Sag beim Abschied leise Servus - Helga Anderle - E-Book

Sag beim Abschied leise Servus E-Book

Helga Anderle

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Beschreibung

Eine Sammlung rabenschwarzer und zugleich witzig-ironischer Mordgeschichten, in denen mit den Paschas von Wien und anderswo in bewährter Weise kurzer Prozeß gemacht wird. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Helga Anderle

Sag beim Abschied leise Servus

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Inhalt

Der RosenkavalierDie SandlerinBitte keine Reklame!Fünf Minuten vor LinzDie neue WohnungWenn der Inspektor zweimal klingeltSaturday Night FeverWiener BlutMänner, hört die Signale!VerliererCanaimaCindy

Der Rosenkavalier

Alles, was noch von Christopher übrig war, waren die Kreideumrisse seines Körpers auf dem nassen Pflaster. Ein modernes Graffito – fast wie von Keith Haring –, das sich langsam im Regen auflöste und vom Balkon aus kaum noch zu erkennen war. Auch die Markierung an der Brüstung, mit der sie die Absturzstelle bezeichnet hatten, begann bereits zu verschwimmen. Im Blumentrog klaffte die Erde auf, einzelne geknickte Stengel und Wurzelbüschel ragten häßlich hervor. Sie würde neue Pflanzen kaufen müssen, dachte Ina, Geranien würden sich hübsch machen. Sie ließ ihre Zunge zum Mundwinkel fahren und leckte die Regentropfen auf, die ihr über das Gesicht rannen. Es schmeckte salzig. Ärgerlich fuhr sie sich mit dem Handrücken über das Gesicht. Sie heulte. Na wenn schon, dachte sie, heulen ist gesund. Was spielte es da für eine Rolle, ob es Tränen der Reue, des Selbstmitleids oder der Erleichterung waren.

Da war kein Gefühl mehr, nur eine bleierne Müdigkeit und Leere. Sie fragte sich, warum sie überhaupt noch hier stand, im Regen. Warum ging sie nicht ins Bett, wie ihr der Polizist geraten hatte? Sie sollte sich die Decke über den Kopf ziehen und froh sein, daß endlich alles vorüber war. Der nächtliche Spuk mit Blaulicht und Sirenen, Polizei und Krankenwagen. Die Tortur des Verhörs. Die lauten, gereizten Stimmen der Polizisten, ihre sich ständig wiederholenden Fragen, die komplizenhaften Blicke, die sie untereinander austauschten, und die mißtrauischen, argwöhnischen, die sie ihr zuwarfen.

»Er war nur ein flüchtiger Bekannter, mehr nicht. Ich hab schon geschlafen und war ziemlich sauer, als er so gegen halb eins plötzlich hier aufkreuzte. Betrunken noch dazu. Ich hab ihn reingelassen, bevor er mit seiner Grölerei noch das ganze Haus aufweckte. Er wollte was zu trinken, und ich bin in die Küche … und da muß er wohl auf den Balkon … und …«

Wie eine Litanei hatte sie das aufgesagt, vier-, fünfmal. Warum hätten sie ihr nicht glauben sollen? Es hatte keinen lautstarken Streit gegeben, keine Prügelei, niemand, der etwas gehört oder gesehen hatte. »In alkoholisiertem Zustand vom Balkon gestürzt … kein Verdacht auf Fremdeinwirkung … Unfall.« Zu dem Schluß waren sie gekommen, und so würde es in ihrem Bericht stehen. »Packt’s z’samm. Leutln, wir gehen!« hatte einer der Männer den anderen zugerufen und Ina zum Abschied die Hand gedrückt. »Ham S’ niemand, der a bisserl auf Sie aufpaßt? Sie schaun sehr mitgenommen aus, junge Frau. Blöde Geschichte, am besten, Sie legn sich hin und schlafen. Morgen schaut alles wieder ganz anders aus.«

Dann waren sie gegangen und hatten Ina allein gelassen. Die Ruhe nach ihrem Gepolter war kaum zu ertragen gewesen. Ina war auf den Balkon hinausgegangen.

