Himmel über Samana - Mja Maj - E-Book

Himmel über Samana E-Book

Mja Maj

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Beschreibung

Samana ist wie geschaffen für einen traumhaften Urlaub – um alte Liebesgeschichten zu vergessen und neue zu erleben. So denken Cynthia, die wunderschöne Traurige, und Michaela, die quirlige Abenteurerin. Nur Katharina, eine ehemalige US-Agentin mit einem Geheimnis, ahnt die Gefahren, die in dem freundlichen Städtchen verborgen sind. Als Michaela auf der Suche nach dem Marine Offizier, in den sie sich Hals über Kopf verliebt hat, entführt wird, wandelt sich der romantische Urlaub in ein lebensbedrohliches Abenteuer. Wird es den beiden Frauen gelingen, ihre Freundin aus den Fängen des gefährlichen wie faszinierenden Rodriguez zu befreien? Ein Roman über Sehnsucht, Liebe, Leidenschaft und das ganz große Abenteuer, wenn man längst nicht mehr damit rechnet.

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Seitenzahl: 295

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Table of Contents

Himmel über Samaná

Kurzbeschreibung

Prolog

I.

II.

III.

IV

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

Epilog

Über die Autorin:

Himmel über Samaná

Deutsche Erstausgabe April 2017

© Mja Maj

https://www.facebook.com/pages/Mja-Maj/464184843745908

Alle Rechte vorbehalten!

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages. Personen und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Umschlaggestaltung: Sabrina Dahlenburg

Lektorat: Anke Neuhäußer

Korrektorat: Sylvia Mross

Satz Ebook: Anke Neuhäußer

Satz Print: Anke Neuhäußer

Erschienen im A.P.P.-Verlag

Peter Neuhäußer

Gemeindegässle 05

89150 Laichingen

Mobi:  978-3-96115-104-2

E-pub: 978-3-96115-105-9

Print:   978-3-96115-106-6

Dieser Roman wurde unter Berücksichtigung der neuen deutschen Rechtschreibung verfasst, lektoriert und korrigiert.

Kurzbeschreibung

Samana ist wie geschaffen für einen traumhaften Urlaub, um alte Liebesgeschichten zu vergessen und neue zu erleben.

So denken Cynthia, die wunderschöne Traurige, und Michaela, die quirlige Abenteuerin. Nur Katharina, eine ehemalige US-Agentin mit einem Geheimnis, ahnt die Gefahren, die sich hinter der freundlichen Fassade des Städtchens verbergen.

Als Michaela, auf der Suche nach dem Marine Offizier, in den sie sich Hals über Kopf verliebt hat, entführt wird, wandelt sich der romantische Urlaub in ein lebensbedrohendes Abenteuer.

Wird es den beiden Frauen gelingen, ihre Freundin aus den Fängen des gefährlichen wie faszinierenden Rodriguez zu befreien?

Ein Roman über Sehnsucht, Liebe, Leidenschaft und dem ganz großen Abenteuer, wenn man längst nicht mehr damit gerechnet hat.

Prolog

Als Carol Baxter die Augen aufschlug, überrollte sie eine Welle der Panik. Sie lag geknebelt, und an den Bettpfosten einer Pritsche gefesselt in einer winzig kleinen Kabine eines Frachtschiffs auf dem Weg nach Venezuela.

Als sie die Augen wieder schloss, hoffte sie, damit die Erlebnisse der letzten Nacht ungeschehen machen zu können. Dieser Mistkerl Rodriguez hatte sie entführt und vergewaltigt. Durch die Drogen, die er ihr verabreicht hatte, konnte sie sich nur einzelner Szenen und Bilder entsinnen.

Als sie ihren Unterleib zucken spürte, erinnerte sie sich, wie sie mit diesem Adonis getanzt, wie er ihr einen Cuba Libre spendiert hatte und meinte, das würde sie auflockern. Dann fühlte sie in der Erinnerung seinen Körper an ihrem. Nachdem sie miteinander getanzt hatten, hatte er sie nach draußen geführt, und das Nächste, woran sie sich erinnern konnte, war, dass sie in einem Kellerzimmer auf dem Bett lag, er mit einer Kippe zwischen den Lippen vor ihr stand und sie dabei beobachtete, wie sie wieder zu sich kam. Es mussten die Drogen sein, sie konnte nur denken, was für einen wunderbaren Körper dieser Mistkerl hatte. Auch als er dann auf sie zukam, mit seinem unverschämten Grinsen, empfand sie nicht die angemessene Abscheu für ihn.

Ihr Entführer betrachtete sie überlegen und meinte »Nun wollen wir doch mal sehen, ob diese Wunderdrogen von dem großen Don Vagaz de Guayana auch so wirken, wie er meint. Du wirst mich lieben, wenn ich mit dir fertig bin, und dann geht es ab auf ein Schiff nach Venezuela, meine kleine Amerikanerin. Was müsst ihr dummen Chicas euch auch ohne Männer, die auf euch aufpassen, ins Vergnügen stürzen? Wisst ihr nicht, dass es böse Menschen gibt. Böse Männer?« Dabei schob er ihr den Rock nach oben und zog ihr den Tanga über ihre weißen Schenkel.

