Rosa und die Monster - Norbert Lingen - E-Book

Rosa und die Monster E-Book

Norbert Lingen

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Beschreibung

Rosa weigert sich, bei ihren Großeltern zu über-nachten. Sie fürchtet sich vor den Monstern unter ihrem Bett. Die Angstphantasien von Kindern sind der Ausgangspunkt der spannenden und humorvollen Geschichte um die Ängste und Nöte von Kindern und Monstern. Nicht nur Kinder, auch Monster haben es schwer. Weil Rosa sich mit ihrem, zugegeben missglücktem, Monster Peppermint Dropso anfreundet, sorgt sie für eine Sinn-krise der Monstergemeinschaft. Die beiden ungleichen Freunde verlieren sich deshalb aus den Augen und Rosa riskiert einiges, um ihren geliebten Freund Peppermint Dropso wieder zu finden. Es stellt sich heraus, dass ein uralter Zugang zur Monsterwelt im Erlanger Naturschutzgebiet Exerzierplatz versteckt ist.

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Seitenzahl: 266

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Rosa und die Monster

Rosa und Peppermint Dropso werden Freunde

von

Norbert Lingen

© 2022 Norbert Lingen

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verfassers reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Illustration: Norbert Lingen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort 5

Worum geht es? 5

Prolog 6

Teil 1 Wie alles begann 10

Rosa hat nachts Angst 10

Die Monster kommen 14

Rosa holt sich Rat bei Opa 20

Opas Monster 24

Wie Opa sich von seinem Monster befreit hat 27

Rosa stellt sich ihrem Monster 34

Peppermint Dropso 38

Teil 2 Rosa und das Monster werden Freunde 46

Was ist eigentlich Angst? 46

Peppermint Dropso ist wieder da 51

Lisa lernt Peppermint Dropso kennen 58

Peppermint Dropso erzählt 61

Wo steckt Peppermint Dropso? 69

Rosas Traum 75

Friedas Problem und Rosas Lösung 78

Eine weitere unheimliche Begegnung 83

Überraschender Besuch 89

Teil 3 Rosa und Peppermint lernen sich besser kennen 94

Wie helfen Monster den Kindern? 94

Rosa reist nach Bestanien 97

Das schreckliche Monsterland 101

Unversehrt zurück 113

Frieda findet ihren Mut 117

Peppermint Dropso bringt eine Nachricht 123

Peppermint Dropso nimmt eine

Einladung an 128

Rosas zweiter Traum 131

Peppermint Dropso besucht die

Menschenwelt 134

Teil 4 Rosa verliert ihre Monster 144

Peppermint Dropso muss sich beruhigen 144

Rosa und Lisa wundern sich 145

Aufruhr in der Küche des Spukschlosses 147

Die Monster legen die Arbeit nieder 158

Der Oberdrahtzieher 161

Der Oberdrahtzieher erklärt den Monsterjob 165

Teil 5 Rosa bringt sich in Gefahr 173

Rosas dritter Traum 173

Die Suche nach dem Stollenbaum 177

Der Weg nach Bestanien 183

Rosa wird gefangen 190

Der Prozess 195

Der Oberdrahtzieher öffnet seinen Artgenossen die Augen 201

Epilog 208

Lerne die Monster dieses Buches genauer kennen 210

Vorwort

Worum geht es?

Hattest du schon einmal Kontakt zu Monstern? Ich meine die Kreaturen, vor denen man sich schrecklich fürchtet, die nachts unter deinem Bett oder im Schrank ihr Unwesen treiben. Du weißt sicher nicht, wie sie aussehen. Kein Wunder, denn kaum ein Kind traut sich, seinen unheimlichen Besucher anzusehen. Du versteckst dich eher unter deiner Bettdecke und hoffst, nicht gefunden zu werden, wie fast alle Kleinen.

Die Erwachsenen reden dir ein, Monster gäbe es nicht. Denn wenn sie existierten, wären sie sichtbar. Für sie ist nur existent, was man wahrnehmen und anfassen kann. Sicher haben die Großen aber nur verdrängt, was sie in ihrer Kindheit unter ihrem Bett oder in dunklen Ecken gefürchtet haben.

Ein Monster könnte dir einiges über die unaufmerksamen Erwachsenen erzählen, wie sie sich früher geängstigt haben. Du glaubst besser an sie, denn es gibt sie. Alle Menschen haben in ihrem Leben schon welche erlebt, selbst wenn sie nicht darüber reden oder es verdrängt haben. Monster sind Meister im Vergessen werden.

In dieser Geschichte wirst du einige seltsame Wesen kennenlernen. Monster sind anders. Was du in Erzählungen und Legenden gehört hast, entspricht zwar nicht immer der Wahrheit, erfunden ist es aber nicht.

