Salomè: Das Blut der ersten Sünde - Andy Klemm - E-Book

Salomè: Das Blut der ersten Sünde E-Book

Andy Klemm

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Beschreibung

„Zwischen Glaube und Liebe, ist es die Hoffnung, die mich antreibt“ Der Krieg zwischen den Engländern und Franzosen im 15. Jahrhundert, raubte Ihr die Familie und brachte die Waise Salomé in die Arme der gütigen Mutter Oberin. Doch dort, wo die Sünde keinen Nährboden finden sollte, wird das schreckliche Schicksal ihrer Glaubensschwester Josefine, der Auftakt einer Reise, welche die junge Novizin nicht nur an ihrem Glauben zweifeln lässt. An der Seite des desertierten Soldaten Wentworth, beginnt für Salomé eine schicksalhafte Zeit. Gejagt von einer mysteriösen, rothaarigen Frau, getrieben von der Hoffnung auf Antworten, soll sie nicht nur die Liebe ihres Lebens finden, sondern auch ihre Bestimmung. Geborgen in ihrem Blut schlummert ein Geschenk, das ihr Leben prägen wird. Triggerwarnung: Explizite Erwähnung körperlicher und sexualisierter Gewalt.

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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
DANKSAGUNG
DER AUTOR

 

 

WELTENBAUM VERLAG

Vollständige Taschenbuchausgabe

09/2022 1. Auflage

 

Salomé – Das Blut der ersten Sünde

 

© by Andy Klemm

© by Weltenbaum Verlag

Egerten Str. 42

79400 Kandern

 

Umschlaggestaltung: © 2021 by Magicalcover

Lektorat: Hanna Seiler

Korrektorat: Gerd Hoffmann

Buchsatz: Giusy Amé

Autorenfoto: Privat / Andy Klemm

 

 

ISBN 978-3-949640-29-2

 

www.weltenbaumverlag.com

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

 

 

Printed in Germany

 

 

Andy Klemm

 

 

 

Salomé

Das Blut der ersten Sünde

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Historischer Fantasy Roman

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Widmung

 

Mein Dank und meine Liebe gehen an:

Tanja, Elyas, Cassandra, Lena (Luzi), Rikardo,

Monique, Mark, Larissa, Sören und Lou

Anne Rice (R.I.P).

 

Das Strahlen Eurer Kerzen, erhellen meine Welt.

Das ist für Euch.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Triggerwarnung:

Liebe Leser und Leserinnen, das Buch enthält explizite Erwähnung körperlicher und sexualisierter Gewalt.

 

 

 

 

 

Kapitel 1

 

 

Der Bach ergoss sich, schlängelnd wie eine Natter im hohen Gras, vorbei an den uralten Bäumen des Waldes, nahe der Hafenstadt Rouen.

Der Duft frischen Quellwassers hing in der Luft, vereinte sich mit den Noten aus Moos, Gehölz und Farnen zu einem Parfum, welches nur Mutter Natur hervorzubringen vermochte. Wie bereits seit langem nicht mehr, überwältigte es meine Sinne, irgendwie vertraut und dennoch in unerreichbarer Ferne. Meiner Nase bekannt, genoss ich jeden Atemzug an diesem Morgen, während meine Empfindungen sich der Schönheit des göttlichen Werkes labten. Eine Weile blieb ich still auf der Stelle stehen, lauschte dem Plätschern des Wassers, das sich seinen Weg durch die Windungen des Baches suchte. Ich horchte dem Gesang der Vögel, welche den Sonnenaufgang begrüßten, und fühlte mich befreit von allem, was mein Sünderherz schwerer gemacht hatte.

Als ich die Augen wieder öffnete, suchten die Sonnenstrahlen ihren Weg durch die dichten Baumkronen und erwärmten meine Wangen, dabei hob ich meinen Kopf, um mich an ihnen zu laben.

Doch es blieb nicht genug Zeit, um mich weiterhin an den sanften Liebkosungen der Natur zu erfreuen. Ein Stück von mir entfernt konnte ich das Schnarchen meines Begleiters hören. Wentworth hatte sich bereitwillig geopfert, die Nachtwache zu übernehmen, auf dass ich mich – gebettet auf weichem Moos – erholen konnte, um bei Kräften zu sein, wenn die Morgenröte uns aufrufen würde, weiterzuziehen.

Sicherlich würde er bald erwachen. Ich musste mich sputen. Kurz sah ich mich in alle Richtungen um, wollte mir sicher sein, nicht den Blicken eines Fremden die Freuden meiner Weiblichkeit feilzubieten, bevor ich meine langen, brünetten Haare zu einem Dutt band und mich meiner Kleidung entledigte. Mein Herz schmerzte, sehen zu müssen, wie tiefe Risse und Schmutz den schwarzen Stoff in ein Bettlergewand verwandelt hatten und mir war, als würde ich die Stimme der Mutter Oberin in meinen Gedanken hören.

»Salomé, bitte falte deine Kleidung ordentlich. Und lege den Rosenkranz und das Kopftuch beiseite, damit sie nicht dreckig werden, bevor du deinen Körper vom Schmutz befreist.« Sie würde mich mit ihrer mütterlichen Strenge ansehen, wie es nur ein liebendes Herz konnte, dessen einziges Begehren es war, das Beste für seine Schutzbefohlenen zu wollen.

Doch trennten mich bereits viele Tagesmärsche vom schützenden Schosse der Mutter Oberin, sowie dem hohen Schutzwall des St. Helena Klosters und ich ertappte mich dabei, ohne Reue meine Kleidung auf den Boden des Waldes zu legen.

Als ich den ersten Schritt in den Bachlauf setzte, fuhr mir eine Gänsehaut über den Rücken. Das Wasser war kalt. Bei weitem nicht so kalt, wie es das Brunnenwasser des Klosters war, wenn man zur Herbst- oder Winterzeit badete. Dennoch ließ es mich einen Moment innehalten, bevor ich tiefer hineinging. Ein schwacher Wind wehte von Osten her und ließ mich schaudern. Das Rascheln der aufgewirbelten Blätter zwang mich, den Blick über die Umgebung schweifen zu lassen. Im Unterholz bahnten sich die Bewohner des Waldes ihren Weg auf der Suche nach Futter, ließen kleinere Äste bersten und schienen dem Farn ein Eigenleben einzuhauchen. Langsam ging ich in die Hocke und benetzte meine Arme und mein Gesicht mit dem erfrischenden Nass, bevor ich auch meinen Körper und meinen Schambereich wusch.

Das Knacken eines brechenden Astes ließ mich aufschrecken. Instinktiv bedeckte ich meine Blöße, so gut wie mir möglich war, mit meinen Armen und Händen und drehte mich um. Es war Wentworth.

