Ronny Smith - Peter K. J. Birlmeier - E-Book

Ronny Smith E-Book

Peter K. J. Birlmeier

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Beschreibung

Die Schlacht der Kreuzritter bei Hattin im Jahre 1187 und der Vulkanausbruch in Island, der 2010 die europäische Luftfahrt zum Erliegen brachte, haben scheinbar nichts miteinander zu tun. Der Schüler Ronny Smith wird allerdings während seiner Sommerferien in ein Abenteuer verstrickt, das genau diese beiden historischen Ereignisse in einen engen Zusammenhang rücken lässt. Der Roman spielt im mittelalterlichen Sansibar und in einer archäologischen Ausgrabungsstätte der heutigen Zeit. Als Ronny Smith und seine Freunde sich unerlaubterweise in der Grabungsstätte umsehen, schlittern sie in ein Abenteuer, das Gegenwart und Vergangenheit aufeinander prallen lassen. Die drei Freunde Ronny Smith, Jenny Braun und Nick Stone verbringen gemeinsame Sommerferien auf der Insel Sansibar. Jennys Eltern sind dort als Archäologen dabei, eine mittelalterliche Stadt auszugraben. Die Legende über einen Schatz, der in dieser Stadt vergraben sein soll, lässt die Jugendlichen nicht mehr los. Als die Freunde im Grabungsbereich unerlaubt herumstöbern, finden sie einen faszinierenden, historischen Schlüssel, der Hinweise auf diesen Schatz gibt. Zur gleichen Zeit findet ein Experiment an einem geborgenen Meteoriten statt, der Unmengen von negativer Energie gespeichert hat. Dabei geraten die drei Freunde ungewollt in die Krümmung der Raumzeit und werden in das mittelalterliche Sansibar katapultiert. Dort werden sie in ein unglaubliches Abenteuer verstrickt, in dem es um das jahrtausendalte Geheimnis der Alchimisten geht. Hierbei handelt es sich um nichts Geringeres, als um die Formel des ewigen Lebens.

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Seitenzahl: 278

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Peter K. J. Birlmeier, 1965 in München geboren, ist als Diplomingenieur im Projektmanagement und als Produzent und Regisseur im Showbereich tätig.

1988 gründete er südlich der bayerischen Landeshauptstadt das „Münchner Sporttheater-Ensemble“. In diesem Rahmen hat er als Autor 14 Bühnenstücke geschrieben und diese als Regisseur inszeniert. Seit über 30 Jahren kreiert er mit seinen Theaterproduktionen fantastische Welten. Nach einer Zeit des intensiven Reisens und der Veröffentlichung einiger Bücher aus dem Bereich des Theaters liegt nun sein Debütroman „Ronny Smith“ vor.

Herzlichen Dank an Margret, Manuela, Heidi und Peter, die als erste LeserInnen in das Abenteuer von Ronny Smith eintauchten und an Marlene, die die gelesenen Worte in ein Titelbild verwandelte.

Inhalt

Die Schlacht bei Hattin, 4. Juli 1187

London, April 2002

Das Waisenhaus in München, Mai 2009

Endlich Ferien, Juni 2009

Bergung der Meteoriten, April 2002

Freundschaft, Juni 2009

Staatsmittel, Berlin

Bergwacht Garmisch, April 2002

Die Einladung, Sommer 2009

Die Weise des Ostens, ferne Vergangenheit

Reise nach Sansibar, Sommer 2009

Windsurfen auf Sansibar

Der Fund

Der Weise des Nordens, ferne Vergangenheit

Die Recherche

House of Wonders

Das Buch zum Schlüssel

Die Weise des Westens, ferne Vergangenheit

Der Tag X

Der Weise des Südens, ferne Vergangenheit

Buch mit vier Siegeln

Der Geschichtenerzähler

Die Weisen der vier Himmelsrichtungen

Der Diebstahl

Die Suche nach Dr. Yamada

Zeitreisen sind möglich

Warten

Das Mutterschiff

Eine Prinzessin und zwei Prinzen

Tsunami, London in der Gegenwart

In der Stadt Sansibar, Sommer 1187

Flucht aus dem Kerker

Das Osttor

Der Scheiterhaufen

Flucht aus der Stadt

Die verbotene Stadt

Das Geheimnis des Schlüssels

Die Unmöglichkeit der Rückreise

Des Hauptmanns Befehle

Abschied

Zurück in die Gegenwart

Wieder Zuhause

Gedankensplitter

Epilog

Die Schlacht bei Hattin, 4. Juli 1187

Die flirrende Hitze war unerträglich. Der Sturm blies die heiße Wüstenluft in die Gesichter der Männer und trieb unaufhörlich Schweißperlen auf deren Gesichter.

Seine Kehle war schon völlig ausgetrocknet und so hatte König Guido von Lusignan sichtlich Mühe den Angriffsbefehl zu erteilen. Die Fanfaren donnerten los. Der heulende Lärm des Wüstensturms bewirkte, dass nur langsam das Kommando alle Soldaten erreichte. 18.000 Kreuzritter setzten sich nun in Bewegung, um das „Heilige Land“ mit der Stadt Jerusalem vor dem Heer der Araber zu schützen. Der aufgewirbelte Sand peitschte den Männern ins Gesicht und blieb an den schweißgetränkten Kettenhemden kleben. Pferd und Mensch waren beinahe blind, doch für Kreuz und Krone waren die Männer entschlossen, alles in der entscheidenden Schlacht bei Hattin zu geben.

Auf der Gegenseite hatte sich das moslemische Heer unter dem Oberbefehl von Saladin, Sultan von Ägypten und Syrien, zum Gegenangriff gewappnet. Seine Armee war zahlenmäßig dem der Kreuzritter unterlegen. Doch wollten sie um keinen Preis den Ungläubigen das Land überlassen.