Sie erinnerte die Szene, und statt sich zu ekeln, spürte sie wieder die Wellen der Erregung in sich aufsteigen. Oh Gott, was war nur mit ihr los gewesen? Was hatte er ihr gegeben? Und was geschah nun mit ihr? Konnte es wahr sein, dass sie auf einem Schiff nach Venezuela war? Gefesselt und geschändet? Wieso nur hatte sie ihren Mann und ihr idyllisches Vorstadtleben in der Nähe von New Jersey für solch ein Abenteuer aufs Spiel gesetzt? Nach zehn Ehejahren hatte sie alles so gelangweilt. Der Alltag, das ewig Gleiche, die Art, wie er seineFrühstückseier wollte, der ewige Abschiedskuss auf die Stirn, der Willkommenskuss auf die Wange, wenn er von der Arbeit zurückkam, der ermüdende Sex – all das gab Carol das Gefühl zu ersticken und sich zu Tode zu langweilen. So hatte sie ihn gebeten, nur für eine Woche alleine verreisen zu können, und weil er in seinem Job so beschäftigt war und ihm ihr ewiges Genörgel auf die Nerven ging, hatte er zugestimmt. Es waren ja nur fünf Stunden Flug in die Dominikanische Republik.

Nun lag sie hier hilflos und mutterseelenallein und würde ihrem Edgar nie wieder Frühstückseier auf dieselbe Art zubereiten. Heiße Tränen der Verzweiflung rannen über ihr Gesicht, ihr Herz begann zu rasen; sie befürchtete, sie würde gleich eine Panikattacke bekommen und dann wegen des Knebels ersticken. Also zwang sie sich ruhig und gleichmäßig zu atmen – und sich weiter zu erinnern.

Als sie in dem Kellerzimmer entblößt vor ihm gelegen hatte und die Augen schloss, um sich auf den Schmerz einzustellen, der sie gleich erwartete, streichelte er ihre Brüste, anstelle ihr wehzutun. Fast zärtlich, wenn sie ausblendete, dass sie hier nicht freiwillig lag. Als sie die Augen wieder öffnete und nach Luft schnappte, sah sie ihn über sich. Wie konnte jemand so schön sein und so etwas Böses tun? Sie sah ihn beschwörend an und wusste nicht, worum sie flehen sollte. Dass er sie ließ oder dass er sie nahm.

»Was willst du, kleine Amerikanerin? Sag es mir, sag, dass du mich willst.« Schweigen. Er fuhr ihr mit der Hand über die Brust, kniff sie vorsichtig, sie stöhnte. Dann glitt er weiter nach unten, strich über ihren Hügel, sie wölbte sich nach oben. »Sag, dass du es willst. Ich vergewaltige keine Frauen.«

Sie schwieg weiter.

»Sag, dass du es nicht willst«, flüsterte er ihr ins Ohr und küsste ihren Hals, während er mit der anderen Hand ihre immer größer werdende Lust antrieb.

Schweigen.

»Ein Nein reicht, und ich lasse dich in Ruhe.« Sein wissendes Lächeln war entwürdigend, aber Carol schwieg; die Ablehnung wollte ihr nicht über die Lippen kommen. Schlimmer, als dass er sie nehmen würde, empfand sie die Angst, dass er sie einfach missachten und hier alleine liegen lassen würde. Wie oft hatte ihr Mann sie nicht beachtet, sie in ihren Wünschen missachtet und wie ein unmündiges Kind behandelt.

Rodriguez sah sie grinsend und fragend an, bevor er langsam seine Hose öffnete und diese etwas nach unten zog, ihre Schenkel noch ein bisschen mehr auseinander schob und sie dann einfach nahm. Als er in sie eindrang war da kein Schmerz, sondern ein Gefühl der Erleichterung. Er war nicht brutal, er nahm sie mit der Selbstverständlichkeit eines selbstbewussten und sehr potenten Mannes. Sie würde sich später dafür schämen, dass sie so bereit für ihn war, aber in jenen Sekunden genoss sie diesen Moment, in dem sie ganz Frau war, weil sie ein wirklicher Mann begehrte, der etwas von Frauen und insbesondere von ihrem Körper verstand. Ein Mann, der nichts beweisen wollte, nicht narzisstisch war, sondern für den Sex einfach nur Sex war. Kein Machtmittel, keine eheliche Pflicht und kein Wettbewerb. Er nahm sich Zeit für sie, beobachtete die Reaktion jeder seiner Bewegungen in ihr und freute sich, als sie so mühelos kam.

Danach zog er sich aus ihr zurück. Carol sah ihn völlig fassungslos an. »Das war mein Geschenk für dich, meine kleine Amerikanerin.« Es war keine Vergewaltigung gewesen; es war weniger missbräuchlich als mit ihrem Mann und anderen Partnern, die Sex immer dafür benutzten, um ihren eigenen Status in der Beziehung klarzustellen. Danach gab er ihr wieder etwas Wasser, in ihrer Verblüffung trank sie und schlief ein, bis sie sich hier auf diesem Schiff wiederfand.

Rodriguez betrachtete die schlafende Frau, zog sie notdürftig an und verfrachtete sie auf das Schiff. Da sie auf seine mehrmalige Aufforderung nicht »Nein« gesagt, sich nicht einmal gewehrt hatte, konnte er davon ausgehen, dass sie es genauso gewollt hatte. Somit hatte er sie nicht vergewaltigt. Nicht im Sinne des Sanky Panky Rodriguez, der Frauen nur gab, wonach sie sich sehnten.

Carol erinnerte sich an all das und fühlte die Fesseln um ihre Handgelenke, heiße Tränen der Verzweiflung quollen ihr über die Wangen. Warum nur hatte sie ihn nicht abgewiesen, warum sich nicht gewehrt? Er hatte sie ja förmlich dazu aufgefordert. Hatte sie es gewollt, oder hatte sie so unter Drogen gestanden, dass sie es wollen musste?