»Hat man Euch in der englischen Armee keinen Anstand gelehrt?« Errötend wandte ich ihm wieder meinen nackten Rücken zu. »Oder seid Ihr gar ein taktloser Rüpel, der nur nicht weiß, was sich geziemt?«

Der aus Afrika stammende Soldat würdigte mich keines Blickes, während er unbeirrt zum Bach schritt und sich niederkniete.

»Beruhigt Euch, Nonne«, brachte er mürrisch hervor, formte die Hände zu einer Schale und trank etwas Wasser. »Mich verlangt es nicht nach eurem Körper. Ich mag Blut an den Händen kleben haben, doch bin ich keiner dieser scheinheiligen Hurenböcke, welche Ihr Eminenz zu nennen pflegt.«

Meine Finger zu meiner Stirn, hin zu meinem Nabel und schließlich den Schultern führend, flüsterte ich ein leises Gebet. Ein Reflex, den ich nicht abzulegen vermochte, obgleich der Soldat mich unbewusst an die Geschehnisse innerhalb der schützenden Klostermauern erinnert hatte. Wentworth hingegen schien dies wenig zu kümmern. Er befeuchtete seine groben Hände und wusch sein Gesicht, welches ich in den zwei Tagen, die wir nun gemeinsam durch die Wälder liefen, nicht ein einziges Mal hatte lächeln sehen.

»Wie oft muss ich es Euch noch sagen, nennt mich nicht Nonne! Ich habe einen Namen, so wie Ihr!«, fuhr ich ihn an. Mein Körper zitterte. Der auffrischende Wind, gepaart mit dem kalten Wasser, raubte mir jegliche Wärme und ich sehnte mich nach meiner Kluft. »So rufe ich Euch auch nicht englischer Mörder, sondern bei Eurem richtigen Namen, oder?«

Der junge Mann erhob sich, rollte den Kopf hin und her, als habe er sich beim Schlafen den Nacken verrenkt, und sah gen Sonnenaufgang.

»Und wenn Ihr mich Nigger oder Sklave nennen würdet, ändert es nichts daran, dass ich weiterziehe, ob Ihr nun nackt und ungewaschen seid oder nicht.« Er rückte das, was von seiner Uniform übrig war, zurecht, und schien nach einem geeigneten Weg Ausschau zu halten.

»Wie ich Euch schon vor zwei Tagen sagte – wenn Ihr mich unbedingt begleiten wollt, so sei es. Aber haltet mich nicht auf und seht zu, dass Ihr Schritt haltet!«

Mit dieser Ansage, die einem militärischen Befehl gleichkam, machte er kehrt und verschwand hinter einem der hohen Büsche.

So schnell, wie es die rutschigen Steine des Flussbettes zuließen, machte ich mich daran, meine Kleidung anzulegen. Mir war bewusst, dass Wentworth seine Worte ernst meinte und er nicht auf mich warten würde. Wenn ich ihn also nicht verlieren wollte, sollte ich mich sputen, um mich nicht im Dickicht zu verlaufen.

Mein Gewand klebte an meinem noch nassen Körper, als ich eiligen Schrittes über die Äste und Brombeerbüsche huschte. Abermals verfing sich der Stoff in den Dornen und riss ein weiteres Loch hinein, schlitzte meine Beine auf und ließ mich kurz aufschreien. Manchmal glaubte ich, Wentworth wählte diese unwegsame Route mit Absicht, um mich loszuwerden. Aber wenn ich genauer darüber nachdachte, so wusste er, was er tat, und wir konnten uns sicher sein, dass uns auf diesem Pfad kaum jemand begegnen würde.

Meine von der Flucht geschundenen Füße schmerzten bei jedem Schritt. Ich verfing mich in einer Baumwurzel und fiel zu Boden.

»Warum lauft Ihr nicht direkt schreiend durch den Wald?«, konnte ich Wentworths tiefe Stimme über mir hören. »Mag sein, dass uns die Häscher meines Königs dann schneller finden.«

Ich spürte, wie er mich mit seiner Hand grob am Arm packte und auf die Füße stellte.

»Beim nächsten Mal lasse ich Euch hier liegen und gehe meiner Wege!« Zornig blickte er mit zu schlitzen geformten Augen auf mich herab. Er war ein wahrer Hüne. Ich musste den Kopf weit in den Nacken legen, wenn ich ihm in die Augen sehen wollte, und selbst auf Zehenspitzen reichte ihm meine Nase gerade mal bis zur Brust.

Ich nickte verstehend und klopfte mir die Blätter und das Moos von der Kleidung.

»Ihr blutet!« Wentworth sah auf meine Beine und Füße, welche aufgrund der vielen Dornen und Ästen einem Massaker glichen. »Das ist nicht gut. Die Hunde werden uns wittern!« Einen Augenblick lang musterte er mein Kopftuch. Noch ehe ich etwas sagen konnte, riss er es mir vom Haupt und begann, es in kleinere Stücke zu teilen. Sein großer Dolch glitt durch den Stoff wie durch Butter und ich fragte mich kurz, wie viele Kehlen er damit wohl bereits durchtrennt haben mochte. Dann ging er in die Knie und verband meine Wunden mit gekonnter Feinfühligkeit.

»Das sollte gehen.« Murmelnd erhob er sich und lief eiligen Schrittes weiter, nachdem er fertig war.

»Danke«, rief ich ihm zu, aber er schien es zu ignorieren.

 

Beinahe einen ganzen Sonnenumlauf eilten wir weiter durch das Dickicht. Ich hatte Mühe, das Tempo, welches Wentworth vorgab, zu halten. Jeden meiner Schritte mit Bedacht setzend gelang es mir, einen weiteren Sturz zu vermeiden, doch der brennende Schmerz in meinen Muskeln und den verbundenen Wunden ließen mich zurückfallen. Fast verlor ich meinen Begleiter aus den Augen, als dieser jäh stehenblieb.

Sein Kopf wandte sich in alle Himmelsrichtungen. Er schien sämtliche Sinne auf seine Umgebung zu konzentrieren und bemerkte nicht einmal, wie ich mich ihm Luft schnappend näherte.

»Was ist denn?« Mein Herz schlug mir bis zum Hals und die Erschöpfung des Marsches ließ meinen Körper um eine Ruhepause betteln.

Wentworth legte den Finger auf seine vollen, dunkelroten Lippen. »Still!«

Ich wagte kaum zu atmen, während ich ziellos um mich sah und zu verstehen versuchte, was ihn anhalten ließ.

Plötzlich versetzte er mir einen Stoß und ich fiel unsanft auf den harten Boden. Noch bevor ich etwas sagen konnte, schob mich Wentworth unter einen der Baumstämme und kroch ebenfalls darunter.