18.000 Kreuzritter stürmten mit erhobenen Schwertern in vollem Galopp auf ihre Feinde zu. Wie ein gewaltiger Donner erschütterten tausende von Hufen den Boden. Pferd an Pferd waren sie wie eine unüberwindbare Welle, die in wenigen Augenblicken den Gegner zermalmen würde. Ihre zahlenmäßige Übermacht tauchte die Männer in ein Gefühl der Überlegenheit und Unverwundbarkeit ein. Der Sieg gegen diesen schwachen Gegner lag klar vor ihren Augen.

Nun neigten die Männer ihre Schwerter oder die tödlichen Lanzen nach vorne, um den Feind aufzuspießen. Doch plötzlich machte das Heer der Araber kehrt und galoppierte davon.

Arthur Mc Bride, Lord von Southend war ein großgewachsener Mann, der es verstand, sein Schwert todbringend gegen seine Feinde zu führen. Er hatte das Kommando über die berittene Vorhut der Kreuzritter inne und war nur dem König selbst unterstellt. Bei vielen Schlachten war er dabei und hatte sich den Respekt der Truppe erkämpft. Er war es gewohnt, dass der Feind beim Anblick seiner Größe und Demonstration seiner gewaltigen Schlagkraft floh.

So jagte er den davonreitenden Arabern nach und mit ihm das ganze Heer.

Die Jagd nach einem sich immer weiter entfernenden Feind führte die Ritter an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Erschöpft zügelte Mc Bride sein Pferd und fand sich mit seinen Mannen inmitten einer Steinwüste wieder. Vom Gegner fehlte jede Spur. Der starke Wind wirbelte den Staub in die Gesichter der Soldaten und nahm ihnen jegliche Sicht. Am Horizont war ein Gebirge zu erkennen. Doch weit und breit konnten die Angreifer keine Araber erblicken. Reiter und Tier waren von dem schnellen Galopp gegen einen nicht greifbaren Feind ausgezehrt. Der König ließ absitzen und die Soldaten kauerten sich so eng wie möglich aneinander, um sich vor dem Unwetter zu schützen. Die Wasserreserven gingen zur Neige und nach weiteren Stunden wurde der Durst der Reiter unerträglich. Plötzlich wurde scheinbar das Heulen des Windes lauter und verwandelte sich zu einem tosenden Brausen. Aus dem Wüstensturm tauchte eine schwarze Front auf, die unaufhörlich auf Guidos Heer zukam. Völlig vom Angriff überrascht dauerte es einen ganzen Augenblick, bis die Kreuzritter die schwarze Sandsturmwand als Pferd und Krieger identifizieren konnten. Bevor die ersten wieder auf ihren Pferden saßen, begann schon das Klirren der Schwerter und der steinige Boden tränkte sich in Rot. Das riesige Heer der Kreuzritter begann sich nun zu formieren. Doch bevor die Ritter in der Lage waren ihre Schlagkraft wiedereinzusetzen, war der Gegner im Sandsturm verschwunden.

Die Verluste von Guidos Heer waren verschmerzbar. Der Blitzangriff hatte vielleicht 200 Mann das Leben gekostet. Doch die Männer waren geschwächt. Der Partisanenkrieg zermürbte die Ritter und die Hitze wurde immer unerträglicher. Die Sonne stand nun im Zenit, die Temperaturen bewegten sich um 40 °C. Für die Soldaten und deren Tiere war kein Wasservorrat mehr vorhanden. Es blieb nur noch der Rückzug, zurück zu ihrem Lager, wo Wasser auf sie wartete. Doch der Weg dorthin war beschwerlich und würde vermutlich sechs Stunden dauern. Der heiße Wüstensturm legte sich und als die Sicht wieder klar wurde, hatten die Ritter aus dem Abendland wieder Hoffnung, ihr Lager unbeschadet zu erreichen. Die Sonne stach unerbärmlich auf die Krieger nieder. Bei vielen Männern versagte der Kreislauf. Reiter stürzten von ihren Pferden. Schon nach weiteren zwei Stunden war aus der einst ruhmreichen Armee ein kläglicher Haufen von halb verdurstenden Menschen geworden. Der Rückzug der einstmalig kompakten Angriffsformation zog sich nun über tausende von Metern in die Länge. Der Abstand zwischen den vorderen Reihen und den langsameren, erschöpfteren Menschen und Tieren nahm stetig zu. Schweres Kriegsgerät wurde zurückgelassen. Tausende von Menschen hatten nur noch ein Ziel vor Augen: Wasser.

Mc Bride ritt zurück, um die hinteren Reihen anzutreiben. Er riss sich den Brustpanzer vom Leib, um besser Luft zu bekommen. Er fühlte eine leichte Entlastung und nahm alle Kraft zusammen, um seinen Leuten ein gutes Vorbild zu sein: „Männer nur noch eine Stunde, dann habt ihr es geschafft! Vorwärts, ihr dürft nicht langsamer werden!“

Die Gelegenheit war günstig, Saladins wüstenerprobte Soldaten trieben ihre frisch getränkten Pferde an. Der Kampf um Leben und Tod war nun nicht mehr zu stoppen.

Zahlenmäßig standen zwar drei Kreuzritter gegen einen Moslem im Feld, doch die schnellen Araber hatten gegen die geschwächten Ausländer leichtes Spiel.

Mc Bride kämpfte wie ein Tier. Er versuchte, seine geschwächte Abteilung zu formieren und brüllte Befehle. Der Überlebenswille mobilisierte in den kampferprobten Rittern eine verzweifelte Schlagkraft, die nun wiederum den Angreifern hohe Verluste zuführte. Bevor jedoch die Ritter zum Gegenangriff ausholten, waren die Feinde auf ihren schnellen Pferden verschwunden.

