Sampsons Super Zirkus - Howard Spring - E-Book

Sampsons Super Zirkus E-Book

Howard Spring

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Beschreibung

Jo und Jack sind „sozusagen Zwillinge‟, wachsen sie doch gemeinsam in einem Haus am Meer in dem idyllischen Dorf Salthaven in England auf. Doch während Jo der Sohn einer bekannten Schriftstellerin ist, ist Jack das Kind einer Frau, die es auf der Flucht vor den Schrecken des Ersten Weltkrieges nach Salthaven verschlug, wo sie aus Kummer und gebrochenem Herzen starb. Da er offensichtlich keine Verwandte gab, blieb er im Haus von Jo Mutter, und Jo und Jack sind wie Brüder. Als sie zu ihrem Geburtstag einen eigenen Wohnwagen geschenkt bekommen, ziehen sie in den Ferien zur großen Abenteuerfahrt quer durchs Land los und schließen sich unterwegs „Sampsons Super Zirkus‟ an. Es sollten die schönsten Ferien ihres Lebens werden . . . Doch wer ist der geheimnisvolle Herr Niemand, der plötzlich überall dort auftaucht, wo die beiden Jungs sind? Und warum zeigt er ein so auffälliges Interesse geraden an Jack? Dann wird die abenteuerliche Urlaubsfahrt zu einem gefährlichen Kampf auf Leben und Tod.

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Seitenzahl: 285

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Howard Spring

Sampson´s Super Zirkus

(Mein Bruder Jack)

Impressum

Sampsons Super Zirkus

Howard Sprin

© 2018 Chiara-Verlag, 66589 Merchweiler

[email protected]

Covergestaltung: Christoph Schilling unter Verwendung eines Fotos von Pixabay

Korrektorat: Elfriede Schilling

https://chiara-verlag.blogspot.com/

Wie Jack zu uns kam

Es ist noch nicht so lange her, seit Jack und ich das alles erlebten. Nicht mehr als zehn Jahre. Und doch scheint es länger.

Vennables hießen wir, Jack und Jo Vennables, und ich war Jo. Übrigens bin ich das immer noch, aber es kommt mir so vor, als ob ich über einen ändern Menschen schriebe.

Ihr hättet Jack und mich nie für Brüder gehalten, und ihr hättet recht gehabt. Denn wir waren keine. Aber sehr viele Leute glaubten, wir wären es, weil wir zusammenlebten und alles zusammen unternahmen. Selbst Jerry, unser irischer Setterhund, schien nicht zu wissen, wem von uns beiden er mehr zugetan war. Er liebte uns beide innig von dem Tag an, an dem wir ihn aus der Falle befreiten, bis zu dem Tag, an dem Jack uns für immer verließ. Aber eine Menge ist passiert zwischen diesen beiden Tagen. Ich kann mich nicht an eine Zeit erinnern, in der noch kein Jack in unserem Hause war, wohl aber meine Mutter, und aus ihrem Munde hörte ich immer wieder die Geschichte, wie Jack zu uns kam. Oftmals begann sie an Winterabenden, wenn der Wind vom Meer her blies und an den Fenstern rüttelte und sich mit großem Getöse gegen den Berg warf, der hinter unserem Haus anstieg, uns jene Geschichte zu erzählen. Ich sehe sie jetzt noch vor mir am offenen Kamin sitzen, in welchem ein Feuer aus Apfelbaumscheiten brannte. Jack und ich kuschelten auf einem Kissen neben ihr — er auf der einen und ich auf der ändern Seite —, und beide warteten wir, dass sie uns wieder die Geschichte erzähle, die wir nie müde wurden, anzuhören.

Es war gerade so eine Nacht wie diese“, fing meine Mutter an. „November — November 1914. Es war so ein prächtiger Sommer gewesen, und der Herbst erst! — nie mehr seither hat es einen solch wunderschönen Herbst gegeben. Von dem Fenster dort“, sagte sie und wies auf die nun vorsorglich zugezogenen Vorhänge hin, „pflegte ich auf unsern Garten hinauszusehen, in dem die Herbstastern beinahe so hoch wie ich selbst gewachsen waren und in dem deinem Vater, Jo, beim Holzsägen die roten Äpfel um den Kopf hingen.

Alles schien doppelt so schön, denn wir wussten, dass in Dörfern wie dem unsrigen, aber auf der ändern Seite des Ärmelkanals, der Krieg wütete. Die Explosionen der Kanonen schüttelten dort die Äpfel von den Bäumen; Dächer stürzten ein, friedliche Häuser brannten lichterloh in der Nacht und lagen am Morgen schwarz und verlassen da.

Die Leute, die in jenen Städten und Dörfern lebten, flohen vor den Heeren, die über ihr Land vorrückten. Wir lasen in der Zeitung darüber: Alte Männer und Frauen, junge Frauen und Kinder bewegten sich in Knäueln, die die Straßen verdunkelten, Tag und Nacht, so schnell sie konnten, den Küstenstädten zu, von wo aus sie mit Schiffen nach England transportiert werden sollten.

