Ruins of Love. Gespalten (Grace & Hayden 2) - Megan DeVos - E-Book
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Ruins of Love. Gespalten (Grace & Hayden 2) E-Book

Меган ДеВос

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Beschreibung

Spicy Romantasy: Die süchtig machende Lovestory von Grace und Hayden geht weiter!

Wenn dich die Liebe deines Lebens im Stich lässt – gibst du auf oder kämpfst du?


Grace kann sich nicht vorstellen, je wieder ohne Hayden zu sein. Bis zu jenem Tag, an dem er sie zwingt, Blackwing für immer zu verlassen. Noch nie hat sich Grace so einsam und verstoßen gefühlt, doch sie weigert sich zu glauben, dass Haydens Gefühle für sie nicht echt waren. Ihr bleibt keine andere Wahl, als Schutz bei ihrer verbliebenen Familie im Greystone-Camp zu suchen – denn in der rauen Außenwelt überlebt niemand lange allein. Aber kaum ist sie dorthin zurückgekehrt, erkennt sie plötzlich, dass Hayden alles getan hat, um sie zu schützen. Nur wie kann sich das Richtige so falsch anfühlen, wenn alles, was sie will, Hayden ist? Und wie kann sie ihm von Greystone aus beistehen, wenn der Kampf ums Überleben immer mehr Opfer fordert?

Dramatisch und prickelnd – lies auch die weiteren Bände der Reihe und lass dich gefangen nehmen von einer schicksalhaften Liebe:

1. »Ruins of Love – Gefangen«
2. »Ruins of Love – Gespalten«
3. »Ruins of Love – Zerrissen«
4. »Ruins of Love – Vereint«

Du bist hier genau richtig, wenn du auf diese Tropes stehst:

• Enemies to Lovers
• Forced Proximity

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Zum Verlieben und Verschlingen: Die süchtig machende Lovestory von Grace und Hayden in vier mitreißenden Bänden!

Wenn dich die Liebe deines Lebens im Stich lässt – gibst du auf oder kämpfst du?

Grace kann sich nicht vorstellen, je wieder ohne Hayden zu sein. Bis zu jenem Tag, an dem er sie zwingt, Blackwing für immer zu verlassen. Noch nie hat sich Grace so einsam und verstoßen gefühlt, doch sie weigert sich zu glauben, dass Haydens Gefühle für sie nicht echt waren. Ihr bleibt keine andere Wahl, als Schutz bei ihrer verbliebenen Familie im Greystone-Camp zu suchen – denn in der rauen Außenwelt überlebt niemand lange allein. Aber kaum ist sie dorthin zurückgekehrt, erkennt sie plötzlich, dass Hayden alles getan hat, um sie zu schützen. Nur wie kann sich das Richtige so falsch anfühlen, wenn alles, was sie will, Hayden ist? Und wie kann sie ihm von Greystone aus beistehen, wenn der Kampf ums Überleben immer mehr Opfer fordert?

Dramatisch und prickelnd – lies auch die weiteren Bände der Reihe und lass dich gefangen nehmen von einer schicksalhaften Liebe:

1. Ruins of Love – Gefangen

2. Ruins of Love – Gespalten

3. Ruins of Love – Zerrissen

4. Ruins of Love – Vereint

MEGANDEVOS arbeitet als Operationsschwester und lebt in South Dakota. Das Schreiben ist schon immer ihre größte Leidenschaft. Ihre vierbändige Serie Ruins of Love ist eine Wattpad-Sensation: Weltweit sind Millionen von Lesern süchtig nach der dramatisch-prickelnden Liebesgeschichte von Grace und Hayden.

Megan DeVos

RuinsofLove

Gespalten

Aus dem Englischen von Nicole Hölsken

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel Loyalty bei Orion Books, London.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2018 der Originalausgabe by Megan DeVos

Copyright © 2022 der deutschsprachigen Ausgabe by Penguin Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion/Lektorat: Christiane Sipeer

Covermotiv und -gestaltung: www.buerosued.de

Satz: MR

ISBN 978-3-641-26386-7V004

www.penguin-verlag.de

Für Michael, meinen persönlichen Herc

Kapitel 1 

Vertrauen

Grace

Ich atmete tief aus und presste die Lider zusammen, um den Schmerz in meinem Brustkorb auszublenden. Jede winzige Bodenwelle fuhr mir wie ein Vorschlaghammer in die Seite, egal wie vorsichtig Hayden fuhr. Ich verbarg den Kopf weiter hinter den Armen, damit niemand sah, wie ich das Gesicht verzog; ich wollte nicht, dass Hayden ein schlechtes Gewissen wegen etwas bekam, das er sowieso nicht ändern konnte.

Der Truck fuhr durch ein Schlagloch, und erneut spürte ich den scharfen Schmerz unter meinen Rippen, sodass ich zwischen zusammengebissenen Zähnen scharf ausatmete. Meine Hand an Haydens Schulter umfasste den Stoff seines Shirts fester, während ich den Schmerz abzuwehren versuchte, und sogleich fuhr er noch langsamer und vorsichtiger.

Ich hatte den Schmerz erst wahrgenommen, als ich in den Truck geklettert war und die Wirkung des Adrenalins nachließ, das nach dem Kampf und Haydens Worten durch meinen Körper strömte. Doch jetzt konnte ich das rot glühende Stechen unmöglich mehr ignorieren, das mir wie ein Schwert durch die Brust fuhr. Ich spürte die klebrige, warme Feuchtigkeit des Blutes. Mein Shirt klebte mir am Bauch. Noch schlimmer als diese Wunde war allerdings der Schmerz in meinen Rippen.

Ich atmete zittrig ein, spürte, wie der Truck sich durch die Bäume hindurchschlängelte. Wir näherten uns also endlich wieder Blackwing. Als sich eine Hand auf meinen Rücken legte, zuckte ich zusammen, was erneut eine Welle des Schmerzes durch meinen Körper sandte.

»Geht es dir gut?«, fragte Malin neben mir ebenso besorgt wie verwirrt. Niemand schien anfänglich bemerkt zu haben, dass ich verletzt war, genauso wenig wie ich selbst. Nein, das stimmte nicht – Hayden hatte es registriert.

»Hmm.« Mehr brachte ich nicht heraus, nickte nur langsam und drückte das Gesicht weiterhin auf meinen Arm, den ich gegen Haydens Rücklehne stützte. Meine Hand an seiner Schulter war das Einzige, was mir Halt gab, während ich versuchte, dem Schmerz nicht nachzugeben; ich spürte seine Nervosität.

»Es geht ihr gar nicht gut«, blaffte Hayden ärgerlich. Er murmelte noch etwas anderes, das ich über das laute Motorengeräusch hinweg jedoch nicht verstand. Mein Herz machte einen Satz, als ich seine Sorge um mich wahrnahm, auch wenn sie sich hinter seinem barschen Ton verbarg. Doch ich hatte keine Kraft zum Antworten, denn eine weitere Unebenheit auf der Straße sandte eine heftige Schockwelle durch meinen Körper.

Nach ein paar qualvollen Minuten brachte Hayden den Truck schließlich zum Stehen. Ich konnte kaum den Kopf von den Armen heben, als ich hörte, wie meine Tür aufgerissen wurde. Das Blut rauschte in meinen Ohren, und ich fühlte mich benommen, als ich mich zu ihm umdrehte. Er sah mir kurz in die Augen, dann warf er einen Blick auf die rote Blutspur an meiner Seite, trat vor und schob mir die Arme unter Knie und Rücken. Mit Leichtigkeit zog er mich von der Rückbank des Trucks herunter.

»Hayden, mir geht es gut«, log ich und blinzelte, um einen klaren Kopf zu bekommen. Er presste mich fest an seine Brust und setzte sich in Bewegung. Automatisch schlang ich ihm trotz meiner Proteste die Arme um den Hals.

»Nein, tut es nicht«, widersprach er sanft. Im Hintergrund hörte ich noch immer das Brummen des Trucks. Er hatte nicht einmal den Motor ausgeschaltet, und wahrscheinlich saß die restliche Mannschaft immer noch im Wagen. Hayden hatte kein Wort zu ihnen gesagt, sondern mich einfach nur von der Rückbank gezogen und davongetragen.

»Doch …«

»Grace, verdammt, es geht dir gar nicht gut«, wiederholte er entschieden. Ich konnte sein Stirnrunzeln förmlich spüren, obwohl mein Kopf an seine Schulter gesunken war. Mir war vor Schmerzen ganz schummrig. Ich kam mir erbärmlich schwach vor, weil ich so getragen werden musste; ich hatte schon schlimmere Qualen durchgemacht und sie allein überstanden. Ich konnte mich gut allein um mich kümmern.

Jedenfalls versuchte ich mir das einzureden, während ich mich von Hayden davontragen ließ. Ich spürte die Wärme seines Körpers unter seinen Kleidern, ebenso wie das heftige Pochen seines Herzens, während mein Kopf auf seiner Schulter ruhte. Ich konnte mich kaum rühren, merkte, wie Hayden eine Tür aufstieß und das Sonnenlicht, das erbarmungslos auf uns herabgeschienen hatte, ausschloss.

»Docc!«, rief er so scharf, dass ich zusammenfuhr und eine weitere Welle des Schmerzes meinen Körper erfasste. Hayden bemerkte es sofort. »Shit, sorry.«

»Schon gut«, murmelte ich undeutlich und schloss erneut fest die Augen. Ich spürte, wie er mit dem Daumen ganz leicht meine Schulter streichelte und weiterging. Die sanfte Berührung linderte den Schmerz ein ganz klein wenig.

