor einem großen Schrank und war dabei, Drinks einzuschenken. Er trug ein weißes Hemd und eine enge dunkle Hose, die seine muskulösen Beine betonte.

Der junge Mann, bei dem es sich zweifellos um seinen Bruder Patricio handelte, hatte dieselben markanten Züge wie er. Er kam sofort auf sie zu, umfasste ihre Schultern und küsste sie auf die Wangen.

„Bienvenido!“, sagte er und fuhr auf Englisch fort: „Du bist noch schöner, als ich erwartet hatte.“

„Schönheit liegt im Auge des Betrachters“, wehrte Nicole lachend ab. „Freut mich, dich kennenzulernen, Patricio.“

„Was möchten Sie trinken?“ Marcos stellte die Gläser auf den Tisch vor dem Sofa, auf dem sein Vater und Leonora saßen.

„Oh, einen Gin Tonic bitte“, antwortete Nicole, ohne ihn anzusehen.

„Mit Eis und Zitrone?“

„Gern.“

Patricio hakte sich bei ihr unter und führte sie zu einem der Sofas, die auf der anderen Seite des großen Kamins standen. Dort nahm er neben ihr Platz. Marcos bedachte sie mit einem spöttischen Blick, als er kam, und sie nahm das Glas mit einem flüchtigen „Danke“ von ihm entgegen, da sie ihre Aufmerksamkeit auf Patricio gerichtet hatte.

„Ich trinke auf das Schicksal, das uns zusammengebracht hat!“, verkündete Eduardo, nachdem sein ältester Sohn sich ebenfalls gesetzt hatte.

„Ich auch.“ Leonora drückte seine Hand. „Ich bin die glücklichste Frau auf der Welt.“

Er hob ihre Hand an die Lippen. „Ich bin derjenige, der überglücklich ist.“

Verstohlen blickte Nicole zu Marcos und war nicht überrascht, als er leicht den Mund verzog. Offenbar war ihm klar, dass er die Heirat nicht verhindern konnte.

„Da die Hochzeit nächste Woche stattfindet, sind die Vorbereitungen bestimmt schon ziemlich weit gediehen“, erklärte sie demonstrativ. „Heiratet ihr auch kirchlich?“

„Natürlich“, erwiderte Eduardo, anscheinend verwundert über die Frage.

Soweit sie wusste, war Leonora nie eine Kirchgängerin gewesen, was sie allerdings auch nicht unbedingt zur Atheistin machte.

„Natürlich“, wiederholte Nicole. „In Caracas?“

Er schüttelte den Kopf. „Man wird es uns nie verzeihen, wenn wir nicht in Los Barrancos heiraten. Das ganze Dorf feiert mit.“

„Wenigstens brauchen wir uns keine Sorgen darüber zu machen, dass das Wetter nicht mitspielen könnte“, meinte Leonora. „Venezuela ist ein wunderschönes Land, Schatz. Du musst dir so viel wie möglich ansehen. Vielleicht fliegt Marcos ja mit dir ins Hochland zu den Angel Falls. Er hat nämlich ein eigenes Flugzeug.“

„Marcos hat sicher Besseres zu tun“, wehrte Nicole ab.

„Nicht unbedingt“, widersprach Marcos lässig. „Die Angel Falls sieht man sich am besten vom Flugzeug aus an.“

„Das ist sehr nett von Ihnen“, sagte sie leise, obwohl sie nicht vorhatte, das Angebot anzunehmen.

Er neigte den Kopf. Seine Miene war undurchdringlich. „Es ist das Wenigste, was ich tun kann.“

„Ich habe zwar keinen Pilotenschein, aber ich kann dich überall hinfahren“, verkündete Patricio. „Nach Caracas braucht man nicht einmal eine Stunde.“

„Deine Fahrkünste werden ihren Ansprüchen wohl nicht genügen“, bemerkte Marcos trocken, bevor sie antworten konnte. „Meine Fahrweise hat sie jedenfalls schon nach wenigen Minuten kritisiert.“

„Ich habe Ihnen nur vorgeworfen, dass Sie sich nicht auf die Straße konzentrieren“, entgegnete sie ausdruckslos. „Es war sowieso meine Schuld, weil ich Sie abgelenkt habe.“

Er betrachtete sie einen Moment lang. „Da Sie in Caracas etwas zu erledigen haben, wäre es besser, wenn Sie einen eigenen Wagen haben. Sie können sich einen aussuchen.“

„Ich fürchte, ich habe meinen Führerschein vergessen“, log sie spontan, weil sie sich über seine autoritäre Art ärgerte. Als sie Patricio anlächelte, leuchteten dessen dunkle Augen. „Bei dir bin ich sicher in guten Händen.“

„Das bist du“, versprach er.