»Euer Gesicht strahlt wie eine helle Fackel in dunkelster Nacht«, flüsterte er mir zu. Er griff in den feuchten Waldboden und rieb mir unvermittelt die Erde ins Gesicht. Ich konnte den bitteren Geschmack von Moos und verrottenden Torf schmecken.

»Selbst ein Blinder würde Euch zwischen den Büschen erkennen.« Sachte, aber bestimmt drückte er meinen Kopf runter. »Seid ruhig und bleibt still liegen.«

Es kam mir wie Stunden vor, in denen ich mit der Nase auf dem Waldboden gedrückt lag, ohne wirklich zu wissen, was Wentworth damit bezweckte. Das beklemmende Gefühl zu ersticken überkam mich. Meine Lungen riefen nach frischer Luft und ich hob den Kopf.

Nur wenige Schritte von uns entfernt konnte ich die Läufe eines Pferdes erkennen, welches sich seinen Weg durch das unwegsame Gelände bahnte. Mein Blick wanderte an dem Tier hinauf und ich erkannte einen Stiefel im Steigbügel des Rosses, der mir nur zu bekannt vorkam. Wentworth trug ebensolche Stiefel. Das Schuhwerk eines Soldaten des englischen Heeres König Heinrichs V.

»Lasst die Hunde jeden Quadratmeter durchsuchen!«, befahl der Reiter und ich erkannte noch mindestens zehn weitere Soldaten, die ihm folgten. An ihren Leinen führten sie bullige Hunde und ließen die feinen Nasen ihrer Tiere jeden Busch und jeden Baum beschnuppern.

»Der Verräter muss hier sein. Weit kann er nicht gekommen sein in diesem kaum begehbaren Gelände.«

Die furchteinflößende Stimme des Reiters schallte durch den Wald und wurde von den Bäumen zurückgeworfen.

»Findet ihn!«

Wentworth griff mit seiner Hand nach meiner Schulter. Langsam schob er mich zurück und gab mir zu verstehen, ich solle unter dem Baumstamm durch in die entgegengesetzte Richtung kriechen. So leise wie möglich kroch ich voran, gefolgt von meinem Begleiter. Katzenhaft robbte er über den Waldboden und bewies wieder einmal, wie gut die Ausbildung der englischen Soldaten war.

Ich sah mich kurz um. Er deutete mir an, schneller zu machen. Als ich mich wieder umdrehte, blickte ich in die gefletschten Zähne eines Hundes. Sein nach Verwesung riechender Atem wehte mir ins Gesicht. Das Pochen meines Herzens nahm rapide zu, sodass es jegliche Geräusche in meinen Ohren übertönte. Keine Silbe wollte mir über die Lippen kommen. Ich war starr vor Angst.

»Sir, wir haben was gefunden!«, informierte der Soldat mit strenger Stimme seinen Kommandanten. Unsanft packte er mich bei den Schultern und zerrte mich auf die Beine.

»Sieht aus, als wäre unser Verräter in Begleitung!« Der Soldat lachte hämisch, während er mir sein glänzendes Schwert vor die Kehle hielt.

 

Kapitel 2

 

 

Liebe Josefiné.

Du vermagst dir nicht auszumalen, welche Todesängste ich in dem Moment durchlebte, als man mich und Wentworth aus den Büschen zerrte. Die Schwerter und Langbögen auf uns gerichtet, als wären wir der Beelzebub persönlich. Die Männer des englischen Kommandanten umkreisten uns. Manche grinsten höhnisch, andere ließen ihre gierigen Blicke über meinen Körper gleiten. Reflexartig klammerte ich mich an Wentworths starken Arm, den Schutz erhoffend, den ein unschuldiges Mädchen bei seinem Vater suchen würde.

Der Kommandant glitt elegant von seinem Hengst herab und stütze die Hände siegreich in die Hüften. Mit langen Schritten kam er auf uns zu. Unter seinem aufwändig gekämmten Schnauzbart umspielte eine Mischung aus Zufriedenheit und Häme seine dünnen Lippen. Häme darüber, die Beute, die er so sehr zu erhaschen versucht hatte, endlich in den Händen zu wissen.

»Sehr gut, Männer!« Seine Soldaten bildeten eine Lücke, sodass er zu uns vortreten konnte. »Der König wird höchst erfreut sein, dass wir dieses Stück Dreck eingefangen haben.«

Sein abfälliger Blick fiel auf Wentworth, während er seine ledernen Handschuhe auszog, und sie im nächsten Moment Wentworth ins Gesicht schlug.

»Elender Verräter! Ich hätte die Hunde auf dich hetzen sollen, auf das sie dich zerfleischen. Aber selbst den Hunden würde das Fleisch und Blut eines Verräters der Krone den Magen umdrehen!«

Abermals schlug er ihn mit seinen Handschuhen. Wentworth selbst blieb ruhig und verzog keine Miene.

»Willst du dich nicht verteidigen? Sind dir deine Worte auf der Flucht verlorengegangen?«

Der Kommandant lieferte sich mit Wentworth ein Duell der Blicke.

»Sprich, bevor ich dir die Zunge herausschneide und doch noch den Hunden zum Fraße vorwerfe!«

Wentworth zeigte keine Reaktion. Er hielt dem Blick des Mannes stand und erstmals schien ich so etwas wie ein Grinsen auf seinem Gesicht zu sehen.

»Lass uns gehen, Virgil!«, forderte er vom königlichen Heerführer. »Das schuldest du mir!«

Im nächsten Augenblick schlug der Kommandant seine geballte Faust in Wentworths Magengrube und brachte sein Gesicht nah an das meines Begleiters. Wentworth gab nur ein kurzes Schnaufen von sich.

»Ich schulde dir nichts – außer einen Strick, an dem du Baumeln wirst«, konterte der Kommandant mit flüsternder Stimme. »Und für dich Abschaum heißt es immer noch: Sir Cunningham!« Er versetzte Wentworth einen weiteren Schlag, sodass dieser nach Luft ringend in die Knie ging. Dann wanderte sein Blick zu mir.

Ich weiß nicht, ob es Furcht oder Ekel war, der mich überkam, als die Blicke des Kommandanten mich musterten, während er auf mich zuschritt. Der Soldat, welcher mich fest in seinem Griff hielt, sorgte dafür, dass ich mich nicht einen Schritt zurückbewegen konnte, als das Gesicht des Heerführers nahe an meins herankam.

»Und wer seid Ihr, wenn ich fragen darf?« Seine Stimme klang sanft, was mir einen unangenehmen Schauer über den Rücken laufen ließ. Mit seinen Fingern hob er mein Kinn an und brachte mich dazu, ihn anzusehen. Ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus, als er mir tief in die Augen sah. Ich fühlte mich hilflos wie selten zuvor und wünschte, ich hätte meinen Rosenkranz umklammern können.

