Rückkehr nach Mykene - Wolf Kunert - E-Book

Rückkehr nach Mykene E-Book

Wolf Kunert

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Beschreibung

Noch einmal gehe ich durch die Zeit. Ich kehre zurück nach Mykene. Fragen blieben ungeklärt. Ich will Antwort für sie. Hier und jetzt werde ich sie nicht finden. Ich muss die Reise noch einmal wagen, dorthin, wo die Vergangenheit noch unverändert, unberührt ist von Wissen und Mode. Dort will ich die Menschen sehen und hören, deren Schicksal ich bestenfalls erahne. Namen kommen mir in den Sinn: Klytaimnestra - Gattenmörderin, Ehebrecherin! Andere Namen folgen: Iphigenie, Elektra, Oresthes und Agamemnon auch. Wir hörten deren Geschichten und Bruchstücke sind schnell zur Hand, die abwinken will nur zu leicht. Alt sind diese Geschichten. Oft und immer wieder gleich erzählt: die Axtmörderin, ihr Buhle und die unversöhnlich trauernde Tochter. Warum so? Warum kennen wir sie nicht anders? Hier und jetzt will ich sie erzählen, getreuer vielleicht der Wirklichkeit. Ich kann es nicht wissen. Ich muss es hoffen.

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Wolf Kunert

Rückkehr nach Mykene

Eine Klytaimnestra Saga

Rückkehr nach Mykene

Eine Klytaimnestra Saga

Gewidmet, wie immer

Und immer Derselben

© 2023 Wolf Kunert

Grafiken: © 2023 G-JL

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland

Inhalt

Cover

Halbe Titelseite

Titelblatt

Widmung

Urheberrechte

Rückkehr nach Mykene

Klytaimnestra

Chrysothemis

Klytaimnestra

Elektra

Klytaimnestra

Elektra

Klytaimnestra

Chrysothemis

Klytaimnestra

Elektra

Oresthes

Klytaimnestra

Oresthes

Klytaimnestra

Oresthes

Chrysothemis

Rückkehr nach Mykene

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Rückkehr nach Mykene

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Rückkehr nach Mykene

Noch einmal gehe ich durch die Zeit. Ich kehre zurück nach Mykene. Fragen blieben ungeklärt. Ich will Antwort für sie.

Hier und jetzt werde ich sie nicht finden. Ich muss die Reise noch einmal wagen, dorthin, wo die Vergangenheit noch unverändert, unberührt ist von Wissen und Mode.

Dort will ich die Menschen sehen und hören, deren Schicksal ich bestenfalls erahne.

Namen kommen mir in den Sinn: Klytaimnestra - Gattenmörderin, Ehebrecherin! Andere Namen folgen: Iphigenie, Elektra, Oresthes und Agamemnon auch.

Wir hörten deren Geschichten und Bruchstücke sind schnell zur Hand, die abwinken will nur zu leicht. Alt sind diese Geschichten. Oft und immer wieder gleich erzählt: die Axtmörderin, ihr Buhle und die unversöhnlich trauernde Tochter.

Warum so? Warum kennen wir sie nicht anders? Hier und jetzt will ich sie erzählen, getreuer vielleicht der Wirklichkeit. Ich kann es nicht wissen. Ich muss es hoffen.

Klytaimnestra

Er ist wieder da, der Schmerz in meinem Leib. Und nichts kann ich dagegen tun. Die Erinnyen erlauben mir nicht, mich gegen sie zu wehren. Seit Aigisthos seltener mein Bett aufsucht, besuchen sie mich umso häufiger. Es ist immer quälend gleich und wenn ich auch weiß, dass es ein Traum ist, so ist er von beängstigender Wirklichkeit.

Ich liege in meinen schweißfeuchten Laken bewegungslos und starr. Ich weiß, durch die Male zuvor, dass ich die Dienerinnen nicht rufen kann, aber ich versuche es dennoch auch dieses Mal wieder. Ein Reflex, dem ich mich nicht erwehren kann. Wie immer bleibt mein Mund auch diese Nacht stumm und wieder kann ich nicht vor dem fliehen, was die Rachegöttinnen mich schon viele Male erleiden ließen.