Als sie sich übers Haar fuhr, spürte sie, wie es in nassen Kringeln auf ihrem Kopf klebte, auch ihr Bademantel war vom Regen schon ganz feucht an den Schultern. Es fröstelte sie. Wenn es so weiterregnete, würden die Kreidestriche morgen ganz verschwunden sein. Das war gut so, dachte Ina. Sie würde auch versuchen, alles aus ihrem Gedächtnis zu löschen, was an diesem Wochenende passiert war …

Mit Christopher war alles so anders gewesen. Es war sonst nicht ihre Art, jemanden, den sie gerade erst kennengelernt hatte, mit nach Hause zu nehmen. Aber bei Christopher war es ihr als die normalste Sache der Welt erschienen. Er war genau ihr Typ, groß, blond, mit dieser unverschämt direkten Art und diesem unwiderstehlichen Lächeln. Über etliche Köpfe hinweg hatte er sie angesehen und angelächelt, ihre Knie waren plötzlich weich wie Watte geworden, und ein Stromschlag von mindestens 10000 Volt war durch sie hindurchgefahren. Ihm, das hatte er ihr im Laufe der Nacht gestanden, war es genauso gegangen. Was für eine Nacht …

Ina hatte nicht gewußt, daß soviel Leidenschaft und Wildheit in ihr steckte. Am nächsten Morgen war es ihnen beiden gleich schwergefallen, sich voneinander zu lösen und aufzustehen. Während er duschte und sie in der Küche Kaffee kochte, hatte sie die Trennung wie einen Schock empfunden, so als hätte man ihr einen Körperteil amputiert. Auch Christopher hatte sich kaum von ihr losreißen können. Etliche Male war ihm der Lift davongefahren, weil er immer wieder zurückkam, um sie einmal und noch einmal zu umarmen. »Ich ruf dich bald an, spätestens am Wochenende!« hatte er versprochen.

Irgendwie hatte Ina den Donnerstag und den Freitag hinter sich gebracht. Das Alleinsein war ihr noch eine Spur unerträglicher vorgekommen als sonst. Dann war endlich der Samstag da.

Normalerweise blieb sie an Samstagen etwas länger im Bett, doch diesmal sprang sie mit einer so fröhlichen Leichtigkeit auf, daß es sie selber erstaunte. Sie kam sich auch nicht albern vor, als sie unter der Dusche Liebesschnulzen sang. Sie wusch sich das Haar und massierte sich eine dieser teuren Ampullen ins Gesicht. Ihre Haut sah danach tatsächlich so pfirsichfrisch und rosig aus, wie der Beipacktext versprach. Zum Frühstück bereitete sie sich ein Müsli zu und schnitt eine Banane hinein. Es schmeckte köstlich, und sie aß mit Appetit, bis ihr einfiel, daß Christopher – natürlich nur im Scherz – über ihr kleines Bäuchlein gespottet hatte. Sie kippte das halbe Müsli vom Teller in den Abfall.

Am Wochenende las sie beim Frühstück gern die Zeitung, aber wenn sie jetzt hinunterging, sich eine zu kaufen, verpaßte sie womöglich Christophers Anruf. So hörte sie sich statt dessen die Nachrichten im Radio an, oberflächlich nur, denn richtig konzentriert war sie nicht.

