Ruby Fairygale (Band 5) - Der verbotene Zauber - Kira Gembri - E-Book
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Ruby Fairygale (Band 5) - Der verbotene Zauber E-Book

Kira Gembri

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Beschreibung

Ruby lebt auf einer windumtosten Insel. Dort kümmert sie sich um verletzte Tiere und magische Fabelwesen … Band 5 der magischen Fantasyreihe zum Eintauchen in eine andere Welt … Noah ist seit einigen Wochen auf einem Internat in Kalifornien und Ruby vermisst ihn sehr. Außerdem macht sie sich Sorgen um ihn: Warum meldet er sich nie und antwortet auch auf keine ihrer E-Mails? Ob ihm etwas zugestoßen ist? Ruby muss unbedingt zu ihm! Zusammen mit Felicity schmiedet sie einen Plan – doch dazu gehört ein streng verbotener Zauber aus der Feenwelt. Im fünften Band dieser fabelhaften Kinderbuchreihe wartet ein neues Abenteuer auf Ruby und ihre Freund*innen. Voller Fantasie und untermalt von stimmungsvollen Illustrationen erzählt Bestsellerautorin Kira Gembri die Fortsetzung der Geschichte für Kinder ab 10 Jahren. Dieser Titel ist auf Antolin gelistet.

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Seitenzahl: 251

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Inhalt

Funkstille

Ein geflügelter Notruf

Die Tochter des Nachtelfen

Torte, Tratsch und Traditionen

Spiel mit dem Feuer

Flynn geht ein Licht auf

Verbotene Türen

Abflug!

Nichts als Probleme

Sprung ins Ungewisse

Etwas ist faul

Ich und … ich?

Ein magisches Missgeschick

Die perfekte Zeit

Zoff im Inselzentrum

Ein Schritt in die Vergangenheit

Strohdächer und Rübenschädel

Halloween bei Eileen

Rettet die Irrlichter!

Schloss Greenwood

Eine finstere Überraschung

Elfenzorn

Falscher Alarm

Gedächtnislücken haben Tücken

Es wird eng

Tee im Morgengrauen

Ein gebrochener Schwur

Angeklagt

Das Urteil des Hohen Rates

Erst ein Schatz – dann ein Schmatz

Samhain

1. KAPITEL

Funkstille

FRÄULEIN FAIRYGALE!“

Erschrocken zuckte ich zusammen. Als ich mich umdrehte, sah ich den alten Fergus, der mich empört anstarrte. Wie üblich saß die Möwe Meinsmeins auf seiner Schulter und der Ghul stand neben ihm. Schnell zog ich den Kopf ein und bemühte mich um einen zerknirschten Gesichtsausdruck. Mit diesem Dreiergespann war nicht zu spaßen, das wusste ich. Meinsmeins benahm sich gerne unverschämt, der Ghul hatte immer schlechte Laune und Fergus – nun ja, auf den traf eigentlich beides zu.

„Ich glaub, ich seh nicht recht!“, zeterte er jetzt, die knorrigen Hände in die Seiten gestemmt. „Hast du dich etwa vorgedrängelt? Und das auch noch an einem Montagmorgen, nachdem gerade das Postschiff gekommen ist?!“ Entrüstet schüttelte er den Kopf, so als hätte ich ihn persönlich beleidigt. Die Ankunft der Briefe und Pakete war immer noch jede Woche ein echter Höhepunkt, obwohl das Leben auf Patch Island insgesamt ziemlich spannend geworden war. Seit einiger Zeit gehörten nämlich nicht nur Hühner, Kaninchen und Schafe zum Alltag der Inselbewohner, sondern auch Feen, Meerjungfrauen und andere Fabelwesen. Entsprechend wuselig ging es jetzt im Gasthaus zu, aber ich hatte mich trotzdem bis nach vorne durchkämpfen können.

Hinter dem Tresen stand Brenda Graham und strahlte über das ganze Gesicht. Wenn sie außer Wirtin und Köchin auch noch Postbeamtin war, hatte sie immer besonders gute Laune. „Nur die Ruhe, meine Lieben“, sagte sie. „Lasst mich kurz die Briefe sortieren, dann gebe ich jedem seine Post!“

„Auch uns, auch uns?“, krakeelten ein paar Kobolde. Sie hüpften auf den Tresen und begannen, miteinander zu tuscheln. Bestimmt suchten sie nach einem Reimwort auf uns. Kobolde liebten es zu dichten, waren aber nicht besonders gut darin.

„Und auch wir, und auch wir, kriegen Briefe aus Papier?“, schlug einer von ihnen vor.

„Briefe sind immer aus Papier“, bemerkte Flynn, der es nun ebenfalls bis zum Tresen geschafft hatte. „Könnt ihr denn überhaupt lesen?“

Die Kobolde streckten meinem Halbbruder ihre winzigen Zungen heraus. „Klar können wir lesen. Jetzt friss einen Besen!“, rief einer von ihnen und die anderen johlten vor Vergnügen.