Er besucht mich in den Nächten, in denen ich allein bin, in meinem Gemach. Er kann nicht ruhen in seinem Grab. Der will mir den Frieden nicht lassen, den ich tötete, um meines Friedens willen. Die Erinnyen erwecken ihn, um mich zu strafen. Nicht für seinen Tod. Weil ich keine Reue empfinden kann. Weil ich keine Schuld fühle, ihm gegenüber. Ich durchleide immer und immer wieder den gleichen Traum, den gleichen Schmerz und die gleicheHilflosigkeit. Er zehrt noch immer von mir und will mich nicht loslassen. Auch jetzt noch viele Jahre später.

Was aber blieb mir, als derart zu handeln? Was blieb mir, als mich zu entscheiden für meine Kinder, für mich und Mykene.

Nicht ohne Überlegung handelte ich und nicht ohne Abwägen. Was Iphigenie weckte in mir und er mir androhte dafür, zwang mich zur Entscheidung. Was ich für mich erkämpfte, nicht ohne Widerstand, das galt es zu schützen.

Ich nahm den Kindern den Vater, das ist wahr. Aber was war er für ein Vater? Was war Agamemnon für ein Mann und was war er mir für ein Gemahl? Niemand mehr fragt danach. Nicht einer will noch wissen, was und wie er war in Wahrheit. Mein Opfer haben sie aus ihm gemacht und wenn es auch wahr ist, bleibt es nur ein Teil der Wahrheit. Niemand, scheint es, will noch wissen, wie er uns und Mykene beherrschte.

Blinde Wut und grundlosen Hass hat man mir später zugedichtet. Seinen Teil verschweigt die Zeit. Bestenfalls eine trauernde Mutter gestattet sie mir zu sein, die ihr Kind rächte. Halbe Wahrheiten sind auch halbe Lügen.

Nichts Schlechtes soll man sagen über Tote. Nicht nachreden denen, die nicht mehr Antwort stehen können. Die ins Reich der Schatten reisten, sollen sicher sein, vor übler Rede für immer. Was ist aber mit mir? Wann habe ich dieses Recht verloren?

Wie würde er antworten, wenn ich ihm Fragen stellte? Würde er auch jetzt noch lügen, wie er es oft tat zu Lebzeiten? Ich bin mir dessen sicher.

Keine Wahl hätte er gehabt damals auf Aulis. Keine Wahl? Waren es nicht seine Entscheidungen, die uns am Ende hierherführten? Die uns, nein mich, zu meinen Schritten zwangen? Würde er mich zurechtweisen wieder, als sein ihm gehöriges Weib, wie er es oft tat? Selbst wenn er sich im Unrecht wusste, widersprach er mir oder verbot mir das Wort. Sicher würde er das wieder tun. Das tat er immer.

Geschützt war er durch seinen älteren Bruder Menelaos, aber immer nur zweiter durch ihn. Das hatte seinen Charakter wohl verdorben über die Jahre. Im Schatten seines Bruders aufgewachsen, schmückte er sich nicht selten mit Taten, die andere vollbrachten. Wie er sich auch zum Sieger über Troja erklärte, als großer Heerführer, obwohl jeder wusste, dass es Odysseus List war, die den Sieg schlussendlich brachte.

Nach all den erfolglosen Kämpfen und Schlachten in den Jahren zuvor verlor er an Ansehen unter den Griechen. Schlachten, die unzähligen Männern den Tod brachten. Große Helden waren verloren auf beiden Seiten durch ihn. Sinnlos in den Kampf geführt durch die Gier nach Macht, Gold und Ruhm. Da kam der Sieg noch rechtzeitig für ihn und rettete seinen Ruf im letzten Moment.