Der erneute Versuch, ihre Fesseln oberhalb des Kopfes zu lockern, scheiterte; jetzt war sie wirklich am Ende. Sie fühlte eine so schmerzende Scham, weil sie sich nicht gewehrt hatte und weil sie hier lag und feucht war, wenn sie an die Berührungen dieses Mannes dachte, und sich wünschte, Rodriguez würde sie noch einmal nehmen. Warum war er nicht grob, hatte ihr nicht wehgetan? Nie hat sie einen Mann mehr begehrt wie diesen und nie hatte sie sich entwürdigter gefühlt. Sie versuchte es auf die Drogen zu schieben, die er ihr verabreicht haben musste. Oder hatte ihr biederer Mann am Ende recht, und sie war einfach ein liederliches Flittchen, das nun die Strafe dafür bekam, weil sie nicht dankbarer war und stattdessen immer das Abenteuer suchte? Vielleicht hatte sie sich doch nicht wegen der Drogen so willig gezeigt, sondern weil sie es wahrlich gewollt hatte? Jetzt würde sie nicht nur hier sterben, sondern auch noch wegen all ihrer Sünden in die Hölle kommen.

Als sie dies dachte, ging die Kabinentür auf, und Rodriguez stand vor ihr, beugte sich zu ihr hinunter und sagte: »Ich nehme dir den Knebel raus und mache dich los, aber wenn du schreist, bekommt dir das nicht gut. Verstanden, Kleine?«

Das war nun gar nicht der Text, der zu ihrer verworrenen Gefühlslage passte, aber trotzdem nickte sie. Was hätte sie sonst tun sollen?

Der Entführer befreite sie von den Fesseln. Dann hielt er ihre Handgelenke hinter ihrem Rücken fest und drückte sie wieder auf das Bett. Mit seiner freien Hand glitt er über ihren Bauch hinunter und zu ihrem aufgewühlten Unterleib, der sich ihm doch entziehen müsste, aber sie streckte sich ihm entgegen.

Rodriguez registrierte das grinsend und ließ von ihr ab. »Tja, Schätzchen, ob du so wild auf mich bist, weil ich so ein toller Hecht bin, oder das den Pillen des Dons zu verdanken ist, werden wir wohl nie erfahren. Aber du kannst dich noch auf einige nette Experimente in dieser Hinsicht freuen. In einer Stunde gebe ich dich in Venezuela bei Don Vagaz de Guayana ab. Der Perverse steht auf Frauen wie dich, die er mit seinen verschiedensten Drogenmixturen zu allem Möglichen bringen wird. Du musst keine Angst mehr vor einem langweiligen Leben haben. Dir stehen noch unzählige solcher Erlebnisse bevor.«

Was er sagte und wie er sich ausdrückte, ließ sie nun komplett verzweifeln. In ihrer verletzten Wut riss sich Carol aus seiner Umklammerung und schrie hysterisch los. Die Pillen schienen abrupt ihre Wirkung verloren zu haben.

»Verdammt!«, entfuhr es Rodriguez und in einem Affekt schlug er der schreienden Frau ins Gesicht, die darauf auf das Bett stürzte. Roh fesselte er wieder ihre Hände und griff nach dem Fläschchen mit den Tropfen der Glückseligkeit, öffnete ihr gewaltsam den Mund und zischte: »Jetzt mach keinen Ärger, Kleine. Nimm das und alles wird gut.«

Grob tröpfelte er ihr die Flüssigkeit in den Mund und schon verlor ihr Muskeltonus an Spannung. Um ganz sicher zu gehen, zwang Rodriguez sie noch, Wasser zu trinken. Normalerweise sollte er die Tropfen immer genau abzählen, aber in diesem Notfall war keine Zeit dafür gewesen. Carol trank einen Schluck Wasser, dann verlor sie das Bewusstsein.

I.

Als die Sonne unterging, standen drei Frauen, die äußerlich unterschiedlicher und zugleich innerlich ähnlicher nicht hätten sein können, auf der Terrasse des Hotels in Samaná und sahen je nach Mentalität, sehnsüchtig, hoffnungsvoll, angriffslustig, und eine davon vielleicht ein bisschen trauriger als die anderen, in den roten Feuerball, der langsam im Meer ertrank. Es ging etwas unter – und alle drei interpretierten einen Teil ihrer Lebensgeschichte in diese sterbende Sonne.

Die Kulisse kam einer kitschigen Postkarte gleich. Samaná, ein Ort auf der karibischen Insel Hispaniola, die Sonne, die im Meer versank – in diesem Fall in den Atlantik. Obwohl die Dominikanische Republik zu den karibischen Inseln zählt, lag der größte Teil doch am Atlantik. Was war der Unterschied zwischen der Karibik und dem Atlantik? Es war die Stimmungslage. Die Karibik war meist ruhig, die flachen Wellen brachen sich mit liebevoller Sanftheit auf dem pudrigen Strand, sie kam dem sanften Gemüt einer Frau gleich, die nicht aufbegehrte, sondern eben ihrer Bestimmung nach lebte. Die Psychologen würden die Karibik, wäre sie ein Mensch, denjenigen zuordnen, welche die Harmonie suchten und nicht den Krawall. Den Atlantik hingegen würden sie den Aufgewühlten zuschreiben, den Unruhigen, Rastlosen. Denjenigen, die etwas suchten und gar nicht wussten, was es sein könnte. Die Wellen des Atlantiks zogen einen mit sich – entweder hinunter auf den Meeresgrund, unsanft an den Strand – oder für die Geübten, die Wellen-Junkies, in das ganz große Abenteuer. Diese Surfer warteten Tag für Tag auf diese eine große Welle – sie hatten keine Angst, vielleicht auch ein bisschen zu wenig Respekt vor der Natur oder dem, was man Schicksal nennen könnte.

