15,99 €
Ob Anfänger oder erfahrene Autorin – alle, die schreiben, bekommen es mit Zweifeln zu tun. Ist das, was ich schreibe, gut? Hat Schreiben überhaupt einen Sinn? Wird das Buch jemals fertig? Eines Tages entschieden Jami Attenberg und ihre Freundin, die Autorin und Dozentin Anne Gisleson, dem inneren Kritiker gemeinsam die Stirn zu bieten. Zwei Wochen lang 1000 Wörter pro Tag, lautete die Challenge. Unter dem Hashtag #1000WordsofSummer teilte Attenberg den Plan mit ihren Followern, und binnen einer Stunde schlossen sich mehrere Hundert, bald mehrere Tausend Begeisterte an. Aus Jami Attenbergs Idee, das Projekt mit ermutigenden Mails zu begleiten, ist dieses Buch entstanden. Sie selbst und über fünfzig weitere namhafte Schriftsteller:innen geben empowernde Ratschläge, erklären, mit welchen Tricks sie in Schwung kommen und am Ball bleiben, wie sie ihr Selbstbewusstsein beim Schreiben pushen, sich gegen Leute behaupten, die sie von der Arbeit abhalten wollen (also in erster Linie gegen sich selbst) – und was sie tun, um den leidigen Perfektionismus in Schach zu halten. Ein Buch wie ein sanfter Schubs, endlich (wieder) mit dem Schreiben zu beginnen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 286
Veröffentlichungsjahr: 2025
Jami Attenberg
Wie du kreativ, fokussiert und produktiv schreibst – jeden Tag
Aus dem amerikanischen Englisch von Barbara Christ
Schöffling & Co.
VORAB
#1000 WORDS OF SUMMER
ABER WARUM 1000 WÖRTER?
1 SICH FÜRS SCHREIBEN ENTSCHEIDEN
WARUM ICH SCHREIBE
SCHREIBEN KOSTET NICHTS
DIE FREUDEN DES SCHREIBENS
WORAUF WARTEST DU?
UND WENN WIR EINE WEILE NICHT GESCHRIEBEN HABEN?
MAN KANN ÜBERALL SEIN UND DIESE WÖRTER SCHREIBEN
DAS SCHIFF
WIE BEGINNEN?
2 DIE JAHRESZEITEN
ÜBER DIE BRIEFE
3 WINTER
VIER WAHRHEITEN
WAS TUN DIE WÖRTER FÜR DICH?
DEINE GESCHICHTE IST ES WERT, ERZÄHLT ZU WERDEN
ROXANE GAY
SCHÄTZE DEINE KREATIVITÄT
UNSER PROZESS NIMMT VIELFÄLTIGE FORMEN AN
BRYAN WASHINGTON
TRIFF DEINE WAHL
SUSAN ORLEAN
WORUM GEHT’S?
MARIS KREIZMAN
WENN JEMAND NEIN SAGT
SARA NOVIĆ
WIE DU ERKENNST, DASS DEINE IDEE GUT IST
SCHREIBKOMPASS
RUMAAN ALAM
LAUREN OYLER
WANN MAN ÜBER ETWAS PERSÖNLICHES SCHREIBT
EMMA STRAUB
CHRISTOPHER GONZALEZ
DEIN UNIVERSUM VERÄNDERN
BENJAMIN PERCY
LEAH JOHNSON
ES GIBT DICH NUR EINMAL
SCHREIBEN IN DIE SCHAM HINEIN
MIRA JACOB
DIESE WORTE SIND FÜR DICH UND MICH
4 FRÜHLING
LAURA VAN DEN BERG
SUCH DIR EIN DATUM AUS
DIE EIGENEN FÄHIGKEITEN KENNEN
CARMEN MARIA MACHADO
WIE MAN MIT VOLLZEITJOB SCHREIBT
J. COURTNEY SULLIVAN
AMANDA MULL
WIE MAN KONTAKT HÄLT
REBECCA CARROLL
ADA LIMÓN
SCHREIBFREUNDSCHAFTEN
R.O. KWON
CYNTHIA D’APRIX SWEENEY
ICH WETTE, DAS IST DEINE GRÖSSTE ABLENKUNG
ELISSA WASHUTA
DAS ZUBEHÖR
ALEXANDER CHEE
SCHAU HOCH!
