Sahnehäubchen mit Champagner und kein Hauptgang - Mja Maj - E-Book

Sahnehäubchen mit Champagner und kein Hauptgang E-Book

Mja Maj

0,0
2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Lilienn Winter, eine selbstbestimmte Frau Anfang Vierzig, sucht den Mann fürs Leben. Auf einer Vortragsveranstaltung trifft sie den in seiner Ehe unglücklichen Lawrence. Ein Mächtiger, der sein Privatleben als Joch der Anpassung empfindet, und nun einmal eine Frau auf seine Art beherrschen will. Um an sein Ziel zu gelangen, umgarnt und verwöhnt er Lilienn. Er scheint ihr alles zu geben, was sie sich erträumt – nur eines nicht: die Ehe. Stattdessen gelingt es ihm, sie immer abhängiger von sich zu machen: sexuell und emotional. Erotischer, ironischer und psychologischer Roman über die Illusion der Liebe, die Droge der Abhängigkeit und die Wahrhaftigkeit der Leidenschaft. Ein Muss für jeden, der schon einmal in einer unerfüllten Liebesgeschichte festhing.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 298

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sahnehäubchen mit Champagner und kein Hauptgang

Deutsche Erstausgabe Mai 2015

© Mja Maj

https://www.facebook.com/pages/Mja-Maj/464184843745908

Alle Rechte vorbehalten!

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages. Personen und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Umschlaggestaltung: Sabrina Dahlenburg

Lektorat: Lektorat Hoffmann

Korrektorat: Wort plus

Satz Ebook: Sophie Candice

Satz Print: Sophie Candice

Erschienen im A.P.P.-Verlag

Peter Neuhäußer

Gemeindegässle 05

89150 Laichingen

ISBN mobi: 978-3-945786-61-1

ISBN Print: 978-3-945786-62-8

Dieser Roman wurde unter Berücksichtigung der neuen deutschen Rechtschreibung verfasst, lektoriert und korrigiert.

Warum Geliebte immer nur naschen,

niemals satt werden

und dabei schlank bleiben.

I

Lilienn Winter bog mit ihrem 3er-BMW-Cabrio in die Prinzenstraße ein und suchte einen Parkplatz. Sie wendete sich nach allen Seiten und bat das Universum um Hilfe: »Bitte eine große Parklücke, direkt vor meiner Haustür.« Bei Parkplätzen hatte sie damit gute Erfahrungen gemacht, bei größeren Wünschen allerdings nicht. Was wohl daran lag, dass sie wusste, wie ihr Parkplatz beschaffen sein sollte. Wie ihr künftiges Leben aussehen sollte oder der perfekte Mann dazu, das war ihr nicht so klar. Außerdem glaubte sie als Psychologin nur eingeschränkt an die Sache mit den Wünschen an das Universum. Man bekam eher das vom Leben zurück, was man säte, dachte sie. Lilienn war das Gegenteil einer Perfektionistin, vielmehr eine Abenteurerin, die sich auch gerne einmal treiben ließ. Sie war erfindungsreich und kreativ. Besonders im Kreieren von Diäten und im anschließenden tapferen Selbstversuch war sie unschlagbar. Sie probierte sich einfach gerne aus. Es gab aber auch vieles, was sie nicht konnte. Zum Beispiel: kochen; ihr brannte so ziemlich alles an, was mit einem Herd in Berührung gebracht werden konnte. Ähnlich verhielt es sich auch mit dem Küchentuch, das in der Nähe hing. Auch Knöpfe annähen, eine Naht ordentlich umsäumen, etwas gerade abschneiden, oder gar ein Hemd bügeln, geschweige denn eine Bluse, das konnte sie alles nicht.

Einen Tisch ordentlich decken, eine Wohnung dekorieren − wozu? Sie richtete sich ihre Wohnung einmal mithilfe eines Fachmanns elegant ein und so war sie dann: Ostern, Pfingsten, Weihnachten und in den Zeiträumen dazwischen. Dekoration empfand sie als überflüssig, es sei denn, es handelte sich um Kosmetik. Autofahren war auch so ein Thema. Sie kam zwar immer von A nach B, aber keiner stieg gerne ein zweites Mal bei ihr ein. Es nahm sie aber jeder gerne mit, denn sie war eine angenehme Beifahrerin; unterhaltsam und schweigsam zur rechten Zeit. Sie hielt einfach den Mund, weil sie in jeder Situation wusste, dass sie es auch nicht besser gemacht hätte. Eine Wunde versorgen oder Erste Hilfe leisten, gehörte auch nicht zu ihren Stärken. Wenn sie Blut sah, wurde ihr schlecht und sie fiel in Ohnmacht. Was sie gut konnte, war lauter schreien, als es wehtat.

Sie fragte sich häufiger, ob sie neurotisch sei. Die Antwort fiel optimistisch aus. Sie war ein Single in den Vierzigern, lebte als Freiberuflerin in Berlin und wusste nie, was der nächste Monat bringen würde – natürlich war sie neurotisch!