»Was ist passiert?«, fragte Docc, der auf einmal neben uns aufgetaucht war, in beruhigendem Ton.

»Sie hat sich mit gleich drei Brutes auf einmal angelegt«, erklärte Hayden schnell.

»Ach Grace«, flüsterte Docc leise, teils tadelnd, teils beeindruckt. »Leg sie dort aufs Bett, Hayden.«

»Ich lege dich jetzt hin, ja?«, verkündete Hayden leise. Seine Stimme klang ganz nah, und tatsächlich: Als ich die Augen öffnete, war sein Gesicht nur wenige Zentimeter von meinem entfernt, und seine Miene war eindeutig besorgt. Seine strahlend grünen Augen blickten unverwandt in die meinen, und er musterte mich mit gerunzelten Augenbrauen.

»Na gut«, antwortete ich schwach. Meine zittrige Stimme war mir ebenso verhasst wie die Tatsache, dass er mich so sah – so schwach, verletzlich. Genau das wollte ich nie sein. Als Frau war es ohnehin schon schwer genug, von anderen ernst genommen zu werden, und noch schwieriger als verletzte Frau, die auf die Krankenstation getragen wurde. In Haydens Blick fand ich jedoch keine Spur von Mitleid, als er mich sanft aufs Bett hob. Er hielt mich fest in den Armen, bis er sicher war, dass ich sicher lag, und zog sich erst zurück, als ich ihm kurz zunickte.

»Wo bist du verletzt?«, fragte Docc ruhig und fixierte mich mit seinen tiefbraunen Augen. Es fiel mir trotzdem schwer, ihn anzusehen, denn Haydens Blick war es, der sich in mich einbrannte. Der Augenblick schien sich viel zu sehr in die Länge zu ziehen, und Docc musste seine Frage wiederholen. Ich riss mich von Haydens Anblick los und sah ihn an.

»Wo bist du verletzt, Mädchen?«, wiederholte er leise.

»Brustkorb, linke Seite«, antwortete ich und verzog das Gesicht vor Schmerz, als ich versuchte, auf die Stelle zu deuten. Mittlerweile war sie blutdurchtränkt, was ihm sicher nicht entgangen war.

»Ich muss dir das Shirt aufschneiden, um die Wunde zu reinigen. Hayden, wenn du so freundlich wärst, draußen zu warten …«

»Nein!«, platzte ich schnell heraus. Zu schnell. Ich schluckte schwer, dann sprach ich weiter. »Hayden kann ruhig bleiben.«

Docc musterte mich einen Augenblick lang, und in seinen Augen glomm ein wissender Funke. Dann nickte er bedächtig. »Na gut, Mädchen.«

Er wandte sich ab und brauchte ein paar Augenblicke, um sich Verbandsmaterial zu holen. Sogleich kehrte mein Blick zu Hayden zurück. Er beugte sich über mein Bett, stützte die Hände auf die dünne Matratze – nur wenige Zentimeter entfernt von meiner eigenen. Mir kam der Gedanke, dass er vielleicht gar nicht bleiben wollte, obwohl ich Docc gerade erklärt hatte, dass er es könne.

»Du, äh, du musst nicht …«

»Halt den Mund, Grace, ich bleibe«, unterbrach er mich leise und kopfschüttelnd. Mir stockte der Atem, als er seine Hand auf meine legte, die Finger mit meinen verwob und sie sanft hochhob. Angesichts seiner Beharrlichkeit bekam ich Herzklopfen, und plötzlich kam mir der Schmerz gar nicht mehr so schlimm vor. Doch Doccs Rückkehr unterbrach diesen Augenblick der Nähe. Er warf einen Blick auf unsere Hände, sagte aber nichts.

»Hier, nimm dies«, wies er mich an, gab mir eine Tablette und eine Wasserflasche. »Gegen die Schmerzen.«

Ich folgte seinem Befehl und schluckte die Pille. Ich spürte das kühle Metall der Schere, die Docc nun gezückt hatte und mit der er mein Shirt aufschnitt, sodass der Stoff auf die Liege fiel. So lag ich jetzt nur noch in BH und Shorts da. Docc verhielt sich äußerst professionell, und Hayden hatte mich so schon einmal gesehen, sogar noch mehr von mir, und das nun schon mehrfach.

Ich zuckte zusammen, als Docc sanft meine Rippen abtastete, und widerstand dem Drang, hinzusehen. Aus Erfahrung wusste ich, dass der Anblick einer Wunde den Schmerz nur intensivierte; besser, man sah sich den Schaden nicht an. Also fixierte ich weiterhin Hayden, der mich keine Sekunde lang aus den Augen ließ. Sanft fuhr sein Daumen über meinen, und er drückte mir ermutigend die Hand.

»Ist es die Wunde, die dir Schmerzen bereitet?«, fragte Docc nun. Ich spürte, wie er etwas von dem Blut mit einer Art Gaze abwischte; dann den stechenden Schmerz, als er die Wunde mit Alkohol reinigte.

»Nein«, antwortete ich aufrichtig. Die Wunde schmerzte tatsächlich, aber es war lediglich eine Fleischwunde. Davon hatte ich schon unzählige gehabt. Was mich quälte, war ein tief sitzender, heftiger Schmerz, der sich davon deutlich unterschied.

»Hmm«, murmelte Docc leise. Er untersuchte meine Rippen weiter, und unwillkürlich sah ich jetzt doch nach unten. Ich keuchte, als mein Blick auf die Verwundung fiel, und wieder durchzuckte eine heftige Woge des Schmerzes meine Rippen. Eine langgezogene, klaffende Wunde verlief von dem Bereich unter meiner Brust bestimmt zehn oder zwölf Zentimeter diagonal nach unten. Sie blutete stärker, als ich erwartet hätte. Sie war nicht besonders tief, aber durch die Länge wirkte sie besorgniserregender als erwartet.

Erheblich schwerwiegender war jedoch der dunkel-violette Bluterguss, der sich bereits an meinem Brustkorb ausbreitete. Eine solche innere Blutung verhieß nichts Gutes. Meine Befürchtungen erwiesen sich als bestätigt.

»Gebrochene Rippe«, murmelte ich leise, während ich mit Docc zusammen den Schaden besah. Der Schmerz schien auch prompt schlimmer zu werden, wie nach diesem Anblick nicht anders zu erwarten gewesen war.

»Ich fürchte, ja«, antwortete Docc ruhig. Mit den Fingern übte er leichten Druck auf beide Seiten meines Brustkorbes aus, sodass ich scharf den Atem einsog.

»Nicht!«, rief Hayden unvermittelt. Docc wandte den Blick von meiner Verletzung ab und musterte Hayden neugierig.

»Du tust ihr weh«, fügte Hayden leise hinzu und hielt Doccs Blick stand.

Ich drückte leicht seine Hand und sah ihn an. Er musterte Docc mit grimmiger Miene. Dann spürte er, dass ich ihn beobachtete, und sah wieder auf mich herab.

»Ist schon gut«, versicherte ich ihm seufzend. Seine Miene wirkte besorgt.

»Vielleicht solltest du doch besser rausgehen, mein Sohn«, schlug Docc sanft vor. Ich wusste, er würde mir noch mehr Schmerzen bereiten müssen, und ihm war klar, dass Hayden das nicht würde miterleben wollen.

»Nein«, widersprach Hayden entschlossen. »Ich bleibe.«

»Na gut.« Docc seufzte. »Du solltest nur im Vorfeld wissen, dass ihr noch mehr Schmerzen bevorstehen. Also sei für sie da, statt mir zu erzählen, dass ich aufhören soll.« Hayden runzelte die Stirn, nickte aber.

»Gut. Und jetzt, Grace, muss ich dich noch etwas abtasten, damit du mir sagen kannst, wo es am heftigsten wehtut.«

»Okay«, sagte ich und holte tief Luft, um mich zu wappnen. Haydens Hand umfing meine fest, und mit einem Kopfnicken signalisierte ich, dass ich bereit war.

Doccs Hand glitt sanft über meinen Brustkorb, tastete vorsichtig nach herausstehenden Knochen. Der Druck war unangenehm, aber nicht unerträglich. Sorgfältig überprüfte er jeden einzelnen Knochen, und nach drei oder vier Versuchen fuhren seine Finger über eine Stelle, bei der ich vor Schmerz keuchte.

»Da«, japste ich und zitterte vor Qual.

Hayden stieß neben mir ein lautes Schnauben aus, und ich spürte seine andere Hand leicht auf meiner Schulter. Sein Daumen strich langsam über meine Haut, und tatsächlich war diese Berührung zumindest eine gewisse Ablenkung von der Pein.

»Na gut«, sagte Docc ausdruckslos und merkte sich die Stelle, bevor er mit seiner Untersuchung fortfuhr. »Sag Bescheid, wenn noch etwas Derartiges auftritt.«

Ich nickte, gab aber keine Antwort, denn ich hatte noch immer mit den Beschwerden zu kämpfen. Ich spürte, wie seine Finger an meinen Rippen entlangfuhren, aber der scharfe, bohrende Schmerz von eben trat kein zweites Mal auf. Er beendete die Untersuchung meiner Knochen und zog die Hände zurück, sodass ich die Augen wieder öffnete. »Nun?«, fragte ich und fürchtete, dass er bestätigen würde, was ich mir schon gedacht hatte.