Sie marschierten mit Bündeln unterm Arm, mit kleinen Kindern auf dem Rücken, neben Pferden, Eseln und Maultieren, die die Wagen zogen, auf denen ihre Habseligkeiten aufgetürmt lagen. Sie waren hungrig und todmüde, aber sie wagten nicht anzuhalten; Stunde um Stunde schwoll der große, schwarze Strom der Flüchtlinge auf der Hauptstraße immer mehr an, denn auch aus den Seitenstraßen quollen Flüchtlingszüge. Kinder weinten; Treiber schrien auf ihre Pferde ein; müde Frauen, die nicht mehr weiter stolpern konnten, fielen hie und da aus der Reihe und saßen benommen am Wegrand; manchmal brach ein zu voll beladener Karren zusammen und blockierte die ganze Straße, weil er seine Ladung von Tischen, Stühlen und Geschirr über den Weg ergoss; und hinter diesem unendlichen Meer von Flüchtlingen lag das dumpfe Grollen der Kanonen, das sie vorwärtstrieb.“

Meine Mutter hielt einen Augenblick inne und sah starr ins Feuer, das hell aufflackerte, als Jack einen Tannenast darauf warf. Der Wind pfiff über unser Dach weg und heulte den Berg hinauf, und der Regen trommelte ans Fenster wie kleine Kieselsteine.

„Und weißt du, Jack“, redete meine Mutter ihn an und legte ihre Hand auf seinen dicken schwarzen Haarschopf, „du warst irgendwo in diesem traurigen Zug. Du sahst die Flammen, als dein Dorf in Brand geriet; du hörtest jene Kanonen, und du fuhrst durch die Nacht auf einem zweirädrigen Karren mit schnatternden Gänsen und glucksenden Hennen neben dir in einer Lattenkiste, und deine Mutter schleppte sich neben dem Wagen her. Aber du kannst dich nicht mehr daran erinnern. Du warst drei Jahre alt und schliefst fast die ganze Zeit über.

Sie war sehr jung, deine Mutter, und sehr schön; und sie hat mir die Geschichte dieser Flucht erzählt. Zum Glück war das Wetter in Belgien so schön wie hier, aber der Marsch war ein furchtbares Abenteuer, denn all die armen, fliehenden Familien wussten nicht, wann sie ihre Heimat wiedersehen würden.

Sie kamen nach England, Tausende von ihnen, und sie wurden überall im Land verteilt. Viele kamen nach Bristol, und wir in den Dörfern an der Küste wurden gefragt, ob wir auch einige Leute aufnehmen könnten. Dein Vater und ich, Jo, besprachen die Sache miteinander. Er war gerade dabei, einzurücken, und er dachte, es wäre nett für mich, wenn ich eine Belgierin als Hausgenossin hätte. So wurde die Sache denn abgemacht, und er fuhr nach Bristol im Wagen, um Madame Daviot und ihr Söhnchen abzuholen.

Und so bist du zuerst nach Salthaven gekommen, Jack. Ich war ziemlich aufgeregt an jenem Tag. Das Wetter war schlecht. Regenböen kamen von der See herein, und der Wind heulte im Garten und schüttelte die letzten paar Blätter von den Bäumen, dass sie wie goldene Federn in der Luft tanzten. Ein feiner Nebel hing in der Luft, so dass man nicht einmal den Berg hinter Großvater Sparrows Wiese sehen konnte.“

Jack überlief es heiß und kalt vor Aufregung. Die Geschichte packte ihn immer wieder aufs neue, besonders in einer solchen Nacht, wenn der Wind im Kamin heulte und der Regen aufs Dach prasselte. Er rutschte mit seinem Kissen noch näher zum Knie meiner Mutter. „Ja?“ sagte er erwartungsvoll.

„Na“, erzählte meine Mutter weiter, „ich hatte zum Glück wenig Zeit, über das Wetter nachzudenken. Das Bettzeug musste gelüftet und ein Feuer im Gastzimmer angezündet werden, damit die Gäste sich geborgen und willkommen fühlen würden. Ich suchte alle französischen Bücher, die wir im Haus hatten, zusammen und stellte sie ins Schlafzimmer deiner Mutter. Auch fand ich noch ein paar späte Blumen für sie. Ich weiß noch genau, es waren Herbstastern und ein paar Laubzweige dazwischen.

Dann musste ich das Nachtessen richten. Dein Vater, Jo, hatte mir versprochen, dass er um sieben Uhr zurück sein würde, und er kam auch sehr pünktlich. Sobald ich den Wagen vor dem Haus hörte, lief ich zur Tür. Die Brandung grollte wie Kanonendonner, und der Regen fiel in Strömen auf den Gartenweg. Alles da draußen schien eine nasse, schwarze Verwirrung, und ich war froh, dass ich alles getan hatte, um es dem armen Menschenkind von da draußen im Haus gemütlich zu machen.

Dein Vater war ein großer und starker Mann, Jo. Er trug Madame Daviot den Gartenpfad herauf und stellte sie im Vorplatz ab, als ob sie ein Lieferpaket vom Krämer sei; dann rannte er zurück und brachte das Baby herein. Er legte es in meine Arme, schlug die Tür hinter uns allen zu und brachte den Wagen in die Garage.