MAGGIE SHIPSTEAD
ÜBER DAS LESEN
VORBILDER
DEESHA PHILYAW
ÜBER SICHERHEIT
WAS DU TÄGLICH MIT IN DEINE ARBEIT NEHMEN SOLLTEST WIE EIN SOLDAT (DEN ICH FÜR DEN KAMPF AUSSTATTE)
JASMINE GUILLORY
JETZT SCHREIB SCHON
5 SOMMER
HEUTE WIRST DU 1000 WÖRTER SCHREIBEN
KRISTEN ARNETT
ATTICA LOCKE
DU BIST EINE PERSON, DIE SCHREIBT
MEGAN ABBOTT
MIN JIN LEE
LAUREN GROFF
DAS BESTE IST DIE TAGTRÄUMEREI
ANDREW SEAN GREER
CAMILLE T. DUNGY
MEGAN GIDDINGS
WIE MAN DAS RESERVOIR WIEDER FÜLLT
ISAAC FITZGERALD
DEINE ARBEIT LAUT VORLESEN
HANNAH TINTI
WIE MAN DIE ZEIT FINDET
MICHAEL H. WEBER
CELESTE NG
ELIZABETH McCRACKEN
WILL LEITCH
DEEP LISTENING
BÜCHER, DIE WIR UM UNSERER SICHERHEIT WILLEN ZUSAMMENSUCHEN
MEIN MANTRA
MAURICE CARLOS RUFFIN
WENN FALSCHES SCHREIBEN ZUM RICHTIGEN FÜHRT
RACHEL SYME
MORGAN PARKER
ÜBER GEFÄLLIGKEITEN
KIESE LAYMON & JAMI ATTENBERG
6 HERBST
WENN DIE KRISE GEWINNT
MELISSA FEBOS
PRODUKTIVSEIN IST KEINE FRAGE DER TUGEND
ALISSA NUTTING
HEUTE SCHREIBE ICH NICHT
LIZ MOORE
SICH DURCH TRAUER SCHREIBEN
LAILA LALAMI
SCHREIBEN FÜR DIE, DIE ES NICHT KÖNNEN
MEGAN MAYHEW-BERGMAN
REBECCA MAKKAI
KRITISCHES FEEDBACK GEBEN
KRITISCHES FEEDBACK BEKOMMEN
MEG WOLITZER
SCHREIB ES HIN, LEG ES WEG
MYCHAL DENZEL SMITH
NEU BEGINNEN
DIE FREIGABE
JOSH GONDELMAN
DIE ERSTFASSUNG WIRD NICHT OHNE MAKEL SEIN
DANTIEL W. MONIZ
FERTIG IST BESSER ALS PERFEKT
7 DAS GANZE JAHR ÜBER
PATRICIA LOCKWOOD
DU KANNST DAS
WIE ERKENNST DU, DASS DU FERTIG BIST?
DAS GROSSE ZIEL
ENTSCHEIDE DICH FÜR DAS SCHREIBEN
ÜBER DIE BEITRAGENDEN
DANK
Für Sid
Hast du schon einmal rein zufällig etwas getan, das dein Leben für immer verändert hat?
Im Frühjahr 2018 brauchten wir neue Inspiration: meine liebe Freundin Anne Gisleson, begabte Autorin eines Memoirs sowie Dozentin, und ich. Wir wollten Schwung holen für einen produktiven Sommer und unsere Energie fokussieren – auf unsere Projekte als Autorinnen. Das Dauerrauschen ausblenden, Ablenkungen widerstehen.
Anne wollte ein Konzept für ein Sachbuch fertigstellen. Sie hat zwei Kinder und sollte bald ein weiteres Jahr als Dozentin an einer lokalen Kunsthochschule abschließen, mit all dem Druck und all den Herausforderungen, die damit einhergingen. Ich wollte mein Buch zu Ende schreiben, das siebte in dreizehn Jahren. Unser Land steuerte auf die Halbzeit von Trumps Präsidentschaft zu, und wir hatten während dieser chaotischen Zeit durchgehend geschrieben. Wir brauchten beide einen neuen Impuls.
Also brainstormten wir eine Weile. Ein befreundeter Schauspieler hatte gerade ein hartes Fitness-Trainingsprogramm absolviert, um sich für einen Film in Form zu bringen. Vierzehn Tage lang machte er jeden Morgen in einem Park in Los Angeles ein intensives Cardio-Workout unter der kalifornischen Sonne. Das klang mörderisch, aber es hatte Wirkung gezeigt.
»Und wenn wir auch so ein Training absolvieren?«, fragte ich Anne. Wenn wir zwei Wochen lang konsequent jeden Tag 1000 Wörter schreiben? Die Zeitspanne kam uns machbar vor. Ein Monat hätte sich eher wie ein Job angefühlt, und in einer Woche würden wir nicht weit genug vorankommen.
»Bin dabei«, sagte sie sofort.
Wir suchten ein Datum aus, das für sie passte, nach dem Ende des Schuljahrs. Dann postete ich so nebenher auf Social Media, dass ich eine zweiwöchige intensive Schreibphase plante, zusammen mit einer Accountability-Partnerin. Innerhalb einer Stunde meldeten sich mehrere hundert Leute zurück, die mitmachen wollten. Ich beschloss, eine Mailingliste aufzusetzen und schickte E-Mails herum, um alle, die sich angemeldet hatten, zu ermuntern. Dann bat ich befreundete Autorinnen und Autoren – darunter viele, die Bestseller geschrieben hatten und von der Kritik gefeiert wurden – um ihre Goldenen Worte für diese Mails.
Am Ende dieser ersten zwei Wochen waren zweitausend Leute an Bord. Wir alle gingen mit ganz neuem Engagement an unser Handwerk. Alle posteten täglich ihre Wortanzahl auf Social Media und nahmen untereinander Kontakt auf, und im Zuge dieses Prozesses wuchs die gegenseitige Unterstützung durch Austausch und Feedback. Jemand hatte vorgeschlagen, ich solle das Projekt »1000 Words of Summer« nennen, eine Anspielung auf den Titel des Films (500) Days of Summer von 2009. Und ich war sofort einverstanden, wie immer, wenn bei diesem Projekt etwas nach einer guten und simplen Lösung klang. Wir führten den Hashtag #1000wordsofsummer ein, um unsere Arbeit nachzuverfolgen und einander zu unterstützen, und von dort aus wuchs es weiter.
Was als simple Challenge zwischen zwei Freundinnen begonnen hatte, war zur literarischen Bewegung geworden: Du schreibst 1000 Wörter am Tag, jeden Tag, konsequent für zwei Wochen, ohne Bewertungen oder Voreingenommenheit, und schaust, was dabei herauskommt. Im vergangenen Jahr waren mehr als dreißigtausend Teilnehmende dabei.