„Ich muss euch leider enttäuschen“, sagte Brenda, ehe sie sich an den alten Fergus wandte. „Genau wie dich. Oder hast du diesmal vielleicht deinen Ausweis dabei?“

Sofort wurde es in der Gaststube mucksmäuschenstill. Jeder auf Patch Island wusste, dass Fergus seinen Ausweis vor Ewigkeiten verloren hatte. Wahrscheinlich hatte sich das sogar schon in der Feenwelt herumgesprochen. Trotzdem fragte ihn Brenda jeden Montag danach und die zwei lieferten sich dann einen ordentlichen Streit. Heute jedoch schien der alte Fergus nicht in der richtigen Stimmung dafür zu sein.

„Fräulein Graham“, sagte er, so als wäre Brenda nicht über vierzig Jahre alt, sondern eher dreizehn, so wie ich. „Belästige mich nicht mit solchen Albernheiten! Ich erwarte ein ausgesprochen wichtiges Paket, Kreuzdonnerwetter noch mal!“

„Zerbeißen, durchbohren! Die Knochen verschmoren!“, fügte Mr Ghul hinzu. Auch er sprach meistens in Reimen, wenn auch in ziemlich ekelhaften. Zum Glück hatte er – anders als seine Artgenossen – keine wirkliche Lust, Menschen anzuknabbern. Stattdessen verputzte er lieber den Inhalt von Mülltonnen.

Seufzend nahm Brenda einen Karton und schob ihn über den Tresen. „Na schön, dann will ich mal ein Auge zudrücken. Darf ich fragen, was du da Lebenswichtiges bestellt hast?“

Fergus grapschte nach dem Karton wie ein Kobold nach einer Tüte gemischter Bonbons. „Darfst du“, brummte er gnädig. „Es sind Verkleidungssachen. Die schaurigsten, die ich im Katalog gefunden habe!“

„Für Halloween?“ Interessiert beugte Flynn sich vor. „Das ist ja schon bald! Ich hab noch nie eine richtige Halloween-Party erlebt …“

„… und das wirst du auch jetzt nicht“, schnitt Fergus ihm den Satz ab. „Mit so einem neumodischen amerikanischen Quatsch wie Halloween brauchst du hier gar nicht anzufangen. Auf Patch Island feiern wir Samhain, nach alter keltischer Tradition. Alles klar?“

Flynn hob beschwichtigend die Hände, aber der alte Fergus war noch nicht fertig. „Ich hasse neumodischen Quatsch“, schimpfte er weiter, „und ganz besonders amerikanischen. Ach, übrigens, Ruby Fairygale! Wie geht es deinem Kumpel aus Amerika?“

Ich erstarrte, während sich nach und nach alle Blicke auf mich richteten. Sogar die Kobolde schwiegen erwartungsvoll.

„Es – es geht ihm gut“, stotterte ich. „Also, nicht gerade toll, weil er ja nie auf einem Internat sein wollte, aber … schon okay. Glaub ich jedenfalls.“

„Du glaubst?“ Brenda runzelte die Stirn. „Seid ihr denn nicht miteinander in Kontakt?“

„Doch. Er schreibt mir E-Mails“, sagte ich und die Wirtin nickte beeindruckt. Alles, was mit dem Internet zusammenhing, war für sie faszinierend und geheimnisvoll. Vor lauter Staunen merkte sie gar nicht, wie verlegen ich geworden war.

Meinem Bruder konnte ich allerdings nichts vormachen. Obwohl er und Mam erst seit Kurzem auf Patch Island wohnten, schafften sie es schon fast so gut wie Nana, meine Gesichtsausdrücke zu lesen. Aufmerksam beobachtete Flynn mich von der Seite, während ich endlich mit meiner Frage herausplatzte: „Brenda, hast du vielleicht auch was für mich?“

Etwas umständlich begann die Wirtin, den Poststapel zu durchsuchen. „Hier ist ein Paket für deine Großmutter“, sagte sie nach einer gefühlten Ewigkeit und reichte mir eine Schachtel, die wahrscheinlich Medikamente für Nanas Patienten enthielt. „Und ein Brief für deine Mutter. Das war’s.“

Niedergeschlagen griff ich nach der Post und trottete ins Freie. Dort warteten Schmuggel und André, denn Brenda duldete nur zu ganz besonderen Feierlichkeiten Hunde in ihrer Gaststube. Dass einer der beiden eigentlich ein Mensch war – und obendrein mein Vater –, änderte nichts daran. Solange Dad in seiner Hundegestalt feststeckte, würde er wohl oder übel vor der Tür Sitz machen müssen.

„Was ist denn?“, fragte Flynn, der mir natürlich gefolgt war.