Die wichtigste Frage lautet: Wo sind diese Kreaturen? Wenn sie existieren, sind sie zwangsläufig an irgendeinem Ort. Wo halten sich Monster normalerweise auf? Wo wohnen sie? Erwachsene können, und Kinder wollen sie meistens nicht sehen. Denn sie haben ausgezeichnete Verstecke, in denen sie von neugierigen Bälgern nicht so schnell aufgespürt oder zufällig gefunden werden. Einige mutige Kinder haben ihr ganzes Haus vom Boden bis zum Keller abgesucht und außer toten Spinnen und einem Spielzeug, das sie schon lange gesucht haben, nichts entdeckt.

Jedes Schulkind hat seine Erfahrungen mit Monstern. Sie kommen immer im Dunkeln und niemals tagsüber. Am Morgen findest du sie sicher nicht mehr dort, wo du sie in der Nacht vermutet hast. Selbst wenn du alles unter deinem Bett heraus räumtest, du fändest nichts. Ein Rätsel, das zu lösen in der folgenden Geschichte wichtig sein wird.

Wenn man sich klar macht, wie häufig Kinder aller vergangenen Generationen schon ihre Monster gesucht und offenbar niemals gefunden haben, wird deutlich, wie schwierig das Rätsel ist. Wie willst ausgerechnet du, nach Millionen vergeblicher Suchen, deine Geister finden? Das ist das Besondere an dieser Geschichte. Du wirst Rosa, die zehnjährige Viertklässlerin kennen lernen, wie sie als erstes Kind seit ewigen Zeiten ihr eigenes Monster näher kennenlernt. Mehr verrate ich jetzt nicht. Lese nur weiter, dann wirst du alles erfahren.

Prolog

Rosa ist tieftraurig. Alles ist anders. Sie schaut zwar jeden Tag in der Schule vorbei, sie besucht ihre Großeltern, nimmt ihren Klavierunterricht bei Opa und trifft ihre beste Freundin Lisa, doch ihr ganzes Leben ist unglücklich. Es ist, als fehle etwas Wichtiges. Rosa ist nicht so unbeschwert wie sonst, wenn sie mit Vergnügen stundenlang mit Lisa ratscht. Jetzt sieht man sie häufig grübelnd auf dem Schulhof oder Spielplatz stehen. Dann ist sie in Gedanken weit weg. Du kannst dir nicht vorstellen, wohin ihre Phantasien sie bei solchen Gelegenheiten führen. Natürlich nicht, aber es sind jetzt schon zwei Monate vergangen und kein Monster hat sich gezeigt. Rosa wartet jeden Abend sehnsüchtig auf die Gruselgeräusche unter dem Bett und die bedrohliche Verdüsterung der Stimmung in ihrem Zimmer. Doch nichts passiert.

Die meisten Kinder wären froh, wenn unter ihrem Bett nichts geschehen würde, aber Rosa ist anders. Sie kennt die Monsterwelt besser als die übrigen Kinder. Große Geheimnisse teilt sie mit den Monstern. Vor allem ist da ihre Freundschaft mit Peppermint Dropso. Sie will es nicht wahrhaben, dass er sie im Stich lässt. Irgendetwas muss passiert sein. Nur was? So grübelt und brütet sie immer häufiger und versinkt in dunkle Betrachtungen. Selbst Oma und Opa bemerken ihr verändertes Verhalten und dann hält Oma es nicht mehr aus. Sie mag ihre liebe Enkelin nicht leiden sehen, klopft an Rosas Tür, öffnet sie leise und betritt Rosas Zimmer:„Was ist denn los mit dir?“, fragt sie sachte. Sie sieht Rosa gedankenverloren auf ihrem Bett liegen.

Oma setzt sich auf die Bettkante und streicht Rosa übers Haar. Rosa seufzt. Wie soll sie Oma ihre Freundschaft mit einem Monster erklären?

„Ach, gar nichts“, Rosa dreht sich weg.

„Dich beschäftigt doch irgendetwas, das bemerkt doch jeder“, insistiert Oma.

Aber Rosa will nicht reden. Sie schweigt lange. Oma setzt sich auf die Bettkante und streicht Rosa übers Haar. Rosa seufzt. Wie soll sie Oma ihre Freundschaft mit einem Monster erklären? Oma kann ihren Peppermint nicht einmal sehen. Nein, das ist völlig unmöglich.

„Ich möchte nicht darüber reden“, versucht sie, ihre Oma loszuwerden. Rosa weiß, Oma meint es nur gut.

„Wenn du reden willst, weißt du wo du mich findest“, seufzt Oma. Sie erhebt sich von der Bettkante und verlässt Rosas Zimmer. Sie schließt die Tür so leise, als ob Rosa krank wäre. Jetzt ist nicht nur Rosa traurig, sondern auch Oma bewegen trübsinnige Gedanken.