Da drehte ich mich nach der armen Frau um, die da so weiß und schön aussah und, vollkommen verloren, unter der Vorplatzlampe stand. Im einen Arm hatte ich immer noch Jack; mit dem ändern umfasste ich sie und sprach zu ihr: ,Du armes Wesen! Sei zu Hause bei uns.' Sie verstand meine Worte nicht, wohl aber, was ich meinte, und sie gab mir einen sehr scheuen Kuss. Dann führte ich sie in ihr Zimmer, in dem das Feuer einen warmen Schein auf die Wände warf und in das ich ein Kinderbettchen für Jack neben ihrem Bett bereitgestellt hatte. ,Jaques‘ nannte sie dich immer — aber wir haben das schon lang aufgegeben. Ich nahm ihr den Mantel ab und zog ihr ein paar alte, warme Filzpantoffel an die Füße. Jos Vater war nun auch wieder ins Haus gekommen, und wir gingen hinunter zum Abendessen. Aber vorher hatte ich sie noch schnell in unser Schlafzimmer gezogen und ihr unseren schlafenden Jo mit seinem feuerroten Haarschopf gezeigt.“

Jack sah grinsend zu mir herüber auf mein sommersprossiges Gesicht und meine rote Mähne, die bestimmt nichts von ihrer Farbe eingebüßt hatte seit der Nacht, von der meine Mutter erzählte.

„Ja, du lagst in tiefem Schlaf", sagte sie. „Und es ist höchste Zeit für euch beide, schlafen zu gehen.“

„O bitte noch nicht“, bettelte Jack. „Du kommst ja gerade zum traurigen Teil.“

„Nun, dann will ich eben zu Ende erzählen“, ließ sich meine Mutter erweichen. „Leg noch etwas Holz aufs Feuer, Jo. So, das ist besser. Ja, die Geschichte ist wahrhaftig traurig genug ... Wir taten alles, um deine Mutter wieder fröhlich zu machen, und ich bin überzeugt, auch sie selbst versuchte, Herr über ihre große Traurigkeit zu werden. Wenn ich bei ihr war, saß sie da und nähte oder strickte, aber wenn ich in ein Zimmer kam, in dem sie allein gesessen hatte, fand ich sie, wie sie, mit gefalteten Händen im Schoß, aus dem Fenster auf die See starrte.

Dann zog Jos Vater in den Krieg, und wir zwei Frauen waren mit euch zwei Jungen allein. Das war mitten im tiefsten Winter, und viele lange Abende verbrachten wir zusammen im Lampenlicht und Feuerschein, nachdem wir euch zwei zu Bett gebracht hatten. Ich sprach ein wenig französisch und sie ein paar Brocken englisch; so verständigten wir uns ganz gut, und ich gewann sie lieb. Und ich glaube, ihr ging es ebenso. Aber zu viel stürmte auf sie ein. Ich erfuhr, dass ihr Dorf im Krieg vollkommen zerstört worden und dass ihr Mann ums Leben gekommen war. Sie weinte bitterlich und sagte immer wieder, dass es nun niemand — niemand auf der ganzen Welt — mehr für sie gebe, nachdem ihr Mann jetzt tot sei. Ich versuchte, etwas über ihre Familie aus ihr herauszubringen. Aber immer wiederholte sie, jetzt gebe es niemanden mehr für sie.

Sie erholte sich nie von dem Schlag, sondern wurde bleicher und magerer, und ihre großen schwarzen Augen — genau wie die deinen, Jack — wurden noch schöner und trauriger.

Und nun, Jungens, mache ich Schluss mit dieser traurigen Geschichte. Es ist halb neun Uhr, und Jo gähnt schon.“

„Meine Mutter starb“, sagte Jack.

„Ja, deine Mutter starb.“

„Und mein Vater fiel im Krieg“, fiel ich ein.

„Ja, Jo; und dein Vater fiel.“

„Und du hast seither immer für uns gesorgt“, dachte Jack laut.

„Ja, das tat ich“, bestätigte meine Mutter. „Wer sonst? Als der Krieg vorbei war und alle Belgier heimgingen, hatte ich viele Scherereien mit den Behörden, dass ich dich hierbehalten durfte. Man suchte nach Verwandten von dir in Belgien, fand aber keine. Soviel ich herausbringen konnte, hast du auch keine. Damit musst du dich abfinden, Jack Vennables. Aber nun ins Bett mit euch beiden, sonst bringe ich euch ja nicht aus den Federn morgen früh!“

„Gute Nacht! und danke schön! Ich habe traurige Geschichten so gern.“ Mit diesen Worten schickte sich Jack an, nach oben zu gehen.

„Tatsächlich?“ antwortete meine Mutter, „ich nicht. Fort mit euch!“

Fünf Minuten später waren wir in unserem gemütlichen Schlafzimmer, von dem aus man auf die See blicken konnte. Wir guckten geschwind durch die Vorhänge, um festzu­stellen, ob ein Dampfer in Sicht war. Dann hopsten wir in unsere Betten und bliesen gemeinsam die Kerze aus, die auf dem Nachttisch zwischen uns stand.

Ein Geburtstag fängt gut an

Das war ein trauriges Kapitel, nicht wahr? Gott sei Dank ist es vorbei. Ich kann euch aber versichern: das Leben war gar nicht traurig für Jack und mich. Aber ihr musstet doch wissen, wie er nach Salthaven gekommen war und warum er ein Mitglied unserer Familie wurde; nun, so ist’s gewesen. Keiner von uns konnte sich an seinen Vater erinnern, aber wir beide hatten die reizendste Mutter auf der ganzen Welt.

Salthaven war wahrlich ein verschlafenes Dörflein, aber wir beide liebten es und hätten es um die Welt nicht anders haben wollen. Warum die Vergnügungsdampfer von Cardiff sich die Mühe machten, hier anzulegen, war uns ein Rätsel. So wenige Leute stiegen aus in Salthaven, dass es kaum der Mühe wert schien, und die, die tatsächlich ausstiegen, zogen immer gleich weiter, der Heidelandschaft von Exmoor zu.