Ich bückte mich und kraulte Schmuggel hinterm Ohr, um dem Blick meines Bruders auszuweichen. „Noah antwortet schon seit Wochen nicht mehr auf meine Mails“, gestand ich. „Jeden Montag hoffe ich, dass er mir vielleicht einen Brief geschrieben hat, aber Fehlanzeige.“

„Kannst du ihn nicht einfach mal anrufen?“

„Das hab ich schon versucht, aber sein Handy ist immer ausgeschaltet. Kann sein, dass das mit irgendwelchen Internatsvorschriften zu tun hat oder mit der Zeitverschiebung. In Kalifornien ist es acht Stunden früher als bei uns. Trotzdem versteh ich nicht, warum er sich gar nicht mehr bei mir meldet!“

„Hm.“ Flynn wischte sich nachdenklich eine blonde Haarsträhne aus der Stirn. „Ihr habt euch vor seiner Abreise doch nicht gestritten, oder?“

Ich schüttelte den Kopf und lief mit Schmuggel an der Leine los. Dieses Thema wollte ich nun wirklich nicht mit meinem Bruder besprechen! Noah und ich hatten uns beim Abschied nämlich kein bisschen gestritten, im Gegenteil – wir hatten uns geküsst. In meinem Bauch kribbelte es heftig, wenn ich mich daran erinnerte. Es war mein allererster Kuss gewesen und ich musste seitdem immer wieder daran denken. Außerdem zerbrach ich mir ständig den Kopf, wie ich Noah aus dem Internat herausholen könnte. Das hatte ich ihm fest versprochen, aber … wollte er das denn überhaupt noch? Zu Beginn war er ja auch bei uns auf Patch Island unglücklich gewesen, doch dann hatte er sich wunderbar eingelebt.

Vielleicht war es ihm auf Schloss Greenwood genauso ergangen. Und vielleicht, ganz vielleicht … wollte er gar nicht mehr nach Patch Island zurück.

2. KAPITEL

Ein geflügelter Notruf

Frierend liefen wir vom Inselzentrum zurück zu Nanas Hof. Nebelschwaden hingen über den Wiesen und die Luft schmeckte schon ein kleines bisschen nach Winter. Als wir zu Hause ankamen, hatte die Feuchtigkeit meine Locken in ein krauses Durcheinander verwandelt. Flynn und ich schlüpften aus unseren Gummistiefeln und gingen in die Stube, die wir um diese Zeit ganz für uns alleine hatten. Nana arbeitete mit ihrer Kollegin Winnie in der Tierarztpraxis und Mam war gerade dabei, den Dachboden zu entrümpeln. Dort sollte ein neues Schlafzimmer entstehen, weil sie und Flynn nun auf Patch Island bleiben würden. Zurzeit übernachtete Mam noch auf dem Sofa in der Stube und Flynn hatte nach Noahs Abreise das Wäschezimmer bekommen.

Während wir mit unseren Schulsachen am Esstisch saßen, drang manchmal ein Poltern aus dem obersten Stockwerk, doch ansonsten war es sehr ruhig. Schmuggel schnarchte auf seinem Lieblingsplatz vor dem Kamin, auch mein Vater schien am Eindösen zu sein und Flynn widmete sich stumm seinen Mathe-Aufgaben. Er hatte noch nie eine Schule besucht und war daran gewöhnt, sich fast alles selbst beizubringen. Anders als Noah beschwerte er sich nicht, dass Mathe Körperverletzung war. Oder schnippte einen Radiergummi in meine Richtung, wenn er sich langweilte. Oder balancierte auf den Hinterbeinen seines Stuhls, sodass er beim Radiergummi-Schnippen das Gleichgewicht verlor, umkippte und darüber sogar noch mehr lachen musste als ich …

Kurz gesagt, Flynn war der perfekte Lernpartner. Trotzdem vermisste ich Noah so furchtbar, dass ich mich unmöglich auf Bruchrechnungen konzentrieren konnte. Flynn half mir zwar immer wieder, aber bevor ich gut in Mathe wurde, lernte Schmuggel wahrscheinlich Ballett.

Irgendwann legte ich seufzend meinen Stift weg und stand auf. „Ich koch uns mal einen Tee“, erklärte ich, damit Flynn nicht protestierte. Dieser Tee aus Schafgarbe, Brennnessel und Salbei war nämlich nicht nur mein Lieblingsgetränk, sondern für Mam, Flynn und mich auch eine Art Medizin. Mit seiner Hilfe konnten wir unsere Pooka-Fähigkeiten unter Kontrolle halten, sodass wir uns nicht mehr unabsichtlich in Tiere verwandelten. Nana hatte das Rezept aus einem Kräuterbuch, das von ihrer verstorbenen Mutter Eileen stammte. Die hatte einst in der Feenwelt gelebt und war fast so etwas wie eine Hexe gewesen. Seit Noah heimlich ein anderes Rezept ausprobiert und für jede Menge Chaos gesorgt hatte, ließen wir lieber die Finger von dem Kräuterbuch. Aber den Tee zur Abwehr unerwünschter Magie tranken wir jeden Tag.

Kaum hatte der Kessel zu pfeifen begonnen, hörte ich Schritte auf der Treppe. Dann öffnete sich die Tür und Mam trällerte vergnügt: „Na, wie läuft’s bei euch, meine Kinderlein?“

Flynn stöhnte leise. „Bitte nenn uns nicht so.“

„Meine Welpen? Meine Küken? Sucht euch was aus.“ Lachend kam unsere Mutter in die Stube. Sie hatte einen von Nanas Arztkitteln an, der über und über mit Staub bedeckt war. Auf ihrer Nase prangte zwischen den Sommersprossen ein großer Schmutzfleck. „Ihr werdet staunen, wie viel ich auf dem Dachboden schon geschafft habe“, erzählte sie und setzte sich an den Tisch. „Das wird ein richtig gemütliches Zimmer dort oben. Und was ich beim Aufräumen alles gefunden habe …!“ Schwungvoll warf sie einige Dinge zwischen unsere Schulsachen.