Rosa würde zu gerne mit jemandem über Peppermint Dropso reden. Aber sie kann sich vor lauter Trübsal nicht aufraffen, irgendetwas zu unternehmen. Sie liegt nur da und könnte heulen. Ein paar Tränen stehlen sich aus ihren Augenwinkeln und rinnen über ihre Wangen. Sie will nicht weinen. Sie ist schließlich keine kleine Heulsuse mehr. Je länger es dauert, desto unruhiger wird sie. Mit feuchtem Blick setzt sie sich auf und sagt zu sich:

„Ich muss mit Lisa reden. Sie ist die Einzige, die das alles verstehen kann.“

Doch aufraffen kann sie sich nicht. Sie liegt wie gelähmt auf ihrem Bett und hat nicht die Energie aufzustehen und ihrer Freundin nebenan ihr Herz auszuschütten. Sie grübelt nur über Peppermint. Sie kuschelt sich unter ihre Decke und starrt gegen die Wand. Langsam fallen ihr die Augen zu. Sie kämpft dagegen an, reißt sie noch einmal auf, blinzelt wieder und dann sind sie endgültig zu. Sie atmet ruhiger und sinkt weg in einen tiefen Schlaf, der sie vielleicht der Lösung ihres Problems näherbringt.

Teil 1 Wie alles begann

Rosa hat nachts Angst

Wahrscheinlich bist du jetzt verwirrt. Was hat das Gerede über Monster für eine Bewandtnis? Kinder haben eigentlich Angst vor unheimlichen Kreaturen, warum Rosa nicht? Wieso kennt Rosa Monster sogar mit Vor- und Nachnamen? Vor allem ist es dir sicherlich das größte Rätsel, wie ein junges Mädchen wegen des Wegbleibens eines Monsters traurig sein kann. Die meisten Kinder wären glücklich. Ich sehe schon, ich sollte die Geschichte von Rosa besser von Beginn an erzählen.

Rosa lebt mit ihrer Familie in Erlangen, einer Großstadt in Franken. Hier ist sie geboren und fühlt sich wohl. Sie wohnt zusammen mit Mama, Papa und ihrer Schwester Cora in einer Doppelhaushälfte mit Garten. Als cleveres Mädchen geht sie gerne zur Schule, ist Viertklässlerin und lernt schnell und erfolgreich. Papa hat heute gemeinsam mit ihr das Elterngespräch zum Schuljahresende mit ihrer Klassenlehrerin geführt. Rosa gehört zu den besten Schülerinnen in der Klasse. Ihre Leistungen sind hervorragend. Sie scheut sich nicht vor den schwierigsten Aufgaben und beherrscht schon einiges vom Stoff höherer Jahrgangsstufen. Sie hat keine Ahnung, wie sie das macht. Besonders angestrengt hat sie sich jedenfalls nicht.

Rosa ist nicht schüchtern. Ihr kann man nichts vormachen. Was sie sich einmal in den Kopf gesetzt hat, führt sie auch durch. Rosa weiß, was sie will und kann sich durchsetzen. Andere nennen sie stur und dickköpfig, aber das stört sie nicht. Papa meint, sie sei genau richtig und das reicht ihr.

Lisa wohnt im gleichen Haus wie Oma und Opa, direkt in der benachbarten Wohnung im dritten Stock.

Rosa hat einige Freundinnen in ihrer Klasse. Ihre beste Freundin besucht jedoch eine andere Schule. Lisa wohnt im gleichen Haus wie Oma und Opa, direkt in der benachbarten Wohnung im dritten Stock. Rosa ist jetzt zehn Jahre alt, wird aber in einigen Wochen elf. Ihre Haare sind mittelbraun und hüftlang. Deshalb legt sie großen Wert auf sie und benötigt jeden Morgen mindesens eine viertel Stunde, sie zu kämmen. Sie behauptet mit einem Augenzwinkern, es seien nur drei Minuten. Ihre ausdrucksvollen runden braunen Augen sind umrandet von makellos weißen Augäpfeln. Sie hat eine laute Stimme, die sie manchmal zum Quieken jedoch oft zum Singen einsetzt. Rosa singt wie eine Lerche und ist überhaupt äußerst musikalisch. Sie lernt Klavier und Gitarre und hätte noch mehr Spaß daran, wenn das ewige Üben nicht wäre.

Sie ist oft bei Oma und Opa, die in dem Haus wohnen, wo Rosa und ihre Familie früher gewohnt haben. Hier lebt auch Lisa. Sie wohnt direkt gegenüber von Oma und Opa im dritten, obersten Stockwerk. Rosa besucht Oma und Opa oft nach der Schule und schläft auch gerne dort, meistens über das Wochenende. Wenn ich genau sein soll, hat sie immer gerne dort geschlafen. Jetzt will sie nichts mehr davon wissen. Oma, Opa und Papa haben mit Mühe herausbekommen, was dahinter steckt.

„Wegen der Monster“, hat sie nur gesagt.

Oma, Opa und Papa sind einigermaßen ratlos.

„Welche Monster denn? Wir haben in unserer Wohnung noch keine gesehen.“

„Natürlich nicht“, ist Rosa überzeugt, „Monster zeigen sich schließlich nur ihren Opfern, den Kindern. Sie haben es auf mich abgesehen und auf niemanden sonst hier.“

Opa erinnert sich. Rosa hat am vorletzten Wochenende sehr unruhig geschlafen. Sie wurde plötzlich wach und wollte nicht mehr alleine bleiben. Opa hat sie schließlich mit in sein Bett genommen. Es dauert einige Zeit, bis sie endlich wieder eingeschlafen ist. Am nächsten Morgen erzählte sie von seltsamen Geräuschen und ihrer Angst, die sie daraufhin bekommen hat. Papa meint, sie träume zuletzt schlecht.