»Lass sie in Frieden, Virgil!«, hörte ich Wentworth sagen, nur um Sekunden später von einem Soldaten ins Gesicht getreten zu werden.

»Schnauze, Verräter!«, beschimpfte ihn der Soldat, doch die erhobene Hand des Kommandanten gebot ihm, innezuhalten.

»Die junge Dame kann sicherlich für sich selbst sprechen.« Cunningham legte den Kopf leicht zur Seite, derweil er auf meine Antwort wartete.

»Salomé«, brachte ich mit schwacher Stimme hervor. »Mein Name ist Salomé.«

Virgil Cunningham richtete sich zu seiner vollen Größe auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Die vielen glänzenden Abzeichen auf seiner Brust blinkten in der Sonne. »Seht nur! Ein Wunder, sie kann doch sprechen.« Er lachte auf und breitete seine Arme aus, was seinen Männern ein kurzes Kichern abrang. »Nun sagt mir, holde Salomé: Was habt Ihr mit diesem Abschaum zu tun? Seid Ihr gar eine Dirne, welche er von seinem unrechtmäßig erhaltenen Sold bezahlte, um ihn auf seiner Flucht zu begleiten?« Er sah zu Wentworth und schüttelte theatralisch den Kopf. »Oder doch nur eine weitere Gegnerin der Krone Englands, welche ihr Leben am Galgen beschließen möchte?«

Ich öffnete den Mund, um die Anmaßung, ich sei eine Dirne, zu bestreiten, doch bevor ich zu Wort kam, winkte der Kommandant ab und drehte sich um.

»Einerlei«, sagte er. »Fesselt beide. Werft die Dirne auf mein Pferd und lasst den Verräter selbst laufen. Soll er zeigen, ob er den schnellen Schritten unserer Hengste etwas entgegenzusetzen hat. Aufsatteln!«

Die Männer Cunninghams zerrten Wentworth zu dem Reittier des Kommandanten und vertäuten seine Hände mit einem Seil. Er sah mich an und es schien, als wollten seine Blicke mich um Verzeihung bitten, bevor einer der Soldaten ihn abermals schlug und Wentworth kurz taumelte. Ich senkte den Blick und spürte, wie mein Magen sich krampfhaft zusammenzog.

Sie banden das andere Ende des Seils fest am Knauf des Sattels. Schließlich packte mich einer der Männer und warf mich wie ein Sack Weizen über die Schulter. Die Brust- und Schulterplatten seines Harnischs bohrten sich in meinen Leib. Zu guter Letzt warf er mich bäuchlings über den Rücken des Hengstes und schlug mir mit der flachen Hand auf das Gesäß.

»Wir werden noch unser Vergnügen mit dir haben!« Er lachte laut auf, bevor er sich zu seinen Kameraden gesellte.

Als sich der Tross aus Soldaten in Bewegung setzte, um das Dickicht des Waldes zu verlassen, konnte ich sehen, wie Wentworth stolpernd hinter dem Pferd des Kommandanten herlief. Wieder und wieder von den Schlägen und Tritten seiner ehemaligen Kameraden angetrieben, schneller zu gehen. Mehrfach stürzte er, wurde einige Meter unsanft über den Waldboden geschleift, der seine dunkle Haut mit unzähligen Wunden bedachte, bevor er wieder auf die Beine kam. Der Drang, zu ihm zu eilen, ihm auf irgendeine Weise zu helfen, war unerträglich. Meine Finger krallten sich an der Mähne des Pferdes fest, als Cunningham den braunen Araber schneller traben ließ. Es schien ihm Freude zu bereiten, seinen Gefangenen damit zu noch mehr Stürzen zu verdammen, während er sich mit stolz erhobenem Haupt seinen Weg durch das Gehölz bahnte.

»So habt doch Gnade!«, rief ich dem Kommandanten zu, doch mehr als ein Lachen zur Antwort erhielt ich nicht.

Ich weiß nicht, ob es der eigene Schmerz war, der mir das Gefühl gab, stundenlang durch den Wald geschleppt worden zu sein, oder mein Mitgefühl für Wentworth, welcher sich nach einiger Zeit kaum noch auf den Füßen halten konnte und einer schweren Last gleich mitgeschleift wurde. Doch schließlich verließen wir den Wald nahe Rouen und erreichten eine staubige Straße, welche nach Westen führte.

Cunningham gab seinem Pferd die Sporen. Ich wurde auf- und abgeworfen, als mein Körper zum Rhythmus der Hufschläge wieder und wieder auf die harten Knochen des Tieres prallte und ich schließlich das Bewusstsein verlor.

 

Ich erinnere mich vage, dass ich von dir träumte, geliebte Josefiné.

Ich sah das Strahlen in deinen himmelblauen Augen, als wir zusammen auf den Stufen der kleinen Kapelle des St. Helena Klosters saßen und den Himmel betrachteten. Wie wir näher zusammenrückten, als der Ostwind die Klänge des Krieges an unsere Ohren trug. Die Schreie der Männer, welche auf ihrer Mission, Rouen vor der Eroberung durch das englische Heer zu schützen, ihr Leben verloren. Das Klirren der Schwerter. Das Sirren der Pfeile der walisischen Langbögen, die zu viele Leben in diesem Krieg auslöschten. Die unbarmherzige Stille, als Rouen fiel und zum Eigentum der englischen Krone erklärt wurde.

Dann wandelte sich der Traum zu einem bizarren Gemälde. Ich vernahm dein Wimmern, als ich vor deinem Schlafgemach stand, um nach dir zu sehen. Das Keuchen und Stöhnen einer weiteren Person, welche ohne Scham sein Wohlgefallen durch den Korridor hallen ließ. Das Knarren der Tür zu deinem Zimmer, als ich sie einen Spalt öffnete und sah, wie eine Gestalt mit verzerrtem Gesicht sich an deinem Körper erfreute.

Abermals wandelte sich die Bühne meiner Gedanken. Finstere Nacht. Das fahle Licht des Halbmondes und eilende Schritte, welche barfuß die schützenden Mauern St. Helenas hinter sich ließen. Der Geschmack von Salz in meinem Mund. Tränen in den Augen und Furcht im Herzen, den Wald vor meinem verschwommenen Blick.

Und Wentworth. Sein Gesicht im Dunkeln, welches gerade Mal seine Augen erkennen ließ, als sich unsere Wege erstmals kreuzten.