Das Projekt #1000wordsofsummer findet jeweils im Sommer statt, als Anerkennung für meine Freundinnen und Freunde, die unterrichten. Ich selbst habe nicht den Weg der Dozentin eingeschlagen, wohl aber viele Kolleginnen und Kollegen. Sie sind da draußen und setzen sich für die Entwicklung der Schreibenden von morgen ein, stellen ihr Wissen zur Verfügung und ihre Zeit, oft unter stressigen Arbeitsbedingungen und für sehr wenig Geld, und im Gegenzug haben sie im Sommer frei, um noch mehr Arbeit zu bewältigen – und nicht immer ihre eigene. Bei all der Zeit, in der sie sich um die Zukunft anderer kümmern, ist es das Mindeste, dass wir sie ein wenig unterstützen und inspirieren.
Mit jedem Jahr wächst unsere Verbindung, und viel Gutes ist daraus entstanden. Teilnehmende haben Bücher geschrieben und verkauft, die sie während unserer jährlichen Session begonnen hatten. Für manche sind daraus Schreibgruppen – und Freundschaften – erwachsen. Manche kommen Jahr um Jahr wieder, nur um diesen Moment der Verbundenheit zu erleben.
Weißt du, auch wenn aus dem, was wir schreiben, kein Millionen-Dollar-Buchvertrag wird, ist es doch wichtig, füreinander da zu sein – und für uns selbst. Wenn wir mit anderen Kontakt aufnehmen und unsere Schwierigkeiten benennen, uns dabei aber weiter anspornen, können wir alle über uns hinauswachsen. Die 1000 Wörter fließen leichter, wenn man Unterstützung spürt.
Mit genau dieser Begeisterung habe ich auch dieses Buch zusammengestellt: eine Auswahl mit bereits veröffentlichten E-Mail-Briefen, dazu neues Material von anderen Schreibenden und mir selbst. Meine Hoffnung ist, dass du diese Seiten jederzeit aufschlagen kannst und weißt, du bist nicht allein in deinem kreativen Leben – und ja, du kannst diese Arbeit schaffen.
Ich bin New-York-Times-Bestsellerautorin und habe sechs Romane, einen Band mit Kurzgeschichten und ein Memoir geschrieben. Meine Bücher wurden in sechzehn Sprachen übersetzt, und ich habe in praktisch jedem größeren Magazin in den USA Beiträge veröffentlicht. Ich habe ein kleines Haus und einen dicken Puggle, und ich führe ein ruhiges Leben in New Orleans, das ich mir hart erarbeitet habe, und all das auf der Basis meiner Wörter. Schreiben ist seit zwanzig Jahren mein Beruf, und ich habe lang und genau darüber nachgedacht, was Produktivität bedeutet, Kreativität, wie beides ineinandergreift und was für mich an jedem Tag der Woche funktioniert.
Seit ich begonnen habe, ernsthaft Bücher zu schreiben, sind 1000 Wörter täglich als normales Schreibziel für mich gesetzt. Das entspricht etwa vier mit doppeltem Zeilenabstand getippten Seiten. Wenn ich täglich 1000 Wörter schreibe, an fünf Tagen die Woche, plus minus die Zeit für Überarbeitungen, Recherchen und was der Job sonst noch mit sich bringt, dann ist nach ungefähr einem halben Jahr eine total chaotische Erstfassung fertig. Normalerweise brauche ich ein weiteres halbes Jahr, um sie so in Form zu bringen, dass ich sie anderen Leuten zeigen kann.
Die 1000 Wörter (oder was immer vergleichbar ist in dem Genre, das du gewählt hast) sind nur ein Richtwert. Mein persönlicher Richtwert, denn für mich hat er funktioniert. In den vergangenen achtzehn Jahren habe ich alle zwei Jahre ein Buch veröffentlicht, also stehe ich voll hinter dieser Vorgabe.
Aber mir geht es bei diesen 1000 Wörtern nicht nur ums Schreiben. Für mich sind sie:
ein gutes Tagespensum
ein erreichbares Ziel
ein Schritt zum Abschluss eines Projekts
eine unkomplizierte Maßeinheit für kreativen Output
Sie sind sowohl ein messbares Ziel als auch ein inspirierendes Konzept.
Ich kenne jede Menge publizierte Autorinnen und Autoren, die am Tag deutlich weniger Wörter schreiben (und andere, bei denen es viel mehr sind!) – sie alle produzieren eben, was sie produzieren müssen. Letztlich ist es nur eine Zahl. Auf keinen Fall will ich Leute in ein festgefügtes System zwängen, das womöglich gar nicht allen guttut.
Ich kann mich natürlich hinsetzen und sagen, dass die Wortanzahl wichtig ist, dass Zahlen wichtig sind, und das sind sie auch. Aber eigentlich sage ich: Im Hinblick auf das, was wir schreiben müssen oder wollen, ist es wichtig, dass wir dranbleiben, aber noch wichtiger ist, dass wir fokussiert sind. Die folgenden Briefe, die gesamte Struktur, all die Ermutigung und Unterstützung – sie sind zugänglich für alle. Du selbst musst dich nur hinsetzen und schreiben.