Während sie das Frühstücksgeschirr abwusch, überlegte sie, was sie anziehen sollte. Das gelbe Kostüm, das sie beim ersten Mal getragen hatte, hatte Christopher sehr gefallen. Sie hatte den Eindruck gewonnen, daß er sehr modebewußt war und Abwechslung liebte. Der sandfarbene Hosenanzug aus Mailand würde genau das Richtige für einen Citybummel sein. Schlicht, klassisch elegant, cooles Understatement, damit würde sie Christopher beeindrucken können. Hastig schlüpfte sie in den neuen Body, sie hatte ihn beim Kaufen nicht anprobiert, aber er saß wie angegossen. Sie mußte sich mit dem Haarefönen und dem Make-up beeilen. Wenn er anrief, wollte sie fertig sein. Männer mochten es nicht, wenn man sie warten ließ. Sie könnten sich in der Reiss-Bar verabreden, ein Glas Sekt trinken, einen Spaziergang machen und anschließend vielleicht im Palmenhaus zu Mittag essen. Danach würde man weitersehen. Vielleicht nahm er sie mit zu sich. Bei dem Gedanken lief ihr ein wohliger Schauer über den Rücken.

Sie war gerade dabei, die auf dem Bett verstreuten Kleider in den Schrank zu hängen, als das Telefon klingelte. Es war Anna, ihre beste Freundin. Ina schnitt ihr das Wort ab. »Tut mir leid, ich kann jetzt nicht mit dir reden, erwarte einen wichtigen Anruf. Sei bitte nicht böse, Schätzchen, ich melde mich später bei dir. Bussi, Anna!«

Angezogen und geschminkt, betrachtete sie sich kritisch im bodenlangen Spiegel. Sie fand, daß sie umwerfend aussah. Der schmalgeschnittene Hosenanzug betonte ihre schlanke Figur. Das hellbraune, leicht gewellte Haar fiel ihr nach dem Fönen in einem sanften Schwung auf die Schultern. Bis auf ein paar Sommersprossen auf der Nase, die aber die meisten Männer niedlich fanden, war ihre Haut makellos und strahlte vor Frische. Sie hatte ihre graugrünen Augen mit passendem Lidschatten umrahmt und ihren Mund orangerot geschminkt. Es gab nichts an ihr auszusetzen, Christopher konnte sich überall mit ihr zeigen.

Der nächste Anruf war von ihrer Mutter, die wie üblich in Plauderstimmung war. »Entschuldige, Mama, bin gerade am Weggehen, ruf dich bestimmt morgen an. Tschüssi!« Um den schönen Anzug nicht zu verknittern, vermied es Ina, sich hinzusetzen. Solche Kleinigkeiten waren sehr wichtig. Noch ein Hauch White Linnen, nicht zuviel, damit es nicht aufdringlich wirkte. Tasche, Handschuhe und Sonnenbrille – alles lag griffbereit auf der Ablage im Flur. Ungeduldig spazierte sie durch die Wohnung.

Halb eins. Es wurde langsam Zeit, daß Christopher sich meldete. Sonst war in einem anständigen Restaurant womöglich kein Tisch mehr zu kriegen.

Klar, dachte Ina. Schauspieler waren alle Nachtmenschen. Wer weiß, wann er gestern ins Bett gekommen war. Hatte ihr Christopher nicht erzählt, wie aufgedreht er nach einer Vorstellung immer war? So kribbelig, daß er meist noch mit einigen Kollegen auf Beisltour ging. Bestimmt war es spät geworden, und er hatte lange geschlafen … Sie würde ihm nicht erzählen, daß sie schon um halb acht aufgestanden war, womöglich hielt er sie für spießig. »Los, klingle schon!« suggerierte sie dem Telefon, aber es blieb stumm.

Sie begann ihren Wäscheschrank aufzuräumen. Irgend etwas mußte sie ja tun, um sich abzulenken. Obwohl sie darauf wartete, erschreckte sie das Klingeln derart, daß ihr die Lade mit den Strümpfen aus der Hand fiel und die sorgfältig zusammengerollten Knäuel wild durcheinanderkugelten. Sie ärgerte sich, ließ aber ihrer Stimme nichts anmerken. Es war nicht Christopher. Eine Versicherungsagentin erkundigte sich, ob sie demnächst zu einem unverbindlichen Gespräch vorbeikommen könnte. Ina wimmelte sie rasch ab.