 

Ich erwachte zu einem Gewirr aus Stimmen. Der Geruch von getrocknetem Blut und dampfender Speisen lag in der Luft. Irgendwo knisterte ein Feuer, dessen Wärme ich auf der Haut spürte. Es blendete mich zunächst, aber als sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, erkannte ich, woher die Stimmen kamen.

Auf dem kargen Boden liegend, mit gefesselten Händen und Füßen, sah ich wie Cunningham und ein prachtvoll gekleideter Mann hinter einem Tisch standen. Darauf lagen ausgebreitete Karten und hölzerne Figuren, die Pferde, Soldaten und Schiffe darzustellen schienen.

Cunningham hatte seinen Helm neben den Karten abgelegt. Seine Arme vor der Brust verschränkt, hörte er den Worten des anderen Mannes zu. Wohlgenährt, beinahe fettleibig, nichtsdestotrotz eine glänzende Rüstung tragend, die auch mir zu verstehen gab, dass es sich um einen hochrangigen Offizier der englischen Truppen handeln musste.

»Ich wusste, dass ich mich auf Euren Spürsinn verlassen kann, Cunningham!«, sprach der Mann und sah nach rechts. Langsam folgte ich seinem Blick. Dort lag Wentworth, ebenfalls gefesselt. Sein Gesicht war blutverschmiert, das linke Auge geschwollen, die Lippen aufgeplatzt von den scheinbar unzähligen Schlägen, die er ertragen musste, als ich noch bewusstlos gewesen war.

»Es wird seine Majestät sehr erfreuen, einen weiteren Verräter hinrichten zu können.« Der Offizier trat hinter dem Tisch hervor und zu Wentworth und mich. »Habt Ihr in Erfahrung gebracht, wer die Frau ist, die Ihr bei ihm fandet?«

Cunningham trat einige Schritte vor.

»Sie sagte, ihr Name sei Salomé, Sir«, gab er knapp zurück. »Ich vermute eine französische Dirne, ihren Lumpen nach zu urteilen.«

Der Offizier ging in die Hocke und sah mir ins Gesicht.

»Ich würde sagen, es ist die Kleidung einer Ordensschwester«, stellte der Mann fest. »Doch ich gebe Euch recht, Cunningham. Keine Nonne würde ihr Gewand derart verschmutzen. Sicherlich stahl sie es, um ihre gewöhnliche Herkunft zu verbergen und die Menschen zu täuschen.« Er ergriff mein Kinn und musterte mein Gesicht. »Seid Ihr eine Hure?«

»Lasst sie in Frieden!« Wentworth keuchte neben mir, bevor ich etwas sagen konnte. »Sie ist keine Hure, sie …« Der dumpfe Schlag des befehlshabenden Offiziers ließ ihn verstummen.

Sein Blick wanderte wieder zu mir.

»Ich fragte, ob Ihr eine Hure seid, Weib. Oder seid Ihr der englischen Sprache nicht mächtig?« Seine ruhige Stimme wirkte bedrohlicher, als es der strenge Tonfall Cunninghams hätte sein können. Ich versuchte zu sprechen, obwohl m

eine Kehle brannte. Der Durst ließ mich zuerst keinen Ton herausbekommen, doch schließlich hörte ich mich selbst die Vermutung verneinen.

»Ich lebe im Kloster St. Helena.«

Der Offizier stieß mein Gesicht von sich, als er sich erhob.

»Eine Glaubensschwester? Wollt Ihr mir das weismachen?« Er warf Cunningham einen amüsierten Blick zu und beide schmunzelten.

»Eine Lüge, Sir St. John«, behauptete der Heerführer.

»Oh, dessen pflichte ich Euch bei, Virgil. Dieser französische Abschaum würde alles sagen, um sein wertloses Leben zu erhalten.«

Mein Blick schweifte hilfesuchend durch die Kammer, in der wir uns befanden. Es musste sich um die Behausung eines wohlhabenden Einwohners Rouens handeln. Die Möbel aus wertvollem Holz gefertigt und die handgeknüpften Teppiche an den Wänden sprachen eine deutliche Sprache. Hier und dort prangte das englische Banner mit den drei Löwen und der Fleur-de-Lys.

»Habt Mitleid. Ich gehöre den Ordensschwestern der Mutter Oberin Marie-Claire an«, erklärte ich. »Ich stelle keine Bedrohung dar …«

Eine ruppige Handbewegung ließ mich verstummen. Mit zu Schlitzen gewordenen Augen sah St. John auf mich herab.

»Und dennoch finden wir Euch in der Gegenwart eines Verräters der englischen Krone? Ungepflegt und stinkend wie ein Schwein, sich im Schmutz suhlend mit diesem Drecksack?«

Er versetzte Wentworth einen Tritt in die Rippen. Mein Begleiter rang nach Luft und rollte sich vor Schmerzen zusammen, um seine gebrochenen Knochen zu schützen.

»Haltet mich nicht für einen Eurer französischen Bauerntölpel, die Ihr mit Euren braunen Augen und etwas nackter Haut bezirzen könnt!« Seine Stimme schwoll an. Angewidert sah er auf mich herab, bevor er sich zu Cunningham umdrehte. »Diese Hure denkt wohl, sie sei eine Märtyrerin und von Gottes Hand dazu auserkoren, uns zu blenden.«

Cunningham lachte arrogant und auch die Wachposten am Eingang konnten sich ein Kichern nicht verkneifen.

St. John ergriff ein Dokument, welches auf dem Tisch lag. Ich konnte das königliche Siegel erkennen. Der Oberbefehlshaber ergriff die Feder, tunkte sie kurz ins Tintenfass und unterschrieb das Papier mit einer schnellen Handbewegung.

»Wentworth Charles M´Tombo. Im Namen der Krone Englands spreche ich Euch den Rang eines Soldaten des englischen Heeres ab. Schuldig der Befehlsverweigerung und des unerlaubten Entfernens aus dem Heerlager. Sämtliche Belobigungen und Auszeichnungen, die Ihr in der Schlacht von Azincourt erhieltet, werden Euch unehrenhaft entzogen.« Er faltete das Dokument und reichte es Cunningham. »Fortan seid Ihr ein Feind der englischen Krone. Ein Verräter an der Gnade des Königs! Euer weiteres Schicksal wird am Hofe seiner Majestät entschieden werden. Und wenn ich hinzufügen darf: Ich hoffe, er verurteilt Euch zu einem qualvollen, langsamen Tod.«

Wentworth nahm die Worte hin, ohne darauf zu reagieren. Ich mochte mich irren, aber es schienen nicht die Schmerzen zu sein, welche ihn davon abhielten, sich vor seinen Leuten zu verteidigen. In seinen Augen las ich, dass der Stolz ihm im Wege stand.