„Uäh. Was ist das?“, fragte Flynn und beugte sich über eine umgekippte kleine Dose.

„Rubys ausgefallene Milchzähne! Sind die nicht süß?“

„Entzückend.“ Mit spitzen Fingern schob Flynn ein paar der Zähnchen von seinem Arbeitsblatt. „Und die Zettel da?“

„Das sind Rubys Zeichnungen. Ich kann nicht fassen, dass sie schon als kleines Mädchen so eine Künstlerin gewesen ist!“, schwärmte Mam.

Verlegen trug ich den Kessel zum Tisch und beäugte meine alten Kritzeleien. Mam war normalerweise locker und fröhlich – sie erinnerte mich stark an Nana, obwohl die beiden nicht miteinander verwandt waren. Aber wenn es um die Jahre meiner Kindheit ging, die sie verpasst hatte, wurde sie ganz rührselig.

„Schau doch mal, mein Schatz. Schau dir dieses Bild an!“, rief sie und zeigte auf zwei verschieden große Strichmännchen mit karottenroten Haaren. „Sieht das nicht aus wie du und ich? Meinst du, dass du dich unterbewusst an mich erinnern konntest?“

Ich verkniff mir den Kommentar, dass das größere Strichmännchen wohl eher Kathleen, Tratschtanten-Tilda oder sonst irgendeine Bewohnerin von Patch Island darstellen sollte. Die Farbe der Haare hatte nicht viel zu bedeuten, immerhin war der Himmel gelb und das Gras violett. Um Mam nicht zu kränken, zuckte ich bloß mit den Schultern und sagte: „Schon möglich. Ich hab aber auch oft versucht, mir meine Eltern vorzustellen.“

Mam streichelte mir wehmütig über die Wange, dann stockte sie. Kurz presste sie die Lippen zusammen, ehe sie sich mit dem Bild in der Hand umwandte. „Hier, André. Von deiner Tochter.“

Einige Sekunden lang blieb es still. Mit angehaltenem Atem blickte ich zwischen meiner Mam und der pechschwarzen Gestalt am Kamin hin und her. Mein Dad hatte sich kerzengerade hingesetzt, die Ohren spitz nach oben gerichtet. Dann machte er leise: „Wöff.“

„Ja, wöff du nur. Wie’s aussieht, konnte Ruby bereits als Kleinkind besser malen als du.“ Mam drehte sich wieder zum Tisch und füllte unsere Tassen, als wäre nichts Besonderes passiert. Mir aber klopfte das Herz bis zum Hals. Seit meine Eltern auf Patch Island wohnten, hatte Mam meinen Dad so wenig wie möglich beachtet. Auch ich hatte mich lange nicht getraut, mit ihm zu sprechen – immerhin hatte er dreizehn Jahre lang nach einem Mittel gesucht, um seine und meine Wandlerfähigkeit auszulöschen, und war nicht einmal vor Experimenten an anderen Fabelwesen zurückgeschreckt. Seit er allerdings in Hundegestalt feststeckte, hatte er gelernt, unsere besonderen Kräfte zu akzeptieren. Würde ihm Mam vielleicht irgendwann verzeihen?

Fieberhaft überlegte ich, wie ich unser Schweigen beenden könnte, als ein Klopfen und Rufen zu uns schallte. Ich erkannte die hohe Stimme sofort. Allerdings hatte ich sie bisher noch nie so aufgebracht gehört wie jetzt. Flynn und ich schauten einander an, dann stürmten wir in den Flur. Als ich die Haustür aufriss, purzelte ein Durcheinander aus Blättern, Blüten und strohblonden Zöpfen über die Schwelle. Es dauerte einen Moment, bis sich Felicity aufgerappelt hatte. Sie war eine sehr untypische Fee: etwas tollpatschig, ausgesprochen quirlig und obendrein seit Kurzem meine beste Freundin.

„Rubylein!“, keuchte sie, während sie ihre silbernen Flügel ausschüttelte. Ihr Haar sah noch zerzauster aus als normalerweise und ein Träger ihrer Latzhose war ihr über die Schulter gerutscht. „Ihr müsst sofort mitkommen. Wo steckt denn Nana? Bitte ganz flitzflügelig schnell!“

„Nun beruhige dich erst mal“, sagte Mam, die uns in den Flur gefolgt war. „Komm ins Warme und erzähl uns genau, was los ist.“

„Keine Zeit!“ Felicity trat hektisch von einem Fuß auf den anderen. „Es ist wirklich ein Notfall. Ich kenne mich mit so was nicht aus, aber … aber vielleicht geht es um Leben und Tod.“ Bei den letzten Worten wurde ihre Stimme so dünn, dass ich sie kaum noch verstehen konnte. In ihren fliederfarbenen Augen schimmerten Tränen. Erschrocken schaute ich zu Flynn, der bereits seine Jacke vom Haken genommen hatte. Während auch Mam und ich uns anzogen, rannte er zur Tierarztpraxis. Gleich darauf kam Nana über den Hof geeilt. Sie hatte sich heute ein gepunktetes Tuch um den Kopf geknotet und ihr einzelner Ohrring schaukelte mit jedem ihrer Schritte. Obwohl sie nicht unbedingt so aussah, wie man sich eine Ärztin vorstellte – eher wie eine Piratin aus einem Kinderbuch –, hatte sie die Situation voll im Griff.