Mc Bride atmete schwer, Blut lief ihm über das schweißgetränkte Gesicht: Der Angriff war abgewehrt: “Gott sei Dank, und zum Lager kann es ja nicht mehr weit sein!“

Plötzlich surrten Pfeile durch die Luft. Saladin hatte 2.000 Bogenschützen mit Brandpfeilen auf einer Anhöhe in Stellung bringen lassen, die direkt vor dem Rückweg der Kreuzritter lag.

Mc Bride fühlte einen stechenden Schmerz. Er griff an den Pfeilschaft, der tief in seiner Brust steckte und versuchte ihn herauszuziehen.

Er ging auf einem ausgetretenen Weg, links und rechts war hohes Gras. In der Weite sah er im hellen Sonnenschein sein kleines Haus, das er vor Jahren verlassen hatte. Da war der alte Apfelbaum. Er pflückte eine reife Frucht und biss hinein. Der Geschmack war unbeschreiblich, so paradiesisch süß, so intensiv, wie er ihn noch nie zuvor wahrgenommen hatte. Seine beiden Söhne liefen ihm entgegen. Sie waren groß geworden. Er hob die Jungs in die Höhe auf seine kräftigen Arme. Vier große Augen aus zwei mit Sommersprossen übersäten Gesichtern strahlten ihn an. Nun fing er selbst zu laufen an. Sie stand im Türrahmen und streckte ihre Arme weit aus.

Nach zwei Stunden Kampf lagen 18.000 Kreuzritter und 5.000 Moslems regungslos im Sand. Der zweite Kreuzzug der Franken war fehlgeschlagen. Die über 80-jährige Vorherrschaft der abendländlichen Ritter war gebrochen und Jerusalem konnte von den Christen befreit werden. Saladin hatte gegen die Übermacht der Aggressoren gesiegt und wurde vom ganzen Land als Held und Befreier gefeiert.

Der Lohn für diesen militärischen Erfolg, so wurde es im Volksmund erzählt, war ein Schatz, der Saladin uneingeschränkte Macht und Unverwundbarkeit verleihen sollte.

London, April 2002

Prof. Dr. Ernest Stone saß noch zu später Stunde mit seiner Geschäftspartnerin Dr. Saori Yamada in ihrem Laboratorium bei London. Er mietete weit draußen im Osten, in einem Vorort der Stadt direkt am Meer eine alte Fabrikhalle, die sie für ihre Arbeiten nutzten.

Stone war als einer der jüngsten Professoren in England schon mit 30 Jahren an den Lehrstuhl für Astrophysik in Cambridge berufen worden und dort für zehn Jahre in Lehre und Forschung tätig gewesen. Vor gut drei Jahren hatte er mehrere private Aufträge der Industrie angenommen, sich von der Uni verabschiedet, selbstständig gemacht und dabei ein kleines Vermögen verdient.

Er war ein großer, schlaksig wirkender Mann mit heller Haut und Nickelbrille. Die hellblonden Haare kämmte er mit etwas Gel zurück, so dass nur wenige Strähnen in die Stirn fielen. Seine blauen Augen hatten etwas Durchdringendes, dem nur wenige standhalten konnten. Stone pflegte sich zwar etwas altmodisch zu kleiden, machte aber einen durchaus sportlichen Eindruck.

Dr. Saori Yamada hatte bei Prof. Stone promoviert und die Gelegenheit ergriffen, mit ihrem Doktorvater den Sprung in die Selbstständigkeit zu wagen. Saori stammte aus einer vermögenden, japanischen Familie und hatte sich mit ihrem Erbe bei der neu gegründeten Firma als Partnerin eingekauft. Sie war mit ihren 28 Jahren das vielversprechendste Talent, das Stone während seiner Unizeit je gehabt hatte. Ganz anders als die anderen „grauen Mäuse“ der Fakultät war die schlanke, etwa 1,68 Meter große, bildhübsche Frau immer topmodisch gekleidet und auffallend geschminkt. Ihre rot gefärbten Haare erregten schon von weitem die Aufmerksamkeit der Männerwelt. Ihre pechschwarzen Augen, der große, rote Mund und nicht zuletzt ihre beachtliche Oberweite, die sie gekonnt in Szene zu setzen wusste, machten ihr beinahe jeden Verhandlungspartner gefällig. Stone war immer wieder überrascht, wie sie ihre Reize einsetzen konnte, um lukrative Aufträge an Land zu ziehen. Ihm sollte es Recht sein!

Die kleine, eingeschossige Fabrikhalle verfügte über ein Laternengeschoß mit Glasdach. Dies war ein rundherum verglaster, kleiner, vielleicht dreimal vier Meter großer Raum, der über dem Hallendach thronte. Der Rundumblick, wie bei einem Leuchtturm und die freie Sicht nach oben holte Licht in das fast fensterlose Gebäude. In der Mitte des Raumes befanden sich ein Computerarbeitsplatz und ein großes Teleskop, das über Klappöffnungen im Dach ins Freie geschoben werden konnte. Der Zugang zur „Laterne“, die bei Nacht schon von weitem leuchtete, erfolgte mittels einer Wendeltreppe aus Stahl. Nach Feierabend, sobald das Licht in der Fabrikhalle gelöscht wurde, verbrachte der Professor bei sternenklaren Nächten viele Stunden hier oben, um in die Welt der Galaxien einzutauchen. Im Erdgeschoß verfügte die alte Halle über eine Bibliothek mit großem Besprechungstisch, einen Serverraum, zwei mit Computern vollgepackte Büros, eine große Werkstatt, eine Küche mit Sitzecke und zwei Sanitärräume. Bis auf die Toilettenanlage waren alle Räume mit Glaswänden voneinander getrennt.