Zwei Uhr. Ihr knurrte der Magen. Der Kühlschrank quoll förmlich über vor leckeren Delikatessen. Sie war eigens auf den Graben gefahren, in den feinsten und teuersten Delikatessenladen, und hatte Wildpastete mit Preiselbeergelee, hauchdünne Schnitten rosafarbenen Parmaschinken, eine Melone, pralle, knackige Spargel und echten Kaviar gekauft. Auch wenn sie keinen Bissen hinunterbrachte, Männer wurden von der Liebe immer hungrig. Es sollte nicht wieder vorkommen, daß sie Christopher nichts anderes anzubieten hatte als Frühstücksfleisch aus der Dose. Verdrossen briet sie sich zwei Eier. Sie hatte sie kaum hinuntergewürgt – ihr Magen rebellierte immer, wenn sie nervös war –, als wieder das Telefon anschlug. Es war Michel, ein junger Künstler, der sich nach langem Hickhack mit den Behörden den Dachboden zu einem Atelier ausgebaut hatte. Ina war – wie alle übrigen Hausbewohner auch – zur Einweihungsparty eingeladen worden, und seither gingen sie und Michel gelegentlich miteinander aus.

»Diesmal ist mir das Käse-Soufflé gelungen, darf ich dich zum Essen einladen?« fragte er. Michel war Franzose und sehr stolz auf seine Kochkünste.

»Kannst du damit nicht herunterkommen? Ich warte auf einen Anruf.«

»Mon Dieu, man sieht, du hast keine Ahnung, nicht mit einem Käse-Soufflé… es fällt beim leisesten Luftzug zusammen.«

Ina lehnte dankend ab. Hoffentlich war sie nicht zu schroff gewesen. Michel war ein netter Kerl. Ein wenig exzentrisch vielleicht, eben ein typischer Künstler, aber trotzdem sehr witzig und unterhaltsam. Eigentlich tat ihr die Absage leid. Sie mochte Michel, aber mit Christopher ließ er sich nicht vergleichen.

Warum rief er nicht an? Seufzend griff Ina zu einem Buch, legte es aber gleich wieder beiseite. Ihr war nicht nach Lesen zumute. Sie setzte sich mit untergeschlagenen Beinen – zum Teufel mit den Knitterfalten! – vor den Fernseher und hüpfte mit der Fernbedienung von Sender zu Sender. Auf einem lief gerade das neueste Video einer englischen Hardrock-Gruppe. Irgendwie faszinierten Ina diese wilden Kerle in den genieteten Ledersachen. Plötzlich kam ihr der Gedanke, daß die Musik zu laut war und sie womöglich das Telefon überhörte. Sie wählte Annas Nummer. »Bitte ruf mich gleich zurück, ich glaube, mein Apparat ist gestört.« Trotz des Gekreisches der Hardrocker war das Telefon einwandfrei zu hören. Anna wunderte sich, daß Ina noch zu Hause war. »Ich werd jeden Moment abgeholt«, sagte Ina. »Morgen mit dir ins Bad gehen? Nein, danke, hab schon was vor!«

Mit jeder Minute nahm das unangenehme, nervöse Prickeln zu, das allmählich ihren ganzen Körper erfaßte. Der Stundenzeiger ihrer Uhr kroch auf die Sieben zu. Ina zuckte zusammen, als sie das Telefon hörte. Das Herz schlug ihr bis zum Halse. Bitte, laß ihn dran sein, betete sie. Es war Gerda, eine Arbeitskollegin. Ina schluckte ihre Enttäuschung hinunter. »Das ist lieb, danke für die Einladung, aber ich bin schon verabredet. Ihn mitbringen?

… Ach, ich weiß nicht. Ja, ein Neuer, du kennst ihn nicht. Na ist doch klar, daß ich dich auf dem laufenden halte!« Bedauernd legte sie auf. Schade, Gerda hatte eine Menge interessanter Freunde … Trotzdem wollte sie Christophers Anruf um nichts in der Welt versäumen.