Aber wir freuten uns, dass die Dampfer kamen. Sie waren eine willkommene Abwechslung für uns, und wir warteten immer auf dem hölzernen Landungssteg, um sie zu begrüßen und die schäumenden Wasserwirbel zu bewundern, die dann an den Pfeilern aufklatschten. Manchmal kletterten wir an den Pfeilern hinunter, sobald wir den Dampfer kommen sahen. Da drunten hing alles voller Seealgen, und es war kühl wie in einer Höhle — ein köstliches Gefühl an einem heißen Sommertag. Wir hatten Haken oben in die Pfeiler eingetrieben, damit wir unsere Kleider über dem Wasser aufhängen konnten. Wenn dann die Schaufelräder uns die schäumende Milch entgegenschickten, tauchten wir in den wirbelnden Fluten unter.

Ein Glück für uns, dass Käpt’n Hancock, der Hafenmeister, unser Freund war. Obgleich er immer so tat, als sei er uns sehr böse, ließ er uns doch gewähren. Der Käpt’n war ein sehr alter Mann — Mutter schätzte ihn auf 85 — mit einem langen, weißen Bart, der direkt unter den Augen anfing, einer weißen Mütze mit schwerer Vergoldung auf dem Schild und einem rotseidenen Taschentuch von riesigem Ausmaß. Er hatte tatsächlich sehr wenig zu tun, und ich nehme an, dass er deshalb froh war, wenn wir ihm Gesellschaft leisteten. Er zeigte uns, wie man mit Kähnen und Segelbooten umgeht. Sein eigenes kleines Boot war immer irgendwo am Landungssteg zu finden, und wir durften es benutzen, sooft wir wollten. Dann ruderten wir meist weit hinaus, bis wir die Ruder einzogen und das Boot als Sprungbrett benützten. Ach, das waren herrliche Tage, wenn wir auf dem Wasser lagen und zum blauen Himmel aufschauten.

Also, wie gesagt: das Leben war gar nicht traurig für Jack und mich. Wir waren elf Jahre alt in dem Sommer, von dem ich erzähle. Jack wusste nicht genau, wann er Geburtstag hatte, und da er etwa gleichaltrig mit mir war, wurden unsere beiden Geburtstage immer zusammen an einem Tag gefeiert: am ersten Juli, der in jenem Jahr zufällig auf einen Samstag fiel.

Dies bedeutete, dass wir nicht zur Schule mussten, und ich kann euch versichern, an jenem Morgen musste meine Mutter nicht an die Schlafzimmertür trommeln, um uns aufzuwecken. Schon um sechs Uhr morgens lagen wir beide im Fenster, um nachzuschauen, wie das Wetter werden würde.

Wir hatten, wie immer, Glück an unserem Geburtstag: es war ein prachtvoller Sommermorgen. So hingen denn unsere zwei Köpfe zum Fenster heraus: Jacks schwarzer Strubbelkopf und mein feuerroter. Sie waren direkt über dem süßduftenden Jasmin, dessen weiße Blütenwolke unter unserem Fenster emporstieg. Vor uns erstreckte sich der gelbe Sandstrand. Die See atmete so ruhig, als ob sie noch nicht erwacht sei, und die Sonne lachte uns an, als verspräche sie uns einen besonders langen und herrlichen Tag. Es sah gerade so aus, als ob die ganze Welt uns „Herzlichen Glückwunsch!“ zurufen wollte.

„Ich gratuliere dir, Jo“, sagte Jack.

„Ich gratuliere dir, Jack“, antwortete ich.

Daraufhin tanzten wir in unseren Schlafanzügen im Zimmer herum, mein Anzug war blaugestreift, seiner rotgestreift. Dann zogen wir schnell unsere Bademäntel und Turnschuhe an und stürzten uns, ohne Rücksicht, ob wir meine Mutter oder Sally, unser Dienstmädchen, wecken würden, wie ein Wirbelwind durchs Haus, zur Haustür hinaus und zur See hinunter. Das Wasser war nicht so warm, wie man hätte glauben können — das ist ja meistens so —, aber Jack rief nur einmal „Huh“ und „Brrr“, und drin war er. Nach Luft schnappend, tauchte er wieder auf und rief mir zu: „Runter, du Rotkopf, dann wirst du warm!“ Wir schwammen noch zehn Minuten lang und rannten dann ins Haus zurück.

Unser Geburtstag in jenem Jahr war wirklich ein besonderer Tag, denn wir bekamen drei wunderbare Geschenke. Das Geschenk meiner Mutter erhielten wir immer erst beim Nachmittagstee. Sie hatte das so eingeführt; auf ihre Gabe mussten wir warten, bis die Kerzen auf dem Geburtstagskuchen angezündet worden waren.

Unser erstes Geschenk kam ganz unerwartet. Wir schlenderten nach dem Frühstück hinunter zum Landungssteg und steckten wieder einmal in den sehr wenig eleganten Kleidern, die wir mit Vorliebe und wenn immer möglich trugen: graue Pullover und kurze Hosen, alte Gummistiefel und weder Hüte noch Strümpfe. Käpt’n Hancock machte schon Dienst, obgleich wir, wie schon oft, schwer feststellen konnten, worin dieser Dienst bestand. Aber er war sehr gut gekleidet. Seine Messingknöpfe glänzten nur so, und sein rotseidenes Taschentuch schaute aus der Brusttasche der dunkelblauen Uniformjacke. Durch ein Fernglas, das auf einem drehbaren Dreifuß angebracht war, spähte er auf das Meer hinaus.

