Senseability - Mja Maj - E-Book

Senseability E-Book

Mja Maj

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Beschreibung

Stella befürchtet, die große Liebe, tiefe Gefühle und intensive Leidenschaft gäbe es nur im Film. Trotzdem wartet sie insgeheim auf diese Macht des Schicksals, einmal tief und unsterblich zu lieben, dass sie glaubt vergehen zu müssen, wenn der Geliebte nur den Raum verlässt. Aber mit ihrem Verlobten verbindet sie nur die Vernunft. Als die verkopfte Dozentin für Literatur- und Filmgeschichte den umwerfenden kubanischen Tanzlehrer und Presenter, José, kennenlernt, trifft sie seine Lebenslust wie ein Blitz. Auf einmal fühlt sie sich wie Baby aus Dirty Dancing und Cathy aus Wuthering Heights gleichzeitig. Durch den umwerfenden Kubaner entdeckt sie mit jedem Salsaschritt ein wenig mehr ihre eigene sinnliche Weiblichkeit. Wie ein Wirbelsturm reist er sie aus ihrem Leben der Theorien hinein in einen Strudel von Leidenschaft, Tanz und Liebe. Doch dann stellt sich heraus, dass der Traummann auch ihr Student ist, und diese Verbindung sich gar nicht gut auf eine Professorenkarriere auswirken könnte. Hat die Beziehung dieses ungleichen Paars überhaupt eine Chance? Senseability ist eine hinreißende Liebesgeschichte und Hommage an die Lateinamerikanische Lebensart und die Sinnlichkeit des Tanzens.

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Senseability

Deutsche Erstausgabe März 2016

© Mja Maj

https://www.facebook.com/pages/Mja-Maj/464184843745908

Alle Rechte vorbehalten!

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages. Personen und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Umschlaggestaltung: Sabrina Dahlenburg

Lektorat: Anke Neuhäußer

Korrektorat: Kathi

Satz Ebook: Sophie Candice

Satz Print: Sophie Candice

Erschienen im A.P.P.-Verlag

Peter Neuhäußer

Gemeindegässle 05

89150 Laichingen

Mobi:  978-3-946484-26-4

E-pub: 978-3-946484-27-1

Print:   978-3-946484-28-8

Dieser Roman wurde unter Berücksichtigung der neuen deutschen Rechtschreibung verfasst, lektoriert und korrigiert.

Senseability:

Mit allen Sinnen

tanzen

leben

lieben

Kurzbeschreibung

Stella befürchtet, die große Liebe, tiefe Gefühle und intensive Leidenschaft gäbe es nur im Film. Trotzdem wartet sie insgeheim auf diese Macht des Schicksals, einmal tief und unsterblich zu lieben, dass sie glaubt vergehen zu müssen, wenn der Geliebte nur den Raum verlässt. Aber mit ihrem Verlobten verbindet sie nur die Vernunft.

Als die verkopfte Dozentin für Literatur- und Filmgeschichte den umwerfenden kubanischen Tanzlehrer und Presenter, José, kennenlernt, trifft sie die seine Lebenslust wie ein Blitz.  Auf einmal fühlt sie sich wie Baby aus Dirty Dancing und Cathy aus Wuthering Heights gleichzeitig. 

Durch den umwerfenden Kubaner entdeckt sie mit jedem Salsaschritt ein wenig mehr ihre eigene sinnliche Weiblichkeit. Wie ein Wirbelsturm reist er sie aus ihrem Leben der Theorien hinein in einen Strudel von Leidenschaft, Tanz und Liebe.  Doch dann stellt sich heraus, dass der Traummann auch ihr Student ist, und diese Verbindung sich gar nicht gut auf eine Professorenkarriere auswirken könnte.  Hat die Beziehung dieses ungleichen Paars überhaupt eine Chance?  Senseability ist eine hinreißende Liebesgeschichte und Hommage an die Lateinamerikanische Lebensart und die Sinnlichkeit des Tanzens. 

I

Stella kam aus dem Bad und betrachtete lächelnd ihren langjährigen Verlobten, der sich nach ihrem kleinen Liebesakt wieder sorgfältig anzog. Ferdinand stand in Unterwäsche und Strümpfen vor dem Spiegel des Kleiderschranks und griff zu dem blütenweißen Hemd, das fein säuberlich auf der dunklen Anzughose lag, deren Falte wie mit einem Beil gezogen war. Stella fragte sich, warum Männer eigentlich nicht wussten, wie unsexy sie in Socken und Unterhose aussahen, aber vielleicht war es den meisten von ihnen einfach egal. Im Vergleich zu den Frauen, die selbst in einer Damenumkleidekabine peinlichst darauf bedacht waren, die Socken immer gleichzeitig mit der Jeans auszuziehen, um niemals nur besockt vor dem Schrank zu stehen. Nachdem Ferdinand den untersten Knopf des Hemdes geschlossen hatte, nahm er die dunkle Krawatte, stellte den gestärkten Hemdkragen hoch, legte den seidenen Stoff sorgfältig darum und band das edle Teil, auf seine so eigene und umständliche Art und Weise. Die ab und zu praktische Stella fragte sich, warum er den Binder gerade eben ganz aufgezogen, und nicht die Schleife so belassen hatte, dass er sie einfach wieder um den Hals legen und zuziehen konnte. Aber so war Ferdinand nicht. Das Binden seines Schlipses war für den Versicherungsmathematiker ein Ritual, um sich auf den Tag im Büro oder, wie jetzt, einen Empfang vorzubereiten.