»Ich glaube, du hattest Glück«, antwortete er langsam und suchte sich alles zusammen, um meine Wunde zu nähen. »Ohne ein Röntgenbild kann ich keine konkrete Diagnose stellen, aber ich nehme an, dass du dir nur eine einzige Rippe gebrochen hast. Scheint ein sauberer Bruch zu sein, der gut verheilen wird, aber du wirst ein paar Tage höllische Schmerzen haben, bevor es wieder besser wird.«

Erleichtert atmete ich aus. Solange es sich um einen glatten Bruch handelte, war eine gebrochene Rippe kein Weltuntergang. Splitter- oder offene Brüche dieser Art waren erheblich gefährlicher, denn sie konnten innere Organe schädigen. Ich hatte also tatsächlich Glück gehabt.

»Bedauerlicherweise kann man bei einer Rippe keinen Gips anlegen, du musst dich also ein paar Wochen lang schonen, bis sie wieder zusammengewachsen ist«, fuhr Docc fort. Ohne Vorwarnung goss er Desinfektionsmittel auf meine Wunde, und ich zischte vor Schmerz. Haydens Griff um meine Hand wurde fester, so als fühle er ihn ebenfalls.

»Ist wahrscheinlich tatsächlich eine gute Nachricht«, stieß ich mit zusammengebissenen Zähnen hervor. Er hatte angefangen, die Ränder der Wunde zusammenzuführen, um mit dem Nähen zu beginnen. Ich wusste bereits, dass man bei gebrochenen Rippen nichts weiter machen konnte, war also nicht überrascht.

»Sie wird also wieder gesund?«, fragte Hayden. Es war das erste Mal nach Doccs Rüffel, dass er überhaupt wieder etwas sagte.

»Aber ja«, versicherte Docc und nickte bedächtig. Dann richtete er den Blick wieder auf meine Rippen. »Bereit zum Nähen?«

Ich nickte und biss die Zähne aufeinander, wappnete mich für den hinlänglich bekannten Schmerz der Nadel. Ich wusste, dass Betäubungsmittel rar waren, weshalb ich nicht einmal darüber nachdachte, um welches zu bitten. Außerdem fand ich, dass mir derlei Medikamente nicht zustanden, denn immerhin stammte ich ja gar nicht aus Blackwing.

Ich sah Hayden in die Augen. Er verzog das Gesicht und beugte sich noch näher zu mir herab, ließ die Hand an meinem Hals hinaufgleiten und legte sie mir auf die Wange. Ich spürte, wie seine Finger sich am Hinterkopf in meinem Haar vergruben, während sein Daumen mir sacht über die Wange strich.

»Sieh mich einfach nur an«, sagte er leise. »Es ist vorbei, ehe du es überhaupt bemerkt hast.«

Ich nickte und konzentrierte mich auf eine gleichmäßige Atmung und auf die Kraft, die Haydens Anwesenheit mir gab – darauf, dass er an meiner Seite war, obwohl er es gar nicht sein musste. Sosehr ich mir auch wünschte, stark und unabhängig zu sein, musste ich mir doch eingestehen, dass es sich gut anfühlte, jemandem so viel zu bedeuten. Es war so seltsam – jemanden zu haben, der offensichtlich etwas für mich empfand –, denn ich war daran gewöhnt, grundsätzlich auf mich selbst gestellt zu sein.

Selbst damals in Greystone war der einzige Mensch, auf den ich mich je hatte verlassen können, mein Vater gewesen. Celt war für mich da gewesen, wann immer er konnte, aber oft hatten ihn seine Aufgaben als Anführer des Camps in Anspruch genommen.

Mein Bruder war unbesonnen und gewalttätig. Abgesehen vielleicht von körperlicher Verteidigung, war er mir nie eine Stütze gewesen. Außerdem war er ein brutaler Mensch – über etwas anderes als Gewalt hatten wir meiner Erinnerung nach nie gesprochen.

Meine beste Freundin Leutie war immer zu zerbrechlich gewesen, als dass ich auf sie hätte zählen können. Ich war diejenige gewesen, die sie unterstützt hatte, an die sie sich anlehnen konnte, nicht umgekehrt. Vielleicht wäre sie im Notfall trotzdem für mich da gewesen, aber der war nie eingetreten.

Doch nun, während mir die Nadel durchs Fleisch fuhr, um es zusammenzuflicken, brauchte ich Hayden. Ich brauchte seine Hand an meinem Gesicht, seine andere Hand in der meinen, seinen stetigen Blick, mit dem er mich erdete. Ich brauchte die Beruhigung und den starken Rückhalt, obwohl ich eigentlich Angst hatte, beides anzunehmen. Sosehr ich es auch verleugnen wollte, so gewiss ich auch war, dass ich mich nicht auf ihn verlassen wollte, ich brauchte ihn.

Ich sah ihm weiterhin unverwandt in die Augen, während ich den Schmerz auszublenden versuchte, und er hörte keine Sekunde lang auf, mir zärtlich über die Wange zu streichen. Ich war von seinem Blick wie hypnotisiert, seine Intensität nahm mein Denken so sehr gefangen, dass ich die Pein kaum mehr spürte. Immer noch klebte ihm getrocknetes Blut im Gesicht, und obwohl ich gerade genäht wurde, hätte ich ihn am liebsten gewaschen. Möglicherweise war er selbst ebenfalls verletzt, aber bislang hatte er sich ausschließlich auf meine Behandlung konzentriert.

»Fast fertig«, sagte Docc schließlich und brach damit den Bann, mit dem Hayden mich belegt hatte. Letzterer zog kurz die Augenbrauen hoch und warf mir noch einen beruhigenden Blick zu.

»Du machst das toll, Grace«, murmelte er mit leiser, sanfter Stimme. Ich biss mir auf die Unterlippe, als ein besonders heftiger Nadelstich meine Nerven in Aufruhr versetzte. Dann atmete ich zittrig aus, konzentrierte mich abermals auf Hayden und seine zärtliche Berührung. Dass mein Herz so wild pochte, war wahrscheinlich nicht auf die Verletzung zurückzuführen.

Nach einem letzten Stich durchtrennte Docc den Faden und legte mir einen dünnen Verband an. Erleichtert entspannte ich die Schultern. Mir war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr ich mich verkrampft hatte.

»Geschafft«, verkündete Docc. Er sammelte seine Utensilien ein und richtete sich auf. Überraschend beugte sich Hayden vor und presste mir ganz leicht die Lippen auf die Stirn, bevor er sich wieder zurückzog.

»Gut gemacht«, flüsterte er. Ein letztes Mal fuhr sein Daumen über meine Wange, dann ließ er die Hand sinken und stellte sich ebenfalls gerade hin.

Ich spürte, dass Docc uns beobachtete, aber er zog es vor, die offensichtliche Zuneigung zwischen Hayden und mir nicht weiter zu kommentieren.

»Jetzt hole ich dir noch etwas gegen die Schmerzen, dann bist du entlassen«, sagte Docc und schritt zu seinem Medizinschrank hinüber.

»Oh, nein, geht schon«, versicherte ich schnell. Ich wollte nicht noch mehr von ihren Arzneien in Anspruch nehmen.

»Ruhig, Kind. Die Hälfte von dem Zeug hast du schließlich selbst für mich besorgt, also ist das das Mindeste, was ich für dich tun kann.«

Ich seufzte und gab nach. Doch ich kam mir egoistisch vor, weil ich wegen der heftigen Schmerzen nicht weiter widersprach. Die Wunde würde in ein paar Stunden sicher Ruhe geben, aber die gebrochene Rippe würde mir noch tagelang, wenn nicht gar wochenlang Probleme machen.

»Hier, nimm alle sechs Stunde eine, und wenn es allzu schlimm ist, lieber zwei«, wies Docc mich an und reichte mir ein Fläschchen.

»Was ist das?«, fragte ich und musterte mit verengten Augen das Etikett, das schon etwas verblasst war.

»Hydrocodon«, erklärte er. Ich nickte. Den Wirkstoff kannte ich. Dann drückte er mir zwei weitere Pillendöschen in die Hand. »Nach etwa einer Woche setzt du es ab und nimmst lieber Paracetamol. Das kannst du alle paar Stunden einnehmen – je nach Bedarf.«

»Danke, Docc.«

Nach allem, was er seit meiner Ankunft hier schon für mich getan hatte, kam mir diese Antwort erbärmlich vor, aber mir fiel einfach nichts Besseres ein.

»Natürlich. Und jetzt braucht ihr beide Ruhe. Hayden, mach dich bitte sauber. Nicht, dass du dir noch eine Infektion einhandelst«, befahl er streng, wobei er den Blick zwischen uns beiden hin und her wandern ließ.

»Mach ich«, versicherte Hayden, ohne den Blick von mir abzuwenden. Erst jetzt schien ihm aufzufallen, dass ich immer noch nur den BH trug. Automatisch griff er hinter sich, um sein T-Shirt auszuziehen. Mit heftigem Ruck zog er sich das Kleidungsstück über den Kopf und reichte es mir.

»Hier«, sagte er leise. Ich nahm das Shirt mit leisem Lächeln entgegen.

»Danke.«

Auf der unverletzten Seite konnte ich mir das T-Shirt durchaus mit dem Arm über den Kopf ziehen, doch den anderen konnte ich nicht heben. Ohne ein weiteres Wort packte Hayden meine Handgelenke und führte sie in die Armlöcher. Dann ließ er mich wieder los, sodass ich mir das T-Shirt ganz herunterziehen konnte. Ich hatte Mühe, nicht zu erröten, weil ich so lächerlich hilflos war.