Rosa hat geschworen, erst dann wieder bei Oma und Opa zu übernachten, wenn sie keine Angst mehr hat. Das wiederum gefällt Oma und Opa gar nicht, weil sie Rosa immer gerne bei sich haben. Doch zunächst gibt es keine Lösung für das Problem, denn Rosa wird auch zu Hause nachts häufig wach. Doch das ist nicht so schlimm, weil es zu Hause passiert.

„Mein Papa kann das besser als du. Papa kann mich eher trösten. Dir habe ich alles, was du tun sollst, sagen müssen“, hat Rosa nach dieser besagten Nacht zu Opa gesagt.

„Dann muss ich das eben lernen“, antwortet Opa, „und du musst mir dabei helfen. Denn nur du weißt, was notwendig ist, wenn du wieder einmal Angst hast in der Nacht.“

Rosa überlegt kurz und man sieht ihr die Denkarbeit förmlich an. Doch ehe ihr Gehirn vollends heiß läuft, fragt sie:

„Aber wie soll das gehen? Dann müsste ich ja bei euch schlafen und das will ich nicht, so lange ich noch Angst bekomme.“

„Und ich kann nicht lernen, dir zu helfen. Da müssen wir uns etwas Gutes überlegen“, denkt Opa laut nach, „du hast doch eben Monster erwähnt. Haben die etwas mit deiner Angst zu tun?“

„Ich glaube schon. Wer soll sonst solche komischen und unheimlichen Geräusche machen?“, antwortet Rosa und sie ist ein klein wenig aufgeregt.

„Und wie sehen diese unheimlichen Monster aus?“, fragt Opa neugierig.

„Das weiß ich nicht. Ich habe noch nie eines gesehen“, ist Rosa jetzt doch verunsichert.

„Das solltest du ändern“, schlägt Opa vor, „Vielleicht hast du gar keine Angst mehr, wenn du das Monster einmal gesehen hast. Vielleicht ist es ganz winzig oder völlig harmlos.“

„Es kann aber auch riesig und gefährlich sein“, ist Rosa skeptisch.

„Ja“, gibt Opa zu, „das kann natürlich auch sein. Aber selbst, wenn dein Monster ganz bedrohlich ist, ist es doch besser für dich das zu wissen. Denn nur wenn du weißt wovor du Angst hast, kannst du etwas dagegen tun.“

Rosa überlegt und schaut Papa fragend an. Der nickt mit dem Kopf und bestätigt:

„Opa hat vollkommen recht. Man kann seine Angst nur besiegen, wenn man den Grund dafür kennt.“

Für Rosa ist das jetzt zu viel. Sie will darüber nicht mehr reden. Sonst bekommt sie schon am helllichten Tag Angst vor Monstern. Heute Abend möchte sie jedenfalls zu hause schlafen. Oma und Opa sind natürlich einverstanden.

„Aber wenn du morgen wieder kommst, sprechen wir nochmal über deine Monster. Tagsüber kann ja nichts passieren. Eigentlich sind die Monster ja feige, weil die sich nur nachts im Dunkeln etwas trauen.“

Oma und Opa verabschieden sich von ihrer geliebten Rosa und Papa nimmt sie mit.

Die Monster kommen

Rosa freut sich auf das Abendessen. Heute gibt es Burger. Das ist eines ihr neunzehn Lieblingsessen. Dazu gehören Kloß mit Soß, Schweinebraten, Pizza, Döner, Lasagne, Gulasch, Hähnchen, Nudelsuppe und Leberklöß. Mama und Cora, ihre große Schwester, haben die Burger schon vorbereitet. Papa und Rosa müssen sich nur noch an den gedeckten Tisch setzen und können loslegen. Die vier essen, was das Zeug hält. Obwohl sie mustergültig sind, schafft Rosa nur einen Burger. Papa isst locker zwei. Der Haken der perfekten Mahlzeit kommt dann für Papa und Rosa. Die beiden müssen die Spülmaschine einräumen und die Küche in Ordnung bringen, weil Cora und Mama schon gekocht und den Tisch gedeckt haben. Das gefällt Rosa weniger.

„Immer muss ich das schmutzige Geschirr wegräumen, Cora macht immer nur die saubere Arbeit. Das ist gemein“, schimpft Rosa los. Papa schaut etwas irritiert auf seine Tochter herunter:

„Was denkst du, wie viele Teller du bis jetzt weggeräumt hast?“, fragt er überrascht, denn eigentlich hat er bis auf einen Teller und ein Messer alles alleine in die Spülmaschine eingeräumt.

„Aber trotzdem“, schimpft Rosa und verschwindet die Treppe hoch in ihr Zimmer.