Unwillkürlich kroch ich näher an ihn heran, wie ich es als Kind bei der Mutter Oberin getan hatte, als würde ich Schutz an seiner Seite finden. Wohl wissend, dass Wentworth dem Willen Cunnighams und des Oberbefehlshabers St. John ausgeliefert war, gab es mir das Gefühl von Geborgenheit, das ich seit jenem Tag vermisste, an dem ich das Kloster fluchtartig verlassen hatte.

»Und was soll mit der Hure geschehen, Sir?«, hörte ich Cunningham fragen. Ruckartig schoss mein Kopf in die Richtung der englischen Offiziere. St. John zuckte mit den Schultern und sah mich verächtlich an.

»Bringt sie zusammen mit dem Verräter in den Keller und legt sie in Ketten. Am Hofe des Königs werden stets neue Dienstmägde benötigt, und außerdem ...«, ein verschwörerisches Grinsen umspielte seine Lippen, »wollen Eure Männer sich vielleicht noch mit ihr amüsieren, bevor sie in die nächste Schlacht ziehen!«

Ein Beben durchzuckte meinen Körper, unfähig die Worte als das zu betrachten, was sie waren. Eine Drohung ... ohne Zweifel. Cunningham nickte verstehend und winkte zwei seiner Soldaten zu sich.

»Bringt sie in den Keller und sorgt dafür, dass sie keinen Ärger machen!«, befahl er. »Morgen zur Mittagszeit läuft das Versorgungsschiff gen England aus. Informiert den Captain, dass er zwei zusätzliche Passagiere bekommt, welche am Hofe ausgeliefert werden müssen!«

Die Soldaten salutierten. »Jawohl, Sir!«

»Cunningham!« Der Oberbefehlshaber unterbrach seine Untergebenen, als er sich seinen prunkvollen Helm auf den kahlen Kopf setzte. Der Heerführer wandte sich um. »Ich verlasse mich darauf, dass Ihr die Lage im Griff habt. Ich habe ein Treffen mit dem Erzbischof Rouens – Herodes DuSwine. Der machtgierige Franzosendrecksack scheint noch stets von dem Glauben befallen, er sei der neue Bürgermeister der Stadt, seitdem sein Vorgänger in Flammen aufging.«

Cunningham stimmte dem mit einem wortlosen Nicken zu.

»Es ist wohl an der Zeit, diesem Günstling der Borgia-Sippe deutlich zu verstehen zu geben, wer fortan das Sagen hat!«

»Ich bin mir sicher, Ihr werdet ihm mit Euren Argumenten zur Einsicht bringen, Sir«, bestätigte Cunningham. Mit einem Wink gab er seinen Männern zu verstehen, dass man Wentworth und mich entfernen sollte.

 

Die Soldaten ließen es sich nicht nehmen, uns zu beweisen, dass wir in ihren Augen nicht mehr als Dreck unter ihren Stiefeln waren. Mit Fußtritten beförderten sie uns zu einer Tür, welche in das Kellergewölbe des Gebäudes führte. Mehr stürzend als kriechend fanden wir uns am Ende einer steinernen Treppe wieder und der Geruch von verdorbenen Essen und Exkrementen stieg mir in die Nase. Übelkeit überkam mich. Noch ehe ich die Benommenheit des Treppensturzes abschütteln konnte, packte mich einer der Männer bei den Haaren und schleifte mich wie ein erlegtes Beutetier hinter sich her.

Der zweite packte Wentworths gefesselte Arme und stieß ihn voran. Mehrfach hörte ich meinen Begleiter vor Schmerzen stöhnen, als der Soldat ihm abermals gegen die gebrochenen Rippen trat, um ihn wie Vieh anzutreiben.

Man warf mich auf die Überreste eines Heuballens. An einem in die Erde geschlagenen Holzpflock war eine Kette festgemacht, welche mir der Soldat um die Ferse legte und mich anschließend von sich stieß. Dann ging er zu seinem Kameraden, welcher weiterhin versuchte, Wentworth unter Tritten und Beleidigungen in die gegenüberliegende Ecke des Gewölbes zu bringen. Gemeinsam packten sie seinen schlaffen Körper und warfen ihn gegen die Wand. Zwei Ketten, die an die kargen Ziegel mittels eines Bolzens geschlagen waren, wurden ihm um die Handgelenke gelegt, sodass er mit zur Decke gestreckten Armen in sich zusammensackte. Nichtsdestotrotz traktierten sie seinen Körper mit Schlägen und Tritten. Sie beschimpften ihn auf unaussprechliche Weise und traten sein Gemächt mit Füssen, als wollten sie ihn nicht nur demütigen, sondern auch seiner Männlichkeit berauben. Als sie endlich von ihm abließen, standen sie mit einem Grinsen im Gesicht über ihrem ehemaligen Kameraden und spuckten ihn an. Dann spürte ich die Blicke der Männer auf mir ruhen.

Ich drückte mich an die kalte Wand und zog zitternd die Knie so nah an mich heran, wie ich nur konnte. In den Augen der Männer konnte ich etwas flackern sehen. Jenes Feuer, welches ich von den Augen des Erzbischofs DuSwine her kannte, wenn er zu einer seiner vielen Besuche im Kloster angereist war. Blicke, die einer Frau einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließen und den Wunsch in ihr weckten, den Raum zu verlassen und sich in ihrer Kammer einzuschließen.

Doch mir war diese Möglichkeit nicht vergönnt. Das rostige Metall an meiner Ferse schnitt mir ins Fleisch, als ich weiter und weiter in die Ecke kroch und zu Jesu Christi betete, dass er mir diese Pein ersparen möge.

Ehe ich mich versah, packte mich einer der Soldaten an den Handgelenken und warf mich auf den Rücken ins Heu. Ein spitzer Schrei entfuhr meiner Kehle, was ihn nicht zu stören schien.

»Warte vor der Tür!«, wies er seinen Kameraden an. »Ich sage dir, wenn du an der Reihe bist.«

Ich trat um mich, schrie und weinte gleichzeitig, als die rauen Hände des Mannes über meine Schenkel glitten und ihren Weg zu meinem Schoss suchten.

»Stell dich nicht so an, Hure!«, knurrte der Soldat und zerriss mit einem kräftigen Ruck meine Kleidung, sodass mein nackter Busen freigelegt wurde. »Wird nicht dein erstes Mal sein, möchte ich wetten.« Sein übelriechender Atem wehte mir ins Gesicht. Ich schloss die Augen und spürte warme Tränen, die sich einen Weg über mein Gesicht bahnten. Mit aller Kraft versuchte ich, mich dem zu erwehren, was mir bevorstand, musste aber gegen die Kräfte eines kampferfahrenen Soldaten kapitulieren.