Ich glaube, diese 1000 Wörter sind ein Ziel, das man zuverlässig erreichen kann. Ich bin am Ende des Tages immer zufrieden, wenn ich sehe, was ich geschrieben habe. Zufriedenheit ist ein wertvoller Teil des Prozesses. Etwas tun, das uns ermutigt, weiterzumachen – auch das gehört zum Prozess dazu. Dass wir uns selbst vernünftige, aber lohnende Deadlines setzen. Dass wir uns fordern, damit wir sehen, was wir erreichen können, wozu wir imstande sind. All das ist verwoben mit dem allgemeinen Konzept, ein Ziel zu erreichen.
Im Wesentlichen versuche ich hier genau das: Ich will dir helfen, deine Ziele zu erreichen, wenn du schreibst oder kreativ arbeitest – worin sie auch immer bestehen.
Mir hilft das mit den 1000 Wörtern. Ich hoffe, es hilft dir auch.
Warum habe ich mich in meinem Leben auf diese Tätigkeit festgelegt? Im Lauf der Zeit habe ich darauf ein paar Antworten gefunden, von denen ich mir vorstellen kann, dass sie sich noch einmal ändern werden – aber ich bin über fünfzig, und es gibt ein paar Dinge, von denen ich weiß, dass sie stimmen.
Ich schreibe, weil es das ist, was ich zu bieten habe, meine am deutlichsten ausgeprägte Fähigkeit. Ich schreibe, damit sich die Menschen nicht so allein fühlen. Ich schreibe, um damit zu dienen. Ich schreibe, weil ich der Welt Botschaften mitgeben will. Ich schreibe, weil das ein politisches Statement ist, weil ich Feministin bin und von meiner Redefreiheit Gebrauch machen will. Ich schreibe, weil ich an mich glaube, und daran, dass ich etwas zu sagen habe. Ich schreibe, weil ich Künstlerin bin und wahrscheinlich verrückt werden würde, wenn ich nicht künstlerisch tätig wäre. Ich schreibe, weil es Spaß macht – ich habe echte Freude daran, wenn die Wörter vor mir auf der Seite tanzen. Ich schreibe, um mich selbst zum Lachen zu bringen. Ich schreibe, um meinen Kram zu verarbeiten. Ich schreibe, weil das mein Job ist und weil ich dafür bezahlt werde, was für mich keineswegs selbstverständlich ist. Für mich ist nichts von all dem selbstverständlich, gar nichts.
Und ich schreibe, weil ich psychische Probleme habe und Schreiben ein Weg ist, mit meiner Angst fertigzuwerden.
Was wichtig ist, fühlt sich für mich erst dann real an, wenn ich es aufgeschrieben habe, in irgendeiner Form. Selbst wenn es nur in meinem Tagebuch steht, geheim und verborgen. Meine aktuellen Themen, meine künstlerischen Träume oder Ziele gehen immer einher mit dem Bedürfnis, mich in der Welt durch meine Worte zu stabilisieren. Wie durchdringe ich das Dauerrauschen um mich herum und fange die schlichten Wahrheiten ein? Mit einem Satz wie ein Hieb.
Du hast alles, was du brauchst, um an jedem einzelnen Tag deine künstlerische Arbeit zu tun. Du hast einen Stift und Papier oder, wenn dir das lieber ist, deinen Laptop. Manche Leute nehmen gern das Handy. Ich habe alle drei Möglichkeiten durchprobiert, und manchmal, wenn ich gar nichts dabeihabe, wiederhole ich eine Idee so lange im Kopf, bis ich sie irgendwo aufschreiben kann. Was auch immer funktioniert – nutze es.
Im Gegensatz zu anderen Kunstformen braucht man außer Ideen zum Schreiben kaum Material. Und man braucht kein Publikum. Man braucht nicht mal eine offizielle Ausbildung. Ich habe zwar Schreibkurse im Grundstudium belegt, aber nie einen Master gemacht. Nach dem College habe ich keinen Zugang zu den Pfaden der akademischen Welt gefunden. Anfangs schrieb ich online und in meine Notizbücher kleine Geschichten. Meistens druckte ich sie bei irgendwelchen Gelegenheitsjobs oder im Copyshop aus. Dann heftete ich sie zu winzigen Büchern zusammen und verkaufte sie im Internet oder auf Partys, die ich gab, bis ich irgendwann so viele Geschichten geschrieben hatte, dass ein Buch daraus wurde. Ich hatte einfach viel zu sagen. Ich begriff wirklich nicht, warum andere das nicht auch ständig machen wollten. Kleine »Arts-and-Crafts«-Projekte.
Ob du nun hundert Geschichten im Kopf hast oder nur eine Geschichte aus dir herausplatzt – egal, es ist alles da. Schreiben kostet nichts, für niemanden. Du kannst machen, was du willst, wo du willst. Du kannst dir deine eigenen Regeln ausdenken, deine eigenen Universen, deinen eigenen geistreichen Dialog, wann immer du willst. Es kostet nichts, wenn wir uns die ganze Zeit gut unterhalten. Ist das nicht ein Glück?
Das Beste an einem Dasein als Autor oder Autorin ist neben dem Schreiben selbst die Community, die man mit der Zeit aufbaut. Kommerzieller Erfolg, eine gute Kritik, ein toller Buchumschlag, zu dem einen alle beglückwünschen, die vielen Likes, die man für einen Post bekommt – all das fühlt sich gut an, all das ist wichtig, weil ein gutes Gefühl und Anerkennung wichtig sind. Aber es ist auch flüchtig, nicht von Dauer. Wirklich der Mühe wert ist das Ganze für das Wachstum und die Freude daran, Wörter zu Papier zu bringen, für die Entwicklung sowohl deines Werks als auch deiner selbst als Person, nicht zu vergessen die Unterstützung, die man gibt und bekommt. All das kannst du an jedem Tag deines Lebens haben.
