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Mazie Phillips wächst im New York der 1920er auf. Während ihre jüngere Schwester als Tänzerin durch die Varietés tingelt und die ältere heiratet, weiß Mazie nicht, wohin. Ihr Schwager gibt ihr einen Job in seinem Kino. Tagsüber beobachtet sie aus ihrem Kassenhäuschen das lebhafte Treiben, nachts streift sie durchs Viertel. Während die Prohibition heimliche Treffen in den Bars der Stadt eine Weile lang reizvoll macht, lässt die Wirtschaftskrise die Stadt verelenden. Fortan kümmert sich Mazie um die Menschen auf der Straße.Diese untypische Heilige hat es wirklich gegeben. Hier wird sie in einer schillernden Collage aus Mazies Tagebucheinträgen und den Stimmen ihrer Freunde lebendig: Nach ihrem New York Times-Bestseller Die Middlesteins legt Jami Attenberg erneut einen Roman über eine starke Frau und ihre chaotische Familie vor - zugleich eine Liebeserklärung an New York.
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Seitenzahl: 468
Veröffentlichungsjahr: 2016
Inhalt
[Cover]
Titel
Mazies Tagebuch, 9. März 1939
Erster Teil: Grand Street
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Zweiter Teil: Surf Avenue
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Dritter Teil: Knickerbocker Village
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Danksagung
Autorenporträt
Übersetzerporträt
Über das Buch
Impressum
[Leseprobe – Die Middlesteins]
[Leseprobe – Der amerikanische Architekt]
Saint Mazie
Mazies Tagebuch, 9. März 1939
Fannie hat gestern Abend einen von ihren noblen Freunden mit zum Kino gebracht. Zuerst gab sie mir ein Bier, dann musste ich ihm die Hand schütteln. Bestechung. Er schenkte mir eine Zigarette, meine erste seit Wochen. Sie schmeckte so gut wie in meiner Erinnerung. Lauter Sachen, die ich eigentlich nicht haben soll, und siehe da, hab ich sie doch. Rosie würde mich umbringen. Wir rauchten ein Weilchen und redeten so daher. Dann sagte der Bursche zu mir, er hätte einen Anschlag auf mich vor und ein Nein käme gar nicht infrage. Ich sollte ein Buch über mein Leben schreiben.
Ich sagte: Wen interessiert schon mein Leben? Den ganzen Tag sitze ich bloß hier an der Kinokasse.
Da sagte er: Das interessiert viele, denn was wären diese Straßen ohne Sie?
Fannie hielt sich zurück und schwieg, anders als sonst. Sie beobachtete uns zwei, vielleicht auch nur ihn. Sie hat gern so junge Kerle um sich, und ich glaube, das kann ich ihr nicht mal verdenken. Der hier kriegt Punkte für sein Aussehen. So richtig geschniegelt, braungebrannt, der mediterrane Typ mit Maßanzug. Er ist gerade mal fünfundzwanzig, aber das war egal, der Haltung nach wusste er nämlich von Geburt an über das Leben Bescheid. Wie einfach das sein muss, wenn man auf alles eine Antwort hat. Wie einfach das sein muss, wenn man glaubt, man kennt die Wahrheit.
Ich sagte: So interessant bin ich nicht. Die Stadtstreicher, die haben was zu erzählen.
Da sagte er: Nein, die Stadtstreicher sind Ihretwegen interessant.
Wenn er nicht versteht, warum es sich lohnt, von denen zu reden, was soll ich dann sonst erzählen, seiner Meinung nach? Zehn Jahre meines Lebens helfe ich schon den Stadtstreichern, da kann ich sie doch nicht auslassen. Und der Kerl da, mit diesem Anzug und diesen Haaren und diesen Augen, der will, dass ich vergesse, wie sie heißen.
Ich fing an zuzumachen. Zählte das Geld, das ich schon gezählt hatte, damit er’s kapiert.
Fannie sagte: Tut mir leid, dass ich ihn mitgebracht habe.
Ich sagte: Im Venice Theater ist jeder willkommen, sogar ein Snob.
Er sagte: Sie haben etwas zu erzählen. In dieser Hinsicht irre ich mich nie. Sie sind die Königin, erzählen Sie also von Ihrem Reich.
Diese Zigarette saß auf seinen Lippen wie angewachsen. Ich hätte am liebsten noch hundert davon gehabt, aber das will der Doktor nicht. Er schob die Hand durch den Schlitz in die Zelle, bevor er ging. Ich schüttelte sie, aber dann ließen wir beide nicht los, und da fühlte ich mich wieder jung unter der Haut, als wäre ich ein Brocken Eis, der in der Sonne schmilzt. Bis nur eine Pfütze bleibt. So standen wir also da. Er hielt meine Hand, ich hielt seine.
Ich bin ein Rindvieh. Eine alte Frau. Töricht.
Er sagte: Denken Sie drüber nach.
Heute Morgen habe ich Dich dann aus dem Schrank gekramt und abgestaubt. Also gut, ich denke drüber nach.