Jene drei Ladys blickten auf den Atlantik und dachten gleichzeitig an die Ereignisse der letzten Wochen und Monate zurück, die sie aufgewühlt und letztendlich an diesen idyllischen Ort gebracht hatten. Waren sie nun mehr Karibik oder Atlantik? Oder war diese Frage überhaupt zulässig? Waren nicht alle Menschen immer ein wenig Karibik und ein wenig Atlantik – je nach Ereignis- und Stimmungslage?

Alle drei hatte das Schicksal nach Samaná verschlagen, diesen wundervollen Ort, mit seiner ganz besonderen Magie, der die Macht in sich trug, jedem Besucher den Kern seines Wesens zu zeigen, aber auch die Gefahr in sich barg, den Wellen des Atlantiks oder dem Rhythmus der Stadt zu verfallen. Hier konnte man süchtig werden nach der immer noch größeren Welle oder dem noch schöneren Abenteuer. Wer sich seiner selbst nicht bewusst war, der konnte auch untergehen, in der zu hohen Welle oder falschen Verführung dieses Städtchens Samaná. Denn nicht alle Menschen in Samaná waren gut.

Das Hotel war auf den Berg gebaut, sodass Samaná zu den Füßen aller Suchenden lag und seinen Sog ausstrahlte, dem sich nur diejenigen entziehen konnten, die schon immer der Lebendigkeit aus dem Weg gegangen waren. Aber all denjenigen, die in ihrem Leben noch etwas suchten, denen prägte sich der Rhythmus Samanás ein. Die Musik der verschiedenen Bars und Open-Air-Veranstaltungen hallte auf die Balkone der Luxuszimmer hinauf, ebenso auf die Terrasse und verzauberte all diejenigen, die ein Ohr dafür hatten. Für sie klangen die karibischen Klänge wie einst der Gesang der Sirenen in Odysseus Ohr.

Für jene, die sich zu den karibischen Circen hinunterwagen wollten, bot das Hotel einen Shuttle-Service, der sie zu jeder vollen Stunde ins Abenteuer und bis zwei Uhr nachts auch wieder zurück brachte. Das war bei starkem Regen nicht unbedingt empfehlenswert, denn wenn auch die Lebenslust und -freude jeden Preis gewann, manches funktionierte einfach nicht – zum Beispiel die Kanalisation. Die Einheimischen störte das nicht, nur die empfindlichen Näschen der Touristen. Aber wenn die Sonne schien, war es ein Traum. Dieses Städtchen bot mit seinen Tavernen, Geschäften, Diskotheken, Bachata- Salsa- und Reggaeton-Tanzschuppen und vor allem den Festivals alles, was jeden Europäer, Amerikaner oder eventuell auch Japaner in seine Jugend zurück katapultierte. In eine Zeit, in der er einfach nur glücklich gewesen war und eine Party nach der anderen gefeiert hatte. Samaná bei Sonnenschein, das war die helle Seite der Karibik. Dort war die Musik, das Tanzen, die Lebensfreude zu Hause. Niemand war grimmig, wenn Romeo Santos ›Esta Noche‹ zu hören war.

Die Reiseleiter allerdings warnten davor, nach Sonnenuntergang hinunter zu fahren und boten lieber organisierte Touren an. Vor allem riet man den allein reisenden Frauen davon ab, sich hinab zu begeben. Und weil die Reiseleiter so skeptisch waren, ging auch das so gut gemeinte Konzept des Hotelmanagers nicht so richtig auf. Denn die meisten Gäste des Hotels, angeführt von den Amerikanern und Kanadiern, waren der Meinung ›It’s dangerours and very dirty there‹. Und so blieben die Einheimischen dort unten meist unter sich – es fehlte ihnen dabei an nichts –, und den ängstlichen Pauschaltouristen entging die Erfahrung, einmal den leidenschaftlichen Sog Samanás zu spüren. Aber auch sie entbehrten irgendetwas, weil sie ja gar nicht wussten, welches Lebensgefühl sie verpassten – und vermutlich ihr ganzes Leben lang verpasst hatten. Diese schon ängstliche und negative Einstellung zu dem kleinen Städtchen wurde von der Reiseleitung noch unterstützt, als sie erzählte, dass in letzter Zeit immer wieder einmal Touristinnen in Samaná verschwunden waren. Es handelte sich dabei meist um allein reisende Damen, die von eigenmächtigen Ausflügen oder abendlichen Besuchen aus Downtown nicht zurückgekehrt waren. Erst nahm man an, dass sie sich einfach abgesetzt hatten, als diese Fälle allerdings inselweit auf über 20 stiegen, begann die Polizei unruhig zu werden und warnte die Hotels. Die Reiseleiter gaben diese Informationen nur sehr unvollständig und spärlich weiter, denn das Letzte, was man wollte, war, die Gäste zu verunsichern. Aber irgendwie war es schon unheimlich.

Das alles hatte man den drei Ladys und den anderen Gästen bei ihrer Ankunft nahe gebracht, bevor man sie nun zum Sundowner auf die Terrasse entließ.