Im Vergleich zu ihren Freundinnen und Bekannten war sie heilbar bekloppt. Isabella zum Beispiel: Isabella war viel schlimmer dran. Sie suchte ihr Glück in der Religion und wurde dabei immer unglücklicher. Isabella könnte nur noch ein Kloster retten oder ein brennender Busch, aus dem Adonis sprang, um ihr einen neuen Weg zu zeigen. Oder Katharina, die sich über 60 Stunden wöchentlich für eine Versicherungsgesellschaft krummlegte und niemals auf den Gedanken kam, dass sie dort nach ihrem Burn-out einfach durch eine andere Willige ersetzt werden würde. Dann waren da noch einige Single-Freundinnen, die die Fünfzig überschritten hatten und auf ihrer letzten Geburtstagsparty, gemeinsam mit den Resten der Geburtstagstorte, alle Hoffnung auf ein geglücktes Sex- und Liebesleben in die Tonne gekloppt hatten. Oder die verschrobene Gabi, die ihr Leben ihren Katzen verschrieben hatte, und die alleinerziehende Dagmar, die ihren Sohn wie ihren Ehemann behandelte und dachte, nur sie hätte es schwer im Leben. Ach ja, es gab auch noch einige wenige, die verheiratet waren. Zugegeben, die waren weniger neurotisch, aber noch viel unglücklicher. Claudia wurde permanent von ihrem Mann betrogen. Zu den anderen Verheirateten hatte Lilienn keinen Kontakt mehr, weil ihr die Gespräche über Kinder schon immer auf die Nerven gingen und ihr schlecht wurde, wenn die Mütter von den Verletzungen oder Ausscheidungen ihrer Kleinen erzählten.

Singen konnte Lilienn auch nicht. Sie traf keinen Ton, obwohl sie sehr musikalisch war. Denn eines konnte und liebte sie: Tanzen. Und das war es, was sie tat: Sie tanzte durch ihr Leben in Dur und in Moll.

Die Dinge, die sie gut beherrschte, kombinierte sie so geschickt, dass niemand auf die Idee kam, dass sie eigentlich gar nicht so viel konnte. Sie war gut darin Menschen zu analysieren, Dinge spitz zu formulieren und boshafte Comics zu zeichnen. Also ließ sie es, Kranke zu heilen und wandte sich stattdessen der Beratung von Führungskräften zu, die sich selbst zumindest für völlig gesund und normal hielten.

Privat liebte sie den Sport und das Tanzen, ihre Freunde und Männer. Aber nun war sie schon länger Single und langsam überkam sie eine gewisse Panik. Wenn sie die Fünfzig erst überschritten hätte, würde sie keinen mehr finden, mit dem sie alt werden konnte.

Alt werden! Das war ihr größter Horror und sie war sich nicht sicher, ob dieser Schrecken geschmälert würde, wenn einem tagtäglich auch noch jemand dabei zusah. Aber alleine zu sein, das war gar nicht gut. Zumindest sagten das alle. Die Psychologen und entsprechende Studien waren sich darüber einig, dass der Mensch nicht gut alleine leben konnte. Nun, manchmal dachte Lilienn, dass sich das bei ihr genau andersherum verhielt. Sie konnte nicht gut in Beziehungen leben. Die endeten bei ihr stets unweigerlich in einer mehr oder minder großen Katastrophe. Aber auf der anderen Seite war sie extrem antiphobisch – also musste sie es natürlich immer und immer wieder mit den Männern probieren. Ansonsten wäre es ihr auch ganz schön langweilig geworden. Und es gab noch etwas, das Lilienn liebte: das Drama, die Melancholie und ein bisschen auch die Verzweiflung. Ja, sie brachte sich irgendwie gerne in schwierige Situationen. Sie liebte die Wanderung nahe am Abgrund. Nur wenn ein Gefühl intensiv war, konnte sie über sich erfahren, welche Stärken und Fähigkeiten sie besaß. Deswegen liebte sie die Männer am meisten, die sie an ihre Grenzen brachten. Besser als sich mit Rasierklingen zu ritzen, dachte sie in solchen Momenten. Sie war also völlig normal neurotisch, und es reichte ihr ein einziger Mann, um sich so richtig unglücklich zu fühlen.

Sie schuf ihre eigene Definition von Melancholie, und diese unterschied sich komplett von der Depression. Während sie die Melancholie mit ihren Grübeleien und Inszenierungen von Schmerz liebte, war ihr die dumpfe Antriebslosigkeit einer Depressiven völlig wesensfremd. Wenn sie melancholisch war, grübelte sie, bis sie eine Antwort fand, wenn sie traurig war, tanzte sie, bis sie wieder lachte und wenn sie böse war, dann schrieb und malte sie Comics, bis sie wieder lachen konnte. Sie befand sich gerne in emotionalen Zuständen, besonders wenn wieder eine Beziehung in die Brüche gegangen war. Auf der anderen Seite dachte sie, dass ihr sowohl die Wut als auch die Trauer Antrieb gaben, die Dinge mit dieser Inbrunst anzugehen, die ihr in diesen hochemotionalen Momenten so zu eigen war. Und so liebte sie vor allem ihre Traurigkeit, achtete aber immer darauf, dass sie niemals zu lange weinte. Denn die Augenringe am nächsten Morgen waren mit jedem Jahr, um das sie älter wurde, schwieriger zu vertuschen. Sie wollte auf keinen Fall, dass man sie für eine dieser betroffenen, alleinstehenden Frauen hielt. Das war sie nicht. Sie war gern Single! Oder etwa doch nicht? Sehnte sie sich nach ihrer letzten Trennung doch wieder nach einem, der blieb? Nach einem, der bei ihr war, egal wie es ihr gerade ging. Der die Melancholie und ihre Kraft verstand. Der die Traurigkeit mittrug und auch die Boshaftigkeit, und der ihr wohlwollend beim Altern zusah und die Botox-Spritzen nicht kommentierte.

Sie hatte Sex and the City gesehen, als die Serie in den 1990ern herauskam, und sie sah sie sich immer noch gerne an. Bei manchen Lernprozessen war sie recht langsam, auch wenn sie sonst eine von der schnellen Sorte war, die erst handelte und dann nachdachte.