»Na also!«, sagte der Mann lachend, als er brutal in mich eindrang und der Schmerz zwischen meinen Beinen aufgellte. Seine harten Stoßbewegungen wurden von Agonie und Hilflosigkeit begleitet, bis mein Körper sich seinem Schicksal ergab. Gelähmt von Angst und Pein schien sich mein Bewusstsein davonzustehlen. Es glich einem Traum, einer außerkörperlichen Erfahrung, auf welche ich gezwungen war, von außen herabzuschauen.

Ich sah Wentworth, wie er schlaff in der anderen Ecke lag. Blutend und wehrlos, so wie ich es war. Der Schmerz in meinem Schritt verblasste, obgleich der Soldat mit gnadenlosem Verlangen seinen Trieben nachgab, Hammerschlägen auf einem Amboss gleich, aber ich spürte nichts mehr.

Dann sah ich dein liebliches Gesicht, geliebte Josefiné. Die Freude in deinen blauen Augen und das strahlende Lächeln, wie ich es nur allzugut in Erinnerung hatte, welches von deinen blonden Haaren umrahmt zu einem perfekten Gemälde wurde. Doch veränderte sich dein Gesichtsausdruck mit der Inbrunst eines aufziehenden Sturms. Das Strahlen verging, wandelte sich zu einer Fratze aus Furcht und Abscheu. Blutrote Tränen rannen deine zarten Wangen herab bis hin zu deinen vollen Lippen. In deinen Augen loderte die Hilflosigkeit und ich hörte deine schwache Stimme flehen: »Hört auf, Eminenz. Ich flehe euch an …«

Und der Schmerz, der meinen Körper durchflutete wie ein unbändiger Bach, der seinen Weg durch die Landschaft fand, kehrte mit Donnergrollen zurück. Riss mich in die Realität zurück und ich wusste, dass du dich genau so gefühlt haben musstest, wie ich es nun tat.

 

Als der Soldat von mir abließ und sich erhob, fiel mein Blick wieder auf Wentworth. Das verschwommene Bild, das ich erkannte, ließ mich wissen, dass er wieder bei Bewusstsein war.

Dann hörte ich die Stimme meines Peinigers.

»Du bist an der Reihe, Kamerad«, ließ er den anderen Soldaten wissen und entfernte sich etwas von mir. Ich vermochte mich nicht zu bewegen, spürte meinen eigenen Herzschlag hinter meiner Brust, nahm den widerlichen Geschmack wahr, den die Zunge des Soldaten in meinem Mund hinterlassen hatte, und schloss die Augen.

»Es tut mir leid, Salomé«, hörte ich Wentworth sagen, doch schien seine Stimme weit entfernt. »Es tut mir so leid.«

Der andere Soldat sollte in seiner Gnadenlosigkeit dem seines Kameraden in nichts nachstehen. Nur vage erinnere ich mich, wie er mich auf den Bauch drehte und der Schmerz abermals aufloderte, als er sich an meinem Gesäß vergnügte.

Ich glich einer leeren Hülle, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, bis mein Verstand die Tortur nicht mehr ertrug und die Dunkelheit mich mit sich forttrieb.

 

Als ich wieder zu mir kam, vernahm ich Wentworths Stimme, die leise nach mir rief, mich bat, aufzuwachen und ein Lebenszeichen von mir zu geben. Aber mein Körper gehorchte mir nicht. Meine Augen wollten sich nur zu schmalen Schlitzen öffnen. Ich spürte die Kälte der Zugluft über meinen Körper gleiten. Die Männer Cunninghams hatten sich nicht die Mühe gemacht, meine Blöße zu bedecken, als sie mit mir fertig waren und ich spürte, wie warmes Blut zwischen meinen Schenkeln herablief.

»Vergib mir, Vater, ich bin die Sünde …«, hörte ich mich flüstern und schlief ein. 

 

Kapitel 3

 

 

Das Erste, was ich hörte, war das Knarren hölzerner Planken. Der Duft von Meerwasser und verschiedener Kräuter, der meinen Verstand für kurze Zeit darauf hoffen ließ, mich in meiner Kammer im Kloster wiederzufinden, kroch in meine Nase. Schließlich bemerkte ich das Schaukeln und das Geräusch brechender Wellen, welches zu einer Melodie der Natur im Gleichklang mit dem Wind wurde.

Wasser fand seinen Weg über meine geborstenen Lippen und ich trank begierig, als stünde ich kurz vor dem Verdursten. Meine Kehle schmerzte bei jedem Schluck, doch mein Körper verlangte nach mehr Flüssigkeit, als hätte er seit Tagen darauf verzichten müssen.

»Langsam« drang eine Stimme an mein Ohr. »Trink langsam, Salomé.«

Ich sah auf und blickte in Wentworths dunkle Augen, der auf mich herabsah und mir mit einer Kelle das Wasser reichte. Ich lag in seinen Armen. Flackerndes Kerzenlicht ließ mich nur wenig von meiner Umgebung erkennen und mein getrübter Blick machte es mir schwer, mich zu orientieren.

Entsetzt stellte ich fest, wie Wentworths Hand in meinem Schoss lag und gegen meine Scham presste. Ich versuchte sie wegzustoßen, aber er war stärker.

»Ruhig, Salomé«, flüsterte er. »Ich will dir nichts tun. Die Kräuter werden den Schmerz lindern. Vertrau mir.«

Es brauchte einen Augenblick, bis seine Worte meinen Verstand erreichten und ich mich nicht mehr wehrte. Ich trank einen weiteren Schluck aus der Kelle und meine Augen gewöhnten sich allmählich an das diffuse Licht.

»Wo bin ich?«, brachte ich stöhnend hervor.

»Wir sind an Bord der Casscade, einem Schiff der königlichen Armee, auf dem Weg zurück nach England.«

Ich versuchte, mich aufzurichten, schaffte es aber nicht.

»Wie lange?«

»Du hast beinahe zwei Tage geschlafen. Ich hatte große Sorge, dass du nie mehr zu dir kommen würdest.«

Er nahm seine Hand von meinem Schoss und ich erkannte ein Leinentuch, welches mit mir unbekannten Kräutern und Pflanzen gefüllt war. Er tauchte es in einen Eimer Wasser, den man uns zweifelsohne zum Trinken dahingestellt hatte, und wartete einige Augenblicke. Schließlich nahm er das Tuch wieder heraus und legte es sanft in meinen Schoss zurück.

»In dem Dorf in Mosambik, wo ich geboren wurde, pflegt man die Tradition der weiblichen Beschneidung«, erklärte er. »Als Jüngling musste ich diesen Riten sehr oft beiwohnen, als meine älteren Schwestern von den Schamanen zur Frau gemacht wurden. Ich erinnere mich noch gut, welche Kräuter die Alten nutzten, um die Wunden und den Schmerz zu behandeln.«

Das Brennen klang leicht ab und ich ließ ihn gewähren.