Er musste sich mit dem Platz zufriedengeben, den sein Bruder ihm zuwies und ihm in allem folgen. Dafür schützte der ihn gegen alle Zweifel. Zwar durfte er sich Heerführer nennen, aber sein Bruder war auch vor Troja sein König. Das machte etwas mit diesem Mann, der Erster gern wäre um jeden Preis und jede Lüge. Das verdarb ihn über die Jahre und ließ ihn die guten Sitten vergessen und seine Furcht wachsen, dass er nicht als mannhaft gesehen würde.

Auch Helena, meine Schwester, erwählte seinen älteren Bruder. Für sie wäre er ebenso zweite Wahl bestenfalls gewesen, dessen bin ich sicher. Mich bekam er nur durch Mord und Gold.

Seine Tochter Iphigenie wurde den Göttern geopfert auf Aulis, wegen seines Frevels. Hermione nicht, die Tochter seines Bruders. Der wäre nicht unbeherrscht in diese Situation geraten oder er hätte beizeiten dem Priesterspruch des Kalchas Einhalt geboten, dessen bin ich gewiss.

Mit einer Lüge nur wusste Agamemnon mich nach Aulis zu locken. Niemals sonst wäre ich seiner Aufforderung gefolgt und bloßgestellt hätte ihn meine Weigerung vor den anderen. Das wusste er und das fürchtete er mehr als den Zorn der Götter.

Ich tat bei seiner Rückkehr aus Troja nur, was geboten war durch ihn allein. So will ich verstanden werden und wieder würde ich derart handeln. Heute mehr noch, als damals.

Nach meiner Rückkehr von Aulis war ich nicht die, die zuvor zur Insel reiste. Ich trennte mich von meiner Duldsamkeit, die zu lange schon mein Leben bestimmte und nahm mir zurück, was Agamemnon mir genommen hatte an Mut und Freiheit.

Nicht ohne Folgen war mein Handeln und der Preis am Ende hoch. Immer zahlen Frauen, wenn sie das Spiel der Männer spielen. Die Götter lieben es nicht, wenn wir deren Regeln erlernen. Nur Männern, wie Agamemnon, scheint es, erlauben sie Macht ohne einen Preis. Doch änderte ich diese Regeln und ließ ihn zahlen für sein Tun.

Ich machte mir die Spiele der Männer zu eigen und bestimmte sie neu. Ich eignete mir Macht an und, ja, ich hatte alles Recht dafür. Niemand stellte sich mir ohne Folgen in den Weg. Er, Agamemnon, war der Verursacher all dessen. Er war der eigentliche Grund für mein Handeln.

Meine Kinder hatte ich am Ende verloren durch ihn. Meinen ersten Sohn und Iphigenie an den Tod, Elektra an den Hass und Chrysothemis an die Dunkelheit. Den Sohn Oresthes verlor ich zweimal sogar. An die Fremde zuerst und später, wie Elektra, an den Zorn.

All das, was mir nachgesagt und nachgeschrieben wurde später, hatte Agamemnon allein ausgelöst in mir. Nicht ohne Folgen blieben meine Jahre in Mykene für mich, nicht die, in denen er anwesend war und auch nicht jene, in denen er vor Troja kämpfte.

Freudlos zumeist und ohne jede Liebe war meine Zeit neben ihm. Meine Kinder später, gaben mir wieder Sinn und Aufgabe, aber Liebe vor allem anderen. Sie konnte ich lieben, von ganzem Herzen. Jedes einzelne war mir nahe. Auch Elektra, die schwer nur zu bändigen war, erhielt meine mütterliche Wärme. Besonders sie, schien es mir, benötigte meine Zuwendung. Ich habe sie ihr gegeben und nie gefragt, was an Zuneigung zurückkommt zu mir.

Aufgeben, sterben, war mir nicht gegeben. Dieser Gedanke wurde mir nicht anerzogen in Sparta und dennoch gab es Momente, da ich Thanatos, den Tod, herbeisehnte. Als Mutter später stand mir dieser Gedanke nicht mehr zu.

