Ruf der Sterne
Das Erwachen der Wächter
Gerd Hoffmann
Impressum © 2023 Gerd Hoffmann
Alle Rechte vorbehaltenDie in diesem Buch dargestellten Figuren und Ereignisse sind fiktiv. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder toten realen Personen ist zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt.Kein Teil dieses Buches darf ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Herausgebers reproduziert oder in einem Abrufsystem gespeichert oder in irgendeiner Form oder auf irgendeine Weise elektronisch, mechanisch, fotokopiert, aufgezeichnet oder auf andere Weise übertragen werden.Coverdesign von: www.magicalcover.deImpressum:Gerd HoffmannSt. Vither Str. 1150933 Köln
Inhalt
Titelseite
Impressum
Das Objekt
Der Colonel
Der Präsident
Der Ufologe
Der Sträfling
Die Assassinin
Das Observatorium
Vorbereitungen
UFO-Konferenz
Nachwirkungen
Gefangen
Der Prediger
Verhandlung
Letzte Vorbereitungen
Operation Firebelt
Wartezeit
Tag X
Die letzten Tage der Menschheit
Stunde Null
Zweite Chance
Kontakt
Intermezzo 1
Intermezzo 2
Das Team
Training
Vereint
Countdown
Start
Im Inneren des Asteroiden
Die Kammer
Odysseus
Ratlosigkeit
Der zweite Strom
Die Kammer der Wächter
Der Aufbruch
Die Irkutsk
Das Manderasystem
Entführt
Das Vandalorsystem
Das Bentulussystem
Rückkehr
Das Schicksal der alten Zivilisation
Die Gilgatorianer
Moskau
Turm des Schreckens
Der Abgesandte
Die Gemeinschaft der Wächter
Konfrontation
Befreiungsaktion
Rückkehr zur Odysseus
Das Siegel der alten Wächter
Wieder daheim
Das Objekt
Linda Wade kannte die Strecke zu ihrem Arbeitsplatz wie ihre Westentasche. Das war auch gut so, denn an diesem Tag konnte sie den Blick nicht vom sternenübersäten Nachthimmel abwenden, so sehr faszinierte sie sein Funkeln und Glitzern. Selbst hier nahe dem Gipfel des Palomar-Gebirges, weitab von den Lichtern der Städte Los Angeles und San Diego, war ein solcher Anblick nicht alltäglich. Für Tage wie heute lebte sie, deswegen hatte sie das Studium der Astrophysik absolviert und …
Ein lautes Hupen und zwei aufgeblendete Scheinwerfer rissen sie wieder in die Realität zurück. Ihr Herz schlug wie wild, während sie ihren Wagen auf den unbefestigten Seitenstreifen steuerte und den Motor abwürgte. Sie stützte ihren Kopf auf das Lenkrad und atmete tief durch, versuchte, den Puls auf ein normales Maß abzusenken.
Verdammt, reiß dich zusammen!
Sie benötigte fünf Minuten, bis sie sich wieder in der Lage fühlte, ihre Fahrt fortzusetzen.
Schön den Blick auf die Straße richten, Linda. Den Himmel kannst du nachher noch ausgiebig betrachten. Dafür hast du die ganze Nacht Zeit.
Mit zitternden Fingern startete sie den Motor und folgte der sich den Berg hinaufwindenden Straße. Erst nach ein paar Minuten fühlte sie sich wieder in der Lage, etwas mehr Gas zu geben. Dennoch dauerte es viel länger als sonst, bis sie den weißen, fast zylinderförmigen Bau des Observatoriums vor sich aufragen sah.
Der Parkplatz, auf dem sie ihr Fahrzeug abstellte, war beinahe leer. Auch deswegen bevorzugte sie die Nachtschicht gegenüber der Arbeit am Tag. Nachts konnte sie fast die ganze Zeit den Sternenhimmel beobachten und Objekte kartographieren. Gelegentlich beantragte und erhielt sie auch Nutzungszeit für das Hubble-Teleskop. Das war besonders wertvoll für ihre Doktorarbeit, die sie spätestens nächstes Jahr vorlegen wollte. Ganz zufrieden war sie noch nicht damit und im Stillen hoffte sie, irgendeine Entdeckung zu machen, die ihre Arbeit von ziemlich nett zu hochinteressant aufwerten würde.
Träum weiter, Linda. Du wirst wohl kaum kleine grüne Männchen sehen, die dir durch das Teleskop zuwinken.
Andererseits war das auch nichts, woran sie wirklich glaubte. Es mochte irgendwo in den Weiten des Alls anderes Leben geben. Sie war sich sogar sicher, dass es so sein musste, aber die Entfernungen zwischen den Sonnensystemen waren so unfassbar groß, dass Besuche von fremden Planeten völlig utopisch waren. Davon phantasierten nur irgendwelche Spinner auf UFO-Kongressen, die zu allem Überfluss die Astronomie in Verruf brachten. Selbst Verwandte sahen sie gelegentlich merkwürdig an und zogen sie auf, falls sie mal über ihre Arbeit sprach – was sie nach Möglichkeit vermied.
Sie eilte zum Eingang des Observatoriums und stieß die ziemlich schwergängige Tür auf. Die Sternwarte hatte schon etliche Jahre auf dem Buckel. Auch wenn die Instrumente durchaus dem neuesten Stand der Technik entsprachen, so hatte die übrige Einrichtung den morbiden Charme der Sechziger.
»Du kommst spät«, sagte ihr Kollege Caleb Gamboa, als sie ihren Arbeitsplatz erreichte.
»Hab fast einen Unfall gebaut.«
Caleb wandte sich ihr zu und schob erstaunt und besorgt zugleich seine Brille nach oben. »Bist du in Ordnung?«
»Klar. Ich wär nur beinahe von der Straße abgekommen, weil mir so ein Vollidiot mit aufgeblendeten Scheinwerfern entgegenkam.«
Er musterte sie. »Und du warst nicht am Tagträumen, weil dich der Gesteinsbrocken zu irgendwelchen Theorien animiert hat?«
»Quatsch. Heiße ich vielleicht Packard?«
Caleb knurrte nur etwas Unverständliches, bevor er von seinem Stuhl aufstand und seine Jacke nahm.
»Tasse!«, sagte Linda und deutete auf das gebrauchte Geschirr auf dem Schreibtisch.
»Ich weiß!«, erwiderte ihr Kollege und zeigte damit, dass er die Witze aus Airplane immer noch mochte. Leslie Nielsen hatte die aber deutlich besser rübergebracht.
»Ich meinte mit der Bemerkung, du sollst sie spülen und wegräumen gehen!«
»Nur keine Sorge, das mache ich. Unser Boss soll ja schließlich keinen Saustall hier vorfinden, wenn er übermorgen wie ein eitler Gockel herumstolziert und allen von meiner Entdeckung berichtet. 'Asteroid Glenn Packard' – dass ich nicht lache!«
Tröstend strich ihm Linda über den Rücken. »Du hast ja schon einen Himmelskörper, der nach dir benannt ist. Lass doch unserem Chef die Genugtuung, auch etwas im All herumfliegen zu haben, was seinen Namen trägt.«
»Dann soll er sich selbst vor die Teleskope setzen und den Himmel kartographieren. Aber dafür ist er zu faul.«
»Er sorgt dafür, dass Geld in die Kasse kommt«, erinnerte Linda ihren Kollegen an die Hauptaufgabe ihres Vorgesetzten. »Du weißt doch nur zu gut, wie sehr uns die Bürokraten auf die Pelle rücken und das Budget kürzen wollen.«
»Oh ja, deswegen artet das hier auch manchmal zu einem zweiten Disneyland aus.«
Linda schmunzelte innerlich. Caleb war einer derjenigen, die Besuchergruppen als maximal störend empfanden – und dies oft genug zeigte. Packard war dann immer der 'gute Onkel', der die Kinder tröstete und die Eltern darauf hinwies, dass der unwirsche Mitarbeiter gerade arg im Stress sei. Ihr Kollege mochte ein hervorragender Physiker sein, aber was die soziale Komponente anging, da hatte er erhebliche Defizite.
»Ich denke, ich genehmige mir im Blue Velvet noch ein paar Bierchen!«, sagte er abschließend und verabschiedete sich von Linda auf seine übliche Weise, indem er mit zwei Fingern an die Stirn tippte.
Die Tasse blieb natürlich auf dem Schreibtisch zurück.
Soll ich sie dieses Mal stehen lassen? Wenn er irgendwann keine freie Stelle auf dem Tisch findet, weil sich drei Dutzend Tassen … ach, egal. Hoffentlich denkt er daran, seinen Wagen stehenzulassen, falls es das eine oder andere Bier mehr wird.
Mit einem leisen Seufzer nahm sie das Geschirr, verschwand in der Teeküche, säuberte die Kaffeetasse und räumte sie zurück in den Schrank.
»Gern geschehen, Caleb«, murmelte sie, bevor sie sich zu ihrem Arbeitsplatz begab und die beiden Rechner hochfuhr. Sie zog eine Schublade auf und nahm etliche Papiere heraus, die neben ziemlich wirren und oft geänderten Notizen auch einen kleinen, gelben Haftzettel enthielten. Darauf hatte sie den Wochenplan kurz umrissen, der sich hauptsächlich um den Asteroiden drehte, der den Namen ihres Vorgesetzten trug – anstatt den seines Entdeckers.
Ein bisschen konnte sie Calebs Ärger nachempfinden. Es traf zwar zu, dass bereits ein Objekt seinen Namen trug, aber dabei handelte es sich um einen Steinbrocken im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Kein Vergleich zu dem Asteroiden, den es wohl aus der Oortschen Wolke in das innere Sonnensystem verschlagen hatte.