»Woher hast du die Kräuter?«

Wentworth versuchte zu lächeln, doch seine Schmerzen verzerrten sein Gesicht zu einer Fratze.

»Einer der Seefahrer kämpfte einst zusammen mit mir an der Seite von Cunningham in der Schlacht von Azincourt. Er schuldete mir noch einen Gefallen.«

Er verzog das Gesicht, als ich mich sachte zu ihm hindrehte und dabei versehentlich seine gebrochenen Rippen berührte.

»Verzeih´ mir.«

»Schon gut. Ich habe in den vielen Schlachten für die Krone Englands durchaus schlimmeres überlebt.«

Er log, das wusste ich, doch sein Stolz schien es ihm zu verbieten zuzugeben, dass seine Schmerzen ebenso unerträglich waren wie meine. Ich versuchte mein Gewicht, so gut es ging, von seinem Körper fort zu verlagern, und konnte erkennen, dass ihm so das Atmen leichter viel.

»Was geschieht nun mit uns, Wentworth? Wird man uns töten?«

Er schien einen Moment nachzusinnen, bevor er mir antwortete.

»Ich weiß es nicht. Mir wird der Tod durch den Langbogen oder den Galgen blühen. Doch was man mit dir vorhat, vermag ich nicht zu erraten. Es tut mir leid.«

Ich glaubte für einen Moment, eine Träne in seinen Augen zu sehen.

»Dich trifft keine Schuld«, sagte ich. »Es war mein freier Wille, der mich dir folgen ließ. Wäre ich allein weitergezogen, wäre mir dieses Schicksal erspart geblieben.«

Er lehnte den Kopf gegen die Planken und starrte an die Decke.

»So starrköpfig, wie du mir entgegengetreten bist, wundert es mich nicht, dass du blindlings in dein Verderben ranntest.« Er schmunzelte etwas, als würde sich vor seinem geistigen Auge unsere erste Begegnung in den Wäldern nahe Rouens abspielen. »Ein solch willensstarkes Weibsbild ist mir bis dato nicht begegnet.«

Mit Bedacht bettete ich meinen Kopf an seine Schulter und versuchte die Schmerzen, die meinen Körper wie Blitze durchzogen, zu ignorieren.

»Sag mir, Salomé, wieso bist du fortgelaufen?« Sein Blick traf auf meinen. »War es die Angst vor den englischen Truppen oder war es etwas anderes?«

Ich wandte mich ab. Starrte ins Leere, vorbei an den Lumpen, in die man mich gekleidet hatte, und dachte zurück an die sorglosen Tage, als die schützenden Mauern des Klosters noch meine Unschuld bewahrt hatten. Die vielen Stunden, die ich mit dir als Schwester im Geiste verbringen durfte, bevor höhere Mächte entschieden, unser Schicksal in chaotische Bahnen zu lenken.

Lange vor dieser einen Nacht, als ich vor der Tür zu deiner Kammer stand und den besorgniserregenden Geräuschen lauschte, die hinter ihr erklangen. Deinem Wimmern und Flehen. Dem schweren Atmen der anderen Person, welche mit dir allein war, obgleich Mutter Oberin nach der Abendandacht stets darauf achtete, dass wir sicher in unsere Zimmer gelangten und die Türen schloss. Die Nacht, in der Samael in Gestalt eines Menschen in deine Kammer schlich, um aus dem jungen Mädchen, welches ich meine Freundin nannte, eine gebrochene Frau zu machen.

Aber was sollte ich Wentworth sagen? Ihm offenbaren, dass ich den Teufel in Menschengestalt sah, wie er seine Gelüste an dir befriedigte, so wie die Soldaten Cunninghams es mit mir taten? Dass die verzerrte Fratze des alten Mannes, welcher auf dir lag, deinen zierlichen Körper schändete wie einen wertlosen Kadaver und mich seither in meinen Alpträumen verfolgte? Dass die Kleidung, die er trug, uns von den vielen Besuchen nur zu bekannt war. Wir dem Ereignis keinen besonderen Wert beimaßen, bis du am eigenen Leib erfahren musstest, welches Verlangen sich dahinter verbarg? Wollte ich meinem unfreiwilligen Begleiter diese Bürde auf die bereits von Schmerz und Verlust gebeugten Schultern laden?

Nein! Wentworth hatte bereits zu viel für mich getan. Aus seiner anfänglichen Ablehnung mir gegenüber schien in den vergangenen Tagen so etwas wie Zuneigung geworden zu sein und er war mir zu einem Freund geworden.

»Ich wollte überleben«, hörte ich mich flüstern und hoffte, dass ihm diese Antwort genügen würde.

»Wollen wir das nicht alle?«, gab er leise zurück, bevor er seine Augen schloss und ich spürte, wie sich seine Muskeln entspannten und er sogleich einschlief. Er musste die vergangenen zwei Tage über mich gewacht haben. Vorsichtig zog ich die Beine heran, um mich an ihn zu schmiegen, wie ein Kind an seinen großen Bruder.

 

Mein Blick schweifte durch den kleinen Laderaum, in dem man mich und Wentworth gesperrt hatte. Das schwache Licht brach sich an den hölzernen Planken, welche eine Vielzahl von Schäden aufwiesen. Ich vermutete, dass wir nicht die Ersten waren, die in dieser Kammer ihre letzten Stunden verbracht hatten, bevor man sie am Hofe König Heinrichs hinrichten ließ. Von außerhalb hörte man das Rauschen der See. Entfernte Stimmen der Seefahrer, die ihren Dienst auf dem Schiff versahen und den Befehlen ihres Kapitäns ohne Widerrede Folge leisteten, sowie das Knirschen und Knarren der Deckbohlen über unseren Köpfen.

Gelegentlich fuhr mir der Schreck durch die Glieder, wenn Wentworths Muskeln zu zucken begannen und ein leises Stöhnen seine Lippen verließ. Versunken in einem Traum, dessen Inhalt ich nur vermuten konnte, schienen ihn seine Gedanken an unliebsame Erinnerungen zu quälen.

Ich strich ihm sanft über die Wangen, so wie es Mutter Oberin seinerzeit bei mir getan hatte, als Alpträume meinen Schlaf plagten.

Einer leiblichen Mutter gleich hatte sie sich zu mir auf den Rand meines Bettes gesetzt, um mir mit den Fingern sanft durch das Haar zu fahren, auf dass sich meine Träume zum Besseren wenden sollten.

---ENDE DER LESEPROBE---