Mein Vater lehrte mich zu erdulden, wenn die Zeit dafür war und zu kämpfen, wenn die Gelegenheit gegeben. Und er lehrte mich, dass der schwerste Kampf die Zeit des Duldens war. Diesen Kampf führte ich viele Jahre gegen mich selbst zuerst. Ich erduldete und schwieg über diesen König und über diesen Vater.

Der Schmerz reißt mich erneut aus meinen Gedanken. Die Bewegungen im Leib werden heftiger. Es ist, als rührte jemand in meinen Eingeweiden. Ich kann die Dienerinnen vor meiner Tür schwatzen und lachen hören. Sie ahnen nichts von meinen Träumen. Ich will nicht zu ihrem Tratsch werden. Sie müssen nicht wissen, was ich erdulde in solchen Nächten. Nur hoffe ich, dass meine Stimme mich aus dem Traum erlösen könnte. Mich selbst wachrufen, das will ich versuchen. Ich will sie nochmals rufen, aber das bleibt mir verwehrt, wie die Male davor. Nur mein Stöhnen ist vernehmbar und ich weiß nicht, ob es zum Traum gehört oder zur Wirklichkeit. Wie eine Niederkunft fühlt es sich an, was es nicht ist. Das weiß ich, ich weiß ja das ich im Schlaf bin. In einem grausamen und ermüdenden Schlaf. Nicht nur Schmerz, auch Furcht ist in mir. Wie oft ich diesen Traum auch erdulde, immer ist da die Angst, dass ich nicht rechtzeitig aufwache, dass er dieses Mal zu Ende führen kann, was die Erinnyen ihm womöglich erlauben.

Elektra fällt mir ein. Ihre Geburt war die schwerste. Fast hätte sie mich getötet, aber ich entkam dem Tod mit Mühe und überstand das schwere Fieber danach. Schon zu ihrer Geburt hatten die Götter ihr den Trotz eingegeben, schien es mir. Dennoch liebte ich sie nicht weniger als meine anderen Kinder.

Elektra war des Vaters Liebling von Anfang an. Sie verwöhnte er. Mit ihr umgab er sich gern. Bei ihm sah sie, dass man mir straflos spotten konnte, dass man mir folgenlos widersprechen durfte. Aufbrausend war sie mitunter und schwer nur zu beruhigen in diesem Zustand, wie ihr Vater selbst.

Sie war, was man ein zorniges Kind nennen könnte. Schnell lernte sie, dass Bedienstete ihr nicht gleichgestellt waren. Der Vater war ihr auch hier ein Vorbild.

War Iphigenie mein Stolz und Chrysothemis meine Freude, so war Elektra vor allem meine Sorge.

Die anderen Kinder sah er als die meinen an. Töchter nur gebar ich ihm. Nicht geeignet für einen König als Nachfolger.

Ich verstand nicht, was Agamemnon in Elektra sah. War es ihr ungezügeltes Wesen, welches dem seinen glich? War es ihr Stand als Zweitgeborene? Was auch immer ihn bewog, sein Einfluss auf sie schien ihr nicht zuträglich, in meinen Augen. Er verdarb ihren Charakter. Seine Launenhaftigkeit wurde zu ihrer und immer schwerer wurde es, sie zur Ordnung zu rufen mit den Jahren. Keine Maßregelung erfuhr sie vom Vater und die meinen hob er auf, sobald er von ihnen erfuhr. Ich sei zu streng mit dem armen Kind. Was ich denn an ihr auszusetzen hätte. Sie sei schließlich die Tochter des Königs. Da sei es ihr doch erlaubt, ein wenig über die Stränge zu schlagen, wies er mich zurecht. Schließlich sei sie jung und müsse ihre Hörner noch abstoßen.

Über seine anderen Töchter sprach er nie so. Falls er überhaupt von ihnen sprach. Von denen erwartete er nur Gehorsam und Sittsamkeit. Sie waren für ihn bestenfalls Unterpfand nur für spätere Bündnisse.