»Ich wollte schon immer ein Buch schreiben« – das höre ich ständig von Leuten, und ich fürchte, ich habe nie so reagiert, wie sie es erwartet haben, weil ich daraufhin nämlich nur fragen kann, warum es noch nicht passiert ist. Worauf wartest du?
Diese Reaktion ist nicht immer fair und nicht immer angebracht, denn es gibt vieles, was uns davon abhalten kann, die kreative Arbeit anzugehen: das Leben, die Familie, Jobs, Studienkredite, die unbedingt abbezahlt werden müssen, und gesundheitliche Probleme, seien sie körperlich oder psychisch. Das wöchentliche T-Ball-Spiel. Der Rasen mäht sich nicht von selbst, und echt jetzt, er ist längst fällig. Ich könnte dir also diese Frage stellen, und wenn du sofort eine Antwort parat hättest, dann würde ich die Klappe halten.
Aber wenn ich andere von euch fragen würde, hieße es daraufhin vielleicht wehmütig oder ein bisschen verlegen: »Ich weiß, ich weiß.« Ihr nehmt euch nicht die Zeit für diese wichtigen Dinge: für eure Arbeit, euer Schreiben, eure Kunst, euer kreatives Selbst. Für diese persönliche, intime Sache, die ihr euer Eigen nennen könnt.
Nein, ich werde jetzt nicht laut, aber ich bin direkt und vielleicht ein bisschen provokativ. Du hast etwas zu sagen, du träumst davon, es zu sagen. Du weißt, wie man schreibt, wie man Sätze aneinanderreiht, und du kennst den Wert, den es hat, wenn man Anfang, Mitte und Ende setzt. Es ist deine Geschichte oder die deiner Großmutter, oder es ist eine Geschichte, die du komplett erfunden hast. Sie schwirrt dir im Kopf herum. Vielleicht fühlt es sich sogar an, als wollte sie sich aus dir hervorkämpfen. Du hast immer das Bild vor Augen gehabt, wie du es tust, wie du diese Geschichte erzählst, aber den ersten Schritt hast du nie gemacht. Weil.
Wie dem auch sei – die Wörter sind da drin, und du denkst die ganze Zeit über sie nach. Hast du Angst zu erfahren, was passiert, wenn du versuchst, sie aufzuschreiben? Fürchtest du die Arbeit, die damit verbunden sein wird? Machst du dir Sorgen, dass du dich dieser besonderen Form von Wahrheit nähern musst, die nur zum Vorschein kommt, wenn man allein mit seinem Geist und seinen Worten dasitzt? Bist du feige? (Das glaube ich nicht.)
Meine Freundin, die Autorin und Filmemacherin Priyanka Mattoo, hat Jahre gewartet, bis sie anfing, ihr Memoir zu schreiben, denn: »Meine Angst war immer, dass ich sterben muss, wenn ich nicht gut schreibe, weil ich Bücher doch so sehr liebe.« Aber dann wurde ihr klar: »Wenn ich sterbe, und ich habe kein Buch geschrieben, tja, dann bin ich auch tot. Also kann ich es auch versuchen.«
Was, wenn du durch dein ganzes Leben gehst, ohne zu erfahren, ob du es gekonnt hättest? Lässt du diese Seite deiner selbst – deine kreativen Ziele – einfach an dir vorüberziehen? Erkennst du nicht, dass es eine ganz besondere Chance für dich wäre, wenn du zu schreiben versuchst, was immer du schreiben willst? Worauf wartest du?
Drei mögliche Gründe, weshalb wir mit dem Schreiben aufhören:
Wir machen eine geplante Pause aus beruflichen oder auch künstlerischen Gründen.
Das Leben schlägt zu. Durch einen Notfall oder eine Ablenkung, die wir nicht ignorieren konnten, hatten wir keine Zeit zum Schreiben, länger, als uns lieb ist oder als wir erwartet haben, und jetzt ist da das Problem, wieder zurückzufinden.
Wir haben vor Jahren aufgehört. Wir haben das Schreiben aufgegeben, als wären wir von einem alten Freund weg in eine neue Stadt gezogen, und im Lauf der Jahre haben wir die Verbindung verloren, aber wir haben ihn immer vermisst, und wir haben ihn nie vergessen. Unseren alten Freund, das Schreiben.
Ganz gleich, wie lange du schon von deiner Arbeit getrennt bist – es kann sich anfühlen wie eine Ewigkeit. Ob du dir eine Woche freinimmst oder zwei Monate, oder ob du seit dem College nicht mehr geschrieben hast. Es fühlt sich immer schwierig an, wieder zurückzufinden. Die geschriebenen Wörter wirken so fremd. Ergeben diese Sätze überhaupt einen Sinn? Sind das überhaupt Wörter? Was sind Wörter eigentlich?
Es ist jedes einzelne Mal frustrierend, nach einer Pause wieder ins Schreiben zu kommen. Jedes einzelne Mal. Es gibt nie den Moment, in dem ich meine Arbeit mühelos wieder aufnehme. Es gibt nie den Tag, an dem ich einfach wieder ins Schreiben schlüpfe wie in ein seidenes Gewand. Es ist sperrig und es ist schwer, und normalerweise braucht es Kohlehydrate, und ich habe mindestens einen Tag schlechte Laune, wenn nicht zwei. Fragt in meinem Freundeskreis nach.