Stella beobachtete ihn amüsiert weiter und ließ dann das Handtuch fallen, das sie nach einer Dusche um sich gewickelt hatte. ›Was für ein Theater‹, dachte sie.

»Müssen wir wirklich auf diesen Empfang gehen? Wir könnten es uns doch wieder im Bett gemütlich machen und den Film über Frida Kahlo ansehen. Es ist so kalt und grau da draußen«, fragte sie hoffnungsvoll.

Ferdinand kam zu ihr, hob mit tadelndem Blick das Handtuch auf, küsste ihr den Nacken und gab ihr einen Klapps auf den Po. »Zieh das rote Kleid an Kleines, darin werden dich alle bewundern. Wir bleiben ein Stündchen und dann fahren wir wieder zu dir, und wenn du dann noch willst, schauen wir deinen Film.«

Während Stella die Schublade mit der Wäsche aufzog dachte sie an die Szene aus Casablanca, als Humphrey Bogart der Bergman sagte »Ich schau dir in die Augen, Kleines«. In dieser Szene wirkte der Begriff »Kleines« ganz anders, gleichberechtigter und weniger gönnerhaft. Sie zuckte mit den Schultern und wählte einen roten BH mit passendendem Slip. Als ihr Blick zu den halterlosen hauchdünnen Strümpfen und daneben den wärmeren Strumpfhosen fiel, wählte sie die baumwollenen. Es war Winter und bitterkalt. Früher hatte sie Strümpfe getragen, aber Ferdinand hatte gerade mit ihr geschlafen, er würde den Unterschied nicht merken – vor acht Jahren, als sie sich kennengelernt hatten, trug sie ausschließlich Reizwäsche. Aber heute zog sie bequemere Kleidung immer häufiger vor. Trotzdem zwängte sie sich in das enge Kleid, tupfte Parfum auf und kämmte ihre blonden langen Haare.

Im Hyatt angekommen, rannte der Hotelpage auf Ferdinands Mercedes zu und riss die Beifahrertür auf. Während Stella ausstieg, kam Ferdinand um seinen Wagen herumgelaufen, gab dem Pagen seinen Autoschlüssel mitsamt einem großzügigen Trinkgeld und griff Stella unter, um sie sicher durch die Drehtür zu führen. Im Foyer hörte man Stimmengewirr, das durch die dicken Teppiche des Hotels und sanfte Klavierklänge gedämpft wurde. In solcher Atmosphäre fühlte sich Stella recht wohl, hatte aber gleichzeitig das Gefühl, sie sollte lieber nur flüstern, als sich, wie sie das aus der Uni gewohnt war, mit ihrer wohltönenden Altstimme Gehör zu verschaffen.

Ferdinand steuerte zielgerichtet auf ein Ehepaar zu.

»Ah, guten Abend Herr Doktor Biedermann.« Ein älterer Herr kam den beiden entgegen und wollte Ferdinand begrüßen, besann sich dann aber und gab zuerst Stella die Hand. »Herzlich willkommen, mein Name ist Müller von dem Verband der Aktuare.«

»Darf ich Ihnen meine Verlobte, Frau Dr. Stella von Stein vorstellen«, mischte sich Ferdinand ein.

»Sehr angenehm«, flötete Müller und schüttelte Stellas Hand viel zu lange, dann winkte er seine Frau und einige andere Eingeladene zu sich heran. Nachdem sich alle begrüßt, und der Kellner die Gäste mit einem Glas Champagner versorgt hatte, ging man zum Smalltalk über.

»Worin haben Sie promoviert, Frau Doktor von Stein?«, fragte einer der Gäste.

Noch bevor Stella antworten konnte, mischte sich Ferdinand ein: »›Über das Spannungsfeld der Frau zwischen Liebe und Unterwerfung in Literatur und Film – Magna cum Laude‹, meine Verlobte ist Dozentin für Literaturgeschichte und Film an der Universität der Künste«, fügte er dann noch hinzu. Ein Raunen, das zeigte, dass weder die versammelten Mathematiker noch ihre Ehefrauen spontan etwas zu diesem Thema sagen konnten und der ein oder andere bewundernde oder abschätzende Blick auf Stella, die nun mit dem Begriff Unterwerfung assoziiert wurde, war die Antwort. Ferdinand liebte solche Spielchen. Ab und zu war er ein kleiner Rebell in seinem angepassten Kosmos - wenn auch nur dadurch, dass er sich mit seiner Verlobten und ihrer so viel bunteren Welt schmückte.