Nachdem sie einen Parkplatz gefunden hatte, eilte sie die Treppe in den vierten Stock ihrer Altbauwohnung hinauf. Dabei nahm sie zwei Stufen auf einmal, was zur Folge hatte, dass sie oben angekommen kaum noch Luft bekam.

Lilienn stand in ihrem Badezimmer und machte sich für einen Besuch in ihrer Lieblingsbar zurecht. Sie betrachtete sich im Spiegel und bürstete sich die halblangen, brünetten Haare. Sorgfältig legte sie Make-up auf, um die kleinen Fältchen um die Augen zu verdecken, tuschte die Wimpern und wählte hellen Lidschatten und Eyeliner, der ihre grünen Augen leuchten ließ. Diese tickende Uhr in sich, den Richtigen zu finden, ließ sie sehr sorgfältig mit ihrem Äußeren umgehen. Seit ihrem vierzigsten Geburtstag war sie weniger entspannt als in den Jahren vorher. Sie hatte noch acht Jahre, dann würde sie fünfzig werden. Sollte eine Frau in diesem Alter nicht langsam einmal wissen, was sie eigentlich wollte? Lilienn wusste es nicht. Einen Partner, über dessen Unarten sie sich immer wieder ärgern musste, wollte sie nicht. Alleine alt werden wollte sie auch nicht. Alt werden, warum dachte sie heute nur ständig darüber nach?

Ach, was soll’s, verschieben wir es doch auf morgen. Sie lächelte ihrem Spiegelbild verschmitzt zu. Als sie aus dem geräumigen Bad in das angeschlossene Schlafzimmer ihrer Wohnung ging und ihren Blick durch den begehbaren Kleiderschrank schweifen ließ, konnte sie sich wieder einmal nicht entscheiden, was sie anziehen sollte. Es war Anfang Januar und eiskalt. Lilienn mochte die Kälte und den Schnee nicht und hatte für diese Jahreszeit nichts Hübsches zum Anziehen. Kälte und sexy Outfit widersprachen sich in ihren Augen. Sie traf sich mit ihrer langjährigen Freundin Claudia, die ihr wieder einmal von den neuesten Seitensprüngen ihres untreuen Ehemannes erzählen würde. Bei ein paar Drinks wollten sie plaudern und sich einreden, dass es ihnen doch eigentlich ganz gut ginge. Da konnte sie einfach in eine wärmere schmale Hose und einen Pullover schlüpfen und auf das durchsichtige Blüschen und den kurzen Rock verzichten. Sie hasste es, wenn sie fror und zog sich den Pullover über den Kopf, verließ ihren Schrank in dem Gedanken, dass sie doch noch etwas anderes zum Anziehen bräuchte als die obligatorischen Berater-Hosenanzüge. Vor der Kommode setzte sie sich auf den kleinen Hocker und betupfte sich mit ihrem Lieblingsparfum. Dabei sah sie die Gipsfiguren an, die sie letzten Sonntag auf einem Trödelmarkt erworben hatte. Sie stellten die Götter der Griechischen Mythologie dar: Da standen Zeus, Apollon, Aphrodite, Athene, Dionysos und Eros, der nicht wie so häufig als jugendlicher Cupido dargestellt war, sondern als stattlicher Mann, wie man ihn aus der Sage mit Psyche kannte. Eros und Psyche, was für eine wunderbare Liebesgeschichte, dachte Lilienn bei sich, während sie in die Stiefel stieg, einen warmen Mantel überwarf und sich auf den Weg machte. Die paar Meter zu der Bar lief sie ziemlich schnell, doch als sie dort ankam, hatte sie eine rote Nase und rieb sich die Hände vor Kälte. Sobald sie den Mantel ausgezogen hatte, steuerte sie die Theke an. Es war Donnerstagabend und die Bar ziemlich leer. Ben, der Besitzer des Etablissements mit dem vielsagenden Namen Love Lost, lachte über ihr Gehabe wegen der Kälte. Die Wände waren mit Schwarz-Weiß-Fotografien aus alten Hollywoodfilmen gepflastert. Ben war ein wahrer Romantiker, der wie Lilienn diese alten Schinken liebte. »Man könnte meinen, du bist durch halb Sibirien gelaufen, Lilly.« Er stellte ihr einen Cosmopolitan vor die Nase. »Oder möchtest du lieber eine heiße Schokolade?«

Lilienn nippte an dem Drink und ließ sich auf dem Barhocker Ben gegenüber nieder.

»Bist du alleine da oder kommt Claudia noch oder vielleicht eine neue Liebe?«, fragte Ben lächelnd.

»Eine neue Liebe würde ich sicher nicht am ersten Abend in eine Bar mit dem Namen Love Lost führen. Und es gibt auch niemanden. Gott sei Dank. Kein Stress mit den Kerlen. Claudia kommt noch, hoffe ich. Wenn ihre Kids sie nicht aufhalten. Ach, ich bin froh, dass ich dieses ganze Familien-Gedöns nicht habe.« Lilienn nahm einen Schluck von ihrem Cosmopolitan, während sie vor ihrem geistigen Auge Claudia als Comicfigur mit großem Busen und zerzausten Haaren sah. Claudia jonglierte mit Milchfläschchen, Töpfen und Pfannen, während sie ihren Kindern ein Liedchen vorsang. Lilienn zoomte sich Claudias Gesicht näher und sah den säuerlich genervten Gesichtsausdruck über die Plagen des Mutterseins.