„Ruby, meine Notfall-Tasche“, kommandierte sie, ehe sie Felicity an den Schultern zu sich umdrehte. „Liebes, wo müssen wir hin?“

„Zur m…magischen Pflegestation“, piepste Felicity. „Ich hab sie hingebracht, weil ich dachte, ihr wärt vielleicht gerade dort …“

Nana verschwendete keine Zeit damit, nach weiteren Details zu fragen. Sie schnappte sich nur die Arzttasche, die ich aus dem Schrank im Flur geholt hatte, und entschied: „Schmuggel und André bleiben hier, die machen unsere Patienten vielleicht nervös. Kommt ihr anderen mit? Es gibt aber nur zwei Fahrräder.“

„Ich habe eine bessere Idee.“ Mam trat über die Schwelle und ein Windstoß zerrte an ihrem geflochtenen Zopf. Als die nächste Böe sie traf, hatte sie schon keine roten Haare mehr. Als glänzendes schwarzes Pony stand sie vor der Haustür und schlug ungeduldig mit dem Schweif.

3. KAPITEL

Die Tochter des Nachtelfen

Natürlich hatte ich gewusst, dass meine Großmutter reiten konnte. Jeder Bewohner von Patch Island konnte das – man verbrachte nicht sein ganzes Leben auf einer autofreien Insel, ohne sich ab und zu in einen Sattel zu setzen. Allerdings gab es jetzt gar keinen Sattel und Nana war nicht mehr die Jüngste. Trotzdem drehte sie kurzerhand einen Eimer um, der neben der Tür gestanden hatte, und benutzte ihn als Trittleiter. Schon saß sie auf dem Rücken des schwarzen Ponys, in das sich meine Mutter verwandelt hatte, und schnalzte mit der Zunge. „Ich bin so weit, Keela!“

Noch ehe ich mich von meiner Verblüffung erholt hatte, galoppierte Mam mit Nana los. Felicity flog an den beiden vorbei, um das Hoftor zu öffnen. Schnell kniff ich die Augen zu und das Verwandlungsbrennen rauschte durch meinen Körper. Inzwischen kostete es mich fast keine Mühe mehr, die Gestalt zu wechseln. Schon gar nicht, wenn ich ein Hund werden wollte, was mir eindeutig am meisten lag. Auch Flynn hatte seine Lieblingsgestalt angenommen: Als schwarzer Fuchs jagte er vom Hof und ich rannte mit flatternden Schlappohren hinterher.

Obwohl Patch Island so klein war, brauchten wir normalerweise gut eine halbe Stunde bis zur magischen Pflegestation. Wir wohnten nahe am Südstrand und der verzauberte Schuppen befand sich auf der Nordseite der Insel. Als Vierbeiner hatten wir die kleine Bucht jedoch in Windeseile erreicht und Nana sprang von Mams Rücken. Sie sah immer noch ruhig und entschlossen aus, aber meine Hundenase konnte ihre Aufregung wittern.

„Jetzt mal raus mit der Sprache“, sagte sie zu Felicity, während Mam, Flynn und ich uns zurückverwandelten. „Um wen geht es hier?“

„Meine Cousine Adelinda.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, flog Felicity weiter zum Schuppen. Ich folgte ihr, nun wieder auf zwei Beinen und mit einem flauen Gefühl im Bauch. Adelinda hatte ich bereits in der Feenwelt getroffen. Ihr Vater war der Nachtelf Nocturno, ein Mitglied des Hohen Rates. Keiner der beiden schien viel für die Menschenwelt übrigzuhaben. Wenn Adelinda auf die Pflegestation gekommen war, musste die Sache also wirklich ernst sein.

„Es werde Licht“, sagte Nana. Sofort erfüllte ein magisches Leuchten den Saal und Felicity stieß einen Schrei aus. Mit flatternden Zöpfchen sauste sie zum Untersuchungstisch. Darauf lag eine reglose Gestalt, die ein Kleid aus Farnblättern trug.

„Vorhin war sie noch wach!“, beteuerte Felicity. „Aber es ging ihr sehr schlecht, darum hab ich sie überredet, hierherzukommen.“

„Sie hat hohes Fieber und atmet viel zu schnell“, sagte Nana, die sofort mit der Untersuchung begonnen hatte. Adelinda murmelte etwas Unverständliches, ansonsten reagierte sie nicht.