Natürlich hatten sie ganz unterschiedlich darauf reagiert. Die dunkelhaarige Katharina Alexander hatte nur mit den muskulösen Schultermuskeln gezuckt und sich gedacht, da unten solle mal einer probieren, ihr blöd zu kommen, machte sich aber im nächsten Moment doch kurz Gedanken über die verschwundenen Frauen. Sie hatte in ihrem Leben und ihrer Karriere in den verschiedensten Staatsdiensten schon Dinge gesehen, die sie zum einen niemals jemanden erzählen und zum anderen auch am liebsten selbst wieder ganz schnell vergessen wollte. Sehr oft ging es bei den Verbrechen, die sie aufklären musste, auch darum, was man schwachen Frauen antat. Bevor sie zurück in ihre Heimat Deutschland gegangen war, war sie in den Staaten in etlichen Spezialeinheiten eingesetzt worden, sei es zur Terrorabwehr oder in der Verbrechensbekämpfung in New York. Es hatte einen guten Grund, warum sie nicht mehr romantisch und naiv war. Sie wusste, dass es böse Menschen gab – und dass sich normale Menschen keine Vorstellung darüber machten, was bösen Menschen alles so einfiel, welche Vorlieben sie hatten und wie wenig ihnen ein Menschenleben wert war.

Die Sanftere, Cynthia Berger, die wohl besser auf der Karibikseite aufgehoben gewesen wäre, dachte, dass sie sowieso niemals hinunterfahren würde.

Aber die Dritte von ihnen, Michaela König, wurde ganz hibbelig bei den Ausführungen, und ihr Körper vibrierte zum Takt der Musik, dabei schüttelte sie die goldenen Haare und dachte: Vielleicht wartet die Lösung des Rätsels meines Lebens ja genau dort. Deshalb wollte sie ganz genau wissen, was sie zu beachten hatte, wenn sie sich in das Abenteuer stürzte und hinunterfuhr. Schließlich war sie ja hierher gekommen, um zu tanzen, sie suchte das Abenteuer, mit einem Fremden Schritte zu teilen, damit ein gemeinsamer Tanz entstand.

So hatten sie alle ganz unterschiedliche Gründe gehabt, an diesen Ort zu fliegen oder zu fliehen.

Die Sonne war untergegangen; schnell färbte sich der Himmel erst rot, bevor er schwarz wurde. Die drei nahmen das Schauspiel wahr und bewunderten den Himmel über Samaná. Im Hintergrund liefen karibische Klänge, als sie ihre Getränkewünsche aufgaben und die Sterne immer leuchtender am Himmel tanzten.

Die kraftvolle Amazone Katharina bestellte einen Caipirinha, die sanfte Platinblonde, Cynthia, einen Pina Colada und die ständig mit dem Fuß wippende Michaela einen Strawberry Martini, aber eigentlich wollte sie sofort hinunterfahren und mit den Einheimischen tanzen.

Als Raul, der Kellner den drei Ladies ihre Getränke mixte, betrachtete er sie mit großem Interesse. Allein reisende Frauen waren für ihn immer spannender als diese Familien mit ihren ewig schreienden Kindern und mürrischem Gesichtsausdruck, der auch nach zwei Wochen Karibik kaum aus den Antlitzen wich. Aber diese drei Frauen faszinierten ihn. Sie kannten sich nicht, so schien es – und sie waren so spannend, dass er sie alle drei unbedingt kennenlernen wollte. Natürlich musterte er sie allesamt mit der Bewunderung eines Latinos, und selbstverständlich fragte er sich, welche ihm am besten gefiel und bei welcher er wohl landen könnte.

So ganz jung waren sie alle drei nicht mehr. Aber das Leben hatte ihm gezeigt, dass junge Frauen überschätzt und es die über 30–Jährigen waren, die das Leben kannten, entspannter waren, ein Kompliment zu schätzen wussten – und manchmal auch einfach im Hier und Jetzt die Chance ergreifen wollten, sich zu spüren, weil sie doch wussten, dass das Leben endlich war, während man sich mit 20 einfach für unsterblich hielt.

Als Erstes nahm er Cynthia mit ihrem platinblonden Haar wahr, sie war so schmal und zart, dass man Angst haben musste, sie könnte bei der kleinsten Berührung wie eine Statue aus Glas zerbrechen. Sie war so schön wie sie traurig war. Und wieder einmal fragte sich Raul, warum so viele Frauen aus diesen reichen Ländern unglücklich waren, und was eigentlich mit den dortigen Männern los war. Warum ließen sie ihre Frauen alleine so weit wegfahren?

Dann betrachtete er die Schwarzhaarige mit dem zu allem entschlossenen Gesichtsausdruck, welche die langen glatten Haaren zu einem Zopf gebunden hatte. Katharina war das Gegenteil der schmalen Blonden. Ihr Körper war perfekt gestylt, die Arme in dem kurzen Shirt definiert und an der kleinen Stelle, die ihr T-Shirt von ihrem Bauch freigab, sah man stählerne Bauchmuskeln. Es empfahl sich wohl eher nicht, sich mit ihr anzulegen. Denn die Mischung des kriegerischen Blickes einer Amazone und ihres vor Gesundheit und Kraft strotzenden Köpers sprachen dafür, dass sie sich nicht nur handfest wehren konnte, sondern dies auch gerne ab und zu tat. Auf die Komplimente, die er den Damen gemacht hatte, hatte sie nur mit einer spöttischen und irgendwie auch abweisenden Mimik geantwortet. Wie schade, sie war so schön – aber das empfand sie wohl nicht als etwas Gutes. Raul fand sie sehr sexy, vor allem wohl auch, weil er ein wenig Angst vor ihr hatte und sie insgeheim eine Peitsche schwingen sah.