Lilienn ermahnte sich. Claudia war glücklich mit ihren Kindern – sie war nur unglücklich mit ihrem Mann. Ganz zufrieden mit sich und ihrem Leben nippte Lilienn an ihrem Cosmopolitan. Wie gut, dass die Bar von ihrer Wohnung aus zu Fuß gut zu erreichen war. Lilienn war das Gegenteil einer Frau mit Prinzipien. Sie hatte nur einen einzigen Grundsatz im Leben, den sie tatsächlich einhielt. Wenn sie Alkohol trank, fuhr sie nicht Auto. Ben sah sie an, als hätte er die bösen Zeichnungen in ihrem Kopf auch gesehen.

»Du bist sicher, dass du keine Familie möchtest, keine Kinder?«

»Ja. Kinder auf gar keinen Fall, und mit den Männern ist es doch auch immer nur schwierig. Am besten eine lockere Affäre ohne Ansprüche und vor allem in zwei Wohnungen. Wer will euch unordentlichen Kerlen ständig hinterherräumen?«

»Na, das klang aber ganz anders, als du das letzte Mal mit Matthias hier warst.«

»Ja, damals – ist lange her und jetzt ist er im Himalaja und ich bin wieder allein. Nie wieder, sag ich dir, lass ich einen Mann so nahe an mich heran, dass es wehtut, wenn er wieder geht.«

»Und wie willst du das anstellen? Ich meine, mit dem Feuer zu spielen, ohne dich zu verbrennen?«

»Na, das ist ungefähr so wie bei ›Pretty Woman‹.«

»Du meinst, du küsst nie wieder einen Mann auf den Mund?«

»Nein«, lachte Lilienn, »bei mir ist das nicht die Sache mit dem Küssen, ich darf mich nur nicht an einen Mann gewöhnen. Weißt du, das gemeinsame Einschlafen und Aufwachen und dann zusammen Frühstücken und so, die Rituale, die sind es, die einen so abhängig machen, und dann willst du immer mehr und mehr und schon tut’s weh, wenn du es nicht mehr hast.«

»Na, dann ist es ja ganz einfach. Du suchst dir am besten einen der Verheirateten, hast Sex mit ihm und verschwindest wie Dornröschen einfach nach Mitternacht. Bei dir einziehen kann er dann auch nicht, weil seine Frau etwas dagegen hätte.«

»Ja, genau. Nur dass das nicht Dornröschen, sondern Aschenputtel ist, die um Mitternacht verschwindet und den Schuh verliert.«

»Ich wollte dich nicht mit Aschenputtel in einem Atemzug nennen.«

»Wie süß von dir, liebster Ben. Aber warum soll er denn verheiratet sein?«

»Weil dir die Ehefrau die Sicherheit gibt, dass er dir nicht zu nahe kommt.« Lilienn sah Ben, aufgrund dieser Beschreibung ihrer Psyche, ziemlich verdutzt an.

»Du hättest Psychologe werden sollen.« Lilienn kramte ihren Bulgari-Spiegel und ihren Chanel-Lippenstift hervor, um sich die Lippen nachzuziehen.

»Weißt du eigentlich, wie schwer der Lippenstift von euch Mädels von diesen Gläsern wieder abgeht?«

»Du kannst mir ja einen Strohhalm geben«, grinste Lilienn und tupfte sich die Lippen mit einer Papierserviette ab, bevor sie versuchte, ohne Spuren zu hinterlassen, einen weiteren Schluck zu nehmen. Ein Blick auf ihre glitzernde Uhr sagte ihr, dass sich Claudia schon um 30 Minuten verspätet hatte. Als sie ihr Handy aus den Tiefen ihrer schwarzen Lackleder-Handtasche zog, in der Vermutung, eine Nachricht von Claudia sei darauf zu finden, klingelte es und auf dem Display sah sie, dass es Freddy, ihr Kollege aus der Unternehmensberatung war.

»Hi, Freddy, was gibt es?«

»Lilienn, du musst mich retten«, hörte sie seine atemlose Stimme.

»Ich habe einen Vortrag für in zwei Wochen in einem Kaff bei München angenommen. Es geht darum, eine knappe Stunde einen unterhaltsamen Vortrag über Management und Psychologie zu halten. Das ist doch genau dein Ding, Lilienn. Übernimmst du das für mich? Bitte!!! Ich hab mal wieder meine privaten Termine nicht synchronisiert. Meine neueste Eroberung hat am 25. Januar Geburtstag, das hatte ich aber nicht mehr auf dem Schirm, als ich den Auftrag angenommen habe.«

Freddy sprach, ohne Luft zu holen. »Lilienn, bitte! Du bekommst auch das ganze Honorar.«

»Das ist ja wohl das Mindeste, möchte ich meinen. Lass mich einen Moment nachdenken, meine Termine checken und schick mir den Auftrag rüber. Vortragstitel, etc.«

»Das mache ich, meine Süße, du hast es in zwei Minuten auf deinem iPhone. Ich ruf dann noch mal an.«

Lilienn checkte ihre Mails und fand Freddys Mail mit den Daten zu dem Vortrag bei den Bankern. Die Bezahlung war gut und das Thema so weit und unpräzise umschrieben, dass Lilienn hier gut ihre Lieblingsthematik einbauen konnte. Und die Bilder sah sie auch schon förmlich vor sich. Sie erzählte Ben von dem Angebot. »Na, und machst du das?«

»Klar, ich liebe diese Finanztypen mit ihrem Habitus, als gehörte ihnen die ganze Welt.«

In diesem Moment kam Claudia, völlig außer Atem, durch die Tür.