»Danke«, murmelte ich abermals. Er nickte unmerklich.

»Soll ich dich tragen?«

»Nein, wird schon gehen«, antwortete ich und winkte ab. Ich beugte mich langsam vor und konzentrierte mich darauf, nicht das Gesicht zu verziehen, während ich die Beine von der Liege schwang. Hayden wartete dicht neben mir. Offensichtlich rechnete er damit, dass ich jeden Augenblick zusammenbrechen könnte.

»Nein, lass mich …«

»Hayden, ich meine es ernst«, beharrte ich. »Gib … gib mir nur deinen Arm. Du musst mich nicht tragen.«

Er seufzte frustriert. Dann streckte er mir den Ellbogen entgegen, damit ich mich bei ihm einhaken und hochhieven konnte. Scharfer Schmerz durchfuhr meine Rippen, aber ich ignorierte ihn und machte einen unsicheren Schritt nach vorn, wobei ich mich auf Hayden stützte.

»Passt aufeinander auf, ihr beiden, habt ihr gehört?«, rief Docc hinter uns her. Unwillkürlich umspielte ein winziges Lächeln meine Lippen, denn die Formulierung gefiel mir irgendwie.

»Natürlich«, versicherte ich, als Hayden keine Antwort gab. Er schien viel zu sehr von der Aufgabe in Anspruch genommen zu sein, mich sicher zur Tür zu geleiten. An der Tür, die Hayden jetzt für uns aufhielt, hörte ich Docc noch leise lachen. Die Sonne ging inzwischen unter und tauchte Blackwing in einen sanften, goldenen Schein.

Überrascht erblickte ich Dax, der vor der Krankenstation an der Mauer lehnte und auf uns wartete. Der Truck war verschwunden. Wahrscheinlich stand er wieder in der Garage, und der Nachschub, den wir organisiert hatten, war schon weggeräumt. Kaum hatte er uns entdeckt, stieß Dax sich von der Wand ab und kam auf uns zu. Erst als er nur noch einen Meter entfernt war, entdeckte ich, dass er das Fotoalbum, das ich für Hayden geholt hatte, in Händen hielt. Er betrachtete Haydens nackten Oberkörper, registrierte, dass ich sein T-Shirt trug.

»Hey«, rief er. Noch nie hatte ich ihn einen so ernsten Ton anschlagen hören. »Alles in Ordnung?«

Keine Ahnung, an wen sich diese Frage richtete, aber Hayden schwieg, also war ich diejenige, die antwortete.

»Ja, alles in Ordnung.«

»Sie hat eine gebrochene Rippe«, meinte Hayden tief seufzend. Offensichtlich war unsere jeweilige Definition von »in Ordnung« etwas unterschiedlich.

»Oooh, autsch«, zischte Dax, zog ein mitfühlendes Gesicht und sah mich an. »Da haben dich die Brutes aber übel zugerichtet.«

»Wird schon wieder«, versicherte ich trotzig. Dax lachte leise und schüttelte bedächtig den Kopf.

»Klar wird es das. Aber hey, ich, äh, ich hab das hier auf dem Vordersitz gefunden, und …« Er verstummte und blickte auf das Fotoalbum in seiner Hand herab. Hayden sah es und griff danach.

»Das gehört mir«, sagte er ausdruckslos. Dax beobachtete ihn neugierig.

»Wo kommt das her?«

»Von zu Hause.« Haydens Stimme war bestimmt und hart, als wolle er jetzt nicht darüber reden.

»Bist du endlich mal reingegangen?«, fragte Dax ehrfürchtig, und seine Augen weiteten sich etwas. Offenbar wusste er zumindest, dass Hayden mit dem Ort so seine Schwierigkeiten hatte. Hayden seufzte noch einmal und schüttelte den Kopf.

»Was denkst du denn, wo sie sich ihre Verletzungen eingefangen hat?«, meinte er und deutete mit dem Kopf in meine Richtung.

Dax’ Blick flackerte zu mir herüber, er wirkte überrascht und erstaunt. »Du hast das für ihn da rausgeholt?«

Ich spürte, wie ich die Augenbrauen runzelte, während ich seinen bedeutungsschweren Blick erwiderte. »Ja.«

Er wirkte beeindruckt. »Wow.«

Wir schwiegen, während Dax diese Informationen auswertete: Zum einen hatte Hayden mir anvertraut, dass dies sein Elternhaus war, zum anderen hatte ich meine eigene Sicherheit riskiert, um etwas für ihn dort herauszuholen. Die Bedeutung dieser Tatsache entging Dax nicht. Er warf einen Blick auf unsere ineinander verwobenen Arme und Haydens bedrückte Miene.

»Ihr beide … ihr seid also … zusammen, oder?«, sagte er. Es war eher eine Feststellung als eine Frage. Aber eigentlich war unser Beziehungsstatus immer noch nicht definierbar. Ich wusste eigentlich nur eines, dass ich Gefühle für Hayden hatte. Und zwar sehr starke Gefühle.

»Wir müssen gehen, Dax«, sagte ich schließlich, als Hayden sich erneut weigerte zu antworten. Er schien zu sehr von der Aufgabe in Anspruch genommen zu sein, mich zurück in seine Hütte zu schaffen, um sich die Mühe machen zu wollen, jetzt mit Dax zu reden. Er warf mir einen stirnrunzelnden Blick zu, als wir einen Schritt vorwärtsmachten, und ignorierte Dax’ Bemerkung. Ich störte mich nicht daran, dass er keine Antwort gab. Wir waren schon ein paar Meter weit gegangen, bevor Dax noch etwas sagte.

»Ich hab immer noch nichts dagegen«, rief er uns hinterher. Seine Stimme war laut genug, dass wir ihn hören konnten, aber sonst niemand, der in der Nähe sein mochte.

»Tschüss, Dax«, rief Hayden mit tiefer Stimme und ignorierte diese Bemerkung damit abermals. Ich kicherte unwillkürlich vor mich hin. Mir gefiel, dass wir mit geschlossener Front auf Dax’ Versuche reagierten, sich Klarheit zu verschaffen.

Unsere Schritte waren langsam und stetig, um mir so wenig Schmerzen wie möglich zu bereiten. Deshalb brauchten wir für den Weg zu Haydens Hütte eine ganze Weile. Ich war merkwürdig nachdenklich, als Hayden mich zu seinem Bett führte und mir half, mich auf die Bettkante zu setzen. Der Schmerz schien jetzt nicht mehr ganz so schlimm zu sein. Vermutlich begann das Schmerzmittel endlich zu wirken.

»Geht es dir wirklich gut?«, fragte Hayden leise. Ich widerstand dem Drang, die Augen zu verdrehen. Seine Sorge war zwar süß, mir aber gleichzeitig auch peinlich.

»Ja, Hayden. Ich schwöre es.«

Er kniete sich vor mir hin, sodass sein Gesicht sich jetzt mit meinem auf einer Höhe befand. Dann legte er mir die Hände auf die Knie, und ich spürte, wie seine Daumen sanft über meine Haut glitten, sich davon überzeugen wollten, dass ich die Wahrheit sagte. Ohne nachzudenken, streckte ich die Hand aus und umfing sein Kinn. Er sog den Atem ein, als ich den Daumen über seine Unterlippe gleiten ließ, die dortige Wunde erspürte, an der das Blut getrocknet war.

»Sollen wir dich jetzt nicht auch mal sauber machen?«, fragte ich leise. Ich selbst war versorgt. Jetzt wollte ich mich um ihn kümmern. Er seufzte tief, hätte mich lieber zum Ausruhen bewegt.

»Bitte, Herc?«, fragte ich leise. Ich wünschte mir so sehr, genauso für ihn da sein zu können, wie er es für mich gewesen war. Langsam und zärtlich schmiegte er die Wange in meine Handfläche und gab sich mit einem weiteren Seufzer geschlagen.

»Na gut, Bär.«

Kapitel 2 

Tilgen

Grace

»Na gut, Bär.«

Trotz meiner schmerzenden Seite spürte ich mein Herz erzittern, als Hayden diesen Kosenamen benutzte. Es war so seltsam, so fremd, ich fühlte mich … wie eine Frau. Derlei Gefühlsregungen waren mir genauso unbekannt wie der Wunsch, sich um ihn zu kümmern. Nie hätte ich gedacht, je so empfinden zu können. Mein Herz pochte unregelmäßig, und in meinem Magen flatterten Schmetterlinge. Mir wurde ganz warm ums Herz, was mir unglaublich gefiel.

Ich spürte die Hitze seiner Haut unter meinen Fingern, die an seinem Gesicht lagen. Sein Blick war von einer gewissen Verletzlichkeit, die ich niemals zu sehen geglaubt hätte. Aber sie war unverkennbar, während er vor mir kniete und mich eindringlich musterte. Ihm klebte immer noch Blut im Gesicht, und erneut wollte ich ihn unbedingt versorgen.