Und dann war da noch die mit der goldenen Haarpracht, die nicht stillstehen konnte, wenn die Musik erklang. Michaela war diejenige, die jeden Latino hinsehen ließ, auch wenn ihr Körper nicht so muskulös war wie der jener Dunklen und ihr Gesicht nicht so sphärisch wie das der Blonden, so war sie die Lebendigste von ihnen. Eine Frau aus dem Leben, bei ihr musste man weder Angst haben, dass sie einem das Nasenbein einschlug, noch, dass sie ohnmächtig wurde oder in Tränen ausbrach. Sie sprach eine Sprache mit jedem Latino, sie tanzte – das war eine Kommunikation, die keine Grammatik brauchte. Es war der Herzschlag des Landes, der Herzschlag jedes Menschen, egal welcher Herkunft, Sprache und Bildung. Und genau das strahlte sie aus, die Liebe zur Musik und zum Gefühl in der Musik. Mit ihr musste man tanzen, nicht reden, nicht diskutieren, nicht über ihr stehen oder unter ihr – sondern nur mit ihr tanzen und ihr somit die Möglichkeit geben, ihr gesamtes Potenzial zu entfalten. Dieser Goldengel war hier genau an der richtigen Stelle. Jeder würde sie lieben, weil sie eine blonde Latina war. Ihr Körper und ihre Seele waren verbunden mit der Seele der Karibik, sie hatte den Rhythmus inhaliert, und er würde sie ein Leben lang nicht mehr loslassen.

Raul verliebte sich sofort in ihre lustigen Augen und ihre Füße, die zu den Rhythmen der Musik wippten, als könne sie nicht still stehen bleiben.

Katharina bemerkte den traurigen Blick der Elfe, Cynthia, und schenkte ihr ein spitzbübisches und ermunterndes Lächeln. »Sie geht morgen wieder auf, Schwester«, sagte sie zu ihr und nippte an ihrem Caipirinha, aus dem sie sofort das Schirmchen eliminiert hatte. Sie wollte einen Drink nehmen und sich dabei nicht die Augen ausstechen.

»Oh, Entschuldigung. Ich war ganz in Gedanken«, flüsterte Cynthia, nachdem sie sich erst einmal geräuspert hatte, um die Tränen runter zu schlucken.

»Niemals entschuldigen«, lächelte die Amazone, »das ist ein Zeichen von Schwäche.« »Schwärmen Sie auch für Gibbs aus Navy CIS?«, fragte Cynthia, die sich wieder gefangen hatte und diese kraftvolle Frau sympathisch fand.

»Nein, ich schwärme für niemanden, das ist auch ein Zeichen von Schwäche. Aber ich bewundere ihn und habe mir ein paar seiner Grundprinzipien zur Regel gemacht.«

Cynthia sah sie interessiert an, und auf ihre Einladung, die aus einem knappen Winken mit ihrem Glas in ihre Richtung bestand, kam sie zu ihr an den Tisch. Gemeinsam sahen sie zu der mit dem Fuß wippenden Frau, die außer ihnen beiden wohl auch alleine hier war. Aber da der Kellner sie gerade in ein Gespräch verwickelt hatte, nahm sie die beiden anderen erst einmal nicht wahr. Als sich Raul sehr bedauernd von seinem Schwarm verabschiedete, weil er ja auch noch andere Gäste bedienen musste, sah sie, dass eine sehr dominante Katharina ihr zuwinkte. Daraufhin kam sie tanzend mit ihrem Drink zu dem Tisch der beiden Frauen.

»Hi, ich bin Michaela. Wir drei sind wohl die Einzigen, die hier ohne Männer angetreten sind. Danke, dass ihr mich zu euch einladet. Wenn mich hier noch einer fragt, wo mein Mann und meine Kinder sind, raste ich aus.«

Katharina, die nun annahm, dass man sie mit Cynthia für ein weibliches Paar hielt, stellte sofort die Sachlage klar und erwiderte »Ja, da könnte ich auch jedem sofort eine scheuern, als wäre eine allein reisende Frau irgendwie zu bedauern. Die Typen hier haben doch keine Ahnung, welchen ständigen Ärger sie Frauen verursachen, und dass jede nur froh sein kann, wenn sie ihr Leben ohne solch einen Klotz am Bein meistern kann.«

Die drei Frauen amüsierten sich, wenngleich sie sicher nicht einer Meinung waren. Katharina und Michaela lachten sehr herzhaft, Cynthia ein wenig scheu und irgendwie so, als koste sie das Fröhlichsein sehr viel Kraft.

Aber trotz all der Unterschiedlichkeit begaben sich die Drei, einschließlich ihrer Cocktails, gemeinsamen mit viel optimistischeren Blicken auf die untergehende Sonne, gemeinsam zum Abendessen. So musste sich keine von ihnen die mitleidigen Blicke der Kellner gefallen lassen, wenn diese das zweite Gedeck am Tisch abräumten.

Im Restaurant nahmen sie erst einmal am Fenster Platz und bestellten ihr Dinner und Weißwein bei einem ebenso zugewandten Kellner, Joamil, den es zwar brennend interessierte, wie die Drei zusammen passten – der aber aufgrund des drohenden Blicks der Dunkelhaarigen nicht fragte.