Mit einem leisen Seufzer tippte sie einige Befehle in das Programm auf ihrem Rechner. Geräusche, die aus dem Herzstück der Einrichtung kamen, zeigten ihr an, dass sich das große Teleskop neu ausrichtete und nun den Uranus ins Visier nahm. Die Zusammensetzung des Gasplaneten war schon recht gut erforscht – soweit man dies von einem Planeten sagen konnte, der rund 1,7 Milliarden Meilen von der Erde entfernt war. Deswegen war er nur noch selten Gegenstand professioneller Untersuchungen, was Linda ein bisschen schade fand. Man richtete die Blicke ständig tiefer ins All hinaus, näherte sich immer mehr dem Geschehen kurz nach dem Urknall an, vergaß aber dabei gelegentlich die unmittelbare Nachbarschaft.
Das Teleskop sandte nun die ersten Aufnahmen des Planeten und sie begab sich an die Arbeit, um diese auszuwerten.
Hoffentlich hast du dich heute für mich etwas schick gemacht.
Sie schmunzelte, weil sie sich gerade diesen riesigen Brocken vorstellte, wie er sich kämmte und eine Krawatte anlegte.
Du bist doch nicht ganz zurechnungsfähig, Linda!
»So, und wo ist nun dein kurzzeitiger Begleiter?«
Sie warf einen Blick auf die Uhr. In genau dreißig Minuten würde der Asteroid Glenn Packard den Uranus passieren und dieses Ereignis sollte natürlich ausführlich dokumentiert werden. Wahrscheinlich waren in dem Moment überall auf der Erdkugel haufenweise Teleskope auf den Gesteinsbrocken ausgerichtet. Obwohl ... eher nicht. So eine weltbewegende Sensation war es dann doch nicht. Da ließ sie sich wohl ein wenig von der Begeisterung ihres Vorgesetzten mitreißen.
Da bist du ja.
Es erfüllte Linda durchaus mit Stolz, dass ihre Berechnungen so akkurat waren. Der Asteroid zog genau auf seiner vorausberechneten Bahn zu dem …
Was ist das denn? Ein Fehler in der Aufnahme?
Ungläubig blickte Linda auf das letzte vom Teleskop übermittelte Bild. Der Brocken war nicht an der Position, wo er eigentlich sein müsste. Hastig startete sie ein weiteres Programm, mittels dessen Caleb und sie Packards Flugbahn errechnet hatten.
Sie ließ sich die Bahn anzeigen, die sie ermittelt hatten, und die am Uranus und Saturn vorbei zum Jupiter führte. Durch die wirkenden Anziehungskräfte sollte der Asteroid dann von seinem Kurs abgelenkt werden und ein paar Monate später aus dem Sonnensystem verschwinden.
Vielleicht war es ja wirklich nur ein Übertragungsfehler.
Linda nagte auf ihrer Unterlippe, während sie auf die nächste Aufnahme wartete. Sie malte sich schon aus, wie sie bei ihrem Vorgesetzten im Büro erschien und ihm beichtete, dass sie etwas falsch berechnet hatte. Natürlich würde er ihr nicht den Kopf abreißen, aber als angehende Doktorin der Astrophysik wäre es auch kein Ruhmesblatt. Jedenfalls würde sie es nicht unbedingt in ihrem Lebenslauf erwähnen.
Ping!
Das Signal kündigte das Eintreffen einer weiteren Aufnahme an. Sie sandte ein Stoßgebet an alle bekannten und unbekannten Götter, während sie die aktuelle Position des Asteroiden mit der berechneten verglich.
Scheiße!
Die nächste halbe Stunde verbrachte sie damit, auf den Bildschirm zu starren und dabei zuzusehen, wie der tatsächliche Kurs immer weiter vom vorhergesagten abwich.
Caleb sollte es erfahren. Vielleicht übersehe ich ja nur etwas.
Sie wartete noch eine letzte Aufnahme ab und betete um ein Wunder. Leider kamen diese in jüngster Zeit nicht mehr so oft vor – und auch dieses Mal blieb es aus. Sie griff zum Telefon und hoffte nur, dass sich ihr Kollege nicht schon zu viele Bierchen genehmigt hatte.
*****
»Ich hoffe, es ist wirklich so dringend!«, rief Caleb, kaum dass er das Büro betreten hatte. »Da war eine Frau, die ich gerne besser kennengelernt hätte …«
»Hier!« Anstatt näher ins Detail zu gehen, legte Linda ihm nur ihre Berechnungen und die Ausdrucke der letzten Bahn des Asteroiden auf den Schreibtisch.
Er ließ sich auf seinen Stuhl nieder und begann, die Unterlagen und Notizen zu studieren. Nach einer ganzen Weile nahm er seine Brille ab, polierte umständlich die Gläser, und setzte sie sich wieder auf die Nase.
Hat er wahrscheinlich auch aus irgendeinem Film.
»Nun?«, fragte Linda ungeduldig. »Was meinst du?«
»Es ist nicht möglich. Ich will erst einmal die neueste Aufnahme sehen, bevor ich unruhig werde.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Kannst du gerne haben. Ich habe das Programm so eingestellt, dass es jede Minute ein neues Foto schießt und die Daten direkt für die Berechnung aufbereitet.«
Er kroch fast in den Monitor hinein, während er die letzte Kursbewegung des Asteroiden begutachtete. »Unfassbar«, murmelte er.
»Ich habe unsere Berechnung ein gutes Dutzend Mal kontrolliert, bis du gekommen bist. Es ist kein Fehler in der Formel enthalten. Da bin ich mir jetzt sicher.«
Caleb kratzte sich am Kopf. »Sieht so aus, als bliebe der Bursche noch ein wenig länger bei uns im Sonnensystem. Die Anziehungskraft des Jupiters wird ihn jedenfalls nicht aus der Bahn werfen.«
»Danach sieht es nicht aus. Ich wollte gerade anfangen, die neue Flugbahn zu berechnen.«
»Dann lass es uns angehen.«
Die nächsten zwei Stunden verbrachten die beiden Wissenschaftler damit, den Kurs zu extrapolieren und die auf den Asteroiden wirkenden Kräfte zu bestimmen. Dafür stand ihnen ein hochspezialisiertes Programm zur Verfügung, ohne das sie für die Berechnung wahrscheinlich Tage benötigt hätten. Schließlich sahen sie das Ergebnis schwarz auf weiß vor sich … und Caleb fiel der Stift aus der Hand.
»Das kann nicht sein«, stieß Linda hervor. »Wir müssen einen Fehler gemacht haben.«
Ihr Kollege nickte geistesabwesend. »Das wird es sein. Lass uns die Prozedur noch einmal durchgehen.«
Sie wiederholten den Vorgang nicht nur ein-, sondern zweimal. Und ein drittes Mal. Als es bereits drei Uhr morgens war, sahen sie das Ergebnis zum vierten Mal vor sich.
»Wir sollten besser unseren Vorgesetzten informieren«, sagte Caleb tonlos, während er auf das Blatt in seinen Händen stierte.
Linda schmeckte bittere Galle im Mund. »Ich ruf ihn an.«
Der Colonel
Dan Stalter wälzte sich im Bett von der einen auf die andere Seite, aber das schrille Geräusch wollte einfach nicht verstummen.
»Schalt doch endlich den Wecker aus, Liebes!«, sagte er murrend – bis ihm einfiel, dass ihn seine Frau vor drei Wochen verlassen hatte.
»Wir sollten uns eine Auszeit nehmen.« So hatte sie sich ausgedrückt.
Außerdem hatte er den Radiowecker gar nicht eingeschaltet, da heute sein freier Tag war. Auch war es die Türklingel, die ihn so unsanft weckte.
»Was zur Hölle …«, knurrte er, richtete sich auf, gähnte herzhaft, schlüpfte in die Pantoffeln und verließ das Schlafzimmer. Er schaltete den Überwachungsmonitor neben seiner Haustür ein … und war plötzlich hellwach. Wenn sein Adjutant um diese Uhrzeit vor der Tür stand, musste etwas passiert sein – und zwar nichts Angenehmes.
Er drückte auf den Türöffner und eilte ins Ankleidezimmer, wo er sich einen Morgenmantel anzog. Er öffnete die Tür genau in dem Augenblick, als Captain Ferguson gerade anklopfen wollte.
»Wo brennt es denn, Mike?«, fragte er. Die ernste Miene seines Adjutanten verhieß nichts Gutes.
»Es könnte sein, dass wir ein riesiges Problem haben, Colonel.«
»Es könnte sein?«
»Es ist sehr wahrscheinlich, wenn man den Wissenschaftlern im Palomar Observatorium glauben darf, Sir.«
Dan schluckte einen ellenlangen Fluch hinunter. »Wer wurde informiert und durch wen?«
»Sergeant Hunter aus meiner Abteilung wurde von Glenn Packard, dem leitenden Physiker des Observatoriums, angerufen.«
»Wie viel hat er Hunter gesagt?«
»Dass er jemanden sprechen muss, wenn es um einen außer Kontrolle geratenen Himmelskörper geht. Zum Glück ist der Sergeant nicht auf den Kopf gefallen und hat direkt mich informiert, anstatt die halbe Airbase in Alarmstimmung zu versetzen.«
In Dans Magen krampfte sich alles zusammen. »Ich hoffe, es ist blinder Alarm. In jedem Fall werde ich diesem Packard einen heftigen Einlauf verabreichen, weil er diesen Blödsinn verzapft hat. Wie kann man nur so dumm sein? Wollte er eine Panik auslösen?« Er warf einen Blick auf die Uhr. »Haben Sie einen Flieger bereitstellen lassen?«
»Ja, Sir. Er wird uns nach San Diego bringen, wo bereits ein Hubschrauber auf uns wartet.«
»Dann werde ich mich mal besser anziehen. Auf dem Flug teilen Sie mir alles mit, was Ihnen der Knabe in Kalifornien berichtet hat. Und lassen Sie den Sergeanten in Gewahrsam nehmen.«
*****
Colonel Dan Stalter war in tiefes Brüten versunken. Der Bericht seines Adjutanten hatte seine winzige Hoffnung, dass es sich bei dem Himmelskörper um einen aus der Umlaufbahn geratenen Satelliten handeln würde, vernichtet. Selbst ein möglicher Absturz der Raumstation ISS wäre nicht so schlimm gewesen wie das Szenario, was ihnen möglicherweise bevorstand, wenn die Typen im Observatorium keine Nieten waren.