Als Ina das nächste Mal auf die Uhr sah, war es kurz vor acht. Sie brauchte jetzt dringend etwas Aufmunterndes, ein Gin Tonic würde ihr guttun. Langsam wurde sie sauer, daß Christopher nichts von sich hören ließ. Na endlich, dachte sie, als wieder das Telefon anschlug, wurde auch Zeit. Diesmal war er es bestimmt, sie hatte es im Gefühl. Eine Frauenstimme fragte nach Carlo. »Falsch verbunden«, sagte Ina mürrisch und knallte den Hörer auf.

Die Uhrzeiger schleppten sich im Schneckentempo vorwärts. Halb zehn. Samstagabend. Alle Welt war dabei, sich zu amüsieren, nur sie saß alleine und frustriert zu Hause. Nein, so ließ sie nicht mit sich umspringen! Nicht schon wieder! Dreimal hatte sie sich in den letzten Jahren verliebt – und jedesmal war es nach einer einzigen Nacht vorbeigewesen. Was war nur los mit den Männern? Warum spielten sie ihr die große Oper von Liebe und Leidenschaft vor und ließen sich danach nicht mehr blicken? Was bildete sich dieser Mistkerl eigentlich ein? Er sollte es ja nicht wagen, jetzt noch anzurufen! Um diese Zeit! Wütend und enttäuscht vergrub Ina das Telefon unter einem Haufen Zierpolster. Jetzt konnte er anrufen, bis er schwarz wurde … sie würde es nicht einmal mehr hören!

In der Küche lud sie sich einen Teller mit Spargel, Schinken und der Wildpastete voll – geschah ihm recht, wenn nichts mehr für ihn übrigblieb – und aß hinterher eine ganze Tafel Trauben-Nuß-Schokolade auf einen Sitz auf. Wehe, wenn er sich noch einmal über ihre Figur lustig machte! Ganz schön blöd, wie sie sich aufführte. Wegen dieses Lackaffen! Als ob sie das nötig hätte!

Plötzlich kam ihr der Gedanke, Christopher könnte womöglich noch im Theater sein. Vielleicht hatte der Arme den ganzen Tag proben oder für einen kranken Kollegen einspringen müssen? Ina grub das Telefon wieder aus. Im Theater meldete sich niemand mehr. Es war bereits nach Mitternacht.

Der Nachtfilm im Fernsehen, ein alter Western, half nicht, ihre Stimmung zu heben. Heulend ging sie ins Bett. Am Morgen hatte sie rote, geschwollene Augenlider und rasende Kopfschmerzen. Sie nahm eine Tablette und legte sich eine Eismaske auf die Augen. So wie sie aussah, konnte sie sich nirgends sehen lassen. Als nächstes hob sie den Telefonhörer ab. Es tutete, die Leitung war in Ordnung.

Nach der Dusche fühlte sie sich besser. Sie schlüpfte in ein leichtes Badekleid und ging nach unten, um sich aus dem Automaten eine Zeitung zu holen. Es war ein herrlicher Sommertag, die Sonne schien warm, und es wehte eine angenehme Brise. Die Straße war auto- und menschenleer bis auf eine alte Frau, die ihren Hund spazierenführte. Vermutlich waren alle Leute ins Grüne oder zum Baden gefahren. Vor Selbstmitleid schossen ihr plötzlich Tränen in die Augen.

Den ganzen Vormittag blieb das Telefon stumm, erst um halb eins klingelte es. Ausgerechnet Harald! Sie waren ein paar Wochen miteinander gegangen, bis sie den Langweiler abserviert hatte. Inas Stimme kippte vor Wut fast über. Nein, sie hatte keine Lust, sich mit ihm zu treffen, er solle sich gefälligst zum Teufel scheren! Ohne ein weiteres Wort legte er auf.