„Guten Morgen, Kameraden“, rief er laut, als er unserer ansichtig wurde. „Und alles Gute zum Geburtstag!“

„Danke schön, Käpt’n, danke“, antworteten wir.

„Ich hätte ja nicht gewusst, dass es euer Geburtstag ist“, sagte er, „wenn mein Faktotum, Bill Oakum, nicht gerade im Kramladen des Dorfes gewesen wäre, als eure Mutter zweiundzwanzig Geburtstagskerzen einkaufte.

Zweiundzwanzig, dachte ich mir, niemand ist zweiundzwanzig in Frau Vennables Haus — aber ich wette bei meinem Bart: die zwei jungen Walfischfänger sind elf Jahre pro Stück. Und ’n prächtiger Anblick wird das sein: zweiundzwanzig Kerzen auf einem Kuchen doppelten Umfangs.“

„Bestimmt, Käpt’n“, erwiderte ich und fügte schnell hinzu, „kommen Sie doch, und sehen Sie ihn sich an, und versuchen Sie ihn. Wir hätten Sie beide zu gern bei uns zu Gast, nicht, Jack?“

„O ja, Käpt’n Hancock, bitte kommen Sie“, bettelte Jack, „der alte Oakum kann inzwischen auf dem Landungssteg nach dem Rechten sehen.“

„Meinen herzlichsten Dank“, brummte der alte Seemann und nahm seine goldbelitzte Mütze ab und kratzte sich mit der Hand, in der er sie hielt, zweifelnd hinten am Kopf. „Es ist eine arge Versuchung, eine arge Versuchung.“ Und dann fuhr er plötzlich fort: „Warum nicht?“ Darauf zog er uns in die kleine Bretterbude am Ende des Lan­dungsstegs, die sein Büro war.

„Etwas für euch: Geschenke!“

Er strich seinen langen Bart und überreichte Jack das Modell eines Segelschiffes, das in eine Flasche gebaut war. Und mir gab er feierlich ein feines, altes Fernglas.

„Brauche es nicht mehr“, erklärte er. „Ich habe es immer bei mir gehabt auf der Mary Lee. Das war ein Schiff, mein Junge. Ein Schiff, sag’ ich dir ...“

Er schnäuzte seine Nase in sein großes, rotes Taschentuch. Auch uns standen die Tränen in den Augen ob dieses unerwarteten Freundschaftsbeweises. So dankten wir ihm nur ganz kurz und rannten los. Jack rief noch über seine Schulter: „So bald Sie es richten können, nach vier Uhr, Käpt’n.“

und geht gut weiter

Dies war das erste Geburtstagsgeschenk an jenem denkwürdigen ersten Juli, und wir freuten uns deshalb so sehr darüber, weil wir es gar nicht erwartet hatten. Wir liefen zum Strand hinab und brachten fast eine Stunde damit zu, Land und Meer mit unserem neuen Fernglas abzusuchen. Als der Morgendampfer von Cardiff in Sicht kam, konnten wir seinen Namen schon lesen, als er noch weit weg war. Und als ob es direkt unter unserer Nase wäre, so genau sahen wir, wie der Bug die Wellen zerschnitt und sie nach rückwärts aufrollte, als wären es Hobelspäne.

Wir warteten, wer an Land kommen würde. Wie gewöhnlich war da die kleine Gruppe von Leuten mit Rucksäcken auf dem Rücken — Männer in kurzen Hosen und Mädchen in grellfarbigen Pullovern. Und alle, mit Ausnahme einer Gruppe von drei Leuten, zogen sofort ab — auch wie gewöhnlich —, als ob unser liebes Dorf nicht einmal die kürzeste Würdigung verdiene.

Dann gingen wir nach Hause, und ich versichere euch, wir waren mucksmäuschenstill, als wir das Haus betraten. Bei uns zu Hause gab es nicht viele Vorschriften. Meine Mutter war nicht eine von den Ängstlichen. Es fiel ihr nicht ein, uns dauernd zu fragen, wo wir gewesen wären oder wohin wir gingen oder was wir getrieben hätten. Selbst der Schrecken so vieler Jungen, Schmutz ins Haus zu schleifen, fiel bei uns weg; und ich fürchte, wenn Sally, das Dienstmädchen, nicht gewesen wäre, so hätte man auch unsere Hände und Gesichter nicht sorgfältig inspiziert.

Aber es gab e i n Gesetz im Haus, und wir gehorchten ihm unbedingt, denn es war fast das einzige: Kein Lärm zwischen zehn und eins!

Ich glaube, Jungen von elf Jahren wissen nie genau, wie ihr Butterbrot ins Haus kommt; aber Jack und ich hatten eine unklare Vorstellung, dass die Bücher, die meine Mutter schrieb, etwas damit zu tun hatten. Sie schrieb jeden Morgen zwischen zehn und ein Uhr, und wehe, wenn Sally während dieser heiligen Stunden eine Tür zuschlug oder einen Kochtopf fallen ließ!

Deshalb schlichen wir uns an jenem Morgen so lautlos wie Indianer auf einem Kriegspfad ins Haus zurück; und ich will versuchen, euch das Haus zu beschreiben, wie ich es damals im Julisonnenschein erblickte und seither noch oft gesehen habe.