In diesem speziellen Fall hätte ich gar nichts gegen einen blinden Alarm einzuwenden.
»Wann landen wir, Mike?«, fragte er den Captain.
Ferguson blickte auf seine Uhr. »In zwanzig Minuten. Der Hubschrauberflug zum Observatorium wird ungefähr weitere zehn Minuten in Anspruch nehmen.«
Dan griff in die Innentasche seines Jacketts. Dort steckte der Umschlag mit den Telefonnummern, die er anrufen würde, falls sich die Bedrohung als real erweisen sollte. Er hoffte inständig, dass dem nicht so war.
Kurz vor der Landung nahm der Captain ein Telefongespräch entgegen. Es dauerte nicht lange, doch als er sein Handy wieder in die Tasche steckte, war sein Gesichtsausdruck ungewöhnlich ernst.
»Noch mehr schlechte Nachrichten?«, fragte Stalter.
»Jedenfalls keine guten, Sir. Anscheinend sind die Russen und Chinesen mittlerweile ebenfalls nervös geworden. Zumindest deuten alle Anzeichen, die unser Geheimdienst ausgewertet hat, darauf hin. Es ist natürlich zu früh, über den Grund zu spekulieren …«
»… und dabei sollten wir es erst einmal belassen.« Der Colonel legte eine kurze Pause ein. »Haben Sie den offiziellen Weg beschritten, um an diese Informationen zu kommen?«
Der Captain lächelte grimmig. »Nein, Sir, aber ich kenne aus meiner Zeit in Washington noch ein paar Personen in gewissen Positionen.«
»Sehr gute Arbeit, Mike. Lassen Sie uns hoffen, dass wir heute Abend über diese Episode lachen können.«
»Ich hätte nichts dagegen, Sir.«
*****
Colonel Stalter betrachtete die Frau und die beiden Männer, die vor ihm standen, mit stoischer Miene. Sie wirkten alle drei reichlich nervös, was natürlich in Anbetracht der Umstände nicht verwunderlich war.
»Wem von Ihnen ist die Anomalie zuerst aufgefallen?«
Die Frau hob den Arm, als wäre sie in der Schule. »Das war ich, Colonel.«
»Doktor … Wade, richtig?«
»Ich arbeite noch an meiner Promotion, Sir. Mein Name ist Linda Wade.«
»Dann erzählen Sie mir doch, wie und wann Sie festgestellt haben, dass der Asteroid auf die Erde zusteuert.«
»Nun … ich wollte dokumentieren, wie Packard … das ist die Bezeichnung des Himmelskörpers … jedenfalls war es meine Aufgabe, Fotos von dessen Vorbeiflug am Uranus zu erstellen … mittels des Teleskops, Sir. Sehen Sie, wir kartographieren hier jeden Tag ...«
»Bitte bleiben Sie beim Thema, Miss Wade.«
»Natürlich … also, ich habe dann festgestellt, dass der Asteroid die berechnete Bahn verlassen hatte. Ich habe weitere Berechnungen angestellt, bis ich mir sicher war, dass Packard tatsächlich eine neue Flugbahn eingeschlagen hat. Danach rief ich Caleb an und wir entdeckten …«
»… dass der neue Kurs Richtung Erde führt«, fiel Lindas Kollege ihr ins Wort.
Der Colonel grunzte unzufrieden. Dies hatte ihm der Captain bereits im Flugzeug berichtet, aber eine wesentliche Frage war noch unbeantwortet. »Ich nehme an, die ursprüngliche Berechnung der Flugbahn war fehlerhaft?«
»Nein, Sir«, erwiderte Linda. »Wir haben bis zu Ihrem Eintreffen alles doppelt und dreifach überprüft. Das ist es ja, was wir nicht verstehen.«
Stalter massierte sich die Schläfen.
Wahrscheinlich wollen sie einfach nicht eingestehen, dass ihnen ein Fehler bei der Berechnung unterlaufen ist.
»Wie soll es denn sonst passiert sein? Hat der Asteroid auf die Bremse getreten und dann den Kurs zur Erde eingeschlagen?«
Caleb zuckte stumm mit den Schultern, was den Colonel verärgerte.
»Damit kann ich nichts anfangen, Mr. Gamboa! Ich brauche Antworten! Falls ich nachher gezwungen bin, gewisse Telefonnummern anzurufen, werde ich meinen Gesprächspartnern kaum sagen können, dass die Wissenschaftler im Observatorium keine Ahnung haben.«
»Wir können Ihnen keine Antworten liefern, Colonel, so leid es uns tut«, sagte Linda mit tonloser Stimme. »Unsere erste Vermutung, dass die Anziehungskraft eines anderen Himmelskörpers an der Kursänderung des Asteroiden die Schuld trägt, hat sich nicht bestätigt.«
Stalter atmete tief durch. »Dann sage ich Ihnen, was wir jetzt tun. Sie gehen zurück an diese Computer, lassen sich die aktuelle Position des Gesteins geben und berechnen den Kurs erneut.«
»Das haben wir …«, begann Caleb, wurde aber rüde unterbrochen.
»Dann werden Sie es noch einmal machen, Mr. Gamboa! Ich will nicht mit Washington sprechen und alle dort aufscheuchen, nur um eine Stunde später zu erfahren, dass es sich der Asteroid wieder anders überlegt hat. Also gehen Sie jetzt bitte an die Arbeit!«
*****
Linda ging beinahe mechanisch alle Schritte durch, die sie in dieser Nacht und am frühen Morgen bereits ein Dutzend Mal erledigt hatte. Nur langsam drang in ihr Bewusstsein, was diese Entdeckung eigentlich bedeutete. Ein riesiger Gesteinsbrocken mit einer Länge von über acht Meilen und einer Höhe von rund eintausend Yards befand sich auf direktem Kollisionskurs mit der Erde. Wenn kein Wunder geschah …
»Ich hoffe, Sie haben sich wirklich nicht verrechnet, Linda«, vernahm sie die Stimme ihres Vorgesetzten im Rücken. Irritiert wandte sie sich um und blickte ihm ins Gesicht. »Ich werde dafür meinen Kopf hinhalten müssen, falls Sie sich vertan haben. Der Colonel wird kaum begeistert sein, wenn wir ihn völlig grundlos hierhin zitiert haben.«
Linda glaubte nicht, was sie da hörte. »Wissen Sie eigentlich, was Sie hier für einen Unsinn von sich geben, Mr. Packard?«
Der Mann riss die Augen weit auf. »Wie reden Sie denn mit mir, Miss Wade?«
Sie deutete auf den Monitor. »Wissen Sie, was da auf uns zukommt? Ich würde alles dafür geben, wenn wir uns verrechnet hätten!«
Packard schien es auch nur allmählich ins Bewusstsein zu dringen, dass sie hier über die Auslöschung der gesamten Menschheit sprachen. Er brabbelte eine Entschuldigung, wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn und zog sich in sein eigenes, kleines Büro zurück.
So ein Idiot.
Sie knabberte an ihren Fingernägeln, nachdem sie die letzten Vorbereitungen für die abschließende Kursberechnung in das Programm eingegeben hatte.
Bitte, lieber Gott, lass mich eine unfähige, dumme Kuh gewesen sein, die diese Nacht sämtliche mathematischen Grundkenntnisse verloren hat. Mach, dass jetzt ein völlig anderes Ergebnis herauskommt. Ich gelobe feierlich, in der nächsten Kirche alle Kerzen aufzukaufen und anzuzünden. Ich werde irgendwelchen kirchlichen Einrichtungen Spenden zukommen lassen, nur bitte … lass den Asteroiden eine andere Bahn einschlagen.
Auch Caleb war mittlerweile mit seinen Eingaben fertig. Er verließ seinen Platz, trat zu ihr hin und tastete nach ihrer Hand. Er war über dreißig Jahre älter als sie und für Linda nicht mehr als ein Kollege, aber in diesem Moment war sie dankbar für seine Nähe.
Der Colonel hatte sich bis dahin im Hintergrund gehalten und sie arbeiten lassen, doch er schien allmählich die Geduld zu verlieren. »Was haben Sie denn nun für ein Ergebnis erhalten?«, fragte er. Seine Stimme hatte diese metallische Schärfe, die man wohl als befehlshabender Offizier benötigte.
Linda ließ sich davon aber nicht beeindrucken. Seitdem ihr ins Bewusstsein gedrungen war, dass sie in weniger als einem Jahr sterben würde, konnte sie der Colonel nicht mehr schrecken. »Die Berechnung läuft. Wir müssen abwarten.«
»Und wie lange?«
»Ungefähr fünfzehn Minuten. Und nein, es lässt sich nicht beschleunigen, falls Sie das fragen wollten.«
Sie sah Caleb schmunzeln und spürte, wie er ihre Hand etwas fester drückte. Während die Zeit quälend langsam verstrich, zog sich der Colonel zurück und sprach mit dem zweiten uniformierten Mann, der bisher kein einziges Wort von sich gegeben hatte.