Cynthia und Michaela waren sichtlich erleichtert, am ersten Abend im Hotel nicht alleine essen zu müssen, und auch Katharina fühlte sich wohl mit den beiden Frauen, von denen ihr die eine ein wenig verrückt und die andere deutlich zu traurig erschien. Aber besser als wieder Gefahr zu laufen, jemanden – in diesem Fall dem Kellner – ihren eigenen Standpunkt allzu deutlich klar zu machen. Das letzte Mal hatte sie das eine Anzeige und riesige Scherereien gekostet, auf deren Ausgang sie noch wartete. Wenn das schief ging, standen ihr wieder einmal langweilige Wochen im Innendienst bevor. Ihr Chef, Schmitt, hatte sie wohl genau deswegen in den Urlaub geschickt, damit sie sich wieder beruhigte und die internen Ermittler nicht durch ihre aufbrausende Art noch mehr gegen sich aufbrachte. Was für ein Theater, nur weil sie einem üblen Frauen-Misshandler einfach mal das gegeben hatte, was er verdient hatte. Vergewaltigen, auf jeden Fall, würde der keine mehr.

Aber das wollte sie am Tisch nun doch erst mal nicht erzählen, auch verlangte es ihr beruflicher Ethos, nichts von ihrer Arbeit preiszugeben. So plauderten sie zunächst über die Anreise, das Wetter und die Ansagen der Reiseleitung, kamen dann aber sehr schnell auf den Punkt. Nämlich die Frage, warum sie hier so kurz vor Weihnachten allesamt alleine Urlaub machten, statt mit Ehemann und Kindern Zuhause unter dem Christbaum zu sitzen.

Michaela begann: »Ich bin zweimal geschieden und hab keinen Bock mehr auf das deutsche langweilige Leben mit diesen Männern, die mich, statt zum Beben zu bringen, nur in allem, was ich mir wünsche, begrenzen und beschränken. Manchmal hatte ich das Gefühl, sie seien schon lange gestorben und haben es nur irgendwie versäumt, umzufallen. Oder sie sind diese Klugscheißer und Besserwisser, die dich ständig kommentieren.« Dabei nahm sie eine männliche Haltung ein und fuhr fort. »Nun sitz doch mal still«, imitierte sie einen distinguierten Herrn. »Möchtest du noch einen Nachtisch, bevor du vor Langeweile stirbst?«

Die drei lachten über Michaelas Vorstellung.

»Warum hast du so lange gewartet, bis du gegangen bist?«, fragte Katharina, und Cynthia schüttelte dabei leicht den Kopf in ihre Richtung, womit sie ihr signalisierte, nicht so direkt zu sein.

Dann antwortete Cynthia an Michaelas statt. »Wenn man jemanden liebt oder geliebt hat, ist es doch auch ziemlich schwierig, einfach so zu gehen, oder?«

»Ja«, erwiderte Michaela, »und man hofft immer, dass es besser wird – aber das wird es nur selten. Im Grunde wissen wir doch, dass alles das, was in den ersten Tagen auftritt, nur das Muster erklärt, und dass es sich verfestigt. Ich hatte mal einen, der hat für die erste Verabredung schon circa zehn Anrufe gebraucht. Ein anderer hat mich ständig kommentiert, der nächste wollte mich rumkommandieren und hat nie auf das gehört, was meine Wünsche waren. Ich dachte immer, sei ganz ruhig, es könnte schlimmer kommen. Und dann war ich ruhig und es wurde schlimmer.«

Die beiden lachten wieder übermütig über Michaelas Drama mit den Männern.

»Woran merkst du, dass es der Richtige sein könnte?«, wollte Cynthia wissen.

»Inzwischen glaube ich, dass mein bester Beziehungstester das Tanzen ist. Wer mich nicht führen kann oder mich in meinen Schritten begrenzt, der ist auch sonst kein guter Partner für mich. Habe ziemlich lange gebraucht, um das rauszufinden.«

»Tanzen«, meinte Katharina, »das ist nicht so meins, ich mag Kampfsport lieber.«

Der Joamil brachte die neuen Getränke und die Vorspeisen. Sie hatten sich statt des Buffet Restaurants für das Spezialitäten Restaurant entschieden, wo man sie bediente.

Cynthia beugte sich etwas vor zu den anderen, sodass kein anderer Gast mithören konnte, und begann schwärmerisch:

»Ich habe meine letzte große Liebe auch beim Tanzen kennengelernt, aber dann war alles doch ganz anders, als ich es erhofft hatte, und das, obwohl er zunächst perfekt war. Es geht also auch genau umgekehrt. Er war der perfekte Tänzer für mich und das, obwohl ich darin sicher kein Genie bin. Also sorry, liebe Michaela, mich hat die Tanzerei an den Abgrund geführt – wobei das ist unfair, das Tanzen hat mir etwas Neues und sehr Gutes gegeben, aber mein idealer Tänzer war irgendwie mein emotionaler Untergang. Also ich widerspreche dir, wenn du glaubst, man könnte den Richtigen beim Tanzen erkennen.«

»Aber du hast ihn geliebt, weil er dich führen konnte, stimmt’s?«, fragte Michaela verständnisvoll, aber auch neugierig. Es gefiel ihr nicht, dass ihre These widerlegt wurde, aber sie konnte auch nichts dagegensetzen, solange sie ihren Mr. Perfect noch nicht gefunden hatte.