Es lag ganz am Rand des Dorfes, und die Dorfstraße, die an ein paar Läden und dem Gasthaus „Zum Seevogel“ vorbeiführte, war, bis sie zu uns kam, nicht viel mehr als ein steiniger Wiesenweg, auf dem kaum zwei Leute nebeneinander gehen konnten. Rechts wuchs eine Brombeerhecke, und links lag unser Haus. Hohe Fuchsienstauden wuchsen innen am Zaun entlang. Dann kam ein kleines Rasenstück, das von unserem „Mädchen für alles“, Ben Bollard, wunderbar gepflegt wurde. In der Mitte des Rasens prangte ein Rosenbeet, und auf den beiden Seiten blühten altmodische Blumen in Rabatten: Hohe Malven hinten, Rittersporn, Lavendel und Löwenmaul in der Mitte, und ganz vorne die kleineren Blumen wie Stiefmütterchen und Primeln.

Das Haus hatte zwei bogenförmige Fenster unten und darüber zwei Schlafzimmerfenster. Die Hauswand selbst war fast verdeckt von Kletterrosen und einem Jasminbusch.

Ein breiter Pfad führte am Rasen entlang zur Garage.

Es stand jetzt kein Wagen mehr in der Garage; und der Wagen, den mein Vater einst besessen hatte, muss meines Erachtens sehr klein gewesen sein, wenn man damit auf dem schmalen Weg zum Haus gelangen wollte. Jetzt war die Garage nicht viel mehr als ein Werkzeugschuppen, in dem Ben Bollard die Mähmaschine und allen möglichen Kram verstaute.

Der ganze Garten hinter dem Haus bestand aus einem großen Rasenstück, das an Großvater Sparrows Wiese grenzte. Dieser Rasen wurde erst im Spätsommer geschnitten, da im Frühjahr dort Schneeglöckchen und Narzissen und Osterblumen in Hülle und Fülle wuchsen — es war eine verwunschene, kleine Wiese, die auf beiden Seiten vom Rosa und Weiß der blühenden Obstbäume eingerahmt war.

So also sah unser Haus von außen aus: nicht imposant, aber mir schien es immer ein Ort voller Schönheit und Glück. Innen strahlte es Gemütlichkeit aus, im Winter meist rötlich vom Feuerschein, und luftig inmitten von Vogelgezwitscher und Blütenduft im Sommer.

An jenem Sommermorgen, als wir uns durch den Garten stahlen, sahen wir meine Mutter vor ihrem Schreibtisch an einem der vorderen Fenster sitzen. Das Fenster stand weit offen, und wir sahen ihren Kopf mit dem roten, kurzgeschnittenen Haar über das Papier gebeugt. Sie trug eine Art Hauskleid in einem hellen Maiengrün. Wir hätten ihr gern das Schiff und das Fernrohr gezeigt und ihr gesagt, dass wir Käpt’n Hancock zum Tee eingeladen hatten, aber wir gingen leise weiter, so als träten wir in eine Kirche und Mutter sei eine Figur in einem Kirchenfenster.

Die beiden vorderen Zimmer im ersten Stock gehörten Jack und mir. Unser Schlafzimmer befand sich über dem Zimmer, in welchem meine Mutter schrieb; unser Spielzimmer war daneben, damit unsere Schritte sie nicht in ihrer Arbeit stören sollten.

Noch keine fünf Minuten waren wir oben, als etwas noch nie Dagewesenes geschah. Wir sahen die drei Leute, zwei Männer und eine Frau, die mit dem Cardiff-Dampfer gekommen waren, wieder, und zwar lagerten sie mit viel Lärm gerade außerhalb unseres Gartens auf der anderen Seite des Weges. Sie hatten ungeheuer viel Zeug und dazu noch einen jungen irischen Setterhund mitgebracht. Einer von ihnen holte einen großen, flachen Stein und stellte ein Grammophon darauf, der andere schleppte Treibholz vom Strand herbei und fing an, ein Feuer zu machen. Das Mädel packte Tassen, Büchsen, Wasserflaschen und einen Wasserkessel aus. Und alles, was sie taten, wurde von großem Gejohle und Gelächter begleitet. Jack und ich überlegten, wie lange meine Mutter dies noch mit anhören würde.

Wir brauchten nicht lange zu warten. Die Ausflügler hatten gerade ihren Kessel zum Kochen gebracht, und leere Büchsen und Butterbrotpapiere lagen überall um sie herum, da legte auch noch einer eine Grammophonplatte auf, und eine Schlagermelodie schmetterte durch die Luft. Alle drei stimmten in den Refrain ein, und selbst das Hündchen streckte seine Nase gen Himmel und tat sein Bestes, dem Chor zu helfen.

Da aber flog unsere Haustür auf, und meine Mutter lief schnurstracks über den Rasen zur Fuchsiahecke. Dort stellte sic sich auf die Zehenspitzen und sagte den Leuten auf der ändern Seite so gehörig ihre Meinung, dass Jack und ich auf unserem Zuschauerposten am Fenster vor Freude von einem Bein auf das andere hüpften.

Im Nu war es still, nur der Hund bellte weiter. Das Grammophon wurde abgedreht, das Singen hörte auf, und drei sehr überraschte Gesichter erschienen auf der ändern Seite der Hecke. Scharfe Worte flogen hin und her, und ich weiß nicht, wie alles ausgegangen wäre, wenn nicht gerade unser Dorfpolizist mit schweren Schritten des Wegs gekommen wäre. Er schimpfte so etwas wie „öffentliches Ärgernis“ durch seine Zähne, und die Ausflügler fingen an, zusammenzupacken.