Ist wohl nur ein Lakai … oder wie man das auch immer beim Militär nennt.
»Ich brauch einen starken Kaffee«, sagte sie zu ihrem Kollegen. »Soll ich dir einen mitmachen?«
Caleb schüttelte den Kopf. »Meine Kehle ist wie zugeschnürt.«
Kann ich sehr gut verstehen.
Auf dem Weg zur Teeküche kam sie an Packards Büro vorbei. Der Mann beachtete sie nicht. Er hatte beide Ellbogen auf den Schreibtisch gestützt und hielt den Kopf in den Händen vergraben.
In der Küche füllte sie mechanisch das Kaffeepulver in die Filtertüte, schaltete die Maschine ein und nahm ihre Tasse aus dem Schrank.
Bitte, lieber Gott …
Sie konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen. Ein ungeheurer Druck breitete sich in ihrem Kopf aus, während sie den durchgelaufenen Kaffee in eine Thermoskanne umfüllte und sich selbst eine Tasse einschenkte.
Wie ein ferngesteuerter Roboter kehrte sie an ihren Platz zurück. In diesem Moment empfand sie einen unerklärlichen Widerwillen gegenüber dem Observatorium, als ob das Teleskop daran schuld wäre, dass der Todesbote auf sie zuraste.
»Wie lange noch, Miss Wade?«, hörte sie die Stimme des Colonels wie durch Watte.
Am liebsten hätte sie ihn angeschrien und ihm den heißen Kaffee ins Gesicht geschüttet. »Rund fünf Minuten«, erwiderte sie aber stattdessen in aller Seelenruhe, als ob sie auf den Bus warten würde.
Sie trank einen Schluck Kaffee und fixierte den Bildschirm, als ob sie so ein positives Ergebnis erreichen könnte. Das schwarze Gebräu vermischte sich mit der Galle in ihrem Mund und schmeckte dadurch noch furchtbarer als sonst.
Ich sollte meinen Magen untersuchen lassen. Zu viel Stress und Arbeit. Aber wozu? In ein paar Monaten sind wir ohnehin alle tot.
Ein leises Geräusch deutete an, dass der Computer die Berechnung erledigt hatte. Sie schloss die Augen und traute sich mehrere Sekunden lang nicht, sie zu öffnen.
Bitte … nur dieses eine Mal …
Schließlich schaute sie auf den Monitor … und blickte auf das Todesurteil für die gesamte Menschheit.
*****
Der Colonel hatte Packard aus dessen eigenem Büro geworfen und die Tür hinter sich ins Schloss gezogen. Den Captain hatte er vor der Tür platziert, denn wenn er jetzt etwas nicht gebrauchen konnte, dann war es eine Störung. Ihm war bewusst, dass man ihn durch das Glasfenster beobachten konnte, aber eigentlich war es egal. Die drei Personen wussten ebenso gut wie der Captain, was vor sich ging. Um die würde er sich später kümmern müssen.
Mit gespielter Gelassenheit zog er den Umschlag aus der Innentasche seines Jacketts und erbrach das Siegel. Es war nur ein einziges Blatt, das der Briefumschlag enthielt, doch darin befanden sich alle Ansprechpartner und Telefonnummern, die er im Falle einer solchen Krise zu kontaktieren hatte.
Ich hätte nie gedacht, dass ich den Zettel mal benötigen würde. Interplanetarische Bedrohung! Bis vor zwei Jahren habe ich das für den Unsinn gehalten, den verrückte UFO-Gläubige und Verschwörungstheoretiker von sich geben. Area 51, fliegende Untertassen und sonstige Spinnereien.
Ganz oben auf der Liste war die Nummer der Stabschefin des Präsidenten vermerkt. Sie sollte nur in besonders bedrohlichen Situationen kontaktiert werden.
Ob ein Planetenkiller in diese Kategorie fällt?
Er lächelte grimmig, obwohl ihm nicht danach zumute war. Dr. Rose Black. Er erinnerte sich an die Frau. Letztes Jahr auf irgendeinem Empfang war er ihr begegnet. Er war ihr bestimmt nicht im Gedächtnis geblieben – nur ein unbedeutender Colonel unter all den Generälen und Admirälen. Wie war er eigentlich an diesen Posten gekommen? Nur aus dem Grund, weil er vor etlichen Jahren für eine Mission mit einem Space Shuttle ausgebildet worden war? Wahrscheinlich hatte nur kein anderer diese Aufgabe haben wollen. Besonders auszeichnen konnte man sich in dieser Position ja nicht.
Stalter legte das Blatt vor sich auf den Schreibtisch, nahm sein Handy aus der Tasche, aktivierte es und tippte die Telefonnummer der Stabschefin ein. Einen Moment lang zögerte er und blickte zur Tür.
Vielleicht entdeckte jemand in diesem Augenblick den Fehler in der Berechnung. Es muss einfach einen geben!
Doch niemand klopfte an die Tür oder gab ihm wild gestikulierend zu verstehen, dass es Neuigkeiten gäbe. Daher drückte er auf das Display und stellte die Verbindung her.
Der Präsident
Dustin Carpenter, seit einem Jahr und neunzig Tagen im Amt, konnte sich nicht auf die vor ihm liegenden Unterlagen konzentrieren. Wie auch? Nicht einmal eine Woche war es her, seit ihm seine Stabschefin eröffnet hatte, dass in wenigen Monaten die gesamte Erde nur noch ein Trümmerhaufen sein würde. Und er arbeitete sich gerade durch ein Gesetzesvorhaben, welches sich mit den Zollbestimmungen für Agrarimporte befasste.
Nimm dich zusammen!
Er war keiner dieser glattgebügelten Berufspolitiker. Deswegen hatte man ihn wahrscheinlich in dieses Amt gewählt – und überhaupt erst zur Wahl gestellt.
Dann konzentrier dich gefälligst auch auf deine Aufgaben. Von dir wird erwartet, dass du Entscheidungen triffst!
Entnervt warf er den Kugelschreiber auf den Schreibtisch.
Jetzt führe ich schon Selbstgespräche.
Aber war es denn ein Wunder? Es handelte sich hierbei schließlich nicht um kleinere Spannungen zwischen den USA und einem anderen Land, sondern um den Untergang der gesamten Menschheit.
Er hörte ein leises Pochen an der Tür und im nächsten Moment sah er auch schon seine Stabschefin im Türrahmen stehen.
»Es ist alles vorbereitet, Mr. President.«
»Ich komme, Rose. Geben Sie mir noch eine Minute.«
»Natürlich, Sir.«
Sie verschwand aus dem Raum und er war wieder allein. Er trat vor den Spiegel, richtete seine Krawatte und bemühte sich, eine zuversichtliche Miene aufzusetzen.
Dann lass es uns angehen.
*****
Den Raum im ersten Untergeschoss des Weißen Hauses hatte er bisher nur selten betreten. Er zog es vor, Unterredungen im Oval Office abzuhalten – oder in einem der zahlreichen Konferenzräume, die es in den seitlichen Flügeln gab. Hier unter der Erde kam er sich beinahe wie in einem Mausoleum vor.
Sehr passend für das Thema der Besprechung.
Ein flüchtiger Blick in die Runde sagte ihm, dass alle Teilnehmer anwesend waren. Er hatte auch nichts anderes erwartet. Jeder Einzelne wirkte angespannt und bei zwei von ihnen meinte er sogar, Angst zu erkennen. Da saß Dr. Brian Donahue neben seiner Chefingenieurin Kathelyn Jefferson, die zusammen bei der NASA die Daten von den bei ihnen sitzenden Wissenschaftlern vom Palomar Observatorium analysiert hatten. Colonel Dan Stalter, der unter anderem leitender Offizier für die Abwehr interstellarer Bedrohungen war – ein hochtrabender Titel für eine Sache, gegen die es keine Verteidigung gab. Natürlich war auch seine Stabschefin Rose Black im Raum – und Vizepräsident Milton Ferengar, der besonders angespannt und ängstlich wirkte.
Furcht ist ein schlechter Ratgeber. Zumindest ich sollte zuversichtlich wirken.
»Vielen Dank, dass Sie gekommen sind«, begann er mit einer floskelhaften Einleitung. »Sie haben alle die Unterlagen studiert?«
Es war zwar eine Frage, aber natürlich nahm Carpenter nicht an, dass irgendjemand es nicht getan hatte. »Bringen Sie uns bitte auf den neuesten Stand, Dr. Donahue.«
Der massige, weißhaarige Mann erhob sich und nickte seiner Kollegin zu, die den mitgebrachten Laptop mit dem großen Monitor, der am Kopfende des Raumes an der Wand hing, verband. Das Bild einer Karte des Sonnensystems erschien auf dem Bildschirm. Einige Sekunden später setzten sich die Planeten in Bewegung und es wurden zusätzlich Linien und Kurven in die Darstellung eingezeichnet.
Donahue nahm einen Laserpointer in die Hand und trat neben den Monitor. »Mr. President, geschätzte Damen und Herren … was Sie hier sehen, ist ein Abbild unseres Sonnensystems. Wie Sie wissen, besteht das System aus dem Stern in der Mitte und acht Planeten. Außerdem gibt es einen Asteroidengürtel zwischen Jupiter und Mars.«
Will er uns jetzt eine Vorlesung über Astronomie halten?
»Bitte kommen Sie direkt zum Kern Ihrer Ausführungen, Dr. Donahue«, sagte Carpenter.