„Was ist da passiert?“ Meine Großmutter zeigte auf eine Stelle an Adelindas rechtem Flügel, die deutlich geschwollen war.

„Ach, das war ein ganz blöder Unfall vor ein paar Tagen.“ Felicity ließ den Kopf hängen. „Ich hab ihr erzählt, dass die Menschen hinter dem Dublin-Portal fuchsteufelswild werden, wenn man ihren Garten betritt. Dabei hätte ich wissen müssen, dass Adelinda so etwas nicht auf sich beruhen lässt! Menschen könnten sie doch nicht einschüchtern, hat sie gesagt, und ist durch das Tor gesprungen. Als sie zurückkam, war ihr Flügel verletzt. Die Menschenfrau hat wohl bei ihrem Anblick furchtbar gekreischt, Adelinda ist vor Schreck rückwärtsgestolpert und auf irgendein spitzes Gartenwerkzeug gefallen.“

Ich verzog das Gesicht. Felicity und ich hatten das Portal nach Dublin auch schon mal ausprobiert. Es führte in einen Vorgarten, den eine Frau durchs Fenster ihres Hauses streng bewachte.

„Nur wenige Tage ist das her?“, fragte Mam. „Die Wunde ist ja schon komplett zugewachsen!“

Felicity hob die Schultern. „Das hat Adelinda mit ihrer Magie bewirkt. Wir Feen sind ja gut darin, Dinge wachsen zu lassen.“

„Trotzdem hat sich die Stelle entzündet“, sagte Nana. „Sieht mir nach einer beginnenden Sepsis aus.“

„Nach einer was?“, japste Felicity.

„Einer Blutvergiftung.“ Nana schwieg einen Moment, die Stirn in sorgenvolle Falten gelegt. Dann seufzte sie schwer. „Ich werde ihr natürlich ein Antibiotikum geben, aber um eine Operation kommen wir nicht herum. Der Entzündungsherd muss leider entfernt werden.“

„Du meinst ein Stück von ihrem Flügel?“ Erschrocken dachte ich an die Möwe des alten Fergus, die Nana auch wegen einer Flügelverletzung behandelt hatte. Mittlerweile war Meinsmeins völlig gesund, aber sie würde wohl nie wieder fliegen können.

Nana schien meine Befürchtung erraten zu haben. Sie atmete tief durch, dann sagte sie: „Ich versuche mein Bestes.“ Mehr versprach sie nicht und das hatte ich auch nicht erwartet. Meine Großmutter machte mir nie etwas vor, um mich zu beruhigen. Eilig begann sie, alles für die OP herzurichten. Dabei rief sie uns anderen zu: „Seht ihr bitte nach den Kobolden und dem verschnupften Selkie in der Meerjungfrauen-Abteilung? Wenn alles in Ordnung ist, könnt ihr wieder nach Hause gehen.“

„Aber –“, setzte Felicity an, doch Mam legte ihr einen Arm um die Schultern.

„Du kommst erst mal mit zu uns, Liebes. Wenn es etwas Neues gibt, erfahren wir es sofort.“

Felicity protestierte nicht, ließ sich aber nur sehr widerwillig vom Untersuchungstisch wegführen. Kreidebleich sah sie dabei zu, wie Mam, Flynn und ich uns um die anderen Patienten kümmerten. Bei ihrem Anblick verhielten sich sogar die Kobolde ungewöhnlich brav. Nur der Selkie bereitete uns ein bisschen Mühe, weil er sich bei jedem Nieser kurz in einen Menschen und dann wieder in einen Seehund verwandelte. Gar nicht so einfach, jemandem auf diese Weise Nasentropfen zu verabreichen! Als wir endlich mit unserer Arbeit fertig waren, scheuchte Mam uns zurück nach Hause, kochte Mittagessen und verdonnerte uns dann dazu, Nanas Gemüsebeete winterfest zu machen.

„So etwas muss bis Ende Oktober erledigt sein“, erklärte sie. „Ich kümmere mich solange weiter um den Dachboden!“ Wahrscheinlich hoffte sie, dass wir im Freien auf andere Gedanken kamen. Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, was eine nervöse Fee in der Nähe von Pflanzen anrichten konnte.

„Vorsicht!“, rief Flynn und schubste mich in letzter Sekunde zur Seite, ehe ich von einer Bohnenstaude getroffen wurde. Ein paar vergessene Schoten waren auf einmal armdick geworden und hatten die Pflanze umknicken lassen.

„Tut mir leid“, jammerte Felicity. „Ich hab gerade meine Magie nicht unter Kontrolle!“ Verzweifelt warf sie die Hände in die Luft und prompt schossen rundherum Schnittlauchhalme aus dem Boden. Als sie zu wachsen aufhörten, reichten sie uns bis zur Hüfte.