Für die NASA hatte der Professor Berechnungen für optimale Flugbahnen zum Mond und Mars vorgenommen, um den Energieverbrauch für Raummissionen zu minimieren. Die Erforschung alternativer Energiequellen, speziell für die Raumfahrt, war zu seinem Spezialgebiet geworden. Die Europäische Raumfahrtbehörde bediente sich ebenfalls seiner kreativen Ansätze und Berechnungen, um die Ariane-Rakete gegenüber den Amerikanischen Spaceshuttles wirtschaftlicher zu machen. Er war somit ein wichtiger, international tätiger Berater und konnte gemeinsam mit Dr. Yamada immer wieder neue Aufträge an Land ziehen.

Heute Nacht galt die Aufmerksamkeit der beiden jedoch nicht dem Auftrag einer Weltraumorganisation, sondern einem Gesteinsbrocken, der unaufhaltsam auf die Erde zuraste. Schon in der Vergangenheit hatte Stone Meteoriten, die auf die Mondoberfläche einschlugen, mit einer hochauflösenden Highspeed-Kamera aufgezeichnet. Siebenmal langsamer ließ er dann den Film abspielen, um die Explosion für das menschliche Auge sichtbar zu machen, denn der Feuerball des Einschlages war nur 4/10 einer Sekunde zu sehen. Die daraus resultierenden Berechnungen über Größe und Geschwindigkeit des Meteoriten waren wichtig, um ein Gefühl für die Bedrohung von Gesteinsbrocken und Weltraumschrott für Satelliten und Raumfahrtmissionen zu erlangen. Aus seiner letzten Beobachtung, die er mit seinem zehn Zoll Teleskop aufgezeichnet hatte, konnte er aufgrund der Dauer und Helligkeit des Blitzes berechnen, dass ein Felsbrocken mit 25 cm Durchmesser und einer Geschwindigkeit von 38 km/Sek. den Mond traf und dabei 17 Milliarden Joule freigesetzt wurden. Dies entspricht einer Explosion von vier Tonnen TNT. Prof. Stone und Dr. Yamada simulierten in dieser Nacht am Computer die Flugbahn des Meteoriten, der bald die Erde erreichen sollte. „In 22 km Höhe wird der Brocken zerplatzen“, unterbrach Dr. Yamada aufgeregt die Stille und ließ mit einem Klick das Explosions-Szenario am Bildschirm anzeigen. Professor Stone sah vom Teleskop auf und betrachtete den Monitor. „Zwei größere Steine werden wohl die Erde erreichen, der Rest wird nur Staub sein. Berechnen wir nun die möglichen Einschlagsorte“, sagte der Professor und nahm am zweiten Bildschirm Platz. Er begann, eine Vielzahl von Befehlen in die Tastatur zu tippen. „Deutschland! Es ist Deutschland, in den bayerischen Alpen“, freute sich Stone. „Am 6. April 2002 um 21:30 Uhr werden die Brocken die Erdoberfläche erreichen und nicht wie beim letzten Mal im Meer versinken“, ergänzte Dr. Yamada. „Gute Arbeit, Saori, ich hoffe du bist gut zu Fuß unterwegs“, witzelte Stone, „Packe dir warme Sachen ein, in den Bergen kann es bitter kalt werden. Die Bergausrüstung kaufen wir unterwegs. Wir müssen die Ersten vor Ort sein!“ „Nur noch 32 Stunden bis zum Einschlag“, stellte Yamada fest, „ich buche gleich die nächste verfügbare Maschine nach München.“

Das Waisenhaus in München, Mai 2009

Ronny schreckte hoch, plötzlich war er hellwach, der Blick auf die Uhr: „Scheiße wir haben verschlafen, warum geht der blöde Wecker nicht? Aufstehen, es ist zehn vor acht Uhr!“ Im Stockbett über ihm gähnte Chris: „Wie schon gleich acht? Ich hab in der ersten Mathe!“ Das Stockbett neben ihnen gab ächzende Geräusche von sich, als sich Fred und Frank aus den Betten wälzten. „Das gibt wieder höllisch Ärger mit der Alten, wenn wir zu spät in den Unterricht kommen“ erwiderte Frank. „Egal Jungs gebt Gas, wir können es noch schaffen, Frühstück fällt aus!“

„So ein Stress und das in der letzten Woche vor den Pfingstferien.“

Ronny, Chris, Fred und Frank teilten sich ein Vierbettzimmer im Münchner Waisenhaus. Frank und Fred waren schon in der Abschlussklasse und auf dem Sprung das Leben im Waisenhaus zu verlassen: In jedem Zimmer waren Schüler unterschiedlicher Jahrgangsstufen untergebracht.

Der jeweils Älteste war der Zimmersprecher und für seine Zimmergenossen verantwortlich. Alle Zimmersprecher bildeten ein Gremium, das den Haussprecher wählte.

Verlässt der älteste Zimmerbewohner das Waisenhaus so wird der nächst älteste zum Zimmersprecher und das leere Bett wird durch einen neuen Youngster aufgefüllt.

Ronny war schon seit der zweiten Klasse im Waisenhaus untergebracht.

Er war sieben Jahre alt, als ihn eine Dame mit Pferdeschwanz, eckiger Brille und grünem Kostüm Zuhause aufsuchte. Sandra Bergmann, die junge Sozialarbeiterin des Sozialreferates der Stadt, hatte die unangenehme Aufgabe, Ronny abzuholen. Sie musste ihm beibringen, dass seine Eltern, Peter und Julia Smith, von ihrer USA-Reise nicht mehr heimkehren würden und sein neues Zuhause zukünftig das Münchner Waisenhaus sein würde.