Die Traurigkeit, die Cynthia immer wieder umspielte, kehrte mit aller Macht zurück, und sie kämpfte gegen die Tränen. Die anderen beiden Frauen griffen gleichzeitig nach ihren Händen. »Ja, ich habe ihn geliebt. Es war, als käme er aus meiner Vergangenheit, als kannte ich ihn schon immer … Aber so war es dann wohl eben doch nicht.«

»Erzähl uns doch deine Geschichte«, forderten die beiden sie auf.

Da zwischen den Dreien von Anfang an ein großes Vertrauen und Einverständnis geherrscht hatte und Cynthia auch einmal mit jemandem darüber reden musste, schon um dieses Schamgefühl endlich wieder los zu werden, war diese Einladung für sie wie ein Geschenk des Himmels. So begann sie mit ihrer ruhigen und melodischen Stimme zu erzählen.

II.

Um einen Ausgleich zu ihrer ständigen, von Überstunden geprägten Arbeitswelt zu finden, hatten einige Kollegen aus der Bank, in der sie arbeitete, Cynthia einen Tanzkurs geschenkt. Die Stunden waren immer am Wochenende, sodass sie nicht nach der Arbeit noch dorthin hasten musste, und bestanden aus den wichtigsten Elementen des lateinamerikanischen Tanzes. Hierbei ging es vor allem darum, wieder ein Bewusstsein für den eigenen Körper zu bekommen und durch die mitreißende Musik aus den eigenen Grübeleien herausgerissen zu werden. Da Cynthia schon sehr lange alleine war und nur noch für ihre Arbeit lebte, kam ihre diese Abwechslung sehr gelegen.

Nach den vier Wochen mit jeweils zwei Stunden am Samstag und am Sonntag sah sie sich in der Lage, auch einmal in einen der angesagten Salsaläden der Stadt zu gehen. Sie fand heraus, dass ganz in der Nähe ihrer Wohnung das „›Salsa“ ‹ war, eine alt eingeführte Latino-Diskothek. Da sie nicht alleine gehen wollte, fragte sie in der Gruppe zwei andere Frauen, die sich ihr anschließen wollten. So verabredeten sie sich an einem Freitagabend um 23 Uhr vor dem „›Salsa“ ‹. Als Cynthia sich für den Abend fertigmachte, spielte ein Lächeln um ihre Lippen. Es war ein wenig wie früher, als sie in ihren 20ern noch häufiger ausgegangen war. Warum nur hatte sie das aufgegeben und sich nur noch eingeigelt, dachte sie sich, als sie wie immer ein bisschen zu früh, beschwingt los lief, weil sie es hasste, zu spät zu kommen.

Sie stand bereits vor dem „›Salsa“ ‹, als sie eine SMS von einer der beiden anderen Frauen bekam, die ihr mitteilte, dass die beiden nicht kommen konnten, da ihr Auto nicht ansprang und sie gemeinsam nach Charlottenburg hatten fahren wollen. Cynthia war enttäuscht und wollte schon auf dem Absatz kehrtmachen, um nach Hause zu laufen. Aber dann überlegte sie es sich anders und ging zunächst zögerlich auf den Eingang zu, wo schon einige Gäste anstanden, unter anderem ein sehr blasser, schüchterner Typ, der auch so aussah, als habe man ihn versetzt.

„»Ach was soll’s?“«, dachte sie sich und stellte sich hinter ihm an, sie hatte sich nun einmal für dieses kleine Abenteuer entschieden, und was sollte schon passieren? Sie würde ein wenig tanzen, wie sie es gelernt hatte, und dann wieder nach Hause gehen. Sie war seit Langem nicht mehr ausgegangen, von den Betriebsfeiern mit den Kollegen einmal abgesehen.

Als Cynthia an der Bar vorbei zur Tanzfläche ging, sah sie einen Mann Salsa in Linie mit ein paar anderen Männern tanzen. Nun hätte man diese kleine Männertanzgruppe irgendwie befremdlich finden können, aber sie hatten so eine Freude, die ansteckte, und in Cynthia regte sich etwas, wenn sie diesen sehr großen, in der Mitte tanzenden Mann anblickte. Ein Gefühl, das sie lange in ihrem Inneren verschlossen hatte, kam ganz ungefragt und mit größter Wucht zum Vorschein. Es war, als durchflute sie auf einmal eine Sehnsucht nach etwas, das sie so lange nicht mehr gehabt hatte. Obwohl man sagen konnte, dass sie sich alle ein wenig ähnlich sahen, genau dieselben Schritte machten und im Grunde wie Brüder wirkten, war es nur dieser eine, der diese Schwingung in Cynthia auslöste.

Was für ein schöner Körper, wie wundervoll er sich zu der Musik bewegte, und wie er dabei glücklich vor sich hin lächelte. Seinen Oberkörper umspielte ein Muskelshirt, was für einen Club in Deutschland gewagt war, selbst jetzt im Sommer – aber er konnte sich diesen Look leisten, der seine vor Schweiß glänzenden Muskeln besonders zum Ausdruck brachte. Cynthia musste unmittelbar an die Coca-Cola-Light-Werbung mit den Bauarbeitern denken. Um seinen Hals baumelte eine Kette mit einem auffälligen Anhänger. Die langen Beine steckten in zerrissenen Jeans, die Turnschuhe waren zerschlissen und doch hipp. Aber sein Kopf war das Interessanteste an ihm. Er trug einen Dreitagebart, sowohl im Gesicht als auch auf dem Schädel. Cynthia beobachtete ihn und bemerkte, wie eine Ader seitlich seiner Stirn immer wieder hervortat, und fragte sich, wie alt er wohl sein mochte.