„Vielleicht solltest du …“, begann ich und verstummte. Eigentlich hatte ich Felicity eine Tasse von Eileens Spezialtee anbieten wollen, aber mir fiel ein, dass ich ihre Laune damit wohl kaum verbessern würde. Eileen war viele Jahre lang ihre beste Freundin gewesen, bevor sie sich in einen jungen Mann verliebt und die Feenwelt verlassen hatte. Felicity war deswegen immer noch tief gekränkt. Also erwähnte ich den Tee lieber nicht, sondern sagte bloß: „Du solltest dich ablenken.“

„Ja, aber wie?“ Felicity betrachtete unglücklich eine etwas vergammelte Tomate, die – plötzlich fußballgroß – vom Strauch geplumpst war. „Bitte erzählt mir was. Irgendwas! Rubylein, was gibt’s Neues von deinem Noah?“

Na toll. Schlagartig wurden meine Wangen so heiß, dass ich wahrscheinlich der Matsch-Tomate ähnlich sah. „Er ist nicht mein Noah“, murrte ich, während ich mit der Spitze meines Gummistiefels in der feuchten Erde herumstocherte. „Und außerdem … weiß ich es nicht genau.“

Natürlich reagierte Felicity darauf mindestens so verdutzt wie Brenda Graham. „Habt ihr euch etwa gestritten?“, fragte sie mit großen Augen. Für einen Moment schien sie ihre Sorgen vergessen zu haben, also holte ich seufzend einen Zettel aus meiner Jackentasche.

„Das war seine letzte Mail. Ich hab sie an Nanas Computer ausgedruckt, um sie mir noch einmal in Ruhe durchzulesen.“ In Wirklichkeit hatte ich die Nachricht schon so oft studiert, dass ich sie beinahe auswendig konnte. Aber das brauchte ich Felicity ja nicht unbedingt auf die Nase zu binden – und erst recht nicht Flynn, der stirnrunzelnd an der Gartenmauer lehnte. Immer noch etwas verlegen räusperte ich mich und las vor:

Hey, wie gewünscht: ein Update aus Schloss Greenwood!

Irgendwie fühl ich mich, als wär ich der alte Fergus auf einem Kreuzfahrtschiff. Meine Mitschüler reden am liebsten übers Segeln und Golfen und ich glaub nicht, dass die schon mal einem Schafbock hinterhergerannt sind. Oder dass sie überhaupt je ein Schaf GESEHEN haben!

In Schloss Greenwood ist sowieso alles unerwünscht, was ein Fell, Schuppen oder Federn besitzt. Gestern ist eine Streunerkatze hereingekommen und ich bin vor Freude fast ausgeflippt, weil sie pookamäßig schwarz war. Auf den zweiten Blick ist mir aufgefallen, dass sie ein paar weiße Flecken hatte. Na ja, es war trotzdem eine nette Abwechslung und ich hätte sie gern in mein Zimmer mitgenommen. Allerdings haben sich ein paar Leute beschwert, wie unhygienisch das wäre. Im Ernst, so stell ich mir Mrs Silverton als Jugendliche vor! Jemand hat eine App mit einem schrillen Ton runtergeladen und die Katze verscheucht. Als sie weg war, musste ein Mädchen heulen – weil sie sie eigentlich noch fotografieren wollte, für ihre Follower auf Instagram.

O Mann, Ruby. Ich würde so viel lieber mit dir gemeinsam ein Katzenklo oder eine Meerjungfrauen-Badewanne saubermachen, als in diesem Luxus-Internat zu vergammeln. Jetzt gerade hocke ich in meinem Zimmer an einem brandneuen Laptop und langweile mich fast zu Tode. Ab neun Uhr abends herrscht hier nämlich Nachtruhe. Am Schultor sitzt sogar ein Typ und passt auf, dass niemand das Internat verlässt. Dann komme ich mir nicht mehr so vor wie auf einem Kreuzfahrtschiff, sondern eher wie in einem Gefängnis.

Was gibt es bei euch Neues? Grüß bitte Schmuggel und deine Nana und überhaupt alle von mir. Bis hoffentlich bald!

Noah

Ich steckte den Zettel zurück in meine Jacke und holte tief Luft. Wie jedes Mal beim Lesen der Nachricht hatte mein Herz begonnen, ein bisschen schneller zu schlagen. „Ich hab ihm natürlich gleich zurückgeschrieben“, sagte ich, den Blick auf meine matschigen Stiefel gerichtet. „Seitdem kam von ihm kein Wort mehr. Kann sein, dass er viel um die Ohren hat oder einfach mal seine Ruhe braucht, aber seine letzte Mail klang doch gar nicht so. Ich wünschte, ich könnte ihn besuchen und nachsehen, ob alles in Ordnung ist!“

„Das wäre aber ein aufwendiger Besuch“, meinte Flynn. „Der Flug von Dublin nach Kalifornien dauert mindestens einen halben Tag und er kostet bestimmt mehrere hundert Euro.“

„Danke für die Info“, brummte ich und schnitt eine gequälte Grimasse. Zur Abwechslung fand ich es nicht besonders toll, dass mein Bruder so clever war.