Rosas Bude liegt im ersten Stock des Hauses. Zwei Räume weiter hat Cora ihr Zimmer. Mama und Papa schlafen eine weitere Etage höher unter dem Dach. Das gefällt Rosa nicht. Sie hätte ihre Eltern nachts lieber ein klein wenig näher bei sich. Wenn sie abends in ihrem Bett liegt, kommt sie sich oft alleine vor. Cora hört ohnehin nie etwas und kann sich nicht kümmern, weil sie so fest schläft.

Ein Bett, einen Schreibtisch, eine kleine Kommode und einen Kleiderschrank stehen in Rosas Zimmer. Links neben dem Fenster ist ein Schaukelsessel an der Decke befestigt, in dem Rosa am liebsten sitzt. Ansonsten ist der Fußboden übersäht mit Spielzeug, Papierschnipseln, Klamotten, Stiften und allen Sachen, die man so in dem Kinderzimmer eines zehnjährigen Mädchens finden kann. Sie hat einen Schriftzug aus Leuchtbuchstaben an der Wand. Den lässt sie nachts immer brennen. „Hello“ steht dort. Vor dem Fenster prangt ein kleiner Weihnachtsbaum mit wunderschönen rosa Kugeln und silbernen Sternen. Das Highlight ist ein weißes Einhorn aus bemaltem Glas, das an einer Schnur von einem Zweig des Bäumchens herabhängt. Das hat sie von Oma bekommen. Die rosa Kugeln stammen von Mama. Opa hatte ihr den Wunsch nach einem eigenen Weihnachtsbäumchen erfüllt und hat mit ihr zusammen eines gekauft.

Rosa fühlt sich wohl in ihrem Zimmer, spielt häufig dort oder schaut sich auf Papas Tablet einen Film an. Wenn es Abend wird und es langsam dunkelt, ist es bei ihrer besonderen Beleuchtung durch Wandlampe und Weihnachtsbaum gemütlich. Doch irgendwann muss sie ins Bett. Sie läuft immer noch einmal hinunter ins Wohnzimmer und kuschelt auf dem Sofa mit Papa oder Mama. Spätestens um neun ist aber Schluss:

„Jetzt geht es aber in Bett“, sagt Papa und Rosa hat dann immer noch Hunger und Durst oder sie muss Papa noch etwas Besonderes zeigen, was sie heute in der Schule erarbeitet hat. Meistens holt Rosa eine Viertelstunde heraus, aber dann lässt es sich nicht mehr aufhalten. Sie muss ins Bett.

„Ach Papa, ich bin noch gar nicht müde“, jammert Rosa.

„Morgen musst Du wieder früh aufstehen. Geh bitte hoch, sonst bist du morgen früh nicht ausgeschlafen.“

„Aber Papa“, versucht sie es noch einmal.

„Du kannst ja noch ein klein wenig lesen“, schlägt Papa vor.

Spätestens dann muss Rosa sich geschlagen geben, gibt Mama und Papa einen Gutenachtkuss und trödelt hoch in ihr Zimmer. Manchmal schleicht sie sich noch einmal die Treppe aus grauem Granit hinunter und lauert heimlich auf den Fernseher. Nachdem sie ertappt worden ist und Papa mit ihr geschimpft hat, macht sie das nicht mehr so oft.

Dann kriecht sie in ihr Bett und kuschelt sich ein. Sie nimmt ihr Buch zur Hand und schaut in ihre geliebten Geschichten über Pferde hinein. Sie liest gerne und schafft die ersten Seiten schnell. Sie vertieft sich gerade richtig in die Handlung, als sie ein leises Geräusch wahrnimmt. Es tönt wie ein trockenes Kratzen. Es ist kaum vernehmbar, so dass sie sich zunächst nichts dabei denkt. Sie liest weiter und wird langsam müde, als sie das Scharren schon wieder hört. Diesmal ein wenig lauter. Sie spitzt die Ohren und ihr läuft ein kleiner Schauer über den Rücken.

„Was ist das?“, fragt sie sich angstvoll.

Es hört sich an wie ein leichtes Schleifen am Boden. Es scheint, das Ding versucht, möglichst leise zu sein. Das macht ihr ein wenig Angst. Sie kriecht etwas mehr unter ihre Decke und lauscht angespannt. Wo kommen die Geräusche her? Der Raum ist nur von dem Schriftzug und ihrer Nachttischlampe beleuchtet. Sie erkennt in den ferneren Winkeln, neben dem Kleiderschrank oder unter dem Schreibtisch, außer dunkler Löcher nichts. Die Stimmung im Zimmer verändert sich, kaum etwas Gemütliches. Es fühlt sich kühler an und Rosa beginnt leicht zu schlottern unter ihrer Zudecke.

Just in diesem Moment wird es in Rosas Kinderzimmer so gruselig, dass sie sich nicht mehr zu rühren traut.