Die Familie Smith lebte im Stadtteil Solln in einer großen alten Villa. Wenn Ronny sich an die damalige Zeit zurückzuerinnern versuchte, hatte er das Bild der „Villa Kunterbunt“ in Erinnerung, denn seine Mutter pflegte immer zu sagen: „Wir leben wie Pippi Langstrumpf, nur ohne Äffchen.“ Da war ein schöner Garten mit riesigen alten Bäumen. Auf der überdachten Veranda stand eine Hollywoodschaukel und Mami hatte dort Ronny oft stundenlang vorgelesen. Alles war aus Holz und jeder Schritt in den Zimmern oder auf der Treppe machte ein Geräusch wie das Ächzen eines alten Baumes. Für Ronny war das Haus lebendig. Es war ein überdimensionales, uraltes Lebewesen. Im Wohnzimmer hingen immer viele bunte Bilder. Ronny erinnerte sich an ein Bild das bestimmt über zwei Meter hoch war und ein blaues Pferd zeigte. Für Ronny war es der „Kleine Onkel“ das Pferd von Pippi Langstrumpf. Die Smith waren internationale Kunsthändler und das war dem Haus auch anzusehen, denn jeder Raum war irgendwo auch Ausstellungsraum. Im Obergeschoß des Hauses war eine kleine Einliegerwohnung untergebracht, in der Anna Berger wohnte. Anna war eine liebenswürdige, 21-jährige junge Frau, die an der Uni in München Kunstgeschichte studierte. Die Eltern hatten diese Wohnung immer Kunststudentinnen zur Verfügung gestellt, die im Gegenzug gerne als Babysitter für Ronny einspringen wollten.

Die Eltern von Ronny Smith mussten am 8. September 2001 für drei Tage eine Reise in die USA unternehmen, um eine wichtige Ausstellung im Museum of Modern Art in New York vorzubereiten. Die Koffer waren bereits gepackt. “Ronny, mein Schatz wir sind in drei Tagen wieder da, stell nichts an und sei brav zu Anna.“ Die Mutter schloss Ronny fest in ihre Arme und küsste ihren Sohn. „Wenn wir aus New York zurückkommen“, sagte Ronnys Vater, „dann werden wir das Modellflugzeug fertig bauen.“ Er hob Ronny hoch, küsste ihn und murmelte: „Jetzt bist du der Herr im Haus.“

„Das Taxi ist da!“, verkündete Anna.

Ronny und Anna standen am Gartentor und winkten den beiden nach, Ronny hatte Tränen in den Augen.

Peter Smith war ein hoch gewachsener sportlicher Mann von Anfang vierzig. Vor acht Jahren hatte er Ronnys Mutter, Julia Müller in New York während der Besichtigung des World Trade Centers kennen gelernt. Die sympathische Münchnerin war Peter Smith sofort aufgefallen. Im Restaurant, hoch droben über den Dächern von Manhattan, sprach er sie an. Beide hatten das Gefühl als würden sich zwei alte Bekannte treffen und da war dieses gewisse Britzeln zwischen den beiden. Peter, der aus Chicago stammte, war selbst als Tourist unterwegs und dabei, mit seinem Chevrolet die Ostküste bis runter nach Florida zu erkunden. Julia wollte eigentlich mit ihrer ehemaligen Schulkameradin, Sabine die USA-Reise antreten. Die Reiseroute war festgelegt, die Flüge gebucht. Kurz vor Abflug riss sich Sabine beim Volleyball spielen alle Bänder im Sprunggelenk und konnte sich die Tour durch die Staaten abschminken. Für Julia stürzte eine kleine Welt zusammen, denn auf diese Reise hatte sie sich gefreut, wie noch auf keine andere. Ein Ersatz für Sabine war nicht zu finden, so entschied sich Julia, gegen alle Befürchtungen ihrer Eltern, allein die Reise anzutreten.

Peter und Julia verbrachten zwei wunderschöne Tage in New York, sie besichtigten alles was die Stadt zu bieten hatte. Im Museum of Modern Art entdeckte Julia das Original eines Kunstwerkes, das sie in ihrer Abiturprüfung im Kunst Leistungskurs bearbeiten musste. Es war „das Fahrrad-Rad“ des Dadaisten Marcel Duchamp.

Am Abend ging es auf den Broadway. Dort reihte sich ein Musicaltheater an das andere. Sie entschieden sich an einem Abend für „Peter Pan“ und tags darauf für „Die Schöne und das Biest“.

Zwei Menschen hatten sich gefunden. Peter und Julia waren wie der Milchschaum auf dem Cappuccino, wie der Fisch im türkisblauen Wasser. Sie waren wie zwei Dinge, die erst zusammen zu einem perfekten Ganzen wurden. Ohne Frage, dass sie die wundervolle Reise entlang der Ostküste der USA zusammen unternehmen würden.

Es war ein romantischer, ja fast schon kitschiger Sonnenuntergang in Key West. Die beiden liebten sich bis in die Morgenstunden und beiden war klar geworden, ein Leben lang zusammen bleiben zu wollen.

Neun Monate später war es dann soweit, Ronny wurde am 11. Juni 1994 geboren.

In den Zeitungen wurde in diesen Tagen nur von dem Terroranschlag am 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York geschrieben. Von dem tödlichen Autounfall der Kunsthändler Peter und Julia Smith, der augenscheinlich vorsätzlich von einem flüchtigen Unfallgegner provoziert wurde, war nichts zu lesen. Die Staatsanwaltschaft konnte zwar zweifelsfrei Fremdverschulden nachweisen, war jedoch nicht in der Lage, den Fall aufzuklären.