Der Nachmittag verging. Ina starrte die Decke an. Eine bleierne Schwere lastete auf ihr. Warum zum Kuckuck war Anna nicht da, wenn sie sich bei ihr ausweinen wollte? Ihr fiel ein, daß ihre Freundin im Bad war, vermutlich in die Betrachtung knackiger Männerärsche vertieft. Es hätte Spaß gemacht, jetzt mit ihr im Schatten der Kastanienbäume zu sitzen, gemütlich einen Eiskaffee zu trinken und über die Leute herzuziehen.

Draußen begann es bereits zu dämmern, als ihre Lebensgeister wieder erwachten. Hatte ihr Christopher nicht von seinem Stammlokal erzählt, einem Treff für Theaterleute? Wie war doch gleich der Name gewesen, Da Giorgio oder Da Giovanni? Verflixt, sie konnte sich nicht mehr erinnern. Ina holte das Telefonbuch hervor. Das Lokal mußte in der Nähe des Theaters sein, sie würde es gleich haben. Da Giovanni, ja, das war’s.

Es dauerte eine Weile, bis sie den Mut aufbrachte, die Nummer zu wählen. Eine Männerstimme meldete sich. »Sprechen Sie lauter, ich kann Sie nicht verstehen!« Ina wiederholte ihre Frage. »Moment.« Es gab eine Verzögerung. Sie hörte das Klirren von Gläsern, Stimmengemurmel, lautes Lachen, dann kam der Mann wieder. »Der Christopher hat sich heute den ganzen Tag noch nicht blicken lassen. Soll ich ihm was ausrichten, falls er noch aufkreuzt?«

Ina bedankte sich und legte auf. Vielleicht stand Christopher ja im Telefonbuch. Mit fliegenden Fingern blätterte sie die Seiten um und ließ den Zeigefinger die Spalten auf und ab wandern. Da, Christopher Hornay, Schauspieler, Telefonnummer und Adresse.

Für eine Weile spielte Ina mit dem Gedanken, sich ein Taxi zu nehmen, hinzufahren und ihm eine Szene zu machen. Nein, sie würde sich nur lächerlich machen, mit welchem Recht konnte sie ihn denn zur Rede stellen? Was war sie denn für ihn? Ein flüchtiges Abenteuer, mehr nicht, jemand, den er zufällig irgendwo aufgegabelt hatte. Eine Frau von der Sorte, die sich nicht lange ziert, sondern sich Männern gleich an den Hals wirft. Kein Wunder, wenn er nichts mehr von sich hören ließ, Männer schätzen nicht, was sie leicht haben können. Das hatte ihr ihre Mutter immer vorgebetet. Gebannt starrte sie das Telefon an. Was, wenn sie einfach bei ihm anrief? Hallo, ich bin’s, wie geht’s denn so, wollten wir uns nicht an diesem Wochenende sehen? Ganz cool und locker.

Der Hörer blieb ihr förmlich an der Hand kleben, so schwitzte sie. Ihre Unentschlossenheit war zum Aus-der-Haut-Fahren. Schließlich tippte sie die Nummer so rasch ein, als ginge es um einen Notfall. Die Verbindung klappte. Es klingelte einmal, zweimal, dreimal. Niemand meldete sich. Sie ließ es weiterläuten. Endlich wurde abgehoben. Eine verschlafene Frauenstimme sagte: »Hallo, bist du’s, Liebling, wo steckst du?« Schockiert ließ Ina den Hörer fallen. Ihr war auf einmal schwindlig, und sie spürte, wie sich ihr Magen umdrehte. Sie lief ins Bad, erschrak über ihr weißes, verzerrtes Gesicht im Spiegel und begann zu würgen. Dieser Scheißkerl! Wie hatte sie nur so naiv sein können, seinen Liebesbeteuerungen zu glauben? Einem professionellen Schauspieler! Vermutlich verfügte er über einen ganzen Harem von willigen und jederzeit abrufbaren Freundinnen! Selbst bei ihm zu Hause hielt ihm eine das Bett warm.