»Komm«, sagte ich leise, fuhr ihm noch einmal mit dem Daumen übers Kinn. Dann legte ich die Hand auf seine, die immer noch sachte auf meinem Knie ruhte. Ich nahm sie zärtlich auf und bemerkte zum ersten Mal, dass auch sie blutverschmiert und mit Blessuren übersät war. Ich holte tief Luft und erhob mich vom Bett, wobei ich mich darauf konzentrierte, nicht das Gesicht zu verziehen und den Schmerz vor ihm zu verbergen. Ich wollte ihm nicht noch mehr Sorge bereiten, als er ohnehin schon durchlebt hatte.

Vorsichtig umfing seine Hand die meine, als ich ihn zum Bad führte, und sandte Funken meinen Arm hinauf. Mir kam der Gedanke, dass ich außer meinen Eltern noch nie jemanden bei der Hand gehalten hatte, und damals war ich noch sehr klein gewesen. Er streichelte meinen Daumen mit seinem, eine zärtliche Berührung, die mir ungeheuer intim vorkam, als schüfe dieser unschuldige Kontakt eine stumme Verbindung zwischen uns.

Hayden sagte kein Wort, als ich ihn zu dem kleinen Becken im Bad führte und ihn so zurechtschob, dass er sich daneben an die Wand lehnen konnte. Ich nahm ein kleines Handtuch zur Hand und tauchte es in das Becken. Das Wasser war kalt und absolut nicht das, was ich gern gehabt hätte, aber wir würden uns damit begnügen müssen.

Mein Herz schlug wieder schneller, als ich mich zu Hayden umwandte und ihm in die Augen sah. Er lehnte immer noch an der Wand, die Arme lose vor der Brust verschränkt. Ich machte einen zögerlichen Schritt vor, den Lumpen in der Hand, doch dann blieb ich stehen.

»Bist du sicher, dass es dir gut geht?«, fragte ich beim Anblick des dünnen Blutrinnsals, das ihm von der Lippe das Kinn hinabgelaufen und auf der Haut getrocknet war. Ein paar Blutspritzer befleckten auch seine Wange. Keine Ahnung, ob es sich um sein eigenes Blut oder das seines Gegners handelte. Er seufzte und löste die Arme. Dann streckte er sie aus, legte mir die Hand auf die Hüfte und zog mich näher zu sich heran.

»Ja, Grace«, antwortete er leise. »Ich hab schon Schlimmeres erlebt.«

Plötzlich hatte ich das Bild seines vernarbten, zerklüfteten Rückens vor Augen. Die Narben zeugten davon, dass er die Wahrheit sagte. Er hatte unzählige Verwundungen ertragen, die erheblich schlimmer waren als eine Platzwunde an der Lippe oder lädierte Knöchel, aber dennoch blieb die Tatsache, dass mir der Anblick seiner Verletzungen ganz und gar nicht gefiel.

Seine Hand blieb auf meiner Hüfte liegen. Ich nickte langsam und hob meinen feuchten Lumpen, zögerte jedoch dann doch, seine Lippe zu berühren.

»Halt still«, befahl ich leise. Die Andeutung eines Grinsens zuckte über sein Gesicht.

»Ja, Ma’am«, antwortete er leichthin.

Ich sah ihm noch ein paar Sekunden lang tief in die Augen, bevor ich die Wunde an seiner Lippe in Augenschein nahm. Ich konnte mich kaum konzentrieren, solange seine Hand so sengend heiß auf meiner Hüfte lag, aber ich gab mein Bestes. Die Platzwunde hatte augenscheinlich schon vor einer Weile aufgehört zu bluten und war nicht allzu tief, obwohl seine Unterlippe leicht geschwollen war. Langsam streckte ich die andere Hand nach oben aus, um ihn am Kinn festzuhalten. Dann drückte ich den Lappen auf die Wunde und begann, ihm das getrocknete Blut abzuwaschen.

Er zuckte nicht einmal zusammen, während ich ihn säuberte, und sein Blick war weiterhin unverwandt auf mein Gesicht gerichtet, obwohl ich ihm nicht in die Augen sah. Ich spürte auf jedem Zentimeter meiner Haut, wie er mich schweigend musterte, und widerstand dem Drang, ihn zu fragen, was ihm durch den Kopf ging.

Er fühlte sich warm an, als ich langsam mit dem Läppchen über seine Haut fuhr, den letzten Rest getrockneten Blutes entfernte und dann erneut mit einem sauberen Zipfel nochmals über seine Lippe fuhr. Seine grünen Augen schienen zu lodern, und ich sah, dass tausendundein Gedanke sich dahinter überschlugen, obwohl jeder einzelne mir ein Rätsel blieb. Es war, als sei ich vorübergehend gelähmt, nicht in der Lage, die Verbindung zwischen uns zu unterbrechen.

Es war so unerwartet und unwirklich, aber jetzt hier vor Hayden zu stehen, einem Menschen, der mein Feind gewesen war und mich gefangen genommen hatte, fühlte sich normal an. Als ob ich genau die Person war, die ihn nach einer Verletzung versorgen und säubern sollte. Diejenige, auf die er sich stützen konnte, wenn er verletzlich war. Ich war sicher, dass er noch nie jemandem gestattet hatte, ihn so zu sehen – genauso wenig wie ich selbst. Es war wie ein Geschenk, das ich nicht verdient hatte.

Mit langsamen, kreisenden Bewegungen ließ Hayden den Daumen einmal über meinen Hüftknochen gleiten. Ich blinzelte und atmete zittrig ein, bevor ich begann, ihm nun mit dem Lappen das restliche Blut von der Wange zu waschen. Ich konnte keine Wunde entdecken, anscheinend stammte das Blut von seinem Gegner.

»Normalerweise mache ich das selbst«, bemerkte Hayden leise, ohne den Blick von mir abzuwenden. Kurz sah ich ihm in die Augen, dann konzentrierte ich mich wieder auf meine Arbeit.

»Dachte ich mir«, antwortete ich, während ich auch noch die letzten Blutreste abwusch. »Aber jetzt nicht mehr.«

Er schwieg, als ich mich zurücklehnte, um ihn genauer zu betrachten. Erfreut stellte ich fest, dass nun nur noch seine Knöchel gereinigt werden mussten. Ich tunkte also den Lappen ins Becken und griff erneut nach seiner Hand.

»Komm her«, befahl ich leise, zog ihn dichter an das Becken heran. Langsam tauchte ich seine verletzte Hand mit meiner in das kalte Wasser. Beinahe sofort wirbelten rosafarbene Strudel im klaren Wasser. Vorsichtig fuhr ich mit dem Daumen über seine Knöchel, um das Blut abzuwaschen. Sie waren flammend rot und mit Kratzern und Wunden übersät; morgen würden sie wahrscheinlich eine dunkelviolette Farbe angenommen haben.

Er beobachtete mich weiterhin mit dem gleichen intensiven Ausdruck, während ich den Schmutz abwusch und seine Hand säuberte. Dabei konzentrierte ich mich vornehmlich darauf, ihm nicht wehzutun, obwohl er das natürlich niemals verlautbart hätte. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und auch er schien momentan nicht besonders gesprächig zu sein. Er war merkwürdig nachdenklich, während er mich musterte, als ob ihm einfach zu viel durch den Kopf ginge, um überhaupt reden zu können.

»Okay«, verkündete ich schließlich und strich ihm ein letztes Mal über die Haut. »Ich glaube, das war’s.«

Ich zog unsere Hände aus dem Wasser und trocknete sie sanft an einem in der Nähe liegenden Handtuch ab. Eine Welle der Erleichterung durchflutete mich, als ich ihn nun in Augenschein nahm, ohne getrocknetes Blut, aber dennoch leicht verletzt. Zumindest war er jetzt sauber.

»Danke«, sagte er leise. Obwohl mein Werk vollendet war, hielt ich seine Hand immer noch fest. Langsam führte ich sie nun an die Lippen und küsste sanft seine Knöchel, als könne ich ihm so den Schmerz nehmen, der ihn sicher quälte. Er beobachtete mich eindringlich, die Brauen tief in die lodernd grünen Augen gezogen, nahm die zärtliche Geste in sich auf. Mein Herz klopfte wild in meiner Brust.

»Gern geschehen«, antwortete ich. Überrascht sah ich, wie er die Hand nach einem weiteren kleinen Lappen ausstreckte und ihn anfeuchtete.

»Und jetzt du«, sagte er mit beinahe gleichmütiger Stimme. Ohne zu zögern, machte er einen Schritt auf mich zu. Mit der freien Hand griff er unter mein Kinn, um meinen Kopf zu sich emporzuneigen. Ich spürte die kühle Feuchtigkeit des Lappens an meiner Schläfe, wo ich wahrscheinlich ebenfalls geblutet hatte.

Jetzt war ich an der Reihe, ihn zu mustern, während er sich auf mein Gesicht konzentrierte. Seine Miene war eindeutig immer noch besorgt, und man konnte kaum übersehen, wie sein Kiefer arbeitete, während er mich wusch. Seine Berührung war sanft und zärtlich – was für ein scharfer Kontrast zu der Art, mit der er alles andere tat. Ich merkte, dass er befürchtete, mir wehzutun, als er mit dem Lappen meine Haut abtupfte. Aber seine sanften Bewegungen verursachten keinerlei Schmerz.

Ich konnte den Blick einfach nicht von seinem Gesicht abwenden. Ein letztes Mal fuhr er mir mit dem Läppchen über die Stirn, dann zog er sich zurück, um sein Werk zu begutachten. Schließlich war er wohl zufrieden damit, denn er sah mir wieder in die Augen und zog die Augenbrauen hoch, bevor er den Lumpen zurück ins Becken warf.