Ronny war nach dem Tod seiner Eltern wie ausgewechselt. Seine Bewegungsfreude schien in Trauer zu verebben. Er kapselte sich förmlich von seiner Umgebung ab. Sandra Bergmann brachte Ronny in seine neue Heimat, das Waisenhaus, in dem er ein Zimmer mit drei weiteren Jungs teilte. Sandra besuchte Ronny jeden Tag und dennoch kam kein Wort über seine Lippen. Sie nahm ihn mit ins Kino, ging mit ihm einkaufen, unternahm mit der Zimmergemeinschaft Ausflüge zum Starnberger See, doch egal was sie tat, Ronny war wie in einer anderen, einsamen Welt. Die Menschen standen außen vor einer dicken Glaskugel, in die ihre Stimmen nur gedämpft eindringen konnten. In der Kugel saß Ronny. Er sah die Menschen zwar an, aber das Glas war getrübt und er realisierte nur unscharfe Konturen.

Drei Monate waren vergangen, es war ein Sonntag gegen zehn Uhr. Sandra war auf dem Weg zu dem kleinen Jungen, den sie in ihr Herz geschlossen hatte. In der Hand hielt sie einen geflochtenen Korb. Ronny war allein im Zimmer. Die drei anderen Jungs nutzten das schöne Wetter und waren im Hof Basketballspielen. Sandra stellte den Korb vor Ronny auf den Boden, begrüßte ihn herzlich und setzte sich dann etwas abseits auf das Sofa. Ronny stand da, wie angewurzelt, doch plötzlich bewegte sich das Tuch, das über den Korb gelegt war.

Er wurde neugierig und zog mit der Hand am Tuchzipfel. Etwas felliges hob seinen Kopf und eine rote Zunge fing eifrig an, Ronnys Hand zu lecken. „Das ist nun dein Hund“, sagte Sandra, „ein Cocker Spaniel Baby. Er heißt Rian!“

Ronny wird diesen Tag wohl nie vergessen. Der Spaniel wurde zu seinem besten Freund. Immer mehr war er mit Rian zuerst im Hof, dann im Schlosspark und bald im gesamten Stadtteil unterwegs. Er begann wieder zusammen mit Sandra, seinen Zimmerkameraden und den ganzen anderen Menschen auf der gleichen Welt zu leben.

In Rekordzeit hatten die Vier ihre Klamotten übergezogen und waren in den Hof geeilt. Mit den Rädern rasten Ronny, Chris, Fred und Frank über Bordsteine, rote Ampeln, nahmen eine Abkürzung und erreichten schließlich die Schule. Der Pausenhof war bereits gähnend leer, als sie die Räder am überfüllten Fahrradständer abstellten. Ronny stürmte die Treppen hoch. „Erste Stunde Englisch bei Herrn Bauer. Zimmer 116, glaub ich. Verdammt, ich hab keine Vokabeln mehr gelernt!“ Mit schlechtem Gewissen öffnete er die Klassentür. Alle Mitschüler saßen auf Ihren Plätzen und schauten nun Ronny direkt ins Gesicht. Sie hatten ihre Füller in der Hand und ein Blatt Papier auf ihrem Tisch. „Scheiße wir schreiben eine Ex!“

Endlich Ferien, Juni 2009

Es war 7:30 Uhr als der doppelstöckige Bus im Innenhof des Waisenhauses ankam und 50 müde Gesichter die Reise zum internationalen Ferienlager in Dießen am Ammersee antraten.

Vier Sportlehrer der Schule waren als Betreuer mit dabei. Als sie frische Croissants und heiße Schokolade im Bus verteilten, war die Müdigkeit wie weggeblasen und der Lärmpegel im Bus nahm deutlich zu.

Mittlerweile hatte der Reisebus die Stadtgrenze verlassen und glitt wie auf Schienen über die Autobahn Richtung Lindau.

45 Minuten später erreichten die Schüler ihren Ferienort. Eine Vielzahl von Bussen parkten bereits vor einem großen Landhaus direkt am Ammersee. Bepackt mit schweren Rucksäcken und Taschen trabten die Jungen hinauf zum Haus. Ein Knäuel aus Menschen und Gepäck blockierte den Eingangsbereich zu einem riesigen Gemeinschaftsraum. Herr Wolle, der Heimleiter, hieß alle willkommen und verteilte an die Betreuer eine Zimmerliste und die dazugehörigen Schlüssel. Ronny belegte mit seinen alten Zimmerkollegen ein Vierbettzimmer. Schnell war das Gepäck verstaut und die Gäste trafen sich zum ersten gemeinsamen Frühstück. Im Haus waren die Schüler des Münchner Waisenhauses, eine Ferienfreizeitgruppe aus Berlin, die französischen Pfadfinder der Stadt Bordeaux und die britischen Gewinner des „Jugend-Forscht-Wettbewerbes“.

„Bon Jour Bordeaux!“, begrüßte Herr Wolle die französischen Jugendlichen, was mit tosendem Applaus beantwortet wurde. „Good Morning Great Britain!“ Ein etwas zögerliches, verhaltenes Klatschen war von den blassen, zehn Engländern zu hören. „Einen guten Morgen an unsere Gäste aus Berlin und München!“ und wieder wurde die Begrüßung des Heimleiters mit Getrampel, Besteckklappern und kräftigem Gejohle erwidert. „Die Stimmung scheint ja schon ganz gut zu sein. Eine Woche neue Freunde kennen lernen, fremde Sprachen sprechen und jede Menge Spaß stehen auf dem Programm. Morgen beginnt unser Segelkurs. In jedes Boot passen drei bis vier Personen und wie bei allen unseren Aktivitäten werden wir die jeweiligen Crews am Abend auslosen. Heute werden wir den Hochseilgarten in Utting besuchen. Treffpunkt zur Abfahrt ist elf Uhr vor dem Haus.“

Bergung der Meteoriten, April 2002

Bei strömendem Regen landete die Maschine am 6. April 2002 um 9:30 Uhr auf dem Franz-Josef-Strauß-Flughafen in München-Erding. Geschlagene 90 Minuten dauerte die Fahrt mit dem Mietwagen in die Münchner Innenstadt. Die Scheibenwischer liefen auf höchster Stufe, doch die dicken Regentropfen, die schon bald mehr Schnee als Wasser waren, trübten die Sicht enorm.