Den Blick zum Boden gewandt, konnten die anderen nicht sehen, dass Stella die Augen verdrehte und sich vorstellte, wie sie jetzt, gemütlich in ihrem Bett liegend, in die Welt der Frida Kahlo eintauchen könnte. Sie liebte es auszugehen und gute Gespräche zu führen, aber diese steifen Gesellschaften waren ihr inzwischen zu einer langweiligen Last geworden.

Mittlerweile hatten sich mehrere Mathematiker um Ferdinand versammelt, und die Männer fanden ein spannenderes Thema als die Beziehung zwischen Mann und Frau, indem sie sich der Frage zuwandten, die Ferdinands Spezialgebiet war: ›Die Stochastik in der Versicherungsmathematik.‹

Die Damen der kleinen Gesellschaft rückten etwas ab und bildeten einen Kreis. Frau Müller fragte: »Stella von Stein, das ist ja ein besonderer Name. Hatten Ihre Eltern eine besondere Beziehung zu Goethe?«

Stella wartete einen Moment, als wollte sie sich versichern, dass da nicht wieder Ferdinand das Wort für sie ergriff, und dann erwiderte sie lächelnd: »Meine Mutter wäre wohl schon sehr gerne Goethes Frau Charlotte von Stein gewesen und so hatte sie bei meiner Namensgebung wohl jene Baronin Stella vor Augen, aber mein Vater, der Theaterkritiker, dachte mehr an Stella Kowalski aus Tennessee Williams »Endstation Sehnsucht.« Sie blickte fragend, ob den anderen dies etwas sagte, in die Runde und fuhr fort: »So waren sie sich zumindest einig, was den Namen betraf, wenn auch ganz und gar nicht über seine Bedeutung.«

Frau Müller sowie die anderen Damen schmunzelten und fragten Stella, ob sie ebenfalls so gerne kochte, von »Endstation Sehnsucht« und ähnlichen Themen hatten die Ladies noch nie etwas gehört. Stella verneinte und die Unterhaltung der Frauen ging weg von ihr, hin zu den üblichen Themen der Kindererziehung und Kochrezepten. Da sie nichts dazu beitragen wollte, grübelte Stella noch ein Weilchen über ihren Namen nach. Kam sie eigentlich eher nach Goethes edler Baronin oder jener durchgenknallten Stella Kowalski aus Tennessee Williams Drama »Endstation Sehnsucht«, die ihrem proletarischen Ehemann, dargestellt von dem damals umwerfenden Marlon Brando, sexuell verfallen war?

Um ihrem Verlobten zu signalisieren, dass sie sich hier gerade gar nicht wohlfühlte, warf sie einen hilfesuchenden Blick zu der Männerrunde, aber Ferdinand war in Fachgespräche vertieft. Sie beobachtete ihn, wie er immer wieder seine Brille höher auf die Nase schob, und es wurde ihr klar, dass der Altersunterschied von 12 Jahren heute viel sichtbarer war als damals, als sie sich kennenlernten. Da er ihren Blick nicht bemerkte, ärgerte sie sich, überhaupt mitgekommen zu sein, und noch mehr wurmte sie, dass Ferdinand sich angewöhnt hatte, ständig für sie zu antworten. Und überhaupt, was sollte dieser süffisante Blick, wenn er über ihre Dissertation sprach? Warum musste er sie überhaupt immer mit ihrem Titel und dem gesamten Namen ihrer Arbeit vorstellen?

Das Erste vermutlich, um mit seiner klugen und doch so jungen Frau anzugeben, das zweite, um deutlich zu machen, dass er der Schlauere von beiden war, schließlich hatte er mit Summa cum Laude abgeschlossen. Stella nippte an ihrem Champagner, der auf einmal schal schmeckte, sie seufzte und fühlte sich einsam unter all diesen Menschen, mit denen sie kein gemeinsames Thema hatte.

Wie aus weiter Ferne hörte sie die Frauen kichern und gesellte sich wieder zu ihnen. Die Diskussion ging gerade über das Backen von Weihnachtsplätzchen und dem Dilemma, wen der Verwandten man an welchem der Feiertage nun besuchen sollte. Ein Gähnen unterdrückend, dachte Stella, dass sie nichts langweiliger fand, als das normale Leben zu diskutieren. Reichte es doch, dass man es leben musste – aber auch noch darüber stundenlang zu reden? Warum? Wo es doch die ganz großen Dramen gab. Stella hatte für Familienthemen so gar kein Interesse. Als sie die Buddenbrooks in ihrem Studium durchgenommen hatten, war sie drauf und dran gewesen, hinzuschmeißen.