Die ganze Zeit über hatte der junge Hund jedoch nicht aufgehört mit seinem Klagegeheul. Das schien selbst einem der Männer, einem Riesenkerl mit gelber Baskenmütze, zu viel. Er gab dem Hund einen Tritt und schrie: „Still, verdammtes Biest!“

Der Hund jaulte laut auf und rannte winselnd davon.

„Hoffentlich seh’ ich dich nie mehr“, knurrte der Mann noch und fuhr fort, einzupacken.

„Sie Rohling!“ rief Jack.

Meine Mutter kam über den Rasen zurück, hochrot im Gesicht. Sie sah zu uns auf und sagte mit scharfem Ton: „Genug. Keinen Laut mehr bis ein Uhr.“

So warteten wir, bis es draußen wieder ruhig geworden war. Dann gingen wir hinaus, vergruben die Büchsen, verbrannten das Papier und verwischten alle Spuren, die die unangenehmen Besucher hinterlassen hatten.

Als meine Mutter um ein Uhr wieder auftauchte, war sie so gelassen wie immer, und weder sie noch wir erwähnten die Ausflügler. Sie bewunderte Käpt’n Hancocks Geschenke sehr und fand es reizend, dass wir ihn zum Tee eingeladen hatten.

Der alte Mann erschien und begrüßte uns alle, besonders aber meine Mutter, mit ausgesuchter, altmodischer Höflichkeit.

Als Sally den Kuchen hereintrug, der im Schein seiner zweiundzwanzig Kerzen erstrahlte, stand er auf und verbeugte sich feierlich davor wie vor einem Heiligenbild in einer Prozession. Dann verneigte er sich wieder vor meiner Mutter und wartete, bis wir alle saßen; jetzt erst zog er seinen Stuhl an den Tisch und breitete sein großes, rotes Taschentuch sorgfältig auf seinen Knien aus.

Wir fanden die Geburtstagsgesellschaft wunderbar, so richtig gemütlich, und dabei waren Jack und ich doch furchtbar gespannt auf das Geschenk meiner Mutter. Sie hatte nichts gesagt, und wir hätten uns eher die Zunge abgebissen, als sie danach gefragt. Sie drückte jedem von uns ein Messer in die Hand, damit wir den Kuchen schneiden könnten. Mein Messer sägte durch die rosa Glasur mit einem angenehm knirschenden Geräusch, und ich achtete darauf, dass der Käpt’n ein Stück erhielt, auf dem keine Kerzentropfen waren.

Der alte Mann stand wieder auf und hielt seinen Kuchen in der Hand, als ob es ein Weinglas wäre und er einen Trinkspruch ausbringen wollte.

„Nun, meine jungen Kollegen“, begann er, „ich wünsche euch und allen Anwesenden Glück. Ein Kuchen mit zweiundzwanzig Kerzen — man könnte meinen, ihr seiet Zwillinge, die alles teilen. Und wie Zwillinge seid ihr auch gewesen, vom allerersten Tag an, seit Jack nach Salthaven kam. Und so möge es immer bleiben. Amen.“

„Bravo, Käpt’n“, applaudierte meine Mutter, und Jack und ich sprudelten los, obgleich uns seine Rede etwas feierlich gestimmt hatte: „Danke schön, Käpt’n Hancock. Danke...“

„Es ist erstaunlich, Käpt’n“, stellte meine Mutter fest, als wir endlich mit Essen fertig waren, „wie geduldig diese Jungen gewesen sind. Jetzt ist’s halb fünf Uhr nachmittags, und sie haben mich noch nicht einmal gefragt, was sie von mir bekommen.“

„Je nun, Madam“, sagte der Käpt’n, „sie wissen, dass Sie sie nicht vergessen haben.“

Wir alle gingen auf den langen Rasen hinter dem Haus und von dort aus langsam der Garage zu.

„Ich möchte doch wissen“, fragte meine Mutter, „warum Ben Bollard die letzten Tage über die Garagenfenster mit Säcken verdeckt hat?“ Sie rief dem Alten, der mit der Mähmaschine beschäftigt war, zu: „He, Ben, nimm mal die Säcke weg von den Fenstern und mache die Tür auf!“ Ben hinkte mit einem breiten Lachen auf seinem alten Gesicht zur Garage, und ehe wir noch viel weitergingen, hatte er die Tür geöffnet und die Säcke von den Fenstern gezogen. Etwas Apfelgrünes leuchtete uns entgegen.

In diesem Augenblick ging Jack und mir ein Licht auf. Wir rannten zur Garage.

„Was ist das?“

„Das Geschenk!“

„O sieh doch nur, Jo. Es ist..."

„Ein Zigeunerwagen! Ein grüner Wohnwagen!“

„O Mutter!“

Sprachlos vor Überraschung und Bewunderung standen wir da und sahen zu, wie der alte Bollard an der Deichsel zerrte und den allerschönsten Wohnwagen, den ich je gesehen hatte, auf den Gartenweg zog. Er war grün, mit ein paar Goldschnörkeln hie und da, und auf dem Dach war ein Kamin. Auf jeder Seite des Wagens blinkten zwei Fenster, die mit duftigen Tüllvorhängen verhangen waren.

Der Türknopf funkelte wie eine kleine Sonne. Als wir den Knopf gedreht hatten und die Tür aufging, so dass wir hineinsehen konnten, da mussten wir beide zurückspringen zu meiner Mutter und sie herzen und küssen.