»Natürlich, Sir. Blenden Sie nun bitte den Kurs des Asteroiden Packard ein, Kathlyn.«
Auf dem Monitor erschien nun ein neues Objekt, das dem Präsidenten fast so groß wie der Mars vorkam.
»Es ist nicht maßstabsgetreu!«, sagte Donahue. »Wir haben ihn etwas vergrößert, damit man ihn leichter sehen kann.«
»Schon klar, machen Sie weiter.«
»Kathlyn, bitte Simulation starten.«
Carpenter hielt den Atem an, als sich der Brocken durch das Sonnensystem fortbewegte … und schließlich mit der Erde kollidierte. Er meinte, aus mehreren Kehlen ein entsetztes Keuchen zu hören.
»Wie sicher ist diese Vorhersage?«, fragte der Vizepräsident. Selten zuvor hatte die Stimme des Mannes in Carpenters Ohren so belegt geklungen.
»Etwas über 98 Prozent, Sir«, erwiderte Donahue.
»Und das auch nur, weil kein Wissenschaftler gerne eine Wahrscheinlichkeit von einhundert Prozent angibt«, sagte die Frau neben Colonel Stalter.
Der Präsident wandte ihr seine Aufmerksamkeit zu. »Miss … Wade, richtig? Sie sind also der Meinung, dass uns der Asteroid auf jeden Fall trifft?«
»Das bin ich, Sir.«
»Das sind wir alle«, ergänzte Donahue.
»Wissen wir schon, wo Packard einschlägt?«, fragte der Vizepräsident. »Mit etwas Glück …«
»Es ist vollkommen unerheblich, an welchem Ort der Asteroid auf die Erde trifft«, unterbrach ihn Donahue. »Die Folgen sind auf jeden Fall katastrophal.«
»Wird er denn nicht in der Atmosphäre verglühen?«
»Packard hat eine Oberfläche von mehreren Quadratmeilen, Sir. Er wird nicht verglühen.«
Carpenter nickte zustimmend. »Ich stehe im ständigen Austausch mit den Regierungschefs unserer Verbündeten, zudem mit dem Präsidenten der Russischen Föderation und dem Generalsekretär Chinas. Deren Wissenschaftler sagen dasselbe.«
Der Vizepräsident wischte sich über die Stirn. »Und was sind dann unsere Optionen? Ich meine, wir haben doch immerhin eine eigene Abteilung, die sich mit interplanetarischen Bedrohungen befasst. Es wird doch Notfallpläne geben, oder?«
Der Präsident blickte in Colonel Stalters Richtung. Der Offizier erhob sich von seinem Sitzplatz, entfaltete ein Blatt Papier und räusperte sich einmal.
»Mr. President, es gibt so etwas wie einen Plan. Aber er ist doch sehr theoretischer Natur, weil sich niemand so recht vorstellen konnte, dass eine solche Situation eintreten würde. Und wenig hilfreich obendrein.«
»Und wofür bezahlen wir dann jahrein jahraus viel Geld dafür?«, brauste der Vizepräsident auf. »Ich habe mir vor zwei Tagen das Budget angesehen und es erscheint mir doch reichlich hoch dafür, dass irgendjemand einen theoretischen Plan entwickelt.«
Carpenter hob besänftigend eine Hand. »Das führt jetzt zu nichts, Milton. Hören wir uns an, was Colonel Stalter zu sagen hat.«
»Vielen Dank, Mr. President.« Dan räusperte sich ein zweites Mal. »Der Plan sieht drei mögliche Verhaltensmethoden vor, wenn ein sogenannter Planetenkiller auf Kollisionskurs mit der Erde sein sollte.« Er hielt einen Moment inne. »Die erste Option sieht vor, dass die Spitzen der Regierung und wichtige Persönlichkeiten Schutz in einem der Bunker der Stufe A suchen.«
»Was versteht man unter dieser Einstufung?«, wollte der Vizepräsident wissen.
Stalter war zunächst verwundert, dass Ferengar ihm diese Frage stellte, bis er sich bewusst machte, wie kurz die bisherige Amtszeit des Mannes war. Er hatte erst vor vier Wochen die Nachfolge seines verstorbenen Vorgängers angetreten.
»Es sind die sichersten Bunker, Sir, errichtet, um einen massiven Atomschlag zu überstehen. Viele von denen wurden in Gebirgsregionen gebaut und liegen teilweise mehrere hundert Yards tief unter der Erde.«
»Und wie lange könnte man dort unten aushalten – gesetzt den Fall, der Schutzraum wird mit der maximalen Menge an Personen belegt.«
»Wenn alles glatt läuft – sechs Monate.«
Ferengar atmete tief durch. »Wenigstens ein kleiner Lichtblick. Ich nehme an, es existieren schon Listen, wer in welchen Schutzbau kommt. Wo befindet sich denn der Regierungsbunker des Präsidenten?«
Der Colonel gab sich kaum Mühe, die Verachtung, die er nach diesem Satz für den Mann empfand, nicht allzu deutlich zu zeigen.
»Wenn Sie wollen, können wir das später erörtern, aber ich halte es für Zeitverschwendung.«
Der Vizepräsident blickte den Colonel entgeistert an. »Und wieso?«
»Weil es keinem helfen würde«, mischte sich Linda Wade ein. »Selbst wenn jemand den Aufschlag des Asteroiden in einem Bunker überleben würde – was ich bezweifle -, so würde ihn nach sechs Monaten eine tote Welt erwarten, wenn derjenige an die Oberfläche kommt. Die Menschen sähen sich einer vergifteten Erde gegenüber – ohne Sonnenlicht, ohne Tiere, mit abgestorbenen Pflanzen. Nein, Sir, wenn Packard einschlägt, ist die Menschheit verloren.«
»Deswegen ist Option 1 in meinen Augen kein Weg, den wir beschreiten können«, sagte der Colonel. »Möglichkeit 2 beschäftigt sich mit Plänen, den Asteroiden zu zerstören, bevor er in die Atmosphäre eintritt.«
»Schwachsinn«, murmelte Linda.
»Erläutern Sie Ihre Einwände doch bitte näher, Miss Wade«, forderte sie der Präsident auf.
»Mit Verlaub, Sir, Sie scheinen sich nicht im Klaren zu sein, was für ein gewaltiger Brocken auf uns zurast. Selbst wenn Sie es schaffen würden, in den nächsten Monaten Waffen zu entwickeln, die außerhalb der Erdatmosphäre eingesetzt werden können … die Zielsicherheit dürfte viel zu gering sein. Es sei denn, Sie haben bereits etwas entwickelt, von dem ich keine Kenntnis habe. Sie können ja nicht warten, bis der Asteroid in Erdnähe ist. Die Einzelteile – selbst wenn die Sprengung gelingen würde – wären immer noch tödlich.«
»Was sieht denn Option 3 vor?«, fragte Donahue.
Der Colonel lächelte grimmig. »Wir verlassen die Erde.«
»Wie bitte?«
Stalter hob die Schultern, als ob er sich entschuldigen wollte. »Als der Plan erstellt wurde, träumte man wohl noch davon, haufenweise Weltraumstationen in der Erdumlaufbahn zu errichten. Einige hofften wahrscheinlich auch auf eine Mondbasis.«
»Und alles, was wir haben, ist die ISS«, murmelte der Vizepräsident.
»Nun, den dritten Punkt können wir damit sofort zu den Akten legen«, sagte Präsident Carpenter. »Es läuft also auf die zweite Option hinaus, auch wenn die Erfolgsaussichten gering sind. Wir können aber nicht nur herumsitzen und Däumchen drehen. Ich werde den übrigen Regierungschefs empfehlen, die Ressourcen zu bündeln und zusammenzuarbeiten.«
»Wenn die Russen und Chinesen darauf eingehen – was ich bezweifel«, warf Vizepräsident Ferengar ein.
»Wir werden sehen. Es sind schließlich keine Selbstmörder.« Carpenter blickte in die Runde. »Vielen Dank für Ihre Zeit, meine Damen und Herren. Ich brauche Ihnen ja wohl nicht zu sagen, dass alles, was wir hier besprochen haben, streng vertraulich ist. Gehen wir an die Arbeit.«
»Da wäre noch eine Sache, um die wir uns auch kümmern müssen, Mr. President«, meldete sich zum ersten Mal die Stabschefin Rose Black zu Wort. »Es geht um die Frage, wie wir eine Massenpanik verhindern. Schon jetzt kursieren Gerüchte im Dark Web und selbst auf manchen einschlägigen Enthüllungsseiten wird bereits offen über eine Gefahr aus dem All gesprochen.«
»Dann sollten wir jeden aus dem Verkehr ziehen, der diese Dinge verbreitet«, sagte Ferengar.
Black nickte zustimmend. »Das geschieht bereits, Milton, aber wir können kaum das ganze Land einsperren, wenn sich die Gerüchte weiter verbreiten.«
»Und was schlagen Sie vor, Rose?«, fragte der Präsident.
»Wir geben eine amtliche Stellungnahme heraus. Wir bestätigen die Existenz des Asteroiden und dass er an der Erde ziemlich dicht vorbeifliegen wird. Damit beruhigen wir die Bevölkerung und verhindern so vielleicht, dass ein paar Hobbyastronomen versuchen, Packards Flugbahn zu berechnen. Diejenigen, die dennoch Panik verbreiten, müssen wir selbstverständlich aus dem Verkehr ziehen.«
Carpenter nickte zustimmend. »Veranlassen Sie alles Notwendige, Rose. Ich halte Ihnen den Rücken frei.«
*****
Linda zitterten die Knie und sie lehnte sich an die Wand, nachdem sie den Konferenzraum verlassen hatten. Caleb grinste und formte Daumen und Zeigefinger zu einem Kreis.