Mit einem verstohlenen Blick zur Uhr merkte sie, dass sie schon weit über eine Stunde hier war, sie entschuldigte sich und suchte die Toiletten auf. Dort angekommen setzte sie sich auf einen der samtroten Hocker vor dem Schminkspiegel und prüfte ihr Make-up, das in Ordnung war, was man von ihrem Gesichtsausdruck nicht sagen konnte. Als sie so da saß ging die Tür auf, Lilienn, ihre Freundin aus dem gemeinsamen Tanzstudio, kam herein und begrüßte sie – beide waren überrascht, sich hier zu treffen. Lilienn, die als Psychologin und Profilerin für eine Beraterfirma arbeitete, war zu dem Aktuarsempfang geschickt worden, um dort eventuell neue Kontakte zu knüpfen. Stella raunte der Freundin ins Ohr, dass sie diese Veranstaltung gerade ziemlich langweilig empfand, Lilienn stimmte dem zu und es huschte ein Lächeln über ihr Gesicht.

»Ich weiß, womit wir uns am Wochenende belohnen können. José ist in der Stadt.«

»Wer ist José?«

Wenn Lilienn eines noch mehr faszinierte, als die Psyche der Menschen, dann war es das Tanzen. Fieberhaft kramte sie einen Flyer aus ihrem Täschchen und gab ihn Stella.

»Der wahnsinnigste, süßeste und erotischste Tänzer ganz Lateinamerikas, ach was sage ich, der ganzen tanzenden Hemisphäre. José ist eine Mischung aus dem jungen Patrick Swayze, Antonio Banderas und Romeo Santos. Komm am Samstag, du wirst begeistert sein. Danach können wir ja in Bens Bar noch was trinken gehen.«

Sagte es, drückte Stella den Flyer in die Hand und verschwand. Die Zurückgelassene betrachtete den strahlenden Tänzer und lächelte ebenfalls. Es fielen ihr Szenen aus ›Step up‹, ›Street Dance‹ und natürlich den romantischeren Filmen wie ›Dirty Dancing‹ und ›Shall we Dance‹ mit Richard Gere ein. Warum auch nicht? Das war mal etwas anderes als die Ballettstunden, die sie aus ihrer Kindheit her kannte, und ihre heutigen Ballett-Jazzstunden bei Marcello. An ihre Kindheit denkend, als sie so gerne Hip-Hop gelernt hätte, aber von ihren Eltern nur ins Ballett geschickt worden war, beschloss Stella, dass es höchste Zeit wurde, etwas anderes zu machen – und wenn es nur ein neuer Tanzkurs in ihrem Studio war. Für Hip-Hop war sie vermutlich zu alt, aber Zumba-Dance war alterslos.

Beschwingter ging sie zu der kleinen Gruppe zurück und gesellte sich direkt zu Ferdinand, der immer noch mit den Herren diskutierte. Es hatten sich noch einige jüngere Männer zu ihnen gesellt, die wohl aus dem Bereich der Programmierung stammten und sich über Algorithmen unterhielten. Einer meinte gerade: »Wenn man sicher sein will, dass einem sein Auto nicht gestohlen oder beschädigt wird, muss man es zwischen zwei Autos parken, die höherwertig als das eigene sind. Die Wahrscheinlichkeit der Beschädigung durch unvorsichtiges Türöffnen sinkt dann um 72% und das Diebstahlrisiko um 55%.«

»… und in welchem Verhältnis dazu steigt die Scheidungsrate, wenn Ehefrauen mit der Begründung, den optimalen Parkplatz gesucht zu haben, erst um vier Uhr morgens nach Hause kommen?«, fragte Stella und gesellte sich lächelnd zu den Optimierungsfachexperten, die darauf gleichzeitig verstummten und leicht erröteten. Stella musste an die Serie ›Big Bang Theory‹ denken, stellte grinsend fest, dass wohl alle drei nicht mit einer Frau sprechen konnten und fühlte sich wie Penny, die blonde Nachbarin der Nerds. In diesem Moment hatte Stella das erste Mal Spaß an diesem Abend. Wie immer rettete Ferdinand die Situation. »Darf ich Ihnen meine Verlobte, Frau Doktor von Stein vorstellen?« Stella gab jedem der drei Irritierten die Hand, die in Erwiderung ihre Namen stammelten. Als Ferdinand ansetzte, um den drei, jetzt schon Verstörten, noch die Details von Stellas Arbeit zu schildern, kam sie ihm zuvor und entschuldigte sich damit, dass sie nicht weiter stören, sondern nur fragen wollte, wann sie gingen, da sie am nächsten Morgen einen anstrengenden Unitag vor sich hätte. Ferdinand verstand den Wink – diese Fachidioten waren wohl selbst ihm zu trocken, und so verabschiedeten sie sich und fuhren zurück nach Charlottenburg in Stellas Wohnung. Aus dem Frida-Film allerdings wurde an diesem Abend nichts mehr, jedoch war Stella erfreut, dass Ferdinand den ersten Parkplatz nahm, den er finden konnte.

Am Samstag war Stella froh, dass ihr Verlobter über das Wochenende zu seiner Mutter in den Harz gefahren war, sie hatte sich mit Vorbereitungsarbeiten für die Uni herausreden können, um nicht mitfahren zu müssen. Seine Mutter mochte Stella nicht, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Frau Biedermann lehnte im Grunde jede andere Frau als sich selbst an der Seite ihres Sohnes ab. Keine war ihr gut genug und eine wie Stella, die keine Kinder wollte, kam in den Augen der strengen Konservativen schon gar nicht in Frage. Bald würde das neue Semester mit den vorhergehenden Probevorlesungen beginnen, und Stella freute sich auf ein ganzes Wochenende nur für sich.