„Was hast du in Caracas zu erledigen?“, erkundigte sich Leonora.

„Ich hatte überlegt, unsere Zweigstelle dort zu besuchen.“ Inzwischen bedauerte Nicole, Marcos’ Angebot abgelehnt zu haben. Es war idiotisch gewesen. Sie spürte, wie er sie beobachtete und wie sie unter seinem Blick errötete. Leider war sie noch nie eine gute Lügnerin gewesen.

„Wir können morgen nach Caracas fahren“, schlug Patricio vor.

„Nicole hat die estancia noch gar nicht gesehen“, wandte sein Vater ein.

„Ich bin schon ganz gespannt darauf“, erklärte sie. „Halten Sie auch Vieh?“

„Wir haben Pferde“, antwortete er. „Reiten Sie?“

„Nicht besonders gut.“

„Dann brauchen Sie unbedingt Praxis. Leonora hat einen hervorragenden Sattel.“

„Ich habe keine Reitsachen dabei.“

„Du kannst meine nehmen, wir haben beide dieselbe Kleider- und Schuhgröße“, bot Leonora an. „Patricio wird dich bestimmt gern begleiten.“

„Natürlich!“, bejahte dieser.

Marcos sagte nichts, doch seine Miene und sein Blick sprachen Bände. Auf keinen Fall würde er tatenlos zusehen, wie sein Bruder denselben Fehler machte wie sein Vater. Es war eine Warnung.

Das Essen, das im kleineren der beiden Speisesäle serviert wurde, erwies sich als erstaunlich einfach. Nicole hatte mit einem mehrgängigen Menü gerechnet und war froh darüber, denn sie war es ohnehin nicht gewohnt, so spät zu essen. Patricio saß neben ihr, Marcos ihr gegenüber. Immer wenn sie aufsah, begegnete sie seinem unergründlichen Blick. „Wenn ich mit ihr schlafen würde …“, hatte er gesagt, als würde er ganz selbstverständlich annehmen, dass sie ihm nicht widerstehen würde. Soll er es nur versuchen, sagte sie sich.

Es war nach elf, als sie vom Tisch aufstanden, und dann auch nur, um im Salon Kaffee oder Brandy zu trinken. Nicole setzte sich so weit wie möglich von Marcos weg, doch Patricio blieb in ihrer Nähe. Sie war nicht lange genug auf dem Balkon geblieben, um seine Antwort auf die letzte zynische Bemerkung seines Bruders zu hören, nahm allerdings an, dass er eher unparteiisch war. Er schien ein unbeschwerter Mensch zu sein, der einem Flirt nicht abgeneigt war, aber von ihm hatte sie anscheinend nichts zu befürchten.

Sosehr sie es versuchte, sich auf Patricio zu konzentrieren, es fiel ihr schwer, Marcos’ Anwesenheit zu ignorieren. Aus den Augenwinkeln nahm sie ihn fortwährend wahr und spürte seinen Blick. Obwohl sie ihn nicht mochte, konnte sie nicht leugnen, dass sie sich körperlich zu ihm hingezogen fühlte. Sie hoffte nur, man merkte es ihr nicht an.

Da sich ihr Jetlag bemerkbar machte, war sie froh, als die anderen gegen Mitternacht ins Bett gingen. Patricio fiel es sichtlich schwer, sich von ihr zu verabschieden, und er versprach, ihr am nächsten Morgen das Anwesen zu zeigen.

Marcos ließ sich nicht anmerken, was in ihm vorging, als er ihr Gute Nacht sagte. Wenn sie das Gespräch zwischen ihm und seinem Bruder nicht belauscht hätte, wären seine Absichten ihr verborgen geblieben. Plötzlich verspürte sie den Drang, ihn ein bisschen zu ärgern, doch ihr Verstand gewann schließlich die Oberhand. Sie war weder erfahren noch nervenstark genug, um solche Spielchen zu spielen, nicht mit jemandem wie Marcos Peraza.