Erster Teil Grand Street
1Auszug aus der unveröffentlichten Autobiografie von Mazie Phillips-Gordon
Man fragt mich, warum ich so viel auf der Straße bin. Ich sage, da bin ich aufgewachsen. Die Straßen hier sind schmutzig, aber sie sind ein Zuhause, und für mich sind sie schön. Stadtstreicher wissen von dieser Schönheit. Stadtstreicher lieben sie wie ihre eigene Haut. Der rötliche Staub der Straße, der Matsch in den Parks, wo sie schlafen, tief in ihre Stirnfalten gegraben, unter den Fingernägeln festgesetzt. Die Sonne und der Dreck, vermischt mit ihrem Schweiß und dem Schnaps. Der ganze Dreck. So ist die Erde. Wenn ihr die Schönheit im Dreck nicht sehen könnt, dann tut ihr mir leid. Und wenn ihr nicht sehen könnt, warum die Straßen hier was Besonderes sind, dann geht doch nach Hause.
George Flicker, Mazies Nachbar, Grand Street Nr. 285
Bevor sie als Königin der Bowery in diesen knallbunten Kleidern herumlief, mit ihrem Schlapphut aus Filz, klimpernden Armbändern und Spazierstock, und jahrelang den vielen wohnungslosen Männern half, und bevor man in Zeitungen und Zeitschriften über sie zu schreiben begann und sie eine bedeutende New Yorkerin nannte, eine Heldin hieß es sogar, vor alldem war sie einfach nur Mazie Phillips, das Mädchen, das in der Etage über mir wohnte, in das ich vielleicht ein bisschen verknallt war, ohne dass es mich eines Blickes gewürdigt hätte.
Mazies Tagebuch, 1. November 1907
Heute habe ich Geburtstag. Ich werde zehn. Dich habe ich geschenkt bekommen.
Ich bin die Tochter von Ada und Horvath Phillips. Aber die wohnen in Boston, weit weg. Ich sehe sie überhaupt nicht mehr. Sind sie dann noch meine Eltern? Mir doch egal. Mein Vater ist fies und meine Mutter einfältig.
Ich wohne jetzt in New York. Rosie sagt, ich bin New Yorkerin. Du bist mein New-York-Tagebuch.
George Flicker
Zuerst war nur Louis Gordon in der einen großen Wohnung in der zweiten Etage, er lebte ziemlich lange allein, das weiß ich noch. Ein riesiger Mann, rotes Fleisch satt. Das konnte man auf dem Korridor riechen. Wie er es kochte, meine ich. Und er war einer, der viel schwitzte. Mitten im Winter, da hatte er schon vormittags Schweißflecken. Er trug immer so einen braunen Filzhut mit blauer Feder dran – das war das Auffälligste an ihm, diese Feder. Er war kein Mann, der gern Aufmerksamkeit erregte, aber diese Feder besagte, dass es da doch irgendwas gab. Da wohnte also Louis, der große Mann, ganz allein, gleich über uns.
Wir hingegen waren zu fünft in unserer Familie, meine Mutter, mein Vater, meine Tante, mein Onkel, alle in ein kleines Zimmer gepfercht. Und noch ein Onkel, Al, der Bruder meiner Mutter, der wohnte unter der Treppe und war ständig oben bei uns in der Wohnung, wo er noch mehr von dem bisschen Platz einnahm. Ich sehe Ihr Gesicht, aber damals hat man sich wirklich da reingezwängt. Und Mazie hat sich später noch sehr verdient gemacht um meinen Onkel Al, deswegen ist er wichtig für diese Geschichte. Er ist nicht bloß mein verrückter Onkel Al, der unter der Treppe wohnte.
Okay, wir waren also manchmal zu sechst in dem einen Zimmer, aber Louis, der hatte zwei Zimmer für sich allein. Es ist beklemmend, auf so engem Raum zu wohnen. Einerseits waren wir’s gewohnt. Ich kannte gar nichts anderes als dieses Zimmer; ich wurde da reingeboren. Und wir hatten unsere kleinen Freuden. Wir hatten alle zu essen. Niemand wurde krank, niemand starb. Die Mietskasernen in der Umgebung waren verdreckt und stanken. Aber wir hatten Glück, mit diesem einen Gebäude. Wir waren zwar zusammengepfercht, hatten es aber sicher und sauber. Die Familie blieb heil. Doch wir beneideten die mit mehr Platz.
Ein bisschen Missgunst gab es also, aber trotzdem, er war unser Nachbar. Seid nett zu den Nachbarn, das hat man uns beigebracht. Meine Mutter nannte ihn immer den »stillen Riesen«, weil er so groß war, aber nie ein Geräusch machte. Man hörte kein einziges Mal den Fußboden knarren, und wir reden hier von einem Haus, wo ständig irgendwas knarrte. Jeden Muckser konnte man hören. Manchmal ging sie rauf und klopfte bei ihm, nur um sicherzugehen, dass er noch lebte. Sie machte sich Sorgen, weil er alleinstehend war; darum machte sie sich unentwegt Sorgen.
Und dann heiratet er Rosie. Man erzählt sich, dass er sie auf der Rennbahn kennengelernt hat, nicht hier in der Stadt, in Boston. Ah, ich muss überlegen … die Rennbahn hieß Readville, war damals eine große Sache, aber jetzt gibt es sie schon viele Jahre nicht mehr. Was man sich so alles erzählt, hm? (Lacht.) Er heiratet sie also und bringt sie mit nach New York. Und Rosie ist wirklich umwerfend, als sie da auftaucht, dieses schöne, dunkle, aufgesteckte Haar, die Augen mit Kajal umrandet, die Lippen dunkelrot. Sie sieht exotisch aus, wie eine Zigeunerin, ist aber Jüdin, natürlich. Und sie lächelt allen zu, weil alle ihr zulächeln. Das Mädchen sieht einfach gut aus.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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