»Wunderschön«, kommentierte er schlicht.

»Danke, Hayden«, sagte ich mit auf geheimnisvolle Weise tonlos gewordener Stimme. Die Spannung zwischen uns setzte mir zu.

»Klar. Und jetzt komm. Du brauchst Ruhe.«

Er fuhr mir mit dem Daumen übers Kinn, dann ließ er die Hand sinken und wandte sich ab. Ruhig kehrte er in den Hauptraum zurück, und ich folgte ihm. Flackernd erwachte das Licht zum Leben, als er eine Kerze entzündete und sie auf den Tisch neben seinem Bett abstellte. Ich wollte mich gerade in das Bett fallen lassen, das schrecklich einladend und gemütlich aussah, als er mich aufhielt.

»Warte, hier …« Er verstummte und wandte sich seiner Kommode zu. Dort öffnete er eine Schublade, holte ein T-Shirt heraus, drehte sich um und warf es mir zu. »Das da ist voller Blut.«

Ich blinzelte und blickte hinab. Ich hatte es gar nicht wahrgenommen, aber er hatte Recht. Das Shirt war immer noch seines, das er mir zuvor geliehen hatte. Es war voll mit dem getrockneten Blut – wahrscheinlich von dem Brute, den er geschlagen hatte.

»Oh«, murmelte ich und klemmte mir das neue Shirt einen Augenblick lang zwischen die Schenkel, um das andere auszuziehen. Ich bekam den Saum nur ein paar Zentimeter hoch, bevor ich die Arme vor lauter Schmerzen wieder sinken lassen musste. Unwillkürlich hatte ich das Gesicht verzogen, was Hayden natürlich nicht entging.

»Komm, lass mich«, sagte er leise und kam zu mir herüber, um mich daran zu hindern, es noch einmal zu versuchen. Ich stieß zittrig den Atem aus, während ich mit dem erneuten Schmerz klarzukommen versuchte, und blinzelte langsam. Dann nickte ich.

Er griff nach dem Shirt, zog es langsam, vorsichtig nach oben, bis mein Bauch und meine Brust enthüllt waren. Dann gelang es ihm, den Arm an der unverletzten Seite aus dem Ärmel zu ziehen, bevor er mir das Shirt ganz auszog.

Abermals stand ich im BH vor ihm, fühlte mich verletzlich und gleichzeitig wohl. Bis zu diesem Moment hatte mir Hayden unentwegt in die Augen gesehen, aber nun ließ er den Blick an meinem Körper hinabwandern, bis er an meiner Rippe landete. Schmerzerfüllt verzog er das Gesicht, als er den tiefvioletten Bluterguss betrachtete, der sich über die gesamte Seite meines Brustkorbs erstreckte, ebenso wie den Verband über der zerklüfteten Wunde, der diese nicht vollständig verdeckte.

»Mein Gott, Grace …«, murmelte er und runzelte die Stirn. Überrascht sah ich, wie er sich vorbeugte, um die Wunde genau zu betrachten. Federleicht und behutsam fuhren seine Finger über die verletzte Haut. Seine Berührung fühlte sich ganz anders an als die von Docc; Letzterer hatte mich zielgerichtet medizinisch abgetastet, während Hayden mich beruhigen und heilen wollte. Seine rauen Fingerspitzen strichen ganz zart an den Rändern der Verletzung entlang, und mir lief ein Schauer über den Rücken. Langsam beugte er sich vor.

Mir stockte erneut der Atem, als er die Lippen sanft auf meine Rippen presste und dort verharren ließ. Dann ließ er sanfte Küsse auf meine Haut herabregnen, bis er einen Großteil des Blutergusses damit bedeckt hatte. Mein Herz drohte meine Brust zu sprengen, als er einen letzten Kuss auf meine Seite drückte, sich zurückzog und dann wieder zu voller Größe aufrichtete.

»Ruh dich aus, Grace. Ich will, dass es dir bald besser geht«, sagte er leise.

Die Zärtlichkeit seiner Worte und seines Verhaltens waren überwältigend. Ich war ganz benommen. Mehr als ein schwaches Nicken brachte ich nicht zustande, als er das neue Shirt zwischen meinen Schenkeln hervorzog, wo es noch immer klemmte. Er schob zuerst meinen Arm an der verletzten Seite hindurch, dann wiederholte er die Prozedur von vorhin in umgekehrter Reihenfolge, und ich spürte, wie der weiche Stoff an meinem Oberkörper hinabglitt.

»Ruh dich aus«, wiederholte er leise und deutete mit dem Kopf aufs Bett.

»Okay, okay«, antwortete ich und lächelte schwach. Ich fand, dass wir jetzt schon so lange so ernst gewesen waren, und ich wollte ihn nicht mehr so bedrückt sehen. Ich merkte, wie sehr ihn die Situation belastete, und hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich die Ursache für seine Stimmung war.

Das Bett sank leicht unter meinem Gewicht ein, als ich hineinstieg und die Decken über mich zog. Ich legte mich auf meine unverletzte Seite, um die gebrochene Rippe zu entlasten. Geduldig wartete ich darauf, dass Hayden sich zu mir legen würde, stellte dann aber überrascht fest, wie er zur Kommode ging und ein weiteres T-Shirt herausnahm. Mit einer ungestümen Bewegung zog er es sich über den Kopf, bevor ich etwas sagen konnte.

»Was hast du vor?«, fragte ich verwirrt. Er schob sich das Haar aus dem Gesicht, dann sah er mich an.

»Ich habe heute Wachdienst im Turm«, erklärte er.

»Oh, na gut …« Ich wollte mich aufsetzen, doch er schüttelte nur den Kopf.

»Nein, du kommst nicht mit«, versicherte er schnell. »Ich habe dir doch gesagt, dass du dich ausruhen musst. Es dauert nicht lange, und ich werde nicht zulassen, dass du mit einer gebrochenen Rippe auf den Turm hinaufsteigst.«

»Nachdem ich angeschossen wurde, hast du mich durchaus veranlasst, dort hinaufzuklettern«, stellte ich klar. Das sollte ein Scherz sein, aber er schien es nicht so aufzufassen, sondern sah mich nur stirnrunzelnd an.

»Das war etwas anderes«, antwortete er rundheraus, allerdings ohne weitere Erklärung. »Ich muss jetzt gehen, aber du … bleib einfach hier.«

Er verengte ganz leicht die Augen. Anscheinend erinnerte er sich in diesem Augenblick daran, wie ich sein Vertrauen missbraucht hatte. Er zögerte, mich nach allem, was wir durchlebt hatten, komplett allein zu lassen. Ich widerstand dem Drang, die Augen zu verdrehen, und stützte mich auf einen Ellbogen.

»Ich werde nicht abhauen, Hayden.«

Er beobachtete mich weiter mit skeptischer Miene, biss sich auf die Unterlippe. Dann ließ er sie wieder frei und nickte entschlossen. »Na gut.«

Er wandte sich um und ging davon, schien es sich dann jedoch noch einmal anders zu überlegen. Er wirbelte zu mir herum, hielt inne, öffnete den Mund, als wolle er etwas sagen, presste die Lippen dann aber wieder aufeinander. Ich fand diese seltene verlegene Unentschlossenheit rührend und musste ein Grinsen unterdrücken. Er seufzte tief und schüttelte den Kopf. Dann kam er energisch auf mich zu. Kaum einen Atemzug später spürte ich, wie er mit beiden Händen zärtlich mein Gesicht umfing. Er presste die Lippen auf die meinen, ließ sie dort ein paar Sekunden lang verharren, sodass mein Herz erneut wild zu pochen anfing. Unwillkürlich schloss ich während des Kusses die Augen, doch dann löste er sich wieder von mir, hielt meine Wangen aber weiterhin fest.

»Ich bin gleich zurück, Bär«, versprach er leise. Erneut streichelte er mich, dann ließ er mich los, nahm mir jede Möglichkeit zu antworten, bevor ich überhaupt wieder zu Atem gekommen war. Er drehte sich um und verschwand zügig aus der Hütte, ließ mich allein in seinem Bett liegen.

Hayden

Ein unverhoffter Adrenalinrausch brachte mein Blut in Wallung. Die Spontanentscheidung, Grace einen Abschiedskuss zu geben, beschleunigte meinen Puls aufs Unerträglichste. Ich kam mir wie ein absoluter Idiot vor, weil ich vorher so unentschlossen gewesen war, aber meinen letztendlichen Entschluss bedauerte ich keineswegs. Immer wenn ihre Lippen auf meine trafen, war es, als habe jemand ein Feuerwerk in meinem Körper entzündet.

Mir stand absolut nicht der Sinn danach, jetzt auf den Turm zu gehen, aber ich konnte meine Pflichten nicht vernachlässigen, nur weil Grace verletzt war. Am liebsten hätte ich mich jetzt zu ihr ins Bett gelegt, sie in den Armen gehalten und getröstet, aber das ging nicht. Zumindest noch nicht.

Energisch schüttelte ich den Kopf, während ich die Stufen des Turms erklomm, und zwar schnellen Schrittes, um es bald hinter mich zu bringen. Ich musste aufhören, mir derlei erbärmliches Zeug vorzustellen. Es war eine Sache, mir endlich einzugestehen, dass ich etwas für sie empfand, aber eine ganz andere, alles stehen und liegen lassen zu wollen, nur um bei ihr zu sein. Genau das hatte ich schließlich befürchtet, als ich bemerkte, dass sie mich ganz durcheinanderbrachte. Aber ich war fest entschlossen, meine Pflichten niemals zu vernachlässigen. Ich hatte es aufgegeben, gegen meine Gefühle für sie anzukämpfen, aber deshalb durfte ich meinen Fokus nicht vollkommen aus den Augen verlieren.