Als es, wenige Minuten nachdem sie ihr Zimmer betreten hatte, an der Tür klopfte, begann ihr Herz zu rasen. Daher seufzte Nicole erleichtert auf, als Leonora hereinkam.

„Wen hattest du denn erwartet?“, erkundigte sie sich scharfsinnig, als sie ihren Gesichtsausdruck sah. „Oder besser gesagt, wen hattest du erhofft?“

„Sei nicht albern!“, erwiderte Nicole scharf, woraufhin Leonora erstaunt die Augenbrauen hochzog.

„Es ist doch nichts dabei, wenn man einen Mann begehrt, Schatz – oder ein Mann dich. Es war offensichtlich, dass es von Anfang an zwischen Patricio und dir geknistert hat. Die Zeiten, in denen Frauen ihre Gefühle unterdrücken mussten, sind längst vorbei. Zwei Stunden nachdem ich Eduardo kennengelernt hatte, habe ich in seinen Armen gelegen.“

„Wärst du auch bei einem nicht so reichen Mann so weit gegangen?“, fragte Nicole, mehr um das Thema zu wechseln.

Leonora zuckte die Schultern. „Vielleicht nicht. Geld ist ein starkes Aphrodisiakum.“

„Hast du nicht das Gefühl, dass du ihn in irgendeiner Weise hintergehst?“

„Kein bisschen. Ich verkörpere alles, was er begehrt.“

„Aber du liebst ihn nicht.“

Diesmal seufzte Leonora. „Darüber haben wir bereits gesprochen. Was ich für Eduardo empfinde, hat nichts mit den Gefühlen für deinen Vater damals zu tun. Aber wenn Liebe für dich so wichtig ist“, fuhr sie energisch fort, „ist Patricio ein viel besserer Kandidat, als Scott es je sein könnte!“

„Wobei sein Geld natürlich entscheidend ist.“

„Nicht unbedingt. Er sieht auch wesentlich besser aus als Scott, das musst du zugeben. Du glaubst gar nicht, wie froh ich darüber bin, dass du deine Meinung geändert hast. Patricio liegt dir jetzt schon zu Füßen.“

Am liebsten hätte Nicole sie in ihre Schranken gewiesen, doch sie schaffte es zu lachen. „Meinst du nicht, dass du zu viel in das Ganze hineininterpretierst? Er ist ein Typ, der jeder Frau Avancen machen würde.“

„Und trotz seiner fünfundzwanzig Jahre ist er noch nicht verheiratet, was bedeutet, dass er noch nicht die Richtige gefunden hat. Und die könntest du sein, wenn du nur wolltest. Eduardo hätte sicher nichts dagegen. Er betrachtet dich bereits als Familienmitglied.“

„Er kennt mich ja nicht einmal“, protestierte Nicole. „Und überhaupt, ich habe nicht das geringste Interesse daran, mir Patricio zu angeln.“

Leonora wirkte nicht überzeugt. „Als Nächstes willst du mir wohl weismachen, dass du ihn nicht attraktiv findest.“

„Natürlich finde ich ihn attraktiv. Ich finde viele Männer attraktiv. Das bedeutet allerdings noch lange nicht, dass ich sie auch heiraten will.“

„Und was ist an Scott so besonders?“

„Etwas, das du offenbar nicht verstehst.“ Nicole versuchte, ruhig zu bleiben. „Zum Beispiel ist er sehr integer.“

„Mit anderen Worten, langweilig“, meinte ihre Stiefmutter verächtlich und betrachtete sie verzweifelt. „Kannst du dir wirklich vorstellen, deine besten Jahre in einem Reihenhaus mit zwei oder drei kreischenden Kindern am Rockzipfel zu fristen?“

Nicole musste lächeln, wurde jedoch gleich wieder ernst, als ihr einfiel, dass Scott vor Kurzem absolutes Desinteresse an Kindern bekundet hatte. Bei einem eigenen Kind wäre es sicher anders, hatte sie sich einzureden versucht, aber trotzdem waren ihre Zweifel stärker geworden. Für sie war eine Ehe ohne Kinder nicht vollständig.

„Na, fängst du allmählich an, die Dinge so zu sehen wie ich?“, hakte Leonora nach.