»Das war erste Sahne, Linda. Ich habe mich gar nicht getraut, da drinnen meinen Mund aufzumachen.«
»Mir ist in letzter Zeit egal, wem ich gegenüberstehe – ob unserem Vorgesetzten oder dem Präsidenten der Vereinigten Staaten. Nur wenn ich an die Zukunft denke …«
Sie hob einen Arm und hielt ihrem Kollegen die zitternde Hand vor das Gesicht. Der lächelte schief.
»Ich habe es mir in letzter Zeit angewöhnt, mich am Abend zuzuschütten und morgens über der Keramik zu hängen.«
»Das ist Mr. Packard auch schon aufgefallen. Du solltest dich vielleicht doch etwas zurücknehmen.«
»Und wofür? Soll ich mir um meine Karriere noch Gedanken machen?« Er winkte ab. »Du glaubst doch wohl auch nicht, dass irgendwelche Knallfrösche auf den Asteroiden Eindruck machen werden, oder?«
»Shht!«, zischte Linda. »Du solltest das Thema lieber nicht ansprechen.«
Er nickte zustimmend. »Hast ja recht. Im Knast soll der Alkohol ja nicht gerade in Strömen fließen.«
Sie atmete tief durch. »Wir verlassen jetzt besser das Weiße Haus, bevor uns der Secret Service hinauswirft.«
»Einverstanden. Und zur Feier des Tages gebe ich dir einen aus.«
»Aber nur einen Fruchtsaft!«
»Spielverderberin.«
Der Ufologe
Edward Brewster steuerte seinen halb verrosteten Pick-up durch den Schneematsch und parkte in unmittelbarer Nähe des Eingangs von Shermans Laden. 'Shermans Einkaufsparadies' prangte weithin sichtbar in großen Neonbuchstaben und Edward hatte sich nie wirklich entscheiden können, was er lächerlicher fand: Die ständig defekte Neonreklame oder den großspurigen Namen des Ladens. Die Bezeichnung 'Paradies' verband er jedenfalls nicht mit diesem Ort.
Er wusste aber, dass Bill Sherman mit dem Geschäft eine wahre Goldgrube aufgetan hatte. In der Kleinstadt gab es ansonsten keinen Laden, wo man alle Sachen für den täglichen Bedarf einkaufen konnte. Edward erinnerte sich kaum noch an den Tag, an dem er das letzte Mal in eine andere Stadt gefahren und eingekauft hatte. Wozu auch? Er lebte allein, weit draußen in seiner Blockhütte und benötigte nicht viel.
Er stapfte durch den Matsch, streifte diesen auf dem Gitter von den Schuhsohlen ab und stieß die Ladentür auf. Wie jedes Mal lief ihm der Schweiß den Rücken hinunter, kaum dass er im Geschäft stand. Bill heizte den Verkaufsraum, als wäre er Lucifer höchstpersönlich. Während im Freien die Temperatur gerade mal den Gefrierpunkt erreichte, konnte man im Inneren bequem in einer Badehose herumlaufen. Nur leider trug er ein wollenes Unterhemd, einen dicken Pullover und gefütterte Thermohosen. Zudem schwitzte er ohnehin sehr leicht, was an der Speckschicht unter der Haut und generell an seiner schlechten körperlichen Verfassung lag.
Er verdrehte die Augen, als er Bill und seine Frau Joyce sah, die wie gebannt in den Fernseher starrten, der hinter dem Verkaufstresen in einer Ecke stand. Edward musste gar nicht erst fragen, was für ein Programm lief. Natürlich war es eine Reportage über die letzten Bilder des Asteroiden, die vom Hubble-Teleskop geschossen worden waren.
»Hallo!«, rief er, bekam aber nur eine kaum verständliche Antwort zu hören.
Dann eben nicht.
Er schnappte sich einen der klapprigen Einkaufswagen und begann, darin die benötigten Vorräte zu stapeln. Es nahm eine geraume Zeit in Anspruch und der Wagen protestierte quietschend, als er ihn zum Abkassieren in Richtung Tresen schob. Weder Bill noch Joyce störte sich an dem Geräusch. Erst als er auf das Holz klopfte und geräuschvoll hustete, ließ sich Bill dazu herab, ihn anzusehen.
»Hast du den letzten Bericht gesehen?«, fragte ihn der Ladeninhaber, während er die Preise in die alte Registrierkasse einhackte und die Waren in große, braune Papiertüten packte.
»Worüber denn?«
»Na, über den Asteroiden selbstverständlich. Wusstest du, dass er schon fast den Jupiter passiert hat?«
Edward grinste dünn.
Bis vor ein paar Monaten hat er nicht einmal die Namen der Planeten gekannt.
»Dann wird es ja nicht mehr lange dauern, bis er hier vorbeikommt.«
Bill nickte eifrig, blickte in Joyce' Richtung und bedeutete Edward, ihm in den Nachbarraum zu folgen, wo sich das kleine Büro befand. Erneut schaute er zu seiner Frau, die aber nur Augen für den Fernseher hatte, bevor er ein mehrfach zusammengefaltetes Stück Papier aus einer Schublade zog. Es handelte sich um einen Prospekt.
»Das habe ich mir letzte Woche schicken lassen. Es soll eine Überraschung für Joyce werden.«
Ein Teleskop! Er hat sich tatsächlich ein Teleskop besorgt!
»Wo willst du es denn aufstellen?«
»Shht! Nicht so laut!« Bill deutete nach oben. »Im Dachgeschoss. Dort ist es geräumig und ich habe an zwei Seiten Fenster.«
»Wird bestimmt kühl, wenn du beide öffnest.«
Bill grinste. »Mag sein, aber Opfer müssen gebracht werden.«
Was für ein blöder Spruch!
Dennoch nickte Edward anerkennend. »Wird bestimmt spannend.«
»Das wird es.«
Sie kehrten in den Verkaufsraum zurück. Joyce hatte anscheinend gar nicht bemerkt, dass sie weg gewesen waren. Erst jetzt, als Werbung über den Bildschirm flimmerte, erwachte sie wieder zum Leben.
Sie lächelte Edward an, nahm eine geblümte Tasse aus dem Regal hinter sich, öffnete eine Thermoskanne, goss Kaffee in das Trinkgefäß und stellte es vor ihn hin. »Du siehst aus, als könntest du etwas Heißes vertragen.«
Bill zwinkerte verschwörerisch, während er einen Flachmann unter der Theke hervorholte, aufschraubte und einen ordentlichen Schwung des Inhaltes in die Tasse kippte. »Ein kleines Extra kann nicht schaden.«
»Aber nur, wenn ihn der Sheriff nicht anhält«, sagte Joyce.
Edward bedankte sich, trank die Tasse mit großen Schlucken leer und schüttelte sich. »Genau das habe ich jetzt gebraucht.«
Bill lachte dröhnend. »Ich kenn dich eben sehr gut.«
»Sieht so aus.« Edward zahlte, nahm das halbe Dutzend Tüten von der Theke und verabschiedete sich.
Joyce stieß ihrem Mann den Ellbogen in die Rippen. »Sei nicht so faul und hilf ihm, die Sachen in den Wagen zu schaffen.«
»Das hätte ich auch ohne deine freundliche Aufforderung gemacht.«
»Wer's glaubt …«
Vor der Tür verstauten Bill und Edward die Einkäufe im Pick-up. Der Ladeninhaber warf einen Blick zum Himmel, als ob er es nicht erwarten könnte, den Asteroiden zu sehen.
»Ich hätte nie gedacht, dass dich ein Steinbrocken mal so faszinieren könnte«, sagte Edward, während er in das Fahrzeug stieg.
»Liegt wohl daran, dass im Fernsehen ständig darüber geredet wird.«
»Vermutlich.«
Bill klopfte zum Abschied mit den Knöcheln auf das Wagendach und sah dem Freund nach, bis dieser aus seinem Blickfeld verschwunden war.
*****
Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis Edward die kleine Blockhütte erreichte, die seit ein paar Jahren sein Zuhause war. Sie lag abgelegen inmitten eines Waldgebietes und war nur über unbefestigte Feldwege zu erreichen. Sein alter Wagen, den er damals in Toronto besessen hatte, wäre hier völlig überfordert gewesen. Doch den fuhr nun seine Ex-Frau - oder ihr neuer Lover, wer wusste das schon so genau. Und wen interessierte es überhaupt? Edward jedenfalls nicht, er hatte mit der Vergangenheit vollkommen abgeschlossen. Sein ganzes Leben drehte sich nur noch um die Geheimnisse, die die Regierungen vor ihren Bürgern verbargen und denen er auf die Spur zu kommen hoffte.
Wie jedes Mal, wenn er sein Domizil für länger als eine halbe Stunde verlassen hatte, führte ihn sein erster Weg zum Fernseher. Doch im Gegensatz zu Bill und Joyce interessierten ihn nicht die Nachrichten – jedenfalls nicht die offiziellen. Stattdessen stellte er den Kanal auf die Frequenz ein, auf die seine Überwachungskameras sendeten. Diese Kameras waren Edwards heimlicher Stolz. Selbst wenn es jemand darauf anlegte, würde er sie kaum finden können, so klein waren sie – und gut versteckt angebracht. Das Gros der Videokameras hatte er außen am Haus installiert, doch auch in den einzelnen Wohnräumen waren Apparate vorhanden. Er startete eine App auf seinem Smartphone und kopierte auf diese Weise die Aufnahmen auf seinen Hauptserver, der sich in einem besonders geschützten Bereich im Keller befand.