»Tut mir leid, ich bin total zu spät. Aber die Kleinen wollten wieder nicht ins Bett und dann musste ich noch eine Geschichte vorlesen und ein Liedchen singen. Sorry. Schaff dir keine Kinder an, wenn du dein eigenes Leben behalten willst.«

»Da kannst du ganz sicher sein.« Lilienn gähnte verstohlen. Bei Kindergeschichten überfiel sie immer schlagartig so eine Müdigkeit und sie sah wieder ihre Comicfigur, nur dass Claudia diesmal, statt ein Liedchen zu singen, die Kinder einfach mit einem Schlafzauber belegte. Ben stellte Claudia einen Cosmopolitan hin und tauschte Lilienns leeres Glas gegen ein volles. Die beiden stießen an und begrüßten sich erst einmal mit einer herzlichen Umarmung. Sie tranken seit Jahren Cosmopolitan, ein Ritual, welches mit ihrer Leidenschaft für Sex and the City begonnen hatte. Inzwischen war Claudia eher ein Desperate Housewife, aber Lilienn suchte immer noch ihren Mister Big.

II

Lilienn machte sich am Tag des Banker-Vortrages in ihrem Hotelzimmer zurecht. Es waren nur Herren auf der Teilnehmerliste. Lilienn war gespannt, wie sie auf ihre Ausführungen über Narzissmus, Abhängigkeit und Macht reagieren würden. Für diese Veranstaltung hatte sich Lilienn einige Literaturbeispiele von Extrempersönlichkeiten herausgesucht und sie mit Comiczeichnungen untermalt. Gekko aus Wallstreet nahm sie als Beispiel für Psychopathen und Dorian Gray für den Narzissmus. Die Zeichnungen des Dorian Gray waren besonders gelungen und zeigten den Verfall der Seele auf dem Bildnis in fünf Stufen sehr anschaulich, während das alterslose Gesicht des Dorian Gray oberflächlich schön war, obgleich bei näherer Betrachtung irgendwie leer. Das Thema der Unterwerfung, das nach Lilienns Recherchen vor allem bei den Erfolgreichen als geheimer Wunsch vorhanden war, zeigte sie gewagt an einigen Textausschnitten eines Skandalromans aus den 1950ern. Die Geschichte der O., auch wenn sie heute kaum mehr jemand kannte, dürfte den Herren gefallen.

Lilienn wählte einen schlichten, dunklen Hosenanzug, der sie androgyner wirken ließ, als sie eigentlich war.

Lawrence schlurfte mit einem kleinen Koffer in der Hand aus dem Schlafzimmer in die Küche seines gemütlichen Einfamilienhauses. Sein dunkles Haar wurde an manchen Stellen schon weiß. Er sollte für zwei Tage auf ein Führungsseminar seiner Bank. Als wenn man in seinem Alter und seiner Position noch etwas verändern könnte, dachte er leicht verstimmt und setzte sich an den Frühstückstisch, von dem seine Kinder schon aufgestanden waren. Weder mochte er solche Seminare, noch wollte er sich verändern. Er fand, dass er, so wie er war, völlig ausreichte und hasste es, wenn man irgendetwas an ihm verbessern wollte; so wie seine Frau Martha dies ständig tat. Martha, so schien es ihm, wollte immer noch einen anderen Menschen aus ihm machen. Was vielleicht daran lag, dass sie Lehrerin war, und das Verbessern von Menschen in ihren Genen lag, oder sie ihn einfach nicht so mochte, wie er nun einmal war. Sie selbst machte ihrer Meinung nach nie etwas falsch. Sie saß in einer gebügelten Jeans und dem obligatorischen Blazer aller Grundschullehrerinnen, die sich ein jugendliches Image geben wollen, am Frühstückstisch. Martha hätte aber auch mit einem Minirock und Zöpfen nicht über die Strenge der Lehrerin hinwegtäuschen können, die sich in ihren Mundwinkeln, der bewusst ungebeugten Haltung und in jedem gesprochenen Wort widerspiegelte. Martha war unzufrieden mit ihrem Körper, ihr Busen hing schlaff herab und ihr Bauch hatte sich nach der Geburt der drei Kinder, die schon fast erwachsen waren, nicht wieder zurückgebildet. So trank sie wie immer nur Kaffee und vermied es, etwas zu essen. Ihre grau werdenden Haare kräuselten sich störrisch um ihre Stirn. Mit Ende Vierzig weigerte sie sich, ihre Haare zu färben oder andere Korrekturen als das täglich gleiche Make-up vorzunehmen. Wenn sie ihren Mann ansah glaubte sie, seine Unzufriedenheit mit ihr förmlich zu spüren. Dabei ging es in seinen Gedanken gar nicht um sie. Selbst wenn ihm etwas negativ aufgefallen wäre, würde er es nicht wagen, etwas zu sagen. Immer wenn er so abwesend dasaß und durch sie durchsah, spürte sie, dass ihre Beine zu dünn, ihr Hintern zu flach und ihre Art, sich zu geben, zu unerotisch waren. Vor allem im Vergleich zu anderen Frauen, die ihn täglich im Büro umgarnten. Nicht weil er besonders charmant oder eloquent wäre. Nein, nur weil er eben der Chef war, umschwirrten sie ihn wie die Motten das Licht. Widerlich, dachte sie bei sich, wie diese Menschen in den Geldkonzernen sich von Macht und Hierarchie korrumpieren lassen. Sie war eine 1968erin, die gut von dem Geld ihres Mannes lebte und damit ihr Haus ganz nach ihrem Geschmack einrichtete. Sie liebte teure und edle Möbel, Tapeten und Vorhänge. Es durfte nur das erlesenste Parkett sein. Über Laminatböden konnte sie nur die Nase rümpfen. Trotzdem verachtete sie diese Businesswelt, die ihr dieses angenehme, von ihrem Mann finanzierte Leben verschaffte. Sie empfand ihre Arbeit − eine Halbtagsstelle an einer Grundschule − als wesentlich größeren Beitrag zum Fortbestand einer zivilisierten Menschheit als seine Position als Bankvorstand. Das ließ sie ihn spüren – wann immer sie konnte. Und er zahlte es ihr heim, indem er sie entweder bewusst oder unbewusst ignorierte oder kleinmachte.