Als Elektra einmal im Zorn eine junge Dienerin wegen einer Ungeschicklichkeit niederstach, regelte ihr Vater Agamemnon die Angelegenheit auf seine Art. Er gab den Eltern des Mädchens einen goldenen Kelch und ein Stück Land als Preis für das Leben und befahl ihnen Stillschweigen über die Angelegenheit. Nichts Anderes blieb ihnen übrig, waren sie doch seiner Gnade ausgeliefert.

In allem folgte sie ihrem Vater. Wenig Respekt erwies sie anderen, weder den Männern des Rates, noch den Bediensteten. Sie blieb ganz des Königs Tochter - launisch und ungeschliffenen, besonders in ihrer frühen Jugend. Nichts schien sie zu belehren und meine gelegentliche Strenge wurde vom Vater stets übergangen. Sie erfuhr keinerlei Grenzen und keine Folgen hatte ihre Unbotmäßigkeit.

Dem Vater schien Elektras Wesen Freude zu bereiten. Alle anderen wichen ihr, wenn möglich aus, sobald sie sich näherte. Sie fühlten sich in ihrer Nähe unwohl. Manche Klage über ihr Verhalten wurde an mich herangetragen. Sprach ich zu Agamemnon davon, wischte er meine Worte beiseite. Nicht hören wolle er solches Gerede in seinem Palast. Nur selten wagten Dritte ihn darauf anzusprechen. Mehr noch fürchteten sie seine Unbeherrschtheit, konnten beide doch von einem zum anderen Augenblick in Wut geraten. Was beim Vater in der Öffentlichkeit noch der königlichen Würde unterlag, trat bei ihr ungehemmt und ohne jede Kontrolle zutage.

Es bereitete ihr zunehmend Lust, Dienerinnen für Lappalien zu strafen oder sich auf den Märkten an den Ständen nach Gutdünken zu bedienen, ohne den Preis für die Waren zu zahlen. Alles in Mykene gehöre dem König, glaubte sie und sie sei dessen Tochter. Niemand wagte es gegen sie aufzubegehren. Zu sehr fürchtete jeder ihren Zorn und den des Königs.

Heimlich zahlte ich später, was sie sich nahm. Die Dienerinnen wussten, dass sie mir darüber zu berichten hatten.

Die zwei anderen, Iphigenie und Chrysothemis, waren dem Charakter des Vaters ebenso ausgeliefert, wie ich selbst. Während Iphigenie, die Älteste, ernsthaft und gebildet war in vielen Dingen, war Chrysothemis oft schweigsam und verträumt. Sie liebte es, Tücher mit neuen Mustern zu weben und aus Blumen Kränze zu flechten. Wie sie strahlte als Kind, wenn sie zu mir kam, um mich mit ihnen zu schmücken. Sie konnte herzhaft und laut lachen vor Glück, wenn ich ihr Geschenk lobend entgegennahm. Doch sie verstummte sofort, wenn der spöttische Blick ihres Vaters sie traf. Ernst und hastig verließ sie den Raum unter irgendeinem Vorwand.

Immer rannte sie nur. Selten war sie in ruhigen Schritten unterwegs. Ständig schien sie auf dem Sprung ohne zu wissen, wohin sie wollte. Fragte ich sie, dann rief sie im Vorbeilaufen fröhlich, „Dahin!“. Ich liebte ihr Lachen und ihre ungetrübte Fröhlichkeit. Gern ließ ich mich davon anstecken und begleitete sie, wann immer ich konnte, hinaus in den Hain neben der Stadt.