„Überhaupt nicht.“ Nicole verdrängte die Traurigkeit, die sie plötzlich überkommen hatte. „Ich habe nur daran gedacht, dass ich Scott morgen anrufen muss.“ Sie wartete einen Moment und zog die Augenbrauen hoch, als Leonora keine Anstalten machte, das Zimmer zu verlassen. „Wolltest du mir noch etwas sagen?“

Leonora seufzte wieder und schüttelte den Kopf. „Ich muss sowieso gehen, sonst glaubt Eduardo noch, ich hätte ihn verlassen.“ An der Tür blieb sie noch einmal stehen. „An deiner Stelle würde ich die Chance nutzen, denn du bekommst sie nie wieder. Schlaf gut, Schatz.“

„Das werde ich“, schwindelte Nicole. Niemand würde gut schlafen können, wenn ihn so viel beschäftigte, noch dazu in einem fremden Bett.

3. KAPITEL

Wider Erwarten lag Nicole nicht mehr lange wach und erwachte am nächsten Morgen um sieben ausgeruht aus einem tiefen, traumlosen Schlaf. Allerdings war sie noch immer ziemlich aufgewühlt.

Wie angenehm das Klima hier ist, dachte sie, als sie aufstand und die Fensterläden öffnete. Helles Sonnenlicht fiel herein, und es war herrlich warm. Es wäre sicher nicht schwer, jeden Tag so zu begrüßen.

Schnell verdrängte sie diesen Gedanken. Sie ging zum Schrank, nahm ein gelbes Shirt und eine Baumwollhose heraus und ging anschließend duschen. Obwohl es am Vorabend spät geworden war, hätte sie Scott anrufen sollen, damit er wusste, dass sie gut angekommen war. In England war es bereits nach elf, und da er bei der Arbeit keine Privatgespräche führen durfte, musste sie noch einige Stunden warten. Hoffentlich war er sich über den Zeitunterschied klar und machte sich keine Sorgen.

Nachdem sie geduscht und sich angezogen und ihr Haar mit einer Perlmuttspange zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst hatte, ging Nicole nach unten. Im Speisesaal war niemand, und auf dem Esstisch standen lediglich der Silberkandelaber und das wunderschöne Blumenarrangement.

Dann fiel ihr ein, dass man in Ländern wie Venezuela nicht ausgiebig frühstückte. Sie trat in den Salon und überlegte. Auf der Terrasse unter dem Balkon standen Tische und Stühle. Vielleicht wurde das Frühstück draußen serviert.

Die Vermutung erwies sich als richtig. Nicole war jedoch irritiert, als sie auf die Terrasse kam und Marcos allein antraf. Er las gerade in einer dicken Akte, und neben ihm stand eine Tasse Kaffee. Offenbar hatten er und sein Bruder am Vorabend hier gesessen, als sie ihr Gespräch belauscht hatte.

„Buenos días“, grüßte er mit unbewegter Miene. „Haben Sie gut geschlafen?“

„Hervorragend“, bestätigte sie und versuchte, das Prickeln zu ignorieren, das sein unergründlicher Blick in ihr hervorrief. Dann sah sie zu dem Servierwagen. „Kann man sich selbst bedienen?“

„Ist es Ihnen lieber, wenn ich jemanden herbestelle, der Sie bedient?“, fragte er mit einem Unterton, der sie veranlasste, ihn anzufunkeln.

„Ich bin es gewohnt, mich selbst um alles zu kümmern“, entgegnete sie angespannt. „Ich wollte nur keinen Fauxpas begehen.“

„Wir Venezolaner leben nicht nach bestimmten Regeln“, erwiderte er bedächtig. „Bedienen Sie sich ruhig.“

Nicole schluckte die Bemerkung hinunter, die ihr auf der Zunge lag. Sie setzte sich, nahm sich eine Tasse mit Untertasse und schenkte sich Kaffee ein. Nachdem sie einen Schluck getrunken hatte, sah sie Marcos an. „Ist Patricio noch nicht unten?“

„Patricio ist vor einer Stunde geschäftlich nach Ciudad Guayana gefahren“, informierte er sie.