»Elisabeth braucht eine neue Nachhilfelehrerin für Englisch«, merkte sie an, während sie sich noch eine Tasse Kaffee einschenkte.

»Kannst du ihr nicht helfen?«, entgegnete Lawrence, mit den Gedanken woanders. Ihre Lippen wurden zu einem Strich, während sie dachte, dass er doch wusste, dass sie nur bis zur vierten Klasse unterrichtete und keine Abiturvorbereitung leisten konnte. Als hätte er ihre Gedanken erraten, ergänzte er: »Nein, das kannst du natürlich nicht, ich kümmere mich darum, jemanden zu finden.«

»Es ist schon bezeichnend, wie es dir mit einem Wort gelingt, dich wieder als den großen Zampano darzustellen und mich als kleine Lehrerin abzustempeln.«

Seit Jahren schafften sie es, in der kleinsten Unterhaltung die gegenseitige Missachtung auszuspielen. Sie spielte das Spiel offensiv, er defensiv.

»Meine Güte, Martha, entschuldige. Ich muss nun wirklich los. Sei nicht böse, Schätzchen. Dann kümmere du dich um die Nachhilfe, wenn dir das so wichtig ist.«

Er stand auf, nahm seinen Aktenkoffer und gab seiner Frau einen flüchtigen Kuss auf die Stirn, bevor er das Haus verließ. Als er im Auto saß, dachte er über sein Familienleben nach. Was er auch sagte, sie verstand es als Angriff auf ihre Person und strafte ihn mit Entzug jeglicher Zärtlichkeit. Nun, zärtlich war sie im Grunde nie gewesen. Mit Ausnahme als die Kinder noch klein waren, aber da galt ihre Zärtlichkeit den Kindern, nicht ihm. Das hatte sich dann aber schnell gelegt, als sie anfingen, der Mutter zu widersprechen. Während sie mit den Kindern stritt und alles bis zum Ende auszufechten gedachte – in Familienkonferenzen – strafte sie ihn einfach mit Liebesentzug. Vor Jahren war es ihr auch noch gut gelungen, ihn damit kleinzuhalten. Inzwischen war er fast froh, dass er nicht mehr so oft mit ihr schlafen musste und diese ständigen Vorwürfe wegen seiner sexuellen Wünsche nicht mehr über sich ergehen zu lassen hatte. Zu Beginn ihrer Ehe hatte er noch unter ihrer Distanz gelitten und ihrer Manipulation damit die Türen geöffnet. Es machte ihm auch nichts aus, ihr teure Vorhänge und Lampen zu kaufen, obwohl es ihm damals so viel lieber gewesen wäre, sie hätte schöne Dessous von ihm angenommen oder ein reizvolles Kleid. Das allerdings empfand sie als Beleidigung und Kritik an ihrer Person und strafte ihn auch dafür mit Verachtung.

Immer wenn Lawrence mit seiner Ehe haderte, dachte er mit Liebe und Stolz an seine drei Kinder, und dann konnte er alles, was ihm seine Frau an den Kopf warf, ertragen. Er drehte sich in solchen Momenten um, machte, was sie von ihm verlangte und ging ins Büro, wo man ihn sehr schätzte.

Aber glücklich war er dabei nicht.

Lilienn liebte es, auf der Bühne zu stehen. Auch dieses Mal genoss sie es, als sie auf das Podium zuschritt und es im Saal still wurde. Sie begann ihren Vortrag und spann ein unsichtbares Band zwischen sich und ihren Zuhörern. Irgendwie fühlte sie sich heute besonders beflügelt und ihre Begeisterung über ihr Thema der psychologischen Verirrungen sprang auf die Teilnehmer über. Sie zeigte mit gespieltem Ernst hinter einer belustigten Miene den Typ des großen Machiavellis, der Firmen dirigierte, über Arbeitsplätze herrschte, Sekretärinnen herumscheuchte und dann glaubte, seine kleine Geliebte dadurch glücklich zu machen, indem er sie in den verschiedensten, manchmal auch absurdesten Positionen unterwarf. Die Zeichnungen, die sie mit besonderer Freude gefertigt hatte, die denselben großen Macho als kleinen Pantoffelhelden zu Hause bei seiner Frau zeigten, hatte sie auf Freddys Anraten gestrichen. Der Narzissmus ihrer Zuhörerschaft dankte es ihr. Glaubten diese Männer tatsächlich, dass Unterwerfung eine Frau glücklich machen konnte? Ja, sie glaubten es. Sie wollten nichts wissen von der Anpassungsstörung, die eine O. dazu trieb, alles mit sich machen zu lassen. Und noch weniger wollten sie etwas davon wissen, was in dem Leben eines Sirs schiefgegangen war, dass er es nun brauchte, eine Frau zu unterwerfen. Solche Männer glaubten lieber, es sei ihre Macht, die die Frauen glücklich machte. Außerdem nahmen sie wohl an, dass sie umso mehr geliebt wurden, je mehr Prestige und Autorität sie demonstrierten.

Lilienn glaubte an die Kraft der Ironie und so dachte sie, ihre Zuhörerschaft würde ihre wahre Meinung über Machtmenschen erkennen, auch wenn sie sie nicht à la Alice Schwarzer ausbreitete. Sie glaubte trotz all ihrer Erfahrungen immer noch daran, dass sich Männer derartige Gedanken machen würden.