Jetzt hört sie plötzlich wieder ein Schaben, lauter, und zwar genau unter ihrer Schlafstelle. Ihr wird mulmig. Sie hat Mühe nicht loszuheulen oder um Hilfe zu rufen. Aber wenn sie riefe, wer weiß, was das Ding unter dem Bett mit ihr anstellen würde. Just in diesem Moment wird es in Rosas Kinderzimmer so gruselig, dass sie sich nicht mehr zu rühren traut. Sie glaubt, die geringste Bewegung würde sie verraten. Rosa zieht sich langsam und leise die Bettdecke über den Kopf und verkriecht sich darunter. Doch schützt sie wirklich?

Als sie jetzt das laute Klopfen hört, will sie aufspringen und flüchten. Bloß bringt sie es nicht fertig. Sie liegt regungslos in ihrem Bett und ist starr vor Angst.

Nach einer Weile gehen ihre Augen auf und sie schaut sich verwundert um. Sie hat doch nicht geschlafen? Jetzt ist sie vollkommen verwirrt, springt auf, reißt ihre Zimmertür auf und rennt hoch in Mamas und Papas Schlafzimmer. Sie öffnet die Tür und krabbelt in Papas Bett.

„Was ist los, Rosa?“, fragt Papa verschlafen und dreht sich ihr zu.

„Ich habe Angst“, flüstert Rosa zitternd und kuschelt sich dicht an ihn.

„Wovor hast du denn Angst?“, will Papa leise wissen, Mama schläft im Bett nebenan, „du zitterst ja richtig.“

„Ich weiß nicht. Ich habe so komische Geräusche gehört.“

„Woher kamen die Geräusche?“, fragt Papa geduldig.

„Ich weiß es nicht. Vielleicht habe ich auch nur geträumt“, Rosa ist unsicher, weil sie ihr Einschlafen gar nicht bemerkt hatte.

„Soll ich dich wieder herunter bringen in dein Bett?“, fragt Papa hoffnungsvoll, denn wenn Rosa in seinem Bett liegt, dann schläft nur eine und das ist Rosa. Sie dreht und wendet sich immer wieder und irgendwann liegt sie quer in Papas Bett und er kann nicht schlafen.

Rosa weiß das alles, aber sie hat nicht den Mut, alleine in ihrem Zimmer zu bleiben, wenn es dunkle Nacht ist. Möglicherweise ist noch nicht einmal die Geisterstunde vorbei. So hält sich Rosas Mitleid in Grenzen und Papa muss in den sauren Apfel beißen.

„Ok, bleib hier und schlafe bei mir“, sagt er beruhigend und Rosa kuschelt sich beruhigt an ihn und versucht einzuschlafen.

Das Einschlafen ist nicht so einfach, wenn man so aufgeregt ist. So dauert es ein wenig, bis Papa die ruhigen und tiefen Atemzüge hört, die den festen Schlaf Rosas anzeigen. Papa konnte bis jetzt nicht einschlafen, weil er sich nicht so hinlegen kann, wie er es gewohnt ist. Er wartet ein paar Minuten, dann steht er auf, nimmt Rosa auf den Arm, trägt sie die Treppe hinunter und legt sie dort ins Bett. Er deckt sie warm zu und schaut sich sicherheitshalber um, ob er die Ursache des Geräusches findet, doch er entdeckt nichts und geht wieder hoch in sein Bett.

Der Rest der Nacht verläuft für alle ruhig. Papa kann durchschlafen, Rosa wird nicht mehr wach und Cora merkt ohnehin nichts. Mama ist zuerst aufgestanden, weil sie Frühdienst hat. Sie ist Krankenschwester in der Notaufnahme im Waldkrankenhaus.

Papa weckt Rosa, indem er ihr die Wange streichelt. Sie wird langsam wach und kuschelt ein klein wenig mit ihm. Jetzt, wo der neue Tag anbricht, hat sie keine Spur von Angst mehr, obwohl es im Winter immer noch dunkel ist. Aber der frühe Tag und das kommende Tageslicht geben den Menschen Mut. Plötzlich fallen ihr die gruseligen Geräusche von gestern Nacht ein. Sie springt gleich aus ihrem Bett, legt sich auf den Boden und schaut darunter. Sie räumt alles heraus, was an Spielzeug, Stiften, Schnipseln, Kuscheltieren und sonst noch unter dem Bett liegt, bis sie sich von der Abwesenheit jeglicher Monster überzeugt hat.

„Was machst du?“, fragt Papa überrascht.

„Na, ich habe nur überprüft, ob vielleicht ein Monster unter meinem Bett liegt, das die Geräusche diese Nacht gemacht hat“, antwortet Rosa.

„Und du hast jetzt keine Angst? Es ist doch immer noch dunkel.“

„Ja, aber es ist Morgen, keine Nacht mehr. Ein neuer Tag ist da. Da habe ich keine Angst“, sagt Rosa fröhlich und sucht ihre Anziehsachen für heute zusammen.

Rosa holt sich Rat bei Opa

Dienstags ist der beste Schultag der Woche. Die Schüler besuchen vormittags bis gegen 14:00 Uhr die Jugendfarm. Das ist ein riesiges Gelände mit Gebäuden, Spielplatz, Café, Ställen mit Tieren und Wald in der Umgebung. Die Kinder haben dort die Gelegenheit in und mit der Natur zu spielen und zu experimentieren. Sie arbeiten mit Pferden und mit anderen Tieren tollen sie herum. Es gibt Lagerfeuer und Mittagessen, draußen an einem groben Holztisch. Es ist klar, dass diese Einrichtung äußerst beliebt ist.