Mittlerweile war es vollkommen dunkel. Die einzigen Lichtquellen waren der Mondschein und ein paar vereinzelte Laternen, die in Blackwing flackerten. Je höher ich kam, umso stärker spürte ich die sanfte Brise, die mir das Haar zerzauste und es um mein Gesicht wehte. Endlich hatte ich die oberste Plattform erreicht. Dax war auf seinem Posten und wandte mir den Rücken zu, während er die Umgebung scannte.

»Hey«, begrüßte ich ihn. Er zuckte zusammen und wirbelte zu mir herum, griff sich mit dramatischer Geste an die Brust und sah mich aus weit aufgerissenen Augen an.

»Du hast mich zu Tode erschreckt«, rief er und schnaubte entrüstet. Ich lachte leise – gefühlt das erste Mal seit Jahren.

»Tut mir leid.«

»Hmm, nein tut es gar nicht«, grummelte er im Scherz. »Was, wenn ich mich so schlimm erschreckt hätte, dass ich vom Turm gefallen und gestorben wäre? Dann täte es dir leid!«

»Findest du das nicht etwas übertrieben?«, antwortete ich kopfschüttelnd und dennoch grinsend.

»Du wirst schon sehen, wie sehr ich es übertreibe, wenn ich tot bin.«

»Okay, Prinzessin. Alles klar bei dir hier oben?«, fragte ich und sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. Ich ließ mir nicht anmerken, wie gern ich wieder zu Grace zurückwollte.

»Ja, heute Nacht ist nichts los. Wie geht es Grace? Rippenbrüche sind echt kein Spaß«, sagte er und musterte mich aufmerksam.

»Ganz gut. Ziemlich angeschlagen, aber laut Docc ist es nur eine einzige Rippe. Wahrscheinlich hatte sie also Glück im Unglück.«

Er nickte nachdenklich und schaute ein paar Sekunden lang in die Ferne, bevor er wieder den Blick auf mich richtete. »Also … hörst du jetzt auf, mich anzuschwindeln, und erzählst mir, was zwischen euch beiden läuft, oder nicht?«

Er presste die Lippen aufeinander und warf mir einen ebenso skeptischen wie herausfordernden Blick zu. Ich seufzte, massierte meine Nasenwurzel und fuhr mir dann mit der Hand durchs Haar.

»Keine Ahnung«, antwortete ich aufrichtig. Ich wusste, ich empfand viel mehr für sie als jemals zuvor für sonst irgendjemanden. Und ich wusste, dass ich gern mit ihr zusammen war, aber das war es auch schon. Wir schienen uns auf eine unausgesprochene Pseudobeziehung eingelassen zu haben. Keine Ahnung, wie ich damit umgehen sollte.

»Aber da läuft etwas! Ha! Ich wusste es«, rief er selbstzufrieden. Ich funkelte ihn wütend an.

»Halt’s Maul, Dax.«

»Ich sprech’s nur aus, Kumpel. Dass da etwas zwischen euch abgeht, ist nun mal ziemlich offensichtlich«, meinte er achselzuckend.

»Ist es nicht«, leugnete ich glatt.

»Du hast sie vor meinen Augen geküsst«, widersprach er. Er klang unglaublich selbstgerecht, und das ärgerte mich.

»Na ja, dann ist es auch keine Kunst zu wissen, dass da etwas zwischen uns läuft, du Idiot.«

Er zuckte noch einmal mit den Schultern und grinste mich an. »Mir gefällt’s. Ich glaube, dass sie gut für dich ist. Vielleicht nimmst du durch sie irgendwann nicht mehr alles so bierernst.«

»Das ändert gar nichts«, wies ich ihn zurück. »Ich habe immer noch die gleichen Verpflichtungen wie früher.«

»Ich weiß, ich weiß. Ich sage ja nur, dass ich mich für dich freue, okay? Du hast es verdient, wenigstens hin und wieder glücklich zu sein, auch wenn du normalerweise ja darauf bestehst, Trübsal zu blasen.«

Ich schüttelte den Kopf und lachte leise auf, erfreut, dass Dax die Sache gut fand, auch wenn er das zuvor schon mal versichert hatte.

»Aber … erzähl es nicht weiter, okay? Ich bin nicht sicher, wie die Leute die ganze Geschichte aufnehmen würden, denn genau genommen ist sie ja unsere Gefangene.«

Er nickte entspannt. »Ja, klar.«

»Danke.«

Ich wollte mich gerade wieder verabschieden, als ein Flackern meine Aufmerksamkeit erregte. Nur eine Sekunde lang war ein Licht zu sehen gewesen, bevor jemand es schnell gelöscht hatte, aber das hatte gereicht. Angespannt spähte ich in die Dunkelheit, was Dax sofort bemerkte.

»Was ist los?«, fragte er und wandte den Blick in die gleiche Richtung.

»Da hinten war ein Licht«, antwortete ich und deutete auf die bewusste Stelle. Sie war nicht allzu weit entfernt. Mir sank das Herz, als mir klar wurde, aus welcher Richtung es gekommen war. Aus der gleichen, in der auch Greystone lag.

Dax griff nach dem Gewehr, das am Geländer lehnte, und blickte durch den Sucher. Er spähte ein paar Sekunden lang in die Dunkelheit, bevor er antwortete.

»Ich kann nichts sehen, es ist zu dunkel. Bist du sicher, dass du etwas gesehen hast?«

»Ich bin sicher«, sagte ich mit ernster, leiser Stimme.

Ich hatte etwas gesehen, ja, und die Richtung, aus der die Angreifer kamen, sprach Bände. Anscheinend würden wir bald ein paar unliebsame Besucher aus Graces Heimat bekommen – aus Greystone.

Kapitel 3 

Tumult

Hayden

Der Wind rauschte in meinen Ohren, blies mir meine dunklen Haarsträhnen in die Augen, während ich weiter in die Dunkelheit spähte. Ich war sicher, dass ich ein Licht gesehen hatte; es war nicht weit entfernt gewesen. Wer immer es also mit sich trug, war viel zu nah, gefährlich nah. Mein Herz pochte, als ich über die Möglichkeit eines weiteren Plünderungszugs aus Greystone nachdachte. Der Gedanke, dass Grace allein und verletzt in meiner Hütte lag und leicht entkommen konnte, steigerte mein Unbehagen nur noch. Ich hoffte nur, dass ich mit meinem Verdacht falschlag.

»Dax, wir müssen hier runter«, sagte ich schnell, während ich mich weiterhin umsah. Es war viel zu dunkel, um irgendetwas erkennen zu können, und ich spürte, wie meine Angst angesichts dieser Unsicherheit stieg. »In dieser Dunkelheit können wir von hier oben aus nichts ausrichten.«

»Ja, hier, nimm dir eine Waffe«, antwortete er sofort und reichte mir eine Pistole und ein zusätzliches mit Munition gefülltes Magazin. Ich schob es in meine Tasche und entsicherte die Waffe, bevor ich die Treppe hinabsprintete. Dax folgte mir dicht auf den Fersen, und ich hörte, wie er in das Funkgerät sprach, das normalerweise oben auf dem Turm blieb.

»Plünderer im Anmarsch, alle in die Häuser und verschließt die Türen. Lichter löschen, Stille bewahren. Ich wiederhole: Plünderer im Anmarsch«, sagte er klar und deutlich und folgte damit dem Verhaltensprotokoll, das wir hatten, wenn wir lang genug vorgewarnt waren. Normalerweise kam es nicht dazu – entweder kümmerten wir uns um die Plünderer, bevor sie nah genug waren, oder es gab überhaupt keine Vorwarnung, und wir konnten uns nicht weiter vorbereiten.

Funkgeräte waren im ganzen Camp verteilt, eines in jedem öffentlichen Gebäude und dann noch jeweils eines in jeder dritten Hütte. Wer über ein solches Funkgerät in der Hütte verfügte, war dafür verantwortlich, denen ohne Funkgerät die Nachrichten weiterzuleiten. Sie wurden nur im Notfall eingesetzt, denn die Batterien waren schnell leer, und Nachschub ließ sich nur schwer beschaffen. Ich betete darum, dass das Gerät in meiner eigenen Hütte eingeschaltet war und dass Grace die Warnung hören und sich verstecken würde, ohne zu durchschauen, wer den Raubzug wahrscheinlich anführte – jemand aus ihrer Heimat.

Die unzähligen Stufen schienen kein Ende nehmen zu wollen, obwohl wir praktisch hinunterflogen. Ich nahm zwei auf einmal, um möglichst schnell unten anzukommen, bevor die Plünderer unser Camp erreichten. Es machte mir Sorgen, wie schlau sie waren. Sie schienen extrem vorsichtig zu sein, damit niemand sie bemerkte. Ich hatte keine Ahnung, wie viele es waren oder auf was sie aus waren. Natürlich lag mein Hauptaugenmerk darauf, Blackwing zu schützen, trotzdem blieb ein nagender Verdacht.

Sie wollen Grace holen.