„Ach so.“ Nicole machte eine Pause und wog ihre Worte ab. „Ich dachte, die Perazas würden nur noch delegieren.“

„Manchmal lässt es sich nicht vermeiden, dass man selbst eingreift. Patricio ist ein hervorragender Vermittler.“

„Besser als Sie?“

Falls er den ironischen Unterton bemerkt hatte, ließ er es sich nicht anmerken. „Wir rivalisieren nicht miteinander. Und Sie brauchen keine Angst zu haben, dass Sie nun sich selbst überlassen sind. Ich stehe Ihnen zur Verfügung.“

„Es würde mir nicht im Traum einfallen, Ihre Zeit in Anspruch zu nehmen“, entgegnete sie schnell.

„Ich kann frei über meine Zeit verfügen. Wir reiten zusammen – vielleicht sogar bis zum Dorf, wenn Sie eine bessere Reiterin sind, als Sie behaupten.“

„Warum sollte ich mein Licht unter den Scheffel stellen?“, hakte Nicole nach.

Marcos zuckte die breiten Schultern. „Die Engländer sind bekannt für ihre Bescheidenheit.“

„Während die Venezolaner ihren Wert zweifellos genau kennen.“

„Zweifellos“, bestätigte er ruhig. „Männer und Frauen.“

„So früh hatte ich gar nicht mit dir gerechnet, Schatz!“, rief Leonora, die gerade mit Eduardo aus dem Haus kam. „Als ich das erste Mal hier war, habe ich Tage gebraucht, um mich an die Zeitverschiebung zu gewöhnen.“

„Mir geht es gut“, versicherte Nicole und lächelte Eduardo zu. „Buenos días, Eduardo. Soll ich Ihnen Kaffee einschenken?“

„Gern.“ Offensichtlich freute er sich darüber, dass sie sich ganz wie zu Hause fühlte. „Wenn Sie lieber etwas Warmes essen möchten, brauchen Sie es nur zu sagen.“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, danke. Zu Hause esse ich im Grunde dasselbe.“

„Dann dürfte unsere Lebensweise Ihnen nicht so fremd sein.“ Nachdem er Leonora einen Stuhl zurechtgerückt hatte, nahm er ebenfalls Platz. Er warf Nicole einen freundlichen Blick zu, als sie ihm eine Tasse reichte. „Sind Sie glücklich heute Morgen?“

„Sehr“, erwiderte sie und wunderte sich über seine Frage.

„Patricio auch, schätze ich“, sagte er mit einem Lächeln, das sie alarmierte.

Sie sah ihre Stiefmutter an, doch deren Miene war ausdruckslos. Eigentlich hätte ich mir denken können, dass Leonora nicht so schnell aufgibt, überlegte sie benommen. Allerdings hätte sie nie damit gerechnet, dass Eduardo in ihre Kerbe hackte – zumal sie erst wenige Stunden hier war!

Was Marcos von alldem hielt, war nicht schwer zu erraten. Daher mied Nicole seinen Blick. Zum Glück schien Eduardo keine Antwort von ihr zu erwarten, denn er trank gut gelaunt seinen Kaffee.

„Wo ist Patricio eigentlich?“, erkundigte sich Leonora.

„Auf dem Weg nach Ciudad Guayana“, erwiderte Marcos ruhig. „Geschäftlich.“

Sie warf ihm einen argwöhnischen Blick zu. „Musste er denn unbedingt weg?“

„Ja, es musste jemand hinfahren, der eine höhere Stellung hat.“

„Dann wäre es doch besser gewesen, wenn du dich darum gekümmert hättest, oder?“

Er zuckte gleichgültig die Schultern. „Mein Bruder ist durchaus in der Lage, sich darum zu kümmern.“

Übertreib es nicht, dachte Nicole, als Leonora etwas erwidern wollte, und atmete erleichtert auf, als diese schwieg. Marcos hatte ohnehin schon eine schlechte Meinung von ihr. Es wäre unklug gewesen, ihm zu unterstellen, dass er seinen Bruder ganz bewusst weggeschickt hatte. Die Vorstellung war sowieso lächerlich. Egal, was Leonora oder Eduardo im Sinn hatten, es war unwahrscheinlich, dass Patricio ähnliche Interessen verfolgte oder Marcos es befürchtete.

Widerstrebend ging Nicole nach dem Frühstück mit Leonora nach oben, um sich umzuziehen. Sobald sie außer Hörweite waren, fragte sie vorwurfsvoll: „Was führst du eigentlich im Schilde?“

„Inwiefern, Schatz?“, meinte Leonora unschuldig.