So ging sie beschwingt in dem Bewusstsein ihrer Freiheit in ihr Tanzstudio, wo dieser sagenumwobene Tanzlehrer seine spezielle Stunde gab. Salsa, Samba, Bachata und Reggaeton. 90 Minuten auspowern und Spaß haben war die Devise. Es befanden sich ca. 50 Frauen in der großen Halle. Als sie das riesengroße Loft betrat, steuerte Stella auf Lilienn zu, die sich schon ganz vorne einen Platz gesichert hatte.

Auf einmal ging das Licht aus. Im nächsten Moment erschallte mitreißende und sehr laute Latinomusik. Ein Suchscheinwerfer strahlte ihn an: José! Der kubanische Presenter. Er bewegte sich rasant im Sambaryhthmus, verfolgt von dem Lichtkegel, nach vorne in Richtung Bühne, wo Stella und die anderen erwartungsvollen Ladies standen. Als er kurz vor ihnen angekommen war, schlug er einen Flickflack vor der Gruppe, die erschrocken einen Satz zur Seite machte. Als José nur knapp einen halben Meter von Stella entfernt einen Handstand verübte, im nächsten Augenblick schon wieder auf den Beinen war und damit den Umstehenden mit seinen unglaublichen Bewegungen schon vom Zusehen den Atem raubte, konnte sie wie die anderen nicht mehr stillstehen und bewegte sich mit ihm im Rhythmus der Musik. Selbst wenn er gar nicht so dicht bei ihr stand, hatte Stella das Gefühl, er umfinge sie mit seinen Händen und seiner Ausstrahlung. Sie war gebannt in dieser Aura archaischer Männlichkeit und ihr Körper schien die Führung zu übernehmen. Im nächsten Moment sprang José mit einem Rückwärts-Salto auf die große Bühne und begrüßte seine Kursteilnehmerinnen.

Es waren nur Frauen im Raum und er rief in die Runde: »Seid ihr bereit, ein bisschen Spaß mit mir zu haben?« Dabei wiegte er sich in den Hüften als hätte er eine von ihnen im Arm – nein nicht eine, alle!

Danach tanzte er Samba und bedeutete seinem Publikum, mehr und mehr aus sich herauszugehen und den Hüften die ganze Aufmerksamkeit zu schenken. Bei jeder Bewegung, die er in Stellas Richtung machte, dachte sie, er meinte nur sie. So wie sie heute tanzte und sprang, alle Anstandsregeln deutscher Mädchen vergessend, die sie während des langen Ballettunterrichts in ihrer Kindheit gelernt hatte, fühlte sie sich um Jahre jünger. Ihre Mutter wäre entsetzt gewesen. Wie wunderbar! Die Energie des Tänzers in sich aufnehmend, bewunderte sie seinen Bizeps und fragte sich, wann sie solch einen muskulösen Mann derart elegant hatte tanzen sehen. Seine über den Muskeln gespannte, vor Schweiß glänzende Haut war milchkaffebraun. Nach einer halben Stunde schnellsten Sambaklängen wurde die Musik langsamer – und die Intensität seiner Bewegungen noch extremer. Als er in ihre Richtung sah, konnte Stella gar nicht anders als sich vorzustellen, wie es wäre, mit ihm …

Ihre Vorstellung trug sie davon, auf eine schummrig beleuchtete Bühne, wo sie ganz alleine mit diesem Abbild von Männlichkeit tanzte. Zunächst waren sie noch weit voneinander entfernt, aber schon bald näherte er sich ihr und fuhr mit seinen Fingern über ihren Hals, die Schultern, Arme und dann mit einem Erschaudern über den Rücken. Lässig nahm er ihre Hüfte und ihren Arm, sie tanzten zunächst weit voneinander entfernt, und dann, mit einem Ruck, zog er sie an sich. Sie kam genau vor seinem Körper zum Stehen, sodass sie seine Muskeln an ihrer Brust spürte, und seinen männlichen Duft roch, eine Mischung aus Aftershave, Schweiß und einer Männlichkeit, die sie lange nicht mehr um sich gehabt hatte. So konnte sie sich als Frau fühlen, wie seit scheinbaren Ewigkeiten nicht mehr. Er hielt sie kurz, um all ihren Sinnen zu ermöglichen, ihn wahrzunehmen und nie wieder zu vergessen, dann führte er sie in einer schwungvollen Drehung wieder von ihm weg, um sie schließlich rückwärts wieder an sich zu ziehen. Als sie gerade glaubte, ihn an ihrem Rücken zu spüren, stieß Stella frontal gegen Lilienn, da der reelle José auf der Bühne die Richtung gewechselt hatte. Sein Blick fiel auf Stella und in seinen Augen konnte sie sehen, dass er ihren Traum von eben erkannt hatte. Ein wenig unverschämt – auf sehr charmante Art und Weise wissend, was er auslösen konnte – blinzelte er ihr zu. In seinen Augen war zu lesen, dass er Frauen einfach liebte – so wie sie waren. Stella musste an eine ihrer Lieblingsfiguren aus Literatur und Film denken: Don Juan de Marco in der Szene, als Johnny Depp gerade seine Lehrerin verführte. Stella liebte diesen Film, in dem jener Don Juan als durchgeknallter Jugendlicher in New York dargestellt wird, der seinem Psychiater, dem inzwischen gealterten Marlon Brando, seine Geschichte erzählte. José erinnerte sie an jenen Don Juan, der einfach alle Frauen liebte, weil er in ihnen nur das Schöne sah – egal wie alt sie waren, wie sie aussahen oder welche Figur sie hatten.