Das ist ein Problem für alle Schreibenden, die ich kenne: Wie stellen wir die Verbindung zu unserer Arbeit wieder her?
Keine Sorge, Schätzchen, das wird schon.
Am Anfang musst du einfach nur deinen Platz finden. Du musst nicht mal schreiben, was du schreiben willst. Du musst einfach darüber schreiben. Schreib ein Briefchen an dich selbst. Setz dich irgendwohin, wo es ruhig ist. Erzähl dir, warum du es schreibst, was du meinst, das es werden könnte, warum du davon träumst, es zu Papier zu bringen, warum sich dieser Stift gut anfühlt in deiner Hand, warum dieses Notizbuch hübsch aussieht auf deinem Tisch, warum dieser gestohlene Moment, den du dir jetzt nimmst, wichtig ist, wie sich das Schreiben beim letzten Mal angefühlt hat, wie lange das her ist, und wie es sich anfühlt, wieder zurück zu sein, hier, mit dir selbst und deinem Hirn. Fang damit an, und dann schau, was als Nächstes passiert.
Zwanzig Jahre bevor ich mein erstes Buch schrieb, hatte ich die vage Vorstellung, dass ich irgendwann eins schreiben würde. Ich schrieb ständig, während gestohlener Momente in Cafés oder in der U-Bahn, frühmorgens, spätabends, unentwegt stieß ich Wörter aus. Ich erkannte nicht so richtig, dass ich schon in dem Prozess war, etwas zu schreiben, das schließlich ein Buch werden würde. Ab und zu schaffte ich es, einen Essay zu veröffentlichen, und es gab ein paar Zines mit meinen Kurzgeschichten, eins bei einem kleinen Verlag. Wörter brachen aus mir hervor. Ich brauchte nur einen Platz dafür.
Eine Freundin sagte zu mir: »Warum schreibst du denn jetzt kein Buch? Es wird Zeit.« Und dann bot sie mir eine Chance: einen Platz zum Wohnen über den Sommer, ein kleines Cottage in Nordkalifornien, auf dem Grundstück ihres Freundes. Er hatte einen Hund, der lange Spaziergänge brauchte – ein großer Hund, ein Tibetmastiff. Also kratzte ich Geld aus all meinen freiberuflichen Jobs zusammen und machte mich auf den Weg nach Westen.
Jeden Tag ging ich mit dem großen Hund spazieren und schrieb 1000 Wörter. Außerdem trank ich eine Menge billigen, kalten Weißwein, aß zu viel Pasta und las dutzendweise Bücher; und ich hatte mehrere Mini-Nervenzusammenbrüche, weil ich so viel allein war, und auch, weil ich beim Schreiben massenhaft emotionalen Kram loswerden konnte, Kram, von dem ich gar nicht gewusst hatte, dass er da war, aber nun war er raus, und da stand er dann, in jeweils 1000 Wörtern.
Jeden Morgen legte ich direkt nach dem Aufstehen los. Ich ging davon aus, dass ich nie wieder so reich beschenkt werden würde, mit so viel Zeit und Raum. Wenn ich das Buch jetzt nicht schrieb – wann sonst? Im Herbst würde ich zurück im Osten sein, dort eine Weile auf der Couch einer Freundin pennen und wieder arbeiten, in irgendeinem befristeten Job, den ich hasste. Was, wenn ich nach diesem Sommer nichts vorzuweisen hatte?
Als die drei Monate um waren, hatte ich die äußerst rohe Fassung eines Buchs. Was immer als Nächstes passieren würde – zumindest hatte ich das geschafft. Ich hatte keine Ahnung, wie ich nun weiter vorgehen sollte. Aber ich hatte diese Sache gemacht, die ganz allein mir gehörte.
Acht Bücher später habe ich ein paar Dinge gelernt. Es muss nicht unbedingt Sommer sein, und man braucht auch nicht unbedingt ein Cottage im Wald. Man kann überall sein und diese Wörter schreiben. Man muss es nur wollen.
Ein Gefühl der Isolation kann man im Kopf herstellen. Man kann den Hunger und das Verlangen anzapfen, etwas Neues zu schaffen. Es ist alles da. Ein Stift, Papier, und dein Hirn.
Sagen wir, die Arbeit ist das Schiff.
Und sagen wir, das Schiff muss von einer Küste zur anderen segeln. Du startest auf einer Seite, du schaffst es über ein riesiges Gewässer hinweg, und dann kannst du anlegen mit diesem Schiff. (Und hoffen wir, das Gewässer steht tatsächlich für etwas zwischen 65000 und 85000 Wörtern.) So jedenfalls sieht die Reise aus: von einer Küste übers Wasser zur anderen Küste.
Und sagen wir, du hast gerade ein Drittel des Wegs über dieses Gewässer geschafft, als sich der Wind plötzlich legt, worauf deine Segel flattern und dann in sich zusammenfallen. Oder sagen wir, auf halbem Weg zur anderen Küste wird dir klar, dass du die Karte falsch gelesen hast – du kannst immer noch den Kurs ändern, um den gewünschten Punkt zu erreichen, aber das kostet ein bisschen mehr Zeit und verlängert die Überfahrt. Oder du hast vielleicht drei Viertel des Wegs geschafft und kannst in der Ferne beinahe schon die Küste sehen, als das am wenigsten hilfreiche Mitglied deiner Schreibgruppe sagt: »Mann, ist das ein blödes Schiff. Unfassbar, dass du geglaubt hast, damit überhaupt segeln zu können.«
Widersteh dem Drang, das Schiff zu verlassen. Ich wiederhole – geh nicht von Bord. Steig nicht in das kleine Rettungsboot, um zurück ans Ufer zu paddeln. Lass dich nicht runterziehen, um dann eine Flasche Rum zu trinken und über Bord zu springen. Setz keinen Funkspruch nach Hilfe ab, um dich auf dem Luftweg nach Hause bringen zu lassen, wo du dich dann lieber für ein Jurastudium bewirbst.