„Du weißt genau, was ich damit sagen will. Ich bin nicht daran interessiert, mir einen reichen Ehemann zu angeln. Und Patricio ist auch nicht auf der Suche nach einer Ehefrau.“

„Eduardo zufolge ist es höchste Zeit, dass Patricio heiratet“, antwortete Leonora ungerührt. „Und seiner Ansicht nach wärst du die ideale Frau für ihn.“

„Du meinst, du hast ihn davon überzeugt!“

„Das war nicht nötig. Er ist auf die Idee gekommen, nachdem er euch beide gestern Abend beobachtet hatte. Er sagt, Patricio braucht eine Frau, die ihn mitreißt.“

„Das hängt wohl kaum von ihm ab.“

„Vielleicht nicht ganz, aber Patricio scheint richtig vernarrt in dich zu sein.“

Nicole atmete scharf ein. „Er hat sich an mich herangemacht, das war alles!“

„In den Augen seines Vaters offenbar nicht – genauso wenig wie in Marcos’.“

„Du glaubst doch nicht wirklich, dass er Patricio absichtlich weggeschickt hat.“

„Ich würde es ihm durchaus zutrauen.“ Leonora öffnete eine Tür. „Da sind wir.“

Das Schlafzimmer, das sie mit Eduardo teilte, war genauso eingerichtet wie die Räume im Erdgeschoss. Ironisch verzog sie das Gesicht, als sie zu dem Schrank voranging, der die ganze Wand einnahm. „Ich kann es kaum erwarten, hier alles umzugestalten. Stell dir nur vor, wie es ist, jeden Morgen in dieser Umgebung aufzuwachen!“

„Moderne Möbel würden hier überhaupt nicht herpassen“, bemerkte Nicole kurz angebunden.

„Es gibt so etwas wie Kompromisse, Schatz.“ Leonora nahm eine Reithose und Reitstiefel aus dem Schrank. „Hier, probier die an. Dein Shirt kannst du anbehalten.“

„Versprich mir, dass du dir diese alberne Idee aus dem Kopf schlägst“, sagte Nicole heftig, als sie die Sachen entgegennahm.

Leonora zuckte die Schultern. „Vielleicht, aber ob Eduardo es tut …“

„Ich werde dafür sorgen, dass er keinen Grund mehr dazu hat, sich Hoffnungen zu machen.“

„Wie du meinst. Ich hoffe nur, dass du es nicht bedauerst.“

Das Einzige, was ich bedauern könnte, ist, dass ich überhaupt hergekommen bin, überlegte Nicole wenige Minuten später beim Umziehen.

Kurz darauf trat sie Marcos gegenüber, der ein schlichtes weißes Hemd, das am Kragen offen stand, sowie eine perfekt sitzende Reithose trug. Sie musste sich eingestehen, dass sie bei seinem Anblick ein erregendes Prickeln verspürte. Das durfte er ihr auf keinen Fall anmerken!

Durch den wunderschön angelegten Garten gingen sie zu den Stallungen. Der Rotschimmelwallach, der bereits gesattelt war, wirkte nicht besonders sanftmütig, denn er warf den Kopf hin und her und schnaubte, als sie zaghaft die Hand ausstreckte und seine Nüstern streichelte.

„Zu viel für Sie?“, erkundigte Marcos sich lässig, nachdem sie die Hand schnell wieder zurückgezogen hatte. „Vielleicht sollten wir Ihnen ein älteres Pferd aussuchen.“

„Nein!“, entgegnete sie heftiger als beabsichtigt und fügte dann freundlicher hinzu: „Das ist schon in Ordnung. Wie heißt er?“

„Rojo.“

Nicole fasste sich ein Herz, ergriff die Zügel und sah dem Tier in die Augen. „Dann los, Rojo.“ Dass Marcos ihr seine Hilfe anbot, ignorierte sie. Sie steckte den linken Fuß in den Steigbügel und schwang sich aufs Pferd, das in dem Moment einen Schritt zur Seite machte. „Ich bin hier, und ich bleibe, also beruhige dich“, sagte sie energisch auf Spanisch und warf Marcos einen herausfordernden Blick zu. „Ich bin bereit.“

„Sie sprechen also unsere Sprache“, stellte er fest.