Seine Frau hatte ihn während der letzten Wochen ihres Zusammenlebens einen Paranoiker genannt und in manchen stillen Stunden fragte er sich, ob sie nicht recht hatte. Andererseits wusste sie nichts von den Quellen und Informanten, mit denen er im stetigen Austausch stand.
Mittlerweile waren die Daten geladen und er sah sich auf dem Fernseher die aufgezeichneten Bilder im Zeitraffer an. Das einzige Lebewesen, was er zu sehen bekam, war seine eigene Person, als er das Haus betrat. Jetzt erst konnte er sicher sein, dass niemand in seiner Abwesenheit herumgeschnüffelt hatte.
Zufrieden schaltete er den Fernseher aus, ging hinüber zum Bücherregal, zog einen dicken Band über die römische Republik heraus, griff in die entstandene Lücke und drückte einen Knopf. Ein leises Klacken ertönte. Edward stellte das Buch zurück, packte den Rand des Regals und zog. Das Möbelstück schwenkte von der Wand weg und gab einen engen Durchgang mit einer Trittleiter frei. Er schaltete das Licht ein und zog am Griff, der auf der Rückseite des Bücherregals angebracht war. Er hörte etwas einschnappen und konnte nun sicher sein, dass im Wohnzimmer keine Spur einer Geheimtür zu sehen war.
Edward stieg die Leiter nach unten und folgte einem noch engeren Durchgang, bis er vor einer Tür ankam. Er stieß sie auf und befand sich nun in seiner geheimen Kommandozentrale, wie er es nannte. Der Raum war vollgestopft mit technischem Equipment. Ein halbes Dutzend Monitore waren an der Stirnwand angebracht. Vier von ihnen hingen an der Wand, zwei größere Exemplare standen auf dem Tisch. Edward legte einen Schalter um und sämtliche Computer und Bildschirme erwachten zum Leben.
Auf einem Überwachungsmonitor konnte er mit Hilfe der Kameras die Umgebung im Blick behalten. Auf den beiden nächsten waren unscharfe Aufnahmen angeblicher Ufos und von Außerirdischen zu sehen. Diese Bilder wechselten sich mit ernst dreinblickenden Männern und Frauen ab, die vor einem Greenscreen saßen und irgendwelche Botschaften vorlasen. Edward hatte aber im Augenblick kein Interesse daran und schaltete den Ton ab.
Auf dem Hauptmonitor, der sich auf dem Tisch befand, huschten Linien über eine Landkarte. IP-Adressen veränderten sich in Bruchteilen von Sekunden. Erst, als das Signal seines Computers über drei Dutzend verschiedene Hotspots geleitet worden war, ließ sich Edward auf den Stuhl vor dem Bildschirm nieder. Er setzte sich ein Headset auf und stellte die Verbindung zum Internet her.
*****
Im Allgemeinen liefen Edwards Tage im Web immer gleich ab. Er las Artikel, die er – falls sie seinen Vorstellungen entsprachen – ausdruckte und damit die Wände seiner Kommandozentrale tapezierte. Mittlerweile fand sich kaum noch eine freie Stelle, wo er einen Ausschnitt hinkleben konnte.
Dieser Arbeitstag erwies sich als nicht sonderlich ergiebig. Er studierte zwar auf seinen bevorzugten Webseiten ein paar Artikel, aber die waren sogar ihm zu unglaubwürdig. Er wollte bereits das Headset vom Kopf ziehen, als …
Ping!
Jemand versuchte, ihn zu kontaktieren. Das kam selten vor. Er bewegte sich nur mit der höchsten Sicherheitseinstellung durch das Netz und daher war es kaum möglich, ihm eine Nachricht zu schicken. Er warf einen Blick auf den Absender.
Alexander Wellington? Was ist das denn für ein albernes Pseudonym?
Unschlüssig blickte er auf den Anhang, den der Versender an die Botschaft gehängt hatte.
Erwartet der Kerl jetzt etwa, dass ich die so einfach öffne? Für so dumm kann er mich ja wohl nicht halten.
Er bewegte den Mauszeiger auf die gepackte Datei und verschob diese in eine besonders gesicherte Partition seines Zweitrechners. Die Malware, die dort Schaden anrichten wollte, musste erst noch programmiert werden.
Dennoch schlug ihm das Herz bis in den Hals hinauf, als er die Daten entpackte. Nichts geschah. Auf dem Laufwerk lagen nun eine harmlos aussehende Audiodatei und ein GIF – das war alles. Er regelte die Lautstärke etwas herunter, bevor er die MP3-Datei anklickte.
»Sieh dir das Bild an!«, empfahl ihm eine völlig verzerrte Stimme. »Es wird dich interessieren. Willst du mehr erfahren, nimm Kontakt mit der angegebenen IP-Adresse auf.«
Das war alles.
Soll ich wirklich darauf eingehen?
Unschlüssig bewegte er den Mauszeiger auf die GIF-Datei.
Was kann denn passieren? Die Partition ist mehrfach gesichert.
Entschlossen klickte er auf die Datei … und runzelte die Stirn.
Noch so einer, der sich für diesen Asteroiden interessiert? Als ob die davon nicht schon genug …
Was war das? Er vergrößerte die Bilderfolge so stark, wie es die Qualität zuließ. Es waren die altbekannten Aufnahmen eines durchschnittlichen Teleskops, die er nur zu gut kannte. Über einen Leak waren sie ihm zugespielt worden, aber die Bilder hatten es nicht einmal an die Wand seiner Kommandozentrale geschafft, so uninteressant waren sie ihm vorgekommen. Doch jetzt, wo er den Flug des Asteroiden nachkontrollieren konnte, sah es ganz anders aus.
»Sie belügen uns … natürlich«, wisperte er tonlos. Edward lehnte sich im Sessel zurück und schloss die Augen. Es musste einen Grund geben, warum man ihnen im Fernsehen immer nur die letzten Bilder präsentierte, aber nicht die offensichtliche Kursabweichung.
Er warf einen Blick auf den Hauptmonitor. Alexander Wellington! Er würde mit der IP Kontakt aufnehmen. Mal sehen, was derjenige hinter der Adresse zu sagen hatte.
Der Sträfling
»Fedor Belashov! Maxim Seleznyov! Mitkommen! Hoch mit euch!«
Fedor beeilte sich, von seiner Pritsche aufzustehen. Kryukov, der Wachmann, der ihn und seinen Kameraden so rüde aufgefordert hatte, ihm zu folgen, verstand keinen Spaß. Und was einem drohen konnte, wenn eine Wache auch nur den Verdacht hegte, dass Befehle verweigert wurden, das kannte Fedor zu Genüge. Sehr oft war er Zeuge der drakonischen Strafen gewesen, die in diesem Höllenloch ausgeteilt werden konnten. Hier gab es keine Institution, an die man sich wenden konnte, wenn man Beschwerden vorzubringen hatte. Jeder, der hier einsaß, hatte seine Rechte verloren. Das galt vor allem für einen Deserteur wie ihn. Also zwängte er sich an dem guten Dutzend Männern vorbei, die zusammen mit ihm in diesem Loch dahinvegetierten.
»Los jetzt!«
Er spürte den heftigen Schlag im Rücken, als er an Kryukov vorbeiging. Anscheinend ging es der Wache nicht schnell genug. In den letzten Wochen hatte man die Gefangenen fast schon verheizt, was die Zwangsarbeit anging. Aber anstatt dass man sie in die Minen schickte, um Kohle und Metalle abzubauen, mussten sie an riesigen Geschützen und der dazugehörigen Munition arbeiten. Wahrscheinlich war Russland wieder in irgendeinen Krieg verwickelt. Nichts, was Fedor etwas anging. Hier, in der abgelegensten Ecke des Landes, an der Grenze zu Sibirien, erfuhren die Gefangenen nur das, was sie unbedingt wissen mussten. Und ob irgendwelche Generäle und Politiker in eine Auseinandersetzung verstrickt waren, gehörte nicht dazu.
Fedor hatte damit gerechnet und darauf gehofft, zu seinem gewöhnlichen Arbeitsplatz geführt zu werden. Die Arbeit, die er dort verrichten musste, war hart und dreckig. Geheizt war der Platz auch nicht und er war immer durchgefroren, wenn er nach zwölf oder schon mal vierzehn Stunden in die Gemeinschaftszelle zurückgeführt wurde. Doch Kryukov schlug einen anderen Weg ein. Und in diesem Moment sank Fedors Herz bis in seine zerschlissene, fadenscheinige Hose. Es ging wieder in den Teufelsschlund, wie die unterirdische Einrichtung nur genannt wurde.
Er warf einen Blick auf Maxim, der offensichtlich sein neuer Helfer für diese Art von Arbeit war. Das Gesicht des jungen Mannes war kalkweiß, denn er ahnte mit Sicherheit auch, wohin ihr Weg sie führte. Anscheinend war es tatsächlich so, dass Fedors Leidensgenossen, die er auf dem Weg zum Einsatzort immer hastig anlernen musste, nach einem oder zwei Einsätzen abtransportiert wurden. Dank seiner Spezialausbildung bei der Armee wurde er dafür missbraucht, neues Kanonenfutter für diese Drecksarbeit anzulernen.
Er lachte grimmig – natürlich nur innerlich. Wahrscheinlich lebte keiner mehr von denen, die er in den letzten Monaten eingearbeitet hatte. Er wunderte sich ja selbst, warum er immer noch atmete.