In kleinen Schlucken trank sie den frischgebrauten Beruhigungstee, nahm eine Kopfschmerztablette und ging ins Bett. Egal, wie sie sich fühlte, sie mußte morgen früh raus. Im Büro wartete eine Menge Arbeit auf sie. Das Kopfweh ließ allmählich nach, aber schlafen konnte Ina nicht, unruhig wälzte sie sich zwischen den Laken herum.

Was für eine Verschwendung von Zeit und Gefühlen, was für ein beschissenes Wochenende! Anstatt sich zu amüsieren und auszuspannen, war sie durch die Hölle gegangen, und alles nur wegen dieses verlogenen Kerls. Umbringen könnte sie ihn dafür, daß er ihr das angetan hatte! Falls er es je wagen sollte, sie noch einmal anzurufen, dann würde er sein blaues Wunder erleben!

Ina versuchte nacheinander alle ihre Einschlaftricks, suggerierte sich, immer gelassener zu werden und immer tiefer zu sinken, und als sie endlich am Eindösen war, klingelte es Sturm an ihrer Tür. Sie sah auf die Uhr: halb eins. Wer konnte das um diese Zeit noch sein? Halb ärgerlich, halb ängstlich warf sie sich den Bademantel über und schlurfte zur Tür.

Es war Christopher. Unschuldig lächelnd und mit einer halbverwelkten Rose in der Hand. »Hallo, Süße«, säuselte er mit seiner einstudierten Verführerstimme, »da bin ich. Dein Rosenkavalier. Ich dachte, wir setzen da fort, wo wir beim letzten Mal aufgehört haben.«

Er war betrunken und hielt sich mit der Linken am Türrahmen fest. Ina knallte ihm wortlos die Tür ins Gesicht. Er hämmerte dagegen und begann laut zu grölen. Aus Rücksicht auf die Nachbarn ließ sie ihn ein.

Laut singend wankte er durchs Wohnzimmer, als sei er hier zu Hause. »Wie kannst du nur schlafen in einer so romantischen Sommernacht?« sagte er und zog sie auf den Balkon hinaus. Er lehnte sich mit dem Gesäß an die Brüstung, preßte Ina an sich und stieß ihr seine Zunge in den Mund. Sie stemmte sich dagegen, aber er hielt sie eisern fest, knetete mit einer heißen, feuchten Hand ihren Hintern und rieb seinen harten Schwanz an ihrem Bauch. Seine Zunge drehte und krümmte sich in ihrem Mund wie ein schleimiges Reptil. In ihrem Kopf dröhnte es, und ihr Magen gurgelte, gleich würde sie sich übergeben müssen vor Ekel. Sie bekam keine Luft mehr, sie erstickte. Wie im Reflex biß sie zu.

Er stöhnte vor Schmerz und ließ sie sofort los. »Bist du verrückt! Beim letzten Mal hast du dich nicht so angestellt, du geiles Weibsstück, da hast du gar nicht genug kriegen können, du Schlampe!«

Sie trat ein paar Schritte zurück, und als er die rechte Hand nach ihr ausstreckte, warf sie sich heftig nach vorn und schlug ihn mit beiden Fäusten auf den Brustkorb. Aus dem Gleichgewicht gebracht, hoben seine Füße vom Boden ab, und während er mit den Händen ins Leere griff, bekam sie seine Beine in Kniehöhe zu fassen und stemmte sie nach oben. Einen Augenblick lang schien es, als würde er sich noch fangen, aber dann kippte er nach hinten über den Blumentrog und verschwand in einer Rückwärtsrolle aus ihrem Blickfeld.

Gleichzeitig mit dem Eintreffen der Polizei setzte der Regen ein.

Die Sandlerin

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