Sieh zu, dass du an die Küste gelangst. Weiter nichts. Dann kannst du das Schiff auf Lecks und Dellen und Schäden untersuchen. Dann kannst du überlegen, ob es sich lohnt, das Schiff noch einmal zu segeln. Aber zuerst musst du zur anderen Seite gelangen. Der Wind wird wieder auffrischen. Kann sein, dass du paddeln musst. Aber du musst versuchen, es dorthin zu schaffen. Sonst wirst du dich für immer fragen, was wäre gewesen, wenn. Und du wirst nie erfahren, wie es auf der anderen Seite dieses Gewässers aussieht. Ich verspreche dir: Die Aussicht ist schön.
Manchmal beginnt es mit einer Stimme im Kopf, mit einer Figur, die zu uns spricht. Manchmal beginnt es mit einer großen (oder kleinen) Idee, an die wir irgendwie ständig denken müssen, die wir nicht abschütteln können. Manchmal beginnt es mit einer persönlichen Tragödie, und manchmal beginnt es mit etwas, das uns zum Lachen bringt oder uns reizt.
Wir denken: Ich kann das schreiben.
Wir suchen die Stifte zusammen, ziehen unser Lieblingsnotizbuch aus dem Stapel und laden ein paar neue Alben runter.
Oft ist mir ganz leicht zumute. Ich fühle mich beschwingt und offen und kühn. Als würde ich mich in etwas Neues verlieben.
Mit jedem Projekt lernen wir das Schreiben von vorn. Wir überzeugen uns, dass wir es können. Wir schreiben in unsere Notizbücher Briefe an uns selbst, sozusagen als Beschwörung. Wir schwören uns ein auf eine Idee; wir schwören uns ein auf uns selbst. Und los geht’s. Ein neues Projekt. Ein neues Ich.
Und dann setzen wir uns hin. Wir fangen vorne an. Es gibt keinen falschen Weg, denn im Schreiben müssen wir jedes Mal durch die Fehler hindurch, um die Lösungen zu finden. Man kann unmöglich in die falsche Richtung gehen, denn wenn wir ein neues Projekt anfangen, führt jeder Weg, den wir nehmen, in die richtige Richtung. Wir müssen nur wissen, dass wir schreiben wollen.
Dass du hier bist, hat einen Grund. Und jetzt fang an.
Wir entwickeln beim Schreiben eine regelmäßige Praxis, weil das der sicherste und direkteste Weg ist, wirklich etwas zustande zu bringen. 1000 Wörter am Tag – das klingt logisch und präzise und aufgeräumt. Der kreative Lebenszyklus umfasst aber das ganze Jahr, und er kennt Ebbe und Flut. Manchmal verläuft unser Schreibprozess eher ruhig und intim, manchmal sind wir schöpferisch und effektiv, und die Wörter fließen nur so dahin. Wenn es darum geht, Neues zu erarbeiten und etwas zu Papier zu bringen, ist der Sommer für mich meist die produktivste Zeit. Für dich ist es vielleicht eine andere, oder du legst im Lauf eines Jahres mehrere kürzere Sprints ein. Doch weil der Prozess des Schreibens für die meisten von uns in Phasen verläuft, fand ich es hilfreich, diese ins Bild der Jahreszeiten zu fassen.
Der Winter ist eine Phase der Innerlichkeit und Entwicklung. Eine Zeit, in der wir uns Fragen stellen und so die kreative Baseline in uns entwickeln. Zum Beispiel: Wie siehst du dich selbst als künstlerisch tätigen, schreibenden, schöpferischen Menschen in der Welt? Was sind deine Wünsche? Was willst du aus deiner Arbeit ziehen? Was bedeutet es für dich, so zu arbeiten? Welche Ziele – große und kleine – willst du erreichen? Wie denkst du über die Geschichte, die du erzählen musst? Der Winter ist die Zeit der Nachdenklichkeit, der Selbstbefragung und Konzentration. In dieser Zeit verstehen wir allmählich, warum wir uns für das Schreiben entschieden haben.
Im Frühling geht es um die Vorbereitung unseres Projekts, um eine Einschätzung, was wir brauchen, damit wir loslegen und möglichst produktiv sein können. Das ist der Moment zu prüfen, wovon wir uns ablenken lassen, inwiefern die Ablenkungen manchmal außer Kontrolle geraten, und auch, ob wir sie nicht selbst herstellen. Und zugleich sollten wir uns darüber bewusst werden, ob wir uns vielleicht Fortschritte absprechen, oder sogar die Fähigkeit, überhaupt anzufangen. Wie schaffen wir es, uns nicht selbst im Weg zu stehen, damit wir unser Ziel erreichen? Und wie planen wir die Zukunft unserer Arbeit? Wie schenken wir uns selbst all die Fürsorge und Aufmerksamkeit, die wir brauchen, um schreiben zu können? Wie finden wir den richtigen Platz in unserer Welt, wo wir uns für das Schreiben einrichten können? Wie bewaffnen wir uns mit allem, was wir für unser Fortkommen brauchen? Im Frühling befassen wir uns mit Produktivität und mit der Optimierung unserer Prozesse. Das ist der Moment des strategischen, analytischen und pragmatischen Denkens.