Auch Französisch, hätte sie ihm sagen können. „Lange nicht so gut wie Sie Englisch“, erwiderte sie auf Englisch. „Wollen wir?“

Sein Pferd war ein großer silbergrauer Hengst. Elegant saß Marcos auf, und es war offensichtlich, dass er das Tier beherrschte. Pferd und Reiter waren eine Einheit.

Das Anwesen erstreckte sich über das ganze Tal, von dem ein großer Teil bewaldet war. Sie kamen an eine Start- und Landebahn, die offenbar für das kleine Privatflugzeug in einem Hangar vorgesehen war und die Nicole gefährlich kurz erschien. Der Pilot musste sehr genau sein, um nicht die umstehenden Bäume zu streifen.

Sobald sie den Wallach, der anfänglich immer wieder zurückkehren wollte, unter Kontrolle hatte, genoss sie den Ausritt. Allerdings war ihr klar, dass sie am nächsten Tag an gewissen Stellen Muskelkater haben würde.

Von gelegentlichen Bemerkungen einmal abgesehen, machte Marcos keine Anstalten, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Einmal streifte er ihren Schenkel mit seinem, als er seinen Hengst zur Seite dirigierte, um einem halb verborgenen Loch auszuweichen. Prompt verspürte sie ein erregendes Prickeln. Eine solche Wirkung hatte Scott nie auf sie ausgeübt.

„Gestern Abend ist Ihnen sicher klar geworden, dass Sie die Hochzeit nicht verhindern können“, erklärte sie, um diese beängstigenden Emotionen zu verdrängen. „Ihr Vater hat in meinen Augen keinen Zweifel daran gelassen, was er für Leonora empfindet.“

Marcos warf ihr einen zynischen Blick zu. „Ich zweifle auch nicht an seinen Gefühlen. Ihre Stiefmutter ist eine sehr schöne Frau. Nur wenige Männer könnten ihren Reizen widerstehen.“

„Und dazu gehören natürlich Sie.“

„Überhaupt nicht. Ich finde sie auch begehrenswert.“

Die Kehle war ihr plötzlich wie zugeschnürt. „Verstehe.“

„Das bezweifle ich“, entgegnete er. „Es gibt viele begehrenswerte Frauen, aber eine Ehefrau muss über viel mehr Eigenschaften verfügen.“

„Wie zum Beispiel Ehrfurcht vor dem Mann?“

„Respekt“, verbesserte er sie ungerührt. „Das ist ein wichtiger Aspekt in einer Beziehung, finden Sie nicht?“

„Wenn er auf Gegenseitigkeit beruht, ja.“

„Und verdienen Sie Ihrer Meinung nach Respekt?“

„Wie können Sie es wagen?“, rief Nicole empört und gab Rojo die Sporen, sodass dieser in Galopp verfiel und auf dem schmalen Weg voranlief. Da sie die Zügel nur mit einer Hand hielt, konnte sie nicht viel ausrichten. Also umklammerte sie mit der anderen den Sattelknopf, in dem Bewusstsein, dass sie etwas angefangen hatte, was sie nicht mehr stoppen konnte – und dabei war das Pferd noch das geringste ihrer Probleme.

Ein kleiner Zweig peitschte ihr gegen die Brust. Ob Marcos direkt hinter ihr war oder einen anderen Weg genommen hatte, um allein weiterzureiten, wusste sie nicht. Momentan war es ihr auch egal, denn sie konzentrierte sich darauf, im Sattel zu bleiben. Als der Wallach dann plötzlich von allein das Tempo verlangsamte, konnte sie es nicht fassen. Aus Angst, dass er wieder losgaloppieren könnte, wenn sie etwas falsch machte, blieb sie regungslos sitzen, bis er schließlich stehen blieb.

Marcos holte sie ein, als sie mit weichen Knien hinunterglitt. Sein Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes. Schwungvoll saß er ab, kam zu ihr und packte ihre Schultern. „Sie dumme Gans!“, stieß er hervor. „Sie hätten umkommen können!“

Noch nie hatte ein Mann sie geküsst, wenn er wütend war. Als Marcos die Lippen auf ihre presste und diese auseinander zwang, stockte ihr der Atem, und ihr wurde schwindlig. Letzteres schien er zu merken, denn er zog sie näher an sich. Sein würziger Duft berauschte sie.