Nach einer kurzen Pause ging die Stunde weiter. Für Stella war es an dieser Stelle schon so, als hätte sich ein Band zwischen ihr und dem Unbekannten auf der Bühne gezogen - und sie genoss es. Was soll´s, dachte die Tennessee Williams Stella in ihr. Ferdinand konnte sie nicht sehen – und den Jungen da oben würde sie nie wieder treffen. Wie er sich seines Lebens freute, selten hatte sie jemanden so über das gesamte Gesicht strahlen sehen.

Als sich Stella allerdings zu den anderen Frauen umdrehte, war ihr klar, dass es noch einigen ganz ähnlich wie ihr erging, andere machten eben nur Sport und freuten sich über die Kalorien, die sie in dieser wilden Stunde verbrannten.

Der Abschlusstanz war ein Kizomba. Schritt vor - vor, und in der Hüfte schwingen, als würde man sein imaginäres Gegenüber in sich hineinsaugen wollen. Dann wieder zweimal zurück und erneut die Vereinigung, rechts, rechts und links, links. Lateinamerikanische Tänze hatten nichts gemein mit der deutschen Tanzkultur. Dieser afrikanische Kizomba führte Stella nun vollends in ihre Fantasie, in der sie von José immer fester gefasst wurde, links – rechts, und die Hüften in einem langsamen Hula Hoop ganz eng aneinander gepresst, sie stellte sich vor, wie seine samtigen und vollen Lippen ihren Hals küssten, wie sie diese stählerne Brust berührte und dann weiter nach unten rutschte auf diesen steinharten Bauch mit diesem Sixpack, der sie von der Bühne aus anzuschreien schien, »Fass mich an«, »Drück dich an mich«, »Nimm deine Hand tiefer, tiefer, noch tiefer«.

In diesem Moment stolperte Stella über ihre Füße und Lilienn fing sie gerade noch auf, bevor sie längs vor allen und José hinschlagen konnte, und sagte lachend: »Ich kann sehen, was du denkst, und er ebenso – aber mach dir nichts draus, das ist ungefähr so, als würde man sich nur ein kleines Kompliment machen.«

»Oh Gott« stammelte Stella, das war ihr nun doch peinlich. Sie war heilfroh, als die Stunde zu Ende ging – und gleichzeitig war sie auch ein bisschen traurig darüber, denn nun würde sie die unglaubliche Aura dieses Mannes nie wieder spüren. Was gut war, denn schließlich war sie einmal fast hingefallen und hatte eine Frauen-Karambolage verursacht. Glücklicherweise wusste er nicht, dass sie eigentlich eine ernsthafte Dozentin an der Uni war, mit der Hoffnung auf eine baldige Professur. Als sie mit der Freundin gemeinsam zur Umkleidekabine wankte weil sie kaum noch Kraft zum Laufen hatten, lachte Lilienn: »Ich kann dir das nur empfehlen.«

»Was kannst du empfehlen?«

»Eine kleine Affäre mit einem jüngeren und nicht so strengen Mann.«

Lilienn zwinkerte ihr zu, »Komm wir duschen und dann fahren wir ins Lost Love zu Ben.« Stella kannte die nette Kneipe und mochte sie gerne, da überall an den Wänden Filmplakate hingen und sie dort so ganz in ihrem Element war. Da Stella nahezu neben dem Tanzstudio wohnte und Lilienn neben Bens Bar, stieg sie zu ihr ins Auto und sie fuhren nach Schöneberg.

Dort angekommen steuerten sie passend zum Tag einen Tisch unter dem Filmplakat von Step up an: Miami Heat, auf der  die Flashmops jener Gang mit ihren heißesten Tanzszenen abgebildet waren.

»Hast du den gesehen?«, fragte Lilienn.

»Klar, ich habe wohl so jeden Tanzfilm gesehen, der gedreht wurde. In Miami Heat waren die Tanzszenen phänomenal, wenn auch die Geschichte das Übliche war: Reiches, wohlerzogenes Mädchen lernt von einem, der die Regeln bricht, die Kreativität des Tanzens«, schmunzelte Stella.