Felicity sagte nichts. Sie hatte ein Stück vom verzauberten Schnittlauch abgerupft und kaute mit nachdenklicher Miene darauf herum. „Es gibt vielleicht einen Weg“, murmelte sie schließlich. „Das heißt, wenn wir uns trauen …“

Im nächsten Moment öffnete sich das Stubenfenster und Mam streckte den Kopf heraus. „Kinder“, rief sie, „Cleo ist am Telefon!“

Felicity nahm sich nicht die Zeit, das Haus zu umrunden. Stattdessen flog sie durchs Fenster geradewegs bis zum Telefon. „HALLO, HIER FELICITY FEENGEBOREN!“, meldete sie sich viel zu laut – entweder vor Aufregung oder weil sie nicht genau wusste, wie Telefonieren ging. Dann blieb sie eine Weile stumm. Flynn und ich kletterten über die Fensterbank und sahen Felicity mit hängenden Schultern vor dem Telefon stehen. „Mhm“, murmelte sie, „verstehe. Das ist flattertastisch von dir, Nanalein.“ Umständlich legte sie den Hörer auf und wandte sich mit glänzenden Augen zu uns. „Sie sagt, dass sie zur Sicherheit über Nacht bei Adelinda bleiben wird, und morgen dürfen wir zu Besuch kommen. Die Operation war so, wie sie sein sollte – trotzdem gibt es leider ein Problem. Ich hab es nicht genau verstanden, aber Nana hat gemeint, der Verband … ähm, die Verbandung ist sehr schlecht.“

Mam musste ein bisschen lachen. „Die Verbindung. Das heißt nur, dass Cleo mit ihrem Handy nicht richtig telefonieren konnte“, erklärte sie. „Es sind gute Nachrichten, freu dich doch! Und jetzt backen wir Waffeln, damit wir uns wieder beruhigen.“

Genau das taten wir. Felicity und Flynn lieferten sich einen Wettkampf, wer die meisten Waffeln verdrücken konnte, und wurden nach sieben Stück von Mam gebremst. Später kam auch Winnie aus der Praxis herüber, um wie jeden Nachmittag ein Tässchen Tee mit uns zu trinken. Sie erzählte uns von der tollen Schafweide, die sie und Bauer Orin entwickelten, und ihre Wangen glühten vor Begeisterung. Schwer zu sagen, an wem das lag: an den Schafen oder an Bauer Orin. Felicity stupste mir verschwörerisch den Ellenbogen in die Seite und ich stupste zurück. Im Moment ging es einzig und allein darum, sie auf andere Gedanken zu bringen. Also teilte ich mir mit ihr die letzte Waffel, lauschte Winnies Schwärmereien und unternahm dann mit Felicity, Flynn, Dad und Schmuggel einen ausgedehnten Spaziergang.

Doch ganz gleich, womit ich mich auch beschäftigte … Felicitys Worte „Es gibt vielleicht einen Weg“ gingen mir nicht mehr aus dem Kopf.

4. KAPITEL

Torte, Tratsch und Traditionen

Adelinda war keine einfache Patientin.

Als wir sie früh am nächsten Morgen besuchten, saß sie kerzengerade in einem Bett voller Ranken und Blüten, das Nana eigens für sie hergerichtet hatte. Ihr rechter Flügel steckte in einem Verband und sie war immer noch sehr blass. Trotzdem schaffte sie es, wie die Besucherin eines Nobelrestaurants dreinzuschauen, der man schimmliges Brot servieren wollte.

„Das riecht abscheulich“, sagte sie und schnupperte an einer Schale voll Brühe. „Nach Koboldfüßen mit einem Hauch von Ghul. Sicher, dass ihr mich nicht vergiften wollt?“

„Du solltest wirklich was essen“, beharrte Nana. „Dein Körper hat ganze Arbeit geleistet und braucht jetzt Energie!“ Sie drückte Adelinda einen Löffel in die Hand, dann wandte sie sich mit einem kleinen Lächeln zu uns. „Es ist erstaunlich, wie schnell sie sich erholt“, meinte sie zufrieden. „Das ist bei Feen anders als bei Menschen. Mit etwas Glück kann sie schon bald zurück in die Feenwelt und auch die Folgen der OP sind weniger schlimm als befürchtet. Sie wird vielleicht nicht mehr so ausdauernd fliegen können wie früher, aber im Großen und Ganzen ist ihr Flügel funktionsfähig geblieben.“

Der Löffel sauste dicht an Nanas Ohr vorbei und landete scheppernd auf dem Boden. „Du hast gut reden!“, jammerte Adelinda in einem dramatischen Tonfall, den man sonst nur von Banshees zu hören bekam. „Meine Flügel sind alles für mich und sie sind mein wichtigstes Merkmal als Tochter des Feenvolks! Was würdest du denn sagen, wenn du nicht mehr so ausdauernd … herummenscheln könntest wie früher?“

Nana zog es vor, nicht auf diese Frage zu antworten. Mit einer Engelsgeduld hob sie den Löffel auf und ging damit in die Meerjungfrauen-Abteilung. Ich lief hinterher und kniete mich neben sie vor die Öffnung des magischen Tunnels, der von der Pflegestation ins Meer führte. Während Nana den Löffel im klaren Wasser abspülte, fragte ich leise: „Was sollen wir bloß machen? Du sagst doch immer, das Wichtigste beim Gesundwerden ist eine positive Einstellung!“