Nachdem Lilienn ihren Vortrag geschlossen hatte, war es zunächst mucksmäuschenstill im Saal. Erst als sie sich bühnenmäßig verbeugte und für die Aufmerksamkeit dankte, kam der Applaus. Es war fast, als seien die Herren aus einer Starre erwacht und mit dem Applaus wieder in ihr eigenes Hier und Jetzt gelangt.

Lawrence sah Lilienn an und musste sich eingestehen, dass ihn, der sich sehr schnell langweilte, ihre Ausführungen fasziniert hatten. Der Mut, mit dem sie als Frau, die nicht mehr ganz jung, aber doch deutlich jünger als die meisten ihrer Zuhörer war, einen erotischen Text vorlas, der die Unterwerfung einer Frau beschrieb, regte seine Fantasie an. Besonders hatte ihn eine ihrer Zeichnungen beeindruckt, in der die unterworfene Frau zu ihrem Meister sagte: »Bestimme über mich«; dabei glaubte er aber, dass die Frau in der Zeichnung die Augen verdrehte und vielmehr zu sagen versucht war: »Hab ich dich doch wieder da, wo ich dich haben will.« Ob sie das bewirken wollte? Oder sehnte sie sich danach, dass diese Gruppe von Männern sie ebenso als Lustobjekt betrachtete? Es war ihm nicht ganz klar, was sie im Schilde führte. Ihr Vortrag war eine amüsante Mischung aus Koketterie und wissenschaftlichen Tatsachen; und irgendetwas an ihr machte ihn glauben, sie würde ihr Publikum zum einen durchschauen und sich gleichzeitig fragen, wie man so leben konnte. Aber das waren vielleicht auch nur seine eigenen Zweifel an dieser Branche und seinem Schaffen.

Sie gab sich zum einen als Weibchen, obwohl ihr Aufzug nicht dazu passte. Dann wieder als die coole Wissenschaftlerin, die weit über den Dingen stand. Wollte sie mit diesen Kleinigkeiten in ihren Zeichnungen, die man nur sehen konnte, wenn man, wie er als Mathematiker und Controller, auf Details fixiert war, zeigen, dass sie im Grunde ihres Herzens eine ganz andere Botschaft hatte? Oder machte sie einfach nur ihre Show?

Er sah zu ihr auf die Bühne und stellte sich vor, wie er ihr seine Hand mit sanftem Druck auf die Pobacken drückte, genau an dieser einen Stelle, die sie in ihrem Vortrag als das Empfindsamste der Frau beschrieben hatte. Weiter stellte er sich vor, wie sie, anstatt brüskiert auszuweichen, sich diesem Druck ein wenig hingab und ihren Po noch mehr gegen seine Hand drückte. Er merkte, welche Freude es ihm bereiten würde, wenn es ihm gelänge, diese doch auch ein wenig arrogant wirkende Frau zu unterwerfen. Während er sich dies so ausmalte, merkte er, wie sehr ihn das erregte. Und so erhob er sich schnell und holte sich ein Glas Wasser an der Bar.

Als er dort stand, sah er sie, wie sie sich ebenfalls ein Getränk besorgte. Einige seiner Kollegen hielten sich in ihrer Nähe auf, aber keiner wagte es, sie anzusprechen. So wirkte sie wie eine einsame Insel in einem weiten tiefen Meer. Er trat auf sie zu und sagte: »Gratulation zu Ihrem mutigen Vortrag.«

Sie drehte sich zu ihm um und lächelte ihn an. Es war nicht dieses Lächeln, das man in gesellschaftlichen Kreisen gewohnt war, und das nur die Mundwinkel nach oben zog. Es war ein Lächeln über das ganze Gesicht. Sie schien froh, dass jemand ihre Insel betreten hatte. »Mutig, wie meinen Sie mutig, Herr Wolf?« Sie konsultierte sein Namensschild, das man auf solchen Veranstaltungen trug. Lawrence räusperte sich, eine Angewohnheit, die er schon immer hatte, wenn er verlegen war. In seiner Kindheit nannte man ihn Kapitän Hornblower, wie jenen Kapitän, der ewig pessimistisch in die Welt blickte.

Irgendetwas an ihr zog ihn magisch an. Es war der Wunsch, dass sie diese Selbstsicherheit seinetwegen verlieren würde.

»Nun ja.« Er räusperte sich umständlich. »Ich finde es schon mutig, dass Sie uns Vorständen und Führungskräften eine literarische Vergewaltigungsszene rezitieren und das dann damit erklären, dass dies passieren kann, wenn sich männlicher Narzissmus mit weiblicher Unterwürfigkeit paart.« Bei dem Ausspruch paart wurde er ein wenig rot, dieses Wort hatte sie so nicht verwendet.

Sie lächelte noch mehr über diesen freundlichen, aber doch auch etwas umständlichen grauhaarigen Mann und fragte: »Fanden Sie es mutig, dass ich es vor Männern vorgetragen habe oder vor mächtigen Männern?«

Diese Frau hatte etwas, das Lawrence lange nicht erlebt hatte. Sie versuchte weder ihm zu gefallen, wie er es von vielen Frauen seines beruflichen Umfeldes kannte, noch versuchte sie, ihn als unwissenden Ignoranten darzustellen, wie er es von seiner Frau gewohnt war. Sie interessierte sich für seine Meinung, das konnte er ihrem keineswegs flirtenden, sondern forschenden und nur auf ihn gerichteten Blick entnehmen. Sie sah ihn an, als wollte sie nicht nur hören, was er sagte, sondern es ihm förmlich von den Lippen ablesen.

»Gibt es für Sie einen Unterschied zwischen Männern und mächtigen Männern?«, fragte er sie zurück, um einer Antwort aus dem Weg zu gehen.