Bis 16:00 Uhr verbringen die Schulkinder die Zeit mit Freiarbeit in der Schule. Dienstags holt Opa Rosa immer nach dem Unterricht ab und gemeinsam geht es nach Hause, nicht zu Papa und Mama, sondern zu Oma und Opa. Dort ist Rosa auch zu Hause. Sie sagt, sie habe zwei zuhause, jedoch nur eines, wo sie derzeit schlafen will.

Opa ist meistens lustig, meint Rosa, aber manchmal ist er geistesabwesend. Jeden Morgen, wenn er zur Arbeit will, geht Oma mit ihm seine persönliche Checkliste durch:

„Hast du deinen Schlüssel?“

Opa schaut nach: „Ja“

„Deine Brille?“

„Auf der Nase“

„Deinen Geldbeutel?“

Opa tastet seine Jackentasche ab: „Nein, wo ist der denn schon wieder?“

Jetzt wird die Suche hektisch, bis er seinen Geldbeutel an der Stelle wiedergefunden hat, wo er ihn zuletzt abgelegt hat. Das hatte er vergessen.

„Dein Handy?“

„Hab‘ ich?“

„Deinen Autoschlüssel?“

Den hat Opa in der Hosentasche.

„In Ordnung, dann kannst du gehen“, sagt Oma zufrieden.

Opa nickt, zieht seine Schuhe an und marschiert los zur Arbeit. Es dauert keine fünf Minuten, da hört Oma den Schlüssel in der Tür und Opa ist wieder da:

„Ich habe meine Hörgeräte vergessen“, sagt er kurz angebunden, weil er sich über sich selbst ärgert, wenn er etwas vergisst.

„Dann müssen wir die Checkliste wohl ab morgen erweitern“, meint Oma nur schmunzelnd und Opa wendet sich, zur Tür.

Ehe er sie schließt, dreht er sich um, schießt in die Küche und schnappt seinen Wohnungsschlüssel von der Arbeitsplatte, den er zwischenzeitlich dort abgelegt hatte. Das war knapp, denkt Opa.

So hat Oma jeden Morgen ihre liebe Mühe und Not, Opa voll ausgestattet zur Arbeit zu bugsieren.

Opa gibt Rosa dienstags Klavierunterricht. Er spielt gerne Klavier und Rosa hat festgestellt, dass ihr das auch Spaß macht. Sie findet neue Stücke zwar immer schwer und glaubt am Anfang nie an den Erfolg. Aber wenn sie das es dann nach mehrmaligem Durchspielen beherrscht, ist sie zufrieden und spielt es von da an gern.

Heute sitzt Rosa wieder am Klavier und hat ein neues Stück vor sich: „Hänsel und Gretel verirren sich im Wald“. Die Melodie kennt sie und hat es schon oft gesungen. So macht ihr das Üben besonders Spaß. Im Notenheft ist links das kleine Lied in Noten aufgeschrieben und rechts ist ein gruseliges Bild gemalt. Dort sieht man knorrige dicke Bäume, einer neben dem anderen, ein Wald. Die alten Bäume haben keine Blätter und sind dunkelgrau und haben unheimliche Gesichter. Es ist Winter und Nacht. Aus der Vogelperspektive schaut man nach unten und sieht tief am Boden zwei kleine Kinder in bunten Kleidern. Sie wirken in diesem düsteren Wald einsam und verloren. Wie gesagt eine gruselige Darstellung.

„Wenn ich das Bild noch lange anschaue, bekomme ich diese Nacht wieder Albträume“, sagt Rosa so leichthin.

„Dann konzentriere dich einfach nur auf die Noten und spiele das schöne Lied“, rät Opa ihr, „Hast du denn gestern Nacht schlecht geträumt?“

Rosa zögert, sie spricht nicht gerne über ihre unruhigen Träume und ihre Angst. Aber jetzt hat sie ja schon selber davon angefangen:

„Ich weiß nicht“, sagt sie nachdenklich, „ich bin nicht sicher wann ich wach war und wann ich geschlafen habe.“

„Was ist denn passiert?“, fragt Opa.

„Nichts, das ist es ja. Ich habe ganz leise unheimliche Geräusche gehört und mir hat es gegruselt. Dann wurde ich wach, obwohl ich eigentlich nicht geschlafen habe und hatte eine ganz schlimme Angst. Dann bin ich aufgesprungen und zu Papa ins Bett gelaufen.“

„Wieso hattest du denn Angst?“

„Ich weiß es nicht. Es war so komisch. Ich dachte ich wäre noch wach und habe doch schon geschlafen und dann die komischen Geräusche. Die waren unter meinem Bett.“

„Hast du denn nachgesehen, was die Ursache für die Geräusche war?“

Rosa schaut Opa entsetzt an:

„Nachgesehen? Nein, auf keinen Fall. Das hätte ich mich nie getraut.“

„Ich wette am nächsten Morgen hast du nachgesehen“, sagt Opa.