„Peter, unser ehemaliger Doktorand, hat mir die Adresse gegeben“, antwortete Prof. Stone auf die Frage, wer ihm denn das Bergsportgeschäft empfohlen habe. „Das muss ein kleiner Laden ganz in der Nähe der Theresienwiese sein, mit dem Navi sollten wir dort hinfinden!“ „Theresienwiese, ist das nicht dort, wo auch das Oktoberfest immer stattfindet?“, fragte Dr. Yamada. „Ja, das muss dort gleich um die Ecke sein, ich hoffe nur, dass das schlechte Wetter heute Nachmittag besser wird.“

An der engen Straße war kein einziger Parkplatz zu finden. In gut 300 m Entfernung vom Sportgeschäft entdeckten die beiden ein Parkhaus, in dem sie den Wagen abstellten und mit Regenschirmen bewaffnet zum Laden zurückliefen. „So ein kleiner Laden und solch ein Durcheinander, bist du dir sicher, dass wir hier richtig sind“, bemerkte Dr. Yamada. „Sorry, können sie uns helfen“, fragte Stone und formulierte in einem Gemisch aus Deutsch und Englisch, was sie alles benötigen.

Ein älterer, kleiner Mann trat langsam hinter der Theke hervor, hörte sich geduldig die Wünsche der sonderbaren Engländer an, begann dann in unzähligen Schachteln zu wühlen und legte den beiden im Laufe der Zeit einen Stapel von alpinen Ausrüstungsgegenständen vor. Der ganze Laden schien aus den Fugen zu platzen. Aus einer Menge Schuhkartons quoll Verpackungspapier hervor. Bergstiefel in allen Variationen säumten den Boden. Jacken und Hosen, die entweder nicht Saoris Geschmack entsprachen oder die falsche Größe hatten, lagen kreuz und quer am Boden. Der Ladeninhaber nahm alles gelassen. Mit einer Seelenruhe brachte er neues Equipment und versuchte sich mit schlechtem Englisch den beiden verständlich zu machen. Nach einem dreistündigen Geduldspiel waren sechs große Plastiktüten gepackt und ein kleines Vermögen wechselte den Besitzer. An das Aufspannen eines Regenschirmes war jedoch nicht mehr zu denken, da keine Hand mehr frei war. So erreichten die beiden tropfnass und außer Atem die rettende Tiefgarage. Erst gegen 16:00 Uhr war der Proviant eingekauft und der gemietete BMW rollte mit 150 km/h auf der nassen Autobahn A 95 in Richtung Garmisch-Partenkirchen. Als die zwei Wissenschaftler ihre Pension in Garmisch bezogen, die Rucksäcke gepackt und für den Abmarsch bereit waren, war es draußen beinahe schon dunkel. Die Wirtin sah die beiden Ausländer an, als wären sie zwei Schaufensterfiguren vom Sportladen gegenüber. An Prof. Stones Jacke und Hose hingen noch die Preisschilder. Alles, was die beiden trugen, war neu und unbenutzt. „Um diese Zeit können sie nicht mehr in die Berge gehen.“ „Lassen sie es nur gut sein, liebe Frau, wir wissen was wir tun“, entgegnete Stone mit englischem Akzent. Sie verabschiedeten sich höflich und zogen mit angeknipsten Stirnlampen in die Dunkelheit.

„Nach meiner Berechnung werden die Steine um 21:30 Uhr im Gipfelbereich des Wanks einschlagen. Wir haben also noch knapp drei Stunden Zeit. Ich habe die GPS-Daten der beiden Steine in die Navigationsgeräte eingegeben.“ „Gut gemacht, Saori“, entgegnete Stone, „der Abstand der Meteoriten beträgt nur etwa 600 m. Sie werden fast nebeneinander liegen. Daher müssen wir uns erst im Zielgebiet trennen und jeder sucht dann für sich seinen jeweiligen Stein.“ Je weiter die beiden aufwärtsstiegen, desto mehr ging der Regen in Schnee über und die Sicht wurde immer schlechter. „Wenn nicht dieser Wind wäre. Gut, dass wir uns Skibrillen besorgt haben“, seufzte Dr. Yamada. Mit den kleinen Lichtkegeln der Stirnlampen konnte man nur schlecht erkennen, wie die Serpentinen auf den Berg hinaufführten und jeder Schritt war ein Schritt ins Ungewisse.

Freundschaft, Juni 2009

Nachdem am Vorabend die Crewbesatzungen für die Segelschiffe ausgelost worden waren, wanderten am nächsten Morgen die Jugendlichen des internationalen Ferienlagers den kurzen Weg hinunter zur Segelschule Weidl, direkt am See. Der Tag war fast wolkenfrei, die Sonne strahlte vom blauen Himmel und kein Blatt regte sich. Ein alter Steg führte von der Uferböschung zu einem großen Bootshaus. Am Haus war der Steg mit einer Art Holztor überbaut, das weit offenstand. Oben auf dem Torbogen thronte ein lebender, schwarzer Rabe. Im Bootshaus saß der Senior-Inhaber der Schule, der schon weit über 80 Jahre alt sein musste, in einer Art Klappstuhl. Er sah aus wie ein greiser Marineoffizier mit Kapitänsmütze, weißem Bart und Nickelbrille. Die Lehrer hielten die Jugendlichen nun an, sich hintereinander vor dem alten Mann aufzustellen. Dieser streckte dem vordersten Segelschüler die Hand mit festem Händedruck entgegen und wechselte einige Worte mit leiser, heiser klingender Stimme. Dann schritt die begrüßte Person bei Seite und der Hintermann war an der Reihe. Die Prozedur dauerte gute 15 Minuten. Währenddessen war es mucks Mäuschen still.