Im Sommer haben wir uns Zeit freigeschaufelt, wir haben einen Plan für die Zukunft und können uns ganz dem Neuen widmen, das wir erarbeiten wollen. (Dies ist auch die Jahreszeit, in der all das begann – mit #1000wordsofsummer!) Also, nichts wie ran – keine Angst, lasst uns Fehler machen, lasst uns einfach mit Hingabe schreiben und schauen, was wir erreichen können. Jetzt sind wir im Rhythmus, wie also nutzen wir diesen Schwung optimal aus? Insgeheim fragen wir uns, wohin das alles führen mag, doch vor allem ist das Schreiben die reine Freude.
Und im Herbst erkennen wir schließlich, dass wir Nachsicht mit uns selbst haben müssen. Wir können nicht ständig etwas leisten. Wenn im Sommer Flut war, muss nun vielleicht Ebbe sein. Wie schaffen wir es, uns nicht zu verurteilen, wenn wir eine Pause brauchen? Wie erkennen wir, dass wir innehalten und uns neu sortieren müssen? Wir sollten vor Augen haben, dass die Wörter immer für uns da sein werden, egal, was passiert.
Wir müssen herausfinden, wie wir uns sinnvoll und ehrlich durch unseren Schreibprozess bewegen. Mit den Härten des Lebens fertigwerden und erkennen, dass unsere Arbeit an ihnen nicht scheitern wird. Das sind die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Aber denk immer daran, wie viel Freude der Akt des Schreibens mit sich bringt, welcher Zauber im Erfinden neuer Ideen und Welten liegt – und geh darauf zu. Es führt immer ein Weg dorthin. Jahreszeit um Jahreszeit.
Als ich #1000wordsofsummer im fünften Jahr abgeschlossen hatte, setzte ich mich hin und las mir noch einmal all die Briefe der Autorinnen und Autoren durch, die mit ihren Worten so großzügig zum Projekt beigetragen hatten. Was ich da sah, war eine Zeitkapsel des Lebens in Amerika zwischen 2018 und 2022, mit all den Momenten des Persönlichen und des Politischen, ganz zu schweigen von der globalen Gesundheitskrise. Unsere Strukturen waren hohen Belastungen ausgesetzt – besonders unsere Familien. Und wir stellten uns neu auf für die Arbeitsweisen der heutigen Welt. Manche dieser Briefe gemahnen an diese Zeit und an das, was wir durchlebt haben.
Schauen wir uns zum Beispiel an, wie Melissa Febos frühmorgens Laufen geht, um zu Beginn des Lockdowns in New York City nicht durchzudrehen. Oder Liz Moore und Courtney Sullivan, die erzählen, was für ein Kampf es war, als Mutter während der Pandemie zu schreiben. Dann ist da Laila Lalami, die das Schreiben als Atempause nutzt und als Ablenkung von den Kämpfen der Welt. Und R.O. Kwon, die im Internet eine Schreibgruppe gründet und so zurück zu ihrer Praxis findet. Durch ihre Worte habe ich mich noch einmal sehr lebhaft an diese Zeiten erinnert.
Darüber hinaus bin ich zu der Erkenntnis gelangt, dass all die Herausforderungen, Ablenkungen, Freuden und Erfolge charakteristisch waren für diese Zeit – und auch wieder nicht. Will heißen: Auch wenn sie in unser aller Leben ein extremer Abschnitt war – und in manchen Fällen immer noch ist –, kann uns die Welt jederzeit auf unvorhergesehene Weise fordern und vielleicht auch Einfluss darauf nehmen, wie schöpferisch und produktiv wir sind. Es gibt immer einen Grund, nicht zu schreiben, aber es gibt auch immer einen Grund – und einen Weg –, wieder damit anzufangen. Und wenn du jetzt hier bist, ist dir daran gelegen, diesen Weg zu finden.
Nur eins noch: Die Briefe folgen dem ursprünglichen Wortlaut der Autorinnen und Autoren – ihre individuellen Stimmen haben Vorrang vor stilistischer Einheitlichkeit in diesem Buch.
Ich finde die Vorstellung, etwas Neues anzufangen, immer sehr spannend. Und ich habe gelernt, die Angst anzunehmen, die damit einhergeht. Jedes Mal, wenn ich mich hinsetze, um ein Projekt zu beginnen, denke ich an die Leute, die am Neujahrstag nach Coney Island kommen und dort schwimmen gehen – die Mitglieder des Polar Bear Club. Sie reißen sich im kalten Sonnenschein die Kleider vom Leib und stürzen sich ins Wasser. Woher nehmen sie den Mut? Ich bin sicher, sie denken gar nicht groß darüber nach. Sie müssen es einfach tun. Nur nicht zu viel analysieren. Klar, es wird beißen – doch danach wirst du dich super fühlen.
Wenn ich mit einem Buch aus dem Nichts anfange, ist noch keine einzige Seite getippt. Es gibt nur ein paar Ideen, die mir im Kopf herumschwirren, und handschriftliche Notizen. Normalerweise habe ich eine irgendwie vage, formlose Wahrnehmung im Hirn, wenn ich an die Figuren denke, daran, wo sie stehen, gemischt mit einer diffusen Vorstellung von ihren inneren wie äußeren Konflikten. Ich denke: Wie zum Teufel soll ich das jetzt wieder schaffen? Von null auf mehrere hundert Seiten.