»Oh ja. Die Faszination von Unterwerfungsgeschichten, wie der in der Geschichte der O., macht auf mächtige Männer einen ganz anderen Eindruck als, sagen wir, um in den Extremen zu bleiben, auf Psychotherapeuten, Sozialarbeiter oder Kindergärtner. Diese nicht mächtigen Männer würden ähnlich wie die meisten Frauen auf diese Geschichte reagieren: mit Entsetzen und Empörung. Psychotherapeuten besonders, weil sie sadistische oder masochistische Sexualpraktiken für krankhaft halten. Hier aber konnten Sie eine sexuelle Aufladung statt der sonstigen Empörung spüren. Die meisten Männer in diesem Raum fänden es vermutlich äußerst attraktiv, eine Frau zu unterwerfen. Da das natürlich niemand zugeben kann, legt sich ein Nebel des Schweigens über den Raum und eine gewisse Peinlichkeit entsteht, die immer dann auftritt, wenn etwas zum Greifen nah ist, aber auf keinen Fall ausgesprochen werden darf.«

Lawrence sah betroffen auf seine Schuhe und es fiel ihm ein Witz aus seiner Studienzeit ein. ›Woran erkennt man einen extrovertierten Mathematiker?‹

›Er starrt auf die Schuhe seines Gegenübers, anstatt auf seine eigenen.‹

Lawrence lächelte über seine Gedanken und fragte sich, ob er das jetzt zum Besten geben sollte. Aber damit würde er ja ihren Worten recht geben und sich selbst als ausweichenden Feigling darstellen. So erwiderte er: »Wollen Sie damit ausdrücken, dass Sie uns für Heuchler halten?«

Er äußerte es ohne Vorwurf, ganz neutral. Sie dachte darüber nach und musste ihm im Grunde recht geben, erwiderte aber: »Nein. Ich wollte vielmehr damit sagen, dass mächtige Männer zum einen über eine wesentlich höhere Libido verfügen als nichtmächtige Männer, sich aber gleichzeitig in einer Gesellschaft bewegen, in der das, zumindest wenn Frauen anwesend sind, niemals offen ausgesprochen werden dürfte. So halte ich die heute Mächtigen, die sich ja, anders als die mächtigen Könige und Kaiser der Vorzeit, in vorgegebenen Strukturen bewegen müssen, für Gefangene ihrer Libido und ihres Systems, das sie selbst erschaffen haben und das sie am Leben erhält. Machen wir ein ganz praktisches Beispiel, Herr Wolf. Wenn wir hier in diesem Raum heute eine jener Geheimbund-Orgien abhalten wollten, dann ginge das vermutlich nicht, weil Sie sich alle kennen. Würde ich Sie und Ihre Kollegen aber zu solch einem mittelalterlichen Gelage einladen und garantieren, dass niemand Sie dort erkennen würde und Sie die Möglichkeit hätten, alles auszuleben, was Sie möchten, ohne dass jemals jemand davon erfahren würde, wie viele Männer aus diesem Raum kämen mit mir?«

Lawrence erinnerte sich an die Gespräche mit Kollegen und musste ihr recht geben. Gleichzeitig merkte er, dass er anders darüber dachte. Aber es kam ihm schon wieder der Gedanke, wie es wäre, diese Frau zu unterwerfen.

»Nun, Frau Winter, ich weiß nicht, ob es mich reizen würde, dass sich eine mir völlig Unbekannte unterwürfe. Ich glaube, es ist die höchste Kunst und der schönste Genuss, von einer Frau, mit der man eine tiefe Beziehung hat, alles zu bekommen, einfach weil man es sich von ihr wünscht.« Lilienn blickte ihn lange an.

»Sind Sie verheiratet, Herr Wolf?«

»Ja.« Ein bitterer Zug machte sich auf seinem sympathischen Gesicht breit.

»Und bekamen Sie jemals das, von dem Sie da eben gesprochen haben, von Ihrer Frau?«

»Nein.« Er räusperte sich wieder und nahm einen Schluck Wasser, um nicht an dieser Tatsache zu ersticken.

»Darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen?«, fragte er, um die Vertiefung des Themas an dieser Stelle zu verhindern.

Er holte ihr ein Glas Wein. Lilienn bemerkte, dass sich die meisten Grüppchen der Teilnehmer aufgelöst hatten und zu ihren Tischen gegangen waren, an denen das Abendessen serviert wurde. Sie blickte zu Lawrence und fragte sich, was sie von diesem Mann halten sollte, der sehr sachlich und nüchtern und ein bisschen schüchtern wirkte. Seine Neugierde gefiel ihr, aber sonst war er ganz und gar nicht ihr Typ. Sie liebte eigentlich die Abenteurer mit den langen Haaren, dem wilden Blick und dem ungebremsten Freiheitsdrang, der es ihnen nicht ermöglichte, jemals in einer Beziehung anzukommen. Was auch zu ihrem Pech in der Liebe beitrug. Vielleicht sollte sie es einmal mit einem andern Typ Mann probieren.

Lawrence kam mit zwei Gläsern Wein zurück und fragte sie, ob sie an seinem Tisch Platz nehmen wolle. Als sie an dem Vorstandstisch ankamen, verstummten zunächst die Gespräche.

»Ich bringe euch den Star des Abends – benehmt euch, Jungs«, sagte er jovial.

»Ich glaube nicht, dass es etwas gäbe, was wir sagen könnten, das Frau Winter aus der Fassung bringen würde«, erwiderte Markus, einer seiner Vorstandskollegen.

»Oh, doch«, lachte Lilienn. »Sie könnten versuchen, mir Ihre Bilanzrichtlinien zu erklären.«