»Guckst du die Filme von Berufs wegen oder liegt dir vielleicht doch viel mehr am Tanzen als man denkt?«

»Ich hab in meiner Kindheit schon sehr gern getanzt, meistens nur klassisches Ballett. Hip Hop und Streetdance haben mir meine Eltern nicht erlaubt, und als ich dann älter wurde, habe ich keine neue Richtung mehr angefangen. Das war heute schon eine tolle Erfahrung. Ich kann Rumba, Samba, Salsa und alle anderen Tänze, aber mit Ferdinand … naja, der ist eher der Typ für langsamen Walzer«, meinte Stella etwas gequält.

»Dr. Ferdinand Biedermann, was für ein lustiger Name! Wie läuft es denn so in deiner Beziehung?«, fragte Lilienn.

»Naja, eigentlich ist alles in Ordnung. Er geht ab Januar für mindestens ein Jahr in die Schweiz, soll da eine neue Abteilung aufbauen über Risikomanagement. Er hat mich gefragt, ob ich mitkomme«, erzählte Stella.

»Und gehst du mit?«

»Nein, ich will hier bleiben und meine Professur vorantreiben, wenn alles gut läuft, werde ich bald zum Professor ernannt, meine Habilitationsschrift habe ich fertig und werde sie in den nächsten Tagen abgeben. Außerdem, die Schweizer sind so konservativ, da würde ich mich zu Tode langweilen. Ich könnte dort auch nicht so ohne Weiteres arbeiten. Wenn ich ehrlich bin, ich habe mich gar nicht darum bemüht. Ein Jahr kann man in einer Fernbeziehung gut überstehen«, sprach sich Stella selbst Mut zu.

»Na klar geht das, wenn man sich in der Zeit nicht in jemanden anderen verliebt, wie zum Beispiel in den talentiertesten und sexiesten Tänzer aller Zeiten. Sexiesten? Wie steigert man sexy?«, grinste Lilienn.

»Im Deutschen ist das schwierig, hmm, Tänzer mit dem größten Sexappeal oder erotischsten, was nicht dasselbe ist wie sexy. Sexy drückt mehr aus als nur den erotischen Aspekt«, dozierte Stella.

»Hey Stella, theoretisch bist du echt eine Expertin, aber was ist mit der Praxis? Der Kubaner gefällt dir doch, oder etwa nicht?«

»Klar, wem gefällt er nicht? Er sieht aus, als sei er direkt«, sie deutete auf das Plakat über dem Tisch »aus einem meiner Lieblingsfilme entsprungen. Um Himmels willen, ich bin absolut nicht der Typ für eine Affäre mit einem heißblütigen Tänzer. So etwas würde ich doch niemals durchziehen …. Ich meine nicht, dass ich das verurteilen würde.« Stella erinnerte sich, dass Lilienn letztes Jahr ein Abenteuer mit einem sehr viel jüngeren Mann in der Karibik hatte.

Ben kam an den Tisch, machte den beiden die üblichen Komplimente und fragte, was sie haben wollten, sie entschieden sich für Aperol Spritz.

»Hast du noch Kontakt zu Alejandro?«, fragte Stella.

»Nein, ich bin damals nach einigen Wochen wieder nach Hause geflogen und das war dann besser so. Es war wunderschön. Solche Beziehungen haben ihren Ort und ihre Zeit. Nichts für die Ewigkeit. Aber was ist schon für die Ewigkeit?« Lilienn lächelte vor sich hin und dachte kurz an Lawrence, ihre große Liebe, der ihr beinahe für immer allen Lebensmut genommen hätte.[1]

»Außerdem hat Alejandro dort einen guten Job als Tänzer, was sollte er hier machen? Es war schon einfach umwerfend schön. Und du und José habt euch auf eine Art und Weise angesehen, die mich sehr an damals erinnert hat und an mich selbst.«

»Nein, um Gottes willen, so wie ich mich da blamiert habe. Du hast gesehen, dass ich dämlicher als Bridget Jones über meine eigenen Füße gestolpert bin. So tollpatschig war ich seit meiner schrecklichen Teeniezeit nicht mehr. José wird sicher denken, dass ich total bescheuert bin. Außerdem werde ich ihn eh nie wieder sehen, das war doch sicher nur ein Gastauftritt.« Während sie das sagte, wurde Stella bewusst, dass sie eigentlich bisher keine großen Liebesgeschichten in ihrem Leben erlebt hatte. Mit Ferdinand mäanderte sie seit acht Jahren in einer harmonischen Beziehung – und vorher war da auch nichts, was großartig der Rede wert gewesen wäre. Sie kannte die gesamte Liebesliteratur theoretisch, und im Kopf hatte sie ständig irgendwelche Liebesdramen – nur nie die eigenen.

»Ich finde, er hat sehr interessiert auf dich reagiert – und dass die Mädels ein wenig den Kopf verlieren, ist er sicher gewohnt.« Lilienn, die Romantikerin, wollte noch nicht aufgeben.