Denn wir hatten Schlafkojen mit Bettdecken gesehen! Wir hatten eine hängende Petroleumlampe und einen richtigen Kamin zum Feueranmachen entdeckt! Wir hatten Stühle, einen Tisch, Geschirr und einen roten Geranienstock erspäht! Dies alles und noch mehr gab es in dem Wagen, und wir waren außer uns vor Freude.

„Gehört er uns?“ rief Jack, der kaum glauben konnte, dass dieses stolze und glänzende Gefährt unter die Kategorie von „Geburtstagsgeschenken“ fallen konnte.

„Ja“, sagte meine Mutter, „er gehört euch beiden, und ich hoffe, dass ihr mich manchmal auch mitnehmt.“

„Er muss einen Haufen Geld gekostet haben, Madam“, sagte der Käpt’n und sah ganz ehrfürchtig drein.

„Nicht so viel, wie Sie denken“, antwortete meine Mutter. „Heutzutage will alles Wohnwagen, die vom Auto gezogen werden können; diesen Wagen erstand ich gebraucht und sehr billig und ließ ihn dann frisch herrichten. Autogestank im Wohnwagen! Nein, ich danke!“

„Ganz recht, Madam. Auch ich bin für die gute, alte Zeit“, meinte der Käpt’n. „Die Zeit, zu der ein Schiff noch Flügel hatte. Ah, die Mary Lee, die flog nur so vor dem Wind dahin, ein Prachtschiff war sie...“

„Wir werden ein Pferd mieten müssen, wenn wir losziehen wollen“, sagte meine Mutter. „Ich kann mir leider kein eigenes Pferd halten.“

Mutter, Jack und ich setzten uns in den Wohnwagen, während sich der alte Bollard auf der Deichsel stationierte. Käpt’n Hancock aber hatte seine Ziehharmonika vorgeholt, und da saß er nun auf der Hintertreppe des Zigeunerwagens und spielte uns seine geliebten Seemannslieder.

. und findet einen glänzenden Abschluss

Endlich hatte sich Käpt’n Hancock verabschiedet, und wir hatten Zeit gehabt, uns alles genau zu besehen. Jede Schublade war ein dutzendmal geöffnet worden; die Leintücher und Decken waren von den Kojen gezogen, begutachtet, wieder gefaltet und zurückgelegt worden; den kleinen Kochherd neben dem offenen Kamin hatten wir inspiziert und gebilligt. Wir hatten uns an den Tisch gesetzt, um auszuprobieren, wie man sich da vorkam, und zündeten, nachdem wir die Vorhänge zugezogen hatten, die Petroleumlampe an. Sie roch gar nicht schlecht und strahlte ein schönes Licht aus.

Ich glaube, es gab nichts, was wir nicht anfassten, von den Tassen und Tellern mit ihrem netten Vergissmeinnichtmuster an bis zu den Büchern, die auf einem kleinen Brett über dem Tisch standen. Der Tisch konnte heruntergeklappt werden, das gab dann beinahe doppelt soviel Platz im Wagen!

Aber nun mussten wir mit dieser angenehmen Beschäftigung aufhören. Nur ungern halfen wir Ben Bollard, den Wagen wieder in die Garage zurückzuschieben.

Was für ein wunderbarer Geburtstag das gewesen war! Nicht nur der Tag selbst war befriedigend, sondern er hatte auch noch die Verheißung künftiger Freuden gebracht! Denn Jack und ich würden uns nun nicht zufrieden geben, bis unser grünes Haus auf Rädern mit uns durchs Land schaukelte.

Ich kann euch versichern, wir hatten viel zu besprechen an jenem Abend, und da es erst sechs Uhr war, wir aber erst um halb neun Uhr ins Bett mussten, dachten wir, wir könnten noch ein wenig Spazierengehen. Es gab eine Lücke in der niederen Gartenhecke hinter dem Haus, durch die man in die Wiese des alten Sparrow gelangen konnte. Er hatte nie etwas dagegen, vorausgesetzt, dass wir uns am Rand hielten und nicht das Gras zertrampelten, wenn es schnittreif war.

Und ich weiß noch, es w a r schnittreif an jenem Abend. Wahrscheinlich würden wir an einem der nächsten Morgen durch das Surren der Mähmaschine geweckt werden und könnten Zusehen, wie die breiten Mahden fielen und so still lagen, als seien sie dankbar für die Ruhe nach der dauern­den Bewegung den Sommer über.

Aber an jenem Tag war das Feld voll tanzender Farben unter den langen Strahlen der Abendsonne.

„Stell dir vor, Jo“, rief Jack, „wenn wir mal unsern Wohnwagen für die Nacht an so einer Hecke parken und das Pferd an einem Pflock festmachen und unser Abendbrot kochen!“

Während wir uns diese zukünftigen Freuden ausmalten, erreichten wir das Ende der Wiese und den Waldrand.

Jetzt waren wir auf gefährlichem Boden. Denn der Wald gehörte zu einem Herrenhaus, das oben am Berg lag. Fasanen wurden hier gezüchtet, und überall hingen Warnungstafeln, dass das Betreten des Waldes verboten sei. Ich fürchte, gerade deshalb fühlten Jack und ich uns so besonders zum Wald hingezogen. Gar manchen Nachmittag lagen wir auf dem warmen Moos und verhielten uns so mucksmäuschenstill, dass die Fasanen ganz nah an uns vorüberliefen