Der Gedanke setzte sich fest. Ich erinnerte mich an die Nacht, in der ich geglaubt hatte, etwas in den Bäumen hinter meiner Hütte entdeckt zu haben, die Stelle bei näherer Überprüfung aber leer vorgefunden hatte. War mir etwas entgangen? Hatte irgendjemand doch mitbekommen, dass sie hier war?

Das war keineswegs unmöglich. Tatsächlich war es sogar ziemlich wahrscheinlich, überlegte ich, als wir endlich unten angelangt waren. Meine Befürchtungen, dass Graces Anwesenheit viele Leben in Gefahr brachte, würden sich jetzt möglicherweise bewahrheiten, und ich war in der denkbar schlechtesten Position: hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, mein Camp zu beschützen und egoistischerweise Grace zu verstecken.

Dax murmelte etwas in sein Funkgerät, das mich aus meinen Gedanken riss, während wir über die Lichtung sprinteten, die den Turm umgab. Meine Beine genossen die physische Anstrengung, den Schmerz meiner Muskeln, und ich achtete auf eine gleichmäßige Atmung. Ich prallte mit dem Rücken gegen die Seitenwand eines Gebäudes, und schon tauchte auch Dax neben mir auf.

»Hayden und ich sind am Turm. Ein paar Leute sollen patrouillieren«, flüsterte er gedämpft, das Funkgerät dicht vor dem Mund. Dann hielt er es sich ans Ohr, lauschte angestrengt der Antwort, die ich nicht verstehen konnte, weil er die Lautstärke so weit heruntergedreht hatte.

»Sag ihnen, sie sollen sich verstecken. Es wird leichter sein, sie loszuwerden, wenn wir im Verborgenen agieren, als uns auf einen offenen Kampf einzulassen«, flüsterte ich. Dax nickte und gab meine Nachricht weiter. Ich nahm an, dass er jetzt mit Kit sprach – oder vielleicht auch mit Barrow. Jedenfalls wusste ich, dass jene, die Blackwing verteidigten, innerhalb weniger Minuten auf dem Posten sein würden, eine Tatsache, die mich umso stolzer machte, da ich ihr Anführer war.

Kein einziger Mensch war auf den Wegen zwischen den Hütten zu sehen, und das Camp lag in beinah vollständiger Dunkelheit. Sämtliche Lichter waren gelöscht worden, noch bevor wir den Fuß des Turms erreicht hatten. Die Bewohner des Lagers hatten sofort reagiert, hatten die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen und vertrauten auf die, die geschworen hatten, für ihre Sicherheit zu sorgen.

»Es wird nicht leicht werden, sie zu entdecken«, murmelte Dax mir mit leiser Stimme zu. Mit gezückter Waffe suchte er die Umgebung ab, ob sich irgendwo etwas bewegte.

»Ich weiß«, antwortete ich verdrießlich. Es war beinahe stockdunkel, was beide Seiten behindern würde, die Angreifer allerdings mehr als uns; ich kannte jeden Winkel des Lagers, ebenso wie Dax. Aber sie kannten sich hier nicht so genau aus. Nicht zu wissen, von wo sie eindringen würden, wie viele es waren oder was sie wollten, bedeutete einen gewissen Nachteil für uns, aber ich war zuversichtlich, dass wir unser Camp würden verteidigen können.

Meine Augen nahmen eine plötzliche Bewegung wahr. Ein bloßer Schatten in der Dunkelheit, den ich genauso schnell wieder aus den Augen verlor, wie er aufgetaucht war, aber ich hatte ihn gesehen. Zwischen zwei Hütten in etwa dreißig Meter Entfernung hatte sich irgendetwas geregt.

»Da«, keuchte ich und deutete mit einem Kopfnicken auf die Stelle. »Dort ist jemand.«

Wir verbargen uns weiter im Schatten und beobachteten die Umgebung, konnten aber nichts weiter entdecken.

»Kreisen wir sie ein. Du gehst nach links, ich nach rechts«, befahl ich und hielt mir die Waffe vors Gesicht, um nochmals zu überprüfen, ob sie geladen und einsatzbereit war.

»Gut«, flüsterte Dax. Ich konnte sein konzentriertes Nicken kaum sehen, bevor er mit den Schatten verschmolz. Auch ich hielt mich bewusst in der Dunkelheit und fixierte die Stelle, wo ich eben etwas gesehen hatte. Vorsichtig rückte ich näher.

Ich presste den Rücken gegen die Mauern eines jeden Gebäudes, an dem ich mich entlangschlich, hielt lange genug inne, um erneut nach Bewegungen Ausschau zu halten, bevor ich weiterhastete. Ich war beinahe an dem bewussten Punkt angelangt, hatte aber immer noch nichts entdeckt. Dax war nirgends zu sehen, aber wahrscheinlich befand er sich auf der anderen Seite ungefähr auf gleicher Höhe.

Ich spitzte die Ohren, hörte aber nur das leise Rascheln der Bäume im Wind. Langsam, vorsichtig verließ ich mit erhobener Waffe den Schatten der letzten Hütte und zielte in die dunkle Höhlung.

Wieder eine blitzartige Bewegung. Mein Finger krümmte sich am Abzug. Aber auf der anderen Seite stand nur Dax, die Waffe genauso auf mich gerichtet wie ich meine auf ihn. Sofort senkte ich die Pistole und schnaubte genervt.

»Verdammt«, murmelte ich, frustriert, dass nach alldem niemand da zu sein schien. Die Bewegung, die ich gesehen hatte, war nur mein bester Freund gewesen.

»Mein Gott«, keuchte er, die Augen weit aufgerissen, als sei gerade sein ganzes Leben wie ein Film vor ihm abgelaufen. Er sackte körperlich in sich zusammen und atmete aus. »Danke, dass du mich nicht erschossen hast.«

»Gleichfalls«, murmelte ich geistesabwesend. Ich schlich zum Rand der Lücke und spähte auf den Pfad hinaus. »Okay, teilen wir uns wieder auf und wenden uns den Hauptgebäuden zu.«

»Worauf sind sie wohl aus?«

»Keine Ahnung«, murmelte ich. Irgendwie fühlte sich diese Antwort an wie eine Lüge, obwohl ich bislang noch keine Bestätigung für meinen Verdacht erhalten hatte. »Du wendest dich wieder nach links und hältst dich im Verborgenen. Wenn du Hilfe brauchst, dann gib das Signal.«

Er nickte unverzüglich. »Alles klar, Sir.«

Das sarkastische Grinsen, das er mir zuwarf, bevor er sich in die Dunkelheit aus dem Staub machte, wäre mir beinahe entgangen. Er wusste, wie verhasst es mir war, wenn man mich Sir nannte. Ich schüttelte den Kopf. Irre, dass er sogar mitten in einem Überfall noch Witze reißen konnte.

Nachdem ich mich ein letztes Mal umgesehen hatte, schoss ich von meinem Versteck aus zur Mitte des Camps. Meine Instinkte beschworen mich, in meine Hütte zurückzukehren und nach Grace zu sehen, aber ich ignorierte sie. Meine Leute mussten für mich an erster Stelle stehen.

Mittlerweile waren meine Muskeln richtig warm, als ich die Hauptgebäude erreichte. Nun warf ich mich hinter ein großes Fass, das als Müllcontainer diente. Ich war wie im Rausch. In diesem Augenblick entdeckte ich sie: zwei Schattengestalten, die über den Weg huschten. Schwer zu sagen, ob es sich um Freund oder Feind handelte, weshalb ich keinen Schuss abgab.

Ich kauerte mich tief hinab, um nicht entdeckt zu werden, und kroch weiter voran, folgte dem Pfad, den sie eingeschlagen hatten. Sie schienen nicht zu bemerken, dass ich ihnen folgte, wobei ich mich etwa hundert Meter hinter ihnen hielt, während ihre Schatten sich zwischen den Hütten hindurchschlängelten. Sie betraten keine von ihnen und schienen nicht so genau zu wissen, wohin sie sich wenden sollten, woraus ich schloss, dass sie wahrscheinlich aus Greystone stammten. Es überraschte mich, dass sie keinerlei Ausrüstungsgegenstände dabeizuhaben schienen – nur die Waffen, die sie in Händen hielten.

Ich konzentrierte mich darauf, leise und flach zu atmen, während ich ihnen folgte, und stellte erneut überrascht fest, dass sie so ziemlich jedes Lagerhaus ignorierten. Sie wollten uns also gar nicht berauben. Das konnte nur eines bedeuten, und mir gefror das Blut in den Adern. Mein Verdacht erhärtete sich, als ich sie von meinem Versteck hinter einem Stapel Kisten in der Nähe des Lagerhauses weiter beobachtete.

Entsetzt sah ich, dass sie die Gesichter an eines der Fenster drückten, um hineinzusehen. Nie zuvor hatte ich erlebt, dass Plünderer Hütten durchsuchten – normalerweise stürzten sie sich lediglich auf ein paar Vorräte und ergriffen dann wieder die Flucht.

Doch hier lag der Fall anders. Sie suchten nach etwas ganz Bestimmtem, und zwar nach dem, was mir als Erstes in den Sinn gekommen war: nach Grace.

Mir drehte sich der Magen um, als ich die Reihe der Hütten entlangblickte; die beiden waren nur noch fünf von meiner eigenen entfernt. Ich konnte nur beten, dass Grace sich versteckt hatte. Ich atmete erleichtert auf, als ich sah, dass aus dem Fenster kein Licht drang, doch die Hütte stach allein schon durch ihre Größe zwischen den anderen hervor. Ich musste vor den beiden hingelangen.