Nur an ihrem Webstuhl konnte sie ruhig sitzen, schien es mir. Mit Vorliebe sang oder summte sie am Webstuhl selbst erdachte Lieder und träumte sich in eine Welt, die es in unserem Palast für sie nicht gab. Sie hatte ihr Glück in ihrem Inneren gefunden, dort wo niemand hingelangen konnte, wenn sie es nicht wollte. Abseits von uns anderen träumte sie von Schönheit und Stille. Ihre Kammer hatte sie mit eigener Hand mit rankenden Blumen, blühenden Bäumen und bunten Vögeln ausgemalt. So, schien es mir, schützte sie sich vor den Grobheiten des Vaters und den häufigen Streitigkeiten zwischen uns. Aber ich wusste auch, dass sie wohl das einsamste meiner Kinder war. Ihren Schmerz und ihre Trauer verbarg sie hinter ihrem lauten Lachen. Es traf mich jedes Mal hart, wenn sie vor dem groben Auftreten ihres Vaters floh.

Hirtenkronen hatte er einmal die Blumenkränze genannt und ob sie denn schon ihren Prinzen auf den Weiden vor der Stadt gefunden hätte. Falls ja, werde es ganz sicher eine prachtvolle Hochzeit in den Ställen geben. Ob er denn auch kommen und ihnen auf der Flöte musizieren dürfe, spottete er weiter. Ihm war jeder Sinn für seine Kinder fremd.

Nach so einem Auftreten kam sie oft mehrere Tage nicht aus ihrer Kammer. Ich saß dann Stunden bei ihr und sah ihr beim Weben zu und lernte ihre Lieder. Die waren schlicht und ähnlich in ihrer Melodie und klangen schwermütig meist. Ich spürte in solchen Momenten besonders, wie weit fort sie sein konnte, obwohl sie doch direkt vor mir saß.

Iphigenie dagegen hielt sich selbst streng und ernsthaft von klein an schon. Es schien, als habe sie das meiste meines Charakters geerbt. Sie lernte begierig, was Frauen wissen sollten. Die Legenden der Götter, die Sagen der Vorfahren und vor allem den Umgang mit Heilmitteln, Salben und Kräutern. Ruhig und gesetzt wusste sie sich auszudrücken gegenüber jedermann. Klug und belesen redete sie mit den Priestern und Gelehrten. Die unterrichteten sie darum gern und gewährten ihr zuweilen Zutritt zu Wissen, das nicht für Frauen bestimmt war. In Sternendeuterei und Philosophie wurde sie unterrichtet. Auch in der Kunst des Argumentierens war sie bewandert. Sie hatte sich mit den Jahren den Respekt dieser Männer erworben durch ihre Fragen und ihre Art im Disput zu argumentieren.

Jedes Kind entwickelte sich, wie es die Götter ihm erlaubten, jedes nach seiner Art und seinem Charakter. Doch diese beiden litten, wie ich, unter dem Benehmen des Vaters.

Jahre später gebar ich Oresthes. Nur wenig Zeit blieb Agamemnon für ihn. Noch bevor er seinen Sohn ausbilden konnte, zu einem Nachfolger, zog er in jenen folgenschweren Krieg.

Zu wenig Zeit auch für Oresthes, seinen Vater fest in Erinnerung zu behalten. Zu wenige Zeit, als dass der Charakter des Vaters sich auf ihn auswirken konnte. Eine glückliche Fügung wurde der Krieg für den Sohn. Ein anderer Mann, ein besserer konnte er jetzt werden, hoffte ich. Einen besseren König wollte ich aus ihm machen. Klug und stolz sollte er werden für Mykene. Doch Aigisthos und die Götter entschieden anders. Nicht in unserem Palast konnte Oresthes aufwachsen. Aigisthos fürchtete seine Rache nach unserer Tat und so sandten wir ihn in ein fremdes Land zu einem befreundeten König. Dieser sollte meinen Sohn erziehen mit dem eigenen zusammen. Nie sollte Oresthes erfahren, wer er war und woher er stammt. Das musste Strophios, der König von Phokis uns schwören.

Die Abreise meines Sohnes schmerzte mich sehr. Er sollte einmal der Nachfolger Agamemnons werden, ein besserer König, wenn möglich. Das hatte ich gehofft. Doch schien es mir geraten, ihn in der Fremde am Leben zu wissen, als in Gefahr vor Aigisthos Furcht. So konnte mein Sohn leben und