»Lilienn, ich bin gebunden, ich sehe mich nicht als Freundin eines solchen Mannes.«

»Was meinst du denn mit ›solchem Mann‹?«

»Naja, schau mich an. Ich bin 34, meine Kernkompetenz liegt in dem theoretischen Wissen großer Liebesgeschichten. Die große Romantik ist nicht dazu da, dass man sie tatsächlich erlebt, die kann man nur schreiben oder eben lesen. Und mit der Erotik, ganz ehrlich, verhält es sich doch genauso. Ich bin immer fasziniert, wenn ich lese, was Frauen so beim Akt empfinden. Ich meine das ist ja alles schön – aber so wie hier manches beschrieben wird, ich bitte dich, Lilienn, solche Höhepunkte und solche tiefen Gefühle gibt es doch nur im Film oder im Buch ...«

»… oder mit einem Mann wie diesem José.« Lilienn zwinkerte verschmitzt mit der Erinnerung an Alejandro. Stella, die wohl in dieser Hinsicht noch völlig jungfräulich war, sah die Freundin fragend an. »Was meinst du nun mit einem solchen Mann?«, fragte Lilienn anstatt die  Frage, die Stella ins Gesicht geschrieben war, zu beantworten.

»Er ist das totale Gegenteil von meinem Verlobten, dem Stochastiker. Bevor Ferdinand sich für etwas entscheidet, berechnet er immer erst, wie hoch das Risiko sein könnte, und er ist total verkopft. Neulich hat er sich mit Kollegen darüber unterhalten, inwieweit das Diebstahlrisiko davon abhängig ist, zwischen welchen Autos man parkt. Ich höre manchmal gar nicht zu, wenn er solche Theorien erörtert – hm, ich frage mich gerade, ob er mir zuhört, wenn ich darüber philosophiere, warum Bogart in Casablanca die Bergman mit jenem Victor Laszlo gehen lässt und sie nicht bei sich behält. Siehst du, ich bin ebenso bloß im Kopf, nur dass mich ganz andere Themen beschäftigen«, gab Stella zu.

»Nicht, wenn du tanzt, meine Liebe, dann bist du nur im Körper. Sag mal, seit wann bist du eigentlich verlobt? Das ist ja nicht mehr so ganz zeitgemäß oder?«, warf Lilienn ein.

»Er hat mir nach zwei Jahren diesen Verlobungsring an den Finger gesteckt, stimmte mir aber zu, dass wir mit einer Hochzeit noch warten. Ich wollte ja auch nicht bei ihm einziehen, obwohl er ein traumhaftes Haus in Zehlendorf hat, aber ich mag meine Wohnung lieber. Ach, Lilienn versteh mich nicht falsch, ich bin ja glücklich mit Ferdinand, nur meine Liebe zu ihm reicht nicht, hier alles stehen und liegen zu lassen, um mit ihm zu gehen. Aber müsste es denn nicht so sein, dass ich vor Schmerz gar nicht daran denken könnte, wie es ohne ihn sein mag? Ich denke aber nur daran, was ich alles mit meiner Zeit anstellen kann, wenn ich mich endlich mehr um meine eigenen Belange kümmern kann.«

»Ganz schön viele Aber. Sei froh, Stella, dass du nicht so von ihm abhängig warst, wie ich einst von Lawrence. Das ist nicht empfehlenswert. Schau mich heute an. Es ist als hätte ich ein neues Leben geschenkt bekommen, seit er weg ist. Eine gute Beziehung ist das Schönste im Leben, eine schlechte hingegen kostet dich nur Kraft, da ist man besser allein.«

Den kommenden Sonntag verbrachte Stella in aller Ruhe, schlief aus und genoss es, nur für sich zu sein. Einfach mal im Bett liegen zu bleiben, ohne der Pflicht zu genügen, dem Mann neben ihr Kaffee zu kochen, während er in der Bäckerei frische Brötchen holte. Diese Rituale hatten zwar etwas Beruhigendes, aber mit der Zeit auch Ermüdendes.

Im Hemdchen schlurfte sie in die Küche, machte sich Kaffee und verzichtete auf die Brötchen, die sie ja heute selbst holen müsste. Im Schrank fand sie noch eine Packung Knäckebrot und strich sich genüsslich Butter und Honig drauf. Als ihr der süße Aufstrich vom Brot tropfte und sie sich die Finger ableckte, dachte sie an das gestrige Tanzerlebnis mit José, und wieder wurde ihr heiß in den Lenden und sie machte sich Musik an. Mit dem Knäckebrot in der Hand und geschlossenen Augen tanzte sie vor sich hin, träumte von José. Wie alt mochte er wohl sein? Um die 25, diese Brustmuskulatur, dieser Bauch, diese Bizeps. Die Hüften im Takt der Musik rollend, überkam sie ein riesiges Verlangen. Wie gerne wollte sie etwas Verbotenes tun. Wie das wohl war, mit so einem Mann zu schlafen, diese Ausdauer – oh mein Gott, würde sie da mithalten können?