Sie kamen vor einem harmlos aussehenden, einstöckigen Gebäude an; der Einstieg in den Teufelsschlund. Kryukov grinste bösartig, während er die drei Schlösser an der Tür entriegelte und sie schließlich aufzog. Fedor hatte sich immer gefragt, warum man diesen Zugang überhaupt absperrte. Niemand war so dumm, freiwillig in die Tiefe hinabzusteigen.
»Du weißt ja, was zu tun ist!«, knurrte die Wache und deutete mit einer übertrieben höflichen Geste in Richtung des Aufzuges, die von der flackernden Deckenbeleuchtung erhellt wurde. »Viel Glück dabei.«
Langsam schlurften Maxim und Fedor in die Kabine, während Kryukov die Tür hinter ihnen zuschlug. Fedor hörte ein Klackern und registrierte erst nach ein paar Sekunden, dass es Maxims Zähne waren. Er war also auf dem Weg in den Teufelsschlund mit einem Nervenbündel an der Seite. Und dies, wo die Arbeit, die vor ihnen lag, Nerven wie Stahlseile erforderte. Die Aufzugstür schloss sich und die Kabine begann ihren langen Weg unter die Erde. Für übertriebene Rücksichtnahme war keine Zeit mehr, daher packte Fedor seinen Begleiter grob an der Schulter und zwang den schlotternden Mann, ihn anzusehen.
»Achte jetzt auf meine Worte, wenn du das hier überstehen willst, hast du verstanden?«
Maxims Blick irrte unstet umher, während sich ein blödes Grinsen auf seinem Gesicht zeigte.
»Ob du mich verstanden hast, will ich wissen!«, brüllte Fedor ihn an und unterstrich die Dringlichkeit, indem er seinem Gegenüber eine Ohrfeige verpasste.
»Ich will nicht sterben!«, brabbelte Maxim.
»Und das wirst du auch nicht, wenn du genau das tust, was ich sage!«
Fedor war bewusst, dass er da etwas versprach, was er nicht halten konnte. Er war zwar bisher immer aus dem Teufelsschlund zurückgekehrt, aber irgendwann würde es ihn dort unten in alle Partikel zerreißen. Selbst oben im Lager würde man es noch spüren, auch wenn sich die Explosion hundert Meter unterhalb des Erdbodens ereignete. Falls eine bereits präparierte Granate im Schacht in die Luft flog, dann wäre es um jeden hier im Straflager geschehen. Es bestand außerdem die Möglichkeit, dass er sich da unten radioaktiv verseuchte. In dem Fall würde er innerhalb von wenigen Tagen jämmerlich zugrunde gehen. Letzteres war kein Abgang, den er sich wünschte.
Immerhin schien sich Maxim mittlerweile so weit beruhigt zu haben, dass er auf Fedors Worte achtete.
»Wir kommen gleich in einen Umkleideraum, wo wir in die Schutzausrüstung steigen werden.«
»Sind die sicher? Können die uns schützen?«
Fedor lächelte zynisch. »Sie werden uns zumindest nicht umbringen, aber richtigen Schutz haben wir nur dann, wenn wir keinen einzigen Fehler begehen. Dort unten warten Strahlung, giftiges Gas und hochexplosiver Sprengstoff auf uns. An jedem einzelnen Ding können wir elendiglich krepieren, und falls wir eine Explosion auslösen, wird uns niemand in hunderten von Jahren dort finden. Es wird uns noch nicht einmal jemand suchen.«
»Aber … warum wir?«
»Weil die Schweinebande Idioten für ihre Drecksarbeit braucht und wir dumm genug waren, in ihre Hände zu fallen. Jetzt stell keine Fragen mehr und achte nur auf das, was ich dir sage und was ich tue, klar?«
Maxim nickte stumm.
Die Lifttür öffnete sich und vor ihnen erstreckte sich ein düsterer, kaum erhellter Gang mit unverputzten Wänden. Sie verließen den Aufzug und Fedor vernahm das vertraute Klacken, mit dem sich die Sicherheitssperre aktivierte. Die Kabine würde sich jetzt nicht mehr von der Stelle rühren, falls die Sensoren im Lift eine radioaktive Strahlung maßen. Er wusste davon, hatte aber seine Zweifel, ob es Maxim bekannt war.
Sein Begleiter atmete schwer, während sie den Flur entlanggingen. Schon tauchte vor ihnen die graulackierte Sicherheitsschleuse auf.
»So, dahinter kommen wir jetzt in die Umkleide und den Dekontaminationsbereich«, sagte Fedor. »Wenn wir nachher zurückkommen, dann denk daran, dass du kein einziges Teil aus dem Bereich hinter der Schleuse mit dir führen darfst, verstanden?«
»J-ja …«
So dumm wird er ja hoffentlich nicht sein. Im Zweifelsfall werde ich dafür sorgen.
Fedor entriegelte die Tür, zog sie auf und bedeutete Maxim, vorzugehen. Er konnte sich denken, wie einschüchternd und beängstigend die ganze Situation auf seinen Begleiter wirken musste.
Wie alt er wohl ist? 18? 20? Und warum hat man ihn eingesperrt? Ach, was geht es mich an. Konzentrier dich auf die Aufgabe, Fedor!
Sie legten ihre Kleidung ab und durchquerten splitternackt das Becken, in dem sich später die Dekontaminationsflüssigkeit über sie ergießen würde – falls sie dann noch lebten. Misstrauisch betrachtete Fedor die Decke, von der bereits die Farbe abplatzte. Wie alles andere wirkte auch diese Einrichtung so, als hätte man sie provisorisch und in aller Eile zusammengezimmert.
Wahrscheinlich liege ich mit der Vermutung richtig.
Er deutete auf die Spinde an der Seite. »Dort drinnen findest du die Schutzanzüge. Achte peinlichst darauf, dass du einen anziehst, der in einwandfreiem Zustand ist, verstanden?«
»Gibt es denn auch welche, die nicht …«
»Stell keine unnützen Fragen! Tu, was ich dir gesagt habe. Denk daran, dass die Hülle des Anzuges das Einzige ist, was dich vor einem jämmerlichen Krepieren schützt!«
Diese Ermahnung bewirkte, dass Maxim nun mittlerweile wie eine Wasserleiche aussah. Aber immerhin erreichte Fedor so, dass sein Begleiter die Anzüge penibel auf vorhandene Löcher und Risse prüfte.
»Und … wenn wir gar nicht weitergehen?«, fragte Maxim schließlich. Er sah jämmerlich aus, als er mit einem Anzug in der Hand und halb gesenktem Kopf vor ihm stand. »Wir können doch sagen …«
Fedor lächelte nur mitleidig. »Und du meinst wirklich, die könnten nicht prüfen, ob wir hier am Arbeiten sind? Darf ich mal fragen, was du bisher so getan hast? Also, bevor du verhaftet wurdest.«
»Ich war Student.«
»Und was waren deine Fächer?«
»Klassische Literatur und Psychologie.«
Fedor schüttelte den Kopf. »Dann bist du hier unten so fehl am Platz wie eine Kuh auf Schlittschuhen. Ich hoffe, du bist wenigstens handwerklich begabt.«
Maxim gab keine Antwort, was Fedor aber schon ausreichte.
Er seufzte leise. »Dann sei doppelt auf der Hut. Denk daran, jeder Fehler könnte dein letzter sein. Jetzt zieh dich an, komm mit und halt dich erst einmal in meiner Nähe auf. Achte auch darauf, dass der Sauerstofftank im Anzug vollständig gefüllt ist.«
*****
Fedor war nicht zum ersten Mal in dem großen, unterirdischen Raum, wo die Geschosse präpariert wurden. Dennoch fühlte er sich - wie immer – klein und verletzlich, während er zwischen den gewaltigen Granaten hindurchschlüpfte. Ob sie oben im Lager wirklich wussten, auf was für einem Pulverfass sie saßen? Wenn hier eine Kettenreaktion stattfand, würde ein Krater von rund einem Kilometer Durchmesser entstehen. Jedenfalls vermutete er es aufgrund der Menge an Sprengstoff, die diese Mordinstrumente enthielten.
Nun stand er vor dem ersten Geschoss. Er betätigte den linken Schalter am Arbeitstisch und gab damit die Anweisung, dass nun die Ladung hierher transportiert werden sollte. Das geschah natürlich automatisch und wie immer betete er, dass die in großer Eile errichtete Anlage nicht ausgerechnet in diesem Moment ihren Dienst versagte. Falls das passierte, so musste er manuell eingreifen und in den Schacht hineinkriechen. Was dabei alles schiefgehen konnte, darüber wollte er gar nicht erst nachdenken.
Fedor hörte ein leises Rumpeln und atmete auf. Es war ein Zeichen, dass das Transportband funktionierte – und dass der Zünder nicht bereits beim Laden explodiert war. Allerdings hätte er in diesem Fall ohnehin nichts mehr mitbekommen. Die Türen des Transportschachtes öffneten sich und da lag dieser Teufelsmechanismus – klein und unschuldig, aber doch so tödlich.
»Maxim! Komm jetzt her!«
Sein Helfer zuckte zusammen, was schon mal kein gutes Zeichen war. Liebend gern hätte Fedor den ersten und wichtigsten Arbeitsschritt allein erledigt, aber dafür waren nun mal leider zwei Personen notwendig.
»Hör zu! Es kann gar nichts geschehen, wenn du nur das tust, was ich dir sage. Hast du mich verstanden?«
Selbst durch den Sichtschutz des Anzuges konnte Fedor die Schweißperlen auf Maxims Stirn glitzern sehen.
»Atme tief durch und beruhig dich, okay? Denke einfach an etwas Schönes, was draußen auf dich wartet. Jetzt zeig mir deine Hände.«
Sie zittern, aber nicht so stark, wie ich es befürchtet habe.