Nach einer Weile ließ der Druck seiner Lippen nach, und Marcos küsste sie sanfter, erotischer. Nicole war sich seiner Erregung deutlich bewusst – genauso wie ihrer eigenen, was sie beschämte. Sie musste all ihre Willenskraft aufbringen, um sich von ihm zu lösen.

„Das reicht!“, brachte sie hervor.

„Ich glaube nicht“, flüsterte er, und seine Augen funkelten gefährlich. „Ich glaube, es reicht uns beiden nicht!“ Langsam verlagerte er sein Gewicht und verzog humorlos den Mund, als sie erschauerte. „Du wolltest, dass es passiert.“

„Das ist nicht wahr!“

„Nein?“ Er blickte ihr tief in die Augen. „Du leugnest, was ich in deinen Augen sehe?“

„Ich leugne, dass ich das hier gewollt habe“, sagte sie steif.

Marcos lachte auf und löste sich dann von ihr. „Es fällt dir genauso schwer aufzuhören wie mir.“

Ihr ging durch den Kopf, dass Scott sie noch nie so erregt hatte, und sie schämte sich dieses Gedankens.

Beide Pferde grasten unter den Bäumen. Nicole riss sich zusammen und ging zu Rojo, um die Zügel zu nehmen und aufzusitzen. Rojo war so überrascht, dass er abrupt den Kopf hob. Marcos war stehen geblieben, und seine Augen funkelten immer noch.

„Wollen wir weiter?“, fragte sie und versuchte, wenigstens den Anschein zu erwecken, dass sie sich wieder unter Kontrolle hatte.

„Das liegt bei Ihnen“, antwortete er.

„Dann reiten wir weiter.“

Nachdem er ebenfalls aufgesessen hatte, ritt er voran. Sie folgte ihm auf Rojo und war froh darüber, dass dieser im Falle eines Falles nun nicht mehr davongaloppieren konnte. Ihre größte Sorge war allerdings, nicht wieder mit Marcos auf Tuchfühlung zu gehen. Noch immer spürte Nicole das verräterische Prickeln. Und dass sie ihn nun vor sich hatte, machte es auch nicht besser. Der Anblick seiner breiten Schultern, der schmalen Taille und der muskulösen Beine erregte sie … Das ist nur Verlangen, nicht mehr, sagte sie sich energisch, also reiß dich zusammen!

Schließlich ließen sie die Bäume hinter sich, und das Dorf kam in Sicht. Es lag an einem Hang, und daneben verlief die gewundene Straße, auf der sie hergefahren waren. Inzwischen waren sie schon fast zwei Stunden unterwegs. Nicole spürte bereits, wie ihr der Po wehtat, obwohl sie es niemals zugegeben hätte.

Sie holte ein Stück auf, sodass sie neben Marcos ritt, und warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Seine Miene war unbeweglich. Falls sie eine Chance gehabt hatte, sich mit ihm zu versöhnen, hatte sie sie vertan, auch wenn er sie provoziert hatte. Nach der Hochzeit würde sie jedoch ohnehin abreisen.

Und in ihr langweiliges Leben zurückkehren, wie eine verräterische Stimme ihr sagte.

Mit den unzähligen verwinkelten Gassen, die vom Marktplatz abgingen und den berankten Häusern auf verschiedenen Ebenen war das Dorf ausgesprochen malerisch. Die Einwohner grüßten Marcos respektvoll und Nicole mit einer gewissen Neugier. Obwohl das Dorf nicht allzu weit von der Hauptstadt entfernt lag, schien die Zeit an ihm vorbeigegangen zu sein, was vermutlich daran lag, dass es keine Touristenattraktion hatte. Um der Einwohner willen hoffte Nicole, dass es so blieb.

Auf der Straße standen drei Frauen und unterhielten sich miteinander. Als sie Marcos und sie bemerkten, schoben zwei von ihnen die dritte nach vorn, und Marcos zügelte sein Pferd, um sich anzuhören, was sie ihm zu sagen hatte.

Die beiden sprachen so schnell, dass Nicole ihnen nicht ganz folgen konnte. Es ging um den Mann der Frau, soweit sie verstehen konnte.

Nachdem Marcos kurz gezögert hatte, nickte er und wandte sich ihr zu. „Ich muss jemanden besuchen.“

„In Ordnung“, erwiderte sie. „Ich warte hier auf Sie.“