„Woher weißt du das?“, Rosa schaut ihn verwundert an.

„Das habe ich früher, als ich so alt war wie du, auch gemacht“, Opa lächelt etwas verschmitzt.

„Hast du früher auch Angst gehabt?“, fragt Rosa ungläubig.

„Ja und wie“, antwortet Opa und erinnert sich, obwohl es schon so lange her ist, mit einem unguten Gefühl im Magen, „Manchmal habe ich ganz fürchterlich Angst gehabt. Ich hatte sogar Monster in meinem Kinderzimmer.“

„Was“, fragt Rosa entsetzt, „hast du die Monster gesehen?“

„Ja sicher“, sagt Opa, „und es war damals genau wie bei dir heute. Sobald es Tag und hell war, wirkten die ganzen Monster, oder das was man nachts dafür hielt, völlig harmlos und nachts, wenn es dunkel war haben sie ihren Schrecken verbreitet.“

Rosa ist beeindruckt. Das hätte sie nicht vermutet, dass ihr Opa, der vor gar nichts Angst zu haben zu scheint, genau wie ihr Papa, ihre Gefühle kennt. Andere Erwachsene behaupten immer, es gäbe keine Monster. Das interessiert sie plötzlich ungemein. Der heutige Klavierunterricht ist zuerst mal vergessen. Das will sie jetzt genau wissen:

„Opa, erzähle einmal ganz genau, wovor du früher Angst gehabt hast.“

„Das kann ich dir beschreiben, denn das habe ich mein ganzes Leben lang nicht mehr vergessen.“

Opas Monster

Rosa zieht Opa mit sich in ihr Zimmer und drückt die Tür hinter ihnen zu. Oma ist in der Küche und wundert sich, was die beiden wieder für Geheimnisse haben. Sie setzen sich auf Rosas Bettsofa und sie kuschelt sich eng an Opa, genauso, als wenn er ihr jetzt eine Geschichte vorlesen wollte.

„Wo ist meine Brille?“, fragt er und tastet suchend an Stirn und Kopf.

„Die brauchst du doch jetzt nicht. Du wirst mir doch nichts vorlesen wollen, oder?“, meint Rosa seufzend. Sie kennt Opas Vergesslichkeit.

„Nein, nein, ich meinte nur so grundsätzlich?“, redet Opa sich heraus. Er räuspert sich und drückt sie nochmal kräftig und liebevoll an sich.

„Na gut“, sagt Opa und sortiert seine Gedanken, „Ich schlief früher mit meinem kleinen Bruder zusammen in einem Zimmer. Es war nicht sonderlich groß. Wir schliefen in einem Etagenbett, er oben und ich unten. Ein großer alter Kleiderschrank und unser Bett standen darin. Dann war da noch ein Kleiderhaken. Der hing an der Wand, rechts neben der Türe. Dieser Kleiderhaken war vollbehängt mit Jacken und Mänteln. Da hing eine Jacke über der anderen und noch ein Mantel und noch ein Mantel darüber. Der Haken war nicht mehr zu sehen und er war dick behängt. Er war auf der Höhe des Türsturzes in der Wand befestigt. Dieser Berg von Jacken und Mänteln hat mich tagsüber gar nicht gestört. Es waren eben Jacken und Mäntel oben drauf noch ein zwei Hüte und sonst nichts.“

Opa sieht Rosa in die Augen, die aufmerksam zuhört und offensichtlich keine Idee hat, worauf die Geschichte hinausläuft. Opa erinnert sich nur zu gut:

„Wenn wir abends ins Bett mussten, sollten wir sofort schlafen und das Licht löschen. Ich hatte aber immer eine Taschenlampe und habe noch heimlich unter der Decke gelesen. Während des Lesens war ich abgelenkt und konzentrierte mich auf die meist spannende Geschichte. Doch irgendwann hörte ich ein Geräusch. Mein Bruder über mir im Bett schlief schon. Als ich ein weiteres Mal ein ungewöhnliches Geräusch hörte machte ich meine Taschenlampe aus und lauerte unter der Decke hervor. Und da sah ich es. Es war riesig und schwarz. Es sah aus wie eine aufrechtstehende Gestalt, die einen großen Hut tief ins Gesicht gezogen hatte. Das konnte ich alles nur vermuten, weil es ja dunkel war im Zimmer. Ich zog meine Decke schnell wieder über den Kopf und vor lauter Angst traute ich nicht mehr mich zu rühren. Was wollte das Monster in unserem Zimmer? Mein Herz schlug bis zum Hals und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Herauslaufen konnte ich nicht, denn das Monster stand gleich neben der Türe und hätte mich bestimmt gepackt.“

Rosa saß da mit schreckgeweiteten Augen auf dem Sofa.

„Rosa, mache ich dir Angst?“

„Nein Opa, aber das ist so spannend.“

Opa lächelt in sich hinein und erzählt weiter: