Purzelbaum Dick - Howard Spring - E-Book

Purzelbaum Dick E-Book

Howard Spring

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Beschreibung

Dick – von allen nur Purzelbaum-Dick genannt - hat zwei Onkel, die er eigentlich gar nicht kennt: Onkel Oswald ist ein richtiger Zauberkünstler, und Onkel Henry hat eine Tierhandlung in der großen Stadt. Als seine Mutter schwer erkrankt, bringt ihn sein Vater zu Onkel Henry, wo er seine Ferien verbringen soll. Und Onkel Oswald ist auch da. Es werden die tollsten Ferien, die Dick je erlebt hat: er lernt den Bürgermeister und dessen reizend Gattin sowie einen wunderlichen Landstreicher kennen, er darf Onkel Henrys Tiere versorgen, geht zum Kindermaskenball und gewinnt den ersten Preis, und eines Abends darf er sogar mit Onkel Oswald auf der Bühne auftreten. Dass Dick zum Schluss der Nummer nur aus Versehen stolpert und in den Orchestergraben auf die große Pauke fällt, hält das Publikum für einen gelungenen Gag zum Abschluss der Nummer. Ein Buch, an dem junge Leser seit Jahrzehnten ihre Freude haben: voller verrückter Einfälle und liebenswerter Charaktere. Robert Howard Spring (* 10. Februar 1889 in Cardiff, Wales; † 3. Mai 1965 in Falmouth, Cornwall) war ein britischer Schriftsteller und Journalist. In den 1950er und 1960er Jahren zählte er zu den meistgelesenen Autoren Großbritanniens.

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Seitenzahl: 193

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Howard Spring

Purzelbaum Dick

Impressum

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Purzelbaum-Dick

 

 

 

 

 

Howard Spring

 

 

 

 

 

Impressum

 

Copyright: Chiara-Verlag im vss-verlag

Jahr: 2022

 

 

 

Lektorat: Chris Schilling

Covergestaltung: Herrmann Schladt

 

 

Verlagsportal: www.vss-verlag.de

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.

 

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verfassers unzulässig.

OSWALD VOLLBRINGT WUNDER

 

Ein Glück, dass die Weihnachtsferien anfingen. Zur Schule muss man ja, auch wenn die Mutter krank ist. Aber jetzt waren Ferien, und es hatte den ganzen Tag geschneit.

Gleich beim Aufwachen sah ich, dass es schneite. Die Flocken stoben gegen die Fensterscheibe meiner kleinen Kammer, und ein paar fielen sogar durch das geöffnete Fenster.

Schließlich kletterte ich aus dem warmen Bett und schlüpfte schnell in Pantoffeln und Mantel. Das Linole­um war eiskalt. Im Winter nahm ich immer meinen Mantel mit hinauf und breitete ihn auf dem Bett aus. Beim Aufstehen diente er mir als Morgenrock.

Ich schloss das Fenster und betrachtete die verwandelte weiße Welt. Viel konnte ich zwar nicht sehen. Unser Vordergarten war klein; dahinter verlief die Straße, und hinter der Straße erstreckten sich die Felder in weite Fernen. Häuser sah man keine. Man hätte nicht vermutet, dass die Stadt Manchester nur zwölf Kilometer entfernt lag.

Wie seltsam und fremd der Garten und die Straße aussahen! Der Schnee häufte sich auf den Tischen am niedrigen weißen Holzzaun. Dort stand ich im Frühling, im Sommer und im Herbst jeden Sonnabend und Sonntag. Auf dem einen Tisch hatte ich reihenweise Marmeladegläser mit den Blumen, die gerade blühten. Mit Narzissen begann ich, dann folgten Rosen und Löwenmaul, Astern und Ringelblumen, Päonien und Rittersporn, und zum Schluss kamen Strandastern und Chrysanthemen. Für die letzten Blumen reichten die Gläser nicht, da brauchte ich Eimer. Bis in den November hinein blühten die Chrysanthemen; allerdings wurden dann die Spaziergänger und Radler, die mir Blumen abkauften, seltener. Auf dem zweiten Tisch hatte ich große Steinkrüge mit hausgemachter Marmelade und Limonade und viele Gläser; darunter einen Kübel mit Wasser zum Gläserspülen und ein Geschirrtuch.

Als Kind war mir nicht bewusst, dass wir arm waren. Mir erschien Vaters Garten, von dem wir lebten, riesengroß. Dabei maß er nur zwei Morgen und gehörte uns gar nicht. Von dem Geld, das Vater verdiente, musste er die Pacht und den Lohn für den alten Bidler zahlen, den Gaul Arthur füttern, Haus und Wagen instand halten, sich und seine Familie ernähren und kleiden.

So musste ich fleißig mithelfen. Es machte mir Freude, mein Scherflein beizutragen. Ich saß gerne an warmen Sommernachmittagen auf meinem Stuhl hinter den Tischen. Die Lerchen sangen, die Weißdornhecken dufteten, und alle, die vorübergingen oder -radelten, schienen fröhlich und guter Dinge. Ich versuchte immer zu erraten, ob der nächste, der um die Ecke käme, von den Blumen zum Kaufen verlockt oder beim Anblick meiner Krüge und Gläser Lust auf einen kühlen Trunk bekommen würde. Wenn er dann wirklich stehenblieb, sprang ich auf und bediente ihn eifrig.

Manchmal hatte ich auch sonderbare Kunden. Der merkwürdigste war der kleine Mann, der vor sechs Monaten an einem Sonnabendnachmittag im Juni auftauchte.

Ich sah ihn sofort, als er um die Weißdornhecke kam. Sein Stock blitzte in der Sonne. Er ließ ihn lustig kreisen, und als er näherkam, hörte ich ihn pfeifen. Er war sehr klein, maß höchstens einen Meter fünfzig. Er trug einen schwarz-weiß karierten Anzug und gelbliche Schuhe. Im Knopfloch steckte eine rote Nelke, auf dem Hinterkopf saß ein steifer grauer Hut, und den engen Stehkragen schmückte eine goldene Nadel mit einem eindrucksvollen Fuchskopf.

Er trat an den niedrigen weißen Zaun und steckte die Daumen in die Armlöcher seiner Weste. Er schaute über meinen Kopf hinweg, als sei ich gar nicht vorhanden. Seine Augen waren blitzblau, seine kleine Nase eingedrückt, sein rotes Gesicht glattrasiert.

Auf einmal murmelte er: «Niemand da? Niemand da? Bedienung!» Er nahm den Stock vom Arm und schlug damit auf den Tisch, dass die Gläser klirrten. «Bedienung!» rief er. «Bedienung! Bedienung!» Dann sah er mich und sagte: «Du meine Güte, ein Junge! Ein Junge, dem die Haare geschnitten werden müssten. Ein Junge, der gewaschen werden müsste. Ein Junge, dem die Nägel gestutzt werden müssten. Ein ganz gewöhnlicher Junge. Aber nein, kein gewöhnlicher Junge! Welcher gewöhnliche Junge hätte so ein absonderliches Taschentuch?»

Er lehnte sich über den Zaun, und seine langen weißen Finger griffen nach meinem Taschentuch. «Kein gewöhnlicher Junge!» rief er und zog daran. «Ein ganz außergewöhnlicher, noch nie dagewesener, unglaublicher Ultrasuperjunge!»

Bei jeder Silbe zerrte er ein wenig an dem Taschentuch, und zu meiner großen Verwunderung kamen aus meiner Tasche nacheinander rote, weiße und blaue Fähnchen hervor, die alle an einem Band befestigt waren.

Mit einem letzten Ruck ließ der kleine Mann die aufgereihten Fähnchen in der Sommerluft flattern. «Sehr befriedigend», sagte er. «Ein Junge unter Millionen. Gestatten Sie, mein Herr, dass ich Ihren Zaun mit diesem Flaggenschmuck ziere.»

Hierauf hängte er die Fähnchen am Zaun auf, verbeugte sich und fuhr fort: «Wenn Sie gestatten!» Er nahm seine graue Melone ab, holte daraus das Taschentuch hervor, das ich meiner Ansicht nach bei mir gehabt hatte, und steckte es ordentlich in meine Brusttasche.

Verwundert starrte ich die Flaggen an und fragte mich, ob sie Wirklichkeit wären. Ja, sie waren tatsächlich da, flatterten in der sanften Brise, und als ich sie befühlte, stellte ich fest, dass sie aus Stoff waren.

«Und was haben wir nun hier?» fragte mein seltsamer Kunde und ließ den Blick über den Blumentisch gleiten. «Die allerschönsten Blumen, mein Herr», sagte ich. «Rosen, Löwenmaul, sechs Pence ein Strauß, alle frisch gepflückt.»

«Rosen, so? Löwenmaul, so? Und alle frisch gepflückt.

Das ganze Wachsen und Blühen der Erde. Eine Freude für müde Augen. Und alle duften wohl, wie?»

«Ja, mein Herr, sie duften herrlich», antwortete ich. «Sie sind ganz frisch.»

«Sie duften, behauptest du. Das bezweifle ich.»

Diese Bemerkung machte mich wütend, und ich wünschte, er würde endlich etwas kaufen oder weitergehen. Wieder lehnte er sich über den Zaun, ergriff plötzlich einen Blumenstrauß und schüttelte ihn vor meiner Nase. «Blumenduft!» schnaubte er verachtungsvoll. «Nennst du das Blumenduft? Du müsstest verhaftet werden, mein Junge. Du betrügst die Käufer. Du verkaufst ja Papierblumen! Papier! Schau sie dir doch an!»

Ich war den Tränen nahe. «Entschuldigen Sie, mein Herr», stammelte ich. «Ich weiß nicht, was geschehen ist. Ich habe diese Blumen hier nicht eingestellt. Ich verstehe das nicht. Da muss mir jemand einen Streich gespielt haben, Bodler oder sonst jemand.»

«Bodler, so?» wiederholte er düster. «Und wer ist dieser Bodler?»

«Ein alter Mann, der meinem Vater im Garten hilft.» «Ach so. Zweifellos ein braver, fleißiger, ehrbarer Bürger. Und hier ist ein Junge, der mir meine Krawattennadel gestohlen und sich selbst angesteckt hat, und dem soll ich glauben, dass nicht er, sondern der alte Gärtnergehilfe Bodler arglose Blumenkäufer mit buntem Papier zu betrügen versucht. Ei, ei, manch einer würde eine solche Geschichte glauben, manch einer aber nicht.»

Ich war sehr unglücklich. Ich befühlte meine Krawatte, und tatsächlich war sie mit einem harten Ding geschmückt, das ich sonst nie trug. Ich zog es heraus, und da hatte ich den goldenen Fuchskopf in der Hand. Be­nommen starrte ich darauf, bis mein Kunde die Nadel an sich nahm und wieder an die eigene Krawatte steckte. «Na ja», sagte er, «wir wollen sehen, ob die Getränke besser sind als die Blumen. Limonade oder Ingwerbier? Was soll es sein? Lassen wir eine Münze entscheiden. Kannst du mir mit einem Pennystück aushelfen?»

Ich tat es, wenn auch widerstrebend. Der kleine Mann betrachtete nachdenklich den Penny, legte ihn auf den Zeigefinger und schnippte ihn mit dem Daumen in die Höhe. «Kopf - Limonade; Schrift - Ingwerbier», sagte er, als die Münze in die Luft flog. Er fing sie auf und hielt sie mir auf der Handfläche hin. «Du meine Güte!» rief er. «Schau dir das einmal an!»

Ich schaute hin: in seiner Hand lag eine halbe Krone. «Nimm das, mein Junge, nimm es», fuhr er fort. «Es gehört ja dir.»

Ich nahm die Münze, betrachtete sie genauer, und da war es doch nur ein Penny.

«Kopf ist herausgekommen», sagte er. «Also bitte eine Limonade.»

Ich schenkte ihm ein Glas ein, er nippte daran und verzog das Gesicht. Vorsichtig nahm er noch einen kleinen Schluck.

«Schmeckt sie Ihnen nicht?» erkundigte ich mich.

Er gab nicht sofort Antwort, sondern roch an der Limonade und nippte nochmals. «Ich dachte schon, ich hätte mich geirrt. Aber es stimmt. Meerschweinchen! Ganz entschieden Meerschweinchen. Kennst du zufällig den Geschmack von Meerschweinchen, junger Mann?» «Nein», entgegnete ich verzweifelt, «wir halten keine Meerschweinchen. Die Limonade kann nicht danach schmecken.»

«Sei so gut und koste», sagte er und hielt mir das Glas hin.

Ich kostete vorsichtig und fand sie ausgezeichnet. «Tadellos, mein Herr», sagte ich. «Meine Mutter macht sie immer selbst. Nur mit Zitrone, Wasser und Zucker.» «Und keine Meerschweinchen?»

«Nein, bestimmt nicht.»

Darauf leerte er das Glas auf einen Zug, griff sich mit der Hand an die Kehle und schrie: «Au! Es zappelt! Es erstickt mich!» Er wirbelte herum, trat wieder zu mir und streckte das Glas weit von sich. «Nimm es weg! Ich hasse Meerschweinchen! Sie sind mir widerlich! Ich kann sie nicht ertragen!»

Ich nahm das Glas aus seiner zitternden Hand. Ein dickes schwarz-weißes Meerschweinchen saß darin.

Ich war fassungslos, und er kam wütend durchs Gartentor. «Das ist zu viel», sagte er und deutete auf das Tier, das mit den Vorderbeinen auf dem Rand des Glases stand. «Die Blumen hätte ich noch verzeihen, die Sache mit der Krawattennadel übersehen können. Aber das . . .! Nein, was zuviel ist, ist zu viel. Jetzt ist eine Erklärung fällig.»

Er packte mich am Arm und zog mich über den Gartenweg zur Haustür, an die er mit seinem Stock heftig klopfte. Meine Mutter kam herausgestürzt. Als sie den kleinen Mann sah, warf sie erstaunt die Hände in die Luft. «Du!» rief sie. «Du bist also wieder im Lande, du alter Gaukler.»

«Bei Gaukler fällt mir ein», sagte der kleine Mann, «sei doch so gut, junger Mann, und schau dir die Münze in deiner Tasche genau an, ja?»

Ich kramte den Penny hervor, mit dem er gelost hatte. Jetzt war es wieder eine halbe Krone.

«Behalte den Rest», fuhr er fort, «mit besten Empfehlungen von Oswald Tubbs.»

Das also war die Erklärung. Mutter hatte mir schon viel von ihrem Bruder Oswald erzählt, der Zauberkünstler war, aber bis jetzt hatte ich ihn nie kennengelernt.

«Ich will schnell deine Fähnchen holen», sagte ich eifrig, «sonst gehen sie dort am Zaun verloren.»

«Fähnchen?» wiederholte er. «Ach, die meinst du!» Er holte die Fähnchen aus seinem Spazierstock hervor, drückte ihn zusammen, bis er nur noch ein paar Zenti­meter lang war, und steckte ihn in die Tasche. «Nun denn, Emma», sagte er, «was gibt’s zum Mittagessen?» Ich fand ihn wundervoll. Während er herzhaft schmauste, zauberte er plötzlich aus einer Kartoffel eine Münze hervor oder holte aus meinen Taschen Uhren und Füllfederhalter, die ich überhaupt nie besessen hatte. Er erzählte, er käme gerade von einer langen Tournee durch Südafrika und Australien zurück. Jetzt war er auf einmal bedrückt. Er sagte, es sei schwer, Arbeit zu finden, da neuerdings die Varietebühnen in Kinos umgebaut würden; außerdem schienen sich die Leute aus guten Zauberkünstlern nichts mehr zu machen.

Er unterhielt sich weiter mit meiner Mutter, während ich wieder zu meinen Verkaufsständen hinausging. Erst gegen Abend machte er sich auf den Rückweg nach Manchester. Er hatte mir wirklich großen Eindruck gemacht, und ich hätte mich gar nicht gewundert, wenn sich die Weißdornhecke in einen Christbaum mit brennenden Kerzen verwandelt hätte, als er sich an der Ecke umdrehte und mir winkte.

 

NÄCHTLICHE FAHRT

 

An all das und manches andere, das ich im Garten erlebt hatte, dachte ich zurück, als ich an jenem Tage am Fenster stand und die verschneite Landschaft betrachtete. Auf einmal merkte ich, wie still alles war. Eigentlich hätte ich Mutter in der Küche hören müssen, denn um diese Zeit machte sie immer das Frühstück.

Ich ging hinunter. Die Vorhänge waren immer noch zugezogen, obwohl die Uhr auf dem Kaminsims schon halb acht zeigte.

Ich räumte den Ofen aus und kochte das Wasser auf dem Feuer. Ich wollte Mutter überraschen. Anscheinend hatte sie sich verschlafen, und wenn sie aufwachte, wollte ich mit einer Tasse Tee an ihrem Bett stehen.

Ich deckte den Küchtentisch, dann goss ich den Tee auf und trug ihn nach oben.

Stolz betrat ich mit dem Tablett Mutters Zimmer. «Faulpelz!» neckte ich sie. Verwundert stellte ich fest, dass sie gar nicht schlief. Mit weit geöffneten Augen lag sie im Bett; ihr Gesicht war rot.

«Ach, Dick», sagte sie, «es tut mir so leid. Ich kann nicht aufstehen. Mir ist nicht gut.»

Ich stellte das Tablett auf den Stuhl neben dem Bett. «Vielen Dank», fuhr sie fort. «Du bist sehr lieb. Eine Tasse Tee wird mir guttun.»

Sie richtete sich auf und trank den Tee. Dann klagte sie, ihr sei gleichzeitig heiß und kalt.

«Du hast Grippe», erklärte ich.

«Wahrscheinlich», stimmte sie zu.

Ich schüttelte ihr Kopfkissen und brachte ihr zwei Decken von meinem Bett. «Du musst schwitzen», erklärte ich.

Zum Glück lächelte sie ein wenig. «Ich will dir Feuer machen», schlug ich vor. «Das ist angenehm, wenn man krank im Bett liegt. Besonders an einem solchen Tag.» «Es muss stark geschneit haben», antwortete sie matt. «Dein armer Vater!»

Mutter nannte ihn immer meinen armen Vater. Ich konnte mir nicht erklären warum. Er war ein großer, kräftiger Mann. Natürlich war es kein Vergnügen für ihn, bei diesem Wetter aus Manchester heimzufahren; aber das Pferd Arthur hatte mehr zu leiden als er.

Ich holte Glut aus der Küche und machte in Mutters Schlafzimmer Feuer im Kamin. Sie war eingeschlafen, und ich gab mir Mühe, leise zu sein. Auf Zehenspitzen schlich ich mit dem Tablett hinaus. Dann frühstückte ich allein in der Küche.

Inzwischen war es schon halb neun, und ich hatte mich weder gewaschen noch angezogen. Doch das hatte Zeit. Zuerst musste ich das Geschirr spülen und für meinen Vater ein kräftiges Frühstück vorbereiten.

Als ich damit fertig war, kleidete ich mich endlich an. Dann zog ich Mantel und Gummistiefel an und ging hinaus.

Es schneite nicht mehr. Soweit ich sehen konnte, war alles weiß. Es dauerte nicht lange, bis ich in der Stille das Bimmeln der Glöckchen hörte, die an Arthurs Geschirr befestigt waren. Kurz darauf bog der Wagen um die Ecke. Arthur ließ betrübt den Kopf hängen, aus seinen Nüstern stieg weißer Dampf auf, und die roten Wagenräder drehten sich mühsam im Schnee. Die Plane und der Sack, den Vater über die Schultern geworfen hatte, waren ganz mit Schnee bedeckt.

«Guten Morgen, Dick», rief mir Vater entgegen. «Wir kommen spät, nicht wahr? Es war schwer für Arthur, den Wagen durch den Schnee zu ziehen.» Er lächelte und fügte hinzu: «Vermutlich ist Mutter inzwischen der Speck angebrannt.»

«Mutter liegt im Bett», berichtete ich. «Sie ist krank. Ich glaube, sie hat Grippe. Aber du brauchst dich wegen deines Frühstücks nicht zu sorgen. Ich habe alles vorbereitet.»

Zehn Minuten später - Vater hatte noch nach der Kranken geschaut - saß er am Frühstückstisch und sagte: «Vielen Dank, Dick. Das hast du großartig gemacht.» Dann schüttelte er den Kopf. «Leider ist es wirklich Grippe. Was sollen wir nur machen? Mit dir, meine ich.»

Ich war gekränkt. Ich fand, ich habe bewiesen, wie gut ich mit allem fertig wurde. Das Feuer brannte, nirgends stand schmutziges Geschirr, mein Vater saß vor einem guten Frühstück.

«Mit mir?» fragte ich.

«Wer soll für dich sorgen? Ich muss meiner Arbeit nachgehen. Und wer soll Mutter pflegen?»

«Ich kann für euch beide sorgen», antwortete ich. Zweifelnd kratzte er sich den Kopf. Er sagte nichts mehr, aber später am Tage sah ich ihn ernsthaft mit Bodler sprechen. Ich dachte mir gleich, dass sie etwas ausheckten, und ich irrte mich nicht. Gegen Abend erschien Frau Bodler mit einem Pappkoffer. In der Küche packte sie eine Schürze aus und band sie um. «So, Herzchen», sagte sie, «bald haben wir alles wieder in schönster Ordnung.»

Ich hatte Frau Bodler nie sonderlich gemocht, und mit dieser Bemerkung machte sie sich bei mir nicht beliebter. Meiner Meinung nach war alles ordentlich genug. Ich vermutete, dass sie bei uns bleiben würde, denn ihr Koffer enthielt auch eine Haarbürste, Pantoffeln und ähnliche Dinge. Sie blickte sich in der Küche um, aber ich hatte längst dafür gesorgt, dass es nichts mehr zu tun gab.

«Ei, mit der Zeit wirst du noch eine ganz gute Hilfe im Haushalt», sagte sie.

Darüber ärgerte ich mich so, dass ich keine Antwort gab. Ich zog Mantel und Gummistiefel an und trottete auf den Hof hinaus. Vater und Bodler hatten gerade angefangen, den Planwagen für die nächste Fahrt zu beladen. Ab und zu kamen Männer aus der Umgebung mit Sachen, die ebenfalls zum Markt gebracht werden sollten. Da Vaters Gärtnerei nicht für jeden Tag eine volle Ladung ergab, betätigte er sich auch für andere als Fuhrmann. Die Fuhre blieb immer im Hof, bis Vater gegen drei Uhr nachts aufstand, Arthur anschirrte und die Fahrt nach Manchester antrat.

Es war mein sehnlichster Wunsch, einmal mitzufahren. Ich stellte es mir ungeheuer romantisch vor, Nacht für Nacht durch winterliche Dunkelheit und sommerliches Morgengrauen zu fahren und endlich zum Markt zu gelangen, von dessen fröhlichem Betrieb man mir viel erzählt hatte.

Ich hatte meinen Vater schon so oft gebeten, mich mitzunehmen, aber er hatte es nie getan. Stets erklärte er, ich brauche meinen Schlaf und der arme Arthur habe schon genug zu ziehen. Dabei war es geblieben.

Doch als ich an diesem Tage den Männern auf dem Hof zusah, kam Vater plötzlich zu mir herüber und sagte: «Du kommst heute Nacht mit.»

Dann ging er wieder zu den anderen. Mir aber klopfte das Herz wie wild vor Freude.

Ich ließ mir meine Aufregung nicht anmerken. Ich wollte nicht, dass Bodler und die anderen Männer sahen, wie wichtig dieser Augenblick für mich war. Gelassen schlenderte ich ins Haus zurück, doch kaum hatte ich die Gummistiefel ausgezogen, verließ mich die gespielte Ruhe; in Strümpfen rannte ich die Treppe hinauf, stürmte in Mutters Zimmer und rief: «Stell dir vor, Vater nimmt mich heute Nacht mit!»

Zum Glück war sie wach. Sie saß im Bett, an ihre Kissen gelehnt, und lächelte mich an. «Ja, es ist bestimmt das beste, wenn du zum Bruder deines armen Vaters ziehst, bis ich wieder ganz gesund bin. Dann kann Frau Bodler dein Zimmer haben, sie bleibt so lange hier.»

Jetzt war mir Frau Bodler ganz gleichgültig. Mochte sie bleiben, solange sie wollte; ich verschwendete keinen Gedanken mehr an sie.

Um acht Uhr ging ich zu Bett, nur eine Stunde früher als mein Vater. Er legte sich sommers und winters um neun Uhr schlafen, weil er schon um halb drei aufstehen musste. Ich wollte wach bleiben, um beim ersten Geräusch aus dem Bett zu springen. Aber das gelang mir nicht. Ich erwachte aus tiefem Schlaf, als ich sanft geschüttelt wurde. Vater stand neben mir, schon im Mantel und mit einem dicken Halstuch.

«Komm, Junge», sagte er, «wir haben schon angespannt. Lass den Wagen nicht warten.»

«Meine Güte, ich bin eingeschlafen», murmelte ich. Als ich aufstehen wollte, fiel ich aus dem Bett.

«Da haben wir unseren Purzelbaum-Dick», neckte mich Vater. Immer wenn ich aufgeregt war, hatte ich meine Füße nicht mehr in der Gewalt und purzelte hin. Ich trug diesen Spitznamen, solange ich mich erinnern konnte, und mit meinen angeschlagenen Ellenbogen und aufgeschürften Knien hatte ich ihn wahrhaftig verdient. Drei Minuten später stand ich angekleidet in der Küche. Im Ofen schwelte noch Glut. Die Uhr zeigte zwanzig vor drei. Ich fand es sehr aufregend, zu dieser Nachtzeit aufzusein. Ich zog meinen Mantel an und wickelte mir einen Schal um den Hals, um möglichst wie Vater auszusehen.

«Den wirst du brauchen», sagte er, «und vergiss die dicken Wollhandschuhe nicht. Es schneit wieder. Da, wärm dich erst richtig auf.» Er reichte mir eine Tasse Kakao. Ich zog den Vorhang zurück und schaute zum Fenster hinaus. In der Dunkelheit waren nur die beiden Laternen vorn und hinten am Planwagen zu sehen.

Vater schaute mich an und lächelte: «Du findest das alles wohl sehr romantisch, nicht wahr? Warte nur ab! Bis wir am Ziel sind, bist du halb erfroren!»

Wir gingen hinaus; es schneite noch immer. Der weiche Schnee auf dem Boden dämpfte die Schritte.

«Los, klettre hinauf.» Vater hakte die Laterne von der Deichsel und hielt sie in die Höhe. Der Lichtschein fiel auf sein Gesicht und auf Arthurs Flanke, die mit einem Sack bedeckt war. Ich stieg über die Deichsel in den Wagen und kroch unter die Plane. Ein freies Plätzchen war mit Stroh ausgelegt, und auch für Pferdedecken hatte Vater gesorgt. «Mummle dich gut ein und schlaf», rief er mir zu, als er auf dem Bock saß. Die Planenklappe fiel herunter, und ich war im Dunkeln. «Hü!» hörte ich. Es gab einen Ruck, und wir fuhren ab. Schlafen! Nie in meinem Leben war ich so hellwach ge­wesen. Obwohl ich nichts sehen konnte, wollte ich jeden Augenblick der Fahrt auskosten.

Die Räder rollten geräuschlos über den Schnee; nur ab und zu quietschte die Achse, wenn der Wagen eine Biegung machte. Jede Umdrehung der Räder brachte uns Manchester näher. Ich war erst ein paarmal dort gewesen, und den Markt hatte ich noch nie erlebt.

Schlafen! Die Erwachsenen hatten manchmal sonderbare Vorstellungen. Ich konnte gar nicht schlafen, selbst wenn ich gewollt hätte. Nur die Augen wollte ich schließen und es mir auf dem gemütlichen Strohlager mit den warmen Decken ein wenig bequem machen. «Dick, Dick! Wach auf! Hier gibt es was zu sehen!»

Ich fuhr auf und rieb mir die Augen. «Hab’ nicht geschlafen», murmelte ich, «nur die Augen ein paar Sekunden zugemacht.»

Vater lachte. «Viertausendvierhundertvierzig Sekunden. Ich habe sie gezählt.»

Ich steckte den Kopf durch die Klappe. «Oh, es schneit ja nicht mehr!»

«Vor einer halben Stunde hat es aufgehört. Schau dir den Himmel an.»

Ein leichter Wind wehte, er hatte die Wolken zur Seite gefegt. In der Mitte stand der Vollmond. Er versilberte den Schnee auf Dächern, Bäumen und Straßen und sogar Arthur, der geduldig auf den Befehl zum Weiterfahren wartete. Ringsum waren viele Häuser. Wir befanden uns im Dorf Northenden, und vor uns lag die Brücke über den Mersey.

«Du kannst aussteigen und zu Fuss gehen, wenn du willst», sagte Vater. «Hier ist der Schnee fester, weil mehr Verkehr ist.»

Ich kletterte hinunter, und Vater stieg ebenfalls vom Bock. Das Wasser floss langsam und fast lautlos unter der Brücke durch.

«Jetzt sind wir schon in der Grafschaft Manchester», belehrte mich Vater, als wir die Brücke hinter uns hatten. «Aber bis zur Stadt sind es noch acht Kilometer.»

Lange Zeit gingen wir an Gärten vorbei, in denen große Häuser standen. Alle Fenster waren dunkel. Arthur zog den Wagen in gleichmäßigem Schritt, und die brennende Laterne schaukelte an der Deichsel. Bald brauchten wir das Licht gar nicht mehr. Wir kamen zu einer langen geraden Straße, die von Bogenlampen erhellt wurde.

Wir stapften nebeneinanderher und sprachen wenig. Einmal ratterte ein großer roter Tramwagen durch die Stille, und Vater erklärte mir: «Die Straßenbahn fährt die ganze Nacht jede Stunde.»