Der alte Kapitän strahlte etwas Würdevolles aus. Es war zwar eine altmodisch anmutende Situation aber irgendwie auch feierlich. Der Juniorchef der Segelschule brach die Stille und ergriff mit kräftiger Stimme das Wort: „Nachdem ihr jetzt alle meinen Vater, den Gründer der Segelschule Weidl, kennen gelernt habt, möchte ich nun mit euch den Ablauf des Tages besprechen. Am Vormittag werden wir uns mit Theorie beschäftigen und ihr habt dabei Zeit euere Crewmitglieder kennen zu lernen. Am Nachmittag geht’s dann hinaus auf den See. Jede Besatzung besteht aus 3-4 Personen, wobei der Bootsführer von unseren Stammgästen, die bereits einen A-Schein besitzen, gestellt wird. Eine Mitschülerin von euch hat schon den Segelschein. Sie darf dann selbst ein Boot führen.“ Nach 90 Minuten Theorie über den Unterschied zwischen Wende und Halse und den verschiedenen Kursen, die ein Segelboot fahren kann, war eine erste Pause angesetzt.

„Hallo ich bin Jenny!“ Ein recht zierlich wirkendes Mädchen mit über schulterlangem, braunem Haar sah mit ihren türkis blauen, beinahe stechend wirkenden Augen zwei Jungs an, die schüchtern am Steg standen und noch kein Wort an diesem Vormittag gewechselt hatten. „Ihr seid doch die beiden in meinem Boot?“ drängelte Jenny, die schon dachte die beiden wären taubstumm. „Ja, ich glaub schon.“ Der Junge war groß gewachsen, hager und schlaksig. Seine hellblonden Haare hingen ihm widerspenstig in sein Gesicht. Die dicke Brille, die er trug, war alles andere als cool. „Wo bin ich denn da nur hingekommen“, dachte sich Ronny. „Er, der bleicher Engländer, ist der volle Luschi und dann noch ein Mädchen als Bootführerin. Die Ferien fangen ja gut an!“

„Und hast du auch einen Namen?“ Der blasse Junge lief schamrot an, als Jenny ihm in die Augen sah. Er fingerte nervös an der Gürteltasche seines Leathermans und stammelte leise: „Nick, ich meine, ich heiße Nick Stone.“ „Ja super und sonst noch was, irgendwelche Hobbys oder so was.“ Nick wusste nicht so recht was er sagen sollte und bis er sich auf Deutsch einen Satz zu Recht gelegt hatte, streckte Jenny schon Ronny ihre Hand entgegen. „Hallo ich bin Jenny Braun, ich habe schon einen Segelschein, darum haben wir auch sonst keinen mehr im Boot. Aber keine Angst, meine Eltern haben einen Korsar am Wannsee und ich segle schon so lange ich denken kann.“ „Was bitte ist ein Korsar?“, fragte Ronny. “Ah, das ist eine Jolle, ich meine ein Segelboot, so ähnlich wie die hier, nur moderner, mit Kunststoffrumpf und nicht aus Holz.“ „Aha, ja ich heiße Ronny Smith und wollte das Segeln hier mal ausprobieren.“

„Es geht weiter, jeder nimmt sich bitte ein Seil und zurück auf die Plätze, jetzt beginnt gleich Knotenkunde“, hallte die Stimme von Weidl Junior.

„Kenn` ich schon alles, ist irgendwie langweilig“, gähnte Jenny und setzte sich wieder auf ihren Platz.

„Mit Knoten kenne ich mich auch aus“, dachte Ronny, musste allerdings bald feststellen, dass sich Seemannsknoten ganz deutlich von den Knoten, die er vom Klettern her kannte, unterschieden.

Endlich war Mittagszeit und die ganze Meute marschierte hungrig die zehn Minuten zurück zum Jugendgästehaus, wo schon eine riesige Portion Spaghetti auf die hungrigen Mäuler wartete.

„Dein Deutsch ist echt gut“, Ronny klopfte in der Schlange der Essensausgabe auf Nicks Schulter, „Du bist doch Engländer?“

„Danke für das Kompliment, ich war beinahe drei Jahre in Bayern, im Kloster Schäftlarn auf der Schule, weil mein Vater hier geschäftlich zu tun hatte. Zuhause in London habe ich allerdings ebenfalls Deutsch gelernt.“

„Die Kleine, wie heißt sie noch mal, geht mir jetzt schon auf die Nerven. Bin gespannt wie sie uns auf dem Schiff rumkommandiert?“ lästerte Ronny. „Vorsicht sie kommt“, flüsterte Nick „Ja die Berliner haben eben bekanntermaßen eine große Klappe“, beendete Ronny seinen Satz. „Was hat eine große Klappe“, fragte Jenny und drängelte sich zwischen den beiden Jungs in die Schlange. „He, hintenanstellen“, fauchte jemand vom Ende der Schlange. „Entschuldige mal, wir sind eine Crew und essen auch zusammen, das verlangt der Teamgeist“, entgegnete Jenny bissig.

Nach dem Essen setzte sich der gesamte Tross wieder zurück zur Segelschule in Bewegung.